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Westdeutscher Rundfunk Köln Appellhofplatz 1 50667 Köln Tel.: 0221 220 3682 Fax: 0221 220 8676 E-Mail: [email protected] www.quarks.de Script zur wdr-Sendereihe Quarks & Co Die Wissenschaft vom Kaputtgehen

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Westdeutscher Rundfunk Köln

Appellhofplatz 150667 Köln

Tel.: 0221 220 3682Fax: 0221 220 8676

E-Mail: [email protected]

www.quarks.de Script zur wdr-Sendereihe Quarks&Co

Die Wissenschaft vomKaputtgehen

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Text: Axel Bach, Uli Grünewald, Ilka aus der Mark, Jakob Kneser, Thomas Reintjes;Redaktion: Wolfgang Lemme; Copyright: wdr, Oktober 2006; Gestaltung: Design-bureau Kremer & Mahler, Köln

Bildnachweis: alle Bilder Freeze wdr 2006 außer S. 1 (groß), S. 13 - 18 oben: Mauri-tius; S. 19: AKG; S. 20 - 21: Mauritius

Unkaputtbare Dinge sind eine Erfindung der Werbung. Oder nicht? Wie gehen Dinge

eigentlich kaputt? Quarks & Co widmet sich der Wissenschaft vom Kaputtgehen und zeigt,

wie Flaschen explodieren und implodieren, wie Autoscheiben und Glühlampen zerbrechen,

wie Töne ein Wasserglas in tausende kleiner Stücke zerspringen lassen. Die faszinierenden

Bilder dazu liefert eine Hochgeschwindigkeits-Kamera.

Außerdem stellt Quarks & Co Menschen vor, die dem Geheimnis des Risses auf der Spur

sind und erklärt, wieso Flugzeuge auch mit Rissen flugfähig sind.

4 Katastrophen aus dem Nichts

7 Wie viele Risse hat mein Flugzeug?

10 Wie Glas kaputt geht

13 Die Quarks Galerie des Kaputtgehens

19 Scherben sind nicht gleich Scherben

22 Crashtest mit Tempo 100

26 Lesetipps

Weitere Informationen, Link- und Lesetipps finden Sie unter: www.quarks.de

InhaltInhalt Die Wissenschaft vom KaputtgehenDie Wissenschaft vom

Kaputtgehen

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Links:In 7.300 Meter Höhe hat sich über dem Pazifischen Ozeandas Dach über dem Vorderteil einer Boeing 737 gelöst

Mitte:Um der Entstehungsgeschichte eines Risses auf dieSpur zu kommen, machen Forscher Dinge extra kaputt

Rechts:Mittlerweile können die Forscher das Wachstum einesRisses sogar im Computer vorausberechnen

Der Keim des Unglücks

Völlig unerwartet und scheinbar unvorhersehbarkann es passieren: Tanker brechen in der Mittedurch, Flugzeuge zerlegen sich während desFluges in ihre Einzelteile oder einzelne Bauteileversagen und führen zu schrecklichen Katastro-phen. Ob es sich dabei um Konstruktionsfehler,Materialversagen oder Überbeanspruchung han-delt – in vielen Fällen ist ein Riss der Keim derKatastrophe – so unscheinbar und klein er oftauch aussieht: Am 28. April 1988 löst sich in7.300 Meter Höhe über dem Pazifischen Ozeandas Dach über dem Vorderteil einer Boeing 737.Die Passagiere sitzen im Freien. Eine Stewar-dess, die gerade Getränke serviert, wird vonBord gerissen und stürzt in den Tod. Ihre Kolleginkommt nur deswegen mit dem Leben davon, weilangeschnallte Passagiere sie mit vereinten Kräf-ten festhalten. Eine Viertelstunde später landetdie skalpierte Maschine sicher auf der InselMaui. Die meisten der 61 Passagiere sind ver-letzt, aber alle überleben. Als Ursache für dasUnglück ermitteln Fachleute später Risse an derDruckkabine.

Die Geburtsstunde der Rissforschung

Es gibt Forscher, die Katastrophen analysieren,um sie in Zukunft verhindern zu können. Bis in diefünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts hat mandabei in erster Linie die Materialart untersuchtund den Grund der Zerstörung auf das Materialselbst zurückgeführt. Eine Unglücksserie desFlugzeugtyps COMET ließ die Forscher umdenken.Zwei der Maschinen zerschellten Anfang der fünf-ziger Jahre mitten im Flug am Himmel. 111 Men-schen kamen dabei ums Leben. Eine Untersu-chungskommission suchte fieberhaft nach denUnglücksursachen. Das Ergebnis: Es waren Rissean den Kanten der Fenster entstanden. Damalswaren die Flugzeugfenster noch eckig, wie inHäusern, mit scharfen 90-Grad-Winkeln. Die Rissean den Kanten der Fenster hatten jedoch die ge-samte Konstruktion des Fliegers instabil gemacht.Denn an den 90-Grad-Winkeln steigt der Druck inder Höhe besonders stark an. Das machte deu-tlich, dass nicht nur das Material, sondern auchdie Umstände seines Gebrauchs genau geprüftwerden müssen. Seither baut man Flugzeug-fenster grundsätzlich so, wie wir sie heute ken-nen: mit abgerundeten Ecken. Und die Forschungwar auf den Riss gekommen.

Risse wachsen unterschiedlich schnell

Seit Bekanntgabe der Unglücksursache bei denComet-Unfällen untersuchten Ingenieure in denfolgenden Jahrzehnten ausgiebig die Entstehungund das Wachsen von Rissen. Sie stellten fest,dass die Entwicklung eines Risses davon ab-hängt, wie stark das ihn umgebende Materialbelastet ist.

Mittlerweile können die Forscher das Wachstumeines Risses sogar im Computer vorausberech-nen. Dabei haben sie festgestellt, dass Risseschnell oder langsam wachsen können. Undmanchmal auch gar nicht wachsen. Das Ver-halten eines Risses hängt von der Materialbelas-tung direkt um den Riss herum ab, aber auch vonder Rissfestigkeit des jeweiligen Materials.

Monatelange Versuche nach ICE-Drama

Auch das Zugunglück von Eschede 1998, bei dem101 Menschen starben, ist durch einen Riss aus-gelöst worden. In einem der Radreifen hatte sichein Riss immer weiter ausgebreitet. Um zu klä-

ren, ob es sich um einen Materialfehler im Stahldes Radreifens handelte, beschäftigen sich zahl-reiche Forscher monatelang mit diesem Riss. Siefertigten Proben vom Originalmaterial des Rad-reifens an und beschädigten sie extra durch eineKerbe. Dann setzten sie die eingerissene Mate-rialprobe wochenlang einer extrem hohen Belas-tung aus – vergleichbar mit der eines Radrei-fens bei einer ICE-Fahrt. Bis der Stahl schließlichriss.

Radreifen

Das Rad des Unglückszuges war eine ganz besondereKonstruktion, die damals aus Komfort-Gründen an eini-gen Zügen ausprobiert wurde. Das Rad bestand nicht auseinem Stahlguss, wie ICE-Räder normalerweise, sondernaus drei mit sehr hoher Hitze zusammengepressten Teilen.Dazwischen befand sich eine 20 mm dicke Gummileinlage.Das funktionierte wie eine Federung und machte wenigerLärm als ein Rad ohne Gummifederung. Ob diese spezielleKonstruktion den Unfall mit verursacht hat, ist aber bisheute nicht geklärt.

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Katastrophen aus dem NichtsKatastrophen aus dem Nichts

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Extreme Belastung für dünne Schicht

Ein Passagierflugzeug ist in der Regel 20 bis 25Jahre im Dauereinsatz, 100 000 Flugstunden fürein Flugzeug sind normal. Und das bei einemTemperaturunterschied, der zwischen 50 Grad aufder Erde und minus 40 Grad Celsius in der Luftbetragen kann. Auch der Druck ändert sich erheb-lich. Der Rumpf des Airbus 340 dehnt sich beieinem Flug ganze 26 Zentimeter aus. Die Flugzeug-hülle ist also extremen Belastungen ausgesetzt,und das, wo sie doch sehr dünn und leicht seinmuss. Die Flugzeughülle ist nur etwa 1,5 Milli-meter dick. Dass daher an der einen oder anderenStelle des Flugzeugs ein Riss auftaucht, über-rascht nicht. Zumal Flugzeuge aus Leichtmetall be-stehen, was allein schon vom Material her sehrrissanfällig ist. Aber Flugzeuge aus Stahl würdennun mal nicht fliegen.

Auf jeder Reise fliegen Hunderte von Rissen mit

Gewarnt durch Unglücke, die auf Risse zurückgin-gen, etwa die Comet-Abstürze Anfang der fünfzi-ger Jahre oder das abgedeckte Dach der Boeing737 im Jahre 1988, überprüfen die Fluggesellschaf-

ten mittlerweile akribisch jeden Zentimeter desFlugzeugs in regelmäßigen Abständen. Dabei gibtes ungefährliche Risse, die bleiben dürfen, undgefährliche, die sofort nach ihrer Entdeckungrepariert werden. Wie viele Risse ein Flugzeug imDurchschnitt hat, ist sehr schwer zu schätzen. Eskommt auf das Alter des Flugzeugs an und auf sei-nen Status bei den einzelnen Inspektions-intervallen. Aber vermutlich sind es hunderte vonRissen, die trotz sorgfältiger Inspektion bei jederReise mitfliegen.

Motto: Werkstoffe sind kein totes Material

An den verschiedenen Bauteilen des Flugzeugsgibt es jeweils eine andere Toleranzschwelle. EinRiss am Fahrwerk von einem Millimeter Längebedeutet, dass das gesamte Fahrwerk ausge-tauscht werden muss. Ein Riss von vier MillimeterLänge am Rumpf des Flugzeuges dagegen wirddurchaus akzeptiert – je nachdem, wo er sitzt. Inder Brennkammer, die mitten im Triebwerk sitzt,wird es so heiß, dass dort ständig hunderte vonneuen Rissen entstehen. Die sind aber nichtgefährlich, weil sie die Gesamtkonstruktion desFlugzeugs nicht beinträchtigen.

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Links:Forscher stellten die Todesfahrt des ICE mit Proben aus demOriginalmaterial nach

Mitte:Dunkle Markierungen auf der Bruchfläche derMaterialprobe beweisen: Der Riss im ICE-Radreifen ist nicht kontinuierlich gewachsen

Rechts:Eine Flugzeughülle muss sehr leicht sein und dabei extremen Belastungen standhalten

Wochenlang im Verborgenen

Die Färbung auf der Bruchfläche des Rissesbrachte die Gutachter auf eine Fährte: Die dun-klen Markierungen deuteten darauf hin, dassder Riss langsam entstanden sein musste. Dennbei jedem Wachstumsstopp eines Risses bildetsich auf der Bruchfläche ein dunkler Strich. DasRisswachstum im Fall Eschede scheint sich überWochen hingezogen zu haben. Der Schaden istnach Berechnung der Gutachter 95.000 km ver-borgen mitgefahren. Aber wie er überhaupt imRadreifen entstehen konnte und warum er aus-gerechnet an diesem einen Reifen auftauchte,haben die Gutachter bis zum heutigen Tag nichtklären können. Noch immer haben die Wissen-schaftler das Rätsel des Risses nicht vollständiggelöst.

Katastrophen aus dem Nichts Wie viele Risse...Wie viele Risse hat mein Flugzeug?

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Links:Vermutlich sind es hunderte von Rissen, die trotz sorgfältigerInspektion bei jeder Reise mitfliegen

Mitte:Westliche Flugzeugingenieure gehen davon aus, dasseine Konstruktion Schäden oder Fehler haben darf

Rechts:Mit fluoreszierendem Öl können FlugzeuginspekteureRisse an einzelnen Bauteilen sichtbar machen

Wie viele Risse hat mein Flugzeug?Westliche Flugzeugingenieure richten sich bei derRissbeurteilung nach der sogenannten damagetolerance philosophy, die besagt, dass eine Kon-struktion Schäden oder Fehler haben darf, ohnedass ihre Funktionstüchtigkeit eingeschränkt wird.Das Motto lautet: Werkstoffe sind nichts Totes.Nicht alle teilen diese Ansicht. In Russland zumBeispiel geht man mit Rissen wesentlich intoleran-ter um und verschrottet die Flugzeuge schneller.

damage tolerance philosophy

deutsch: Schadenstoleranz-Prinzip, auch Fehlertoleranz-Prinzipgenannt

Wie man Risse sichtbar macht

Die Fluggesellschaften bedienen sich unterschied-licher technischer Verfahren, um Risse aufzuspü-ren. Da ist einmal das Ultraschall-Verfahren. Dabeileitet man einen Schall in das zu prüfende Bauteil.Wenn der Schall auf einen Riss trifft, ändert sichdas Echo, das zurückkommt, und das man aufeinem Monitor sichtbar machen kann. BeimWirbelstromverfahren messen die Inspekteuredie Spannungsveränderung am Material undschließen so auf Risse. Manche Bauteile werden

machen mit jedem Flugzeugstyp Belastungstests.Wenn sie dabei feststellen, dass an einer bestimm-ten Stelle häufig ein Riss entsteht, müssen die Flug-gesellschaften speziell an dieser Stelle häufigerprüfen als an anderen Stellen. Jedes Flugzeugdurchläuft spezielle Prüfungsintervalle, wobeinach und nach jedes Bauteil einmal unter die Lupekommt. Nach etwa acht Jahren oder 30.000 Flug-stunden gibt es dann den sogenannten D-Check.Dabei wird fast das gesamte Flugzeug mit neuen,rissfreien Bauteilen versehen – sicher ist sicher.

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auch geröntgt. Außerdem arbeiten die Flugge-sellschaften mit fluoreszierendem Licht und mag-netischen Feldern, um den Rissen auf die Spur zukommen. Manchmal wird eine Stelle am Flugzeugsogar mit der Lupe begutachtet. Trotz der differen-zierten Suchverfahren bleiben viele Risse unent-deckt. Vor allem jene, die unter den zahlreichenNieten und Befestigungselementen direkt an derRumpf-Oberfläche sitzen. Die können erst dannregistriert werden, wenn sie eine bestimmte Größeerreicht haben. An dieser Stelle des Flugzeugssind sie aber nach dem Schadenstoleranz-Prinzipnicht tragisch und dürfen bleiben – bis sie so großsind, dass sie die Toleranzgrenze überschreiten.Dann werden sie repariert oder das Bauteil wirdkomplett ausgetauscht.

Regelmäßige Runderneuerung

Die einzelnen Bauteile des Flugzeugs werdenunterschiedlich stark strapaziert. Je strapazierter,desto rissanfälliger. Entsprechend unterschiedlichfallen auch die Inspektionsintervalle der einzelnenTeile aus. Das Triebwerk zum Beispiel wird beson-ders gründlich unter die Lupe genommen. Aller-dings erst nach 20.000 Flugstunden. So lange istdessen Lebensdauer festgelegt, so lange dürfeneventuelle Risse bleiben. Die Herstellerfirmen

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Wie Glas kaputt geht

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Scherben für die Wissenschaft

Wenn es zu Hause passiert, ist es ärgerlich. Aberes kann auch Spaß machen: Glas zerspringenlassen... Dann nämlich, wenn man Trinkgläser zuBoden wirft und das mit einer Hochgeschwindig-keitskamera aufnimmt. (Siehe auch nächstesKapitel)

Quarks & Co hat genau das gemacht und zeigt,wie schön das Malheur eigentlich ist. Es gingaber nicht nur um die schönen Bilder – wir woll-ten auch wissen, ob es möglich ist zu beobach-ten, wie schnell sich Risse im Glas entwickeln.Das ist gar nicht so einfach. Denn um schnelleBewegungen sichtbar zu machen, ist die norma-le Fernsehtechnik viel zu langsam. Das Fern-sehen sendet pro Sekunde 25 Bilder, doch schondas Herunterfallen eines Glases ist mit normalerDrehgeschwindigkeit kaum sichtbar zu machen.Die Umrisse des Glases sind dabei stark ver-wischt und das Glas fällt so schnell zu Boden,dass dies insgesamt in nur zwei Einzelbildernzu sehen ist. Also musste eine besondereKamera her.

Das Glas hüpft wie ein Flummi

Hochgeschwindigkeitskameras können statt 25Bildern pro Sekunde 1.000 Bilder oder gar 30.000Bilder aufzeichnen. In der Wissenschaft werdenKameras genutzt, die sogar bis zu 20 MillionenBilder pro Sekunde aufzeichnen können. Damitlassen sich extrem schnell ablaufende Vorgängeso stark verlangsamen, dass sie sichtbar werden.Genau das machen wir uns bei unserem Versuchzu Nutze: Wir erhöhen die so genannte Frame-Rate (also die Anzahl der Bilder pro Sekunde,angegeben als Frames pro Sekunde – fps) auf dasZwanzigfache der Normalgeschwindigkeit: Stattmit 25 Bildern beobachten wir das Glas auf sei-nem Weg nach unten jetzt mit 500 Bildern proSekunde (fps). Umgerechnet auf die normaleBildwiederholzahl von 25 fps ergibt also jedeechte Sekunde 20 Sekunden Zeitlupenaufnah-men.

Dann geht es los: Wir lassen ein normales Haus-halts-Trinkglas zuerst von etwa einem MeterHöhe auf eine massive Stahlplatte fallen. Dabeibemerken wir etwas Erstaunliches: Das Glas

hüpft beinahe wie ein Flummi, dreht sich einigeMale in der Luft und kommt schließlich wiederzum Stehen – ohne kaputt zu gehen! Ein Meterreicht bei dem gewählten Untergrund also nichtaus. Wir müssen auf jeden Fall höher hinaus. Unddie Analyse der ersten Aufnahmen zeigt auch:500 Bilder pro Sekunde sind wahrscheinlich vielzu langsam.

Zeitlupenaufnahmen benötigen sehr viel Licht

Wir müssen also die Frame-Rate erheblich erhö-hen. Doch das Arbeiten mit Hochgeschwin-digkeitskameras hat eine Besonderheit: JedeVerdoppelung der Geschwindigkeit bedeutetgleichzeitig, dass die doppelte Lichtmenge nötigist. Aber das helle Glas erkennt man nur schwervor dem hellen Hintergrund. Deshalb streichenwir die Gläser mit einer Ätzflüssigkeit ein. Herauskommen mattierte Gläser – und die kann man voreinem schwarzen Hintergrund viel deutlichersehen. Gleichzeitig erhöhen wir die Framerate auf3000 fps. Damit die Gläser immer gleich fallen,haben wir zudem eine Fallvorrichtung gebaut, die

wir elektrisch auslösen können. Nun scheint allesperfekt zu sein: Die Gläser zerspringen bei jedemVersuch und mit der automatischen Fallvorrich-tung fallen sie auch immer auf dieselbe Stelle.Das ist wichtig, damit die Kamera das zersprin-gende Glas auch scharf aufzeichnen kann.

Mit der Geschwindigkeit von 3.000 Bildern proSekunde bekommt man schon einen ganz ande-ren Eindruck vom Zerspringen eines Glases. Aberwie sich die Risse durchs Glas bewegen, dafürreichen selbst 3.000 fps nicht: man sieht, dassauf einem Bild noch kein Riss zu sehen ist. Dochschon auf dem nächsten Bild geht der Riss überdas gesamte Glas.

Noch mehr Licht und noch mehr Bilder

Wir steigern die Frame-Rate also erneut: Dasnächste Glas filmen wir mit 20.000 fps. Mit dreiriesigen Lampen zu je 12.000 Watt leuchten wirdie Stahlplatte aus, auf der das Glas zerschellensoll. Die Lampen sind extrem hell, die dunklePlatte wird so heiß, dass man sie nicht mehr

Wie Glas kaputt geht

Links:Ein Glas fällt herunter – aufgenommen mit 500 fps

Mitte (1+2):Rissentwicklung im Glas – bei 3000 fps kann man nichterkennen, wie der Riss sich ausbreitet

Rechts (3+4):Versuch mit 20.000 fps – auch jetzt sieht man noch nichtsdavon, wie der Riss wächst

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Popcorn

Name: PuffmaisWissenschaftlicher Name: Zea mays convar.

microspermaInhaltsstoffe: Stärke, Wasser u.a.Größe des Maiskorns: 5 mmGröße des Popcorns: 15 mmnötige Temperatur: über 200 °C

Beim Erhitzen bindet die Stärke Wasser. Siequillt auf und verkleistert. Gleichzeitig wird dasWasser gasförmig. Wegen der stabilen Außen-hülle des Puffmais baut sich in den Maiskörnernein Druck auf. Wenn die Schale platzt, wird dienoch nicht verkleisterte Stärke von der bereitsverkleisterten zusammengehalten und bildetdas lockere, weiße Innere des Popcorns.

wie die fallenden Gläser – bewegt. Wir wählen30.000 fps und sind damit noch einmal 50Prozent schneller als bei dem letzten Versuch mitdem Trinkglas.

Und jetzt haben wir ihn – den Riss: Er bewegt sichvom Einschussloch aus nach links oben, ist 13,4cm lang und geht über vier Einzelbilder. Das ent-spricht einer Zeit von 1/7500 Sekunde. Aus die-sen Daten kann man nun die Geschwindigkeitberechnen, mit der der Riss in der Glasscheibeentsteht: Er rast mit über 1.000 Metern proSekunde durchs Glas – das sind 3.600 Kilometerin der Stunde. Verdammt schnell!

anfassen kann. Ob die Geschwindigkeit von20.000 Bildern pro Sekunde ausreicht, um dieRisse im Glas zu verfolgen? Immerhin wird jedereale Sekunde jetzt auf über 13 Minuten verlän-gert! Aber selbst bei dieser Geschwindigkeit kön-nen wir den Riss noch nicht beobachten: Aufeinem Bild ist das Glas noch ganz – auf demnächsten geht der Riss schon durch das gesamteGlas hindurch.

Wie schnell ist der Riss?

In unserem Studio kommen wir nicht mehr weiter.Wir fahren zur Firma Drello nach Mönchen-Gladbach, auf deren Schießstand wir weiterexperimentieren können. Die Firma Drello ist aufHochgeschwindigkeitsaufnahmen von Geschos-sen spezialisiert. Ein Mitarbeiter unterstützt unsbei dem Versuch: Mit einer speziellen Schussvor-richtung schießt er auf eine Glasplatte, währendwir mit der Hochgeschwindigkeitskamera filmen.Die Überlegung: Wenn wir eine größere Glas-platte durchschießen, können wir die Riss-entwicklung besser beobachten, weil die Glas-platte größer als ein Trinkglas ist und sich nicht –

Luftballon

Material: LatexDicke der Hülle: 0,25 mmaufgeblasen: 0,001 mmDauer des Zerplatzens: 0,003 s

Die Explosion des Ballons lenkt den Dartpfeilnach unten ab. (vgl. auch Wasserbombe)

Wie Glas kaputt geht Die Quarks Galerie...Die Quarks Galerie des Kaputtgehens

Links:Erst bei 30.000 fps ist zu sehen, wie sich der Riss entwickelt

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Wasserbombe

Material: LatexDicke der Hülle: 0,25 mmmit Wasser gefüllt: 0,001 mmDauer des Zerplatzens: 0,003 s

Das umschlossene Wasser bleibt noch langenach dem Zerplatzen des Luftballons in der Luftstehen. Grund ist die Trägheit des Wassers.Deshalb wird der Dartpfeil durch die Explosionnicht abgelenkt. (vgl. auch Luftballon)

Bierglas

Material: GlasInhalt: 0,2 lEigenfrequenz: etwa 1000 Hz

Beschallt man das Glas mit dessen Eigen-frequenz, dann gerät es in Schwingungen. DieEigenfrequenz ist die Frequenz, mit der dasGlas schwingt, wenn man es anstößt. Drehtman dann den Lautsprecher auf, zerspringt dasGlas.

leere Sprudelflasche

Material: GlasInhalt: 0,7 lFallhöhe: 1,5 Meter Gewicht: 610 Gramm –

leergetrunken

Sprudelflaschen gehen nicht nur kaputt, wennsie auf den Boden fallen. Das kann auch passie-ren, wenn man sie zu heftig in den Kasten fallenlässt. (vgl. auch volle Sprudelflasche)

volle Sprudelflasche

Material: GlasInhalt: 0,7 lFallhöhe: 1,5 Meter Gewicht: 1312 Gramm – vollÜberdruck in der Flasche: 4 bar

In einer vollen Sprudelflasche herrscht einenInnendruck von etwa 4 bar. Das ist doppelt soviel wie in einem Autoreifen. Die Wucht derScherben bei der vollen Flasche ist deutlich grö-ßer als bei der leeren. (vgl. auch leere Sprudel-flasche)

Die Quarks Galerie des Kaputtgehens

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Glaskugel, offen

Material: GlasFallhöhe: 1,5 Meter Durchmesser: 20 cmDruck in der Glaskugel: Luftdruck

Wenn die offene Glaskugel kaputt geht, fliegendie Scherben vor allen Dingen zur Seite weg.(vgl. auch die Glaskugeln mit Über- und Unter-druck)

Glaskugel, mit Überdruck

Material: GlasFallhöhe: 1,5 Meter Durchmesser: 20 cmÜberdruck in der Glaskugel: 1 bar

In dieser Glaskugel herrscht ein Überdruck von1 bar. Wenn sie kaputt geht, explodiert sie. DieScherben fliegen mit hoher Geschwindigkeit zuden Seiten – aber auch nach oben weg. (vgl.auch die Glaskugel mit Unterdruck)

Glaskugel, mit Unterdruck

Material: GlasFallhöhe: 1,5 Meter Durchmesser: 20 cmUnterdruck in der Glaskugel: 1 bar

Aus dieser Glaskugel haben wir die Luft heraus-gepumpt. Es herrscht ein Unterdruck von etwa1 bar. Wenn sie kaputt geht, implodiert sie. DieScherben fliegen zuerst alle zusammen unddann mit ungeheuerlicher Kraft in alle Richtun-gen. Die Wucht der Scherben bei der Implosionist deutlich größer als bei der Explosion. (vgl.auch die Glaskugel mit Überdruck)

Tomate

Wissenschaftlicher Name: Solanum lycopersicum

Durchmesser: 5 ZentimeterWassergehalt: 94 Prozentgenutztes Geschoss: Bleistift

Der Bleistift wird mit hohem Druck auf die Toma-te geschossen. Er fliegt mit einer Geschwin-digkeit von 120 Metern pro Sekunde (432 km/h)und durchbohrt die Tomate mühelos. (vgl. auchden Apfel und die Melone)

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Apfel

Apfelsorte: Granny SmithDurchmesser: 8 ZentimeterWassergehalt: 86 Prozentgenutztes Geschoss: Pistolenkugel

Der Apfel ist schwerer und fester als die Tomate.Wir schießen daher mit einem stärkeren Ge-schoss: Kaliber 9 Millimeter. Die Kugel fliegt miteiner Geschwindigkeit von 410 Metern proSekunde (1476 km/h). Die Energie der Kugel ist23 Mal höher als die des Bleistifts, mit dem wirdie Tomate beschossen haben. Zuerst reißt dieHaut auf – dann wird der Apfel auseinanderge-sprengt. (vgl. auch die Tomate und Melone)

Melone

Sorte: GaliameloneDurchmesser: 20 ZentimeterWassergehalt: über 85 Prozentgenutztes Geschoss: Gewehrkugel

Die Galiamelone ist deutlich größer als derApfel und hat eine feste Schale. Wir schießenmit Kaliber 7,62 Millimeter. Die Kugel ist sehrschnell: 780 Meter pro Sekunde (2.808 km/h).Die Energie der Gewehrkugel ist 4 Mal höher alsdie der Pistolenkugel, mit der wir den Apfel be-schossen haben. Die entstehende Schockwellereißt die Melone auseinander und lässt sie re-gelrecht explodieren. (vgl. auch die Tomate undden Apfel)

Ein Hit seit 3000 Jahren

Dass Glas leicht zerbricht, sagt schon dasSprichwort – doch das ist nicht bei jedem Glasso. Der schon seit weit mehr als 3000 Jahrenbekannte Werkstoff eignet sich nämlich für vieleAufgaben: vom hauchdünnen empfindlichenObjektträger in der Mikroskopie bis zur massi-ven Sicherheitsglasplatte an Fassaden, odersogar als Bodenbelag. Während das Glasfen-sterchen an einem Feuermelder leicht zerbre-chen muss, dürfen Fenster von Raumfähren,Fugzeugen oder U-Booten unter keinen Umstän-den nachgeben. Glas einfach als zerbrechlich zubeschreiben wäre also falsch.

Verbundsicherheitsglas: Aus drei mach eins

Wie unterschiedlich Glas zu Bruch gehen kann,zeigt sich am Auto. Die Frontscheibe einesAutos besteht aus Verbundsicherheitsglas(VSG). Es handelt sich dabei im Prinzip um zweieinfache Glasscheiben. Zwischen diesen Schei-ben befindet sich eine Kunststofffolie, die beider Herstellung als Schmelzkleber fungiert und

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die beiden Scheiben miteinander verbindet. DieVerbindung ist perfekt; ein ungeschultes Augekann nicht erkennen, dass es sich in Wahrheitum zwei Scheiben und eine Kunststoffschichthandelt. Fällt nun ein Stein auf die Windschutz-scheibe oder geschieht ein Unfall, breiten sichRisse im VSG nur auf kleinem Raum aus. Denndie Folie hält die Scherben zusammen, sodasssie nicht aussplittern und die Insassen desFahrzeuges verletzen. Gleichzeitig verhindertsie, dass der Stein durch die Scheibe tritt.Außerdem sorgen Folie und Scheibe dafür, dassKopfverletzungen einigermaßen glimpflich aus-fallen, wenn Menschen beim Unfall dagegenprallen. Dass sich Risse im VSG nur sehr lang-sam ausbreiten, erreichen die Hersteller, indemsie die Scheiben in der Fertigung extrem lang-sam abkühlen. So entstehen kaum Spannungenim Glas, und das macht es sehr unempfindlichgegen Risse.

Kunststofffolie

Der Kunststoff, der bei der Herstellung von Verbundglas einge-setzt wird, ist Polyvinylbutyral (PVB). Er ist besonders reißfest.

Scherben sind nicht...Scherben sind nicht gleich Scherben

Dass Glas leicht zerbricht, sagt schon das Sprichwort – doch das ist nicht bei jedem Glas so

Die Quarks Galerie...

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Einscheibensicherheitsglas: unter Spannung

Genau umgekehrt ist es bei Einscheibensicher-heitsglas (ESG), das für Heck- und Seitenschei-ben verwendet wird. Dieses Glas wird sehrschnell abgekühlt, sodass hohe Spannungen imGlas entstehen. Das behindert den normalenGebrauch nicht. Erst wenn die Oberfläche derScheibe verletzt wird, macht sich das Verfahrenbemerkbar: Die ESG-Scheibe zerspringt inunzählige Glaskrümel. Dabei treten kaum spitzeBruchwinkel auf, das Verletzungsrisiko ist alsogeringer als bei normalem Glas.

Früher wurde ESG auch für Frontscheiben ver-wendet. Durch die vielen Risse, die es etwa beieinem Steinschlag bildet, wird es aber fastundurchsichtig, sodass der Fahrer quasi blindweiterfährt, falls die Scheibe nicht aus demRahmen fällt. Deshalb wird heute für die Front-scheiben nur noch VSG verwendet. Natürlichkönnte man dieses auch in Heck- und Seitenfen-ster einbauen. Das ist aber teuer und kommt nurbei Autos der oberen Preisklasse vor.

Panzerglas: nicht unbedingt aus Glas

Panzerglas würde ein Alltagsauto kaum sicherermachen. Denn abgesehen davon, dass Pan-zerglas sehr schwer ist, ist es auch kaum zuzerstören. Das ist ein Risiko für die Insassen,denn anders als VSG federt Panzerglas Stößebei einem Unfall nicht ab. Deshalb darf es nichtohne Genehmigung vom TÜV in einem Auto ver-baut werden.

Alltäglich ist Panzerglas an Bankschaltern.Diese Gläser bestehen aus mehreren SchichtenGlas, jeweils mit einer Folie dazwischen, undschützen bei Überfällen vor Schüssen. DasZusammenspiel von Glas und Folie ist dabei soeingestellt, dass eine Kugel, die darauf abge-feuert wird, nicht abprallt, aber auch nicht durchdie Scheibe hindurchtritt. Die gesamte Energiedes Schusses wird also von der Scheibe absor-biert.

Andere Panzergläser sind gar nicht aus Glas,sondern aus Kunststoff. Polycarbonat ist derzäheste transparente Kunststoff, den mankennt. Er schützt beispielsweise die Fahrer vonRennwagen oder die Bediener schnell drehen-

der Maschinen. Auch kleinkalibrige Waffenhaben gegen Polycarbonat keine Chance. Stahl-mantelgeschosse und Hochgeschwindigkeits-geschosse entwickeln allerdings beim Aufpralleine so große Hitze, dass sie den Kunststoffschmelzen lassen und ihn durchdringen.

Crashglas: Kunstharz statt Zucker

Nahezu gar keine Energie absorbiert Filmglas.Wenn im Western Cowboys durch Scheiben flie-gen oder sich Piraten gegenseitig Flaschen überden Schädel schlagen, dann muss besonderszerbrechliches und ungefährliches Glas her. Dasso genannte Crashglas war früher nichts alsZucker in einer sehr starken Lösung, die in diegewünschte Form gegossen wurde. Heutenimmt man dazu Kunstharze, die sich einfacherverarbeiten lassen. Das Kunstharz-Granulatwird geschmolzen und dann in eine Form gegos-sen. Dies muss nicht immer eine flache Fenster-scheibe sein, ein Abdruck beliebiger Gegen-stände ist möglich (etwa Riffelglas oderFlaschen). Die Moleküle des erstarrten Kunst-harzes stehen unter einer hohen Spannung, dasMaterial ist extrem spröde. Deshalb zerbricht es

schon bei der kleinsten Verletzung der Ober-fläche. Verletzen kann man sich daran kaum, beider geringsten Berührung zerbrechen sie sofortweiter. Schon Temperaturunterschiede könnendas Glas zum Bersten bringen. Daher haben esdie Mitglieder der Filmteams nicht ganz leicht,wenn sie ihre Requisiten unversehrt zum Dreh-ort bringen wollen.

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Das Verbundsicherheitsglas in der Windschutzscheibe lässtso schnell nichts durch

Einscheibensicherheitsglas zerspringt in unzählige kleine Bruchstücke

Scherben sind nicht gleich Scherben

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Was bedeutet Sicherheit im Auto?

An hohe Geschwindigkeiten mit dem Auto ist manlängst gewöhnt. 100, 150 oder 180 km/h zu fahrenist für viele kein Problem. Aber ist die Sicherheit imAuto in demselben Tempo gewachsen? Seit 1996werden Autos in Europa mit einem einheitlichenVerfahren, dem so genannten Euro-NCAP getestetund bewertet. Für die sichersten Autos gibt es biszu fünf Sterne. Viele Hersteller erreichen inzwi-schen diese beste Sicherheitsbewertung. Doch diehöchste Geschwindigkeit, die bei den Euro-NCAP-Tests gefahren wird, beträgt 64 Stundenkilometer.Quarks & Co wollte wissen, was passiert, wennman schneller fährt - Crashtest bei Tempo 100!

Euro-NCAP

Abkürzung für European New Car Assessment Program.Zusammenschluss von fünf Europäischen Ländern undAutomobilclubs. Seit 1997 werden die Autos nach einem ein-heitlich Verfahren auf ihre Sicherheit für die Insassen getestet.Maximal fünf Sterne können die Fahrzeuge erreichen. Vierverschiedene Crashtest werden dafür gemacht:

raum eingedrückt und die Tür sowie die sogenannte A-Säule sind stark belastet. Doch dieFahrgastzelle, d.h. der sichere Innenraum für denFahrer ist nur teilweise beschädigt. So sindArmaturen nach innen gedrückt worden und derSitz ist nach vorne gerutscht, aber die Fahr-gastzelle ist nicht kollabiert. Die Fahrertür lässtsich sogar noch per Hand öffnen – wenn auch mitein wenig Kraftaufwand.

A-Säule

Die meisten Autos haben auf jeder Seite drei Säulen oderMetallverstrebungen, durch die der untere Fahrzeugteil mitdem Dach verbunden ist. Von vorne nach hinten bezeichnetman diese Säulen als A-, B- und C-Säulen.

Schwere Verletzungen des Fahrers

Auf den ersten Blick sieht der Dummy nur relativleicht verletzt aus. Doch eine Analyse der Auf-nahmen der Hochgeschwindigkeitskamera zeigtein anderes Bild. Der Kopf federt nicht vom Airbagzurück, sondern durchschlägt ihn und prallt starkauf das Lenkrad. Schwere Kopfverletzungen wärendie Folge.

die Wand. Wie beim Euro-NCAP-Test soll das Autodiese Barriere mit 40 Prozent seiner Vorderseitetreffen. Auch die Haltung des Dummys und diePosition der Kameras sind genau festgelegt. Wirfilmen mit speziellen Hochgeschwindigkeits-kameras, um alle Details in extremer Zeitlupeaufnehmen zu können. Dann geht es los: Miteiner Seilzuganlage wird der Wagen in wenigenSekunden von null auf 100 Stundenkilometerbeschleunigt.

In 0,1 Sekunden von 100 auf 0

Nach einer Sekunde ist der Crash vorbei – dieeigentliche Kollision dauert sogar nur 0,13 Sekun-den. Kurzzeitig wirkt die 60fache Erdbeschleuni-gung. Vereinfacht entspricht das einer Belastungmit dem 60fachen des eigenen Gewichts.

Noch teilweise intakt

Dann kommt die zweite Überraschung: Das Autosieht auf den ersten Blick weniger kaputt aus alserwartet. Es fehlt zwar fast die komplette Vorder-seite, das linke Vorderrad ist bis in den Innen-

Eine Frontalkollision mit 64 km/hEine Crash in die Seite mit 50 km/hEinseitlicher Aufprall gegen einen simulierten Baum mit 29 km/hEin Test zum Fußgängerschutz mit 40 km/h

Eine Barriere als Unfallgegner

Die erste Überraschung erleben wir beim Planendes Tests: Wir erfahren, dass es keinen Unter-schied macht, ob ein Auto mit 100 km/h gegeneine Wand fährt oder ob zwei Wagen mit jeweils100 km/h frontal aufeinander prallen. Im letzterenFall verdoppeln sich nicht, wie man vermutenkönnte, die Kräfte. Ein Unfall in der Stadt – beidemit Tempo 50 – entspricht daher einem Crash mit50 km/h gegen die Wand. Wie schlimm derZusammenstoß ausgeht, hängt aber auch von derArt des Hindernisses ab: Ein entgegenkommendesAuto hat eine Knautschzone, die Betonwand nicht.Das Berücksichtigen wir beim Aufbau unseresTests, denn wir möchten den frontalen Aufprallzweier Fahrzeuge simulieren. Das entspricht einerrealen Situation, etwa beim Überholen auf derLandstraße. Für unseren Crashtest montieren wiralso eine verformbare Barriere aus Aluminium vor

Crashtest mit Tempo 100Crashtest mit Tempo 100

Links:Kann man einen Frontalunfall mit Tempo 100 überleben?

Mitte:Eine deformierbare Barriere als Unfallgegner Nur ein Teil der Fahrzeugfront trifft das Hindernis

Rechts:Ein Crash bei Tempo 100

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Die Belastung des Oberkörpers durch Gurt undLenkrad sind ebenfalls extrem. Vermutlich wärenmehrere Rippen gebrochen und die Lungegequetscht. Außerdem ist der Dummy unter demGurt nach vorne gerutscht und hart mit den Knienangestoßen. Oberschenkelbrüche, beidseitigeBeckenfraktur und innere Verletzungen an Leberund Darm sind wahrscheinlich. Ein menschlicherFahrer hätte diesen Crash wahrscheinlich nichtüberlebt.

Doppelt so schnell, viermal so viel Energie

Warum ist dieser Crashtest mit Tempo 100 so vielschlechter ausgefallen als der übliche Test beiTempo 64 - können 36 km/h so viel ausmachen?Sie können.

Der Grund: Die Wucht des Aufpralls wächst qua-dratisch mit der Geschwindigkeit. Das bedeutet,wenn das Auto doppelt so schnell fährt, muss esbei dem Crash viermal so viel Energie abbauen. Imdirekten Vergleich zwischen dem Euro-NCAP-Testmit 64 km/h und dem Quarks-Test mit 100 km/h

war die Belastung daher mehr als doppelt so groß.Auch moderne Autos mit fünf Sternen im Sicher-heitstest sind dafür nicht gebaut.

Hohes Tempo ist gefährlich

Die Auswertung von realen Unfällen bestätigt denVersuch von Quarks & Co. Nach einer Statistik vonUnfallforschern der Medizinischen HochschuleHannover hat man ab Tempo 70 bei einemFrontalzusammenstoß mit einer Mauer oder einementgegenkommenden Auto keine Chance, unver-letzt zu bleiben. Und ab Tempo 100 ist die Wahr-scheinlichkeit zu überleben äußerst gering. Dabeispielt es übrigens keine Rolle, ob das Auto mitAirbags, Seitenaufprallschutz und Gurtkraftbe-grenzern ausgestattet ist.

Fuß vom Gas!

Trotzdem sind moderne Autos stabiler und siche-rer als ältere Modelle. Theoretisch ließe sich derInnenraum sogar noch stabiler bauen, und die

Überlebenschancen bei einem Hochgeschwindig-keitscrash könnten damit steigen. Aber das istnicht sinnvoll. Denn was bei hoher Geschwin-digkeit den Schutz erhöht, führt bei niedrigeremTempo zu schwereren Verletzungen. Und zumGlück sind Unfälle mit Geschwindigkeiten um die100 Stundenkilometer im realen Verkehrsge-schehen relativ selten. Sie machen weniger als1 Prozent in der Unfallstatistik aus. In dieserSituation entscheiden sich die Experten für einweicheres Fahrzeug und damit für weniger schwe-re Folgen bei der Mehrzahl der Unfälle. Eine tech-nische Lösung für das Dilemma ist nicht in Sicht -größere Sicherheit gibt es nur, wenn man die Kolli-sionsgeschwindigkeit verringert.

Im Klartext: Lieber mal rechtzeitig den Fuß vomGas nehmen! Dann steigen die Überlebenschan-cen beachtlich.

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Links:Die Fahrerkabine hat dem Aufprall erstaunlich gut standgehalten

Mitte:Ein Mensch würde den Aufprall bei Tempo 100 wahrscheinlich nicht überleben

Rechts:Bei Tempo 100 (Fahrzeug links) ist die Belastung mehr als doppelt so groß wie bei 64 km/h (Fahrzeug rechts)

Crashtest mit Tempo 100

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Finite-Elemente-Simulation im Vergleich zur Realität.

Spannungsanalytische und bruchmechanische Untersuchun-

gen zum ICE-Radreifenbruch

Autoren: Hans A. Richard, Manuela Sander

Verlagsangaben: Carl Hanser Verlag, München 2004

Sonstiges: Sonderdruck aus der Fachzeitschrift

MP 9/2004.

Bitte beim Verlag nachfragen.

Die Forscher der Universität Paderborn beschreiben, wie sie

damals bei der Rissprüfung des ICE-Radreifens für das

Landgericht Lüneburg vorgegangen sind. Zwar verständlich for-

muliert, aber trotzdem sollte man einiges Sachverständnis mit-

bringen. Es handelt sich eindeutig um Fachlektüre.

Eisenbahnunfälle bei der Deutschen Bahn. Ursachen, Hinter-

gründe, Konsequenzen

Autor: Erich Preuß

Verlagsangaben: Transpress, 2004

Sonstiges: 192 Seiten,

Preis: 19,90 EUR

Der Eisenbahn-Experte Erich Preuß schildert mehrere Eisen-

bahnunglücke der letzten Jahre – unter anderem auch das

Eschede-Unglück. Dabei stellt er kritische Fragen und geht

dabei auch nicht zimperlich mit dem Sicherheitskonzept der

Deutschen Bahn um.

Flugkatastrophen, die die Welt bewegten

Autor: Stanley Stewart

Verlagsangaben: Bernard & Graefe Verlag,

Koblenz 1989

Sonstiges: 248 Seiten.

Ausführliche Schilderungen mit allen wichtigen Details zu ver-

schiedenen Flugzeugunglücken. Unter anderem wird auch die

Absturzserie der Comet-Maschinen unter die Lupe genommen.

Warum alles kaputt geht. Form und Versagen

in Natur und Technik

Autor: Claus Mattheck

Verlagsangaben: Forschungszentrum Karlsruhe

ISBN: 3-923704-41-0

Sonstiges: Broschiert, 208 Seiten

Der Titel dieses Buchs passt gut zur Sendung. Dazu ist es auch

noch bunt: Auf jeder Seite finden sich Fotos oder Cartoons bzw.

als Cartoons getarnte Konstruktionszeichnungen; für eine inge-

nieurwissenschaftliche Veröffentlichung etwas ganz Beson-

deres. Doch die bunten Zeichnungen machen aus dem Buch

kein Kinderbuch. Es ist der Versuch, ein schwieriges Thema

leichter verständlich aufzubereiten als üblich. Leider verhindert

die unglücklich gewählte Schrifttype ein flüssiges Lesen. Und

doch legen wir all denen das Buch ans Herz, die sich für das

Thema interessieren oder bisher fruchtlos versucht haben, die

Wissenschaft vom Kaputtgehen zu verstehen.

Das Buch wird über die Buchhandlung Mende in Karlsruhe

(Telefon 0721/981610) zum Preis von 35 Euro vertrieben.

Aktuell ist vom Autor ein weiteres Büchlein erschienen:

Verborgene Gestaltgesetze der Natur – Optimalformeln ohne

Computer (broschiert, 123 Seiten, ISBN 3-923704-53-4) kann

zum Preis von 25 Euro ebenfalls bei der o.a. Buchhandlung

bezogen werden.

Festigkeitslehre und Werkstoffmechanik, Band 1 und 2

Autor: Ralf Bürgel

Verlagsangaben: Vieweg, 2005

ISBN: 3-8348-0077-5 (Band 1)

ISBN: 3-8348-0078-3 (Band 2)

Sonstiges: Broschiert, 255 Seiten (Band 1);

237 Seiten (Band 2)

Preis: je 25,90 Euro

Wer sich mit der Wissenschaft vom Kaputtgehen näher beschäf-

tigt, kommt um die Themen Festigkeitslehre und Werkstoff-

mechanik nicht herum. In zwei Bänden versucht Ralf Bürgel,

Theorie und Praxis zu vereinen. Für Studierende der Ingenieur-

wissenschaften mögen die Bücher ein hilfreicher Begleiter sein.

Der interessierte Laie wird jedoch schon bei dem sechsseitigen

Abkürzungs- und Einheitenteil abgeschreckt und auch im

Folgenden mit vielen Formeln, technischen Zeichnungen und

Definitionen konfrontiert. Keine Bettlektüre!

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