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Das Auge zum Jenseits

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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 572 Das Sternenuniversum

Das Auge zum

Jenseits von Peter Griese Der Kampf um den Dimensionstransmitter

Mehr als 200 Jahre lang war die SOL, das Fernraumschiff von Terra, auf seiner ziellosen Reise durch die Tiefen des Alls isoliert gewesen, bis Atlan in Kontakt mit dem Schiff kommt.

Die Kosmokraten haben den Arkoniden entlassen, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den Oktober des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL entscheidende Impulse zu positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete.

Inzwischen hat das Generationenschiff Tausende von Lichtjahren zurückgelegt, und unter Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, hat längst eine Normalisierung des Lebens an Bord stattgefunden. Allerdings sorgen unerwartete Ereignisse immer wieder für Unruhe und Gefahren.

So ist es auch im sogenannten »Sternenuniversum«, in das die SOL durch einen Hyperenergiestoß versetzt wurde. Wenn die Solaner diesen Kosmos, der kaum Leben enthält, verlassen wollen, dürfen sie kein Risiko scheuen.

Das tun die Solaner auch nicht, sondern sie setzen ihr Leben ein, als der Kampf um den Dimensionstransmitter entbrennt – der Kampf um DAS

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AUGE ZUM JENSEITS …

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Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide sucht den Weg ins eigene Universum. Hidden-X - Der Gegner der Solaner schickt Kämpfer aus. Jetlagged - Erster Kämpfer der Urjaner. Henter - Adjutant des Ersten Kämpfers. Sanny und Argan U - Atlans Gefährten in der Not. Chybrain und Wöbbeking - Wesen aus Jenseitsmaterie.

Prolog Die Flut von Informationen erreicht mich mit einer zeitlichen Verzögerung, denn noch sind nicht alle Speicher fertig. Die kleinen Baumeister handeln auch trotz meiner strengen Anweisungen oft bewußt langsam.

Als ob sie etwas daran ändern könnten, daß mit dem Flekto-Yn die erste uneinnehmbare Festung des Kosmos entsteht!

Immerhin ist es ärgerlich, denn durch die Verzögerungen könnten wesentliche Informationen verlorengehen oder so spät bei mir eintreffen, daß meine Gegenreaktionen den notwendigen Erfolg verfehlen.

Die Vorverarbeitung dauert noch zu lange. Ich bin ärgerlich, denn ich könnte etwas übersehen.

Also strecke ich meine körperlosen Fühler hinaus, taste mich durch die Weiten des Universums, ohne dabei meine sichere Wohnstatt verlassen zu müssen.

Es ist an der Zeit, daß ich meinen Machtbereich wieder vergrößere. Die Pause, die ich mir gönnen mußte, weil ich im Ysterioon etwas übersehen hatte, ist zu Ende.

Ich prüfe Xinx-Markant, aber dort wird in den nächsten Zeiteinheiten noch keine Entscheidung fallen.

Ich taste nach dem Schalter, ohne mich zu zeigen. Ich ignoriere seine verzweifelten Rufe. Wenn er sich nicht selbst zu einem Teil hilft, werde ich mich nicht melden. Er muß sich rehabilitieren.

Seine Existenz lenkt meine Erinnerung auf Atlan und das Raumschiff,

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das seine Bewohner SOL nennen. Ich habe mich lange Zeit nicht mehr um sie gekümmert, weil sie nach

meinem Wissen nicht mehr gefährlich sind. Der Arkonide muß tot sein oder zumindest wahnsinnig. Keine Macht des

Kosmos hätte ihn von meinem Bannstrahl befreien können. Die SOL mochte wohl noch vorhanden sein. Aber nicht in meinem realen

Universum sondern in einem anderen, nicht minder realen. Es gibt aber keinen Weg von dort hierher zurück. Soll dieses mächtige Schiff in der leblosen Einsamkeit kreuzen, bis es in einer fernen Zeiteinheit zu Staub zerfallen wird.

Oggar fällt mir ein. Jenes merkwürdige Wesen, das einen Hauch der fernen Vergangenheit mit sich schleppt.

Ich suche ihn, aber ich kann ihn nicht finden. Sein Körper ist nicht wirklich – in meinem Sinn. Er ist kein Leben, er ist eine brüchige Konserve für kümmerliche Geister.

Und dennoch! Ich hätte ihn gern zu meinem Knecht gemacht, denn er wäre einem Winzling, wie es Hapeldan ist, bestimmt überlegen. Aber sein unfaßbares Bewußtsein entzieht sich meinem Fühler, und seinen künstlichen Körper kann ich nicht spüren. Ein Gedanke gerät in meine Fänge! Sofort schärfen sich meine Sinne, verstärkt sich die Aufnahmebereitschaft. Die kleinen Baumeister zucken unter dem geistigen Schlag zusammen, obwohl ich sie gar nicht gemeint hatte oder treffen wollte.

Was erregt mich so sehr? Es ist etwas Bekanntes an diesem Gedankemstrom, der durch die

unfaßbare Dimension eilt, in der sich nur das Immaterielle bewegen kann. Etwas, das mich an …

… an die Solaner erinnert! Sofort verbessere ich meine Erkenntnisse. Es ist nicht ein Gedankenstrom. Es sind zwei. Sie sind miteinander verwandt, sehr eng sogar. Und sie tauschen für

wenige Sekunden ihre Informationen aus. Verblüffung erfüllt mich, denn der eine der beiden Partner befindet sich

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nicht in meinem realen Raum. Er denkt in einer anderen Bezugsebene, von der aus seine Gedanken eigentlich gar nicht bis zu mir gelangen können dürften.

Es muß eine künstliche Verbindung von meinem realen Raum in dieses Bezugsgebiet geben. Das bedeutet gleichzeitig, daß gewaltige Kräfte am Werk sind, und so etwas interessiert mich immer.

Ich taste durch den künstlichen Übergang, während ich jedes Wort des gedanklichen Gesprächs in mich aufnehme.

Dort steht eine uralte Maschine. Sie hat den Übergang bewirkt, der jedoch technisch sehr unvollkommen ist.

Ich brauche nicht einzugreifen, denn die Maschine wird sich gleich selbst zerstören.

Die anderen Wesen, die dort stehen, kann ich nicht aufnehmen. Sie sind zu weit jenseits der Barriere.

Nur einer denkt bewußt in den realen Raum hinein. Sein Name ist Federspiel. Ich kenne ihn. Er ist einer der Vasallen dieses Atlan. Er ist von der SOL! Und dann erkenne ich die andere Bezugsebene. Es ist das Universum

ohne nennenswertes Leben. Das Universum der Einsamkeit, der isolierten Sterne, in das ich die SOL geworfen habe.

Vor vielen Zeiteinheiten habe ich dort auch einmal einen Platz für mich gesucht, aber nichts gefunden außer den nutzlosen EINZIGEN. Sie haben damals Übergänge in andere Universen gebaut.

Um eine solche Stelle muß es sich auch hier handeln. Sie wurde aktiviert, und Federspiel denkt durch sie hindurch mit …

… Oggar! Da ist er, der Unnahbare! Ein Teil von ihm muß mit Federspiel, dem Solaner, verwandt sein. Dieser Teil denkt zurück. Er heißt … Ich kann den Namen nicht erfassen. Oggar schützt durch eine geistige

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Kraft alles in sich. Ich müßte den großen Spiegel benutzen, um … Die Maschine zerbricht. Der Kontakt besteht nicht mehr. Wesentliche Teile von dem, was sich in großer Ferne abgespielt hat,

konnte ich empfangen. Sie sind allesamt unwichtig. Was zählt, ist allein der Inhalt der gedanklichen Informationen. Er ist erschreckend und belustigend zugleich. Langsam ziehe ich mich in mich selbst zurück und überdenke das

Ausgewertete. Ein Teil von mir zeigt Verblüffung und Empörung, aber ich als Ganzes gestehe keinen Fehler ein.

Die Gründe für meinen scheinbaren Irrtum müssen woanders liegen. Es ist nämlich kein Irrtum, was ich erfahren habe.

Nicht nur die SOL existiert noch, obwohl nach der Zeitrechnung der Zweibeiner viele Jahre vergangen sind. (Vielleicht hat sich seit meinem letzten Aufenthalt im Universum der Einsamkeit dort der Zeitablauf geändert? Aus dem Gehörten ergeben sich Hinweise darauf!)

Die SOL schickt sich an, einen Übergang in meinen realen Raum zu finden! Ich will diese ärgerlichen Wesen hier nicht!

Und was noch viel eindrucksvoller ist, ist die Tatsache, daß er nicht nur lebt. Er ist auch geistig völlig gesund.

ER! DIESER ATLAN!

1. Die orangerote Riesensonne stand im Rücken der SOL, die im freien Fall auf die völlig gleichmäßige Kugel von 48.400 Kilometern Durchmesser zufiel. Der Antrieb war desaktiviert worden. Die Eigengeschwindigkeit nach dem letzten Linearflug beförderte das gewaltige Hantelschiff durch den Raum.

Die grellen Strahlen von Aqua, wie die Solaner diesen Stern genannt hatten, malten bunte Streifen auf die Hülle des Planeten, der eigentlich gar keiner war.

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Atlan stand aufrecht vor dem Hauptbildschirm in der Kommandozentrale der SOL und betrachtete sinnend dieses Bild.

Die Szene strahlte absolute Friedfertigkeit aus. Die bunten Bänder, die das Licht der Riesensonne auf Aqua-I

erzeugte, reihten sich aneinander und verschoben ihre Farben in allen Nuancen des Regenbogens, je näher das Generationenschiff der gewaltigen Wasserkugel kam.

Fünfzigmal mehr Wasser enthielt dieser Ball, als es der Rauminhalt der guten alten Erde war, mit der sich der Arkonide mehr verbunden fühlte als mit seinem Geburtsort Arkon im Kugelsternhaufen M 13.

Nur im Innern dieser gewaltigen Wassermasse gab es einen vergleichsweise lächerlich kleinen Kern, ein uraltes Wunderwerk einer untergegangenen Technik, eine 22 Kilometer durchmessende Kugel aus hochverdichteter Eisen-Nickel-Legierung.

Bereits einmal hatte Atlan diesen Ort aufsuchen können, besser gesagt müssen, denn freiwillig waren er und seine Begleiter nicht durch den Höllenschlund auf Aqua-II gegangen, der sich als ein Transmitter entpuppt hatte, dessen Gegenstelle; einseitig gepolt, im Innern dieser Metallkugel arbeitete.

Diese Ereignisse lagen knapp 14 Tage zurück, und in der Zwischenzeit hatten sich Dinge ereignet, die einerseits eine rasche Rückkehr in das heimatliche Universum unmöglich erscheinen ließen, andererseits aber auch eine linde Hoffnung in dem Unsterblichen geweckt hatten.

Das Sternenuniversum, in das Hidden-X, jene unheimliche Macht, die SOL verschlagen hatte, gab noch immer Rätsel auf. Zweifellos handelte es sich um eine reale Daseinsebene, anders als das perfekt illusionistische Bild, das die Landschaft im Nichts abgegeben hatte. Aber was besagte das schon.

Atlan kam sich vor wie ein Schiffbrüchiger, der auf eine unbewohnte Insel verschlagen worden war.

Die SOL war abgeschnitten vom eigenen Universum, und diese

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Trennung hatte etwas Endgültiges an sich. Das Sternenuniversum war von einer grausamen Leblosigkeit.

Ganze drei intelligente Lebensformen hatte man in sieben Wochen gründlicher Suche und Forschung entdecken können. Gemessen an der Zahl der Planeten, die man in dieser endlosen Öde ausgemacht hatte, war diese Zahl sogar noch unwahrscheinlich hoch, denn das Sternenuniversum wurde dadurch charakterisiert, daß Planeten, die Leben tragen konnten, eine absolute Rarität waren.

Zuerst war man auf die Aquarianer gestoßen, die sich die Nuun nannten und auf Aqua-II, einem scheinbaren Parallelplaneten zu Aqua-I, lebten.

Dieses pygmäenähnliche, hominide Völkchen lebte in einer Verworrenheit, die beispiellos war, denn ihre ursprüngliche Welt Nuun hatte sich unter einem mächtigen Wassergürtel verborgen gehalten.

Nun stellte Aqua-I, das die Nuun jetzt Neu-Aqua nannten, wieder eine einigermaßen normale Welt dar, denn durch den Angriff der EINZIGEN waren die gewaltigen Wassermassen verdampft und in den freien Weltraum entwichen.

Schon bei der Annäherung an das Aqua-System, als Breckcrown Hayes zu dem neuen Bewahrer der Nuun, Fallund Kormant, Funkkontakt aufgenommen hatte, hatte es sich gezeigt, daß dieses Volk seine neuen Probleme, den Wiederaufbau ihrer Welt, in den Griff bekommen hatte.

Auch jetzt spielten noch die Ortungs- und Funkanlagen. Atlan überließ diesen Teil der Arbeit ganz dem High Sideryt und konzentrierte sich auf das, was ihn im Innern von Aqua-I erwartete.

Zahlreiche große Schiffe der Nuun, ihre früheren Unterwasser-Schlachtschiffe, die auch bedingt raumtauglich waren, kreisten um Neu-Aqua. Sie setzten dort alle Mittel ein, um sich zusammenballende Wolken aus Wasserdampf zu zerstreuen und in den Freiraum zu vertreiben, so daß die Gefahr von sintflutartigen Regenfällen abgewendet wurde.

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Auch das verfolgte der Arkonide. Er dachte an die EINZIGEN, jene schlangenähnlichen Intelligenzen, die sich für die alleinberechtigte Lebensform in diesem Universum gehalten hatten.

Die SOL hatte den EINZIGEN von Gersenter einen Schlag versetzt und sie gleichzeitig auf ihre Dekadenz aufmerksam gemacht. Der Beherrscher Keit, die unsterbliche Verkörperung der grausamen Ideologie dieses Volkes, war tot.

Atlan rechnete fest damit, daß die EINZIGEN diese Niederlage nicht so schnell verdauen würden, um ihr Wahnsinnstreiben fortzusetzen.

Auch für die Bewohner von Neu-Aqua war dieser Umstand von Bedeutung.

Mit einem Ohr hörte der Arkonide auf den Funkverkehr zwischen der SOL und dem Bewahrer Kormant. Auch dessen rechtmäßiger Vorgänger, Perester Fassyn, meldete sich zu Wort und nahm erfreut die Berichte der Solaner über die Auseinandersetzungen mit den EINZIGEN zur Kenntnis.

Die dritte Intelligenz, die man angetroffen hatte, stellte den Garantiefaktor für die Ruhe in dieser Sektion des Sternenuniversums dar. Das waren die Dormiganer, von denen niemand wußte, wie sie aussahen und lebten. Nicht einmal der Mutant Bjo Breiskoll und die Paramathematikerin Sanny aus dem Volk der Molaaten, die bei den überlebenden Dormiganem gewesen waren, hatten eine Vorstellung von dieser Lebensform, die nichts weiter beanspruchte als Weltraumkälte, das Vakuum und totes Gestein.

Die wiedererstarkten Dormiganer hatten sich aber vor zwei Tagen von der SOL mit dem Versprechen verabschiedet, auf die selbstherrlichen EINZIGEN zu achten.

Auf Gersenter, der Heimatwelt der Schlangenähnlichen, hatte Atlan einen ersten Hinweis darauf bekommen, daß dieses Volk in seiner längst vergangenen Blütezeit die technischen Möglichkeiten besessen hatte, aus der eigenen Existenzebene in ein anderes

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Universum zu wechseln. Wie dieser Vorgang ablief, war ein völliges Rätsel geblieben, denn

bei dem Versuch, die Maschine tief im Boden des Herrschersitzes von Keit in Betrieb zu nehmen, hatte sich diese – vermutlich auf Grund ihres Alters – selbst zerstört. Dennoch war wenigstens ein teilweiser Kontakt in das angestammte Universum gelungen. Federspiel hatte es geschafft, unter höchst merkwürdigen Umständen eine telepathische Verbindung zum Bewußtsein seiner Zwillingsschwester Sternfeuer herzustellen.

Sternfeuers Körper ruhte zusammen mit dem von Cpt'Carch an einem sicheren Ort in SOL-City, jenem Abschnitt nahe der Kommandozentrale im Mittelteil der SOL, den der High Sideryt Atlan und seinem Team zur persönlichen Verfügung gestellt hatte. Die Körper verwesten nicht, was auf eine Nebenwirkung des Dislozierungsprojektors aus Oggars HORT zurückzuführen war.

Nun existierten die Bewußtseinsinhalte dieser beiden Solaner zusammen mit dem des Pers-Oggaren Oggar in einem Kunstkörper, der jedoch im angestammten Universum verblieben war, um den abtrünnigen Molaaten Hapeldan zu jagen, der als wichtigstes Werkzeug von Hidden-X betrachtet wurde.

Und mit diesem Kunstkörper, mit Sternfeuers Bewußtseinsanteil, hatte Federspiel den kurzen gedanklichen Austausch vorgenommen.

Für Atlan bedeutete dies in erster Linie, daß bewiesen war, daß es einen Übergang in das eigene Universum gegeben hatte und damit auch weiterhin geben könnte.

Die Rückkehr in den heimatlichen Bereich war also möglich. Sie war das zentrale Problem Atlans und aller Solaner.

Außerdem bot das Sternenuniversum nichts, was das Leben hier mit einem sinnvollen Gehalt hätte füllen können. Der einzige Vorteil, den der unfreiwillige Aufenthalt hatte, war die starke Vermutung, daß ihr Gegner Hidden-X hier nicht wirkte.

Nach der Selbstzerstörung der Maschine auf Gersenter waren

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auch die Wissenschaftler der EINZIGEN ratlos gewesen. Der letzte Hinweis, den Atlan erhalten hatte, stellte nicht mehr als einen Hoffnungsschimmer dar.

Die Station im Kern von Aqua-I, auch erbaut von den technisch hochstehenden Vorfahren der Gersenter, erfüllte zu einem Teil angeblich die gleiche Funktion wie die zerstörte Maschine. Zwar war die Aqua-I-Maschine zu einem anderen Zweck gebaut worden, nämlich Wassermassen aus einer anderen Bezugsebene abzuzapfen und über Aqua-I nach der Welt der Nuun zu leiten, damit dieses Volk nach dem Willen der selbstherrlichen EINZIGEN vernichtet wurde.

Der Plan der Schlangenmenschen war nicht aufgegangen. Die Nuun hatten auch unter dem viele Kilometer dicken Wall aus Wasser einen Weg gefunden, um zu überleben. Und als die EINZIGEN erneut zuschlagen wollten, war es der Einsatz mutiger Solaner gewesen, der die Aquarianer vor dem Untergang bewahrt hatte.

Der Mechanismus auf Aqua-I war von Sanny und Technikern der SOL abgeschaltet worden. Den Rest hatten die Nuun besorgt.

Atlan hörte gerade, wie Fallund Kormant dem High Sideryt mitteilte, daß alle Einrichtungen des ehemaligen Höllenschlunds demontiert und zerstört worden seien.

Einen Weg über Neu-Aqua in das Innere der Station gab es also nicht. Wenn man dem Hoffnungsschimmer nachgehen wollte, mußte man den mühsamen Weg durch die vielen tausend Kilometer Wasser von Aqua-I wählen.

Der Arkonide dachte mit Unwohlsein an die Erlebnisse im Innern der Station zurück. Glück und Geschick, sowie das Eingreifen der Buhriofrau Bora St. Felix hatten letztlich die Katastrophe verhindert. Der letzte Umstand wiederum war nur dem Sohn Boras zu verdanken, denn der kleine Foster zeigte in unregelmäßigen Zeitabständen hellseherische oder telepathische Fähigkeiten, die kein Zufall sein konnten.

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Während Breckcrown Hayes das Gespräch mit Neu-Aqua beendete (Probleme zwischen den Nuun und den Solanern gab es nicht mehr), dachte Atlan mit Grauen an einen anderen Umstand, der ihm Kopfzerbrechen bereitete.

Federspiel hatte eine deutliche, aber letztlich doch unverständliche Information von Sternfeuer erhalten, daß die SOL mit allem Drum und Dran einem geänderten Zeitablauf unterlag, seit sie im Sternenuniversum weilte. Auch die Art des telepathischen Kontakts hatte dies untermauert, denn Sternfeuer hatte nach Federspiels Ansicht sozusagen in Zeitlupe gesprochen.

Genaue Hinweise über die Richtigkeit des geänderten Zeitablaufs oder über dessen Ausmaß gab es ansonsten nicht. Das Sternenuniversum stellte eine eigene Daseinsebene dar, aus der heraus sich keine Messungen oder Bestimmungen durchführen ließen.

Erst die heißersehnte Rückkehr in das wirkliche Jenseits würde diese Frage klären.

Auch Sanny und SENECA hatten dieses Rätsel nicht lösen können. Die Hyperinpotronik hatte eine sehr vage Hochrechnung mit einem unsicheren Ergebnis abgeschlossen.

Wenn tatsächlich ein anderer Zeitablauf vorlag und nicht, wie es die Bordchronometer anzeigten, heute der 3. Oktober des Jahres 3792 der terranischen Zeitrechnung war, dann mußte die verlorene Zeit bereits mehrere Jahre betragen.

»Weniger als zwölf Jahre«, hatte SENECA verkündet. »Aber mindestens fünf Jahre. Beides gilt nur unter der Voraussetzung, daß wir tatsächlich einem Zeitablauf unterliegen, der von dem unseres Universums abweicht.«

Die Probleme waren damit für Atlan nicht kleiner geworden. Er fragte sich manchmal in einer stillen Stunde, was aus den

Solanern geworden wäre, wenn der Wille der Kosmokraten ihn nicht auf dieses alte Schiff der Terraner verworfen hätte.

Wo ständen sie heute, die Solaner?

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Bestimmt nicht in diesem kalten und merkwürdigen Sternenuniversum.

Vielleicht demontiert oder zerschollen auf Osath? Oder als dahinvegetierende Bauern unter dem mentalen Netz auf

Chail? Es gab keine eindeutige Antwort auf diese Fragen. Sicher, sein

Einfluß auf die SOL war wahrscheinlich viel größer, als er es sich eingestand.

Aber er wußte auch, daß er nicht nur Positives für die Solaner gebracht hatte. Wenn ohne sein Erscheinen das Leben in seinen gewohnten Bahnen weiter verlaufen wäre, hätten manche Solaner heute noch ihr Leben.

Und andere wären tot, warf sein Logiksektor ungehalten ein. Wahrscheinlich hast du recht, dachte der Unsterbliche. Dennoch

sind alle Umstände für mich nur eine noch größere Verpflichtung, die SOL mit all ihren Bewohnern aus dieser Öde zu führen und ihnen die heimatlichen Sterne wieder zu zeigen.

Wo Hidden-X nur darauf wartet, euch den Garaus zu machen.

2. Tauman Vollreit klappte müde den Deckel der Schreibplatte herunter und gähnte. Der gestrige Abend mit Freunden war etwas zu lang gewesen. So war es kein Wunder, daß er am heutigen Morgen übermüdet war.

Er hoffte, daß sein Chef ihn bis zum Mittag in Ruhe lassen würde. Bis dahin würden die stimulierenden Getränke aus dem kleinen Automaten ihn wieder fit gemacht haben.

Er zog die Ärmelstulpen über die Jackenärmel und ging hinüber zu den Aktenschränken, um diese zu öffnen. Er mußte für alle Fälle den Eindruck erwecken, daß er sehr rege war. Auch wenn das für die heutigen Vormittagsstunden bestimmt nicht gelten würde.

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Das dachte Tauman Vollreit, der 41jährige Nebenbuchhalter der großen Raumfluggesellschaft, zumindest.

Sorgfältig legte er ein paar unerledigte Vorgänge zu beiden Seiten des Schreibtischs ab und schaltete die Konsole der Schreibplatte ein. Obenauf postierte er die letzte Bilanz, die seine wichtigste Arbeitsgrundlage war. Wenn der Chef wirklich überraschend in sein Arbeitszimmer käme, würde das einen guten Eindruck machen.

Vollreit war ein ganz und gar durchschnittlicher Urjaner. Nur in seiner bläulichen Hautfarbe unterschied er sich von den Menschen der Erde, aber weder von Terra, noch von den Menschen hatte er je in seinem Leben etwas gehört, denn Urjan lag Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt.

Er schielte kurz zur Tür und horchte nach draußen. Als er nichts Auffälliges bemerkte, schaltete er den Getränkeautomaten ein.

Er rückte das Bildtelefon so hin, daß die Aufnahmeoptik ihn nicht versehentlich erfassen konnte. Es wäre ungünstig gewesen und hätte Ärger bedeutet, wenn einer seiner Vorgesetzten ihn angerufen und schlafend oder dösend vorgefunden hätte.

Wenig später schlürfte er genüßlich das heiße Getränk. Er war sich darüber im klaren, daß die Wirkung nur kurze Zeit anhalten würde. Aber das war besser als nichts, denn er wollte sich noch bei ein paar Kollegen blicken lassen, bevor er sich zurückziehen würde.

Das dachte Tauman Vollreit, biederer Bürger und Familienvater, zumindest. Gedankenverloren starrte er auf die Tastatur vor sich. Der Bildschirm mit dem Zeilenfeld signalisierte die Bereitschaft, neue Texte, Anfragen und Aufgaben zu notieren.

Aber Vollreits Händen blieben ruhig auf der Kante des Tisches liegen. Langsam schlossen sich seine Augen. Das Getränk, das er zu sich genommen hatte, war nicht intensiv genug gewesen, um seine Lebensgeister aufzurütteln.

Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als er von einem klatschenden Geräusch hochschreckte. Sein Blick fiel auf zwei Männer, die direkt vor seinem Schreibtisch standen.

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Es waren Mnamo, der Chef, und einer der stellvertretenden Direktoren der Gesellschaft, dessen Name Taumann Vollreit im Augenblick nicht einfiel.

»Sie sind wohl von allen guten Geistern verlassen!« schnauzte ihn Mnamo an. Vollreit erkannte, daß er es gewesen war, der den Aktenstapel auf den Tisch geknallt hatte.

Nun erst wurde ihm bewußt, daß er wohl doch eingeschlafen war. Sein Blick wurde traurig und demütig, als er die zerstreuten Akten

und die leere Tasse sah. Langsam erhob er sich aus dem Sessel. Unbewußt rieb er sich dabei die Augen.

»Es gibt genügend Anwärter für Ihren Posten, Vollreit«, donnerte der Chef weiter.

Der Nebenbuchhalter hob an, um etwas zu sagen, aber … … in diesem Augenblick erreichte ihn sein SIGNAL. Sein Blick wurde starr und fest. Er richtete sich auf, und ein völlig

neues Lebensgefühl durchpulste seinen Körper. Von einem Moment zum anderen war er hellwach, denn sein SIGNAL weckte Kräfte in ihm, an die er nicht einmal im Traum gedacht hatte.

Dann lächelte er selbstsicher. Blitzartig wurde die verdeckte Erinnerung frei. Er war damals 18 Jahre alt gewesen, als er in jeder zweiten Nacht

abberufen worden war, um sich der Schulung zu unterziehen. Monate hatte die Ausbildung gedauert, an deren Ende das Prädikat gestanden hatte.

Jetzt wußte er wieder, wer er war. Jetlagged, der Erste Kämpfer. »Geht mir aus dem Weg, Männer!« Der Chef und der stellvertretende Direktor wichen erschrocken

zur Seite und starrten ihn wie ein Gespenst an. Erst jetzt merkte Jetlagged, daß seine Jacke in den Schulterpartien

aufgeplatzt war und daß seine Hose fest die Oberschenkel umspannte, zu fest.

»Was soll das bedeuten?« stammelte der Ältere und warf Mnamo

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einen hilfesuchenden Blick zu. »Ich werde es euch sagen«, erklärte Jetlagged bereitwillig. »Und

dann werdet ihr verstehen. Es ist das SIGNAL. Fragt die Priester. Ich bin soeben gerufen worden. Das Auge zum Jenseits wartet auf mich.«

Mnamo und der Direktor waren keine besonders gläubigen Urjaner, aber die körperlichen Veränderungen, die sich blitzschnell an Tauman Vollreit vollzogen hatten, bewiesen ihnen ganz deutlich, daß die Lehre der Priester kein leerer Wahn war.

Der Mann, der vor ihnen stand, war nicht mehr der biedere Nebenbuchhalter Vollreit. Er war jetzt ein Diener der Macht, die verlangte, das Auge zum Jenseits zu schützen oder zu verteidigen oder zu erobern oder was immer der Heilige Mann Weimyntos bestimmen würde.

Jetlagged kümmerte sich nicht mehr um die beiden jämmerlichen Figuren. Mit wiegenden Schritten verließ er das Zimmer, glitt mit dem Antigravlift hinauf zum Dach.

Er wußte, daß dort sein Adjutant bereits warten würde, denn es gab ja einen sorgfältig vorbereiteten Plan.

Henter erwartete ihn bereits. Er hielt dem Ersten Kämpfer seinen Anzug und die Ausrüstung entgegen, ohne dabei ein Wort zu sagen.

Jetlagged beachtete die neugierigen Urjaner nicht, die sich in sicherer Entfernung hielten und herüber glotzten. Einige fielen auf die Knie und murmelten leise Stoßgebete.

Er ließ sich Zeit, während er sich ankleidete. Henter überprüfte die Einrichtungen des Kampfgleiters, während sich sein Herr vorbereitete. Die beiden Roboter im Heck des Fahrzeugs blickten stur geradeaus, aber der Erste Kämpfer wußte, daß sie jede seiner Handlungen überwachten und auch die Umgebung.

Als der Moment des Abschieds von der Wirklichkeit gekommen war, drängte sich eine Frau durch die gaffenden Urjaner und stürzte schreiend auf Jetlagged zu.

Er erkannte sie nicht.

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Er wollte sie nicht erkennen. Seine Gedanken waren bereits jetzt ausschließlich bei dem

Heiligen Mann Weimyntos. Nur der war nun noch berechtigt, ihm weitere Anweisungen zu geben, es sei denn, ein neues SIGNAL träfe ein.

Die Frau klammerte sich an ihn. Sie stammelte einen Namen, der Jetlagged irgendwie bekannt vorkam, aber da er nichts mit dem Auge zum Jenseits zu tun hatte, weigerte sich sein Verstand, darüber nachzudenken.

Schließlich sprang einer der Roboter aus dem Kampfgleiter und packte die Frau. Er zerrte sie fort, während ihre hysterischen Worte über das Dach des Gebäudes schallten.

»Tauman, mein Tauman, denk doch an unsere Kinder, Tauman!« Als er kurz darauf das Gefährt über die Stadt steuerte und die

Zielkoordinaten für den Flug zum Raumhafen von Urjanstadt eingab, hatte er den Vorfall schon wieder vergessen.

* Die Flotte bestand aus zwölf schweren Einheiten. Insgesamt flogen zweitausend Urjaner, die ihr SIGNAL erhalten hatten, mit ihr.

Jeder von ihnen wußte, daß das Ziel das Auge zum Jenseits war, obwohl keiner von ihnen je das Heiligtum gesehen hatte.

Nur der Heilige Mann Weimyntos wußte, wo dieser Ort war. Sie ließen eine Milliardenbevölkerung auf Urjan in der

Ungewißheit über das eigene Schicksal zurück. Die heiligen Stätten würden sich mit Urjanern füllen, und die

Priester würden mehr Zuhörer haben denn je, wenn sie die Worte des Heiligen Mannes Weimyntos verkündeten und wieder verkündeten, obwohl jeder Urjaner sie seit seiner Geburt fast täglich zu hören bekam.

Warum gerade der? Und der?

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So würde man fragen. Oder: Warum nicht ich? Manch gläubiger Urjaner würde in tiefe Zweifel gestürzt werden,

wenn er erführe, daß sein leichtsinniger, ungläubiger Nachbar sein SIGNAL erhalten hatte, während er selbst übersehen worden war.

Die Mütter und Frauen aber würden sich fragen, ob ihre Söhne und Männer je zurückkehren mochten. Darüber besagten die Lehren der Priester nichts.

Jetlagged verfolgte ganz andere Überlegungen. Ihn interessierte nicht, was auf Urjan geschehen würde. Die sich überschlagenden Mitteilungen der Nachrichtenmedien, die Lügen und Übertreibungen, die Hoffnungen und Sehnsüchte, das alles gehörte nicht zu seinem Auftrag. Er und alle seine Begleiter dachten aber auch in keinem Sekundenbruchteil daran, daß sie nichts weiter waren als die Werkzeuge einer Macht, die sie sorgfältig von langer Hand vorbereitet hatte und jetzt in eine Schlacht auf Leben und Tod zu schicken gedachte.

Sie erkannten auch nicht, daß kein moralischer Aspekt dieses Handeln rechtfertigte und daß kein vernünftiger Grund es erklärte.

Sie wollten auch nichts erkennen. Sie wollten kämpfen. Schließlich ging es um das größte Tabu ihres Volkes, das Auge zum Jenseits.

Igendwo dort draußen in den Weiten von Pers-Mohandot mußte es sein.

Der Heilige Mann Weimyntos kannte das Ziel. Er würde sie führen und in ihren eigentlichen Auftrag einweisen.

Dann würden sie kämpfen. Denn nur zu diesem Zweck hatte sich Hidden-X diese Einheit

geschaffen. Aber auch das wußte Jetlagged nicht. Und ob es der Heilige Mann Weimyntos wußte, war eine ganz andere Frage.

*

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Weimyntos meldete sich genau zum festgelegten Zeitpunkt, den Jetlagged ebenfalls aus dem Schulungsprogramm kannte. Er sprach direkt in das Gehirn des Ersten Kämpfers und übermittelte ihm die Zielkoordinaten des Verbands. Jetlagged konnte mit den Zahlenkolonnen nur wenig anfangen. Er übertrug sie in die Rechenanlagen, die die Werte an die Steuersysteme weitergaben.

Wie sein Ziel aussehen würde, interessierte den Urjaner nur insofern, als er gegebenenfalls seine Kampftechnik darauf einstellen mußte. Daß der Pulk aus Raumschiffen nun eine Distanz von dem halben Durchmesser der Galaxis Pers-Mohandot überbrückte, war dabei gleichgültig.

Alles an Bord ging seinen geregelten Gang. Es gab keine Ausfälle, denn die Schulung aller Kämpfer war perfekt gewesen.

Man sprach nur über das, was notwendig war, und das war sehr wenig.

Henter, der Adjutant, wich kaum einmal von Jetlaggeds Seite. Er war jederzeit bereit, die Anweisungen des Ersten Kämpfers zu empfangen, aber noch schwieg dieser.

Seine Augen starrten auf den Bildschirm, wo sich nach dem Austritt aus dem Überraum ein heller Stern deutlich abzeichnete. Das mußte das Ziel sein. Hier also befand sich das geheimnisvolle Auge zum Jenseits, das so heilig war, daß nur Weimyntos selbst, beziehungsweise seine Vorgänger oder Nachfolger diesen Ort kannten.

So hatte es Jetlagged zumindest während der Hypnoschulung und der Kampfausbildung erfahren.

Wieder meldete sich der Heilige Mann Weimyntos in Jetlaggeds Gehirn. Er wies den Planeten zu, auf dem die Flotte landen sollte. Gleichzeitig kündigte er an, daß er dort zu den Kämpfern selbst sprechen würde.

Das war selbst für die programmierten Urjaner eine Überraschung, denn davon, daß sich der Heilige Mann Weimyntos selbst zeigen würde, hatten sie noch nie etwas gehört. Der Glaube

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der Priester auf Urjan hatte immer wieder hervorgehoben, daß kein Sterblicher Weimyntos sehen dürfe oder könne.

Jetlagged fühlte sich durch diese Ankündigung veranlaßt, zu seinen Leuten zu sprechen.

Er schaltete die Verbindungen zu allen zwölf Schiffen, so daß jeder Kämpfer ihn hören konnte.

»Es muß etwas Ungewöhnliches geschehen sein«, teilte er vorsichtig den anderen mit. »Nur so ist zu erklären, daß sich der Heilige selbst zeigen wird. Ihr erkennt daran die Bedeutung, die unser Einsatz für das Auge zum Jenseits hat. Richtet euch danach.«

Keiner wagte zu widersprechen oder eine Frage zu stellen. Nur Henter drängte sich unauffällig in die Nähe seines Herrn.

»Ich habe gelernt«, flüsterte er dort, »daß jeder sterben muß, der den Heiligen Mann Weimyntos persönlich sieht.«

Der Erste Kämpfer hörte die Sorge aus der Stimme seines Adjutanten. Er blickte ihn strafend an, denn er wünschte keinerlei Aufsässigkeit.

»Es wird seinen besonderen Grund haben«, meinte er dann ausweichend. »Und wenn du gut kämpfst, wirst du nie sterben.«

»Werden wir je nach Urjan zurückkehren?« wagte Henter zu fragen.

»Deine Frage hat mit unserem Auftrag nichts zu tun.« Jetlaggeds Stimme war deutlich schärfer geworden. »Ich will nichts Derartiges mehr hören, sonst muß ich dich auswechseln. Dann wärst du tot, bevor du den Heiligen Mann Weimyntos gesehen hast.«

Der Adjutant zog es vor zu schweigen. Auch in der Folgezeit riskierte er es nicht mehr, derartige Gedanken zu äußern.

Der Verband schwenkte in einen Landekurs ein. Gleichmütig vernahm Jetlagged, wie die ersten

Beobachtungsergebnisse verkündet wurden. Die Welt des Auges zum Jenseits war ein öder, mittelgroßer Planet

ohne auffallende Merkmale. Äußerlich glich er eher dem Mond Urjans, denn man entdeckte nur totes Gestein und keine Anzeichen

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von pflanzlichem oder tierischem Leben. Allerdings gab es eine gut atembare Atmosphäre mit einem ausreichenden Sauerstoffgehalt. Wie diese auf den toten Gesteinsbrocken gekommen war, der als Planet die helle Sonne umkreiste, war wissenschaftlich nicht erklärbar. Der Erste Kämpfer vermutete für einen Augenblick, daß der Heilige diese Welt entsprechend präpariert hatte, denn er traute ihm Kräfte zu, die über sein Vorstellungsvermögen gingen.

Er verwarf die Überlegung aber rasch wieder, denn sie hatte keine Bedeutung für die Durchführung des bevorstehenden Auftrags.

Abgesehen davon erschien es ihm logisch, hier keinerlei Anzeichnen von Leben zu finden, denn schließlich galt das Auge zum Jenseits als tabu.

Sie landeten auf einer Hochebene, deren Untergrund glatt und fest war. Weimyntos hatte dem Ersten Kämpfer diesen Platz in den Gedanken gezeigt.

Die zwölf Schiffe wurden in einem Kreis von beachtlicher Größe aufgestellt. Als das Landemanöver abgeschlossen war und endgültig feststand, daß draußen keine natürlichen Gefahren drohten, verließ Jetlagged in Begleitung seines Adjutanten sein Schiff. Die Kommandanten der anderen Raumer folgten seiner Aufforderung.

Sie trafen sich in der Mitte des Kreises, den die raketenförmigen Schiffe gebildet hatten.

»Was soll nun geschehen?« fragte Srentik, den Jetlagged noch von seiner Ausbildungszeit her persönlich kannte. Die anderen Kommandanten mußten vor oder nach ihm in ihre Aufgabe eingewiesen worden sein.

»Der Heilige wird sich melden«, wich der Erste Kämpfer aus, denn er wußte auch nicht mehr als die anderen.

Tretet zurück an eure Schiffe! Nun konnten alle Kämpfer die Stimme Weimyntos' vernehmen,

wie Jetlagged an den Reaktionen seiner Begleiter feststellte. Ohne ein Widerwort gehorchten sie der Aufforderung, blieben

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aber als eine Gruppe zusammen, bis sie vor dem Flaggschiff des Ersten Kämpfers standen.

»Da!« Henter deutete auf die Mitte des Kreises. Dort wirbelte das felsige Gestein auf, als hätte es sich zu Staub

verwandelt. Ohne erkennbaren Grund entstand eine Vertiefung, die sich schnell nach unten und nach allen Seiten ausbreitete.

Der Vorgang geschah lautlos und wurde immer schneller. Wenige Schritte vor den Kämpfern kam er zum Stillstand.

Ein gewaltiges Loch war entstanden, das mindestens 1000 Körperlängen durchmaß. Seine Seitenwände waren völlig glatt und senkrecht.

Henter konnte seine Neugier nicht zügeln. Er trat an den Rand und blickte in die Tiefe. Entsetzt taumelte er zurück. »Da ist das absolute Nichts«, teilte er den anderen Urjanern mit.

»Ein bodenloses Loch, das in einer wabernden Schwärze endet. Der Eingang zur Hölle!«

»Deine Phantasie geht mit dir durch, Adjutant«, tadelte Jetlagged. Dann machte er eine ausladende Bewegung mit beiden Armen. »Kämpfer, was ihr dort seht, ist das Auge zum Jenseits.«

* Für Breckcrown Hayes war die Rückkehr in das Aqua-System mit anderen Gefühlen verbunden. Zwar verfolgte er auch an erster Stelle das Ziel, mit der SOL in die angestammte Dimension zurückzukehren, und dafür war er bereit, entsprechende Risiken einzugehen.

Einzelne Trümmerstücke aus Metall und Plastik, die sich deutlich auf den Orterschirmen abzeichneten, erinnerten ihn aber noch an die nicht allzu lange zurückliegende Schlacht, die er notgedrungen im Aqua-System hatte bestehen müssen.

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Der Entschluß, die Schiffe der EINZIGEN mit der SOL anzugreifen, war ihm nicht leicht gefallen. Er hatte zwar einen Sieg errungen und damit auch den Nuun aus einer verzweifelten Lage geholfen, aber selbst die Rettung dieses vom Untergang bedrohten Volkes täuschte nicht darüber hinweg, daß er den Befehl zum Angriff gegen seinen inneren Widerstand gegeben hatte.

Breckcrown Hayes haßte die Gewalt. Er wußte aus der eigenen Geschichte der SOL nur zu gut, zu welchen Auswucherungen und Leiden rohe Gewalt führen konnte.

In dem Maß, wie auf der SOL der interne Frieden eingekehrt war, waren die äußeren Gefahren gewachsen.

In den letzten Monaten hatte es mehrere Verluste an Beibooten gegeben, was sich sehr bald als ein Problem herausgestellt hatte. Doch das war noch die Sonnenseite des Problems, denn den Tod von tapferen Solanern konnte man mit nichts ausgleichen.

Die Robotfabriken, von dem unermüdlichen und sehr schweigsam gewordenen Gavro Yaal wieder aufgebaut, standen für keine Sekunde still. Der High Sideryt wollte die verlorengegangenen Schiffe so schnell wie möglich durch Neubauten ersetzt wissen, damit die SOL wieder über ihre volle Kapazität und Kampfkraft verfügte.

So wie die Zeichen für die nahe Zukunft standen, würde man jedes Beiboot bitter nötig haben.

Das Minimum an einsatzbereiten Schiffen, das Hayes forderte, waren 100 Kreuzer und 120 Korvetten. Sank die Anzahl der verfügbaren Beiboote unter diese Zahlen ab, so ließ der verbundene Kampf aus Hauptschiff SOL und Beibooten keine vernünftige Einsatzstrategie mehr zu.

Aber auf den ehemaligen Querulanten Gavro Yaal war Verlaß. Er kümmerte sich um alles, was die Versorgung betraf, er improvisierte, packte selbst mit an und hielt die Robotfabriken in Schuß.

Die Sorge um die logistischen Probleme und den Nachbau der

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Verlustschiffe wußte Hayes somit in guten Händen. Freilich ließ sich das nicht alles von heute auf morgen bewerkstelligen, und es gab hin und wieder sogar Rückschläge. Der Aufwärtstrend war jedoch deutlich erkennbar.

Ein Ruck ging durch Hayes. Er riß sich aus seinen Gedanken, als der augenblickliche Chefpilot Vorlan Brick ihm meldete, daß die SOL zum Stillstand gekommen war.

Bis zu der Wasseroberfläche von Aqua-I betrug der Abstand noch 400 Kilometer. Das endlose Meer besaß jetzt eine fast schwarze Farbe. Da es nur eine dünne Atmosphäre gab, deren Herkunft auch ungeklärt war, glänzte die Fläche blanker als …

… als die Nickelspiegel von Hidden-X, beendete Hayes den Gedanken.

Bei den Vorbesprechungen für das Vorhaben war festgelegt worden, daß zwei speziell präparierte Korvetten den neuerlichen Vorstoß zum Kern der Wasserwelt durchführen sollten.

Es verstand sich für Hayes und seine Stabsspezialisten mittlerweile fast von selbst, daß in erster Linie das Atlan-Team die Expedition durchführen würde.

Außer dem Arkoniden selbst sollten Hage Nockemann und sein Roboter Blödel, die Molaatin Sanny, Argan U und Federspiel mit von der Partie sein.

Die Brick-Zwillinge, die sich sonst um die Teilnahme an jedem Einsatz regelrecht prügelten, verzichteten. Unterwassereinsätze gehörten nicht zu ihren Spezialitäten.

Die Standardbesatzung der Korvetten mit je 20 Personen wurde beibehalten. Von den erfahrenen Solanern kamen aber noch zwei Spezialisten für Transmittertechnik mit, die Nockemann ausgesucht hatte.

Den kauzigen Galakto-Genetiker schien es diesmal gar nicht zu stören, daß die beiden Spezialisten weiblichen Geschlechts waren. Fasta und Seily Mirsmir waren Schwestern und beide über 90 Jahre alt.

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Anfangs hatte Hayes dem Arkoniden in der Regel einen offiziellen Kommandoführer aus dem Kreis seiner Stabsspezialisten mitgegeben. Diesmal verzichtete er darauf.

Bjo Breiskoll, der sich um die Vorbereitungen gekümmert hatte und der zur Sicherung einer telepathischen Verbindung für Notfälle auf der SOL bleiben sollte, betrat die Zentrale.

»Es ist alles fertig«, teilte er mit. »Die Reservetransmitter sind an Bord. Nur du fehlst noch, Atlan.«

Die beiden Transmitter, die er erwähnte, ergänzten die Bordtransmitter der Korvetten. Man rechnete mit allen Möglichkeiten, auch mit dem Verlust eines oder gar beider Schiffe, obwohl keine unmittelbare Gefahr bekannt war.

Das besagte jedoch wenig, denn das Innere der Aqua-I-Station war praktisch unerforscht. Der Bereich, in dem sich Atlan und seine Freunde aufgehalten hatten, als sie von den Nuun in den Höllenschlund befördert worden waren, stellte nur einen Bruchteil der 22 Kilometer durchmessenden Kugel aus hochverdichteter Eisen-Nickel-Legierung dar.

Bevor Atlan die Kommandozentrale verließ und sich von Breckcrown Hayes verabschiedete, überprüfte er persönlich die Hyperfunkverbindungen von der SOL zu den beiden Korvetten. Normalfunk schied wegen der dicken Wasserhülle praktisch aus.

So war das ganze Sicherheitssystem auf die Verbindung der Mutanten Breiskoll und Federspiel, die Hyperfunkstrecken und die Transmitter abgestützt, die direkt nach dem Ankoppeln an die Kugelstation in deren Inneres verfrachtet werden sollten.

Mit einem letzten Händedruck zwischen dem Arkoniden und dem High Sideryt begann für die eine Seite das Warten auf den erhofften Erfolg und für die andere das Hinabtauchen in die bodenlose Tiefe eines unendlich erscheinenden Ozeans.

3.

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Dreimal wich die Nacht dem Tag, und nichts geschah.

Das endlose Loch hatte sich nicht mehr verändert. Der Heilige Mann Weimyntos hatte kein Zeichen von sich gegeben, und keiner der Kämpfer hatte ein neues SIGNAL empfangen.

Jetlagged hatte Wachen am Rand des Auges zum Jenseits aufstellen lassen, die ihm jede Veränderung sofort melden sollten. Aber auch hier war nichts geschehen.

Die Mannschaften übten sich in Kämpfen, überprüften ihre Waffen und warteten geduldig.

Am Abend des vierten Tages seit der Ankunft endlich erklang in den Köpfen der Kämpfer ein feines Singen. Wieder wurde eine Erinnerung wachgelegt.

Mit diesem Ton waren sie damals in ihrer Jugend gerufen worden, um sich an einem ihnen unbekannten Ort zu treffen und sich der Schulung und dem Training zu unterziehen.

»Der Heilige ist da«, stellte Jetlagged zufrieden fest. Er zeigte keine Ungeduld, aber er zögerte auch nicht, als ihm Henter den Kampfanzug reichte.

Der Antigravlift brachte ihn schnell ins Freie. Hier hatten sich bereits mehrere hundert Urjaner um das tiefe

Loch herum versammelt, als erwarteten sie ein Wunder. Und das vermeintliche Wunder geschah. Plötzlich schwebte über der gähnenden Öffnung ein merkwüdiges

Gebilde. Es bestand in etwa aus drei Teilen einer Kugelschale, die so aneinandergefügt waren, daß die Innenseiten nach außen zeigten und sich die Kugelhüllen an den Rändern berührten.

Zwischen den schalenförmigen Gebilden, von denen jedes so hoch wie zehn Männer war, hingen unbekannte Geräte oder Maschinen.

Das Ding war von einem Moment zum anderen da. Ob es aus dem Loch oder aus der Höhe gekommen war, vermochte keiner der Kämpfer zu sagen.

Grellweißes Licht zuckte zwischen dem Gebilde hervor und hüllte

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die blauen Gestalten der Kämpfer in ihren ockerfarbenen Anzügen ein. Scharfe Schatten huschten über den Boden.

Betreten schwieg selbst Jetlagged, denn er konnte in dem Ding nichts von dem erkennen, wie er sich den Heiligen Mann Weimyntos vorgestellt hatte.

War der Heilige am Ende gar nur eine Maschine? An der Loyalität zu dem höchsten Priester, den nie eines Urjaners

Auge gesehen hatte, würde das freilich nichts ändern. Zu tief war jeder der Kämpfer mit der Aufgabe verwachsen.

Das Singen erstarb allmählich, und die zuckenden weißen Lichter verharrten wahllos auf den Raumschiffen, den Kämpfern und dem Planetenboden.

»Ich sehe«, klang eine fast sanfte Stimme in den Köpfen der Männer auf, »ihr seid alle gekommen. Das ist gut, denn die Stunde eurer Bewährung ist nahe.«

Die Stimme schwieg, und Henter nutzte die Pause, um den Ersten Kämpfer zu berühren und zu fragen:

»Das ist Weimyntos?« Die Zweifel waren unüberhörbar. Um so überraschter war der Adjutant, daß die Stimme seine Frage

beantwortete und nicht Jetlagged. »Ja, ich bin Weimyntos, der zu euch spricht. Natürlich seht ihr

mich nicht in meiner wahren Gestalt, denn das wäre euer aller Tod. Ihr aber sollt leben. Leben, um zu kämpfen. Für das größte Heiligtum der Urjaner, das ihr nun vor euch seht. Das Auge zum Jenseits.«

Henter duckte sich wie unter einem Peitschenhieb und schwieg. »Ich werde euch jetzt sagen«, fuhr Weimyntos fort, »was ihr zu

tun habt. Wartet auf ein neues SIGNAL! Wann es eintrifft, kann ich euch zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, aber ich weiß, daß es kommen wird.«

Jetlagged atmete schwer durch. »Ist mir eine Frage gestattet?«

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»Nur zu, Erster Kämpfer!« »Wenn wir das SIGNAL erhalten, was sollen wir dann tun? In

unserer Schulung haben wir nichts über diesen Fall erfahren, wie er sich jetzt abzeichnet.«

»Du denkst klug mit, Jetlagged«, lobte die Stimme aus der dreiteiligen, seitenverkehrten Kugel. »Ich darf dir sagen, daß euer Einsatzfall sich grundlegend von dem unterscheidet, was ihr alle gelernt habt. Die Gefahr, die auf die Urjaner zukommt, war damals noch nicht erkennbar gewesen. Das ändert aber nichts daran, daß ihr gelernt habt, zu kämpfen.«

Und nach einer Pause fuhr der Heilige Mann Weimyntos mit erhobener Stimme fort:

»Euer Kampf wird nicht auf dieser Welt stattfinden. Auch eure Kampfschiffe werdet ihr nicht brauchen, allenfalls die kleinen Gleiter. Wenn das SIGNAL kommt, stürzt euch in das Auge zum Jenseits. Ihr werdet sanft auf einer anderen, einer völlig fremden Welt landen. Alles, was ihr dort seht, was lebt, funktioniert, denkt, arbeitet, ist euer Feind. Ihr müßt verhindern, daß es durch das Auge zum Jenseits vom Jenseits zum Diesseits gelangt, um alles zu erobern und zu zerstören, was euch heilig ist.«

Jetlagged hatte verstanden. »Und wie erkenne ich das SIGNAL?« lautete seine letzte Frage. »Achtet auf die Farbe des Auges zum Jenseits. Wenn sie rot wird, ist

der Moment gekommen. Und denkt daran, nur wer kämpft, kann überleben. Nur wer kämpft, wird von dem Auge nach dem Sieg wieder in das Diesseits befördert.«

Mit den letzten Worten erloschen die Lichter des Kugelgebildes. Für Jetlagged stand damit fest, daß die Einweisung beendet war.

Nachdenklich schritt er zu dem Antigravlift zurück. Unterwegs warf er einen Blick auf Henter. »Du siehst«, sagte der Erste Kämpfer, »daß deine Sorge

unbegründet war. Du hast den Heiligen Mann erlebt und doch nicht gesehen. Also wirst du nicht sterben.«

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»Ich habe keine Angst vor dem Tod«, antwortete der Adjutant. »Das ändert aber nichts daran, daß ich Weimyntos nicht verstanden habe.«

»Wichtig ist nur, daß du mir mit den Robotern beim Kampf den Rücken frei hältst. Merke dir das.«

Henter schwieg und behielt seine Bedenken für sich.

* Ein dröhnender Schlag lief durch die Korvette, als die blanken Flächen der Magnetanker auf die Außenhülle der riesigen Kugel stießen.

Ein paar Solaner zuckten zusammen, aber Atlan machte ein Handzeichen, mit dem er zu verstehen gab, daß alles in Ordnung war.

Eine Suche nach der Stelle, an der Bora St. Felix in die Station eingedrungen war, hatte man von vornherein gar nicht ins Auge gefaßt. Die Chancen, in dieser tiefen Dunkelheit und ohne brauchbare Orientierungsmittel diesen Ort zu finden, waren gleich null.

Beide Korvetten standen im vollen Schutz der gestaffelten Energieschirme, die den Wasserdruck abhielten. Diese Schutzschirme wurden nun so umgelenkt, daß sie praktisch einen Schleusengang zu der Außenwand der Station bildeten.

Weitere Energiesperren sorgten für einen Schleusenmechanismus. Atlan war vorsichtig, denn er wußte nicht, an welcher Stelle des

immerhin 22 Kilometer durchmessenden künstlichen Gebildes man in dieses eindringen würde.

Dann traten die Desintegratoren in Kraft. Sie schweißten zunächst eine mannshohe Öffnung in die Hülle,

die hier mehrere Meter Dicke besaß. Nur langsam wich das mit einem unbekannten Verfahren hochverdichtete Metall den

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anstürmenden Energien. Die entstandenen Gase wurden abgesaugt und über eine

Nebenschleuse, die ebenfalls nur aus Energiefeldern bestand, in den Bereich des Wassers abgeleitet.

Dort wurden die riesigen Blasen aus Dampfschwaden in Sekundenbruchteilen zu faustgroßen Kugeln zusammengepreßt. Sie verflüssigten und lösten sich unsichtbar in dem Wasser auf.

»Das Ganze stimmt physikalisch hinten und vorn nicht«, stöhnte Hage Nockemann, der sich mit Messungen der Bedingungen in dem umgebenden Wasser befaßte.

»Das kannst du auch nicht verstehen.« Der Roboter Blödel schwenkte einen ausgefahrenen Arm durch die Luft. »Hinten und vorn nicht, denn du bist Biologe und kein Physikus.«

»Physiker«, verbesserte ihn der Wissenschaftler. »Bist du auch nicht.« Der Laborroboter, der Nockemanns

langjähriger Assistent war, befand sich im Augenblick in einer Kiste, die auf einen kleinen Antigravgleiter verlastet war.

»Ich werde dich umbauen, Blödel«, knurrte Nockemann. »Wenn wir wieder auf der SOL sind, bekommst du einen richtigen, mobilen Körper.«

»Au fein.« Die Maschine kicherte albern. »Und eine andere Programmierung«, fuhr der schnauzbärtige

Mann fort, »damit du nicht mehr so frech bist.« »Da bin ich nicht einverstanden, es sei denn …« Blödel beendete den Satz nicht. »Denn?« fragte Nockemann und setzte seine Messungen fort. »Es sei denn, ich dürfte dich auch umprogrammieren«, meinte

Blödel gedehnt, als ob er intensiv nachdenken würde. »Du tickst unsauber. Erkläre mir lieber die physikalischen

Mißverhältnisse. Bei den draußen herrschenden Drücken müßte das Wasser doch viel stärker zusammengepreßt sein. Auch das Temperaturgefälle stimmt nicht. Ich messe 285 Grad.«

»Grad was?« fragte Blödel etwas holprig.

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»Kelvin, du Dummkopf.« »Bitte keine neuen Bezeichnungen für meine hochwertige

Positronik.« Blödel steuerte den Gleiter ein paar Meter von Nockemann weg, um seinem gespielten Entsetzen Ausdruck zu verleihen.

»Schon gut«, lenkte Nockemann ein. »Nun möchte ich aber eine vernünftige Antwort.«

»Die Station«, erklärte Blödel. »Sie enthält mit Sicherheit Maschinen, die die Verhältnisse stabilisieren. Schon bei der ersten Erkundung des Aqua-Systems wurde festgestellt, daß Aqua-I kugelrund ist und keine Polabplattung besitzt. Das ist nur durch ein künstliches Gravitationsfeld erklärbar. Ähnlich ist es auch mit den anderen Bedingungen.«

»Das ist mir bekannt. Ich ging von der Annahme aus, daß die Nuun nach dem Verlassen der Station alle Systeme desaktiviert haben.«

»Du solltest dich wirklich auf das Züchten von Mikroben beschränken«, näselte der Roboter überheblich. »Davon verstehst du ja ein wenig. Um diese ganze Station zu desaktivieren, braucht man Jahre, du … du …«

»Ich warne dich!« Nockemann drohte mit ausgestrecktem Zeigefinger. »Keine Schimpfworte.«

Blödel schwieg. Inzwischen hatte ein anderes Team die Atmosphäre untersucht,

die aus dem entstandenen Loch in die erste Energieschleuse gedrungen war. Die Werte waren normal.

»Ohne Hilfsmittel atembar«, berichtete ein Techniker. »Allerdings dürfte diese Luft etwas muffig riechen.«

»Dann ist dieses Kommando nichts für mich.« Blödel rollte seinen einen Sensorarm ein. »Ich besitze schließlich eine hyperempfindliche Nase. Muffiger Geruch könnte mir schaden.«

Der Solaner blickte den Roboter verblüfft an. »Kümmere dich nicht um ihn«, meinte Nockemann abfällig. »Er ist

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nur eine überkandidelte Maschine. Außerdem hat Blödel ständig neurotische Störungen. Wenn er wirklich an Bord der Korvette bleiben will, so soll mir das nur recht sein. Ohne ihn arbeite ich ungestörter.«

Jetzt verstand der Techniker überhaupt nichts mehr. Er wollte noch etwas fragen, aber da traten Fasta und Seily Mirsmir, die beiden Transmitterspezialistinnen, auf Nockemann zu.

Die beiden überschlanken Frauen überragten den Wissenschaftler um fast eine Kopfeslänge. Sie trugen ihre blau gefärbten Haare zu einem Knoten gebunden oben auf dem Kopf.

»Wann geht es los, Hage?« wollte Seily wissen. »Wir haben unsere Geräte bereits verlassen.«

»Fragt Blödel«, knurrte Nockemann. »Der weiß alles.« »Nicht fragen«, sagte der Roboter schnell. »Ich schlafe zur Zeit.« Fasta versetzte der Kiste auf dem Gleiter einen Tritt. Blödel heulte auf wie ein gepeinigtes Tier. »Kommen diese Weiber etwa auch mit?« fragte er dann mit

zitternder Stimme. »Sie bleiben in der Korvette«, entgegnete Nockemann hart. »Dann melde ich mich freiwillig zu dem Kommando in das Innere

der Station.« Blödel rollte seinen Sensorarm wieder aus und rückte näher an seinen Herrn heran. »Kann ich dir bei den Messungen helfen? Bitte!«

Draußen arbeiteten die Desintegratoren im Licht der Scheinwerfer weiter. Die entstandene Öffnung wurde nun auf ein Rechteck von zehn Metern Breite und fünf Metern Höhe vergrößert. Noch ließ sich nicht erkennen, was hinter dem Loch war.

Atlan kam selbst zu der Gruppe, die an der Außenhülle der Korvette arbeitete. Das andere Schiff lag direkt daneben, unternahm aber noch keine Maßnahmen. Der Arkonide wollte für alle Fälle ein jederzeit voll einsatzbereites Schiff in Reserve haben.

Zwischen den Transmittern der beiden Schiffe bestand eine ständige Verbindung, die notfalls als Fluchtweg genutzt werden

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konnte. Ein weiterer Transmitter schaltete sich auf eine Gegenstelle in der SOL. Hier zeigte es sich aber, daß die noch unbekannten Einflüsse, die zweifelsfrei hyperphysikalischer Natur waren und von der Kugelstation ausgingen, einen fehlerfreien Transport verhinderten.

Beförderte Probegüter waren nur zu einem Teil am Empfangsort angekommen. Den Transport von Menschen konnte man daher nicht riskieren.

»Wir sind damit praktisch abgeschnitten«, meinte Federspiel, der sich zu Atlan gesellte. »Auch der telepathische Kontakt zu Bjo unterliegt Schwankungen und Störungen.«

»Und was ortest du da drinnen?« wollte der Arkonide wissen, wobei er auf den gewaltigen Metalleib zeigte.

Federspiel antwortete nicht sofort. »Es ist zu dumm«, maulte Blödel, »daß wir Roboter keine

Telepathen sind. Dann ginge alles viel schneller und …« Auf eine drohende Geste Nockemanns hin schwieg die Maschine. »Es ist wohl so, wie die Aquarianer sagten«, äußerte sich

Federspiel schließlich. »Es gibt kein Leben mehr in der Station.« »Was uns nicht davon abbringt, weiter sehr vorsichtig zu sein«,

fügte Atlan hinzu. Drei Stunden später war man soweit, daß der erste Vorstoß

riskiert werden konnte. Das Team bestand aus drei Gleitern, von denen der vorderste

ausschließlich mit Robotern bemannt wurde. Schließlich kannte man aus dem eigenen Erleben nur einen kleinen Bereich der Station. In anderen Sektionen konnte es Fallen oder andere Überraschungen geben.

Die beiden weiteren Antigravfahrzeuge wurden bemannt. Atlan übernahm neben dem Gesamtkommando den einen Gleiter.

Den anderen führte Hage Nockemann. »Wir bleiben eng zusammen«, ordnete der Arkonide an. »Ich will

keine Extratouren.«

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»Das dürfte dem Schnauzbart schwerfallen«, rief Blödel respektlos herüber. Auf seinem behelfsmäßigen Gehäuse hockten Sanny und Argan U.

Beim Verlassen der Korvette wurde wieder die Energieschleuse benutzt, obwohl dies nach den bisherigen Erkundungen nicht notwendig gewesen wäre. Atlan bestand aber darauf, zu keinem Zeitpunkt eine direkte Verbindung zwischen der Station und den Raumschiffen herzustellen.

Die Scheinwerfer des vorausfahrenden Robotgleiters erhellten die Umgebung. Stumpf graue Wände ragten in gewaltige Höhen. In diesem Bereich gab es keine künstliche Beleuchtung.

Unter der hohen Decke wurden Flecken erkennbar, die von Feuchtigkeit herrührten. Atlan wurde bei diesem Anblick erst richtig bewußt, wie wenig man über den ganzen Mechanismus wußte.

Nach den bisherigen Erkenntnissen war die Station von den Vorfahren der EINZIGEN von Gersenter gebaut worden. Sie sollte Wassermengen über eine Art Dimensionstransmitter von einem anderen Ort abziehen und über eine zweite Transmitterstrecke nach der Welt der Nuun lenken, damit diese unterginge.

Irgendwann in der Vergangenheit war es den Nuun gelungen, den ewigen Zustrom des Wassers zu stoppen. Vollkommen war die Kontrolle über die Vernichtungsmaschine jedoch nicht gewesen. Das Wasser sammelte sich von diesem Moment an außerhalb der Station, wo es im Lauf der Jahrhunderte oder Jahrtausende den Wasserball von Aqua-I gebildet hatte.

Stabilisierungseffekte, die möglicherweise nur Nebenerscheinungen waren, sorgten dafür, daß sich ein äußerlich gleicher Planet aus Wasser auf einer synchronen Umlaufbahn um den Stern Aqua geformt hatte.

Viele Fragen waren ungeklärt, vor allem eine. Woher kamen die riesigen Wassermengen?

Inzwischen war auch dieser Prozeß gestoppt worden, und auch

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die Transmitterverbindung zwischen Aqua-I und Aqua-II, das die Nuun jetzt Neu-Aqua nannten, war endgültig zerstört worden.

Atlan wurde aus seinen Überlegungen gerissen, als der vorausfliegende Robotgleiter plötzlich anhielt und ein Warnsignal in den Funkempfängern ertönte. Automatisch stoppte auch er sein Gefährt.

Innerhalb der Station arbeiteten die Normalfunkgeräte auf kurzen Entfernungen störungsfrei. Der Kontakt zu den beiden Korvetten war jedoch schon nach knapp einem Kilometer abgerissen. Die Metallwände verhinderten eine Ausbreitung der Funkwellen.

Die Hyperfunkverbindungen waren leicht gestört, aber eine Verständigung war noch möglich.

»Was ist dort vorn los?« »Eine Wand«, berichtete ein Roboter. »Es ist kein Durchgang zu

erkennen.« Die insgesamt wohl leere Halje, in der man sich befand, war

immer schmaler geworden und in einen gut 50 Meter breiten Stollen übergegangen. Zu beiden Seiten war nichts zu erkennen als glatte Metallwände.

»Durchschweißen!« befahl Atlan. Die Roboter machten sich sofort an die Arbeit. Atlan und seine Leute verließen ihre Gleiter und verfolgten aus

der sicheren Entfernung von etwa 200 Metern die Strahlen der Desintegratoren, die sich in das Metall fraßen.

Die beiden Mirsmir-Schwestern meldeten ihre Bedenken an. »Wenn der Haupttransmitter jenseits dieser Wand liegt«, sagte

Seily, »dann könntest du durch dein Vorgehen wichtige Teile zerstören.«

»Die Zeit drängt«, widersprach Atlan. »Da kann ich in der Wahl meiner Mittel nicht übervorsichtig sein. Außerdem gehe ich davon aus, daß der Dimensionsmechanismus etwa in der Mitte der Station liegt. Bis dorthin sind es noch gut zehn Kilometer.«

»Die Zeit drängt nicht«, warf Blödel dazwischen. Atlan vermutete,

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daß Nockemann dessen Vorwitzigkeitsprogrammierung voll aktiviert hatte. »Sie zerrinnt zwischen deinen Fingern, und du spürst es nicht einmal.«

Eigentlich hat er recht, überlegte der Arkonide. Die Wand, die die Roboter durchdrangen, war nur knapp einen

halben Meter dick. Die Desintegratoren benötigten dafür nur wenige Minuten.

»Es kann weitergehen«, berichtete der Führungsroboter. »Wir haben eine Halle freigelegt, die mit unbekannten Maschinen gefüllt ist. Auch herrschen hier gute Lichtverhältnisse durch unter der Decke angebrachte Leuchtleisten.«

»Starten.« Atlan kletterte wieder in den Gleiter. Auch Nockemann machte seine Gruppe startklar. Langsam ruckten die Fahrzeuge an, während weit voraus der

Robotgleiter durch das gezackte Loch vorwärts schoß. Fahles Licht drang aus der Öffnung und erhellte auch die trostlose

Szene diesseits des Hindernisses. »Es scheint sich um eine Transformatorsektion für Hyperenergien

zu handeln«, berichtete der Führungsroboter. »Alle Systeme zeigen deutliche Anzeichen von Aktivität. Ich schicke zwei Erkunder aus, um Näheres …«

Die letzten Worte des Roboters wurden von einer gewaltigen Detonation übertönt.

Dunkler Rauch und zuckende Flammen schossen aus der Öffnung, in die Atlan gerade einfliegen wollte. Mit einem blitzschnellen Handgriff schaltete er den Schutzschirm des Gleiters ein. Dann hielt er an.

Auch Nockemann und sein Pilot hatten schnell reagiert. Die Druckwelle fegte über die Fahrzeuge hinweg, ohne einen

Schaden anzurichten. Atlan rief der Reihe nach die verschiedenen Roboter des

vorausgeflogenen Gleiters an, aber er erhielt keine Antwort.

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4.

Die Signale erreichen mich nur auf Umwegen, denn das Universum ohne nennenswertes Leben ist mir in meiner jetzigen Daseinsform verschlossen. Es wäre zu riskant, das Flekto-Yn jetzt zu verlassen. Also muß ich mich auf die dürftigen Erkenntnisse abstützen, die möglicherweise verfälscht sind.

Die Ausstrahlungen sind schwach, aber sie waren stets gleichmäßig. Nun beginnen sie sich zu verändern.

Das bedeutet eine erneute energetische Veränderung. Diese kann nur eine Ursache haben.

Atlan und seine Solaner sind auf dem Weg zum Auge. Der Durchbruch muß ihnen unter allen Umständen verwehrt werden.

Die Urjaner stehen bereit. Sie sind bestens präpariert, Kämpfer, wie man sie sich kaum besser vorstellen kann.

Daß es für keinen von ihnen eine Rückkehr auf ihre Heimatwelt gibt, wissen sie nicht.

Die Aktivierung des Auges steht unmittelbar bevor.

* »Es kann sich eigentlich nur um einen automatischen Abwehrmechanismus gehandelt haben, der den Gleiter zerstörte«, vermutete Federspiel.

Atlan nickte. »Dann sollten wir nach einem anderen Weg suchen.« Falsch! wisperte sein Extrasinn. Abwehrvorrichtungen von solcher

Schlagkraft bestehen nur dort, wo wirklich wichtige Anlagen sind. Wenn du jetzt ausweichst, kommst du nie an dein Ziel.

»Wir werden die Gefahr beseitigen«, teilte Atlan den anderen mit, die ratlos um ihn herum standen. »Wir gehen den geraden Weg.«

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Er stellte einen Trupp aus sechs Robotern zusammen und schloß selbst seinen Kampfanzug. Fünf Solaner, die ebenfalls mit Schutzanzügen ausgerüstet waren, begleiteten den Arkoniden.

Auch die Molaatin Sanny schloß sich der Gruppe an. Sie verfügte über eine Spezialkonstruktion eines Kampfanzugs, der mit einem zusätzlichen Antigravaggregat versehen war, da die zierliche Paramathematikerin nicht in der Lage gewesen wäre, die Ausrüstung selbst zu schleppen.

»Ihr bleibt hier an unserem Eingang«, sagte Atlan beim Aufbruch. »Nur im äußersten Notfall wird eingegriffen.«

Federspiel, der das Kommando bei den Zurückbleibenden führte, nickte.

Zu Fuß näherte sich die Gruppe Atlans der Durchbruchsstelle. Vorsichtig wurde die Umgebung sondiert. Sanny mit ihrer Paragabe drängte sich vor den Arkoniden und

warf einen Blick in die große Halle. Die andere Seite des Raumes war nicht erkennbar, denn gewaltige

Maschinenblöcke versperrten die Sicht. Zwischen zwei nur knapp 50 Meter entfernten Aggregaten, die je eine Höhe von mindestens 20 Meter besaßen, lagen die Trümmer des Robotgleiters und dessen Insassen.

Die Zerstörung war vollkommen. Sie mußte so schnell erfolgt sein, daß nicht einmal die positronischen Gehirne zu einer Schutzreaktion fähig gewesen waren.

Die Urheber der Aktion waren nicht erkennbar. »Vielleicht eine Energiesperre«, vermutete einer der begleitenden

Solaner. Er richtete seine tragbaren Meßvorrichtungen in den Raum. »Eine Unmenge von Hyperstrahlungen«, meinte er dann, »aber

nichts Konkretes, was die Zerstörung des Gleiters erklären könnte.« Atlan winkte einem der Roboter. »Schutzschirm auf höchste Werte.« Er deutete auf die Trümmer.

»Und dann gehst du dorthin.« Die Maschine erhob keinen Einwand, obwohl ihre Positronik eine

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hohe Wahrscheinlichkeit für eine bevorstehende Vernichtung berechnete.

Auch Atlan hatte das erwartet, aber es passierte nichts. Der Roboter erreichte die bezeichnete Stelle, schritt zwischen den

noch glühenden Bruchstücken auf und ab und beobachtete die Umgebung.

»Ich kann nichts Ungewöhnliches feststellen«, rief er Atlan zu. »Ich auch nicht«, teilte ihm Sanny mit. Nun wagte auch der Arkonide ein paar Schritte nach vorn. Die Gruppe ging hinter einem nicht ganz mannshohen Block in

Deckung. Atlan starrte über den Metallkasten, während Sanny um eine Ecke lugte.

»Warum bleibt der Robot unversehrt?« grübelte Atlan. Du übersiehst die Unterschiede, machte ihn sein Extrasinn

aufmerksam. Der Gleiter besaß eine viel größere Masse. Auch hatte er die Schutzschirme nicht voll aktiviert. Außerdem, und das könnte der entscheidende Grund sein, befindet sich nun organisches Leben hier drin. Du und deine Begleier.

»Es liegt an uns«, sagte Sanny im gleichen Moment und unterstrich damit die Aussage des Logiksektors. »Der Abwehrmethanismus hat festgestellt, daß Intelligenzen gefährdet werden könnten.«

»Also war es falsch«, vermutete Atlan, »die Roboter vorzuschicken.«

»Nicht unbedingt«, widersprach die Paramathematikern. »Nur so konnten wir überhaupt etwas von der Existenz der Abwehrmechanismen erfahren.«

»Vorsicht!« brüllte fast gleichzeitig einer der Solaner. Ein lautes Prasseln lag in der Luft. Atlan fuhr herum. Dort, wo die herausgeschweißte Öffnung in der Hallenwand war,

baute sich in Sekundenschnelle eine wabernde grüne Wand auf. Sie füllte das ganze Loch aus.

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Es war nicht erkennbar, von welchem Ort aus dieser Energieschirm gesteuert wurde.

Gleichzeitig zeigten die Funkgeräte an, daß keine Verbindung mehr zu dem Nachkommando oder zu den Korvetten bestand.

»Abgeschnitten!« stellte Sanny überflüssigerweise fest. Die Roboter ruckten herum und rissen ihre Waffenarme hoch. Aus einer Gasse zwischen den Maschinen schoß ein riesiger

glänzender Körper auf Atlan und seine Begleiter zu. Auf den ersten Blick ähnelte er einem riesigen Tausendfüßler. Das

Ding war über 20 Meter lang und besaß an beiden Seiten eine Unzahl von kleinen Metallbeinen, die sich rasend schnell bewegten.

Elegant bog der Tausendfüßler um eine letzte Ecke. Dabei zeigte sich, daß der zwei Meter breite und ebenso hohe Roboter aus einzelnen Gliedern bestand, die in sich flexibel und drehbar waren.

Auf seiner flachen Oberseite gab es mehrere kleine Auswüchse, die Atlan vermuten ließen, daß es sich um Antennen oder Sensoren handelte.

Jedenfalls war dieses Ding das Produkt einer völlig fremdartigen Technik. Im Unterschied zu den teilweise heruntergekommenen Hallen der Station und den verstaubten Maschinenblöcken wirkte der Tausendfüßler funkelnagelneu. Seine Oberfläche glänzte in einem silbrigen Schein.

»Eine metallische Riesenraupe«, stöhnte Sanny. »Ich kann sie nicht berechnen.«

Das Ding hielt wenige Meter vor der Gruppe an. Es bewegte seinen Kopfteil hin und her, als würde es die Eindringlinge mustern. Wahrscheinlich tat es das auch, obwohl keine optischen Sensoren erkennbar waren. Das besagt natürlich wenig.

»Es scheint unbewaffnet zu sein«, stellte einer der Solaner fest. »Unbewaffnet«, antwortete eine knarrende Stimme aus dem

Tausendfüßler, die einen seltsamen Kontrast zu dem technisch perfekten Gebilde darstellte.

»Kannst du uns verstehen?« rief Atlan laut.

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»Verstehen«, antwortete die Maschine. Mehrere kleine Lämpchen auf der Oberseite begannen zu flackern. »Informationen.«

»Sie besitzt eine Translatoreinrichtung«, stellte Sanny fest. »Und sie benötigt weitere Bestandteile unserer Sprache.«

»Sprache«, krächzte der Tausendfüßler. Eine Wellenfront lief durch seine metallenen Gliedmaßen, dann

sank der mächtige Leib ein Stück nach unten. Es war, als ob sich der Roboter hinhocken würde. Er fuhr lappenartige Schürzen, die zweifellos auch aus Metall waren, zu beiden Seiten aus, so daß die Füße davon überdeckt wurden.

»Ich werde es versuchen.« Atlan steckte seine Waffe ein und trat auf die Maschine zu. Er begann ihr in knappen Worten zu erklären, aus welchem Grund sie hier waren und daß sie keine feindlichen Absichten verfolgten. Gleichzeitig lieferte er dem Tausendfüßler damit umfangreiche Bestandteile des Interkosmo.

Als er geendet hatte, antwortete der Roboter zunächst nicht. »Er denkt nach«, meinte Sanny. »Und er analysiert unsere

Sprache.« Als die Maschine sich dann wieder meldete, klang ihre Stimme

klar und deutlich. »Betrachtet euch als meine Gefangenen«, erklärte sie. »Und

beantwortet eine Frage! Warum habt ihr einen Teil der Streuenergie abgezapft?«

Atlan stand vor einem Rätsel, denn er verstand das Problem nicht. Auch sein Extrasinn schwieg. Das war ein deutliches Zeichen.

»Ich weiß nicht, was du meinst«, antwortete er wahrheitsgemäß. Sanny blickte an ihm hoch. »Sprich weiter«, bat sie. »Ich muß mehrere Daten haben, um etwas

berechnen zu können.« »Uns ist von der Abzapfung einer Streuenergie nichts bekannt«,

fuhr Atlan fort. »Wenn du uns näher erklärst, was du meinst, können wir dir bestimmt helfen. Dann wirst du auch einsehen, daß es keinen Grund gibt, uns festzuhalten.«

Page 44: Das Auge zum Jenseits

»Ihr seht diese Maschinenhalle«, erläuterte der Roboter bereitwillig. »Sie formt die gewonnenen Hyperenergien für den Übergang um. Dabei entstehen stabile Energiefelder. Aus einem wurde ein Teil entfernt. Dadurch wurde ich aktiviert, denn ich sorge für die Ordnung hier.«

»Er spricht von der Energie des vermuteten Dimensionstransmitters«, warf Sanny ein.

»Ich habe dir den Grund unseres Hierseins genannt«, antwortete der Arkonide. »Wir suchen einen Übergang in unser Universum. Nach Auskunft der EINZIGEN von Gersenter gibt es hier eine solche Stelle.«

»Die EINZIGEN existieren nicht mehr«, behauptete der Tausendfüßler. »Sie haben sich nie um die Station und mich gekümmert.«

»Es gibt sie noch«, widersprach Atlan. Sanny war unterdessen näher an den Roboter getreten. Mit Hilfe

ihres Antigravaggregats schwebte sie in die Höhe. Atlan wollte ihr eine Warnung zurufen, aber er unterließ es im

letzten Moment. Sanny war clever genug zu wissen, was sie tat. »Warum hast du meinen Robotgleiter zerstört?« fragte Atlan

weiter und deutete auf die Trümmer. Die Antwort überraschte ihn. »Weder ich noch die hiesigen Einrichtungen tragen dafür die

Schuld. Die Maschine geriet in das Bündel aus Hyperenergien, die unbefugt abgezogen wurden. Das bewirkte ihre Zerstörung. Ich habe lediglich als Vorsichtsmaßnahme das entstandene Loch in der Wand abgedichtet.«

»Der Kasten sieht die Sache vollkommen falsch«, rief Sanny Atlan über Funk zu. Sie sprach dabei Molaatisch, weil sie nicht wollte, daß der Tausendfüßler ihre Diagnose verstand.

»Die Koordinationszentrale existiert schon lange nicht mehr«, gab der Roboter zu. Atlan konnte sich vorstellen, daß er damit die eigentliche Zentralstelle der ganzen Station meinte. »Ich weiß nicht,

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was ich mit euch machen soll.« »Aber ich!« Sanny ließ sich blitzschnell nach unten sinken. Atlan konnte nicht

genau verfolgen, was sie tat. Ihre Händchen griffen in eine Öffnung an der Oberseite des

Tausendfüßlers. Im gleichen Moment erloschen alle Lichter der Maschine. Die sich langsam bewegenden Sensoren blieben ruckartig stehen.

»Ich habe den Abschaltmechanismus betätigt«, erklärte die Molaatin. »Ich hoffe, daß war in deinem Sinn, Atlan.«

Der Arkonide wagte sich nun auch näher an den Metallwurm heran. Er zog sich an einer Seite hoch und hockte sich neben die Molaatin, die gerade eine Schalttafel freilegte.

»Damit müßte sich diese Raupe doch in den Griff bekommen lassen«, meinte sie.

Ihre Finger berührten mehrere Tasten, ohne daß etwas geschah. Die angebrachten Symbole waren für Atlan nicht zu deuten, aber er ließ Sanny gewähren.

»Was tust du da?« fragte er etwas mißtrauisch. »Diese Maschine ist wohl das Überwachunsorgan dieser ganzen

Halle«, erläuterte die Paramathematikerin, die mit ihren Psi-Instinkten versuchte, den komplexen Mechanismus zu begreifen. »Sie stammt zweifelsfrei von den Vorfahren der heutigen EINZIGEN. Über die weiß ich eine Menge, so daß es klappen könnte.«

Auf einen weiteren Sensordruck flammten einige der Lichter wieder auf.

»Vertell-Null empfangsbereit«, sagte der Tausendfüßler. »Hah!« machte Sanny und strahlte Atlan an. Dann klopfte sie mit der Hand auf das Dach des Metallwurms. »Hör genau zu, Vertell-Null«, befahl sie mit hoher Stimme. »Du

gehorchst ab sofort nur noch meinen Anweisungen und denen Atlans. Verstanden?«

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»Verstanden. Aber wer ist Atlan?« »Der Mann, der neben mir sitzt. Speichere seine Daten in dir ab.« »Ist geschehen.« »Entferne den Energieschirm vor der Öffnung in der Wand!« »Das ist mit einem Risiko verbunden«, wehrte der Roboter ab. »Ich denke und befehle«, drängte die Paramethematikerin. »Und

du gehorchst!« Vertell-Null antwortete nichts, aber der Energieschirm erlosch. »Bestehen Gefahren für uns?« fragte Sanny. »Nein«, lautete die Antwort. »Es sei denn, daß wieder ein

Unbefugter die Streustrahlung anzapft. Dann kann ich euch auch nicht schützen.«

Atlan starrte Sanny an. »Du wirst mir langsam unheimlich, Kleines«, räumte er ein. »Aber es sieht so aus, als hättest du diesen Roboter unter deiner Kontrolle.«

Die Molaatin nickte. »Ich frage mich, wer oder was den Robotgleiter zur Explosion brachte. Aber ich finde keinen Hinweis. Vertell-Null weiß wohl auch nichts.«

»Wenn ihr es nicht wart«, erklärte der Tausendfüßler, »dann weiß ich es auch nicht. Die Fremden, die lange Zeit in den abgeschotteten Räumen gewesen waren, sind alle verschwunden.«

»Er meint die Aquarianer«, stellte Atlan fest. »Wenn kein technisches Versagen vorlag, das den Gleiter zerstörte, dann gibt es nur eine Schlußfolgerung. Wir haben hier noch einen Gegner.«

»Über den wir nichts wissen«, ergänzte einer der Solaner. Er hatte inzwischen den Rest der Gruppe informiert. Nockemann und die anderen waren in die Halle nachgerückt.

»Vielleicht wäre es besser«, vermutete der Arkonide, während sein Blick über den riesigen Maschinenpark glitt, »alles von Vertell-Null abschalten zu lassen. Möglicherweise wäre die unbekannte Gefahr dann beseitigt.«

»Und der Transmitter«, warf Fasta Mirsmir ein, »den wir suchen, wäre ohne Energie.«

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»Viel weiter würde uns das nicht bringen.« Sanny machte es sich vor dem Schaltpult des Raupenroboters bequem. »Und da die Zeit drängt, mache ich einen anderen Vorschlag. Vertell-Null soll uns zeigen, wo die eigentliche Transmitterstation ist. Er kennt sich hier aus.«

»Es gehört zwar nicht zu meinem Auftrag«, erklärte der Roboter, »diese Halle zu verlassen, aber wenn ich es befohlen bekomme, werde ich es machen.«

Atlan stellte zufrieden fest, daß Sanny den metallischen Tausendfüßler fest unter Kontrolle hatte.

»Wo befindet sich der Transmitter«, fragte er die Maschine, »der in ein anderes Universum führt?«

»Ich war dort nur einmal. Das war, als die Station in Betrieb genommen wurde. Die Transmitterhalle liegt jenseits des nächsten Raumes. In euren Maßstäben beträgt die Entfernung etwa acht Kilometer. Das Problem ist, daß es keinen direkten Zugang mehr gibt, denn die Halle wurde auf automatischen Betrieb umgeschaltet.«

»Die Metallwände stellen für uns keine Hinderhisse dar. Führe uns, Vertell-Null!«

Sanny thronte auf dem Roboter, als sich dieser in Bewegung setzte. Die beiden Gleiter folgten dicht dahinter.

Federspiel setzte über Hyperfunk, der auch jetzt noch teilweise gestört war, einen Zwischenbericht an die Korvetten ab. Dort machte sich ein zweiter Trupp aus Solanern und Robotern fertig, der den Rückweg kontrollieren und sichern sollte.

Während des Durchquerens der Halle wurden die beiden mitgeführten transportablen Kleintransmitter in Betrieb genommen. Ein paar Gegenstände wurden probeweise zu den Korvetten und zurück befördert.

Es traten keine Störungen auf. Auch in dieser Hinsicht war also ein weiterer Fluchtweg möglich,

wenn man in eine erneute Gefahr geraten sollte.

Page 48: Das Auge zum Jenseits

Federspiel teilte Atlan allerdings mit, daß der Kontakt zur SOL völlig abgerissen war. Nach draußen bestand also nur noch die brüchige Transmitterverbindung von den Korvetten aus, über die man in keinem Fall Personen befördern konnte.

»Egal«, entschied Atlan. »Wir stehen kurz vor einem möglichen Erfolg. Wir machen weiter.«

Schließlich erreichten sie die andere Seite der Halle. Wie Vertell-Null gesagt hatte, gab es hier keine Tore oder Schleusen.

Wieder traten die Desintegratoren in Aktion. Sie schweißten ein Loch in die Metallhaut, und als dieses groß genug war, setzte Sanny den Tausendfüßler in Bewegung.

Modriger Geruch schlug ihr entgegen. »Hier hat sich einiges verändert«, meldete Vertell-Null. »Dies war

früher einmal ein Raum, in dem das abgezapfte Wasser zwischengespeichert wurde.«

Die Scheinwerfer glitten über die Wände bis in eine Höhe von zwei oder drei Kilometern. Überall wuchsen moosartige Pflanzen, die den ganzen Raum mit einem Teppich überzogen.

An einigen Stellen bildete das Moos mannsgroße Anhäufungen. Die Szene war friedlich und doch bedrückend, denn es fehlte jegliche künstliche Beleuchtung.

Sanny unterhielt sich mit Vertell-Null. Sie versuchte, mehr über den Zweck und die Mechanismen der Station zu erfahren, aber der Roboter wußte auch nur über die grundsätzliche Aufgabe einiges. Er konnte somit kaum neue Informationen weitergeben.

Langsam bewegten sich die drei Fahrzeuge weiter. Atlan hielt die Gleiter dicht über den Boden, aber Vertell-Null

mußte seine Metallfüße benutzen, um vorankommen zu können. Die Ortung ergab, daß die jenseitige Wand fünf Kilometer entfernt

war. Dahinter sollte der Transmitterraum liegen, und das war schon nahe dem Zentrum der Station.

Unbemerkt von allen begannen die Moosflächen sich zu verschieben. Sie bildeten eine breite Gasse, die direkt den

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vorgesehenen Weg ausmachte. Als die Mitte der Speicherhalle erreicht war, geschah es. In Sekunden wuchsen die Moosberge in die Höhe. Sie wölbten

sich über die drei Fahrzeuge und schlugen dort mit einem schmatzenden Geräusch zusammen.

Dann stürzten die feuchten Matten in die Tiefe und hüllten die drei Fahrzeuge ein.

Sannys Schrei gellte durch den Raum. Im Licht der Scheinwerfer sah Atlan, wie große dunkelgrüne Fladen auf die Molaatin fielen, die ihren Schutzanzug nicht geschlossen hatte.

5. Es ging für die zierliche Molaatin alles viel zu schnell, als daß sie noch vernünftig hätte reagieren können.

Von allen Seiten stürzten teppichgroße Fladen auf sie herab. Vertell-Null hatte automatisch angehalten. Auch das Moos auf

dem Boden der Halle richtete sich auf und schlug klatschend gegen die Füße und die Metallwände des Roboters.

Sanny hielt schützend ihre Hände vor das Gesicht. Das war wenig mehr als eine instinktive Reaktion, denn es wäre sinnvoller gewesen zu versuchen, den Helm ihres Schutzanzugs zu schließen.

Im Nu war es um Sanny herum stockdunkel. Doch der erwartete Aufprall der Moosgeflechte blieb aus. Langsam faßte sich die Molaatin wieder und blickte sich um. Sie

sah nichts, aber sie spürte förmlich, daß sie eingeschlossen war. An ihrer Hüfte baumelte eine kleine Handlampe. Sie griff danach

und schaltete sie ein. Sie hockte noch auf der Oberseite von Vertell-Null. Aber der

Roboter war um sie herum überall mit dicken Moospacken bedeckt, die sich zu allen Seiten auftürmten.

Die Lampe beschrieb einen Kreis.

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Nun sah Sanny, daß sich eine Kugel gebildet hatte, in die die feuchten Pflanzen nicht eingedrungen waren. Diese Kugel durchmaß etwa einen Meter. Die Innenseite, die sie ja nur sehen konnte, war völlig glatt, so als ob ein unsichtbares Hindernis das Moos am Eindringen hinderte.

Sie konnte sich dieses Phänomen nicht erklären. Vorsichtshalber schloß sie zuerst ihren Kampf anzug und schaltete

den dazugehörigen Scnutzschirm ein. Da sie keine Waffe mit sich trug, saß sie dennoch fest.

Ihre Zuversicht kehrte nach dem ersten Schock schnell wieder zurück. Atlan und die anderen würden das Problem schnell lösen, denn das Moos stellte schließlich keinen ernsthaften Gegner dar.

So weit war sie mit ihren Gedanken gekommen, als sie eine wispernde Stimme zu hören glaubte. Die Worte klangen fremdartig und doch irgendwie vertraut.

Ein anderes Licht schimmerte durch die Dunkelheit. Es kam schnell näher, und dann ragten kleine hellgrüne und fahlrosafarbene Sechsecke durch jene imaginäre Grenze, die das Moos nicht hatte überwinden können.

»Chybrain!« flüsterte Sanny ehrfürchtig. Nun identifizierte sie das Wispern, das sie gehört hatte. Ihre Hand glitt nach vorn und berührte das geheimnisvolle

Kristallei. Wie bei der früheren Begegnung verspürte Sanny keine Furcht vor dem unbekannten Wesen.

Chybrains Hülle fühlte sich warm und wohltuend an. Aber Sanny sagte sich, daß wahrscheinlich nur sie das so empfand, denn für alle anderen war Chybrain zwar sichtbar, aber scheinbar nicht körperlich vorhanden.

So wie das Kristallei jegliche Materie durchquerte, als sei diese nicht vorhanden, so konnte niemand außer ihr Chybrain berühren.

»Dir habe ich also meine Rettung zu verdanken«, sagte Sanny und hoffte, daß Chybrain sich auch äußern würde.

Dessen Oberfläche leuchtete abwechselnd hell und dunkel auf. Die

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roten und grünen Flächen wechselten in schneller Folge, als sei es aufgeregt.

Plötzlich glühte der ganze Körper auf. Sanny fühlte sich von einer unbekannten Kraft angefaßt. Für

Sekunden hüllte sie eine strahlende Helligkeit ein. Ihre Sinne taumelten. Der Boden wurde ihr unter den Füßen

weggerissen. Es gab kein Oben oder Unten mehr. Die unvermutete Schwerelosigkeit drohte ihr den Magen umzudrehen.

Sie griff nach dem Regulator ihres Antigravaggregats, aber ihr Finger glitten durch das Material, als wären beide körperlos.

Etwas Unheimliches geschah mit ihr. Sie fühlte ihren Körper, und doch war dieser nicht mehr vorhanden.

Der Spuk endete mit einem dumpfen Aufprall. Der noch eingeschaltete Schutzschirm ihres Anzugs verhinderte einen härteren Stoß.

Die Molaatin stand auf. Sie spürte wieder festen Boden unter den Füßen, und auch ihre körperliche Substanz verhielt sich wieder normal.

Der Raum war nur fünf mal fünf Meter groß. An der Decke brannte ein Beleuchtungskörper, der typisch für die Aqua-I-Station war.

Sie folgerte, daß sie innerhalb der Station an einen anderen Ort befördert worden war. Eine Erklärung dafür gab es nur insoweit, als sie Chybrain dafür verantwortlich machte.

Wahrscheinlich, so sagte sie sich, hatte er sie vor einer Gefahr retten wollen. Allerdings hatte sie keine Anzeichen dafür bemerkt, daß ihr eine erneute Gefahr drohte.

Der eingeschaltete Schutzschirm allein hätte sie vor den Moosmassen bewahrt. Ein Rätsel blieb also.

Sie griff nach ihrem Funkgerät und rief nach Atlan, aber sie bekam keine Antwort.

Da die Anzeigen ihres Anzugs eine atembare Atmosphäre signalisierten, öffnete sie den Helm. Auch hier hatte dje Luft den

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typischen Geruch, den sie aus dem Innern der Station kannte. Der Raum besaß einen Ausgang, der jedoch verschlossen war.

Sonst wies er keine Besonderheiten oder irgendwelches Mobiliar auf.

Sie versuchte, den Öffnungsmechanismus zu erreichen, aber er lag zu hoch. Bevor sie mit Hilfe des Antigravs in die Höhe schweben konnte, ließ sie ein Geräusch herumfahren.

Aus der gegenüberliegenden Wand glitt Chybrain. Sanny starrte das Ei an, aber sie fand nicht den geringsten

Ansatzpunkt für ihre paramathematischen Berechnungen. »Vielleicht erklärst du mir einmal«, drängte sie, »was das alles

bedeuten soll!« Chybrain war nicht anzumerken, ob er die Worte überhaupt

vernommen hatte. Er hielt etwa in der Mitte des Raumes an. Dabei sank er nach unten, bis er wenige Zentimeter über dem Boden schwebte.

Aus dem Nichts bildete sich vor ihm auf dem Boden ein Muster auf der Metallfläche, das schnell in gerade, senkrecht aufeinanderstehende Linien überging.

Sanny schritt auf die Stelle zu. Sie erblickte ein kleines Feld, wie sie es öfters bei den Menschen

auf der SOL gesehen hatte, die sich in ihrer Freizeit mit Spielen unterhielten.

Vierundsechzig Felder waren in einem Achterquadrat angeordnet. Ein Schachbrett oder … Danach erschienen ohne erkennbaren Grund die Figuren. Sanny

sah, daß Chybrain (nur der konnte es sein!) kleine runde Chips erzeugte, die er auf die Felder plazierte. Es waren zwölf auf jeder Seite, die zueinander versetzt auf den dunkleren Quadraten lagen.

Zu Sannys Seite lagen die grünen Steine, bei Chybrain die roten. »Ein Damespiel«, entfuhr es der Molaatin. Das Kristallei reagierte nicht. »Du willst doch nicht etwa verlangen«, begehrte Sanny wütend

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auf, »daß ich jetzt mit dir Dame spiele. Ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier. Atlan und ich verfolgen ein bestimmtes Ziel, und so, wie ich dich inzwischen kenne, weißt du das ganz genau.«

Wieder gab es keine Reaktion von Chybrains Seite. Sanny war das Verhalten dieses Wesens ein Rätsel. Etwas

Unnahbares ging von Chybrain aus, das keine Möglichkeit für eine logische oder paramathematische Erklärung erlaubte.

Eine der roten Figuren Chybrains bewegte sich von selbst ein Feld schräg nach vorn. Das Kristallei hatte das Spiel eröffnet.

»Ich denke nicht daran, diesen Unsinn mitzumachen.« Trotzig verschränkte die Paramathematikerin ihe Arme vor der Brust.

Sie hatte gelegentlich auf der SOL dieses Spiel zwar schon gespielt. Den Solanern war jedoch sehr bald die Lust daran vergangen, sich auf diese Weise mit ihr die Zeit zu vertreiben, denn sie besaßen in keinem Fall den Hauch einer Chance, gegen Sanny zu gewinnen.

»Spiel doch mit dir selbst!« rief sie laut. Im gleichen Augenblick erfaßte sie erneut das taumelnde Gefühl.

Die Umgebung verschwand, das grelle Licht flammte auf, der Boden unter ihren Füßen löste sich auf.

Die Helligkeit wich einer totalen Schwärze, und sie hatte das Gefühl, wieder in der Kugel zu, hocken, außerhalb der das Moos nach ihr gierte.

Sie hörte Chybrains wispernde Stimme, aber sie verstand nicht die Worte.

Dann befand sie sich übergangslos wieder in dem kleinen Raum. Vor ihr schwebte Chybrain, und das Spielfeld lag unverändert da. Sie erkannte, daß das Kristallei eine bestimmte Absicht verfolgte.

Der Sinn des Spiels blieb ihr zwar verborgen, aber die Drohung war deutlich gewesen.

Chybrain schien nicht zu spaßen. Sie hockte sich auf den Boden und nahm einen Konzentratwürfel

aus einer Tasche. Während sie langsam zu kauen begann, griff sie nach vorn und bewegte einen ihrer grünen Figuren.

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Chybrain reagierte sofort und setzte seinerseits den nächsten Zug. Es war für Sanny irgendwie enttäuschend, daß sie das Spiel mit

Leichtigkeit gewann. Noch enttäuschender war, daß Chybrain die Figuren sofort nach

der Niederlage wieder in die Ausgangsposition brachte. Offensichtlich wartete er nun darauf, daß Sanny den Eröffnungszug machte.

Mit einem Seufzer folgte sie dem unausgesprochenen Wunsch. Oder war es ein Befehl?

* Atlan und seine Leute reagierten schnell und routiniert.

Die Schutzschirme hatten den ersten Ansturm der Moosteppiche abgehalten. Den Rest besorgten die Waffen, die die Pflanzen zerstrahlten.

Hage Nockemann wetterte zwar wie ein Wilder. Er wollte unbedingt ein Stück des aggressiven Mooses in seinen Besitz bekommen, da er sich als Galakto-Genetiker und Biologe davon neue Erkenntnisse versprach, aber darauf konnte man zunächst keine Rücksicht nehmen.

Das Zerstrahlen der feuchten Pflanzen dauerte dennoch mehrere Minuten.

Federspiel war es zu verdanken, daß man den unerwarteten Angriff sehr schnell als reine Instinktreaktion erklären konnte, denn das Moos besaß keinerlei Intelligenz.

Es reagierte auch überhaupt nicht auf den Beschuß. Atlan konzentrierte das Feuer von Anfang an auf die Stelle, an der

Vertell-Null zum Zeitpunkt des Überfalls gestanden hatte. Seine Enttäuschung war groß, denn als man den Roboter freigelegt hatte, fand sich von Sanny keine Spur.

Der Arkonide schickte die Roboter los. Die Scheinwerfer der

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Gleiter erhellten die riesige Halle, aber man entdeckte keine Spur der kleinen Molaatin.

»Nockemann soll feststellen, ob das Moos sie aufgelöst haben könnte«, sagte Atlan erregt. Tränen standen in seinen Augen. »Man müßte doch zumindest ihren Raumanzug finden.«

»Warte!« Federspiel hob seinen Kopf. »Man kann Sanny als Telepath zwar kaum orten, denn sie besitzt eine starke Immunität, aber ich vermeine, sie irgendwo zu spüren.«

Atlans Gesichtszüge glätteten sich. »Sie lebt?« Federspiel nickte langsam. Ganz sicher schien er sich jedoch nicht

zu sein. Seine telepathischen Fähigkeiten waren bei weitem nicht so ausgeprägt wie die Bjo Breiskolls.

»Ich nehme einen Gedanken von ihr wahr«, behauptete der Solaner. »Das Merkwürdige daran ist nur, daß sie etwas Unsinniges denkt. Jetzt ist der Kontakt wieder fort.«

Blödel rollte heran. »Das Moos ist eigentlich harmlos«, berichtete er. »Es war so

ausgehungert, daß es instinktiv alles angriff. Es würde Stunden oder Tage dauern, bis es einen Körper zur Verwesung gebracht hätte, um dann die Nährstoffe aufzunehmen. Es kann Sanny nicht zerstört haben.«

»Das höre ich gern.« Atlan atmete endgültig auf. »Aber wo, zum Teufel, steckt sie?«

»Es ist unwahrscheinlich«, säuselte Blödel, »daß der Teufel etwas mit der Sache zu tun hat.«

Atlan ging nicht auf diese Bermerkung ein. Er wandte sich wieder an Federspiel.

»Was hat Sanny gedacht?« Der Mutant zögerte. »Ich muß wohl etwas falsch aufgefaßt haben«, gab er dann zu.

»Sicher bin ich mir nur darin, daß sie etwas gedacht hat.« »Ich möchte wissen, was sie gedacht hat, Federspiel. Jeder

Hinweis kann uns nützen.«

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»Sie hatte keine rechte Lust, Dame zu spielen.« Federspiel zog verlegen die Schultern hoch. Er wollte selbst nicht glauben, was er sagte. »Ich meine dieses Brettspiel. Aber schließlich gab sie nach und begann doch das Spiel.«

Selbst Atlans Extrasinn schwieg zu dieser fragwürdigen Darlegung des Solaners.

Der Arkonide schwang sich auf Vertell-Null. »Hörst du mich?« »Natürlich«, antwortete die Maschine sofort. »Du bist Atlan, und

du bist autorisiert.« »Wohin ist Sanny verschwunden, Vertell-Null? Du mußt doch

beobachtet haben, was geschah.« »Sie existierte Sekunden nach dem Angriff der Kleinpflanzen nicht

mehr. Ich habe keine Erklärung für ihr Verschwinden.« Mit dieser Auskunft konnte Atlan auch nichts anfangen. Inzwischen waren die ausgeschickten Roboter zurückgekehrt.

Auch sie hatten nicht die geringste Spur der Molaatin entdeckt. Da Federspiel ihre Nähe oder Gegenwart auch nicht mehr wahrnahm, beurteilte Atlan die Suche als sinnlos.

Man steckte regelrecht in einer Sackgasse. »Hier können wir nicht gut übernachten.« Blödel reagierte als

erster auf Atlans Zögern. Der stand noch nachdenklich da und beobachtete, wie Vertell-Null

begann, sich selbst zu reinigen und die Reste des Mooses, die an seinem Metallrumpf klebten, zu entfernen. Der Roboter fuhr dazu aus seinem Heck eine kleine mobile Einheit aus, die an einen überdimensionalen Staubsauger erinnerte, der zusätzlich mit einer Waschanlage ausgerüstet war.

»Hier ist sie nicht«, stellte Atlan fest. »Wenn sie noch in der Nähe sein sollte, dann kaum in dieser Halle. Wir gehen weiter. Federspiel, du konzentrierst dich nur noch auf Sannys Gedanken. Wenn du etwas spürst, versuche die Richtung festzustellen.«

Unzufrieden über den eigentlich harmlosen Zwischenfall, der nur

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wegen Sannys spurlosem Verschwinden tragisch geworden war, flogen sie weiter. Vertell-Null bildete unaufgefordert wieder die Spitze, obwohl niemand mehr auf seinem Metallrücken hockte.

Atlan ließ die Schutzschirme eingeschaltet, aber das Moos verhielt sich nun völlig defensiv. Es wich vor den herannahmenden Gleitern und dem Tausendfüßler-Robot sogar zurück.

Noch bevor man die jenseitige Wand erreichte, teilte Federspiel dem Arkoniden mit, daß er wieder einen kurzen Gedanken Sannys erhascht hatte. Es war merkwürdig, aber die Molaatin schien noch immer mit einem Damespiel beschäftigt zu sein.

Die hohe Decke der Halle neigte sich zum Rand hin nach unten. Atlan ließ anhalten.

Er begab sich zu Vertell-Null, um diesen zu befragen. Der Roboter behauptete, daß jenseits der vor ihnen liegenden Wand der gesuchte Transmitter war.

Dann bat er darum, an seinen eigentlichen Aufenthaltsort zurückkehren zu dürfen, um die Maschinen zu warten. Atlan entsprach diesem Ersuchen, zumal inzwischen klar war, daß die Aggregate in der Halle für den Transmitter auch eine Bedeutung hätten.

Er schärfte Vertell-Null ein, sich freundlich und hilfsbereit gegenüber den Solanern zu verhalten, und der Roboter sicherte dies zu.

Während die vielfüßige Maschine in der Dunkelheit verschwand, begannen die Solaner und ihre Roboter damit, Schicht um Schicht von der Wand abzutragen.

Fasta und Seily Mirsmir, die beiden Spezialistinnen für Transmittertechnik, hatten nachdrücklich darum gebeten, vorsichtig zu Werk zu gehen.

So dauerte dieser Vorgang fast eine Stunde, denn die Wand besaß eine Stärke von gut zwei Metern.

Schließlich lag die Öffnung frei. Licht flutete heraus und blendete den Arkoniden für Sekunden. Als er dann einen Blick in den Raum

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hinter dem Durchbruch warf, zuckte er enttäuscht zusammen. Der Raum war zwar mit technischen Geräten vollgepfropft, aber

nichts davon erinnerte an die alte Maschine, die er auf Gersenter gesehen hatte. Auch durchmaß die runde Halle nur knappe 50 Meter.

»Wenn das ein Transmitter in eine andere Dimension ist«, lachte Blödel respektlos, »dann saufe ich alles Wasser von Aqua-I.«

Atlan winkte die Mirsmir-Schwe-stern heran. »Schaut euch das einmal an«, bat er und deutete auf die

Schalteinrichtungen, die an der Wand der Halle aufgereiht waren. Fasta und Seily dirigierten den Gleiter heran, auf dem ihre

Ausrüstung verstaut war. Die Roboter schleppten die Geräte in die Halle.

Schweigend begannen die beiden Frauen, die Systeme zu untersuchen.

»Noch keine Spur von Sanny?« fragte Atlan Federspiel. »Nichts mehr außer dem vagen Gedanken von vorhin«, mußte der

Mutant zugeben. Zwei Stunden später kam Seily zu Atlan. »So schlecht sieht die Sache nicht aus«, berichtete sie. »Zweifellos

hat Vertell-Null nicht gelogen. Dies ist die Schaltstation für ein transmitterähnliches Ding. Die Frage bleibt aber offen, wo der eigentliche Transmitter steht. Wir fanden keinen Hinweis darauf.«

Atlan ließ sich die wichtigsten Einzelheiten erklären. »Wir sind also an dem selbstgesetzten Ziel«, stellte er fest. »Und

doch haben wir es eigentlich nicht erreicht.« »Noch nicht«, korrigierte ihn Fasta. »Ich habe einen Plan. Wir

haben die Symbole restlos entschlüsselt. Sie waren identisch mit der Sprache der EINZIGEN. Wir können einen Probebetrieb aufnehmen. Vielleicht erfahren wir dann, wo der eigentliche Transmitter ist.«

»An die Arbeit!« Wenig später flackerten die ersten Kontrollanzeigen. Der Boden begann unter der Gewalt der Energien zu summen und

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dann zu dröhnen.

6. Ein Signal aus dem Diesseits!

Mein geistiger Sensor peitscht zurück. Winzige Bruchteile von Zeiteinheiten später ragt er wieder in den unendlichen Raum.

Er tastet nach dem Weimyntos und aktiviert die Notfallschaltung. Gleichzeitig spüre ich, wie energetisches Leben beginnt, das Auge zu

füllen. Der Weimyntos steuert die Gegenenergie hoch. Alles weitere liegt nun bei den Urjanern. Auf sie kann ich mich

verlassen. Dieser Narr Atlan ahnt nicht, was ich ihm entgegenschleudere! Er wird eine Niederlage erleben. Er wird ausgelöscht werden. Und seine

Solaner auch. Das Universum ohne nennenswertes Leben wird ihre Heimstatt bleiben,

bis sich ihre Körper zu Staub verwandelt haben.

* Seily Mirsmir hatte mehrere der mitgebrachten Spezialgeräte für Transmittertechnologie an die Peripherie in der Halle angeschlossen. Sie beobachtete aufmerksam die Anzeigen, während ihre Schwester zusammen mit einigen Robotern Schaltungen vornahm.

Nur hin und wieder fiel ein kurzes Wort der Verständigung. Atlan, Federspiel, Nockemann und Blödel griffen nicht in den

Ablauf ein. Die Angelegenheit lag bei den beiden Schwestern in guten Händen.

Schließlich gesellte sich der Puschyde Argan U zu den Wartenden.

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Der bärenähnliche Extra verhielt sich während der ganzen Expedition merkwürdig ruhig. Selbst auf Blödeis Anspielungen reagierte er kaum.

Seit Sanny verschwunden war, mit der ihn ein herzliches Verhältnis verband, kam überhaupt kein Wort mehr über seine Lippen.

Atlan kannte den Grund für die Verstocktheit Argans. Der Puschyde hatte beim Aufbruch sein heißgeliebtes Destilliergerät für sein spezielles Zuckerwasser auf der SOL vergessen, und das verdarb ihm die Laune.

»Es scheint nicht zu klappen.« Auch Federspiel strahlte nicht gerade Zuversicht aus. Die nun schon viele Wochen andauernde Trennung von seiner Zwillingsschwester Sternfeuer machte ihm immer wieder zu schaffen.

»Das möchte ich nicht sagen.« Fasta Mirsmir trat zu den Männern. »Es dauert nur eine erhebliche Zeit, bis sich die mehrschichtigen Felder des Transmitters aufgebaut haben. In der kurzen Zeit, die uns für die Untersuchungen zur Verfügung standen, war es unmöglich, alle Einzelheiten des Transmitterprozesses zu analysieren.«

»Ich sehe keinen Transmitter«, maulte Argan U. »Ich auch nicht.« Der Roboter Blödel war der einzige, der darauf

reagierte. Das mehrstimmige Summen veränderte seinen Klang. Hohe Töne

entstanden neu. Sie schienen aus den Wänden, dem Boden und der Decke zu kommen.

Federspiel ging unruhig auf und ab. »Wenn bloß Sanny da wäre«, jammerte der Puschyde. »Sie könnte

berechnen, daß hier nichts stimmt.« Der plötzliche Glockenklang ließ auch die Mirsmir-Schwestern

zusammenzucken. Atlan spürte instinktiv, daß das Experiment in eine entscheidende Phase trat. Vielleicht würde man jetzt erfahren, wo der eigentliche Transmitter war, der das Tor in die eigene Dimension öffnen sollte.

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Und doch war der Arkonide überrascht über das, was nun geschah.

Von einer Sekunde zur anderen herrschte Dunkelheit, und das, obwohl man die Beleuchtungskörper an der Decke und über den Schaltpulten nach wie vor sehen konnte.

Der Boden unter den Füßen wurde transparent. Das Gefühl der künstlichen Gravitation verschwand, aber niemand schwebte in die Höhe oder kippte zur Seite.

Der kleine Raum schien mit einem Mal unendlich weit. Nähe und Ferne drückten sich in ihren Gefühlen gleichermaßen aus.

Völlig widersprüchlich, warnte Atlans Extrasinn. Der Arkonide sah die Solaner, die in seiner Nähe standen. Durch

ihre Körper hindurch schimmerten jedoch ferne Sterne. Der Boden unter seinen Füßen war glatt wie die Metallfläche der

Transmitterhalle, und doch sah er aus wie das verwitterte Gestein eines alten Planeten ohne Leben.

Er hörte Schreie seiner Begleiter, die sich an nahen Felswänden brachen und als verzerrtes Echo zurückkamen.

Nun wurden alle umgebenden Wände durchsichtig. Es sah aus, als hätte sich alle Materie in Glas verwandelt.

Ein riesiger Schatten schob sich vor sein Gesicht. An den Umrissen erkannte er, daß es die SOL war. Sie schien zum Greifen nah, und die Masse der Station oder das Wasser des künstlichen Planeten, die ebenfalls noch sichtbar waren, schienen für das Hantelschiff nicht zu existieren.

Erscheinungen, die typisch sind, erklärte der Logiksektor Atlans lautlos, wenn sich die Raumzonen von zwei verschiedenen Existenzebenen oder Universen überlagern. Du hast den Transmitter gefunden.

Noch weigerte sich der Arkonide, insbesondere die letzte Aussage seines Extrahirns zu akzeptieren.

Der Schatten der SOL stand so widersinnig nah. Auch alle anderen Entfernungen, die ihm bekannt waren, waren verzerrt. Blödel wirkte so, als sei sein Transportbehälter unendlich lang und ganz schmal.

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Als Atlan seinen Kopf wendete, schrumpfte der Roboter zu einem winzigen Kästchen zusammen.

Die Worte der beiden Mirsmir-Schwestern hallten durch den Raum.

Raum? fragte sich Atlan. War das hier noch ein Raum im herkömmlichen Sinn? Allenfalls handelte es sich um zwei Räume. Oder noch richtiger, um Fragmente von zwei gänzlich verschiedenen Räumen, die zur gleichen Zeit und am gleichen Ort existierten.

Eine physikalische Unmöglichkeit! Welche Kräfte mochten hier am Werk sein? Der Arkonide erschauderte, aber er erkannte die phantastische

Möglichkeit dieser Anlage. Wenn es Seily und Fasta Mirsmir gelang, die beiden

Existenzebenen völlig miteinander zu vereinen, dann war der Übergang wohl möglich.

Der Extrasinn bestätigte diese Vermutung, aber er warnte auch, denn mehrere Erscheinungen wirkten gefährlich.

Da war ein Planet aus der anderen Ebene, dem vermutlich eigenen Universum, in unmittelbarer Nähe. Auch andere Effekte bereiteten Atlan große Sorgen.

Der Planet war kahl und trocken, aber immer wieder glaubte der Arkonide, unter einem nicht endenwollenden Wasserfall zu stehen.

Relativistische Effekte der Zeit, deutete der Logiksektor diesen Eindruck. Da der Ablauf von zwei verschiedenen Eigenzeiten an diesem Ort geschieht, verschwimmen Teile der Vergangenheit der einen Bezugsebene mit der Realgegenwart der anderen.

Eine Kernfrage war jedoch durch all die merkwürdigen Dimensionseffekte beantwortet worden: Es gab gar keinen Transmitter im normalen Sinn!

Atlan hatte unwillkürlich angenommen, daß man auf eine riesige Maschine oder ein gewaltiges Tor stoßen würde, die ähnlich aussehen würden, wie arkonidische Transmitter oder die alte

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Anlage auf Gersenter. Nichts davon traf jedoch zu. Die relativ kleine Halle mit ihren technischen Einrichtungen und

dazu die Energieversorgung der Aqua-I-Station erzeugten den eigentlichen Transmitter erst im Moment der Aktivierung.

Dieser war dann nichts anderes als eine Übergangsstelle von gewaltiger Ausdehnung. Die Größe der Überlappungszone ließ sich nicht abschätzen. Das Transmittergebiet war jedoch bei einem Vergleich mit den Materieteilen, die Atlan optisch erfassen konnte, um ein Vielfaches größer als die SOL.

Die Sonne Aqua stand eindeutig außerhalb dieser Zone. Atlan suchte nach den beiden Korvetten, mit denen sie angedockt

hatten. Auch sie bildeten gesonderte Blasen in der Überlappungszone. Nun würde es wohl darauf ankommen, die Schaltungen so vorzunehmen, daß nur die gewünschten Objekte in die andere Existenzebene glitten.

Dieses grundsätzliche Problem war noch nicht gelöst, aber der Arkonide war zuversichtlich.

Er fühlte, wie eine kleine Hand nach ihm griff. Als er sich umblickte, erkannte er Argan U. Auch der Puschyde wirkte transparent.

Worte kamen aus seinem Mund, aber die klangen verzerrt und gerafft. Wieder schienen Zeiteffekte eine Rolle zu spielen. Atlan merkte nur, daß Argan seine Furcht ausdrücken wollte.

Dann klang aber eine klare Stimme an sein Ohr. Sie gehörte Blödel.

Dem Roboter war es irgendwie gelungen, die gestörten Zeitverhältnisse so auszugleichen, daß die von ihm wiedergegebenen Worte verständlich waren.

»Gleich haben die Mirsmirs die Felder stabilisiert«, teilte er Atlan mit. »Dann sollten die relativistischen Effekte der Mottenkiste angehören.«

Atlan antwortete, aber er verstand seine eigenen Worte nicht. Es

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hörte sich an, als ob er über eine total verzerrte Verstärkeranlage zu sich selbst sprach. Klirreffekte machten alles unverständlich. Dazu dröhnte die eigene Stimme wie ein Baß.

Die Sinneseindrücke waren so verwirrend, daß augenblicklich die Erinnerung an die im Gedächtnis gebildeten Worte verschwand.

»Das läßt sich noch nicht absehen«, antwortete Blödel. Allmählich stabilisierte sich die Szene. Die Begleitgeräusche verschwanden, von einem gleichmäßigen

Summen abgesehen. Die Wände und der Boden blieben halbtransparent. Als Atlan eine Konsole berührte, fühlte sich diese fest und ganz normal an.

Du befindest dich weiterhin im Diesseits, deutete der Extrasinn diese Erscheinung.

Die Stimmen der anderen wurden deutlicher. Fasta und Seily gaben Kommandos an die Roboter, die als

Schaltgehilfen fungierten. Dort, wo die Mitte der Transmitterhalle war, entstand ein rotes Leuchten, das aber selbst auch durchsichtig war.

Eine Kugel schwoll rasch zur Größe der Halle an. Dann verharrte das rötliche Gebilde.

Die SOL und die beiden Korvetten zeichneten weiterhin deutlich ihre Umrisse vor dem schwarzen, sternenübersäten Hintergrund ab.

»Phase eins abgeschlossen.« Seily trat auf den Arkoniden zu. »Was hat das zu bedeuten?« Nun konnte Atlan auch seine eigenen

Worte wieder fehlerfrei verstehen. »Der Übergang besteht«, erklärte die Transmitterspezialistin. »Wir

suchen jetzt nach dem Steuersystem, das bestimmte Objekte aus dem Nahbereich aufrufen und durch die Öffnung befördern soll.«

»Heißt das, daß wir es schaffen?« Seily Mirsmir nickte. »Die rote Kugel ist der Auslöser für die zu befördernden Güter. Sie

kann bis auf die Größe der SOL ausgedehnt werden und diese dann in unser Universum übertragen. Ich muß mich jetzt aber weiter um

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die Schaltungen kümmern.« Die verwirrenden und sich überlagernden Erscheinungen hatten

sich inzwischen vollständig stabilisiert. Die Station, die Solaner, der Wasserball Aqua-I, die SOL, die beiden Korvetten und die Planetenkruste aus dem anderen Universum, all das war gleichzeitig gegenwärtig und ganz nah.

Nur die in weiter Ferne schimmernden Sonnen, die sowohl dem heimatlichen Raum, wie auch dem Sternenuniversum angehören konnten, waren nicht in dieses Bild unmittelbar einbezogen.

Da eine einwandfreie Verständigung wieder möglich war, trommelte Atlan seine Leute zusammen.

»Wenn die Transmitterschwestern den zweiten Takt gelöst haben, brechen wir sofort auf«, erklärte er. »Wenn alles klappen sollte, müssen wir geschlossen an Bord der SOL sein.« .

In diesem Augenblick stieß Argan U einen spitzen Schrei aus. Ein Flammenstrahl zuckte durch die unwirkliche Szene und traf

Fasta Mirsmir.

* Wohl zum hundertsten Mal überprüfte der Erste Kämpfer seine Waffen und die Ausrüstung. Alles war in bester Ordnung. Der Kampfgleiter stand startbereit wenige Schritte von dem gähnenden Abgrund des schlafenden Auges zum Jenseits entfernt.

Jetlagged brannte innerlich vor Ungeduld, aber er zeigte dies nicht seinen Kämpfern. Statt dessen bewahrte er kühle Distanz und zeigte nach außen Gelassenheit und Kälte.

In den letzten Stunden waren ihm Zweifel gekommen, denn über das Erscheinen des Heiligen Mannes Weimyntos war er doch irgendwie enttäuscht gewesen. Auch hatte er gespürt, daß es seinem Adjutanten Henter nicht anders ging. Nur scheute der weniger davor zurück, seine Bedenken zu äußern.

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Jetlagged hatte ihn daher zu einer Einzelwache am Rand des Kraters eingeteilt, um die Gefahr zu verringern, daß er andere Kämpfer mit seinen verbotenen Ideen aufweichte.

Er konnte auf Henter nicht verzichten, denn dieser war ein nicht so leicht zu ersetzender Faktor für seine Nahkampftaktik. Sonst hätte er den Adjutanten längst beseitigt.

Die Roboter seines Kampfgleiters salutierten stumm, als er das Raumschiff verließ und sich dem Auge näherte.

Der Heilige Mann hatte sich nicht mehr gemeldet. Auch das war enttäuschend.

Henter winkte ihm viel zu leutselig entgegen. Daran änderte auch die strenge Miene Jetlaggeds nichts, als er sich ihm näherte.

»Noch nichts bemerkt?« fragte der Erste Kämpfer. Henter schüttelte stumm den Kopf. »Antworte!« herrschte ihn sein Herr an. »Ich befürchte, der Heilige Mann hat uns hereingelegt«, sagte

Henter. »Für diese Bemerkung müßte ich dich töten!« »Ich habe keine Angst vor dem Tod. Mein Gefühl sagt mir, daß

wir betrogen werden. Weimyntos ist kein Urjaner. Er ist nur eine Maschine.«

»Das ist zuviel!« Plötzlich lag die Waffe in Jetlaggeds Hand. Doch bevor er zu einer

Reaktion fähig war, gellten die Schreie der Urjaner durch die Dämmerung.

Der Kopf des Ersten Kämpfers ruckte herum. Sein Blick fiel in das Auge zum Jenseits, und er sah die aufwallende rote Wolke in der bodenlosen Schwärze.

Jetlagged brauchte einige Momente, um das SIGNAL zu erkennen. Inzwischen war Henter losgespurtet, um den Kampfgleiter seines

Herrn zu holen. Dessen Befehle gellten über das Gestein des toten Planeten. Wenig später stürzten sich die ersten Scharen der Kämpfer in die

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Tiefe. Urjaner mit voller Kampfbewaffnung, dahinter die kleinen Gleiter, alles sank sanft auf die rote Wolke zu, durch die merkwüdige Gestalten und Konturen schimmerten.

Jetlagged und Henter folgten mit der zweiten Welle in dem großen Gleiter. Die Roboter hatten ihre Waffen aktiviert.

Ein Gefühl der Schwerelosigkeit griff nach den beiden Urjanern, als sie in die Tiefe sanken. Vergessen war der Streit um die Zweifel des Adjutanten. Jetzt bestimmte nur noch ein Gesetz das gesame Handeln der Urjaner: Der Feind aus dem Jenseits mußte vernichtet werden, bevor er über die eigenen Welten herfallen könnte.

Das Auge zum Jenseits sollte zu einem unüberwindbaren Hindernis für die Invasoren werden und zu einer tödlichen Falle.

Immer tiefer ging der Sturz durch die rötlichen Schwaden. Längst war von der Oberfläche des Ödplaneten nichts mehr zu sehen. Abgesehen davon dachte auch keiner der Kämpfer daran, einen Blick zurückzuwerfen. Ihr ganzes Sinnen galt dem bevorstehenden Kampf und der Zerstörung aller Dinge im Jenseits.

Das Gebilde aus drei seitenverkehren Kugelhüllen, das in einem sicheren Orbit um den Ödplaneten kreiste, hätte auch niemand der Urjaner bemerken können, denn es verbarg sich in einem hochwirksamen Ortungsschutz.

Aus dem Innern des Weimyntos verfolgten Sensoren die Vorgänge auf der Planetenoberfläche. Als sich der letzte der Urjaner in das Auge zum Jenseits gestürzt hatte, bereitete der Weimyntos eine Hyperenergie auf, die durch ein Nebenaggregat zu einem charakteristischen Informationsimpuls transformiert wurde.

Über die drei Spiegel wurde der Impuls in den Hyperraum abgestrahlt. Hier traf er auf eine Zone des Hyperraums, die nicht zu diesem gehörte, wurde daran reflektiert und auf einen Spiegel gelenkt, hinter dem die geistigen Sensoren des Hidden-X gierig auf die Information warteten.

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7. Dem ersten Flammenstrahl, der Fasta tödlich getroffen hatte, folgten weitere aus den Waffen der Gestalten, die zu Dutzenden aus dem roten Kugelfeld stürzten.

Allerdings lagen diese Schüsse schlecht, denn die plötzlichen Angreifer feuerten wahllos in der Gegend herum.

Atlan zog Argan U blitzschnell hinter eine Konsole in Deckung, während er gleichzeitig den Robotern seine Anweisungen zubrüllte.

Augenblicklich ließen die Maschinen von ihren technischen Arbeiten ab und warfen sich den Eindringlingen entgegen.

Der Arkonide konnte noch beobachten, wie Federspiel und Hage Nockemann aus der Halle stürmten, während sich Seily nur durch Gewalt hinaustragen ließ. Der Tod ihrer Schwester hatte sie hart getroffen, aber Blödel packte sie unnachgiebig mit seinem Sensorenarm und zerrte sie fort.

Die Solaner draußen bei den beiden Gleitern reagierten schnell. Die Impulsstrahler hielten den ersten Ansturm der Fremden

zurück, bis alle, abgesehen von Atlan und Argan U, im Schutz der Gleiter und ihrer Abwehrschirme waren.

Die Wände der Station boten nur einen bedingten Schutz, denn von der Transmitterhalle aus waren sie durch den Probelauf transparent geworden, und sie blieben es auch.

Atlan rief über Funk nach Federspiel, der sich auch tatsächlich meldete. Die Verbindung war durch die tobenden Hyperenergien des Dimensionstransmitters zwar gestört, aber es reichte für eine kurze Verständigung aus.

»Der Weg zu euch ist Argan und mir versperrt«, berichtete Atlan hastig. »Holt uns heraus. Es kommen immer neue Angreifer aus dem roten Transmitterfeld.«

»Wo steckt ihr denn?« fragte der Solaner zurück. »Von hier draußen sind die Wände nicht durchsichtig.«

Atlan beschrieb seinen augenblicklichen Ort, aber er mußte sich

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unterbrechen, denn mehrere der Angreifer stürzten genau auf ihn zu.

Seine Waffen sprachen, und auch Argan wehrte sich nach besten Kräften. Im Schutz der dichten Qualmwolken, die zumindest für Verwirrung sorgten, suchten sie einen anderen Platz, der näher an dem einzigen Ausgang aus der Halle lag.

Es war verwunderlich für Atlan, daß die Erscheinungen des Dimensionstransmitters unverändert konstant blieben, obwohl über die Hälfte der Einrichtungen der Halle bereits vom Feuer der Angreifer zerstört worden war.

Dann entdeckte er die Gleiter der Fremden. Auch sie wiesen eine Besonderheit auf, die irgendwie damit im Zusammenhang stehen mußte, daß sie aus dem anderen Universum stammten. Sie nahmen nämlich nicht die Transparenz der sonstigen Materie an.

Lautes Krachen verriet dem Arkoniden, daß seine beiden Gleiter inzwischen auch in Kämpfe verwickelt worden waren. Ein kurzer Blick zurück bestätigte das.

Federspiel und den anderen würde es zunächst bestimmt nicht gelingen, erfolgreich in die Halle vorzustoßen. Mindestens 200 der Angreifer tummelten sich hier.

Ihre Zerstörungswut war grenzenlos. Sie schossen auf alles und jeden. Ein paar Steuerpulte der Transmitterzentrale hatten sich selbständig in kleine Schutzschirme gehüllt. Ihnen galt das Feuer der Fremden in erster Linie, so daß Atlan und der Puschyde in dem Getümmel hinter noch unversehrten oder teilweise zerstörten Aggregaten eine dürftige Deckung fanden.

»Da!« Argan zerrte an Atlans Arm und deutete auf ein Loch, das die Eindringlinge in eine Wand geschossen hatten. Die Ränder glühten noch, aber mit ihren Schutzanzügen sollte ein Durchkommen kein Problem sein.

Allerdings handelten sich die beiden einen Nachteil ein, denn sie wurden nun noch weiter von den anderen abgeschnitten.

Argan U wartete keine Antwort ab. Er sprang durch die Öffnung,

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und Atlan folgte ihm. Nun sah er, was Federspiel ihm schon gesagt hatte. Von außen

nach innen wirkten die metallenen Wände vollkommen normal. Du darfst nicht vergessen, wisperte der Logiksektor, daß deine Feinde

dich aller Wahrscheinlichkeit nach noch sehen können. Der Raum lag im Halbdunkel. Irgendwo gab es eine Beleuchtung,

aber die Rauchschwaden, die aus der Halle schon hereingedrungen waren, ließen nichts klar erkennen.

Der Arkonide packte den kleinen Extra an der Hand und zerrte ihn fort. Er wählte eine Richtung, die ihn zumindest nicht noch weiter von Federspiel entfernte.

»Sie folgen uns«, warnte Argan und deutete zurück. Flammende Energiestrahlen zuckten über sie hinweg. In ihrem

Widerschein erkannte Atlan ein großes Loch im Boden. Mit einer Hand aktivierte er den Antigrav seines Schutzanzugs,

und mit der anderen schnappte er sich den Puschyden. Es war keine Sekunde zu spät, denn als er in das dunkle Loch

sprang, hatten die heranstürmenden Fremden ihn entdeckt und gezielt geschossen.

Sie sanken etwa 20 Meter in die Tiefe, bis ihre Füße in der Dunkelheit auf einen Widerstand stießen.

Argan leuchtete die Umgebung ab. In fünf Richtungen führten mannshohe Gänge nach allen Seiten.

Atlan wählte einen davon und hastete auf Gutdünken los. Plötzlich hatte er ein Anrufsignal in seinem Armbandfunkgerät. Es

war Federspiel, und die Verbindung über Normalfunk war trotz der abschottenden und stark dämpfenden Metallwände völlig klar.

Ein unwahrscheinlicher Zufall, bemerkte der Extrasinn dazu. »Wir sind zurückgeworfen worden«, berichtete der Solaner.

»Gegen diese Horden haben wir mit unseren beiden Gleitern keine Chance.«

»Verstanden. Haut ab! Die ganze Sache ist sowieso gescheitert, denn die Fremden zerstören systematisch alle Einrichtungen der

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Station. Weiß der Teufel, was sie zu diesem Wahnsinnsverhalten treibt. Sie schneiden sich schließlich jeden Rückweg in ihr Universum ab, wenn sie alles in die Luft jagen.«

»Wir setzen uns zunächst ab, Atlan. Ich lasse die eine Korvette sofort zur SOL starten. Mit der zweiten bleibe ich in der Nähe und schicke alle Roboter in die Station. Das wird etwas dauern, und ihr müßt versuchen, euch solange über Wasser zu halten.«

»In Ordnung. Wenn du Vertell-Null siehst, so setze ihn auf unsere Spur.«

Atlan hörte noch die Bestätigung Federspiels, dann überlagerte ein gleichmäßiges Rauschen die Verbindung.

»Weiter weg von der Zentrale«, drängte er und faßte erneut nach dem Händchen Argan Us.

Schwere Detonationen klangen durch die stählernen Wände. Die Erschütterungen übertrugen sich auf den metallenen Boden, und Atlan hatte das Gefühl, daß die künstliche Gravitation, die irgendwo in der riesigen Kugel erzeugt wurde, leicht schwankte.

Es ist nur eine Frage der Zeit, warnte sein Extrasinn nachdrücklich, bis hier alles zusammenbricht.

»Wo mag Sanny stecken?« klagte der Puschyde, während er hinter dem Arkoniden durch den dunklen Gang stolperte.

Ruckartig blieb Atlan stehen, als wenige Meter vor ihm eine Seitenwand aufglühte. Heiße Dampfschwaden wirbelten in den Gang, und flüssiges Metall tropfte von der Decke.

Die beiden wichen einige Meter zurück und verharrten hinter einem Vorsprung, der seitlich in den Korridor ragte.

Ein großes Gefährt schob sich durch die entstandene Öffnung. Zwei der Fremden standen darin, hinter ihnen waren zwei Maschinenmenschen erkennbar.

»Ich will jetzt endlich wissen, woran ich bin«, erklärte Atlan hart und deutete auf die Gestalten in dem Gleiter.

Argan U zog seinen Paralysator und nickte zustimmend.

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*

Sanny zuckte zusammen, als die ersten Detonationen an ihr Ohr drangen. Es gehörte keine Paramathematik dazu, um zu erkennen, daß ihre Freunde in irgendwelche Kämpfe verwickelt worden waren.

Mit einer Handbewegung wischte sie ihre verbliebenen Figuren von dem Schachbrett, und dann erhob sie sich trotzig.

»Schluß, Chybrain! Meine Freunde sind in Gefahr. Ich mache diese alberne Spielerei nicht mehr mit.«

Das merkwürdige Kristallei schwankte leicht hin und her. Sonst zeigte Chybrain keine Reaktion. Die zur Seite geschleuderten Figuren erhoben sich, als würde eine unsichtbare Hand sie alle zusammen gleichzeitig anfassen. Sie glitten durch die Luft auf ihre Positionen zurück.

Chybrains Sechsecke glühten leicht auf, und Sanny sah darin etwas Bedrohliches.

»Ich verstehe dich nicht. Wenn du mir wenigstens erklären würdest, was das alles soll, so wäre ich vielleicht bereit, weiter mit dir zu spielen. Bis jetzt hast du alle Partien verloren, auch wenn ich zugebe, daß du einiges gelernt hast.«

Plötzlich kam ihr eine Idee, wie sie das widersinnige Treiben vielleicht abkürzen konnte. Sie machte den nächsten Zug, setzte diesen Stein aber absichtlich so, daß daraus für Chybrain ein Vorteil entstehen könnte.

Das Kristallei reagierte tatsächlich richtig und brachte sich mit dem nächsten eigenen Zug in eine bessere Ausgangsposition.

Sanny wollte es nicht so offensichtlich machen. Deshalb führte sie den nächsten Konter so aus, daß Chybrains Vorteil wieder zu schwinden drohte. Für sie als Paramathematikerin war es kein Problem, jeden Zug so zu setzen, daß sie in eine immer günstigere Lage kam.

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Als sie dann wieder an der Reihe war, machte sie erneut einen absichtlichen Fehler. Sie schüttelte dabei scheinbar verwirrt den Kopf, denn noch immer klangen laute Schüsse und Explosionen durch die Station.

Chybrain nutzte den Fehler und gab in der Folge seinen Vorteil nicht mehr her. Er beendete das Spiel mit einem Sieg, seinem ersten Sieg.

Du hast gemogelt! Es war eigentlich keine Stimme, die Sanny hörte. Es klang eher so,

als ob sich ihr eigenes schlechtes Gewissen überdeutlich meldete, aber dennoch meinte die Molaatin, daß Chybrain zu ihr gesprochen hatte.

Sie ging auf das Kristallei zu und hob es in die Höhe. Chybrain war federleicht und ließ sich dies gefallen.

»Ich weiß nicht, wer du bist und was du bist, Chybrain«, sagte sie freundlich. »Aber ich nehme an, daß du mich sehr wohl verstehst. Warum läßt du mich nicht gehen? Atlan ist doch auch dein Freund. Du hast ihm schon mehrmals geholfen, als er in tödlicher Gefahr war. Jetzt scheint es wieder so zu sein, und du sperrst mich in diese Kammer, um mit mir Dame zu spielen. Das geht doch nicht.«

Chybrain reagierte nicht. Auch gab er mit keinem Zeichen zu erkennen, ob er Sannys Worte verstanden hatte.

Inzwischen lagen die Figuren wieder in der Ausgangsposition. Sanny nahm ihre Hände von dem selbstleuchtenden Ei. »Eines Tages werde ich mich für deine Sturheit rächen«, drohte sie

mit gespieltem Ernst. »Wenn ich dann noch lebe.« Schon beim dritten Zug merkte sie, daß Chybrain nun alles aus

den vorangegangenen Spielen gelernt zu haben schien, was für dieses Spiel an Finessen und Kenntnissen erforderlich war.

Sanny überlegte nicht lange. Sie kämpfte um jeden Vorteil, aber Chybrain parierte geschickt.

Das Spiel endete, wie es unter zwei Partnern mit gleich perfekten Voraussetzungen sein mußte, nämlich unentschieden.

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»Bist du nun zufrieden?« fragte Sanny. Chybrain schwankte wieder leicht, als würde er nachdenken. Noch eine Partie! Die unwirkliche Stimme flehte. Die Molaatin nickte, aber in diesem Augenblick wurden in der

unmittelbaren Nähe Schritte laut. Sanny sprang auf und fuhr herum. In der verschlossenen Tür bildete sich ein glühender Fleck, der

rasch größer wurde. Ein heißer Impulsstrahl schoß durch die Öffnung und traf den einzigen Beleuchtungskörper.

Die Paramathematikerin hastete auf die andere Seite, so daß Chybrain zwischen ihr und der gewaltsam geöffneten Tür geriet.

Das Kristallei leuchtete jetzt hell auf. Chybrain schwebte langsam auf die glühende Öffnung zu, wo jetzt in seinem Widerschein ein Kopf sichtbar wurde.

Sanny erkannte eine hominide Gestalt in einer fremdartigen Kampfmontur. In ihren Händen lagen zwei schwere Strahler von einem Typ, den sie auch noch nie gesehen hatte. Der Fremde gehörte mit Sicherheit nicht zu den Nuun.

Aus dem Mund des Braunhäutigen kam ein wilder Kampfschrei, als er Chybrain entdeckte. Seine Waffen zuckten hoch und hüllten das Ei in flammende Energien.

Sanny hob erschrocken ihre Hände vor das Gesicht. Dann schloß sie ihren Schutzanzug.

Für Sekunden war von Chybrain nichts zu sehen, aber Sanny spürte, daß die umherirrenden Energien aus den Waffen des Fremden sie nicht erreichten.

Dann leuchtete Chybrain noch heller auf, so daß Sanny geblendet die Augen schloß.

Ein Angstschrei gellte an ihre Ohren. Er kam aus dem Mund des fremden Angreifers.

Chybrain zuckte nach vorn, und als er die entstandene Öffnung passierte, berührte er den Körper des Schießenden. Augenblicklich

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sank die Gestalt zu Asche zerfallen zu Boden. Sanny öffnete die Augen wieder. Chybrain glitt langsam wieder zurück, wobei sein übliches

Flüstern »Chybrain, Chybrain« zu hören war. Das Loch in der Tür schloß sich wieder wie von Geisterhand, und auch die Deckenbeleuchtung war wieder in Ordnung.

Von draußen drangen weiter Kampfgeräusche herein, aber Chybrain kümmerte sich nicht darum. Er begab sich an seinen Platz vor dem Schachbrett zurück.

Noch eine Partie! Wieder lag das Flehen in der merkwürdigen Stimme. Sanny schüttelte verzweifelt den Kopf. Dann eröffnete sie das

Spiel.

* Die Informationen aus dem Innern von Aqua-I liefen nur spärlich ein, so daß Breckcrown Hayes nur unzureichend über das informiert war, was sich im Zentrum der gewaltigen Wasserkugel abspielte.

Die Energieortung lieferte eine Vielzahl von widersprüchlichen Meßergebnissen, die SENECA nur notdürftig auswerten konnte. Es stand jedoch fest, daß große Energien freigesetzt worden waren und auch weiter freigesetzt wurden.

Die Transmitterstrecke zu den Korvetten unterlag unregelmäßigen Störungen, so daß mehrere Nachrichtenkapseln, die zur SOL geschickt wurden, verschollen blieben.

Die Hyperfunkverbindungen waren vollständig zusammengebrochen.

Bjo Breiskoll, der sensible Mutant, befand sich in der Hauptzentrale im Mittelteil der SOL unmittelbar bei dem High Sideryt, wo alle Informationen verarbeitet wurden. Auch der Katzer stand vor einem unlösbaren Problem, denn er konnte kaum noch

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einen Gedanken aus dem Innern von Aqua-I richtig und vollständig ausspähen. Selbst die gezielten Mitteilungen von Federspiel waren nur verstümmelt oder gar nicht aufzunehmen.

»Ich spüre, daß sich eine unheilvolle Entwicklung anbahnt«, teilte Bjo dem High Sideryt mit, dem äußerlich nicht anzumerken war, wie sehr ihn die Ereignisse und die unklare Lage erregten.

»Kannst du dich nicht genauer ausdrücken?« fragte Hayes. Der Katzer schüttelte verzweifelt den Kopf. »Es sind nur Ahnungen«, gab er zu, »aber keine guten. Ich

vermeine, Tausende von kämpfenden Wesen zu spüren, die die ganze Aqua-Station zerstören und unsere Freunde in höchste Gefahren bringen, auch ist dort ein undefinierbarer Wall, ein Hindernis, das die Station von äußeren Einflüssen abschirmt.«

Eine Solanerin stürmte in die Zentrale und schwenkte eine Folie. »Endlich ist eine vollständige Nachricht eingetroffen«, rief sie und

reichte Breckcrown Hayes das Blatt. »Schlechte Nachrichten«, teilte der High Sideryt den Anwesenden

mit. »Unbekannte sind im Innern der Station aufgetaucht. Sie scheinen aus dem jenseitigen, also aus unserem Universum zu kommen. Bjos Ahnungen sind in jeder Hinsicht bestätigt worden. Die eine Korvette befindet sich bereits auf dem Kurs zurück zu uns.«

»Und die andere?« fragte Breiskoll in einer dumpfen Vorahnung. »Sie wartet, denn Atlan, Argan U und Sanny sind verschollen.« »Und wir stehen hier«, klagte Gallatan Herts, der eigentliche

verantwortliche Leiter der Zentrale, »und können nichts machen. Unsere SOL ist zu groß für einen Kampf in den Tiefen des Wasserplaneten.«

Kurz darauf ging eine zweite Mitteilung von Federspiel ein. Der Solaner bat darum, alle verfügbaren Kampfroboter über die gestörte Transmitterstrecke zu schicken, um den Kampf gegen die fremden Eindringlinge zu unterstützen.

»Es wird nur knapp die Hälfte von ihnen überhaupt ankommen«,

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warnte SENECA. »Aber der Plan ist grundsätzlich zu befürworten.« Gallatan Herts gab auf ein Zeichen des High Sideryt die

erforderlichen Anweisungen. »Da ist noch etwas anderes.« Bjo Breiskoll hob seinen Kopf und

lauschte mit seinen Parasinnen. »Es nähert sich ein …« Er brach ab, denn Curie van Herling, die Chefin der Funk- und

Ortungszentrale meldete sich aufgeregt. »Wir haben ein merkwürdiges Objekt in der Fernortung«,

berichtete sie. »Es steht noch ein paar Lichtjahre entfernt, aber es nähert sich mit Unterlichtgeschwindigkeit unserer Position.«

»Größe, Daten?« fragte Breckcrown Hayes. »Das ist es ja«, klagte die Ex-Magnidin. »Zuerst war das Ding nur

etwa zwei Kilometer groß, dann zeigte die Ortung 20.000 Kilometer an, und jetzt sind es wieder nur ein bis zwei Kilometer.«

»Kann ich ein Bild haben?« bat Hayes. Augenblicklich wurden die Anzeigen aus der Ortungszentrale

übertragen. Gerade in diesem Augenblick verschwand der Körper auf den Anzeigen.

»Das sieht nach einer Etappe durch ein höheres Kontinuum aus«, kommentierte Curie. »Das hat er schon zweimal gemacht, seit wir ihn beobachten. Er wird gleich wieder auftauchen.«

»Das ist das Ding, das ich gespürt habe«, warf Bjo Breiskoll dazwischen.

»Gut oder böse?« wollte Hayes wissen. »Undefinierbar«, lautete die Antwort des Katzers. Sekunden später tauchte das Objekt wieder auf der

Ortungsanzeige auf. Breckcrown Hayes stieß einen gedehnten Pfiff aus.

Der Körper hatte die Form eines etwas zu lang geratenen Eies, dessen große Halbachse gut zwei Kilometer betrug, während die kleinere nur etwa 1200 Meter durchmaß.

Das reflektierte Echo der Orter vergrößerte sich plötzlich schlagartig. Es war, als ob eine gasförmige Masse aus dem Eikörper

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strömte und diesen damit gewalig anschwellen ließ. Nun kamen auch optische Auswertungen und Anzeigen herein.

Darunter waren auch vergrößerte Bilder des Körpers, bevor er sich ausgedehnt hatte. Deutlich waren sechseckige Muster auf der Oberfläche zu erkennen.

Als die volle Ausdehnung erreicht war, schimmerte die nun kugelförmige Masse in grünen Tönen.

»Es ist klar, wer oder was das ist«, stellte Breckcrown Hayes fest. »Nur weiß ich nicht, was dieser Riesen-Chybrain hier will.«

»Von der grundsätzlichen Form besteht Übereinstimmung zwischen Chybrain und diesem Ding, was seinen Kernkörper betrifft«, erklärte SENECA. »Die Spektralauswertung hat eindeutig ergeben, daß dies der geheimnisvolle Wöbbeking ist, dem wir kurz nach dem Eintreffen im Sternenuniversum bereits begegnet sind.«

»Die Grüne Sichel von Nar'Bon«, sagte Hayes und runzelte die Stirn. »Was, bei allen Raumgeistern und Dimensionsteufeln, geht hier vor?«

Die riesige Kugel war noch wenige Lichtminuten entfernt. Ihr Kurs zeigte eindeutig auf die SOL und Aqua-I.

8. Die teilweise gestörten Kommunikationskanäle hinderten Jetlagged nur wenig daran, die Befehle an seine Kommandanten zu geben.

Er stand hochaufgerichtet in seinem Kampfgleiter und verfolgte das Geschehen ringsum. Die Welt, in die er mit seinen Kämpfern geraten war, war noch fremdartiger, als er es in seinen kühnsten Träumen erwartet hatte.

Kalte Technik und unverständliche Geräte und Maschinen reihten sich aneinander. Er beteiligte sich nicht selbst an dem Zerstörungswerk, das den fremden Invasoren den Weg zur Heimat für immer versperren würde.

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Seine Aufgabe bestand darin, den Kopf des feindlichen Unternehmens zu finden und auszuschalten.

Die Horden der Urjaner strömten in allen Richtungen auseinander. Ihren schweren Waffen widerstand kein Hindernis.

Schon war die letzte Welle seiner Kämpfer gelandet. Ihre Aufgabe bestand darin, das Werk zu vollenden. Überall dort, wo die Vorausabteilungen freie Zonen geschaffen hatten, wurden thermonukleare Sprengsätze gelegt, die Jetlagged später auf einen Schlag auslösen würde.

Etwas enttäuscht war der Erste Kämpfer, daß der Feind nur in geringer Zahl auftauchte und außerdem sogleich den Rückzug antrat.

Zunächst steuerte Jetlagged sein Gefährt gemeinsam mit den verfolgenden Kämpfern hinaus in eine große Halle, aber da machte ihn Henter auf das Signal des Codators aufmerksam.

Dieses kleine Gerät in den Armaturen seines Kampffahrzeugs hatte seine Tätigkeit automatisch aufgenommen und die Umgebung sondiert. Was es nun Jetlagged durch die Signalfolge angab, verwunderte diesen.

Der Kopf seiner Feinde befand sich nicht bei den Flüchtenden. Er mußte noch irgendwo in der Nähe des Ursprungsorts sein.

»Ihn müssen wir finden.« Der Urjaner deutete auf den Impuls des Codators, der die

Mentalstrahlung analysiert hatte. Dann wendete er das Fahrzeug. Der Adjutant führte eine genaue Peilung durch. »Er befindet sich auf einer tieferliegenden Ebene, Herr«, deutete

Henter an. Jetlagged handelte mit der Zielstrebigkeit und Konsequenz, die er

vor einer Ewigkeit in der Schulung gelernt hatte. Er suchte nicht lange nach einem gangbaren Weg. Er schoß ihn sich frei.

Die schwere Energiewaffe im Bug des Gleiters dröhnte auf und fraß ein Loch in den stählernen Boden. Als die Öffnung groß genug war, steuerte Jetlagged hinein.

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Es tauchten neue Wände auf, die er zerschmolz. Mit jedem Teilstück, das er zurücklegte, wurde das Signal des Codators deutlicher.

»Gleich haben wir ihn«, rief er Henter durch das Dröhnen der Bordwaffe zu.

Der Adjutant nickte nur stumm, während er die Erfolgsmeldungen der Kommandanten sammelte und auswertete. Es zeichnete sich schon jetzt ab, daß ihnen der vollkommene Sieg nicht mehr zu nehmen war.

»Es verläuft alles nach Plan, Herr«, berichtete er. »Nur mache ich mir Gedanken darüber, wie wir wieder nach Urjan gelangen können, wenn hier alles zerstört wird.«

»Frevler!« schimpfte der Erste Kämpfer. »Du solltest dem Heiligen Mann Weimyntos mehr vertrauen.«

»Wer ist der Heilige Mann?« fragte Henter zurück. Er mußte brüllen, denn wieder klang das Donnern des Buggeschützes auf, als Jetlagged eine neue Stahlwand unter Beschuß nahm.

Der Erste Kämpfer warf seinem Helfer nur einen strafenden Blick zu. Dann brach er durch das gezackte und noch glühende Loch.

»Ich will eine Antwort!« begehrte Henter auf. Jetlagged fuhr wütend herum.

Diese winzige Zeitspanne an Unaufmerksamkeit kostete ihm den entscheidenden Vorsprung. Die Warnung der Roboter kam zu spät.

Ein Energiebündel zischte heran. Die beiden Roboter glühten auf und polterten aus dem Gleiter. Es

folgte eine heftige Detonation. Jetlagged merkte, daß er seinen Gegner im Vorgefühl des sicheren

Sieges unterschätzt hatte. Seine Waffe zuckte hoch, während Henter neben ihm, von einem

Paralysestrahl getroffen, zu Boden sank. Jetzt war er auf sich allein gestellt.

Page 81: Das Auge zum Jenseits

* Atlan rannte los, während er aus dem vollen Lauf auf die beiden Roboter feuerte.

Argan U zielte sorgfältig auf den einen der beiden Fremden und streckte ihn mit dem Paralysator nieder.

Als der größere von den beiden herumfuhr, hechtete der Arkonide bereits in die Höhe, verharrte kurz auf dem Rand des Gleiters und schleuderte dann mit einem Fußtritt die eine Waffe seines Gegners weg.

Der Schuß aus dem anderen Strahler landete in der Decke. Mit einem zweiten Satz sprang Atlan auf die Gestalt zu und riß sie

herum. Er starrte in ein von Wut und Entschlossenheit gekennzeichnetes Gesicht.

Der andere war ungewöhnlich kräftig. Es gelang Atlan nicht, ihm die Waffe zu entreißen.

Die beiden Gestalten polterten zu Boden. Atlans Schutzanzug half ihm teilweise, behinderte ihn aber auch in der Beweglichkeit. Er wollte diesen Gegner lebend in seine Hände bekommen, um etwas über die Hintergründe des heimtückischen Angriffs zu erfahren.

Argan U stand mit seinem schußbereiten Paralysator inzwischen auf dem Heck des Gleiters, aber er konnte nicht in das Gerangel der Kämpfenden eingreifen, ohne seinen Freund zu gefährden.

Atlan setzte jeden Trick ein, den er in seinem langen Leben gelernt hatte, aber der andere war ihm zumindest ebenbürtig.

Schließlich gelang ihm aber doch ein doppelter Faustschlag in die ungeschützte Gesichtpartie.

Der Fremde torkelte zurück und klammerte sich an die Steuerkonsole seines Gefährts.

Atlan zog seinen Impulsstrahler und hielt ihn auf den Mann. Der Kampf war für ihn entschieden. »Paß auf, ob jemand folgt«, rief er Argan U zu. Der Puschyde nickte.

Page 82: Das Auge zum Jenseits

»Und nun zu dir, mein Freund.« Der Arkonide hielt dem Fremden seine Waffe auf die Brust. Er sah keine Furcht in den Augen seines Gegenübers, eher Niedergeschlagenheit. »Wer hat euch geschickt? Antworte!«

Tatsächlich sagte der Geschlagene etwas, aber Atlan kannte diese Sprache nicht. Bis sein Translator zu einer Übersetzung fähig war, würde noch etwas Zeit vergehen, und genau die hatte er in Anbetracht der Situation nicht.

»Wir müssen weg!« drängte Argan ängstlich. »Die anderen werden gleich kommen.«

Der Paralysierte bewegte sich und stand langsam auf. Der Puschyde hielt ihm den Paralysator unter die Nase, so daß der noch benommene Mann zu keiner Reaktion fähig war, ohne eine erneute Betäubung zu riskieren.

Zwischen den beiden Fremden entspann sich ein kurzes Gespräch, während Atlan seinen Translator analysieren ließ. Er mischte sich nicht in die hitzige Unterhaltung, um schnell eine bessere Verständigung zu ermöglichen.

Endlich gab der Translator ein Signal. Die Grundzüge der fremden Sprache waren erkannt.

»Töte mich bei der nächsten Gelegenheit, Henter!« befahl der größere der beiden Fremden, den Atlan überwältigt hatte.

»Das werde ich nicht tun, Herr. Du hast zwar versagt, aber das besagt nichts. Wir greifen im Auftrag des Heiligen Mannes diese Fremden an, und der Heilige Mann ist nichts weiter als eine Maschine, vielleicht ein Roboter oder der Diener einer fremden Macht.«

Vorsicht! warnte der Extrasinn. Laß dich nicht ablenken! Atlan beschäftigte sich in der Tat mit dem Gehörten. Die wenigen

Sätze zeigten zumindest auf, daß sich die Angreifer untereinander nicht vollkommen einig waren.

»Ich möchte wissen«, sagte der Arkonide hart, während der Translator übersetzte, »warum ihr uns angegriffen habt. Wer hat

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euch geschickt, und woher kommt ihr?« Die beiden starrten ihn erstaunt an. »Henter! Keine Antwort geben! Sie haben unsere Sprache

identifiziert« rief der Größere. Gleichzeitig packte er nach dem Adjutanten und zog ihn zu sich

heran. »Ihr werdet unsere Welt nicht erobern!« schrie er sodann und

schleuderte Henter gegen den Arkoniden. Der taumelte nach hinten und fiel gegen Argan U. In Sekundenschnelle hatten die beiden Fremden ihre Waffen

wieder in den Händen. Atlan schoß, während er sich zur Seite rollte. Er traf den großen Fremden in die Brust. »Du bist mir zuvorgekommen«, sagte Henter und reichte Atlan

seine Waffe. »Ich werde das dumpfe Gefühl nicht los, daß wir alle irregeleitet wurden.«

Atlan nannte seinen Namen und den Argan Us. »Kannst du dieses Fahrzeug steuern?« Henter nickte. »Aber wohin? Die Bomben sind längst gelegt, und wenn Jetlagged

sie nicht zündet, macht es eine Automatik. Der Angriff ist noch immer perfekt, auch wenn du den Kopf des Unternehmens getötet hast. Sein erster Vertreter weiß schon jetzt von seinem Tod und meinem Verrat. Alle Kommandanten haben einen Codator, der auf Jetlagged programmiert ist.«

Atlan verstand. Hier stand er einem wahrlich perfekten Angreifer gegenüber.

»Dann nichts wie weg von hier. Ich zeige dir den Weg.« Er deutete den breiten Korridor entlang. »Berichte mir mehr von euch.«

Henter stellte sich hinter die Steuereinrichtungen und führte die Anweisungen Atlans aus. Gleichzeitig berichtete er, wie es zu dem Angriff in der Station gekommen war.

Als er das merkwürdige Gebilde schilderte, daß die Urjaner als der

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»Heilige Mann Weimyntos« bezeichneten, meldete sich sein Extrasinn.

Das sieht sehr nach unserem eigentlichen Feind aus! »Henter«, sagte Atlan, »hast du die Namen Hidden-X oder geistiger

Faktor schon einmal gehört?« Der Urjaner verneinte. »Was sagen dir Begriffe wie Pers-Mohandot, Tdibmufs oder

Flekto-Yn?« »Pers-Mohandot? Meine Erinnerung an das frühere Leben ist

getrübt, seit mich mein SIGNAL erreichte. Aber ich glaube, so nennen unsere Wissenschaftler eine Galaxis.«

Womit bewiesen ist, erklärte der Logiksektor, daß die Urjaner tatsächlich aus unserem Universum kamen.

Irgendwo in der Nähe krachten erneut Schüsse auf. Henter lenkte das Gefährt in eine verlassene Halle und hielt an. »Ich muß euch noch einmal sagen«, wandte er sich an Atlan und

den Puschyden, »daß ihr keine Chance habt zu entkommen.« Der Urjaner deutete auf ein Feld von kleinen leuchtenden

Lämpchen, das neben dem Pilotenstand angebracht war. »Alle Bomben sind geschärft. Ich weiß den genauen Zeitpunkt

nicht, wenn sie hochgehen, aber sie werden hochgehen. Niemand kann das verhindern.«

»Ich verstehe euch nicht«, begehrte Argan auf. »Ihr vernichtet diese Station. Gut. Aber ihr sprengt euch doch selbst in die Luft. Es gibt keine Rückkehr für euch.«

Henter nickte dumpf und niedergeschlagen. »Du hast recht, Fremder. Aber ich kann es nicht ändern. Daß ich

die Sache anders sehe als die Kämpfer, liegt wohl daran, daß in meiner Ausbildungszeit irgendwo ein Fehler passierte. Ich bin nicht so perfekt. Jetlagged war um ein Vielfaches schlauer und stärker als ich, aber er konnte diese Wahrheit nicht erkennen. Als ihn sein SIGNAL erreichte, war er der Erste Kämpfer. Vorher war er bestimmt ein normaler Bürger, der nichts davon wußte, daß er eines

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Tages seine Männer durch das Auge zum Jenseits führen würde.« »Manipulation«, stellte der Arkonide bitter fest. »Die Handschrift

von Hidden-X. Weiter!« »Es ist zu spät.« Henter deutete auf die für Atlan weitgehend

unverständlichen Anzeigen an der Armaturenkonsole. »Die Zeit läuft bald ab.«

Der Urjaner nahm einen Bildschirm in Betrieb. »Kommandant Musamt«, erläuterte er. Atlan erkannte die Umgebung. Es war die Stelle an der

Außenwand der Station, wo sie mit den Korvetten angedockt hatten. Mehrere Roboter der SOL wehrten hier die Angriffe der Urjaner ab.

Sie wurden immer weiter zurückgeschlagen. Die Kampfgleiter der Urjaner drängten nach und feuerten auf alles, was ihnen in die Quere kam. Auch die eigentliche Außenhülle der Station wurde unter Beschuß genommen. Erste Risse bildeten sich.

»Sie zerstören wirklich alles und sich selbst«, stöhnte der Arkonide. »Welch ein Wahnsinn!«

»Vorsicht!« Argans Warnung kam noch zur rechten Zeit. Aus einem der Zugänge zu der Halle stürmten mehrere Urjaner in

Begleitung von zwei Schwebegleitern. Henter setzte sein Gefährt sogleich in Bewegung. »Sie werden uns angreifen«, rief er Atlan zu, der seine beiden

Impulsstrahler zückte. Argan U versuchte, das Heckgeschütz des Gleiters in Betrieb zu nehmen, aber er kam mit der fremdartigen Technik nicht zurecht.

Der Gleiter schoß in einen schmalen Korridor. Atlan richtete seine Waffen auf die Wände und feuerte mit voller

Leistung. Das Metall löste sich auf und sank flüssig zu Boden. Trümmer stürzten nach, die den Verfolgern vorerst den Weg versperren würden.

Schließlich konnte Argan einen Schuß aus dem Geschütz der Urjaner lösen, der in die Decke ging und die Barrikade endgültig

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dicht machte. »Lange hilft uns das nicht, Kleiner«, meinte Atlan. »Aber es ist

besser als gar nichts.« Sie rasten durch den dunklen Gang, wobei sich der Urjaner als

vorzüglicher Pilot entpuppte. Doch plötzlich bremste er scharf ab, als sie einen hell erleuchteten

Raum passierten, der zu dem Gang hin offen war. »Sanny!« brüllte der Puschyde. Atlan sprang aus dem Gleiter und stürzte auf die Molaatin zu. Diese stand vor einem Schaltpult. Oberhalb der Konsole war ein

Bildschirm erleuchtet. »Wo warst du?« stieß Atlan hervor. »Ich versuche es dir später zu erklären«, antwortete Sanny

verstört. »Sieh dort!« Atlan folgte ihrer Hand. Dicht unter der Decke schwebte

Chybrain. Jetzt vernahm der Arkonide auch die wispernde Stimme des

merkwürdigen Wesens. »Den können wir jetzt gut gebrauchen«, stellte Atlan fest. »Die

Urjaner haben nämlich überall thermonukleare Sprengsätze gelegt, die jeden Augenblick hochgehen können.«

»Ich fürchte«, antwortete Sanny, »Chybrain ist nicht bei Laune. Auch scheint er nicht das zu sein, wofür du ihn hältst.«

Der Arkonide schwieg verwundert. Sanny zeigte nun auf den Bildschirm. »Fernortung«, erläuterte sie. »Ich konnte die Anlage gerade in

Betrieb nehmen.« Der Spielverderber kommt, sagte eine Stimme in Atlans Kopf. Sanny

war anzusehen, daß auch sie die Worte gehört hatte, denn sie blickte zu Chybrain hoch.

»Wer hat das gesagt?« fragte Argan U verblüfft. »Wo ist ein Spielverderber?«

»Wir stecken bis über beide Ohren im Dreck«, schimpfte Atlan,

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»und Chybrain spricht von einem Spielverderber. Ich werde noch wahnsinnig.«

Er blickte in die Höhe. »Heh, Chybrain! Hier fliegen gleich die Fetzen. Hol uns heraus!« Das Kristallei reagierte nicht, doch dann beschleunigte es und

verschwand in der Decke. Atlan glaubte in seinem telepathischen Gewisper wieder etwas

von einem Spielverderber zu hören. Nun endlich fand er Zeit, das Bild zu betrachten, das Sanny auf

die Ortungsanzeigen geholt hatte. Deutlich erkannte er vor einem matten Hintergrund die Umrisse

der SOL. Dahinter war als schwächeres Echo, aber viel größer, ein weiteres Gebilde zu sehen. Der runde Reflex wurde schnell größer.

Es gab keine Meßskala oder brauchbare Vergleichswerte, aber Atlan schätzte den Durchmesser des riesigen Objekts auf mehrere Kilometer.

»Das ist der Spielverderber«, sagte Sanny. »So habe ich Chybrain wenigstens verstanden.«

Atlan konnte das Objekt nicht identifizieren. Henter war inzwischen aus dem Gleiter geklettert. In der Ferne

waren wieder Detonationen zu hören. Er kam zu dem Arkoniden, der noch immer auf das Ortungsbild

blickte. »Fremder«, sagte er dumpf, »ich möchte mich von euch

verabschieden. Unsere Stunde ist gekommen. Das Auge zum Jenseits arbeitet nicht mehr. Es gibt kein Zurück für mich und keine Rettung für euch. Ich habe das Zeichen empfangen, daß die Bomben jetzt gezündet werden.«

Der Arkonide blickte den so menschenähnlichen Urjaner an, als würde er seine Worte nicht verstehen.

Henter drehte sich um und ging zu dem Kampfgleiter. Niemand hielt ihn auf, als er in die Kanzel kletterte und startete. Sekunden später war er verschwunden.

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»Was nun?« fragte Argan U und blickte seine beiden Freunde hilflos an.

»Ich weiß nicht weiter«, gestand Atlan. »Es muß einen Ausweg geben.

Chybrain hat uns offensichtlich im Stich gelassen. Vertell-Null ist auch nicht gekommen, und von unseren Leuten fehlt jedes Zeichen.«

Die Funkempfänger blieben stumm. ‹ »Schließt eure Anzüge«, fuhr Atlan fort. »Vielleicht geschieht noch ein …«

Schlagartig setzte die künstliche Schwerkraft aus. Die drei wurden durch die Luft gewirbelt.

Dann erloschen alle Lichter, und der Bildschirm wurde dunkel. Sekunden später drangen erste Detonationswellen an Atlans

Ohren. Und dann war da nur noch gleißende Helligkeit, das Chaos und der Untergang.

9. Breckcrown Hayes konnte seine Nervosität nicht länger verbergen.

Die zweite Korvette war inzwischen zur SOL zurückgekehrt, aber von Atlan, Sanny und Argan U fehlte jedes Lebenszeichnen.

Federspiel berichtete, daß man unter dem Druck der Angreifer weichen mußte und daß diese mehrere Lecks in die Aqua-I-Station geschossen hatten.

Der High Sideryt ließ sämtliche verfügbaren Transmitter auf Empfang schalten, denn zwei dieser Geräte waren zumindest in der Station geblieben.

Federspiel machte allerdings kein Hehl aus seiner Meinung. »Es wäre ein unwahrscheinlicher Glücksfall, wenn einer davon

noch betriebsbereit wäre. Die wütenden Horden haben alles kurz und klein geschossen.«

Auf den Bildschirmen der optischen Sensoren und der

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Ortungsanlagen war übergroß die riesige Kugel Wöbbekings zu sehen. Der Gaskomet mit seinem winzigen Kern stand unweit von Aqua-I.

Irgendwelche Aktivitäten waren nicht zu erkennen. Auch zeigte die Energieortung nur verschwommene Echos an, aus denen sich nichts Konkretes entnehmen ließ.

Bjo Breiskoll zuckte plötzlich zusammen. Noch beachtete ihn keiner, denn man verfolgte aufmerksam die pausenlosen Funkanrufe, die an Wöbbeking gerichtet waren.

Aber die geheimnisvolle Kugel, die nach den bisherigen Erfahrungen zweifellos etwas Intelligentes enthielt, reagierte nicht.

»Vorsicht!« stöhnte der Katzer. »Ich spüre eine gewaltige Veränderung in der näheren Umgebung.«

Seine Hände glitten hilflos durch die Luft. »Energieortung!« brüllte jemand. Gleichzeitig erklang ein Alarmsignal. Vorlan und Uster Brick, die beiden Chefpiloten, reagierten sofort.

Der eine beschleunigte die SOL von Aqua-I weg, der andere schaltete die Schutzschirme hoch.

Noch während sich das Hantelschiff absetzte, blähte sich der Wasserball des Planeten auf. Grelle Flammen zuckten aus dem Innern.

In Sekundenschnelle war der ganze umgebende Raum ein einziges Inferno aus tobenden Energien und verdampfenden Wassermassen.

Die Ausläufer der Detonationen erreichten die SOL, konnten ihr aber nichts anhaben.

Immer neue Ausbrüche von gewaltigen Energien geschahen dort, wo einst das Zentrum von Aqua-I gewesen war.

Erst Minuten später flaute die Aktivität ab. Von Wöbbeking war in den Schwaden des vergangenen

Wasserplaneten nicht eine Spur mehr zu sehen. Die Dampfwolken hatten sich viele tausend Kilometer in den Raum hinaus ausgedehnt und bildeten noch immer ein Gewirr aus rotierenden Wolken, die

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sich nur langsam anschickten, wieder in sich zusammenzufallen oder zu kondensieren.

In der Hauptzentrale der SOL herrschte betroffenes Schweigen. Curie van Herling teilte mit, daß bis zum letzten Augenblick die

geschalteten Transmitter empfangsbereit gewesen waren. Aber niemand war dort aufgetaucht.

Die Feinortung zeigte an, daß von dem metallenen Kern des Wasserplaneten keine Spur übriggeblieben war.

Die Orter schickten ihre Energien hinaus, aber sie fanden nichts. Breckcrown Hayes starrte stumm auf die Bildschirme. »Hallo, Leute!« Die Köpfe fuhren herum. Der High Sideryt wollte nicht glauben, was er sah. Im Eingang standen Sanny und Argan U. Die beiden Extras blickten nicht weniger verdutzt als Hayes, die

Stabsspezialisten oder Bjo Breiskoll. Dann muß Atlan auch noch am Leben sein, war der erste Gedanke

des High Sideryt. »Fragt uns nicht«, sagte Sanny, »wie wir hierhergekommen sind.

Wir wissen es nicht.« »Und Atlan?« fragte Bjo Breiskoll. »Er stand eben noch neben uns im Innern der Station«, entgegnete

Argan U. »Als alles in die Luft flog, schwanden mir für einen Moment die Sinne. Jetzt bin ich hier.«

»Eben?« fragte Breckcrown Hayes zurück. »Aqua-I flog vor mindestens einer Viertelstunde in die Luft.«

Sanny und Argan zuckten nur mit den Schultern.

* Um Atlan herum herrschte plötzlich völlige Stille.

Er hatte die Augen weit geöffnet, aber er sah nichts, was sich

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beschreiben ließ. Es war weder hell noch dunkel, es gab keine Umrisse oder Formen und keine glatten Flächen. Nichts stand still, und doch war da keine Bewegung.

Er tastete an seinem Körper herunter und stellte fest, daß er nur in der lindgrünen Bordkombination steckte. Sein Schutzanzug und die Waffen waren verschwunden.

Er hob seinen Arm und blickte auf sein Chronometer. Die Leuchtziffern zeigten das Datum und die Uhrzeit, aber sie

veränderten sich nicht. Stand die Uhr still, oder erlebte er die Zeitlosigkeit? Ihm fiel wieder ein, daß sie nach den bisherigen Beobachtungen

ohnehin einem anderen Zeitablauf unterlagen. Und er dachte daran, daß der Versuch, über die Station in Aqua-I in das eigene Universum zu gelangen, vollkommen gescheitert war.

Seine Gedanken arbeiteten klar und normal, aber der Logiksektor schwieg beharrlich.

Atlan spürte keinen Boden unter seinen Füßen und keinen Sog einer Schwerkraft. Andererseits vermeinte er, unverrückbar an einem Ort zu sein.

Wie aus weiter Ferne drang eine Stimme an sein Ohr oder in sein Bewußtsein. Unerklärlicherweise wußte er sofort, daß er nur Zuhörer eines Gesprächs war, daß die Worte also nicht ihm galten.

Jemand war zornig und ungehalten. Ein anderer wurde von diesem gerügt. Du hast dich wie ein Flegel benommen! Was soll noch aus dir werden! Die Antwort war ein albernes Gekicher, das sich rasch entfernte. Atlan war geneigt, an einen Traum zu denken, den er erlebte,

denn nichts von seinen Beobachtungen paßte in ein verständliches Bild. Das war sicher auch der Grund für das Schweigen des Extrasinns.

Er fühlte sich aber geborgen. Auch das war widersinnig und konnte nicht nur daran liegen, daß er auf unerklärliche Weise den explodierenden Bomben der Urjaner entkommen war.

Page 92: Das Auge zum Jenseits

Von Sanny und Argan fehlte jedes Lebenszeichen. Auch sonst war nichts erkennbar, was einen Hinweis auf das tatsächliche Geschehen abgab.

Allmählich bildeten sich Konturen um ihn herum. Eine glatte Wand aus silbrigem Metall tauchte vor seinen Augen

auf. Er griff danach und spürte einen festen Widerstand. Dann entstand ein Boden unter seinen Füßen, und eine sanft

ansteigende Gravitation lenkte ihn nach unten. Seitenwände, eine Tür und ein Ausguck folgten. Dahinter

schimmerte etwas in rötlichen Farbtönen. Erst jetzt wurde dem Arkoniden bewußt, daß er die ganze Zeit

über eine atembare Atmosphäre in sich aufgenommen hatte. Sein Schutzanzug und seine Ausrüstung blieben verschwunden. Das Leuchten hinter der Öffnung ging in blaßgrüne Töne über.

Der Farbenwechsel und die Farben selbst erinnerten Atlan an die Jenseitsmaterie und an Chybrain.

Und an Wöbbeking! meldete sich unvermutet der Extrasinn. Da er sich wieder bewegen konnte, trat er an die Öffnung und

blickte hindurch. Die charakteristischen Farben der Jenseitsmaterie waren verschwunden. Jetzt glänzten hier auch alle Flächen in blanken silbrigen Tönen.

In dem benachbarten Raum ragte ein dicker Zylinder in die Höhe. Andere, kleinere Zylinder waren daran befestigt und vermittelten den Eindruck einer fremdartigen Maschine.

Ein kaum hörbares Summen lag in der Luft. Schaltelemente waren nirgends zu erblicken. Nun hatten sich alle Umrisse stabilisiert. Der Raum, in dem Atlan

stand, war kreisförmig und leer. Er durchmaß etwa fünfzig Meter und war fast ebenso hoch.

Erneut blickte er auf den dicken Zylinder, der sich oberhalb der Decke fortsetzte, wie an schmalen Öffnungen zu erkennen war.

»Der Umkehr-Fiktivtransmitter mit Spezialheptatrafer«, sagte eine weiche Stimme hinter ihm.

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Atlan fuhr verblüfft herum. Wenige Schritte vor ihm stand ein Roboter. Die Maschine hatte

menschliche Umrisse und auch die entsprechende Größe. Ihre Außenhaut war aus dem gleichen blanken Metall wie die Wände und der Boden.

Was Atlan am meisten erstaunte, war, daß der Roboter ihn auf Arkonidisch, genauer gesagt in einem altarkonidischen Dialekt ansprach!

»Willkommen!« fuhr der Roboter fort, als er keine Antwort erhielt. Diesmal wählte er ein Wort aus dem alten terranischen Englisch. »Du bist sicher verwundert, Atlan.« Das war Interkosmo. »Dabei

müßtest du dich doch …« Der Roboter brach ab und verzog seinen metallenen Mund zu

einer Imitation des menschlichen Lächelns. Atlans Gedanken überschlugen sich. Er versuchte einen

Anhaltspunkt für eine Erklärung der Geschehnisse und des Gehörten zu finden, aber jeder Versuch scheiterte.

»Möchtest du mehr sehen?« fragte der Roboter freundlich. »Ich heiße übrigens Guide.«

»Guide?« echote Atlan und brachte damit erstmals etwas über seine Lippen. »Du bist wohl eine Art Fremdenführer, he?«

»So kannst du es verstehen, obwohl keine Fremden hier sein dürfen.«

»Aber ich bin für dich ein Fremder! Wo bin ich überhaupt?« »Du bist kein Fremder«, lautete die ebenfalls verblüffende

Antwort. »Und wenn du wirklich nicht weißt, wo du bist, so hat das seinen Grund. Die Antwort lautet: Du bist in Wöbbeking.«

Das Echo auf dem Orterschirm, erinnerte ihn sein Logiksektor. »Wöbbeking«, sagte Atlan gedehnt. »Nar'Bon.« »Auch diesen Namen benutzt Wöbbeking bisweilen«, bestätigte

Guide. »Und welches ist sein richtiger Name?« »Das weißt du nicht?« Echte Verwunderung schwang in der

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Stimme der Maschine mit. Abgesehen von dem Aussehen verhielt sie sich wie ein normaler Mensch. »Sein richtiger Name ist Wöbbeking.«

Das könnte eine bewußte Unwahrheit sein, wisperte der Extrasinn. »Komm!« Guide winkte unbestimmt, so daß Atlan nicht wußte, in welche

Richtung er sich bewegen sollte. Schließlich folgte er dem Roboter, der die Mitte des Raumes anstrebte.

»Sanny und Argan U sind übrigens wohlbehalten auf der SOL gelandet«, plauderte Quide weiter, als spräche er vom Wetter.

»Wie war das möglich? Wie kam ich hierher?« »Wöbbeking.« Der Roboter lachte leise. Schlagartig veränderte sich die Umgebung. Es war für Atlan, als

sei er ohne spürbaren Einfluß einfach an einen anderen Ort versetzt worden.

»So ist es«, bestätigte Guide. »Du kannst meine Gedanken lesen?« wollte Atlan mißtrauisch

wissen. »Ich nicht.« Wieder lachte Guide. »Aber Wöbbeking. Und er hat

mir gesagt, was du gedacht hast. Übrigens hast du soeben den Umkehr-Fiktivtransmitter am eigenen Leib kennengelernt.«

In der unmittelbaren Nähe war ein lautes Rauschen zu hören. Über Atlans Kopf ragte ein Zylinder schräg in die Höhe. »Eine der vielen Gasdüsen Wöbbekings«, erklärte Guide

bereitwillig. »Im Augenblick bringen die Energiefelder das Ammoniak-Methan-Gemisch wieder zurück in die Hochdruckkammern.«

»Ich verstehe kein Wort«, gab Atlan zu. »Dabei hast du Wöbbeking zweimal in Aktion erlebt, und das war

zu einer Zeit, in der deine Erinnerung nicht mehr gelöscht wurde.« Atlan durchzuckten diese Worte wie ein siedendheißer Guß. Die

Anspielung Guides war überdeutlich. Sie ließ nur einen Schluß zu. Der Roboter oder Wöbbeking wußte, daß ihm nach seinem

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Aufenthalt bei den Kosmokraten die Erinnerung an alle Ereignisse jenseits der Materiequellen genommen worden war. Er wußte nur von dem Auftrag, den ihm die unbekannten Mächte mit auf den Weg gegeben haben.

»Wo ist Wöbbeking?« fragte er. »Hier. Du bist in ihm.« »Willst du damit sagen, daß Wöbbeking nichts weiter ist als eine

komplizierte Maschine?« »Nein, nein«, beschwichtigte der Roboter. »Aber das, was du eine

Maschine nennst, ist auch Wöbbeking. Er selbst ist unnahbar. Sein Platz befindet sich im Zentrum.«

»Ich möchte mit diesem Wöbbeking sprechen«, verlangte Atlan. »Dieses Verlangen kann ich verstehen, doch zuvor muß ich dir

noch einen anderen Ort zeigen. Komm!« Wieder wechselten Atlan und Guide übergangslos den

Aufenthaltsort. Ihr Zielpunkt war ein kugelförmiger Raum von etwa 40 Metern

Durchmesser. Er war durch transparente Zwischenwände in mehrere Räume aufgeteilt.

Verschiedene Gegenstände lagen wahllos verstreut auf dem Boden herum.

Atlan hob einige davon auf. Es handelte sich um Spielzeuge, kleine Raupenpanzer, Würfel, Puzzlespiele und ähnliche Dinge. Sie waren aus Holz und Plastik gefertigt.

»Du erkennst diesen Raum?« fragte Guide. »Nein.« Atlan schüttelte den Kopf. »Müßte ich ihn denn kennen?« Guide erwiderte nichts. Er führte Atlan zu einem Ausguck, hinter dem eine Röhre begann,

die so eng war, daß ein Mensch sie nicht durchkriechen konnte. Der Arkonide warf einen Blick hinein. Er mußte sich am Rand von Wöbbeking befinden, denn hinter

einem flimmernden Energiefeld sah er das Weltall des Sternenuniversums. Langsam schob sich von einer Seite die SOL in

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sein Blickfeld. Als er sich umdrehte, war seine Umgebung wieder verändert. Er stand unterhalb einer wohl 200 Meter durchmessenden Kugel,

deren Hülle glatt war und in den schon beobachteten Farben der Jenseitsmaterie schimmerte.

»Ich begrüße dich, Atlan.« Der Arkonide wußte sofort, daß nun Wöbbeking zu ihm selbst

sprach, zumal Guide verschwunden war. »Auch ich begrüße dich, Wöbbeking«, antwortete Atlan laut. »Wo

bist du?« »In der Kugel vor und über dir. Erinnerst du dich, was geschah,

als du mit Laire durch die Materiequelle kamst?« Die Frage war ein erneuter Schock für den Arkoniden. »Nein«, antwortete er. »Natürlich weiß ich, welchen Auftrag mir

die Kosmokraten gaben.« »Diesen Auftrag hast du dir doch wohl selbst gegeben, Atlan.

Oder fühlst du dich abhängig?« »Nein. Das nicht. Wer bist du, und warum darf ich mich nicht an

die 200 Jahre erinnern, die ich fort war?« »Das allein ist Sache der Kosmokraten. Und die stehen weit über

mir.« Atlan registrierte, daß Wöbbeking die erste Frage nicht

beantwortet hatte, aber er bohrte nicht weiter. Hier bot sich vielleicht die Möglichkeit, das Dunkel der Vergangenheit etwas zu lüften.

Wöbbeking mußte in irgendeiner Beziehung zu den Geschehnissen stehen, die mit den vergessenen Ereignissen zusammenhingen. Das stand für Atlan fest, obwohl der Logiksektor schwieg.

»Du hast die Heimstatt des Sohnes nicht erkannt?« fragte das unsichtbare Wesen aus der riesigen Kugel.

»Du sprichst von dem Raum, in dem ich eben noch war?« »So ist es. Du hast noch einen langen Weg vor dir. Ich kann dir

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nicht immer zur Seite stehen, denn auch ich bin an bestimmte Gesetze und Regeln gebunden. Ob du Erfolg haben wirst, Atlan, liegt letztlich allein an dir.«

»Ich weiß. Aber du solltest mir meinen Weg nicht unnötig schwer machen!«

»Habe ich das getan?« Wöbbekings Stimme klang amüsiert. »Ich habe dich mehrmals aus einer hoffnungslosen Lage gerettet.«

»Das stimmt. Ich danke dir. So war das auch nicht gemeint. Du solltest mir ein paar Fragen beachtworten?«

»Welche?« »Wer bist du? Wer ist Chybrain? Wer ist Hidden-X?« »Hidden-X ist eine bewußte Spiegelung der negativen

Superintelligenz Seth-Apophis, die sich losgelöst hat und machtgierig nach einem eigenen Herrschaftsbereich sucht.«

»Du hast meine Fragen nur zum Teil beantwortet, Wöbbeking.« »Chybrain? Um ihn solltest du dich mehr kümmern.« »Ich um ihn?« Empörung und Verwunderung schwang in Atlans

Stfmme mit. Wöbbeking lachte. »Lebewohl!« Bevor Atlan noch etwas sagen konnte, verschwand die

Umgebung. Er stand vor Breckcrown Hayes in der Zentrale der SOL. Man bestürmte ihn mit Fragen, aber er wehrte alle ab. »Ich muß das Erlebte erst überdenken. Der dort, wer immer es

oder er ist, hat mich gerettet. Und Sanny und Argan auch.« Seine ausgestreckte Hand deutete auf den Hauptbildschirm, wo

sich der riesige Eikörper Wöbbekings schnell entfernte. »Der große Chybrain«, meinte Sanny. »Ich kann nicht einmal den

kleinen berechnen, der mir wie ein kleines, ungezogenes Mädchen vorgekommen ist, das nur Flausen im Kopf hat.«

»Mädchen?« fragte Atlan und dachte einen Augenblick über seine Erlebnisse nach. »Ich würde eher sagen, Junge.«

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Er erntete erneut fragende Blicke. »Wir werden auch dieses Rätsel lösen, meine Freunde. Aber

zunächst gilt es, das heimatliche Universum zu finden.« »Das Universum des Hidden-X«, sagte Gallatan Herts düster. »Nein, Gal«, widersprach Atlan. »Unser Universum.«

ENDE Während das Problem, wie die SOL das Sternenuniversum verlassen soll,

noch immer seiner Lösung harrt, wechseln wir im Atlan-Band der nächsten Woche den Schauplatz und blenden um zu Oggar, dem Multibewußtsein, und zu Insider.

Der Extra studiert das Logbuch der SOL und erfährt die Geschichte von INSIDERS PLANET …

INSIDERS PLANET – unter diesem Titel erscheint auch der Atlan-Band

573. Der Roman wurde von H. G. Francis geschrieben.

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