11
(Aus der Anstalt Her Apeldoornsche Bosch.) Das biologische Geschehen w/ihrend der Dauernarkose. Von D. Schrijver. (Eingegangen am 11. Juli 1930.) In den vielen VerSffentlichungen fiber die Wirkung des Somnifen- dauerschlafs bei Psychosen ist immer von dem Effekt der Behandlung die Rede. Wir brauchen nicht darauf hinzuweisen, da$ das Urteil der meisten Autoren dahin geht, dal~ in F/tllen yon Manie und Melancholie die therapeutische Wirkung eine recht gute, in F/~llen von Schizophrenie eine vorfibergehende ist, oder fiberhaupt fehlt. Die Frage, was denn eigentlich das therapeutisehe Prinzip des Dauerschlafs ist, sie ist von den Autoren meistens nicht gestellt worden. Man hat sich meistens damit begnfigt, die Vorstellungsweise Kliisis zu acceptieren, welche bekanntlich dahin geht, dab die Dauer- narkose den Circulus vitiosus zwischen Affekterregung und psycho- motorischer Erregung unterbricht. In einer anderen Gruppe von F/illen legt Klgsi bekanntlich den Schwerpunkt auf die aufmerksame Pflege, welche die hilfsbedfirftigen Kranken ben6tigen, ja er glaubt sogar die guten therapeutisehen Resultate, die von verschiedenen Autoren mit der pyrogenetischen Behandlung erzielt worden sind, hierauf zurfickfiibren zu kSnnen. Der somatiseh orientierte Psychiater begntigt sich nicht mit dieser Hypothese. Er fragt sich, ob dieWirkung der Dauernarkose sich auch auf andere Weise erkl/~ren liel~e. Es w/ire in dieser Hinsicht von Interesse, die Wirkung des Dauer- schlafs auf die bis jetzt bei Psyehosen gefundenen Abweichungen zu untersuchen. Leider widersprechen sich jedoch die Ergebnisse auf diesem Gebiet zum Tell. Aul~erdem kSnnen viele Untersuchungen w/ihrend der Dauernarkose nicht durchgefiihrt werden. Die hier folgenden Untersuchungen wurden im Rahmen gr61~erer Untersuehungsreihen vorgenommen, l~ber diese Untersuchungen wird an anderer Stelle berichtet werden. Sie beseh/~ftigen sich mit den Plasma- eiweil~kSrpern und deren kolloidalem Verhalten. Ubt der Dauerschlaf

Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

(Aus der Anstalt Her Apeldoornsche Bosch.)

Das biologische Geschehen w/ihrend der Dauernarkose.

Von

D. Schrijver.

(Eingegangen am 11. Juli 1930.)

In den vielen VerSffentlichungen fiber die Wirkung des Somnifen- dauerschlafs bei Psychosen ist immer von dem Effekt der Behandlung die Rede. Wir brauchen nicht darauf hinzuweisen, da$ das Urteil der meisten Autoren dahin geht, dal~ in F/tllen yon Manie und Melancholie die therapeutische Wirkung eine recht gute, in F/~llen von Schizophrenie eine vorfibergehende ist, oder fiberhaupt fehlt.

Die Frage, was denn eigentlich das therapeutisehe Prinzip des Dauerschlafs ist, sie ist von den Autoren meistens nicht gestellt worden. Man hat sich meistens damit begnfigt, die Vorstellungsweise Kliisis zu acceptieren, welche bekanntlich dahin geht, dab die Dauer- narkose den Circulus vitiosus zwischen Affekterregung und psycho- motorischer Erregung unterbricht. In einer anderen Gruppe von F/illen legt Klgsi bekanntlich den Schwerpunkt auf die aufmerksame Pflege, welche die hilfsbedfirftigen Kranken ben6tigen, ja er glaubt sogar die guten therapeutisehen Resultate, die von verschiedenen Autoren mit der pyrogenetischen Behandlung erzielt worden sind, hierauf zurfickfiibren zu kSnnen.

Der somatiseh orientierte Psychiater begntigt sich nicht mit dieser Hypothese. Er fragt sich, ob dieWirkung der Dauernarkose sich auch auf andere Weise erkl/~ren liel~e.

Es w/ire in dieser Hinsicht von Interesse, die Wirkung des Dauer- schlafs auf die bis jetzt bei Psyehosen gefundenen Abweichungen zu untersuchen. Leider widersprechen sich jedoch die Ergebnisse auf diesem Gebiet zum Tell. Aul~erdem kSnnen viele Untersuchungen w/ihrend der Dauernarkose nicht durchgefiihrt werden.

Die hier folgenden Untersuchungen wurden im Rahmen gr61~erer Untersuehungsreihen vorgenommen, l~ber diese Untersuchungen wird an anderer Stelle berichtet werden. Sie beseh/~ftigen sich mit den Plasma- eiweil~kSrpern und deren kolloidalem Verhalten. Ubt der Dauerschlaf

Page 2: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

])as biologische Geschehen w/ihrend der Dauernarkose. 9,81

irgendeine allgemeine k6rperliche Wi rkung auBer der bereits erw/thnten narkot ischen aus, so k6nnte m a n erwarten, dab diese allgemein-k6rper- liche Wi rkung ihre Wiederspiegelung im kolloidalen Verhal ten der PlasmaeiweiBk6rper .finden wtirde,

Methodilc.

Die notwendigen Blutentnahmen geschahen sgmtlich morgens friih nfichtern. Die Venapunktion mittels welter Kanfile fand mit minimaler Stauung start. Zur Plasmagewinnung wurden 20 ccm Blur in 5 ccm 3,60/0 Citratl6sung aufgefangen, weitere 10 ccm gelangten ohne Zusatz in einem Re~genzrohr zur Gerinnung. Das Serum wurde nach 4--6 Stunden abpipettiert und zentrifugiert.

Der Citratblutl6sung wurde 1 ccm zwecks Anstellung der Senkungsreaktion nach Westergren entnommen. Zwecks Ermittelung des Erythrocytenvolums wurde die Methode nach Hedin angewandt. Der fiberbleibende Tell der Citrat- blutlSsung wurde zur Plasmagewinnung wghrend 30 Minuten bei 3600 Umdrehungen zentrifugiert.

Im Citratplasm~ wurde der Fibringehalt nach Gram bestimmt. Die Labili- tgtsreaktionen nach Sachs-Oettingen wurden yon Frau Dr. Schrijver-Hertzberger durchgeffihrt.

Im Serum wurden Refraktion (I~), Viscosit~t (n), GesamteiweiB (E), Albumin, Globulin und Euglobulin bestimmt. Die Viscosit~t wurde mittels der Ostwaldschen Apparatur ermittelt. Die EiweiBbestimmung geschah gravimetrisch nach Starlinger.

Aus den auf diese Weise gewonnenen Zahlen wurden errechnet: a) Der Albumin-Globulinquotient (A/G). b) Unter Benutzung der Naegeli-Rohrerschen Tabellen wurde der Albumin-

Globulinquotient aus den Werten yon n und 1~ gefunden (A/GnR). c) Aus den Werten ftir GesamteiweiB und Viskosit~t wurde unter Benutzung

der Tabelle yon Hellweg und Neusehlofl 1 die spezifische Viscosit~t gefunden (n'). Die Normalzahlen ffir die Senkungsreaktion schwanken zwischen 1 und 7,

der Fibringehalt zwischen 2 und 3 mg pro ccm Plasma. Der Ausschlag der Labilit~ts- reaktionen wird ausgedrtickt mittels einer Skala yon 0-- 10, indem mit 0 das maximal- stabile, mit 10 das maximal-labile Plasma angegeben wird.

Die Blutuntersuchung geschah kurz vor dem Anfang des Dauerschlafs und wurde einige Male w~hrend der Behandlung sowie am letzten Tage und eventuell noch einige Male nach der Beendigung wiederholt. Es wurde darauf geachtet zwischen den verschiedenen Blutentnahmen eine gentigend lange Pause einzu- schalten, damit eine Beeinfliissung der PlasmaeiweiBkSrper durch die Blutent- ziehung tunlichst vermieden wurde.

Die Dauernarkose geschah meistens mittels intramuskul~rer Injektion yon 2 Ampullen Somnife~ pro 24 Stunden. Bei ungeniigander Schlaftiefe, wie sie bei den 1/inger dauernden Behandlungen 6fters eintritt, wurde Hyoscin oder Veronal beigegeben. N/~heres ist aus den beigeffigten Krankheitsgesehichten ersichtlich.

Krankheitsgeschichten. 1. J .D. Der jetz~ 41j~hrige Kranke wurde im 15. Lebensjahre psychotisch.

Er wurde gereizt, bekam unmotivierte Wutanf~lle. Schon bald entwickelten sich flfichtige Wahnvorstellungen und Beziehungsgedanken. Nahezu ohne Unter- brechung ist er seitdem interniert gewesen. Allmi~hlich traten eigenartige katatone Haltungen, Stereotypien und Negativismus hinzu. Seit Jahren befinde$ sich der Kranke in demselben Zustand. Die Dauernarkose wurde eingeleitet, um wenigstens zu versuchen, den autistisch eingekapseltenKranken etwas zugiinglicher zu machen.

Page 3: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

282 Schrijver:

Dauer der Behandlung vom 6. 1.30 bis 27.1.30. Patient bekam 44 Ampullen Somnifen, 13 g Veronal, 9 g Chloral 6 mg Hyoscin. Durchschnittliche Schlafdauer 12 pro 24 Stunden.

Die Behandlung wurde vom Patienten ausgezeichnet vertragen. Temperatur- erhShung trat wi~hrend des ganzen Verlaufs nicht ein.

Naeh Beendigung der Behandlung ist eine auffallende Besserung da. Die psychomotorischen St6rungen sind nahezu verschwunden, ebenso wie die Haltungs- anomalien und der Negativismus. Beiiehungsgedanken werden negiert. Patient kann in eine ruhige Abteilung versetzt werden, wo er abgesehen yon einem geringen Grade yon Autismus nicht welter auffMlt.

10. 2.30 treten die alten Beziehungsgedanken wieder auf und einige Tage nachher muB Patient wegen seines aggresiven Auftretens wieder auf eine unruhige Abteilung versetzt werden. Der alte Zustand ist wieder unver&ndert da.

Tabelle 1.

Zell- A / G R n D a t u m vo[. S .R. F L R n E Glob. Eugl . A / G n"

6. 1. 27. 1.

6.2. 17. 2.

38 36 37 36

4

25

2,9 4;3 0

4:8

61,9 1,74 60,1 1,76 63,4 1,83 61,4 1,85

Alb.

8,43 5,05 7,95 4,22 8,73 4,82 8,00 4,26

3,38 3,73 3,91 5,74

0,85 1,05 1,15 0,46

1,50 1,13 1,23 1,14

76/24 05/35 es/32 55/45

0,91 0,97 0,94 1,01

Aus der Tabelle ist ersichtlich, dab die Senkungsreakt ion (S. R.) am Ende der Dauernarkose pathologisch erhSht ist, ebenso wie der Fibr ingehal t . Die Plasmalabilit/~t (L), der Euglobulingehal t , die spezi- fische Viscosits (n') sind erhSht, der Albumin-Globu l inquo t ien t zeigt eine Erniedr igung (A/G und A/GRn).

2. A. J .L. Der immer etwas verschlossene, in sich gekehrte, intelligente Junge erkrankte im 18. Lebensjahre ziemlich akut mit einem D~mmerzustand. Nach Abklingen des D~mmerzustandes ruhig, aber apathisch, autistisch, maniriert, paralogisch. Auf diesem Boden treten zeitweilige Erregungszust/~nde auf. WAhrend einiger Monate /~uBert er dann bizarre Vergiftungs- und Beziehungsgedanken, weigert Nahrung, um alsbald wieder in den alten Zustand zu verfallen. M~rz 1928 kormte der damals 21j~hrige Kranke relativ gebessert nach Hause entlassen werden. Hier verhielt er sich ruhig, arbeitete etwas, war abet immer menschenscheu. Ok- tober 1929 wurde er sehr still, ~ul]erte auf/ingstlichem Ton allerhand hypochon- drische Beschwerden, nahm nut wenig Nahrung zu sich. Dann ring er an wirres Zeug zu reden. Die zunehmende Erregung machte 26.2.30 eine Wiederaufnahme notwendig.

Die stark zunehmende Erregung auf sprachlichem und motorischem Gebiete, die stets zunehmende Inkoh/irenz gaben zu einer Somnifenkur AnlaB.

Dauer der Behandlung von 7.3.30 his 30. 3. 30. Patient bekam 47 AmpuUen Somnifen, 12 mg Hyoscin, 3 g Veronal, 21 g Chloral. Durchschnitthche Schlafdauer 15 pro 24 Stunden.

Die Behandlung wurde sehr gut vertragen. Nur am Abend des 28.3. trat eine~Temperaturerh6hung bis 38,30 ein, ohne objektivem Befund. Nach Beendigtmg der :Behandlung ist Patient voUkommen ruhig. Alle Erregung ist geschwunden. Es bleibt bis jetzt eine leichte Akinese, Hemmung und zeitweilig impulsives Auf- treten.

Page 4: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

Das biologische Geschehen w~hrend der Dauernarkose.

Tabelle 2.

283

D~ttllm !Zeal- SR F Alb. Glob. I Eugl. A/G A/GRn n"

3. 3, 20. 3. 26. 3. 31.3. 7.4.

15.4.

35 37 35 37 38 38

11 15 3 2

2,4 5,3 3,7 4,5 2,7 2,4

L R

6 59,7 6 61,6 5 61,7 6 63,8 4 63,6 3 60,6

n E

1,64 8,06 1,74 8,33 1,73 8,34 1,84 8,89 1,75 8,88 1,66 8,45

5,05 3,01 5,O4 3,3O 5,24 3,10 5,27 3,62 5,48 3,40 5,75 2,70

0,52 0,57 0,41 0,71 0,66

1,68 82/18 1,53 74/26 1,70 77/23 1,40 69/31 1,61 80/20 2,13 82/18

0,89 0,92 0,92 0,92 0,88 0,87

Aus der Tabel le geht hervor , dab w~hrend der Dauernarkose eine deut l iche ErhShung der Senkungs reak t ion sowie des F ib r ingeha l t s ein- t r i t t . Die Serumveri~nderungen sind weniger ausgeprKgt. Nur im ref rakto- metr i sch-viscos imetr i sch be s t immten A lbumin -Globu l inquo t i en t (A/GRn) zeigt sich eine deut l iche Erniedr igung. Schon eine Woche nach AbschluB der Dauernarkose s ind s~mtl iche W e r t e wieder zur Norm zurf ickgekehrt .

3. N.G. Juni 1929 erkrankte der 37j~hrige Mann unter den Erscheinungen eines Veffolgungswahns. Er ffihlte sich vonder Polizei verfolgt. Auch seine Frau war im Komplott. Nach einigen Monaten breiteten sich die Wahnideen aus, es land eine partielle Systematisierung derselben statt. Alsbald gesellten sich hierzu Halluzinationen (hSrte wie sein SShnchen ihm rief, man beeinfliisse seine Gedanken usw.) eine deutliche Inkoh~renz des Gedankenganges, Sperrungen.

Dauer der Behandlung 17.2.30 bis 8. 3.30. Patient bekam 41 Ampullen Som- nifen, 13 mg Hyosein, 4 g Veronal, 6 g Chloral. Durchsehnittliehe Schlafdauer 13 pro 24 Stunden.

Irgendwelche Zwisehenf~lle traten w~hrend der Behandlung nicht ein. Die Temperatur war immer normal. W~hrend der Behandlung war Patient zeitweise erregt, zeigte im waehen Zustande seine Wahnideen in unver~ndertem Mal3e.

13.3.30. Patient ist ruhig. Wahnideen und Halluzinationen sind vollkommen unge~,ndert.

15.3.30. Patient ist normal. Er korrigiert seine Wahnideen und zeigt voll- stgndige Krankheitseinsicht. Gedankenassoziationen sind normal. Keine Inko- hgrenz. Es ist als einziges pathologisches Symptom noch eine gewisse emotionelle Labilitgt vorhanden.

16.3.30. Morgens frtih ein typischer epileptischer Anfall ohne Lateralisation. Naehher ein wenig dSsig. Am Abend wiederholt sich der Anfall. (Patient hat vom 25. bis 30. Lebensjahre einige epileptische Insulte erlitten, insbesondere nach Alkoholgenufl. In den letzten Jahren haben sieh die AnfMle nieht mehr gezeigt.)

18.3. 30. Patient ist vollst~ndig normal. Er hat vollstgndige Krankheits- einsicht und erinnert sich aller Krankheitserlebnisse vollst~,ndig.

4. 4. 30. Vollst~,ndig normal. Kann nach Hause entlassen werden. 30. 5. 30. Die Heilung hat sich bis jetzt als eine dauernde gezeigt. Patient

i s t wieder berufst~tig und maeht auf seine Umgebung einen vollst~ndig normalen Eindruck. (Es wird dieser Fall an anderer Stelle ausfiihrlich beschrieben werden.)

Es zeigt sich also w~hrend der Dauernarkose eine Zunahme der Senkungs reak t ion (S. R,), des F ib r ingeha l t s (F) und der P l a sma lab i l i t a t (L). Auch hier machen sich die Serumver/~nderungen viel weniger deut l ieh bemerkbar . Nur die Verr ingerung des Albumin-Globu l inquo t i en ten (A/G)

Page 5: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

284 Sehrijver:

is t ausgepr~gt vorhanden . Gleichwohl is t doch auch eine A lbumin - ver r ingerung und eine Eug lobu l inve rmehrung vorhanden , deren AusmaB die Feh le rgrenze welt i iberschrei te t . Noch 16 Tage nach Beend igung der Dauernarkose (also zur Zeit , wo P a t i e n t kl inisch norma l geworden ist) s ind noek Ver i inderungen nachweisbar und erst a m 1.4. (also 24 Tage nach Beendigung der Dauernarkose) s ind si~mtliche W e r t e wieder z u r N o r m zurf ickgekehrt .

TabeUe 3.

I Zell- / A/Glen Datura vol. S.R. ] Alb. Glob. Eugl. A/G n"

10. 1. 25.2. 10.3. 17.3. 24.3.

1.4.

34 1 37 13 34 12 33 6 35 5

F L R

2,6 3 !57,3 3,8 -- 57,7 4,4 5 59,6 3,7 6 56 ,9 3,2 57,5 ~,6 1 57,7

n E

1,59 7,27 1,60 7,29 1,68 7,70 1,63 7,42 1,62 7,49 1,61 7,57

4,95 4,61 4,77 4,67 4,64 5,20

2,32 2,68 2,98 2,75 2,85 2,37

0,31 0,70 0,50 0,42 0,61 0,14

2,13 1,72 1,63 1,70 1,62 2,20

85/15 84/16 78/22 78/22 80/20 82/18

0,94 0,95 0,95 0,95 0,93 0,92

4. M. d. P. Der bei Aufnahme 27js Mann war inamer schon etwas nervSs und reizbar. Er war niemals zu geregelter Arbeit zu bringen und wechselte oft den Beruf. Er vertrug sieh infolge seines reizbaren Temperaments immer seh|echt mit seiner Umgebung. August setzte nach einem psychischen Trauma eine immer sich steigernde manische Erregung ein mit gewaltigem Rededrang und Ideenflueht. Auffallend war nur die sehr geringe motorische Beweglichkeit und ein stereotypiertes Grima~sieren. Es bestanden erh6hte Ablenkbarkeit und Klangassoziationen.

Dauer der Behandlung vom 10. 2.30 bis 27.2.30. Patient bekam 28 Ampullen Somnifen, 2 mg Hyoscin, 3 g Veronal und 3 g Chloral. Durchschnittliche Sehlaf- dauer 15 pro 24 Stunden. Die Schlaftiefe war bis etwa 23.2. sehr grolk Am 25.2. zeigten sich abendliche Temperaturerh6hungen ohne objektiven Befund, welche 27.2. zum Abbrechen der Behandlung n6tigten.

28.2. Ruhig besomlen. Die sprachmotorische Erregung hat g~nzlich nach- gelassen. Bei l~ngerem Gespr~ch etwas abschweifend, leieht ideenfliichtig.

1.3. Noch i~u~er]ich ruhig. 3.3. Wieder sehr erregt und unruhig. Spricht ()hue Unterbrechung. Lacht

und weint gieiehzeitig. Erst Anfang April setzt eine allm~hliehe Beruhigung ein, die bis jetzt andauert.

Er bleibt aber doeh immer noch etwas maniriert und kindlich in seinen ii.uBerungen, so dab man sieh des Eindrueks einer schizophrenen Erkrankung nicht entziehen kann.

TabeUe 4.

n E n"

I

16. 1. 39 5.2. 36

28.2. 33 3. 3. 35 4.4. 40

15.4. 39

BI 1 1

F L

3,3 5 2,5 3 ,3,1 5 3,9 5 2,5 4 2,6 3

60,0 58,0 54,5 60,5 59,5 58,1

1,68 1,62 1,58 1,73 1,64 1,62

8,15 7,85 5,63 8,15 7,75 7,74

5,14 4,62 3,96 4,91 5,20 4,86

3,01 2,73 1,67 3,24 2,55 2,88

0,68 0,22

o~7o 0,31 0,66

1,71 78/22 1,69 80/20 2,37 75/25 1,50 70/30 2,00 83/17 1,68 80/20

I

0,95 0,95 1,~4 0,93 0,92 0,92

Page 6: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

Das biologische Geschehen w~hrend der Dauernarkose. 285

Auch hier wieder t r i t t am Ende der Dauernarkose (28.2.) eine enorme Senkungsbeschleunigung (S. R.) und Fibr invermehrung (F) ein. Die Serumwerte zeigen ein eigenartiges Verhalten. Der Gesamteiwei$gehalt (E) ist am Ende der Dauernarkose stark erniedrigt. Diese Erniedrigung erstreckt sich nicht gleichm/il]ig auf beiden Serumeiweil~fraktionen, im Globulinanteil ist diese Erniedrigung st/~rker ausgesprochen. Der Albuminglobulinquotient ist infolgedessen erh6ht. Die Gesamteiweil~- verringerung, die s tark ausgepr/~gte Senkung der Refraktionswerte (R) deuten eine Hydr/~mie an (man vergleiche auch die Abnahme des Zell- volumens). Auffallend ist die ausgepr/~gte Steigerung der spezifischen Viscosit/~t (n').

5. A.L. Seit einigen Jahrzehnten folgen sich langdauernde manische und melancholische AnfMle; die gesunden Zwischenzeiten sind meist yon kurzer Dauer, Nachdem Mai 1929 ein maniseher Anfall abgeklungen wa,r wurde Patient naeh Hause entlassen. Nach einigen Woehen wurde der 51j~hrige Mann wieder in hoehgradiger manischer Erregung eingeliefert. Von Anfang Juli bis 19. Juli wird Dauerschlafbehandlung mittels Somnifeninjektionen durchgeftihrt. Die Be- handlung wird sehr gut vertragen. Nach AbschluB derselben ist Patient noch einige Tage hypomaniseh und wird dann deprimiert. Die leichte Depression nchwindet nach einigen Monaten.

Tabelle 5.

Datum Zcll- S.it. I GlOb'l vol. F Alb. Eugl. A/G A/GRn n'

7. 6. 39 14. 7. 37 19. 7. 36 29. 7. 39

3,8 4 4,7 4,8 6 3,1 --

L tt

60,7 58,0 58,7 58,9

n E

1,83 7,83 1,67 7,12 1,69 6,60 1,65 7,32

4,97 2,86 4,33 2,79 4,34 2,26 5,01 2,31

0,23 0,70 0,15 0,08

1,73 1,55 1,ql 2,20

57/43 70/30 71/29 s0/20

1,02 0,99 1,04 0,97

Auch hier wieder wi~hrend der Dauernarkose eine Senkungsbeschleuni- gung und Fibr invermehrung und Erh6hung der Plasmalabilit/~t. Nicht so deutl ich wie im Fall 4 sind die Anzeichen einer Hydrs vorhanden. Eine geringgradige Verringerung des Albumin-Globulinquotienten ist angedeutet . 10 Tage nach Beendigung der Dauernarkose sind s/imtliche Werte wieder zur Norm zurfickgegangen.

6. M.M. Der immer sehr regsame feinffihlige, auf relativ hohem intellektuellem Niveau stehende Mann erkrankte im 27. Lebensjahre mit einer akuten Erregung. Er ~ul]erte allerhand Beziehungs-, Verfolgungs- und Vergiftungsgedanken. Nach 4 Monaten ging die Erregung in vollst/~ndige Heilung fiber. Im 33. Lebensjahre wiederholte sich dieser Erregungszustand wghrend ganz kurzer Zeit. Im 39. Lebens- jahre setzte eine heftige Erregung ein, welche fiberwiegend gekennzeichnet war durch eine gewaltige sprachmotorische Erregung mit inkoh~rentem Gedankengang und stets wechselnden Beziehungsgedanken. Nach 2 Monaten lieBen die Beziehungs- gedanken und die sprachmotorische Erregung naeh. Es blieb aber ein etwas mani- riertes Benehmen und erh6hte Lenkbarkeit.

Im 40. Lebensjahr mul~te Patient wieder aufgenommen werden. Er sprach in einem fort. Die Stimmung war gehoben. Es zeigten sich ganz wie friiher sinnlose

Page 7: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

286 Schrijver:

Beziehungsgedanken und immer wechselnde Wahnideen. Auflerdem bestand ein gewaltiger Schreibdrang.

20.2.29. Die Dauernarkose wird eingeleitet, welche hier mittels oraler Dar- reichung von Somnifen durchgefiihrt wird.

14.3.29 tritt abends eine Temperatursteigerung ein. Die Dauernarkose wird deshalb beendet. Die Blutuntersuchung am I4. 3. land morgens start, zu einem Zeitpunkt, wo die KSrpertemperatur noch normal war.

Nach der Behandlung ist Patient w~hrend 10 Tage etwas in sieh gekehrt, spricht wenig, weint viel. Darauf wird er normal und kann geheilt entlassen werden.

Tabelle 6.

Datum S.R. F L R Eugl. A/G A/GRn n'

18.2. 24.2. 6.3.

14. 3. 20. 3.

15 14 11

2,4 3,1 3,5 4,8 3,3

2 61,7 5 56,7 5 58,7 5 59,5 -- 56,5

n E

1,71 8,80 1,56 8,13 1,67 7,95 1,63 7,90 1,60 6,8o

Alb. Glob.]

5,95 2,85 5,25 2,88 4,99 2,96 1,48 6,42 4,52 2,31

0,56 0,70

2,10 1,82 1,69 0,23 1,96

80/20 88/22 74/26 85/15 80/20

0,86 0,85 0,92 0,91 0,97

Man beachte die w~hrend der Dauernarkose zunehmende Senkungs- beschleunigung u n d F ib r inve rmehrung sowie die zunehmende Plasma- labili t~t. Sehr deutlich t r i t t im Gesamteiweil~gehalt (E) die Hydr~mie zutage, welche nach Beendigung der K u r noch zunimmt . Sehr auffallend ist die am 14.3. gefundene Umkehrung des Albumin-Globul inverh~l t - hisses. Weiter ist beachtenswert eine geringfiigige Steigerung der spezi- fischen Viscosit~t. Schon 6 Tage nach Abschlul3 der Behandlung s ind nahezu samtliche Zahlen wieder zur Norm zurfickgekehrt.

7. I .R . Der jetzt 47j~hrige Mann, der immer etwas affektlabil war, erkrankto im 34. Lebensjahre im AnschluB an eine gonorrhoische Infektion. Er hatte aller- hand hypochondrische Vorstellungen, neurasthenische Beschwerden und Beziehungs- gedanken. Heilung erfolgte nach 9 Monaten. Im Herbst 1929 traten wieder im An- schlu6 an ein psychisches Trauma absurde Vergiftungsgedanken, hypochondrische Vorstellungen und Beziehungsgedanken auf.

Eine erste Dauerschla/behandlung wurde vom I. 4.30 bis 24. 4. 30 durchgefiihrt. Im g~nzen wurden verabreicht 1530 Tropfen Somnifen, 10 g Veronal, 24 g Chloral, 1 mg Hyosein, 10 Ampullen Somnifen. Patient schlief ziemlich viel. Vom 11.4. big 14. 4. trat leichte TemperaturerhShung ein, nachher blieb die Temperatur dauernd normal.

24. 4. Patient ist ausgesprochen manisch, lacht viel, macht Witze, ~uBerb Zweifel an seinen Vergiftungsideen. Die hypochondrischen Ideen sind nahezu gesehwunden.

27.4. Nachts Bauchschmerzen und DiarrhSe. 1 Stunde sp~ter ist der bis zu diesem Augenblick manische Kranke wieder melancholisch und ist der alte Zustand wieder eingetreten.

Zweite Dauerschla]behandlung wurde vom 2. 5. bis 20. 5. vorgenommen. Es wurden verabreieht 36 Ampullen Somnifen, 8 g Veronal und 30 g Chloral. Die Behandlung wird sehr gut vertragen. TemperaturerhShung tritt nicht ein. Die Sehlaftiefe ist sehr geniigend.

Nach Beendigung der Somnifenbehandlung ist Patient ruhig und ohne Be- schwerden.

Page 8: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

Das biologische Geschehen wiihrend der Dauernarkose. 287

23. 5. Die hypochondrischen Gedanken sind wieder zurfiekgekehrt. Patient ist deutlieh deprimiert.

Anfang Juni setzt eine schnelle Besserung ein, die innerhalb weniger Tage zu vSlliger tteilung fiihrt.

Tabelle 7. I

D [Zetl- E u g l . a~um" I vo l . L R n E n ' 1

6. 2. 38 19. 2. 36

1.4. 35 12. 4. 35 22.4. 35 24. 4. 35 2.5. 35 8.5. 32

2O. 5. 31

S . R . F

8 !3,7 5 ~3,2 9 3,6

13 3,9 18 4,5 13 3,9 8 3,5 5 .3,3 3 2,9

-- 64,5 5 63,8 3 65,2 6 62,6 7 J62,7 4 62,2 4 68,2 5 61,2 - 162,1

1,85 1,64 1,90 1,81 1,73 1,82 2,00 1,75 1,75

8,84 8,85 9,90 8,63! 8,47 8,44 9,91 8,03 8,33

A l b . G l o b .

4,95 3,89

5,5O 3,53 5,12 3,51 4,80 3,67 4,84 3,60 5,45 4,46 4,31 3,72 4,88 3,45

1,63

0,56 0,66

A / G A ] G R n

],28 70/30 98/2

1~6 65/35 1,46 68/32 1,31 80/20 1,34 65/35 1,22 1,16 71/29 1,41 75/25

0,93 0,82 0,86 0,93 0,91 0,95 0,90 0,96 0,93

Bet rachten wir die erste Dauernarkose so f~tllt uns auf, dab auch bier wieder im Verlauf der Behandlung die Senkungsbeschleunigung und Fibr invermehrung deutlich ist. Die Ver~nderungen im Serum sind viel weniger ausgepr~gt. Eine Abnahme des GesamteiweiBgehalts kann sowohl refraktometrisch, wie gravimetrisch festgestellt werden.

W~hrend der zweiten Dauernarkose, die 2 Wochen nach Beendigung der ersten angefangen wird, stellen wir fest eine Senkungsver langsamung und eine Abnahme des Fibringehalts. Dies in Gegensatz zu unserem Befund in allen fibrigen F~llen. Nur die Hydr~mie ist auch hier wieder vorhanden, wie die Zellvolumwerte, die Refrakt ion (R) und die Ge- samteiweiBwerte (E) zeigen.

8. J. S. de J. Der jetzt 49j~hrige Mann hat schon w~hrend einiger Jahrzehnte melaneholische Anf~,lle durchgemaeht. Seit Anfang 1930 ist er wieder deprimiert, weint viel, ist leicht gehemmt.

Vom 29.5. bis 12.6. wird eine Dauernarkose durehgefiihrt. Patient bekommt im ganzen 24 Ampullen Somnifen, 24 g Chloral, 2 g Veronal und 5 mg Hyoscin. Die Behandlung verl~uft ohne irgendwelche ZwischenfMle. Patient sehl~ft viel.

13.6. Weint noch viel. Ist gespr~chig. 16. 6. Ruhig, weniger deprimiert. 22. 6. Nur noch geringe Hemmung. Weint nieht mehr. 26. 6. Die Depression ist nahezu geschwunden, es bleibt nur eine leiehte Hemmung

bestehen.

Tabelle 8.

D . I Z e l l " S . R . A ] G R I a l u m I vo l . F L ~ n E A l b . G l o b . A I G n" I

30. 4. 41 1 27.5. 42 2 5.6. 42 7

27.6. 41 2

3,0 3,7 44

5,9 46 2,8

65,2 64,7 66,3 63,6

1,84 1,81 1,93 1,77

9,05 9,08 9,32 8,42

5,96 5,51 5,12 5,30

3,09 3,57 4,20 3,12

1,93 1,54 1,22 1,70

72/28 70/30 65/35 70/30

0,90 0,89 0,92 0,93

Page 9: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

288 Schrijver:

Die Tabel le zeigt eine Senkungsbeschleunigung wiihrend der Dauer- narkose, welche al lerdings die obere Grenze des Normalen nicht i iber- schrei te t . Diese re la t ive Senkungsbeschleunigung geht einher mi t einer F ib r inve rmehrung , die zu den grSl3ten beobach te ten W e r t e n gehOrt ( l~berschrei tung der oberen Grenze der Norm um etwa 100~ Die Diskordanz zwischen der wenig ausgepr~gt ver laufenden Senkungsbe- schleunigung und der grollen F ib r inve rmehrung wird zweifellos erkl~r t durch das hohe E ry th rocy t envo lumen .

Auch die P lasmalab i l i t i t t zeigt eine deut l iche Steigerung. Wie in den fibrigen Fit l len s ind auch hier wieder die Serumwer te weniger aus- gepriigt . Deut l ich s ind al lerdings die Ste igerung der Globul inquote sowie die Abnahme des A lbumin -Globu l inquo t i en t en (A/G und A/GRn) .

9. J .H. , ein 34j~hriger Imbeziller, erkrankte etwa ein halbes Jahr vor Auf- nahme mit Wahnideen und Halluzinationen. Er glaubte, dall ein M~idchen in ihm verliebt war, h6rte nachts wie das M~dchen Hilfe fief, weil sie millhandelt wurde yon Leuten, die dem Patienten fcindselig gesinnt waren.

Withrend seines hiesigen Aufenthalts war Patient fortwiihrend yon seinen Halluzinationen beherrscht, erregt, nachts unruhig, weil er allerhand Stimmen h6rte.

Dauernarkose vom 20. 5. bis 9.6. Es wurden im ganzen 3000 Tropfen Somnifen und 5 g Veronal verabreicht. Mittlere Schlafdauer 16 pro 24 Stunden. Vom 24.5. bis 27.5. mullte die Somnifenkur unterbrochen werden wegen Temperaturerh6hung. Die weitere Behandtung wurde anstandslos vertragen.

W~hrend der ersten Tage nach Absch[u[l der Kur haIluzinierte Patient noch. Ab 16.6. setzte eine fortschreitende Besserung ein. Zur Zeit ist Patient nur noch etwas autistisch, benimmt sich weiter abet ganz normal.

Tabelle 9.

Zell- A/GRu Datum vol. S,R. ~ Glob. A/G n'

19. 12. 20. 5.

6. 6. 10. 6. 26. 6.

36 35 33 33 36

1 i 8

2

F L

2,1 3 2,6 4 3,4 4 4,0 4 2,3 3

R i1

59,3 1,63 60,8 1,65 58,0 1,66 57,8 1,66

158,9 1,63

E Alb.

7,84 5,21 7,77 5.35 7,54 4,88 7,32 4,69 7,91 4,97

2,63 2,42 2,66 2,63 2,94

1,98 2,21 1,84 1,78 1,70

85/15 s5/15 72/28 72/28 s5/15

0.9l 0.93 0,95 0.9S 0,91

Auch hier wieder Senkungsbeschleunigung, F ib r inzunahme , geringe Senkung des Albumin-Globu l inquo t i en ten , Anste igen der spezifischen Viscosi t~t w~hrend der Dauernarkose .

Diskussion der Ergebnisse.

Bet r ach t en wit die Resu l t a t e zusammenfassend, so ltttlt sich Fol- gendes feststel len.

W/thrend des Dauerschlafs f inder in s~mtl ichen F/i l len eine deut l iche Senkungsbeschleunigung s ta t t . Diese Senkungsbeschleunigung tiber- schre i te t meis tens sehr deut l ich die obere Grenze des Norma len 7. Sie geh t in si imtl ichen Fi i l len einher mi t einer ausgepr i ig ten Zunahme der

Page 10: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

Das biologische Geschehen w~hrend 4er Dauernarkose. 289

Fibrinquote. Das Zellvolumen des Citratblutes zeigt keine charakteristi- sehen ~:nderungen. Die Senkungsbeschleunigung ist also wohl ziemlich sicher auf eine Fibrinvermehrung zuriiekzuffihren. Der Ausfall der Labilit~tspriifung des Plasmas ging nicht immer parallel mit dieser Fibrinvermehrung. Diese Reaktion ist zur Aufdeckung yon relativ geringffigigen ~nderungen wohl nieht geeignet.

Neben diesen ausgepr~gten Plasma~nderungen sind die Anderungen im Serum viel weniger deutlich. Weder die Refraktion noch der gravimetrisch bestimmte Gesamteiweil3gehalt des Serums zeigen konstante Abweichungen, wenn man yon der in einigen F~llen konstatierten Hydriimie absieht.

Nur in einigen F~llen konnte eine ausgepr~gte Senkung des gravi- metrisch oder refrakto-viscosimetrisch bestimmten Albumin- Globulin- quotienten festgestellt werden. Auch in der spezifischen Viscositi~t (n') fanden sich nicht immer deutliche :~nderungen.

Bedeutungsvoll ist aber dieTatsache, dab eventuelleAbweichungen dleser Serumkonstanten immer in der Richtung einer VergrSI3erung der relativen Quote der grob-dispersen EiweiBkSrper w~hrend des Dauerscb_lafs gingen (Verringerung der Albumin-, VergrSBerung der Globulinquote, Abnahme des Albumin-Globulinquotienten, Zunahme der spezifischen Viscosit~tt.)

Man ist also wohl genStigt anzunehmen, dab w~thrend des Dauer- schlafs KSrpereiweil3 in erhShtem MaBe zerf~llt. Dieser Abbau yon KSrpereiweil3 geht im allgemeinen nach Aussetzen der Narkotica- verabreichung wieder zurfick. Stern-Piper ~ hat bei ehronischen Morphi- nisten ebenfalls eine gesteigerte Senkungsreaktion festgestellt, welche wiihrend der Abstinenz ziemlich schnell zuriickging (s. a. Boye 8, Juarros 4).

Diese Tatsache des pathologisch gesteigerten KSrpereiweil3zeffall~ w~hrend der Dauernarkose ist nun vielleicht yon einiger Bedeutung ffir die Beurteilung des biologischen Geschehens ws dieser Behandlung. Es bestehen hier zwei MSglichkeiten.

1. Der erhShte KSrpereiwei[3abbau hat mit der heilenden Wirkung der Dauernarkose keinen Konnex. Er ist eine unerwfinschte Nebenerscheinung. in der sich die allgemein toxische Wirkung der verabreichten Narkotica iiuBert.

2. Der gesteigerte Eiweif3abbau steht in irgendeinem Kausalverband zur therapeutischenWirkung der Dauernarkose. Es spricht fiir dieseTatsache, dab gesteigerter Eiweil3abbau ein Charaktericum der ReizkSrpertherapie ist. Es sei nur nebenbei daran erinnert, dab septische Prozesse, Infektionen, aber auch endokrine Abweichungen verschiedenster Genese durch diese ReizkSrpertherapie geheilt werden kSnnen. Schon bald stellte sich heraus, dab nicht nut Inj ektionen yon ProteinkSrpern, sondern auch Injektion der verschiedenartigsten chemisch einfachen KSrper als Reiz wirken k5nnen.

Die Auffassung der Dauernarkose als eine kombinierte Schlaf- und ReizkSrperwirkung h~tte einiges fiir sich. Es lieBe sich auf diese Weise die erfahrungsgem~Be Tatsache erkl~ren, dab bisweilen die Dauernarkose

Z. f. d, g. Neur . u. Psych. 129, 19

Page 11: Das biologische Geschehen während der Dauernarkose

290 Schrijver: ])as biologische Geschehen w~hrend der Dauernarkose.

guten Erfolg hat, obgleich die Kranken nur wenig schlafen. Es deutet diese Tatsaehe eben in der Rieh~ung, dab neben der narkotischen Wirkung noeh andere Momente wirksam sind.

Andererseits wissen wir, dab verschiedene Untersucher giinstige Erfolge der l~eizkSrpertherapie bei den verschiedensten Psychosen ge- sehen haben (Grunzweig 5, La/ora 6, Pascal 7, Menninger v. Lerchental s u.a .) . Die akzidentell auftretenden guten Erfolge von interkurrenten fieberhaften Erkrankungen (s. die gute Literaturzusammenstellung bei Menninger v. Lerchental 9) gehSren sicherlieh auch hierher.

Naeh dieser Auffassung w~re also die Wirkungsweise der Dauer- narkose eine reeht komplexe. Neben der eigentlichen narkotisehen Wir- kung w~re eine Protoplasmaaktivierung im Sinne Weichardts dureh unspezifische Reizk5rperwirkung in Betracht zu ziehen. Es ist ohne weiteres klar, dab nicht in allen Fs diese zwei Wirkungskomponenten gleiche Bedeutung haben werden. Ein Hinweis gibt uns in dieser Hinsicht vielleieht der ebenerw~hnte Fall 7. Hier sehen wir w~hrend der zweiten Dauernarkose keine Anzeichen fiir erhShten KSrpereiweiBzerfall. Trotz- dem setzt nach AbschluB der Behandlung eine klinische Heilung ein. Andererseits ist man night berechtigt aus der Abwesenheit von EiweiB- ver~nderungen im Plasma den Sehlu$ zu ziehen, dab ReizkSrperwirkung ausgeschlossen werden kann. Dies um so mehr, wo eine deutliche Hydr- ~mie einsetzt. (DiG Abgabe von Wasser aus den Geweben im Blut ist eine mehrmals bei ReizkSrperwirkung beobachtete Erscheinung.)

Ausgehend yon dieser Hypothese der kombinierten Schlaf-Reiz- kSrperwirkung der Dauernarkose w~re es naheliegend, der Dauernarkose im Falle ungeniigender Wirkung eine ReizkSrpertherapie (z. B. Aolan, Caseosan, Pyrifer) sich anschlieBen zu lassen.

Zusammenfassung. Es wurde wi~hrend der Dauernarkose das Verhalten der Plasma-

eiweiBkSrper und deren kolloidales Verhalten untersucht. Die gefundenen Abweichungen rechtfertigen den SehluB, dab w~hrend

der Dauernarkose KSrpereiweiB in erhShtem MaBe zerf~llt. Auf Grund dieser Tatsache wird die Hypothese aufgestellt, dab eine

der Wirkungskomponenten der Dauernarkose die unspezifische Reiz- kSrperwirkung des einverleibten Somnifens (bzw. des dureh die all- gemeintoxische Wirkung der Narkotica zerfallenden KSrpereiweiB) ist.

Literaturverzeichnis. 1 Hellweg u. Neuschlofl: Klin. Wschr. 1922, 1989. -- 2 Stern-Piper: Klin. Wschr.

1925, 548. -- 3 Boye: Zbl. Neur. 48, 176. -- 4 Juarros: Zbl. Neut. 46. -- 5 Grun- zweig: Zbt. Neur. 50, 775. -- e La/ora: Zbl. Neur. 45, 371. -- 7 Pascal: Traitement des maladies mentales par les chocs. Paris 1926. -- s Menninger v. Lerchental: Z. Neur. 107, 51 (1927) u. 97, 460 (1925). -- 9 Menninger v. Lerchental: Allg. Z. Psychiatr. 90, 359 (1929).