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Leseprobe Walter Kempowski Das Echolot - Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch Bestellen Sie mit einem Klick für 22,00 € Seiten: 736 Erscheinungstermin: 11. März 2019 Mehr Informationen zum Buch gibt es auf www.penguinrandomhouse.de

Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

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Page 1: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

Leseprobe

Walter Kempowski

Das Echolot - Barbarossa 41 Ein kollektives Tagebuch

Bestellen Sie mit einem Klick fuumlr 2200 euro

Seiten 736

Erscheinungstermin 11 Maumlrz 2019

Mehr Informationen zum Buch gibt es auf

wwwpenguinrandomhousede

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Fuumlr Anatoli Philippowitsch Platitsyn

Vorwort

Bevor wir unser laquoEcholotraquo die Helgen hinuntergleiten lassen bedarf eseiner Einleitung bevor wir uns also eine Zeitlang unter die toten See-len mischen betrachten wir drei Bilder

Zunaumlchst den laquoTurmbau zu Babelraquo von Breughel aus dem Jahr 1563jene Darstellung des konisch zulaufenden Turms der vielboumlgig aufein-andergesetzten Spirale die sich in die Wolken hineinschraubt und zuGott hinaufdraumlngt jenen Turm den Menschen bauten um dem All-maumlchtigen gleich zu sein den sie aber auch aus Sehnsucht aufrichtetenmoumlglichst schon vor der Zeit zu ihm zu gelangen und sich in seinemSchoszlig zu bergen Der Babylonische Turm stuumlrzte ein wir wissen esund die Verwirrung die sein Fall mit sich brachte dauert an

Das zweite Bild an das ich erinnern moumlchte ist die laquoAlexander-schlachtraquo von Albrecht Altdorfer aus dem Jahre 1529 jenes bekannteGemaumllde auf dem Tausende von Kriegern auszumachen sind die gegen-einander wogen um einander umzubringen Menschen ohne NamenTodgeweihte laumlngst vermodert und vergessen und doch Maumlnner dieFrau und Kind zu Hause sitzen hatten deren Keime wir als Nach-kommen in uns tragen

Als drittes Bild waumlhle ich die laquoUumlbergabe von Bredaraquo des SpaniersVelaacutezquez Auf diesem Bild steht ein Sieger einem Besiegten gegen-uumlber Der siegreiche Feldherr hat dem Unterlegenen der ihm demuumltigdie Schluumlssel der Stadt uumlbergibt nicht den Fuszlig in den Nacken gesetztsondern er neigt sich ihm guumltig zu ja er hebt den sich beugenden Unter-legenen auf Dieses Bild wurde vor 360 Jahren gemalt und bis heutewurde seine Botschaft nicht eingeloumlst

Das laquoEcholotraquo besteht aus mehreren Teilen Die exemplarischen Sta-tionen die in ihm vorgefuumlhrt werden heiszligen Leningrad StalingradAuschwitz Dresden und Berlin Von Mord und Groumlszligenwahn ist dieRede aber auch von Demut und Naumlchstenliebe Eine Vergegenwaumlrti-gung der Welthoumlllen welche die Menschheit sich von Zeit zu Zeit be-reitet der Plagen von denen schon in der Apokalypse die Rede istmacht nur wenige einsichtig So ist es eine vergebliche Hoffnung zuglauben daszlig Menschen die Ereignisse von denen im laquoEcholotraquo die

Rede ist zum Anlaszlig einer Umkehr nehmen Einzelne die es dennochtun werden fuumlr eine kurze Zeit zu den Maurern des BabylonischenTurms zu den buntkappigen Kriegsknechten der Alexanderschlacht ge-houmlren und auch zu den Zeugen des humanen Verhaltens eines spani-schen Feldherrn vor den Toren einer eroberten Stadt Sie werden viel-leicht zu jenem Verstaumlndnis durchdringen das uns das Kommendebewaumlltigen hilft

Nartum 25 Dezember 2001 Walter Kempowski

vorwort6

Dann gliederten sich die Lauteerst war nur Chaos und Schreifremde Sprachen uraltevergangene Stimmen dabei

Die eine sagte gelittendie zweite sagte geweintdie dritte keine Bittennuumltzen der Gott verneint

gottfried benn

lt659 Tage Sonnabend 21 Juni 1941 1417 Tagegt

Die bruumlderliche Liebe untereinander seiherzlich Einer komme dem andern mitEhrerbietung zuvor Seid nicht traumlge indem was ihr tun sollt Seid bruumlnstig imGeiste Schicket euch in die Zeitherrnhut roumlmer 121011

Andreacute Gide 1869ndash1951 (Suumldfrankreich)Die kuumlrzeste Nacht des Jahres Diese letzten vier Tage waren schoumlnerals man sagen kann schoumlner als ich es ertragen konnte Eine Art Auf-ruf zum Gluumlck bei dem die ganze Natur sich zu einer wunderbarenVerzuumlckung verschwor und einen Gipfel der Liebe und Freude erreich-te wo dem Menschenwesen nur noch der Tod zu wuumlnschen bleibt Ineiner solchen Nacht moumlchte man die Blumen kuumlssen die Rinde der Baumlu-me streicheln irgendeinen jungen gluumlhenden Koumlrper umarmen oder biszur Morgendaumlmmerung auf der Suche nach ihm umherstreifen Alleinschlafenzugehen wozu ich mich gleichwohl entschlieszligen muszlig erscheintgottlos

Paul Valeacutery 1871ndash1945 ParisDie Physiker lassen was man gestern wuszligte nicht in Ruhe und fuumlgenhinzu oder verbinden damit was sie heute morgen gesehen haben DieHistoriker machen nicht so viel Umstaumlnde ndash und waumlhrend jene damitringen Prinzipien Definitionen Geometrie und hellip Verstehen umzu-formen scheren sich diese darum wenig Sie liefern die Erzaumlhlung undeine Erzaumlhlung absorbiert alles ndash es ist die Form des Formlosen ndash unddie Verfaumllschung der Beobachtungen die sie mit sich bringt oder er-zwingt ist unmerklich Sie koumlnnen sich nicht vorstellen daszlig die Neu-heit (die nicht nur Neuheit der Ereignisse ist ndash sondern ebensosehrNeuheit der Modi ihrer Aufzeichnung) einen anderen laquohistorischenraquoGeist verlangen koumlnnte andere Ausdruumlcke ndash andere Vorsichtsmaszlig-nahmen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartSonnenwende Aber wir sind so verstrickt in Menschendinge und ausdem Zusammenhang mit der Natur geraten daszlig man der Sonnenwen-de kaum gedenktGestern hab ich ein Gedicht gemacht laquoAn den Vermiszligtenraquo Ich binuumlber mich selbst erschrocken Wie kann man daruumlber ein Gedicht ma-chen Ich weiszlig es auch nicht es floszlig aus mir wie die Traumlnen flieszligen

Helmuth James von Moltke 1907ndash1945 BerlinAn seine FrauIch komme mir vor als sei heute der 31 Dezember es ist so als begaumlnnemorgen ein neues Jahr Morgen wird alles anders aussehen und vieleDinge werden uns bestuumlrmen gegen die wir uns wappnen muumlssen

Jochen Klepper 1903ndash1942 StauceniRumaumlnienSturm in der Morgendaumlmmerung Gewoumllk dann wunderbarer matt-goldener Sonnenaufgang 8 Uhr Aufbruch der Autos Die Fahrt durchdie huumlgeligen Waumllder sehr schoumln 12 Uhr Ankunft in Stauceni OumldesDorf aber an einem ndash wenn auch verschilften und sumpfigen ndash See undGraben in denen man zur Not baden kann Es wird ein schoumlner schouml-ner Tag Sonne und Wind Wir kampieren im Autobus Zwei Briefe vonHanni

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugDie Spannung waumlchst auf den Houmlhepunkt Im Radio immer nochnichts Diese Nacht soll es losgehen Das Wetter ist prima Hitlerwet-ter sagen wir Morgens kommt Oblt Knuumltel Er liegt mit seiner Kompganz in unserer NaumlheDer Wald hier wimmelt von Panzern Artillerie und Pferden UnseremKorps ist naumlmlich auch die 1 KD unterstelltAbends kommt der 1 B der Division Um 315 Uhr soll der erste Schuszligfallen Brest-Litowsk soll mit Brandoumll mit 330 000 kg beschossen wer-den Da koumlnnen unsere Nebelwerfer ihren ersten Einsatz zeigenEin leichter Zug unserer Kompanie wird vorgezogen Er soll an der an-deren Seite des Bug einen Hauptverbandsplatz vorbereiten Stolz ziehtUnterarzt Doringer mit seinem Zuge los ndash Ich platze bald daszlig ich auchdiesmal wieder stille sein muszlig Aber der Chef beruhigt mich und sagtmir daszlig der Zug houmlchstwahrscheinlich nicht zum Einsatz kommenwuumlrde

sonnabend 21 juni 194110

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugAm 21 Juni fruumlhmorgens erhielt ich den Auftrag eine Stellung ober-halb des Bug-Ufers zu erkunden um die Ziele auf russischer Seite be-kaumlmpfen zu koumlnnen ndash vorsorglich hieszlig es immer noch Das jedoch wollte ich lieber mit aumluszligerster Vorsicht bewerkstelligen Ichholte mir einige Kanoniere vom 2 cm-Flakzug vor allem den Entfer-nungsmesser samt Geraumlt Wir verkleideten uns mit Strohhuumlten Bauern-kitteln und Heugabeln Dann durchstreiften wir die Wiesen am Bugdem Grenzfluszlig zwischen Deutschland und Ruszligland Es war zunaumlchstdie Frage zu klaumlren ob das schwere Geschuumltz an das Ufer bugsiert wer-den konnte fuumlr einen eventuell vorgesehenen Faumlhruumlbergang Auszligerdemhaben wir die Entfernung gemessen zu einem Bunker auf russischerSeite der mir als moumlgliches Ziel angegeben worden warAber so unauffaumlllig wie wir wollten gelang die Vermessung nicht Auseinem Gebuumlsch druumlben trat ploumltzlich eine russische Patrouille mit dreiSoldaten in das hohe Gras und ging zum Bug-Ufer als sie ploumltzlichstutzten In ihren Gesichtern konnten wir ihre Uumlberraschung ablesenSie hatten unser Entfernungsmeszliggeraumlt von der Seite entdeckt als wirhinter einem Gebuumlsch Messungen durchfuumlhrten und nur nach vornegetarnt waren Mit Gesten der Uumlberraschung machten die Russen kehrtund entschwanden schnell unseren Blicken hinter Buschwerk und Baumlu-men (Da war wohl druumlben eine Meldung faumlllig)In der Abenddaumlmmerung dieses heiszligen Tages des 21 Juni 1941 wur-de die Batterie an die Fahrzeuge befohlen Die Froumlsche in den fried-lichen Bug-Wiesen gaben noch ihr volltoumlnendes Konzert Da saszligen wirauf den Zugmaschinen im Walde als uns ein Aufruf des Fuumlhrers verle-sen wurde laquoSoldaten der Ostfrontraquo Wir waren wie vom Blitz getrof-fen ndash trotz aller Zeichen um uns Also doch Die Worte des Generalsklangen mir noch im Ohr

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienWir stehn zum Marsch gegen Ruszligland angetreten Heute nachmittagnoch war ich mit Karstedt zur NLK um das fehlende Zubehoumlr fuumlr deneinen Funktrupp abzuholen Dort war schon alles eifrig beim PackenAls wir etwas spaumlter durch den Lagerplatz des II Btl kamen rissen sieschon die Zeltbahnen von den Schleppdaumlchern laquoPaszlig aufraquo sag ich laquobeiuns tun sie das auch schonraquo ndash laquoAch was unsre sind noch nicht so-weitraquoSie waren es aber wirklich Und nun geht es alles Schlag auf SchlagPacken Verladen Lt Schulze verliest den Aufruf des Fuumlhrers an die

sonnabend 21 juni 1941 11

Ostarmee Es geht also doch gegen Ruszligland Um 22 Uhr stehen wir ab-marschbereit

Lawrentij Berija 1899ndash1953 MoskauAn StalinIn der letzten Zeit lassen sich viele Mitarbeiter von gemeinen Provoka-tionen beeinflussen und geraten in Panikstimmung Die geheimen Mit-arbeiter [hellip] muumlssen wegen der systematischen Desinformation alsHandlanger der internationalen Provokateure die uns gegen Deutsch-land aufhetzen wollen zu Lagerstaub zerrieben werden [hellip] Der Leiterder Aufklaumlrungshauptverwaltung beschwert sich uumlber seinen Oberst-leutnant Nowobranetz der auch die Luumlge verbreitet daszlig Hitler anunserer Westgrenze 170 Divisionen gegen uns aufmarschieren lassenhabe [hellip] Aber ich und die mir unterstellten Mitarbeiter Jossif Wissa-rionowitsch denken immer an die weise Vorhersage nach der Hitleruns im Jahre 1941 nicht uumlberfallen wird

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauAm 21 Juni abends rief mich der Stabschef des Kiewer MilitaumlrbezirksGeneralleutnant Purkajew an und meldete daszlig ein deutscher Feld-webel uumlbergelaufen sei der behauptete die deutschen Truppen bezoumlgenihre Bereitstellungsraumlume fuumlr den Angriff der am 22 Juni fruumlh beginneIch berichtete daruumlber sofort dem Volkskommissar und Stalin Stalinsagte laquoKommen Sie mit dem Volkskommissar in den KremlraquoDer Volkskommissar Generalleutnant Watutin und ich fuhren mit demEntwurf einer Direktive an die Truppen in den Kreml Unterwegs ver-abredeten wir um jeden Preis den Beschluszlig durchzusetzen die Trup-pen in Gefechtsbereitschaft zu versetzenStalin empfing uns allein Er war sichtlich besorgtlaquoOb uns die deutschen Generale diesen Uumlberlaumlufer nicht untergescho-ben haben um einen Konflikt zu provozierenraquo fragte erlaquoNeinraquo antwortete Timoschenko laquoWir meinen daszlig der Uumlberlaumluferdie Wahrheit sagtraquo Inzwischen traten die Mitglieder des Politbuumlros in Stalins Arbeitszim-mer Stalin informierte sie kurzlaquoWas werden wir tunraquo fragte StalinNiemand antwortetelaquoMan muszlig unverzuumlglich die Direktive erteilen alle Truppen der Grenz-militaumlrbezirke in houmlchste Gefechtsbereitschaft zu versetzenraquo sagteTimoschenko

sonnabend 21 juni 194112

laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

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von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

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des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

sonntag 22 juni 1941 19

Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

sonntag 22 juni 194120

die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

sonntag 22 juni 194148

angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

sonntag 22 juni 1941 49

lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 2: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

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Fuumlr Anatoli Philippowitsch Platitsyn

Vorwort

Bevor wir unser laquoEcholotraquo die Helgen hinuntergleiten lassen bedarf eseiner Einleitung bevor wir uns also eine Zeitlang unter die toten See-len mischen betrachten wir drei Bilder

Zunaumlchst den laquoTurmbau zu Babelraquo von Breughel aus dem Jahr 1563jene Darstellung des konisch zulaufenden Turms der vielboumlgig aufein-andergesetzten Spirale die sich in die Wolken hineinschraubt und zuGott hinaufdraumlngt jenen Turm den Menschen bauten um dem All-maumlchtigen gleich zu sein den sie aber auch aus Sehnsucht aufrichtetenmoumlglichst schon vor der Zeit zu ihm zu gelangen und sich in seinemSchoszlig zu bergen Der Babylonische Turm stuumlrzte ein wir wissen esund die Verwirrung die sein Fall mit sich brachte dauert an

Das zweite Bild an das ich erinnern moumlchte ist die laquoAlexander-schlachtraquo von Albrecht Altdorfer aus dem Jahre 1529 jenes bekannteGemaumllde auf dem Tausende von Kriegern auszumachen sind die gegen-einander wogen um einander umzubringen Menschen ohne NamenTodgeweihte laumlngst vermodert und vergessen und doch Maumlnner dieFrau und Kind zu Hause sitzen hatten deren Keime wir als Nach-kommen in uns tragen

Als drittes Bild waumlhle ich die laquoUumlbergabe von Bredaraquo des SpaniersVelaacutezquez Auf diesem Bild steht ein Sieger einem Besiegten gegen-uumlber Der siegreiche Feldherr hat dem Unterlegenen der ihm demuumltigdie Schluumlssel der Stadt uumlbergibt nicht den Fuszlig in den Nacken gesetztsondern er neigt sich ihm guumltig zu ja er hebt den sich beugenden Unter-legenen auf Dieses Bild wurde vor 360 Jahren gemalt und bis heutewurde seine Botschaft nicht eingeloumlst

Das laquoEcholotraquo besteht aus mehreren Teilen Die exemplarischen Sta-tionen die in ihm vorgefuumlhrt werden heiszligen Leningrad StalingradAuschwitz Dresden und Berlin Von Mord und Groumlszligenwahn ist dieRede aber auch von Demut und Naumlchstenliebe Eine Vergegenwaumlrti-gung der Welthoumlllen welche die Menschheit sich von Zeit zu Zeit be-reitet der Plagen von denen schon in der Apokalypse die Rede istmacht nur wenige einsichtig So ist es eine vergebliche Hoffnung zuglauben daszlig Menschen die Ereignisse von denen im laquoEcholotraquo die

Rede ist zum Anlaszlig einer Umkehr nehmen Einzelne die es dennochtun werden fuumlr eine kurze Zeit zu den Maurern des BabylonischenTurms zu den buntkappigen Kriegsknechten der Alexanderschlacht ge-houmlren und auch zu den Zeugen des humanen Verhaltens eines spani-schen Feldherrn vor den Toren einer eroberten Stadt Sie werden viel-leicht zu jenem Verstaumlndnis durchdringen das uns das Kommendebewaumlltigen hilft

Nartum 25 Dezember 2001 Walter Kempowski

vorwort6

Dann gliederten sich die Lauteerst war nur Chaos und Schreifremde Sprachen uraltevergangene Stimmen dabei

Die eine sagte gelittendie zweite sagte geweintdie dritte keine Bittennuumltzen der Gott verneint

gottfried benn

lt659 Tage Sonnabend 21 Juni 1941 1417 Tagegt

Die bruumlderliche Liebe untereinander seiherzlich Einer komme dem andern mitEhrerbietung zuvor Seid nicht traumlge indem was ihr tun sollt Seid bruumlnstig imGeiste Schicket euch in die Zeitherrnhut roumlmer 121011

Andreacute Gide 1869ndash1951 (Suumldfrankreich)Die kuumlrzeste Nacht des Jahres Diese letzten vier Tage waren schoumlnerals man sagen kann schoumlner als ich es ertragen konnte Eine Art Auf-ruf zum Gluumlck bei dem die ganze Natur sich zu einer wunderbarenVerzuumlckung verschwor und einen Gipfel der Liebe und Freude erreich-te wo dem Menschenwesen nur noch der Tod zu wuumlnschen bleibt Ineiner solchen Nacht moumlchte man die Blumen kuumlssen die Rinde der Baumlu-me streicheln irgendeinen jungen gluumlhenden Koumlrper umarmen oder biszur Morgendaumlmmerung auf der Suche nach ihm umherstreifen Alleinschlafenzugehen wozu ich mich gleichwohl entschlieszligen muszlig erscheintgottlos

Paul Valeacutery 1871ndash1945 ParisDie Physiker lassen was man gestern wuszligte nicht in Ruhe und fuumlgenhinzu oder verbinden damit was sie heute morgen gesehen haben DieHistoriker machen nicht so viel Umstaumlnde ndash und waumlhrend jene damitringen Prinzipien Definitionen Geometrie und hellip Verstehen umzu-formen scheren sich diese darum wenig Sie liefern die Erzaumlhlung undeine Erzaumlhlung absorbiert alles ndash es ist die Form des Formlosen ndash unddie Verfaumllschung der Beobachtungen die sie mit sich bringt oder er-zwingt ist unmerklich Sie koumlnnen sich nicht vorstellen daszlig die Neu-heit (die nicht nur Neuheit der Ereignisse ist ndash sondern ebensosehrNeuheit der Modi ihrer Aufzeichnung) einen anderen laquohistorischenraquoGeist verlangen koumlnnte andere Ausdruumlcke ndash andere Vorsichtsmaszlig-nahmen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartSonnenwende Aber wir sind so verstrickt in Menschendinge und ausdem Zusammenhang mit der Natur geraten daszlig man der Sonnenwen-de kaum gedenktGestern hab ich ein Gedicht gemacht laquoAn den Vermiszligtenraquo Ich binuumlber mich selbst erschrocken Wie kann man daruumlber ein Gedicht ma-chen Ich weiszlig es auch nicht es floszlig aus mir wie die Traumlnen flieszligen

Helmuth James von Moltke 1907ndash1945 BerlinAn seine FrauIch komme mir vor als sei heute der 31 Dezember es ist so als begaumlnnemorgen ein neues Jahr Morgen wird alles anders aussehen und vieleDinge werden uns bestuumlrmen gegen die wir uns wappnen muumlssen

Jochen Klepper 1903ndash1942 StauceniRumaumlnienSturm in der Morgendaumlmmerung Gewoumllk dann wunderbarer matt-goldener Sonnenaufgang 8 Uhr Aufbruch der Autos Die Fahrt durchdie huumlgeligen Waumllder sehr schoumln 12 Uhr Ankunft in Stauceni OumldesDorf aber an einem ndash wenn auch verschilften und sumpfigen ndash See undGraben in denen man zur Not baden kann Es wird ein schoumlner schouml-ner Tag Sonne und Wind Wir kampieren im Autobus Zwei Briefe vonHanni

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugDie Spannung waumlchst auf den Houmlhepunkt Im Radio immer nochnichts Diese Nacht soll es losgehen Das Wetter ist prima Hitlerwet-ter sagen wir Morgens kommt Oblt Knuumltel Er liegt mit seiner Kompganz in unserer NaumlheDer Wald hier wimmelt von Panzern Artillerie und Pferden UnseremKorps ist naumlmlich auch die 1 KD unterstelltAbends kommt der 1 B der Division Um 315 Uhr soll der erste Schuszligfallen Brest-Litowsk soll mit Brandoumll mit 330 000 kg beschossen wer-den Da koumlnnen unsere Nebelwerfer ihren ersten Einsatz zeigenEin leichter Zug unserer Kompanie wird vorgezogen Er soll an der an-deren Seite des Bug einen Hauptverbandsplatz vorbereiten Stolz ziehtUnterarzt Doringer mit seinem Zuge los ndash Ich platze bald daszlig ich auchdiesmal wieder stille sein muszlig Aber der Chef beruhigt mich und sagtmir daszlig der Zug houmlchstwahrscheinlich nicht zum Einsatz kommenwuumlrde

sonnabend 21 juni 194110

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugAm 21 Juni fruumlhmorgens erhielt ich den Auftrag eine Stellung ober-halb des Bug-Ufers zu erkunden um die Ziele auf russischer Seite be-kaumlmpfen zu koumlnnen ndash vorsorglich hieszlig es immer noch Das jedoch wollte ich lieber mit aumluszligerster Vorsicht bewerkstelligen Ichholte mir einige Kanoniere vom 2 cm-Flakzug vor allem den Entfer-nungsmesser samt Geraumlt Wir verkleideten uns mit Strohhuumlten Bauern-kitteln und Heugabeln Dann durchstreiften wir die Wiesen am Bugdem Grenzfluszlig zwischen Deutschland und Ruszligland Es war zunaumlchstdie Frage zu klaumlren ob das schwere Geschuumltz an das Ufer bugsiert wer-den konnte fuumlr einen eventuell vorgesehenen Faumlhruumlbergang Auszligerdemhaben wir die Entfernung gemessen zu einem Bunker auf russischerSeite der mir als moumlgliches Ziel angegeben worden warAber so unauffaumlllig wie wir wollten gelang die Vermessung nicht Auseinem Gebuumlsch druumlben trat ploumltzlich eine russische Patrouille mit dreiSoldaten in das hohe Gras und ging zum Bug-Ufer als sie ploumltzlichstutzten In ihren Gesichtern konnten wir ihre Uumlberraschung ablesenSie hatten unser Entfernungsmeszliggeraumlt von der Seite entdeckt als wirhinter einem Gebuumlsch Messungen durchfuumlhrten und nur nach vornegetarnt waren Mit Gesten der Uumlberraschung machten die Russen kehrtund entschwanden schnell unseren Blicken hinter Buschwerk und Baumlu-men (Da war wohl druumlben eine Meldung faumlllig)In der Abenddaumlmmerung dieses heiszligen Tages des 21 Juni 1941 wur-de die Batterie an die Fahrzeuge befohlen Die Froumlsche in den fried-lichen Bug-Wiesen gaben noch ihr volltoumlnendes Konzert Da saszligen wirauf den Zugmaschinen im Walde als uns ein Aufruf des Fuumlhrers verle-sen wurde laquoSoldaten der Ostfrontraquo Wir waren wie vom Blitz getrof-fen ndash trotz aller Zeichen um uns Also doch Die Worte des Generalsklangen mir noch im Ohr

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienWir stehn zum Marsch gegen Ruszligland angetreten Heute nachmittagnoch war ich mit Karstedt zur NLK um das fehlende Zubehoumlr fuumlr deneinen Funktrupp abzuholen Dort war schon alles eifrig beim PackenAls wir etwas spaumlter durch den Lagerplatz des II Btl kamen rissen sieschon die Zeltbahnen von den Schleppdaumlchern laquoPaszlig aufraquo sag ich laquobeiuns tun sie das auch schonraquo ndash laquoAch was unsre sind noch nicht so-weitraquoSie waren es aber wirklich Und nun geht es alles Schlag auf SchlagPacken Verladen Lt Schulze verliest den Aufruf des Fuumlhrers an die

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Ostarmee Es geht also doch gegen Ruszligland Um 22 Uhr stehen wir ab-marschbereit

Lawrentij Berija 1899ndash1953 MoskauAn StalinIn der letzten Zeit lassen sich viele Mitarbeiter von gemeinen Provoka-tionen beeinflussen und geraten in Panikstimmung Die geheimen Mit-arbeiter [hellip] muumlssen wegen der systematischen Desinformation alsHandlanger der internationalen Provokateure die uns gegen Deutsch-land aufhetzen wollen zu Lagerstaub zerrieben werden [hellip] Der Leiterder Aufklaumlrungshauptverwaltung beschwert sich uumlber seinen Oberst-leutnant Nowobranetz der auch die Luumlge verbreitet daszlig Hitler anunserer Westgrenze 170 Divisionen gegen uns aufmarschieren lassenhabe [hellip] Aber ich und die mir unterstellten Mitarbeiter Jossif Wissa-rionowitsch denken immer an die weise Vorhersage nach der Hitleruns im Jahre 1941 nicht uumlberfallen wird

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauAm 21 Juni abends rief mich der Stabschef des Kiewer MilitaumlrbezirksGeneralleutnant Purkajew an und meldete daszlig ein deutscher Feld-webel uumlbergelaufen sei der behauptete die deutschen Truppen bezoumlgenihre Bereitstellungsraumlume fuumlr den Angriff der am 22 Juni fruumlh beginneIch berichtete daruumlber sofort dem Volkskommissar und Stalin Stalinsagte laquoKommen Sie mit dem Volkskommissar in den KremlraquoDer Volkskommissar Generalleutnant Watutin und ich fuhren mit demEntwurf einer Direktive an die Truppen in den Kreml Unterwegs ver-abredeten wir um jeden Preis den Beschluszlig durchzusetzen die Trup-pen in Gefechtsbereitschaft zu versetzenStalin empfing uns allein Er war sichtlich besorgtlaquoOb uns die deutschen Generale diesen Uumlberlaumlufer nicht untergescho-ben haben um einen Konflikt zu provozierenraquo fragte erlaquoNeinraquo antwortete Timoschenko laquoWir meinen daszlig der Uumlberlaumluferdie Wahrheit sagtraquo Inzwischen traten die Mitglieder des Politbuumlros in Stalins Arbeitszim-mer Stalin informierte sie kurzlaquoWas werden wir tunraquo fragte StalinNiemand antwortetelaquoMan muszlig unverzuumlglich die Direktive erteilen alle Truppen der Grenz-militaumlrbezirke in houmlchste Gefechtsbereitschaft zu versetzenraquo sagteTimoschenko

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laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

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von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

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des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 3: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

Fuumlr Anatoli Philippowitsch Platitsyn

Vorwort

Bevor wir unser laquoEcholotraquo die Helgen hinuntergleiten lassen bedarf eseiner Einleitung bevor wir uns also eine Zeitlang unter die toten See-len mischen betrachten wir drei Bilder

Zunaumlchst den laquoTurmbau zu Babelraquo von Breughel aus dem Jahr 1563jene Darstellung des konisch zulaufenden Turms der vielboumlgig aufein-andergesetzten Spirale die sich in die Wolken hineinschraubt und zuGott hinaufdraumlngt jenen Turm den Menschen bauten um dem All-maumlchtigen gleich zu sein den sie aber auch aus Sehnsucht aufrichtetenmoumlglichst schon vor der Zeit zu ihm zu gelangen und sich in seinemSchoszlig zu bergen Der Babylonische Turm stuumlrzte ein wir wissen esund die Verwirrung die sein Fall mit sich brachte dauert an

Das zweite Bild an das ich erinnern moumlchte ist die laquoAlexander-schlachtraquo von Albrecht Altdorfer aus dem Jahre 1529 jenes bekannteGemaumllde auf dem Tausende von Kriegern auszumachen sind die gegen-einander wogen um einander umzubringen Menschen ohne NamenTodgeweihte laumlngst vermodert und vergessen und doch Maumlnner dieFrau und Kind zu Hause sitzen hatten deren Keime wir als Nach-kommen in uns tragen

Als drittes Bild waumlhle ich die laquoUumlbergabe von Bredaraquo des SpaniersVelaacutezquez Auf diesem Bild steht ein Sieger einem Besiegten gegen-uumlber Der siegreiche Feldherr hat dem Unterlegenen der ihm demuumltigdie Schluumlssel der Stadt uumlbergibt nicht den Fuszlig in den Nacken gesetztsondern er neigt sich ihm guumltig zu ja er hebt den sich beugenden Unter-legenen auf Dieses Bild wurde vor 360 Jahren gemalt und bis heutewurde seine Botschaft nicht eingeloumlst

Das laquoEcholotraquo besteht aus mehreren Teilen Die exemplarischen Sta-tionen die in ihm vorgefuumlhrt werden heiszligen Leningrad StalingradAuschwitz Dresden und Berlin Von Mord und Groumlszligenwahn ist dieRede aber auch von Demut und Naumlchstenliebe Eine Vergegenwaumlrti-gung der Welthoumlllen welche die Menschheit sich von Zeit zu Zeit be-reitet der Plagen von denen schon in der Apokalypse die Rede istmacht nur wenige einsichtig So ist es eine vergebliche Hoffnung zuglauben daszlig Menschen die Ereignisse von denen im laquoEcholotraquo die

Rede ist zum Anlaszlig einer Umkehr nehmen Einzelne die es dennochtun werden fuumlr eine kurze Zeit zu den Maurern des BabylonischenTurms zu den buntkappigen Kriegsknechten der Alexanderschlacht ge-houmlren und auch zu den Zeugen des humanen Verhaltens eines spani-schen Feldherrn vor den Toren einer eroberten Stadt Sie werden viel-leicht zu jenem Verstaumlndnis durchdringen das uns das Kommendebewaumlltigen hilft

Nartum 25 Dezember 2001 Walter Kempowski

vorwort6

Dann gliederten sich die Lauteerst war nur Chaos und Schreifremde Sprachen uraltevergangene Stimmen dabei

Die eine sagte gelittendie zweite sagte geweintdie dritte keine Bittennuumltzen der Gott verneint

gottfried benn

lt659 Tage Sonnabend 21 Juni 1941 1417 Tagegt

Die bruumlderliche Liebe untereinander seiherzlich Einer komme dem andern mitEhrerbietung zuvor Seid nicht traumlge indem was ihr tun sollt Seid bruumlnstig imGeiste Schicket euch in die Zeitherrnhut roumlmer 121011

Andreacute Gide 1869ndash1951 (Suumldfrankreich)Die kuumlrzeste Nacht des Jahres Diese letzten vier Tage waren schoumlnerals man sagen kann schoumlner als ich es ertragen konnte Eine Art Auf-ruf zum Gluumlck bei dem die ganze Natur sich zu einer wunderbarenVerzuumlckung verschwor und einen Gipfel der Liebe und Freude erreich-te wo dem Menschenwesen nur noch der Tod zu wuumlnschen bleibt Ineiner solchen Nacht moumlchte man die Blumen kuumlssen die Rinde der Baumlu-me streicheln irgendeinen jungen gluumlhenden Koumlrper umarmen oder biszur Morgendaumlmmerung auf der Suche nach ihm umherstreifen Alleinschlafenzugehen wozu ich mich gleichwohl entschlieszligen muszlig erscheintgottlos

Paul Valeacutery 1871ndash1945 ParisDie Physiker lassen was man gestern wuszligte nicht in Ruhe und fuumlgenhinzu oder verbinden damit was sie heute morgen gesehen haben DieHistoriker machen nicht so viel Umstaumlnde ndash und waumlhrend jene damitringen Prinzipien Definitionen Geometrie und hellip Verstehen umzu-formen scheren sich diese darum wenig Sie liefern die Erzaumlhlung undeine Erzaumlhlung absorbiert alles ndash es ist die Form des Formlosen ndash unddie Verfaumllschung der Beobachtungen die sie mit sich bringt oder er-zwingt ist unmerklich Sie koumlnnen sich nicht vorstellen daszlig die Neu-heit (die nicht nur Neuheit der Ereignisse ist ndash sondern ebensosehrNeuheit der Modi ihrer Aufzeichnung) einen anderen laquohistorischenraquoGeist verlangen koumlnnte andere Ausdruumlcke ndash andere Vorsichtsmaszlig-nahmen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartSonnenwende Aber wir sind so verstrickt in Menschendinge und ausdem Zusammenhang mit der Natur geraten daszlig man der Sonnenwen-de kaum gedenktGestern hab ich ein Gedicht gemacht laquoAn den Vermiszligtenraquo Ich binuumlber mich selbst erschrocken Wie kann man daruumlber ein Gedicht ma-chen Ich weiszlig es auch nicht es floszlig aus mir wie die Traumlnen flieszligen

Helmuth James von Moltke 1907ndash1945 BerlinAn seine FrauIch komme mir vor als sei heute der 31 Dezember es ist so als begaumlnnemorgen ein neues Jahr Morgen wird alles anders aussehen und vieleDinge werden uns bestuumlrmen gegen die wir uns wappnen muumlssen

Jochen Klepper 1903ndash1942 StauceniRumaumlnienSturm in der Morgendaumlmmerung Gewoumllk dann wunderbarer matt-goldener Sonnenaufgang 8 Uhr Aufbruch der Autos Die Fahrt durchdie huumlgeligen Waumllder sehr schoumln 12 Uhr Ankunft in Stauceni OumldesDorf aber an einem ndash wenn auch verschilften und sumpfigen ndash See undGraben in denen man zur Not baden kann Es wird ein schoumlner schouml-ner Tag Sonne und Wind Wir kampieren im Autobus Zwei Briefe vonHanni

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugDie Spannung waumlchst auf den Houmlhepunkt Im Radio immer nochnichts Diese Nacht soll es losgehen Das Wetter ist prima Hitlerwet-ter sagen wir Morgens kommt Oblt Knuumltel Er liegt mit seiner Kompganz in unserer NaumlheDer Wald hier wimmelt von Panzern Artillerie und Pferden UnseremKorps ist naumlmlich auch die 1 KD unterstelltAbends kommt der 1 B der Division Um 315 Uhr soll der erste Schuszligfallen Brest-Litowsk soll mit Brandoumll mit 330 000 kg beschossen wer-den Da koumlnnen unsere Nebelwerfer ihren ersten Einsatz zeigenEin leichter Zug unserer Kompanie wird vorgezogen Er soll an der an-deren Seite des Bug einen Hauptverbandsplatz vorbereiten Stolz ziehtUnterarzt Doringer mit seinem Zuge los ndash Ich platze bald daszlig ich auchdiesmal wieder stille sein muszlig Aber der Chef beruhigt mich und sagtmir daszlig der Zug houmlchstwahrscheinlich nicht zum Einsatz kommenwuumlrde

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Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugAm 21 Juni fruumlhmorgens erhielt ich den Auftrag eine Stellung ober-halb des Bug-Ufers zu erkunden um die Ziele auf russischer Seite be-kaumlmpfen zu koumlnnen ndash vorsorglich hieszlig es immer noch Das jedoch wollte ich lieber mit aumluszligerster Vorsicht bewerkstelligen Ichholte mir einige Kanoniere vom 2 cm-Flakzug vor allem den Entfer-nungsmesser samt Geraumlt Wir verkleideten uns mit Strohhuumlten Bauern-kitteln und Heugabeln Dann durchstreiften wir die Wiesen am Bugdem Grenzfluszlig zwischen Deutschland und Ruszligland Es war zunaumlchstdie Frage zu klaumlren ob das schwere Geschuumltz an das Ufer bugsiert wer-den konnte fuumlr einen eventuell vorgesehenen Faumlhruumlbergang Auszligerdemhaben wir die Entfernung gemessen zu einem Bunker auf russischerSeite der mir als moumlgliches Ziel angegeben worden warAber so unauffaumlllig wie wir wollten gelang die Vermessung nicht Auseinem Gebuumlsch druumlben trat ploumltzlich eine russische Patrouille mit dreiSoldaten in das hohe Gras und ging zum Bug-Ufer als sie ploumltzlichstutzten In ihren Gesichtern konnten wir ihre Uumlberraschung ablesenSie hatten unser Entfernungsmeszliggeraumlt von der Seite entdeckt als wirhinter einem Gebuumlsch Messungen durchfuumlhrten und nur nach vornegetarnt waren Mit Gesten der Uumlberraschung machten die Russen kehrtund entschwanden schnell unseren Blicken hinter Buschwerk und Baumlu-men (Da war wohl druumlben eine Meldung faumlllig)In der Abenddaumlmmerung dieses heiszligen Tages des 21 Juni 1941 wur-de die Batterie an die Fahrzeuge befohlen Die Froumlsche in den fried-lichen Bug-Wiesen gaben noch ihr volltoumlnendes Konzert Da saszligen wirauf den Zugmaschinen im Walde als uns ein Aufruf des Fuumlhrers verle-sen wurde laquoSoldaten der Ostfrontraquo Wir waren wie vom Blitz getrof-fen ndash trotz aller Zeichen um uns Also doch Die Worte des Generalsklangen mir noch im Ohr

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienWir stehn zum Marsch gegen Ruszligland angetreten Heute nachmittagnoch war ich mit Karstedt zur NLK um das fehlende Zubehoumlr fuumlr deneinen Funktrupp abzuholen Dort war schon alles eifrig beim PackenAls wir etwas spaumlter durch den Lagerplatz des II Btl kamen rissen sieschon die Zeltbahnen von den Schleppdaumlchern laquoPaszlig aufraquo sag ich laquobeiuns tun sie das auch schonraquo ndash laquoAch was unsre sind noch nicht so-weitraquoSie waren es aber wirklich Und nun geht es alles Schlag auf SchlagPacken Verladen Lt Schulze verliest den Aufruf des Fuumlhrers an die

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Ostarmee Es geht also doch gegen Ruszligland Um 22 Uhr stehen wir ab-marschbereit

Lawrentij Berija 1899ndash1953 MoskauAn StalinIn der letzten Zeit lassen sich viele Mitarbeiter von gemeinen Provoka-tionen beeinflussen und geraten in Panikstimmung Die geheimen Mit-arbeiter [hellip] muumlssen wegen der systematischen Desinformation alsHandlanger der internationalen Provokateure die uns gegen Deutsch-land aufhetzen wollen zu Lagerstaub zerrieben werden [hellip] Der Leiterder Aufklaumlrungshauptverwaltung beschwert sich uumlber seinen Oberst-leutnant Nowobranetz der auch die Luumlge verbreitet daszlig Hitler anunserer Westgrenze 170 Divisionen gegen uns aufmarschieren lassenhabe [hellip] Aber ich und die mir unterstellten Mitarbeiter Jossif Wissa-rionowitsch denken immer an die weise Vorhersage nach der Hitleruns im Jahre 1941 nicht uumlberfallen wird

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauAm 21 Juni abends rief mich der Stabschef des Kiewer MilitaumlrbezirksGeneralleutnant Purkajew an und meldete daszlig ein deutscher Feld-webel uumlbergelaufen sei der behauptete die deutschen Truppen bezoumlgenihre Bereitstellungsraumlume fuumlr den Angriff der am 22 Juni fruumlh beginneIch berichtete daruumlber sofort dem Volkskommissar und Stalin Stalinsagte laquoKommen Sie mit dem Volkskommissar in den KremlraquoDer Volkskommissar Generalleutnant Watutin und ich fuhren mit demEntwurf einer Direktive an die Truppen in den Kreml Unterwegs ver-abredeten wir um jeden Preis den Beschluszlig durchzusetzen die Trup-pen in Gefechtsbereitschaft zu versetzenStalin empfing uns allein Er war sichtlich besorgtlaquoOb uns die deutschen Generale diesen Uumlberlaumlufer nicht untergescho-ben haben um einen Konflikt zu provozierenraquo fragte erlaquoNeinraquo antwortete Timoschenko laquoWir meinen daszlig der Uumlberlaumluferdie Wahrheit sagtraquo Inzwischen traten die Mitglieder des Politbuumlros in Stalins Arbeitszim-mer Stalin informierte sie kurzlaquoWas werden wir tunraquo fragte StalinNiemand antwortetelaquoMan muszlig unverzuumlglich die Direktive erteilen alle Truppen der Grenz-militaumlrbezirke in houmlchste Gefechtsbereitschaft zu versetzenraquo sagteTimoschenko

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laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

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von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

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des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

sonntag 22 juni 194120

die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 4: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

Vorwort

Bevor wir unser laquoEcholotraquo die Helgen hinuntergleiten lassen bedarf eseiner Einleitung bevor wir uns also eine Zeitlang unter die toten See-len mischen betrachten wir drei Bilder

Zunaumlchst den laquoTurmbau zu Babelraquo von Breughel aus dem Jahr 1563jene Darstellung des konisch zulaufenden Turms der vielboumlgig aufein-andergesetzten Spirale die sich in die Wolken hineinschraubt und zuGott hinaufdraumlngt jenen Turm den Menschen bauten um dem All-maumlchtigen gleich zu sein den sie aber auch aus Sehnsucht aufrichtetenmoumlglichst schon vor der Zeit zu ihm zu gelangen und sich in seinemSchoszlig zu bergen Der Babylonische Turm stuumlrzte ein wir wissen esund die Verwirrung die sein Fall mit sich brachte dauert an

Das zweite Bild an das ich erinnern moumlchte ist die laquoAlexander-schlachtraquo von Albrecht Altdorfer aus dem Jahre 1529 jenes bekannteGemaumllde auf dem Tausende von Kriegern auszumachen sind die gegen-einander wogen um einander umzubringen Menschen ohne NamenTodgeweihte laumlngst vermodert und vergessen und doch Maumlnner dieFrau und Kind zu Hause sitzen hatten deren Keime wir als Nach-kommen in uns tragen

Als drittes Bild waumlhle ich die laquoUumlbergabe von Bredaraquo des SpaniersVelaacutezquez Auf diesem Bild steht ein Sieger einem Besiegten gegen-uumlber Der siegreiche Feldherr hat dem Unterlegenen der ihm demuumltigdie Schluumlssel der Stadt uumlbergibt nicht den Fuszlig in den Nacken gesetztsondern er neigt sich ihm guumltig zu ja er hebt den sich beugenden Unter-legenen auf Dieses Bild wurde vor 360 Jahren gemalt und bis heutewurde seine Botschaft nicht eingeloumlst

Das laquoEcholotraquo besteht aus mehreren Teilen Die exemplarischen Sta-tionen die in ihm vorgefuumlhrt werden heiszligen Leningrad StalingradAuschwitz Dresden und Berlin Von Mord und Groumlszligenwahn ist dieRede aber auch von Demut und Naumlchstenliebe Eine Vergegenwaumlrti-gung der Welthoumlllen welche die Menschheit sich von Zeit zu Zeit be-reitet der Plagen von denen schon in der Apokalypse die Rede istmacht nur wenige einsichtig So ist es eine vergebliche Hoffnung zuglauben daszlig Menschen die Ereignisse von denen im laquoEcholotraquo die

Rede ist zum Anlaszlig einer Umkehr nehmen Einzelne die es dennochtun werden fuumlr eine kurze Zeit zu den Maurern des BabylonischenTurms zu den buntkappigen Kriegsknechten der Alexanderschlacht ge-houmlren und auch zu den Zeugen des humanen Verhaltens eines spani-schen Feldherrn vor den Toren einer eroberten Stadt Sie werden viel-leicht zu jenem Verstaumlndnis durchdringen das uns das Kommendebewaumlltigen hilft

Nartum 25 Dezember 2001 Walter Kempowski

vorwort6

Dann gliederten sich die Lauteerst war nur Chaos und Schreifremde Sprachen uraltevergangene Stimmen dabei

Die eine sagte gelittendie zweite sagte geweintdie dritte keine Bittennuumltzen der Gott verneint

gottfried benn

lt659 Tage Sonnabend 21 Juni 1941 1417 Tagegt

Die bruumlderliche Liebe untereinander seiherzlich Einer komme dem andern mitEhrerbietung zuvor Seid nicht traumlge indem was ihr tun sollt Seid bruumlnstig imGeiste Schicket euch in die Zeitherrnhut roumlmer 121011

Andreacute Gide 1869ndash1951 (Suumldfrankreich)Die kuumlrzeste Nacht des Jahres Diese letzten vier Tage waren schoumlnerals man sagen kann schoumlner als ich es ertragen konnte Eine Art Auf-ruf zum Gluumlck bei dem die ganze Natur sich zu einer wunderbarenVerzuumlckung verschwor und einen Gipfel der Liebe und Freude erreich-te wo dem Menschenwesen nur noch der Tod zu wuumlnschen bleibt Ineiner solchen Nacht moumlchte man die Blumen kuumlssen die Rinde der Baumlu-me streicheln irgendeinen jungen gluumlhenden Koumlrper umarmen oder biszur Morgendaumlmmerung auf der Suche nach ihm umherstreifen Alleinschlafenzugehen wozu ich mich gleichwohl entschlieszligen muszlig erscheintgottlos

Paul Valeacutery 1871ndash1945 ParisDie Physiker lassen was man gestern wuszligte nicht in Ruhe und fuumlgenhinzu oder verbinden damit was sie heute morgen gesehen haben DieHistoriker machen nicht so viel Umstaumlnde ndash und waumlhrend jene damitringen Prinzipien Definitionen Geometrie und hellip Verstehen umzu-formen scheren sich diese darum wenig Sie liefern die Erzaumlhlung undeine Erzaumlhlung absorbiert alles ndash es ist die Form des Formlosen ndash unddie Verfaumllschung der Beobachtungen die sie mit sich bringt oder er-zwingt ist unmerklich Sie koumlnnen sich nicht vorstellen daszlig die Neu-heit (die nicht nur Neuheit der Ereignisse ist ndash sondern ebensosehrNeuheit der Modi ihrer Aufzeichnung) einen anderen laquohistorischenraquoGeist verlangen koumlnnte andere Ausdruumlcke ndash andere Vorsichtsmaszlig-nahmen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartSonnenwende Aber wir sind so verstrickt in Menschendinge und ausdem Zusammenhang mit der Natur geraten daszlig man der Sonnenwen-de kaum gedenktGestern hab ich ein Gedicht gemacht laquoAn den Vermiszligtenraquo Ich binuumlber mich selbst erschrocken Wie kann man daruumlber ein Gedicht ma-chen Ich weiszlig es auch nicht es floszlig aus mir wie die Traumlnen flieszligen

Helmuth James von Moltke 1907ndash1945 BerlinAn seine FrauIch komme mir vor als sei heute der 31 Dezember es ist so als begaumlnnemorgen ein neues Jahr Morgen wird alles anders aussehen und vieleDinge werden uns bestuumlrmen gegen die wir uns wappnen muumlssen

Jochen Klepper 1903ndash1942 StauceniRumaumlnienSturm in der Morgendaumlmmerung Gewoumllk dann wunderbarer matt-goldener Sonnenaufgang 8 Uhr Aufbruch der Autos Die Fahrt durchdie huumlgeligen Waumllder sehr schoumln 12 Uhr Ankunft in Stauceni OumldesDorf aber an einem ndash wenn auch verschilften und sumpfigen ndash See undGraben in denen man zur Not baden kann Es wird ein schoumlner schouml-ner Tag Sonne und Wind Wir kampieren im Autobus Zwei Briefe vonHanni

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugDie Spannung waumlchst auf den Houmlhepunkt Im Radio immer nochnichts Diese Nacht soll es losgehen Das Wetter ist prima Hitlerwet-ter sagen wir Morgens kommt Oblt Knuumltel Er liegt mit seiner Kompganz in unserer NaumlheDer Wald hier wimmelt von Panzern Artillerie und Pferden UnseremKorps ist naumlmlich auch die 1 KD unterstelltAbends kommt der 1 B der Division Um 315 Uhr soll der erste Schuszligfallen Brest-Litowsk soll mit Brandoumll mit 330 000 kg beschossen wer-den Da koumlnnen unsere Nebelwerfer ihren ersten Einsatz zeigenEin leichter Zug unserer Kompanie wird vorgezogen Er soll an der an-deren Seite des Bug einen Hauptverbandsplatz vorbereiten Stolz ziehtUnterarzt Doringer mit seinem Zuge los ndash Ich platze bald daszlig ich auchdiesmal wieder stille sein muszlig Aber der Chef beruhigt mich und sagtmir daszlig der Zug houmlchstwahrscheinlich nicht zum Einsatz kommenwuumlrde

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Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugAm 21 Juni fruumlhmorgens erhielt ich den Auftrag eine Stellung ober-halb des Bug-Ufers zu erkunden um die Ziele auf russischer Seite be-kaumlmpfen zu koumlnnen ndash vorsorglich hieszlig es immer noch Das jedoch wollte ich lieber mit aumluszligerster Vorsicht bewerkstelligen Ichholte mir einige Kanoniere vom 2 cm-Flakzug vor allem den Entfer-nungsmesser samt Geraumlt Wir verkleideten uns mit Strohhuumlten Bauern-kitteln und Heugabeln Dann durchstreiften wir die Wiesen am Bugdem Grenzfluszlig zwischen Deutschland und Ruszligland Es war zunaumlchstdie Frage zu klaumlren ob das schwere Geschuumltz an das Ufer bugsiert wer-den konnte fuumlr einen eventuell vorgesehenen Faumlhruumlbergang Auszligerdemhaben wir die Entfernung gemessen zu einem Bunker auf russischerSeite der mir als moumlgliches Ziel angegeben worden warAber so unauffaumlllig wie wir wollten gelang die Vermessung nicht Auseinem Gebuumlsch druumlben trat ploumltzlich eine russische Patrouille mit dreiSoldaten in das hohe Gras und ging zum Bug-Ufer als sie ploumltzlichstutzten In ihren Gesichtern konnten wir ihre Uumlberraschung ablesenSie hatten unser Entfernungsmeszliggeraumlt von der Seite entdeckt als wirhinter einem Gebuumlsch Messungen durchfuumlhrten und nur nach vornegetarnt waren Mit Gesten der Uumlberraschung machten die Russen kehrtund entschwanden schnell unseren Blicken hinter Buschwerk und Baumlu-men (Da war wohl druumlben eine Meldung faumlllig)In der Abenddaumlmmerung dieses heiszligen Tages des 21 Juni 1941 wur-de die Batterie an die Fahrzeuge befohlen Die Froumlsche in den fried-lichen Bug-Wiesen gaben noch ihr volltoumlnendes Konzert Da saszligen wirauf den Zugmaschinen im Walde als uns ein Aufruf des Fuumlhrers verle-sen wurde laquoSoldaten der Ostfrontraquo Wir waren wie vom Blitz getrof-fen ndash trotz aller Zeichen um uns Also doch Die Worte des Generalsklangen mir noch im Ohr

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienWir stehn zum Marsch gegen Ruszligland angetreten Heute nachmittagnoch war ich mit Karstedt zur NLK um das fehlende Zubehoumlr fuumlr deneinen Funktrupp abzuholen Dort war schon alles eifrig beim PackenAls wir etwas spaumlter durch den Lagerplatz des II Btl kamen rissen sieschon die Zeltbahnen von den Schleppdaumlchern laquoPaszlig aufraquo sag ich laquobeiuns tun sie das auch schonraquo ndash laquoAch was unsre sind noch nicht so-weitraquoSie waren es aber wirklich Und nun geht es alles Schlag auf SchlagPacken Verladen Lt Schulze verliest den Aufruf des Fuumlhrers an die

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Ostarmee Es geht also doch gegen Ruszligland Um 22 Uhr stehen wir ab-marschbereit

Lawrentij Berija 1899ndash1953 MoskauAn StalinIn der letzten Zeit lassen sich viele Mitarbeiter von gemeinen Provoka-tionen beeinflussen und geraten in Panikstimmung Die geheimen Mit-arbeiter [hellip] muumlssen wegen der systematischen Desinformation alsHandlanger der internationalen Provokateure die uns gegen Deutsch-land aufhetzen wollen zu Lagerstaub zerrieben werden [hellip] Der Leiterder Aufklaumlrungshauptverwaltung beschwert sich uumlber seinen Oberst-leutnant Nowobranetz der auch die Luumlge verbreitet daszlig Hitler anunserer Westgrenze 170 Divisionen gegen uns aufmarschieren lassenhabe [hellip] Aber ich und die mir unterstellten Mitarbeiter Jossif Wissa-rionowitsch denken immer an die weise Vorhersage nach der Hitleruns im Jahre 1941 nicht uumlberfallen wird

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauAm 21 Juni abends rief mich der Stabschef des Kiewer MilitaumlrbezirksGeneralleutnant Purkajew an und meldete daszlig ein deutscher Feld-webel uumlbergelaufen sei der behauptete die deutschen Truppen bezoumlgenihre Bereitstellungsraumlume fuumlr den Angriff der am 22 Juni fruumlh beginneIch berichtete daruumlber sofort dem Volkskommissar und Stalin Stalinsagte laquoKommen Sie mit dem Volkskommissar in den KremlraquoDer Volkskommissar Generalleutnant Watutin und ich fuhren mit demEntwurf einer Direktive an die Truppen in den Kreml Unterwegs ver-abredeten wir um jeden Preis den Beschluszlig durchzusetzen die Trup-pen in Gefechtsbereitschaft zu versetzenStalin empfing uns allein Er war sichtlich besorgtlaquoOb uns die deutschen Generale diesen Uumlberlaumlufer nicht untergescho-ben haben um einen Konflikt zu provozierenraquo fragte erlaquoNeinraquo antwortete Timoschenko laquoWir meinen daszlig der Uumlberlaumluferdie Wahrheit sagtraquo Inzwischen traten die Mitglieder des Politbuumlros in Stalins Arbeitszim-mer Stalin informierte sie kurzlaquoWas werden wir tunraquo fragte StalinNiemand antwortetelaquoMan muszlig unverzuumlglich die Direktive erteilen alle Truppen der Grenz-militaumlrbezirke in houmlchste Gefechtsbereitschaft zu versetzenraquo sagteTimoschenko

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laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

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von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

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des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 5: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

Rede ist zum Anlaszlig einer Umkehr nehmen Einzelne die es dennochtun werden fuumlr eine kurze Zeit zu den Maurern des BabylonischenTurms zu den buntkappigen Kriegsknechten der Alexanderschlacht ge-houmlren und auch zu den Zeugen des humanen Verhaltens eines spani-schen Feldherrn vor den Toren einer eroberten Stadt Sie werden viel-leicht zu jenem Verstaumlndnis durchdringen das uns das Kommendebewaumlltigen hilft

Nartum 25 Dezember 2001 Walter Kempowski

vorwort6

Dann gliederten sich die Lauteerst war nur Chaos und Schreifremde Sprachen uraltevergangene Stimmen dabei

Die eine sagte gelittendie zweite sagte geweintdie dritte keine Bittennuumltzen der Gott verneint

gottfried benn

lt659 Tage Sonnabend 21 Juni 1941 1417 Tagegt

Die bruumlderliche Liebe untereinander seiherzlich Einer komme dem andern mitEhrerbietung zuvor Seid nicht traumlge indem was ihr tun sollt Seid bruumlnstig imGeiste Schicket euch in die Zeitherrnhut roumlmer 121011

Andreacute Gide 1869ndash1951 (Suumldfrankreich)Die kuumlrzeste Nacht des Jahres Diese letzten vier Tage waren schoumlnerals man sagen kann schoumlner als ich es ertragen konnte Eine Art Auf-ruf zum Gluumlck bei dem die ganze Natur sich zu einer wunderbarenVerzuumlckung verschwor und einen Gipfel der Liebe und Freude erreich-te wo dem Menschenwesen nur noch der Tod zu wuumlnschen bleibt Ineiner solchen Nacht moumlchte man die Blumen kuumlssen die Rinde der Baumlu-me streicheln irgendeinen jungen gluumlhenden Koumlrper umarmen oder biszur Morgendaumlmmerung auf der Suche nach ihm umherstreifen Alleinschlafenzugehen wozu ich mich gleichwohl entschlieszligen muszlig erscheintgottlos

Paul Valeacutery 1871ndash1945 ParisDie Physiker lassen was man gestern wuszligte nicht in Ruhe und fuumlgenhinzu oder verbinden damit was sie heute morgen gesehen haben DieHistoriker machen nicht so viel Umstaumlnde ndash und waumlhrend jene damitringen Prinzipien Definitionen Geometrie und hellip Verstehen umzu-formen scheren sich diese darum wenig Sie liefern die Erzaumlhlung undeine Erzaumlhlung absorbiert alles ndash es ist die Form des Formlosen ndash unddie Verfaumllschung der Beobachtungen die sie mit sich bringt oder er-zwingt ist unmerklich Sie koumlnnen sich nicht vorstellen daszlig die Neu-heit (die nicht nur Neuheit der Ereignisse ist ndash sondern ebensosehrNeuheit der Modi ihrer Aufzeichnung) einen anderen laquohistorischenraquoGeist verlangen koumlnnte andere Ausdruumlcke ndash andere Vorsichtsmaszlig-nahmen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartSonnenwende Aber wir sind so verstrickt in Menschendinge und ausdem Zusammenhang mit der Natur geraten daszlig man der Sonnenwen-de kaum gedenktGestern hab ich ein Gedicht gemacht laquoAn den Vermiszligtenraquo Ich binuumlber mich selbst erschrocken Wie kann man daruumlber ein Gedicht ma-chen Ich weiszlig es auch nicht es floszlig aus mir wie die Traumlnen flieszligen

Helmuth James von Moltke 1907ndash1945 BerlinAn seine FrauIch komme mir vor als sei heute der 31 Dezember es ist so als begaumlnnemorgen ein neues Jahr Morgen wird alles anders aussehen und vieleDinge werden uns bestuumlrmen gegen die wir uns wappnen muumlssen

Jochen Klepper 1903ndash1942 StauceniRumaumlnienSturm in der Morgendaumlmmerung Gewoumllk dann wunderbarer matt-goldener Sonnenaufgang 8 Uhr Aufbruch der Autos Die Fahrt durchdie huumlgeligen Waumllder sehr schoumln 12 Uhr Ankunft in Stauceni OumldesDorf aber an einem ndash wenn auch verschilften und sumpfigen ndash See undGraben in denen man zur Not baden kann Es wird ein schoumlner schouml-ner Tag Sonne und Wind Wir kampieren im Autobus Zwei Briefe vonHanni

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugDie Spannung waumlchst auf den Houmlhepunkt Im Radio immer nochnichts Diese Nacht soll es losgehen Das Wetter ist prima Hitlerwet-ter sagen wir Morgens kommt Oblt Knuumltel Er liegt mit seiner Kompganz in unserer NaumlheDer Wald hier wimmelt von Panzern Artillerie und Pferden UnseremKorps ist naumlmlich auch die 1 KD unterstelltAbends kommt der 1 B der Division Um 315 Uhr soll der erste Schuszligfallen Brest-Litowsk soll mit Brandoumll mit 330 000 kg beschossen wer-den Da koumlnnen unsere Nebelwerfer ihren ersten Einsatz zeigenEin leichter Zug unserer Kompanie wird vorgezogen Er soll an der an-deren Seite des Bug einen Hauptverbandsplatz vorbereiten Stolz ziehtUnterarzt Doringer mit seinem Zuge los ndash Ich platze bald daszlig ich auchdiesmal wieder stille sein muszlig Aber der Chef beruhigt mich und sagtmir daszlig der Zug houmlchstwahrscheinlich nicht zum Einsatz kommenwuumlrde

sonnabend 21 juni 194110

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugAm 21 Juni fruumlhmorgens erhielt ich den Auftrag eine Stellung ober-halb des Bug-Ufers zu erkunden um die Ziele auf russischer Seite be-kaumlmpfen zu koumlnnen ndash vorsorglich hieszlig es immer noch Das jedoch wollte ich lieber mit aumluszligerster Vorsicht bewerkstelligen Ichholte mir einige Kanoniere vom 2 cm-Flakzug vor allem den Entfer-nungsmesser samt Geraumlt Wir verkleideten uns mit Strohhuumlten Bauern-kitteln und Heugabeln Dann durchstreiften wir die Wiesen am Bugdem Grenzfluszlig zwischen Deutschland und Ruszligland Es war zunaumlchstdie Frage zu klaumlren ob das schwere Geschuumltz an das Ufer bugsiert wer-den konnte fuumlr einen eventuell vorgesehenen Faumlhruumlbergang Auszligerdemhaben wir die Entfernung gemessen zu einem Bunker auf russischerSeite der mir als moumlgliches Ziel angegeben worden warAber so unauffaumlllig wie wir wollten gelang die Vermessung nicht Auseinem Gebuumlsch druumlben trat ploumltzlich eine russische Patrouille mit dreiSoldaten in das hohe Gras und ging zum Bug-Ufer als sie ploumltzlichstutzten In ihren Gesichtern konnten wir ihre Uumlberraschung ablesenSie hatten unser Entfernungsmeszliggeraumlt von der Seite entdeckt als wirhinter einem Gebuumlsch Messungen durchfuumlhrten und nur nach vornegetarnt waren Mit Gesten der Uumlberraschung machten die Russen kehrtund entschwanden schnell unseren Blicken hinter Buschwerk und Baumlu-men (Da war wohl druumlben eine Meldung faumlllig)In der Abenddaumlmmerung dieses heiszligen Tages des 21 Juni 1941 wur-de die Batterie an die Fahrzeuge befohlen Die Froumlsche in den fried-lichen Bug-Wiesen gaben noch ihr volltoumlnendes Konzert Da saszligen wirauf den Zugmaschinen im Walde als uns ein Aufruf des Fuumlhrers verle-sen wurde laquoSoldaten der Ostfrontraquo Wir waren wie vom Blitz getrof-fen ndash trotz aller Zeichen um uns Also doch Die Worte des Generalsklangen mir noch im Ohr

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienWir stehn zum Marsch gegen Ruszligland angetreten Heute nachmittagnoch war ich mit Karstedt zur NLK um das fehlende Zubehoumlr fuumlr deneinen Funktrupp abzuholen Dort war schon alles eifrig beim PackenAls wir etwas spaumlter durch den Lagerplatz des II Btl kamen rissen sieschon die Zeltbahnen von den Schleppdaumlchern laquoPaszlig aufraquo sag ich laquobeiuns tun sie das auch schonraquo ndash laquoAch was unsre sind noch nicht so-weitraquoSie waren es aber wirklich Und nun geht es alles Schlag auf SchlagPacken Verladen Lt Schulze verliest den Aufruf des Fuumlhrers an die

sonnabend 21 juni 1941 11

Ostarmee Es geht also doch gegen Ruszligland Um 22 Uhr stehen wir ab-marschbereit

Lawrentij Berija 1899ndash1953 MoskauAn StalinIn der letzten Zeit lassen sich viele Mitarbeiter von gemeinen Provoka-tionen beeinflussen und geraten in Panikstimmung Die geheimen Mit-arbeiter [hellip] muumlssen wegen der systematischen Desinformation alsHandlanger der internationalen Provokateure die uns gegen Deutsch-land aufhetzen wollen zu Lagerstaub zerrieben werden [hellip] Der Leiterder Aufklaumlrungshauptverwaltung beschwert sich uumlber seinen Oberst-leutnant Nowobranetz der auch die Luumlge verbreitet daszlig Hitler anunserer Westgrenze 170 Divisionen gegen uns aufmarschieren lassenhabe [hellip] Aber ich und die mir unterstellten Mitarbeiter Jossif Wissa-rionowitsch denken immer an die weise Vorhersage nach der Hitleruns im Jahre 1941 nicht uumlberfallen wird

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauAm 21 Juni abends rief mich der Stabschef des Kiewer MilitaumlrbezirksGeneralleutnant Purkajew an und meldete daszlig ein deutscher Feld-webel uumlbergelaufen sei der behauptete die deutschen Truppen bezoumlgenihre Bereitstellungsraumlume fuumlr den Angriff der am 22 Juni fruumlh beginneIch berichtete daruumlber sofort dem Volkskommissar und Stalin Stalinsagte laquoKommen Sie mit dem Volkskommissar in den KremlraquoDer Volkskommissar Generalleutnant Watutin und ich fuhren mit demEntwurf einer Direktive an die Truppen in den Kreml Unterwegs ver-abredeten wir um jeden Preis den Beschluszlig durchzusetzen die Trup-pen in Gefechtsbereitschaft zu versetzenStalin empfing uns allein Er war sichtlich besorgtlaquoOb uns die deutschen Generale diesen Uumlberlaumlufer nicht untergescho-ben haben um einen Konflikt zu provozierenraquo fragte erlaquoNeinraquo antwortete Timoschenko laquoWir meinen daszlig der Uumlberlaumluferdie Wahrheit sagtraquo Inzwischen traten die Mitglieder des Politbuumlros in Stalins Arbeitszim-mer Stalin informierte sie kurzlaquoWas werden wir tunraquo fragte StalinNiemand antwortetelaquoMan muszlig unverzuumlglich die Direktive erteilen alle Truppen der Grenz-militaumlrbezirke in houmlchste Gefechtsbereitschaft zu versetzenraquo sagteTimoschenko

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laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

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von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

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des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

montag 23 juni 1941 67

lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 6: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

Dann gliederten sich die Lauteerst war nur Chaos und Schreifremde Sprachen uraltevergangene Stimmen dabei

Die eine sagte gelittendie zweite sagte geweintdie dritte keine Bittennuumltzen der Gott verneint

gottfried benn

lt659 Tage Sonnabend 21 Juni 1941 1417 Tagegt

Die bruumlderliche Liebe untereinander seiherzlich Einer komme dem andern mitEhrerbietung zuvor Seid nicht traumlge indem was ihr tun sollt Seid bruumlnstig imGeiste Schicket euch in die Zeitherrnhut roumlmer 121011

Andreacute Gide 1869ndash1951 (Suumldfrankreich)Die kuumlrzeste Nacht des Jahres Diese letzten vier Tage waren schoumlnerals man sagen kann schoumlner als ich es ertragen konnte Eine Art Auf-ruf zum Gluumlck bei dem die ganze Natur sich zu einer wunderbarenVerzuumlckung verschwor und einen Gipfel der Liebe und Freude erreich-te wo dem Menschenwesen nur noch der Tod zu wuumlnschen bleibt Ineiner solchen Nacht moumlchte man die Blumen kuumlssen die Rinde der Baumlu-me streicheln irgendeinen jungen gluumlhenden Koumlrper umarmen oder biszur Morgendaumlmmerung auf der Suche nach ihm umherstreifen Alleinschlafenzugehen wozu ich mich gleichwohl entschlieszligen muszlig erscheintgottlos

Paul Valeacutery 1871ndash1945 ParisDie Physiker lassen was man gestern wuszligte nicht in Ruhe und fuumlgenhinzu oder verbinden damit was sie heute morgen gesehen haben DieHistoriker machen nicht so viel Umstaumlnde ndash und waumlhrend jene damitringen Prinzipien Definitionen Geometrie und hellip Verstehen umzu-formen scheren sich diese darum wenig Sie liefern die Erzaumlhlung undeine Erzaumlhlung absorbiert alles ndash es ist die Form des Formlosen ndash unddie Verfaumllschung der Beobachtungen die sie mit sich bringt oder er-zwingt ist unmerklich Sie koumlnnen sich nicht vorstellen daszlig die Neu-heit (die nicht nur Neuheit der Ereignisse ist ndash sondern ebensosehrNeuheit der Modi ihrer Aufzeichnung) einen anderen laquohistorischenraquoGeist verlangen koumlnnte andere Ausdruumlcke ndash andere Vorsichtsmaszlig-nahmen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartSonnenwende Aber wir sind so verstrickt in Menschendinge und ausdem Zusammenhang mit der Natur geraten daszlig man der Sonnenwen-de kaum gedenktGestern hab ich ein Gedicht gemacht laquoAn den Vermiszligtenraquo Ich binuumlber mich selbst erschrocken Wie kann man daruumlber ein Gedicht ma-chen Ich weiszlig es auch nicht es floszlig aus mir wie die Traumlnen flieszligen

Helmuth James von Moltke 1907ndash1945 BerlinAn seine FrauIch komme mir vor als sei heute der 31 Dezember es ist so als begaumlnnemorgen ein neues Jahr Morgen wird alles anders aussehen und vieleDinge werden uns bestuumlrmen gegen die wir uns wappnen muumlssen

Jochen Klepper 1903ndash1942 StauceniRumaumlnienSturm in der Morgendaumlmmerung Gewoumllk dann wunderbarer matt-goldener Sonnenaufgang 8 Uhr Aufbruch der Autos Die Fahrt durchdie huumlgeligen Waumllder sehr schoumln 12 Uhr Ankunft in Stauceni OumldesDorf aber an einem ndash wenn auch verschilften und sumpfigen ndash See undGraben in denen man zur Not baden kann Es wird ein schoumlner schouml-ner Tag Sonne und Wind Wir kampieren im Autobus Zwei Briefe vonHanni

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugDie Spannung waumlchst auf den Houmlhepunkt Im Radio immer nochnichts Diese Nacht soll es losgehen Das Wetter ist prima Hitlerwet-ter sagen wir Morgens kommt Oblt Knuumltel Er liegt mit seiner Kompganz in unserer NaumlheDer Wald hier wimmelt von Panzern Artillerie und Pferden UnseremKorps ist naumlmlich auch die 1 KD unterstelltAbends kommt der 1 B der Division Um 315 Uhr soll der erste Schuszligfallen Brest-Litowsk soll mit Brandoumll mit 330 000 kg beschossen wer-den Da koumlnnen unsere Nebelwerfer ihren ersten Einsatz zeigenEin leichter Zug unserer Kompanie wird vorgezogen Er soll an der an-deren Seite des Bug einen Hauptverbandsplatz vorbereiten Stolz ziehtUnterarzt Doringer mit seinem Zuge los ndash Ich platze bald daszlig ich auchdiesmal wieder stille sein muszlig Aber der Chef beruhigt mich und sagtmir daszlig der Zug houmlchstwahrscheinlich nicht zum Einsatz kommenwuumlrde

sonnabend 21 juni 194110

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugAm 21 Juni fruumlhmorgens erhielt ich den Auftrag eine Stellung ober-halb des Bug-Ufers zu erkunden um die Ziele auf russischer Seite be-kaumlmpfen zu koumlnnen ndash vorsorglich hieszlig es immer noch Das jedoch wollte ich lieber mit aumluszligerster Vorsicht bewerkstelligen Ichholte mir einige Kanoniere vom 2 cm-Flakzug vor allem den Entfer-nungsmesser samt Geraumlt Wir verkleideten uns mit Strohhuumlten Bauern-kitteln und Heugabeln Dann durchstreiften wir die Wiesen am Bugdem Grenzfluszlig zwischen Deutschland und Ruszligland Es war zunaumlchstdie Frage zu klaumlren ob das schwere Geschuumltz an das Ufer bugsiert wer-den konnte fuumlr einen eventuell vorgesehenen Faumlhruumlbergang Auszligerdemhaben wir die Entfernung gemessen zu einem Bunker auf russischerSeite der mir als moumlgliches Ziel angegeben worden warAber so unauffaumlllig wie wir wollten gelang die Vermessung nicht Auseinem Gebuumlsch druumlben trat ploumltzlich eine russische Patrouille mit dreiSoldaten in das hohe Gras und ging zum Bug-Ufer als sie ploumltzlichstutzten In ihren Gesichtern konnten wir ihre Uumlberraschung ablesenSie hatten unser Entfernungsmeszliggeraumlt von der Seite entdeckt als wirhinter einem Gebuumlsch Messungen durchfuumlhrten und nur nach vornegetarnt waren Mit Gesten der Uumlberraschung machten die Russen kehrtund entschwanden schnell unseren Blicken hinter Buschwerk und Baumlu-men (Da war wohl druumlben eine Meldung faumlllig)In der Abenddaumlmmerung dieses heiszligen Tages des 21 Juni 1941 wur-de die Batterie an die Fahrzeuge befohlen Die Froumlsche in den fried-lichen Bug-Wiesen gaben noch ihr volltoumlnendes Konzert Da saszligen wirauf den Zugmaschinen im Walde als uns ein Aufruf des Fuumlhrers verle-sen wurde laquoSoldaten der Ostfrontraquo Wir waren wie vom Blitz getrof-fen ndash trotz aller Zeichen um uns Also doch Die Worte des Generalsklangen mir noch im Ohr

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienWir stehn zum Marsch gegen Ruszligland angetreten Heute nachmittagnoch war ich mit Karstedt zur NLK um das fehlende Zubehoumlr fuumlr deneinen Funktrupp abzuholen Dort war schon alles eifrig beim PackenAls wir etwas spaumlter durch den Lagerplatz des II Btl kamen rissen sieschon die Zeltbahnen von den Schleppdaumlchern laquoPaszlig aufraquo sag ich laquobeiuns tun sie das auch schonraquo ndash laquoAch was unsre sind noch nicht so-weitraquoSie waren es aber wirklich Und nun geht es alles Schlag auf SchlagPacken Verladen Lt Schulze verliest den Aufruf des Fuumlhrers an die

sonnabend 21 juni 1941 11

Ostarmee Es geht also doch gegen Ruszligland Um 22 Uhr stehen wir ab-marschbereit

Lawrentij Berija 1899ndash1953 MoskauAn StalinIn der letzten Zeit lassen sich viele Mitarbeiter von gemeinen Provoka-tionen beeinflussen und geraten in Panikstimmung Die geheimen Mit-arbeiter [hellip] muumlssen wegen der systematischen Desinformation alsHandlanger der internationalen Provokateure die uns gegen Deutsch-land aufhetzen wollen zu Lagerstaub zerrieben werden [hellip] Der Leiterder Aufklaumlrungshauptverwaltung beschwert sich uumlber seinen Oberst-leutnant Nowobranetz der auch die Luumlge verbreitet daszlig Hitler anunserer Westgrenze 170 Divisionen gegen uns aufmarschieren lassenhabe [hellip] Aber ich und die mir unterstellten Mitarbeiter Jossif Wissa-rionowitsch denken immer an die weise Vorhersage nach der Hitleruns im Jahre 1941 nicht uumlberfallen wird

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauAm 21 Juni abends rief mich der Stabschef des Kiewer MilitaumlrbezirksGeneralleutnant Purkajew an und meldete daszlig ein deutscher Feld-webel uumlbergelaufen sei der behauptete die deutschen Truppen bezoumlgenihre Bereitstellungsraumlume fuumlr den Angriff der am 22 Juni fruumlh beginneIch berichtete daruumlber sofort dem Volkskommissar und Stalin Stalinsagte laquoKommen Sie mit dem Volkskommissar in den KremlraquoDer Volkskommissar Generalleutnant Watutin und ich fuhren mit demEntwurf einer Direktive an die Truppen in den Kreml Unterwegs ver-abredeten wir um jeden Preis den Beschluszlig durchzusetzen die Trup-pen in Gefechtsbereitschaft zu versetzenStalin empfing uns allein Er war sichtlich besorgtlaquoOb uns die deutschen Generale diesen Uumlberlaumlufer nicht untergescho-ben haben um einen Konflikt zu provozierenraquo fragte erlaquoNeinraquo antwortete Timoschenko laquoWir meinen daszlig der Uumlberlaumluferdie Wahrheit sagtraquo Inzwischen traten die Mitglieder des Politbuumlros in Stalins Arbeitszim-mer Stalin informierte sie kurzlaquoWas werden wir tunraquo fragte StalinNiemand antwortetelaquoMan muszlig unverzuumlglich die Direktive erteilen alle Truppen der Grenz-militaumlrbezirke in houmlchste Gefechtsbereitschaft zu versetzenraquo sagteTimoschenko

sonnabend 21 juni 194112

laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

sonnabend 21 juni 1941 13

von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

sonnabend 21 juni 1941 15

des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

sonnabend 21 juni 194116

von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

sonnabend 21 juni 1941 17

lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

sonntag 22 juni 1941 19

Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

sonntag 22 juni 194120

die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 7: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

lt659 Tage Sonnabend 21 Juni 1941 1417 Tagegt

Die bruumlderliche Liebe untereinander seiherzlich Einer komme dem andern mitEhrerbietung zuvor Seid nicht traumlge indem was ihr tun sollt Seid bruumlnstig imGeiste Schicket euch in die Zeitherrnhut roumlmer 121011

Andreacute Gide 1869ndash1951 (Suumldfrankreich)Die kuumlrzeste Nacht des Jahres Diese letzten vier Tage waren schoumlnerals man sagen kann schoumlner als ich es ertragen konnte Eine Art Auf-ruf zum Gluumlck bei dem die ganze Natur sich zu einer wunderbarenVerzuumlckung verschwor und einen Gipfel der Liebe und Freude erreich-te wo dem Menschenwesen nur noch der Tod zu wuumlnschen bleibt Ineiner solchen Nacht moumlchte man die Blumen kuumlssen die Rinde der Baumlu-me streicheln irgendeinen jungen gluumlhenden Koumlrper umarmen oder biszur Morgendaumlmmerung auf der Suche nach ihm umherstreifen Alleinschlafenzugehen wozu ich mich gleichwohl entschlieszligen muszlig erscheintgottlos

Paul Valeacutery 1871ndash1945 ParisDie Physiker lassen was man gestern wuszligte nicht in Ruhe und fuumlgenhinzu oder verbinden damit was sie heute morgen gesehen haben DieHistoriker machen nicht so viel Umstaumlnde ndash und waumlhrend jene damitringen Prinzipien Definitionen Geometrie und hellip Verstehen umzu-formen scheren sich diese darum wenig Sie liefern die Erzaumlhlung undeine Erzaumlhlung absorbiert alles ndash es ist die Form des Formlosen ndash unddie Verfaumllschung der Beobachtungen die sie mit sich bringt oder er-zwingt ist unmerklich Sie koumlnnen sich nicht vorstellen daszlig die Neu-heit (die nicht nur Neuheit der Ereignisse ist ndash sondern ebensosehrNeuheit der Modi ihrer Aufzeichnung) einen anderen laquohistorischenraquoGeist verlangen koumlnnte andere Ausdruumlcke ndash andere Vorsichtsmaszlig-nahmen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartSonnenwende Aber wir sind so verstrickt in Menschendinge und ausdem Zusammenhang mit der Natur geraten daszlig man der Sonnenwen-de kaum gedenktGestern hab ich ein Gedicht gemacht laquoAn den Vermiszligtenraquo Ich binuumlber mich selbst erschrocken Wie kann man daruumlber ein Gedicht ma-chen Ich weiszlig es auch nicht es floszlig aus mir wie die Traumlnen flieszligen

Helmuth James von Moltke 1907ndash1945 BerlinAn seine FrauIch komme mir vor als sei heute der 31 Dezember es ist so als begaumlnnemorgen ein neues Jahr Morgen wird alles anders aussehen und vieleDinge werden uns bestuumlrmen gegen die wir uns wappnen muumlssen

Jochen Klepper 1903ndash1942 StauceniRumaumlnienSturm in der Morgendaumlmmerung Gewoumllk dann wunderbarer matt-goldener Sonnenaufgang 8 Uhr Aufbruch der Autos Die Fahrt durchdie huumlgeligen Waumllder sehr schoumln 12 Uhr Ankunft in Stauceni OumldesDorf aber an einem ndash wenn auch verschilften und sumpfigen ndash See undGraben in denen man zur Not baden kann Es wird ein schoumlner schouml-ner Tag Sonne und Wind Wir kampieren im Autobus Zwei Briefe vonHanni

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugDie Spannung waumlchst auf den Houmlhepunkt Im Radio immer nochnichts Diese Nacht soll es losgehen Das Wetter ist prima Hitlerwet-ter sagen wir Morgens kommt Oblt Knuumltel Er liegt mit seiner Kompganz in unserer NaumlheDer Wald hier wimmelt von Panzern Artillerie und Pferden UnseremKorps ist naumlmlich auch die 1 KD unterstelltAbends kommt der 1 B der Division Um 315 Uhr soll der erste Schuszligfallen Brest-Litowsk soll mit Brandoumll mit 330 000 kg beschossen wer-den Da koumlnnen unsere Nebelwerfer ihren ersten Einsatz zeigenEin leichter Zug unserer Kompanie wird vorgezogen Er soll an der an-deren Seite des Bug einen Hauptverbandsplatz vorbereiten Stolz ziehtUnterarzt Doringer mit seinem Zuge los ndash Ich platze bald daszlig ich auchdiesmal wieder stille sein muszlig Aber der Chef beruhigt mich und sagtmir daszlig der Zug houmlchstwahrscheinlich nicht zum Einsatz kommenwuumlrde

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Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugAm 21 Juni fruumlhmorgens erhielt ich den Auftrag eine Stellung ober-halb des Bug-Ufers zu erkunden um die Ziele auf russischer Seite be-kaumlmpfen zu koumlnnen ndash vorsorglich hieszlig es immer noch Das jedoch wollte ich lieber mit aumluszligerster Vorsicht bewerkstelligen Ichholte mir einige Kanoniere vom 2 cm-Flakzug vor allem den Entfer-nungsmesser samt Geraumlt Wir verkleideten uns mit Strohhuumlten Bauern-kitteln und Heugabeln Dann durchstreiften wir die Wiesen am Bugdem Grenzfluszlig zwischen Deutschland und Ruszligland Es war zunaumlchstdie Frage zu klaumlren ob das schwere Geschuumltz an das Ufer bugsiert wer-den konnte fuumlr einen eventuell vorgesehenen Faumlhruumlbergang Auszligerdemhaben wir die Entfernung gemessen zu einem Bunker auf russischerSeite der mir als moumlgliches Ziel angegeben worden warAber so unauffaumlllig wie wir wollten gelang die Vermessung nicht Auseinem Gebuumlsch druumlben trat ploumltzlich eine russische Patrouille mit dreiSoldaten in das hohe Gras und ging zum Bug-Ufer als sie ploumltzlichstutzten In ihren Gesichtern konnten wir ihre Uumlberraschung ablesenSie hatten unser Entfernungsmeszliggeraumlt von der Seite entdeckt als wirhinter einem Gebuumlsch Messungen durchfuumlhrten und nur nach vornegetarnt waren Mit Gesten der Uumlberraschung machten die Russen kehrtund entschwanden schnell unseren Blicken hinter Buschwerk und Baumlu-men (Da war wohl druumlben eine Meldung faumlllig)In der Abenddaumlmmerung dieses heiszligen Tages des 21 Juni 1941 wur-de die Batterie an die Fahrzeuge befohlen Die Froumlsche in den fried-lichen Bug-Wiesen gaben noch ihr volltoumlnendes Konzert Da saszligen wirauf den Zugmaschinen im Walde als uns ein Aufruf des Fuumlhrers verle-sen wurde laquoSoldaten der Ostfrontraquo Wir waren wie vom Blitz getrof-fen ndash trotz aller Zeichen um uns Also doch Die Worte des Generalsklangen mir noch im Ohr

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienWir stehn zum Marsch gegen Ruszligland angetreten Heute nachmittagnoch war ich mit Karstedt zur NLK um das fehlende Zubehoumlr fuumlr deneinen Funktrupp abzuholen Dort war schon alles eifrig beim PackenAls wir etwas spaumlter durch den Lagerplatz des II Btl kamen rissen sieschon die Zeltbahnen von den Schleppdaumlchern laquoPaszlig aufraquo sag ich laquobeiuns tun sie das auch schonraquo ndash laquoAch was unsre sind noch nicht so-weitraquoSie waren es aber wirklich Und nun geht es alles Schlag auf SchlagPacken Verladen Lt Schulze verliest den Aufruf des Fuumlhrers an die

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Ostarmee Es geht also doch gegen Ruszligland Um 22 Uhr stehen wir ab-marschbereit

Lawrentij Berija 1899ndash1953 MoskauAn StalinIn der letzten Zeit lassen sich viele Mitarbeiter von gemeinen Provoka-tionen beeinflussen und geraten in Panikstimmung Die geheimen Mit-arbeiter [hellip] muumlssen wegen der systematischen Desinformation alsHandlanger der internationalen Provokateure die uns gegen Deutsch-land aufhetzen wollen zu Lagerstaub zerrieben werden [hellip] Der Leiterder Aufklaumlrungshauptverwaltung beschwert sich uumlber seinen Oberst-leutnant Nowobranetz der auch die Luumlge verbreitet daszlig Hitler anunserer Westgrenze 170 Divisionen gegen uns aufmarschieren lassenhabe [hellip] Aber ich und die mir unterstellten Mitarbeiter Jossif Wissa-rionowitsch denken immer an die weise Vorhersage nach der Hitleruns im Jahre 1941 nicht uumlberfallen wird

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauAm 21 Juni abends rief mich der Stabschef des Kiewer MilitaumlrbezirksGeneralleutnant Purkajew an und meldete daszlig ein deutscher Feld-webel uumlbergelaufen sei der behauptete die deutschen Truppen bezoumlgenihre Bereitstellungsraumlume fuumlr den Angriff der am 22 Juni fruumlh beginneIch berichtete daruumlber sofort dem Volkskommissar und Stalin Stalinsagte laquoKommen Sie mit dem Volkskommissar in den KremlraquoDer Volkskommissar Generalleutnant Watutin und ich fuhren mit demEntwurf einer Direktive an die Truppen in den Kreml Unterwegs ver-abredeten wir um jeden Preis den Beschluszlig durchzusetzen die Trup-pen in Gefechtsbereitschaft zu versetzenStalin empfing uns allein Er war sichtlich besorgtlaquoOb uns die deutschen Generale diesen Uumlberlaumlufer nicht untergescho-ben haben um einen Konflikt zu provozierenraquo fragte erlaquoNeinraquo antwortete Timoschenko laquoWir meinen daszlig der Uumlberlaumluferdie Wahrheit sagtraquo Inzwischen traten die Mitglieder des Politbuumlros in Stalins Arbeitszim-mer Stalin informierte sie kurzlaquoWas werden wir tunraquo fragte StalinNiemand antwortetelaquoMan muszlig unverzuumlglich die Direktive erteilen alle Truppen der Grenz-militaumlrbezirke in houmlchste Gefechtsbereitschaft zu versetzenraquo sagteTimoschenko

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laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

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von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

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des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 8: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartSonnenwende Aber wir sind so verstrickt in Menschendinge und ausdem Zusammenhang mit der Natur geraten daszlig man der Sonnenwen-de kaum gedenktGestern hab ich ein Gedicht gemacht laquoAn den Vermiszligtenraquo Ich binuumlber mich selbst erschrocken Wie kann man daruumlber ein Gedicht ma-chen Ich weiszlig es auch nicht es floszlig aus mir wie die Traumlnen flieszligen

Helmuth James von Moltke 1907ndash1945 BerlinAn seine FrauIch komme mir vor als sei heute der 31 Dezember es ist so als begaumlnnemorgen ein neues Jahr Morgen wird alles anders aussehen und vieleDinge werden uns bestuumlrmen gegen die wir uns wappnen muumlssen

Jochen Klepper 1903ndash1942 StauceniRumaumlnienSturm in der Morgendaumlmmerung Gewoumllk dann wunderbarer matt-goldener Sonnenaufgang 8 Uhr Aufbruch der Autos Die Fahrt durchdie huumlgeligen Waumllder sehr schoumln 12 Uhr Ankunft in Stauceni OumldesDorf aber an einem ndash wenn auch verschilften und sumpfigen ndash See undGraben in denen man zur Not baden kann Es wird ein schoumlner schouml-ner Tag Sonne und Wind Wir kampieren im Autobus Zwei Briefe vonHanni

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugDie Spannung waumlchst auf den Houmlhepunkt Im Radio immer nochnichts Diese Nacht soll es losgehen Das Wetter ist prima Hitlerwet-ter sagen wir Morgens kommt Oblt Knuumltel Er liegt mit seiner Kompganz in unserer NaumlheDer Wald hier wimmelt von Panzern Artillerie und Pferden UnseremKorps ist naumlmlich auch die 1 KD unterstelltAbends kommt der 1 B der Division Um 315 Uhr soll der erste Schuszligfallen Brest-Litowsk soll mit Brandoumll mit 330 000 kg beschossen wer-den Da koumlnnen unsere Nebelwerfer ihren ersten Einsatz zeigenEin leichter Zug unserer Kompanie wird vorgezogen Er soll an der an-deren Seite des Bug einen Hauptverbandsplatz vorbereiten Stolz ziehtUnterarzt Doringer mit seinem Zuge los ndash Ich platze bald daszlig ich auchdiesmal wieder stille sein muszlig Aber der Chef beruhigt mich und sagtmir daszlig der Zug houmlchstwahrscheinlich nicht zum Einsatz kommenwuumlrde

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Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugAm 21 Juni fruumlhmorgens erhielt ich den Auftrag eine Stellung ober-halb des Bug-Ufers zu erkunden um die Ziele auf russischer Seite be-kaumlmpfen zu koumlnnen ndash vorsorglich hieszlig es immer noch Das jedoch wollte ich lieber mit aumluszligerster Vorsicht bewerkstelligen Ichholte mir einige Kanoniere vom 2 cm-Flakzug vor allem den Entfer-nungsmesser samt Geraumlt Wir verkleideten uns mit Strohhuumlten Bauern-kitteln und Heugabeln Dann durchstreiften wir die Wiesen am Bugdem Grenzfluszlig zwischen Deutschland und Ruszligland Es war zunaumlchstdie Frage zu klaumlren ob das schwere Geschuumltz an das Ufer bugsiert wer-den konnte fuumlr einen eventuell vorgesehenen Faumlhruumlbergang Auszligerdemhaben wir die Entfernung gemessen zu einem Bunker auf russischerSeite der mir als moumlgliches Ziel angegeben worden warAber so unauffaumlllig wie wir wollten gelang die Vermessung nicht Auseinem Gebuumlsch druumlben trat ploumltzlich eine russische Patrouille mit dreiSoldaten in das hohe Gras und ging zum Bug-Ufer als sie ploumltzlichstutzten In ihren Gesichtern konnten wir ihre Uumlberraschung ablesenSie hatten unser Entfernungsmeszliggeraumlt von der Seite entdeckt als wirhinter einem Gebuumlsch Messungen durchfuumlhrten und nur nach vornegetarnt waren Mit Gesten der Uumlberraschung machten die Russen kehrtund entschwanden schnell unseren Blicken hinter Buschwerk und Baumlu-men (Da war wohl druumlben eine Meldung faumlllig)In der Abenddaumlmmerung dieses heiszligen Tages des 21 Juni 1941 wur-de die Batterie an die Fahrzeuge befohlen Die Froumlsche in den fried-lichen Bug-Wiesen gaben noch ihr volltoumlnendes Konzert Da saszligen wirauf den Zugmaschinen im Walde als uns ein Aufruf des Fuumlhrers verle-sen wurde laquoSoldaten der Ostfrontraquo Wir waren wie vom Blitz getrof-fen ndash trotz aller Zeichen um uns Also doch Die Worte des Generalsklangen mir noch im Ohr

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienWir stehn zum Marsch gegen Ruszligland angetreten Heute nachmittagnoch war ich mit Karstedt zur NLK um das fehlende Zubehoumlr fuumlr deneinen Funktrupp abzuholen Dort war schon alles eifrig beim PackenAls wir etwas spaumlter durch den Lagerplatz des II Btl kamen rissen sieschon die Zeltbahnen von den Schleppdaumlchern laquoPaszlig aufraquo sag ich laquobeiuns tun sie das auch schonraquo ndash laquoAch was unsre sind noch nicht so-weitraquoSie waren es aber wirklich Und nun geht es alles Schlag auf SchlagPacken Verladen Lt Schulze verliest den Aufruf des Fuumlhrers an die

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Ostarmee Es geht also doch gegen Ruszligland Um 22 Uhr stehen wir ab-marschbereit

Lawrentij Berija 1899ndash1953 MoskauAn StalinIn der letzten Zeit lassen sich viele Mitarbeiter von gemeinen Provoka-tionen beeinflussen und geraten in Panikstimmung Die geheimen Mit-arbeiter [hellip] muumlssen wegen der systematischen Desinformation alsHandlanger der internationalen Provokateure die uns gegen Deutsch-land aufhetzen wollen zu Lagerstaub zerrieben werden [hellip] Der Leiterder Aufklaumlrungshauptverwaltung beschwert sich uumlber seinen Oberst-leutnant Nowobranetz der auch die Luumlge verbreitet daszlig Hitler anunserer Westgrenze 170 Divisionen gegen uns aufmarschieren lassenhabe [hellip] Aber ich und die mir unterstellten Mitarbeiter Jossif Wissa-rionowitsch denken immer an die weise Vorhersage nach der Hitleruns im Jahre 1941 nicht uumlberfallen wird

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauAm 21 Juni abends rief mich der Stabschef des Kiewer MilitaumlrbezirksGeneralleutnant Purkajew an und meldete daszlig ein deutscher Feld-webel uumlbergelaufen sei der behauptete die deutschen Truppen bezoumlgenihre Bereitstellungsraumlume fuumlr den Angriff der am 22 Juni fruumlh beginneIch berichtete daruumlber sofort dem Volkskommissar und Stalin Stalinsagte laquoKommen Sie mit dem Volkskommissar in den KremlraquoDer Volkskommissar Generalleutnant Watutin und ich fuhren mit demEntwurf einer Direktive an die Truppen in den Kreml Unterwegs ver-abredeten wir um jeden Preis den Beschluszlig durchzusetzen die Trup-pen in Gefechtsbereitschaft zu versetzenStalin empfing uns allein Er war sichtlich besorgtlaquoOb uns die deutschen Generale diesen Uumlberlaumlufer nicht untergescho-ben haben um einen Konflikt zu provozierenraquo fragte erlaquoNeinraquo antwortete Timoschenko laquoWir meinen daszlig der Uumlberlaumluferdie Wahrheit sagtraquo Inzwischen traten die Mitglieder des Politbuumlros in Stalins Arbeitszim-mer Stalin informierte sie kurzlaquoWas werden wir tunraquo fragte StalinNiemand antwortetelaquoMan muszlig unverzuumlglich die Direktive erteilen alle Truppen der Grenz-militaumlrbezirke in houmlchste Gefechtsbereitschaft zu versetzenraquo sagteTimoschenko

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laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

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von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

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des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 9: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugAm 21 Juni fruumlhmorgens erhielt ich den Auftrag eine Stellung ober-halb des Bug-Ufers zu erkunden um die Ziele auf russischer Seite be-kaumlmpfen zu koumlnnen ndash vorsorglich hieszlig es immer noch Das jedoch wollte ich lieber mit aumluszligerster Vorsicht bewerkstelligen Ichholte mir einige Kanoniere vom 2 cm-Flakzug vor allem den Entfer-nungsmesser samt Geraumlt Wir verkleideten uns mit Strohhuumlten Bauern-kitteln und Heugabeln Dann durchstreiften wir die Wiesen am Bugdem Grenzfluszlig zwischen Deutschland und Ruszligland Es war zunaumlchstdie Frage zu klaumlren ob das schwere Geschuumltz an das Ufer bugsiert wer-den konnte fuumlr einen eventuell vorgesehenen Faumlhruumlbergang Auszligerdemhaben wir die Entfernung gemessen zu einem Bunker auf russischerSeite der mir als moumlgliches Ziel angegeben worden warAber so unauffaumlllig wie wir wollten gelang die Vermessung nicht Auseinem Gebuumlsch druumlben trat ploumltzlich eine russische Patrouille mit dreiSoldaten in das hohe Gras und ging zum Bug-Ufer als sie ploumltzlichstutzten In ihren Gesichtern konnten wir ihre Uumlberraschung ablesenSie hatten unser Entfernungsmeszliggeraumlt von der Seite entdeckt als wirhinter einem Gebuumlsch Messungen durchfuumlhrten und nur nach vornegetarnt waren Mit Gesten der Uumlberraschung machten die Russen kehrtund entschwanden schnell unseren Blicken hinter Buschwerk und Baumlu-men (Da war wohl druumlben eine Meldung faumlllig)In der Abenddaumlmmerung dieses heiszligen Tages des 21 Juni 1941 wur-de die Batterie an die Fahrzeuge befohlen Die Froumlsche in den fried-lichen Bug-Wiesen gaben noch ihr volltoumlnendes Konzert Da saszligen wirauf den Zugmaschinen im Walde als uns ein Aufruf des Fuumlhrers verle-sen wurde laquoSoldaten der Ostfrontraquo Wir waren wie vom Blitz getrof-fen ndash trotz aller Zeichen um uns Also doch Die Worte des Generalsklangen mir noch im Ohr

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienWir stehn zum Marsch gegen Ruszligland angetreten Heute nachmittagnoch war ich mit Karstedt zur NLK um das fehlende Zubehoumlr fuumlr deneinen Funktrupp abzuholen Dort war schon alles eifrig beim PackenAls wir etwas spaumlter durch den Lagerplatz des II Btl kamen rissen sieschon die Zeltbahnen von den Schleppdaumlchern laquoPaszlig aufraquo sag ich laquobeiuns tun sie das auch schonraquo ndash laquoAch was unsre sind noch nicht so-weitraquoSie waren es aber wirklich Und nun geht es alles Schlag auf SchlagPacken Verladen Lt Schulze verliest den Aufruf des Fuumlhrers an die

sonnabend 21 juni 1941 11

Ostarmee Es geht also doch gegen Ruszligland Um 22 Uhr stehen wir ab-marschbereit

Lawrentij Berija 1899ndash1953 MoskauAn StalinIn der letzten Zeit lassen sich viele Mitarbeiter von gemeinen Provoka-tionen beeinflussen und geraten in Panikstimmung Die geheimen Mit-arbeiter [hellip] muumlssen wegen der systematischen Desinformation alsHandlanger der internationalen Provokateure die uns gegen Deutsch-land aufhetzen wollen zu Lagerstaub zerrieben werden [hellip] Der Leiterder Aufklaumlrungshauptverwaltung beschwert sich uumlber seinen Oberst-leutnant Nowobranetz der auch die Luumlge verbreitet daszlig Hitler anunserer Westgrenze 170 Divisionen gegen uns aufmarschieren lassenhabe [hellip] Aber ich und die mir unterstellten Mitarbeiter Jossif Wissa-rionowitsch denken immer an die weise Vorhersage nach der Hitleruns im Jahre 1941 nicht uumlberfallen wird

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauAm 21 Juni abends rief mich der Stabschef des Kiewer MilitaumlrbezirksGeneralleutnant Purkajew an und meldete daszlig ein deutscher Feld-webel uumlbergelaufen sei der behauptete die deutschen Truppen bezoumlgenihre Bereitstellungsraumlume fuumlr den Angriff der am 22 Juni fruumlh beginneIch berichtete daruumlber sofort dem Volkskommissar und Stalin Stalinsagte laquoKommen Sie mit dem Volkskommissar in den KremlraquoDer Volkskommissar Generalleutnant Watutin und ich fuhren mit demEntwurf einer Direktive an die Truppen in den Kreml Unterwegs ver-abredeten wir um jeden Preis den Beschluszlig durchzusetzen die Trup-pen in Gefechtsbereitschaft zu versetzenStalin empfing uns allein Er war sichtlich besorgtlaquoOb uns die deutschen Generale diesen Uumlberlaumlufer nicht untergescho-ben haben um einen Konflikt zu provozierenraquo fragte erlaquoNeinraquo antwortete Timoschenko laquoWir meinen daszlig der Uumlberlaumluferdie Wahrheit sagtraquo Inzwischen traten die Mitglieder des Politbuumlros in Stalins Arbeitszim-mer Stalin informierte sie kurzlaquoWas werden wir tunraquo fragte StalinNiemand antwortetelaquoMan muszlig unverzuumlglich die Direktive erteilen alle Truppen der Grenz-militaumlrbezirke in houmlchste Gefechtsbereitschaft zu versetzenraquo sagteTimoschenko

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laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

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von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

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des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

montag 23 juni 1941 67

lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 10: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

Ostarmee Es geht also doch gegen Ruszligland Um 22 Uhr stehen wir ab-marschbereit

Lawrentij Berija 1899ndash1953 MoskauAn StalinIn der letzten Zeit lassen sich viele Mitarbeiter von gemeinen Provoka-tionen beeinflussen und geraten in Panikstimmung Die geheimen Mit-arbeiter [hellip] muumlssen wegen der systematischen Desinformation alsHandlanger der internationalen Provokateure die uns gegen Deutsch-land aufhetzen wollen zu Lagerstaub zerrieben werden [hellip] Der Leiterder Aufklaumlrungshauptverwaltung beschwert sich uumlber seinen Oberst-leutnant Nowobranetz der auch die Luumlge verbreitet daszlig Hitler anunserer Westgrenze 170 Divisionen gegen uns aufmarschieren lassenhabe [hellip] Aber ich und die mir unterstellten Mitarbeiter Jossif Wissa-rionowitsch denken immer an die weise Vorhersage nach der Hitleruns im Jahre 1941 nicht uumlberfallen wird

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauAm 21 Juni abends rief mich der Stabschef des Kiewer MilitaumlrbezirksGeneralleutnant Purkajew an und meldete daszlig ein deutscher Feld-webel uumlbergelaufen sei der behauptete die deutschen Truppen bezoumlgenihre Bereitstellungsraumlume fuumlr den Angriff der am 22 Juni fruumlh beginneIch berichtete daruumlber sofort dem Volkskommissar und Stalin Stalinsagte laquoKommen Sie mit dem Volkskommissar in den KremlraquoDer Volkskommissar Generalleutnant Watutin und ich fuhren mit demEntwurf einer Direktive an die Truppen in den Kreml Unterwegs ver-abredeten wir um jeden Preis den Beschluszlig durchzusetzen die Trup-pen in Gefechtsbereitschaft zu versetzenStalin empfing uns allein Er war sichtlich besorgtlaquoOb uns die deutschen Generale diesen Uumlberlaumlufer nicht untergescho-ben haben um einen Konflikt zu provozierenraquo fragte erlaquoNeinraquo antwortete Timoschenko laquoWir meinen daszlig der Uumlberlaumluferdie Wahrheit sagtraquo Inzwischen traten die Mitglieder des Politbuumlros in Stalins Arbeitszim-mer Stalin informierte sie kurzlaquoWas werden wir tunraquo fragte StalinNiemand antwortetelaquoMan muszlig unverzuumlglich die Direktive erteilen alle Truppen der Grenz-militaumlrbezirke in houmlchste Gefechtsbereitschaft zu versetzenraquo sagteTimoschenko

sonnabend 21 juni 194112

laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

sonnabend 21 juni 1941 13

von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

sonnabend 21 juni 1941 15

des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

sonnabend 21 juni 1941 17

lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

sonntag 22 juni 1941 19

Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

sonntag 22 juni 194120

die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

sonntag 22 juni 1941 21

Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

sonntag 22 juni 194122

1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 11: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

laquoLesen Sieraquo erwiderte StalinIch las unseren Entwurf vor Stalin bemerkte laquoEine solche Weisung istjetzt verfruumlht vielleicht laumlszligt sich die Sache noch friedlich regeln Wirmuumlssen eine kurze Weisung erteilen die besagt daszlig ein Angriff mitprovokatorischen Handlungen deutscher Truppenteile beginnen kannDie Truppen der Grenzmilitaumlrbezirke duumlrfen sich nicht provozierenlassen um keine Komplikationen hervorzurufenraquoUm keine Zeit zu verlieren gingen Watutin und ich gleich ins Neben-zimmer und entwarfen schnell eine Direktive des VolkskommissarsDann baten wir um die Erlaubnis den Entwurf vortragen zu duumlrfenStalin houmlrte ihn sich an las ihn noch einmal selbst durch korrigierte ei-niges und gab ihn dem Volkskommissar zur UnterschriftMit dieser Direktive fuhr Watutin sofort in den Generalstab um siegleich an die Militaumlrbezirke zu uumlbermitteln Die Durchgabe war am22 Juni 1941 um 030 Uhr beendet Eine Kopie erhielt der Volkskom-missar der SeekriegsflotteTimoschenko und ich verlieszligen Stalin mit gemischten Gefuumlhlen

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthSonnabend Uumlberall im Land auszliger an der schon im Verlauf des Jahresunruhigen Westgrenze herrschte gewoumlhnlicher Hochbetrieb vor demRuhetag Den meisten Menschen lag der Gedanke sicher fern daszlig inzehn Stunden das schreckliche Wort laquoKriegraquo erklingen wuumlrde Nur diehoumlchste militaumlrpolitische Fuumlhrung des Landes war lange vor jenem tra-gischen Tag uumlber die Vorbereitungen Deutschlands auf den Uumlberfall derSowjetunion im BildeUnsere Armee und unser Volk hatten ein grenzenloses Vertrauen zurlaquoGenialitaumltraquo Stalins und lieszligen sich noch eine Woche vor dem Kriegs-ausbruch von einer TASS-Erklaumlrung einwickeln nach der Deutschlandunter keinen Umstaumlnden den Nichtangriffspakt verletzen und unserLand angreifen wuumlrde Sogar erfahrene Berufsmilitaumlrs zweifelten nichtan der Glaubwuumlrdigkeit der offiziellen Propaganda Nicht zufaumlllig wur-den auch in unserer Division die in der Naumlhe der Westgrenze am Pruthstationiert war viele Offiziere unter ihnen der Regimentskommandeurdes 256 Schuumltzenregiments Safonow beurlaubt und verlieszligen ihre Gar-nisonen in MoldawienJa alle vertrauten unserer Fuumlhrung grenzenlos obwohl 55 Millionendeutsche Soldaten und ihre Verbuumlndeten schon an unserer Grenze auf-marschiert waren Was konnten wir dem Gegner entgegenstellen Nur27 Millionen Soldaten an der Westgrenze 170 Divisionen die nur 50

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von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

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des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 12: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

von ihrem Soll hatten und sich in Feldlagern Zeit lieszligen So sah unsereerste strategische Linie in der Tiefe bis 400 km und 50 km von der Gren-ze entfernt aus Unsere Soldaten waren mit alten Gewehren bewaffnetWir hatten fast doppelt soviel Panzer und Flugzeuge waren dem Feindan Artillerie zahlenmaumlszligig weit uumlberlegen doch das Material war laumlngstveraltet Solche Entfernungen der Truppe von der Grenze waren fuumlreinen Angriff bestimmt einer Verteidigung konnte so ein Aufmarschgar nicht dienen So war auch unsere Doktrin dem Feind einen vernich-tenden Schlag versetzen und die Kampfhandlungen auf seinem BodenweiterfuumlhrenDas Versagen Moskaus liegt auf der Hand Es war die Schuld der politi-schen Fuumlhrung daszlig ein nicht abzuwehrender schrecklicher und uumlber-raschender Schlag die Rote Armee traf mit allen Folgen Sogar heuteist niemand von den unmittelbar Schuldigen dieses Verbrechens verur-teilt oder verwuumlnscht worden Der Krieg stand ja gut zwei Jahre an derSchwelle unseres Hauses und keiner der Fuumlhrer war beunruhigt mitwieviel Menschenleben werden wir unsere Nachlaumlssigkeit bezahlen muumls-sen Ich schaumlme mich auch heute fuumlr unsere Staatsmaumlnner mit dem laquoFuumlh-rer aller Voumllkerraquo an der Spitze fuumlr jene Schande

Der Finanzoffizier Feodossij Awdejewskij 1906 LwowIn unserer Literatur und in den offiziellen Quellen wird immer her-vorgehoben daszlig Hitlerdeutschland die Sowjetunion heimtuumlckisch undvoumlllig uumlberraschend im Juni 1941 uumlberfallen habe Es stimmt daszlig es einUumlberfall ohne uumlbliche Kriegserklaumlrung war Aber ich kann nicht be-haupten daszlig wir vom Feind uumlberrascht wurden und nichts von seinenVorbereitungen wuszligten Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ichdiesen Behauptungen widersprechen Anfang Juni 1941 kam ich von einer Dienstreise aus Berditschew woich eine unserer Armee unterstellte Division inspiziert hatte nach Lwowzuruumlck Schon in Berditschew stellte ich zu meinem Erstaunen fest daszligdie Kasernen leer standen die Truppe war schon zu ihren Aufmarsch-raumlumen unmittelbar an der Westgrenze verlegt worden Als ich zuruumlck-kam fand ich eine veraumlnderte Lage auch beim Stab unserer Armee inLwow Im Stabsgebaumlude waren alle Fenster verdunkelt Als ich beimdiensthabenden Offizier des Stabes am 8 Juni 1941 etwa gegen 23 Uhrmeine Ankunft melden wollte uumlberraschten mich merkwuumlrdige Veraumln-derungen An der Eingangstuumlr stand ein bewaffneter Posten im Kampf-anzug mit Stahlhelm der Eingang selbst war mit einem Vorhang ver-haumlngt damit kein Licht nach drauszligen dringen konnte In den Gaumlngen

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des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

montag 23 juni 1941 51

Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

montag 23 juni 194152

laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 13: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

des Gebaumludes wimmelte es von Stabsoffizieren die mit ihren Akten-taschen hin und her liefen Alle waren an ihren Arbeitsplaumltzen All dasam Sonntag um diese Zeit zu beobachten war fuumlr mich ganz ungewoumlhn-lich Nach der Meldung begab ich mich zu meiner Abteilung wo auchalle Offiziere schon an ihren Arbeitsplaumltzen saszligen Saumlmtliche Akten-ordner mit wichtigen Finanzakten waren schnell zur Archivabgabe vor-zubereiten klappbare Feldmoumlbel waren aufgeladen unsere Feldbankhatte die durch den Mobilmachungsplan bestimmten Geldvorraumlte be-kommen Ich muszligte schnell nach Hause laufen mich dort umziehenund meinen Feldkoffer mit den fuumlr den Kampfeinsatz notwendigenDingen holen Diese intensive und nervoumlse Vorbereitung dauerte bis zum Sonnabenddem 21 Juni Alles war aufgeladen die LKWs standen marschbereit auf dem Hof des Stabes und wir vergingen vor Ungewiszligheit Mit mei-nen Aumluszligerungen moumlchte ich nur betonen daszlig die Behauptung unsereTruppe sei unvorbereitet in den Krieg geraten mindestens unkorrektistUm 18 Uhr am 21 Juni 1941 ging es endlich los Unsere Marschkolonnedes Armeestabes schob sich zum Gefechtsstand im Raum von Lipkietwa 40 Kilometer westwaumlrts von Lemberg vor Die letzte friedlicheNacht verbrachten wir in den Sommerhaumlusern die als Datschas fuumlr dieEinwohner von Lwow dienten Die Haumluser waren schon von ihren Be-sitzern geraumlumt In der Nacht konnte niemand schlafen alle stelltensich nur eine Frage was weiterIn der Naumlhe rauschte ein kleiner Bach Ich ging dorthin um die Schlaumlf-rigkeit vor Tagesanbruch durch Waschen des Gesichts zu vertreibenDa jagten ploumltzlich im Tiefflug ein paar Flugzeuge vorbei die wild ausihren Bordwaffen feuerten Bei der Dunkelheit konnte man nicht er-kennen wessen Jaumlger es waren und warum sie uns beschossen Hoch amHimmel flogen in dichten Wellen schwere Bomber in Richtung LwowBald houmlrten wir nicht nur das dauernde Gedroumlhn dieser Armada sondernauch wuchtige Explosionen an der Grenze und im Raum von LwowWir konnten nichts verstehen da wir auf einmal keine Verbindung mehrzum vorgeschobenen Gefechtsstand hatten wo sich der Stabschef be-fand Erst als die Morgenroumlte aufzog sahen wir hoch am Himmel dieBomber mit den deutschen Kreuzen auf den Fluumlgeln die nun nach We-sten zuruumlckflogen Und von der Grenze droumlhnte die Artilleriekano-nade heruumlber Vom Uumlberfall der Deutschen erfuhren wir schon bei denersten Sonnenstrahlen Auf der Straszlige fuhren einige LKWs vorbei Inden Wagen saszligen Frauen und Kinder unserer Grenzsoldaten einige

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von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

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lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

montag 23 juni 1941 67

lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 14: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

von ihnen noch in Nachthemden ungekaumlmmt und ungewaschen dieschlaftrunkenen Kinder heulten Rotz und Wasser Der Anblick der fluumlchtenden Familienangehoumlrigen unserer Grenzsol-daten uumlberzeugte uns vom Ernst der Lage und wir schlossen uns schnelldiesem Troszlig an damit wenigstens unsere gefuumlllte Kasse nicht in feind-liche Haumlnde fiele Also ganz schnell zuruumlck nach Lwow hellip

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeDa die Zeit knapp wird sende ich Dir in ganz groszliger Eile recht rechtherzliche Gruumlszlige Verzage nicht denn ich werde Dich und unsere Kin-der bestimmt wiedersehen Danken wir unserem Fuumlhrer und denken wiran die Groumlszlige unserer Zukunft Unsere Kinder werden dereinst dieseZeit bewundernEs lebe der FuumlhrerDein Kurt

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gestapo [hellip] Der Ordnungsdienst bekommt arische Ratio-nen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Von der Gestapo in Kattowitz wird der Haumlftling Bolesław Buczek(Nr 7479) nach erneuter Vernehmung eingeliefert Um 23 Uhr wirdvon der SS-Lagerstreife ein Zivilist mit Pferdewagen festgenommenDer Zivilist wird in den Bunker gesperrt und das Pferd mit dem Wagenin den Lagerpferdestall gebracht

Du hast Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiSo viel Gluumlck bei den Fraursquon Bel amiBist nicht schoumln doch charmantbist nicht klug doch sehr galantbist kein Held nur ein Mann der gefaumlllt

sonnabend 21 juni 1941 17

lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

sonntag 22 juni 1941 19

Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 15: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

lt660 Sonntag 22 Juni 1941 1416gt

Weh denen die Boumlses gut und Gutesboumlse heiszligen die aus Finsternis Licht undaus Licht Finsternis machen die aussauer suumlszlig und aus suumlszlig sauer machenherrnhut jesaja 520

Harold Nicolson 1886ndash1968 KentEin wunderbarer Morgen Der Duft von Rosen Heu und Flieder haumlngtin der Luft Wir fruumlhstuumlcken drauszligen Vita kommt und berichtet dieNachrichten um 7 Uhr haumltten gemeldet daszlig Deutschland in Ruszliglandeingefallen ist [hellip]Um 9 Uhr spricht Winston im Rundfunk Er sagt er stehe auf der Seiteder Russen die ihre Heimat verteidigen Er verheimlicht nicht daszligRuszligland vielleicht rasch geschlagen wird Nachher gehen Vita und ichauf die Obstwiese um etwas zu heuen Heute abend ist es sehr warmJede einzelne Blume verstroumlmt ihren Duft Die meisten Menschen wer-den heute abend gluumlcklich sein in dem Gedanken daszlig wir einen neuenVerbuumlndeten haben Ich bin da nicht so sicher Nicht als ob ich das Ge-ringste gegen den russischen Kommunismus einzuwenden haumltte Aberich glaube sie sind so unfaumlhig und egoistisch daszlig sie beim ersten An-stoszlig umfallen werden

Emil Barth 1900ndash1958 XantenIm uumlbrigen teurer Bierotte was ist das heute fuumlr ein schwarzer TagRascher noch ist der Krieg gegen Ruszligland gekommen als wir gedachtDaszlig er unvermeidlich war sah man seit langem Und Amerika Was anUmwaumllzung und Aufgabe fuumlr ein ganzes Jahrhundert gereicht haumltte er-faumlhrt und traumlgt nun unsre eine GenerationWie danke ich meinem Geschick noch rechtzeitig vor dieser katastro-phalen Entwicklung mit der Vollendung der laquoSapphoraquo fertiggewordenzu sein im Augenblick wuumlszligte ich nicht woher die Kraft dazu nehmenUnd doch trotz allem ich denke schon an die Xantener Hymnen ndash esmuszlig gelingen solange der Tag uns noch scheint der Aufgabe treu zubleiben

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

Page 16: Das Echolot Barbarossa '41 Ein kollektives Tagebuch

Adolf Hitler 1889ndash1945 BerlinMoskau hat die Abmachungen unseres Freundschaftspaktes nicht nurgebrochen sondern in erbaumlrmlicher Weise verraten [hellip] Deutsche Soldaten Ihr tretet in einen harten und verantwortungsschwe-ren Kampf ein Denn Das Schicksal Europas die Zukunft des DeutschenReichs das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in Eurer HandMoumlge uns allen in diesem Kampfe der Herrgott helfen

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinMartin berichtet uumlber die letzten Vorbereitungen Der Angriff beginntnachts 330 h Ich bin mir noch nicht ganz klar daruumlber ob der Aufrufdes Fuumlhrers dann gleich oder erst morgens um 7 h im Rundfunk ver-lesen werden soll [hellip]Mit Glasmeier und Diewerge den Rundfunkeinsatz in der Nacht be-sprochen Sie muumlssen nun ins Bild gesetzt werden Die Sender bleibenvorlaumlufig in Betrieb Neue Fanfaren ausprobiert Auch vom Horstwes-sellied Aber die Liszligtfanfare [Liszt] bleibt doch die beste Der Fuumlhrerwird schon entscheiden [hellip]Pavolini in Tempelhof abgeholt Eine sehr freundliche Begruumlszligung Erist ein netter lieber Kerl auch wohl loyal aber anscheinend kein groszligesKirchenlicht [hellip]Kurz mit Frau Leander einen neuen modernen Kriegsfilm fuumlr sie be-sprochen Es ist eine druumlckende schwuumlle Hitze [hellip]Nachmittags sind die Italiener drauszligen in Schwanenwerder bei uns zuGast Schwuumlle Hitze noch schwuumllere Atmosphaumlre Nun wartet aberdie ganze Welt auf das reinigende Gewitter [hellip] Die Gaumlste sehen aufseinen [Alfieris] Wunsch den amerikanischen Film laquoVom Winde ver-wehtraquo an der groszligen Eindruck macht Ich habe unterdeszlig ununterbro-chene Telephonate Der Sturm faumlngt langsam an [hellip]Ribbentrop hat mir einen Brief geschrieben ich duumlrfte mit Pavolinikeine Abmachungen treffen Papierkorb Hadamovsky kommt vomFuumlhrer Fanfaren muumlssen noch eine Kleinigkeit abgeaumlndert werdenDer Zeitpunkt der Proklamation soll noch zwischen Fuumlhrer und mirfestgelegt werden Die Gaumlste sehen sich den Film zu Ende an Ich habemeine Mitarbeiter herausbestellt damit ich sie wenigstens zur Handhabe Anruf vom Fuumlhrer Ich empfehle mich auf franzoumlsisch und fahrein die Reichskanzlei [hellip] Der Fuumlhrer macht eine kleine Spazierfahrt Ersieht vollkommen uumlbermuumldet aus als er zuruumlckkommt Dann gleich andie Lagebesprechung Er hat einen neuen Aufruf an das Volk diktiert derden an die Soldaten noch etwas verstrafft Ich schlage ein paar kleine

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Aumlnderungen vor Er ist groszligartig und legt den ganzen Sachverhalt vorUm 330 h beginnt der Angriff 160 komplette Divisionen 3000 km lan-ge Angriffslinie Ausgedehnte Wetterdebatten Alles steht gut GroumlszligterAufmarsch der Weltgeschichte Der Fuumlhrer ist von einem Albdruck be-freit je naumlher die Entscheidung kommt Das ist immer so bei ihm Ertaut direkt auf Alle Muumldigkeit scheint von ihm gewichen Wir spazie-ren 3 Stunden in seinem Salon auf und ab Ich kann wieder mal einentiefen Blick in sein Inneres tuen Es bleibt uns nichts anderes uumlbrig alsanzugreifen Dieses Krebsgeschwuumlr muszlig ausgebrannt werden Stalinwird fallen [hellip]Als Zeitpunkt fuumlr die Verlesung der Proklamation wird nach langemHin und Her 530 h festgelegt Dann weiszlig der Feind Bescheid unddann soll auch das Volk und die Welt es wissen [hellip]Es ist 123 h nachts Der Fuumlhrer ist sehr ernst Er will noch ein paar Stun-den schlafen Das ist auch das Beste was er jetzt tuen kann Ich gehe insAmt heruumlber Es ist noch stockfinster Meine Mitarbeiter ins Bild ge-setzt Maszliglose Verbluumlffung auf der ganzen Linie Die meisten hatten diehalbe oder auch schon die ganze Wahrheit erraten Es beginnt gleicheine fieberhafte Arbeit Rundfunk Presse und Wochenschau werdenmobilgemacht Alles klappt wie am Schnuumlrchen Ich studiere noch dieletzten Telegramme alles Quatsch Unsere Kanonen werden dementie-ren Ich erklaumlre kein Wort mehr Rundfunklage in Ruszligland studiert Wirwerden einiges zu tuen haben 330 h Nun donnern die Geschuumltze Gottsegne unsere Waffen Drauszligen auf dem Wilhelmplatz ist alles still undleer Berlin schlaumlft das Reich schlaumlft Ich habe eine halbe Stunde Zeitaber ich kann nicht schlafen Ich gehe ruhelos im Zimmer auf und abDer Atem der Geschichte ist houmlrbar Groszlige wunderbare Zeit in der einneues Reich geboren wird Unter Schmerzen zwar aber es steigt emporzum Licht Die neue Fanfare ertoumlnt Machtvoll brausend und majestauml-tisch Ich verlese uumlber alle Sender die Proklamation des Fuumlhrers an dasdeutsche Volk Auch fuumlr mich ein feierlicher Augenblick Die Last vie-ler Wochen und Monate faumlllt herunter Ich fuumlhle mich ganz frei Nocheiniges Dringende zu erledigen Dann fahre ich nach SchwanenwerderDie Sonne steht schon groszlig und schoumln am Himmel Im Garten drauszligenzwitschern die Voumlgel Ich falle ins Bett Und schlafe 2 Stunden einentiefen gesunden Schlaf

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartZufaumlllig macht Otto heute morgen das Radio an Ribbentrop spricht wirhaben ndash Krieg mit Ruszligland ndash ndash Warum Wieso Trotz der Geruumlchte

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die seit Monaten umgingen kommt es uns nun doch sehr uumlberraschendJeder macht sich seine Gedanken je nach Einstellung sagen die LeuteGott sei Dank das muszligte ja sein Oder unsere Fuumlhrung kann nicht auf-houmlren sie siegen sich zu Tode sie wollen die ganze Welt erobern etcIch denke mir so In Russland das ja noch ein sehr dunkles ungeklaumlr-tes Staatswesen ist gibt es eben noch viele Stroumlmungen Die Bolsche-wisten gehen natuumlrlich mit England gegen uns Aber andere werdenwohl da sein die den Bolschewismus stuumlrzen moumlchten die uns womoumlg-lich ins Land gerufen haben Und wir Wir wollen die Ukraine das hatder Fuumlhrer in laquoMein Kampfraquo geschrieben und das wird wohl heut nochseine Ansicht sein Auszligerdem muumlssen wir durch Russland nach demIrak Verweigern sie uns diese beiden ist fuumlr uns schon Grund zum An-griff gegeben den wir natuumlrlich beschoumlnigen muumlssen das ist nun malPolitik Ausserdem ist uns wohl nicht recht dass Russland so viel Landvon Finnland die Baltenlande soviel Polen Bessarabien Bukowina ge-holt hat Das haben wir damals schweigend dulden muumlssen aber jetzthaben wir dazu keine Neigung mehrSoviel ist gewiss ernste Sorge vor dem Ausgang dieses Krieges hat nie-mand Der Fuumlhrer hat gesagt noch nie in der Geschichte sei ein so gros-ses und so gut ausgeruumlstetes Heer gegen ein Land gezogen wie jetzt dasdeutsche gegen Russland ndash Finnland und Rumaumlnien helfen uns

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierMorgenmeldungen ergeben daszlig saumlmtliche Armeen (auszliger 11) plan-maumlszligig angetreten sind Der Feind ist anscheinend auf ganzer Linie tak-tisch uumlberrascht

Der Gefreite Feldmann 1922 Litauen0305 Angriffsbeginn Artilleriefeuer 0500 dann Wecken Ari vorver-legt Luftkaumlmpfe uumlber der Grenze (3 Bomber abgeschossen) Gut zubeobachten 630 Chefunterricht 0700 Abmarsch Grenzuumlberschrei-tung 0730 neue Bereitstellung bei 62 Erkundungsfahrt zum Divi-sionsgefechtsstand IR - 490 am Feind (Sakalynistellung)Wechsel der Bereitstellung n Divisionsgefechtsstand Von da aus gegen1300 Stellungswechsel nach Cord (i Geb Sakalyni) Verbindung zur2 ist abgerissen Zug von Leutnant Tiedemann zur gewaltsamen Auf-klaumlrung Bereitstellung bis 1645 Die ersten Toten an den Wegen1645 Verlegung n Gaureacute Dort Bereitstellung im laquoMuumlckenwaldraquo Feld-kuumlche kommt endlich nach Essen und Kaffeeausgabe Zeltbau Waschen(Grundwassergrabung) Zapfenstreich 2400 Verpflegungsempfang

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Hugo Epskamp 1906 MasurenAm Tage des Kriegsausbruchs hatte man mich zur Wache eingeteilt Alsdie ersten Sonnenstrahlen uumlber den Horizont krochen beleuchteten sieam blauen Himmel ein Wolkenkreuz Zunaumlchst rot und rosa schwebtedas Wolkenkreuz hoch uumlber uns wie ein Symbol Im Dorf erwachte all-maumlhlich das Leben Die ersten Haumlhne kraumlhten der Alltag begann Un-gewoumlhnlich starke Lufttaumltigkeit konnte ich beobachten Eine deutscheStaffel nach der anderen flog Richtung Osten Kurze Zeit spaumlter wuszlig-ten wir den Grund Der Krieg mit Ruszligland war ausgebrochen

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 am BugPunkt 315 Uhr beginnt ein tolles Art-Schieszligen welches sich zumOrkan auswaumlchst 2 ArtReg Korps-Art und Moumlrser sind in unse-rem Abschnitt eingesetzt 3 Stunden dauert das Toben Dazu kommennun die Flieger ndash Unsere Leute verhalten sich ruhig Ihre Haltung istprima ndash Was wird wohl der Rundfunk sagen 545 Uhr spricht Goeb-bels und verkuumlndet den neuen Einsatz ndash Maumlrsche ndash Dann gibt Rib-bentrop den bekannten Bericht Jetzt ist er da der Einsatz der Kriegmit Ruszligland Wir wollten bisher immer noch nicht so recht daran glau-ben Wir warten auf den Einsatz unserer Kompanie Der weitere Marsch-weg geht uumlber PoloskndashZahorowondashKoden Dort geht es uumlber die Bug-bruumlcke Der Vormarsch geht nur langsam Uumlber uns immer neue Men-gen von Flugzeugen Es sind jedoch nicht so viele wie damals beimWesteinsatz ndash Unterwegs stoumlszligt der Zug von Doumlringer wieder zu unsEr kam nicht zum Einsatz Nacht verbringen wir auf der Landstraszlige vordem Bug

Der Unteroffizier Hans Schmitz dagger1941 am Bug4 Uhr morgensMeine liebe Wilmader Kampf zwischen Weiszlig und Rot hat begonnen Ich erlebe im Momentden ersten deutschen Feueruumlberfall direkt vor dem Bug Wir schieszligenschon 34 Stunde Artillerie und schon brennt es auf der ganzen russi-schen Grenze Noch schieszligt er nicht zuruumlck Das Erlebnis ist gewaltigNoch heute werden wir wahrscheinlich die Grenze uumlberschreiten Esrummelt und brummelt an allen Ecken ununterbrochen Unsere Flug-zeuge sind recht fleiszligig Wir empfangen gerade in aller Ruhe Kaffee Mirgehtrsquos gut Fuumlr heute alles Gute und recht herzliche Gruumlszlige an Euch allevon Eurem PapiHeil Hitler und Groszligdeutschland

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1200 Uhr ndash Wir setzen uumlber den Bug Unsere Pioniere sind schon 20 kman [Rest unleserlich] Um 15 Uhr haben wir den ersten Kampf mit Heckenschuumltzen MeinBruder ist geraumlchtLeider sind liebe Kameraden gefallen Ich habe riesiges Gluumlck gehabt

Der Leutnant Heinz Doumlll 1919 am BugGenau um 310 des 22 Juni 1941 waren wir feuerbereit Etwas erregtfolgte ich jetzt dem Minuten- und Sekundenzeiger meiner Uhr bis zumFeuerbefehlUm 315 durchzuckte ein Blitz von gigantischer Dimension die NachtTausende von Artilleriegeschuumltzen zerrissen die Stille Ich werde dieseSekunden nie vergessen Doch was sie fuumlr die Welt und Deutschlandbedeuteten ndash lag abseits jeder GedankenfuumlhrungDie Geschuumltzfuumlhrer an den Zielfernrohren feuerten auf die Schartendes rund 600 Meter entfernten Bunkers Etwa 15 Minuten dauerte dasInferno der Artillerie das keine menschliche Stimme mehr durchdrangNach Feuereinstellung kannten die Geschuumltzfuumlhrer ihre Aufgabe als-bald mit Pionierfaumlhren uumlber den Bug zu gehen dort waren weitere Be-fehle zu erwartenWir beiden Offiziere und ein Kanonier als Melder stiegen in ein Sturm-boot des Kradschuumltzenbataillons 18 brausten uumlber den Bug richtetenKarten und Marschkompaszlig ein und marschierten im ersten Tagesschim-mer los Die Infanterie ging in Gruppen vor ihre Stahlhelme hoben sichvor dem aufsteigenden Licht ab Soweit ich mich erinnere trafen wir inden ersten Stunden nur auf geringen Widerstand wohl GrenztruppenImmerhin lag bald der erste tote deutsche Soldat im Heidekraut mitzerschmettertem Gesicht weitere folgten Ein MG-Schuumltze der Infan-terie hatte seine Munition weggeworfen was den Bataillonskomman-deur sichtlich erschuumltterteUnsere kleine Gruppe von drei Mann blieb zusammen nur gelegent-lich brauchten wir mit Maschinenpistolen zu feuern Im ersten Dorfwaren die Menschen erschreckt und erfreut zugleich ihre Katen bliebenvon der Artilleriewalze verschont Inzwischen war es heiszlig gewordenFrauen reichten uns kuumlhles BrunnenwasserDie Kanoniere erzaumlhlten mir von einem unglaublichen Erlebnis An un-serer Uumlbergangsstelle seien die Panzer wie U-Boote in den Bug getauchtund am Ostufer wieder an Land gegangen laquoStarker Tobakraquo ndash dachte ichdoch so war es Und ziemlich empoumlrt berichteten die Geschuumltzfuumlhrer von einem laquoAn-

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pfiffraquo des Divisions-Kommandeurs General Nehring Bei Anflug so-wjetischer Maschinen verlangte der General Flakfeuer Er konnte nichteinsehen was dazu gehoumlrte Kommandogeraumlt Kabel fester UntergrundSchuszligfeld Mannschaften Offiziere der gegenseitige Verdruszlig sei erheb-lich gewesen Sollten die Kenntnisse eines hochqualifizierten Generalsso unzureichend gewesen sein Ich glaube es Einen Scherz wird sichder Panzerfuumlhrer wohl kaum erlaubt haben Ich notiere es weil ich nochoft den Eindruck unvollstaumlndiger Ausbildung hatte ndash der Kampf so vie-ler verschiedener doch aufeinander angewiesener Waffen foumlrderte Pro-bleme zutage die im Tempo der Aufruumlstung lagenSobald die Geschuumltze feste Wege erreicht hatten fuumlhrte ich sie an dieAngriffsspitze vor wie befohlen und erkundet Russische Flugzeuge grif-fen nur vereinzelt in den ersten Stunden an Unsere eigene Luftwaffeflog mit starken Verbaumlnden nach Osten Die Stuka-Gruppen heulten imSturzflug auf den Feind der sich allmaumlhlich vor unseren Panzerverbaumln-den sammelte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugUm 315 Uhr Angriffsbeginn auf die laquoRote Armeeraquo In dem ungeheu-ren Feuer aller Waffen habe ich meine Einschlaumlge nicht beobachtenkoumlnnen Ein Stuka wird von eigener Artillerie getroffen und stuumlrzt abWir kommen ohne den geringsten Widerstand uumlber den Bug Es dauerteine Zeit bis mein Zug uumlbergesetzt ist Ich erkunde in der Zwischenzeitden weiteren Vormarschweg usw Auf einem sehr schlechten Duumlnen-sand-laquoWegraquo kommen wir endlich auf die Straszlige Der Feind hatte nureinige Ortschaften besetzt Ich komme nicht damit in Beruumlhrung ObltRauchfuszlig geraumlt in einen Ortskampf mit Grenzern und faumlllt mit einigenLeuten seiner Kp Mit unserer Division arbeitet das Geschwader vonMoumllders Wir sahen daszlig heute viele fdl Flugzeuge abgeschossen wur-den Moumllders hat heute die Schwerter bekommen In Wysticze uumlber-nachtet Natuumlrlich wieder im Kfz geschlafen (21 km)

Der Unteroffizier Fritz Huumlbner 1912ndash1983 vor BialystokAm 21 6 ruumlckten wir im Schutze der Dunkelheit an die Grenze heranum 4 Uhr morgens sollte der Angriff beginnen Eine halbe Stunde vor-her setzte die Artillerievorbereitung ein es droumlhnte und donnerte alsginge die Welt unter und dann um 4 Uhr die Beendigung des Feuers undBeginn des Angriffs Der Gegner wurde zwar durch die Wucht des An-pralls zuruumlckgeworfen doch mit welcher Verbissenheit wehrten sichdiese russischen Soldaten Wir hatten allerdings das Pech am 1 Tag auf

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Stalin-Schuumller zu stoszligen das waren angehende Offiziere und Politruksdie sich nicht ergaben sondern bis zum letzten Mann kaumlmpften undsich regelrecht in ihren Schuumltzenloumlchern totschlagen oder totschieszligenlieszligenDie Art der Kriegsfuumlhrung hatte sich grundlegend geaumlndert sie war unsfremd Bald wurden die ersten Spaumlhtrupps gefunden die den Russen indie Haumlnde gefallen waren Man hatte ihnen bei lebendigem Leibe die Ge-schlechtsteile abgeschnitten die Augen ausgestochen die Kehlen durch-geschnitten oder Ohren und Nasen abgeschnitten Wir gingen mit ern-sten Gesichtern umher denn vor dieser Art des Kampfes bekamen wirAngst Zwangslaumlufig entwickelte sich auch auf unserer Seite eine un-natuumlrliche Haumlrte die uns in der Ausbildung nicht anerzogen wordenwar

Alexander Cohrs 1911ndash1996 am BugUm 315 Uhr begann der Angriff Die Artillerie belegte das Ostufer desBug die Bunker und die naumlchstliegenden Ortschaften mit Sperrfeuerunter dessen Schutz wir in Schlauchbooten mit Sturmgepaumlck uumlbersetz-ten Die erwartete massive russische Gegenwirkung blieb aus Es fielennur einige Schuumlsse Wir vermuteten sie kaumlmen von den Zollbeamten diewir in den vorausgegangenen Wochen beobachtet hatten oder von einzel-nen vorgeschobenen Beobachtern Am anderen Ufer des Bug schlepp-ten wir die Schlauchboote mit bis zu einem toten Arm des Bug der eben-falls uumlberquert wurde Dabei fiel manch einer ins Wasser Dann stiegdas Gelaumlnde sanft an Hier fiel als erster aus der Kompanie HeinrichGreve aus Hunteburg meinem Geburtsort Sohn eines Getreidehaumlnd-lers Spaumlter erhielt ich einen Brief seiner Eltern in dem sie baten ichmoumlchte uumlber Einzelheiten berichten was ich auch tatUnsere Kompanie setzte in drei Wellen uumlber den Bug Bei der letztenWelle wurde es langsam hell Vor uns brannten zwei Doumlrfer Die Ein-wohner waren von dem Uumlberfall voumlllig uumlberrascht und hatten groumlszligten-teils nicht mehr Zeit zur Flucht gehabt Das grausigste Bild bot ein Kinddas auf der Straszlige lag etwa drei Jahre alt mit halbiertem SchaumldelVon diesen zerstoumlrten Grenzdoumlrfern aus ging es noch ein gutes StuumlckWegs weiter bis zu der Meldung Tagesziel erreicht

Der General Georgij Shukow 1896ndash1974 MoskauUm 0330 Uhr meldete der Stabschef des Westlichen MilitaumlrbezirksGeneral W J Klimowskich Angriffe der faschistischen Luftwaffe aufbelorussische Staumldte Drei Minuten spaumlter berichtete der Stabschef des

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Kiewer Militaumlrbezirks General Purkajew uumlber Luftangriffe auf ukrai-nische Staumldte Um 0340 rief der Oberbefehlshaber des Baltischen Mili-taumlrbezirks General Kusnezow an Die faschistische Luftwaffe bombar-diert Kaunas und andere StaumldteDer Volkskommissar [Timoschenko] befahl mir Stalin zu informierenIch rief an Niemand meldete sich Das Telefon laumlutete ununterbrochenEndlich vernahm ich die schlaftrunkene Stimme des Generals vomDienstlaquoWer spricht dortraquolaquoChef des Generalstabes Shukow Ich bitte Sie mich sofort mit demGenossen Stalin zu verbindenraquolaquoWas Jetztraquo fragte der diensthabende General laquoDer Genosse StalinschlaumlftraquolaquoWecken Sie ihn sofort die Deutschen bombardieren unsere StaumldteraquoEinige Augenblicke herrschte Stille Schlieszliglich war im Houmlrer eine hei-sere Stimme zu vernehmen laquoWarten Sie einen AugenblickraquoDrei Minuten spaumlter war Stalin am ApparatIch meldete die Lage und ersuchte um die Erlaubnis zu militaumlrischenGegenmaszlignahmen Stalin schwieglaquoHaben Sie mich verstandenraquoWieder SchweigenEndlich fragte Stalin laquoWo ist der VolkskommissarraquolaquoEr telefoniert mit dem Kiewer MilitaumlrbezirkraquolaquoKommen Sie mit Timoschenko in den Kreml Sagen Sie Poskreby-schew er soll alle Mitglieder des Politbuumlros zusammenrufenraquo

John Colville 1915ndash1987 LondonIch wurde mit der telefonischen Nachricht geweckt daszlig die DeutschenRuszligland angegriffen haben Diese Nachricht verbreitete ich in den ein-zelnen Schlafzimmern und erzielte damit ein Laumlcheln der Genugtuungauf den Mienen von Churchill Eden und Winant Letzterer nimmtallerdings an daszlig dies eine fingierte Sache zwischen Hitler und Stalinsein koumlnnte Churchill und Cripps verlachten ihn deswegenEden fuhr tagsuumlber eilig ins Auszligenministerium Der Premierministerentschied sich eine Rundfunkansprache zu halten Beim Lunch bemuumlh-te er sich Cripps zu provozieren der zur Besprechung der Lage ge-kommen war und mit seiner Frau zu Lunch und Dinner blieb Winstonmachte den Kommunismus nach Strich und Faden herunter und be-hauptete alle Russen seien Barbaren Schlieszliglich erklaumlrte er sogar nichteinmal der duumlnnste Faden verbaumlnde die Kommunisten mit den einfach-

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sten Formen der Menschlichkeit Cripps nahm das alles gelassen hinund zeigte sich amuumlsiertDie Rundfunkansprache des Premierministers war erst zwanzig Minu-ten vor dem Ablieferungstermin fertig was mir manchen Schweiszligtrop-fen verursachte [hellip] Die Ansprache beeindruckte uns alle Sie war dra-matisch und sprach sich klar fuumlr eine politische Unterstuumltzung derRussen ausNachdem die Damen sich am Abend zuruumlckgezogen hatten entspannsich eine lebhafte und geistreiche Debatte zwischen dem Premiermini-ster auf der einen Seite der von Sir Stafford Cripps unterstuumltzt wurdeund Eden und Cranborne auf der anderen [hellip] Das Gespraumlch drehtesich um die Frage laquoSoll es am Dienstag im Unterhaus eine Debatte uumlberRuszligland gebenraquo Eden und Cranborne vertraten den Tory-Standpunktdaszlig wenn eine solche Debatte stattfindet sie sich lediglich auf den mi-litaumlrischen Aspekt beschraumlnken soll weil Ruszligland politisch ebenso boumlsewie Deutschland sei Mindestens die Haumllfte der Nation wuumlrde es ableh-nen zu sehr mit diesem Land verbunden zu sein Der Premierministervertrat hingegen die Meinung daszlig Ruszligland sich nun im Krieg befindeund seine unschuldige Bevoumllkerung abgeschlachtet werde Wir solltendeshalb unsere Vorbehalte gegenuumlber dem Sowjetsystem und der Kom-intern vergessen und Mitmenschen die sich in Not befaumlnden unsereHand reichen Die Diskussion wurde aumluszligerst heftig gefuumlhrt Ich habenoch nie einen solch erfreulichen Abend verbrachtBeim Schlafengehen wiederholte Winston mehrfach wie wundervoll esdoch sei daszlig Ruszligland jetzt gegen Deutschland kaumlmpfen muumlsse wo esdoch leicht auch an seiner Seite haumltte sein koumlnnen

Hildegard Plievier 1900ndash1970 Domodjedowo bei MoskauAn einem heiszligen Sommertag kam Droumlll schon mit dem Fruumlhzug undteilte uns aufs houmlchste erregt mit laquoDie Deutschen sind in RuszliglandeinmarschiertraquoWir waren wie gelaumlhmt Als wir nach dem Essen auf der Veranda saszligenbrach es aus mir heraus laquoOh Theodor was machen wir jetzt hier in die-sem fremden LandraquoMein Mann schien diese Frage erwartet und seine Antwort schon seitMonaten vorbereitet zu haben Ohne zu uumlberlegen antwortete erschlicht laquoDu wirst so tapfer sein wie du immer warstraquoDiese wenigen Worte beruhigten mich auszligerordentlichSchon am naumlchsten Tag spuumlrte man die ersten Veraumlnderungen Flakbat-terien wurden in unmittelbarer Naumlhe von uns eingegraben und schos-

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sen sich ein Erschrocken flogen die Voumlgel von ihren Nestern hoch undmeine Hunde verkrochen sich unter meinem Bett Ihr leises Wimmernschnitt mir ins Herz Im Pionierlager lagen jetzt Soldaten die Tag undNacht gedrillt wurden Nikonor konnte nur fuumlr Minuten abkommenund verschwand schon nach dem ersten Glas Wodka Zum Baden zugehen wagte ich nicht mehr denn im Wald wimmelte es von Soldaten

Sanitaumltsleutnant Vera Jukina 1919 bei SmolenskIch hatte schon vor dem Krieg im Juni 1941 Kampferfahrung 1939 warich in Khalkhin-Gol in der Mongolei Ich war dort als einfache Sanitauml-terin unmittelbar bei der kaumlmpfenden Truppe eingesetzt Jung lebens-froh und huumlbsch war ich nicht so wie heute mit meinen 81 Jahren Dorttraf ich auch meine erste Liebe meinen Jukin der leider nach demZweiten Weltkrieg schon mit 28 Jahren im Kampf mit ukrainischen Na-tionalisten gefallen istWas ich vor dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland machte Ichwar bei einem Lazarett wo ich die Apotheke fuumlhrte und ich war schonim vierten Monat schwanger Und ploumltzlich der Krieg Anfaumlnglich dach-ten wir daszlig er nicht lange dauern wird In unseren Liedern wurde ge-sungen daszlig der Roten Armee an Staumlrke keine gleich sei In der Schulewurde uns das durch die offizielle Propaganda eingegeben Um 12 Uhr am 22 Juni 1941 houmlrte ich im Radio die Ansprache von Mo-lotow uumlber den heimtuumlckischen Uumlberfall Hitlerdeutschlands auf unserLand Und am gleichen Tag bekam ich den Gestellungsbefehl Seit je-nem Tag habe ich vier Jahre lang nur Uniform getragen Nur im Ent-bindungshaus zog ich sie fuumlr eine Woche aus als ich mein erstes Kindzur Welt brachte

Pjotr Dubina 1922 Luginy bei ShitomirAm fruumlhen Morgen des 22 Juni 1941 stand ich auf Posten bewaffnetmit einem 762 mm Mosin-Gewehr der Bauart 1891 Eine gute Flintewar das doch in ihrer Schuszligfolge allen Gewehren des Gegners weit un-terlegen zu lang was zu Schwierigkeiten im Laufgraben fuumlhrteAlso ich stand auf Posten und dachte an die Pruumlfung die mir am kom-menden Montag bevorstand Da houmlrte ich lauter werdende Motoren-geraumlusche An dem durch die aufziehende Morgenroumlte leicht gefaumlrbtennaumlchtlichen Himmel zaumlhlte ich einige Dutzend von schweren Flugzeu-gen die aus dem Westen in Richtung Kiew uumlber mich hinwegflogenFriedlich und hoch als ob eine Schar Wildgaumlnse oder Kraniche zoumlgenmonotones Brummen Ihre Erkennungszeichen waren nicht zu sehen

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doch der Motorenlaumlrm schien mir ungewoumlhnlich fremd zu sein Um6 Uhr morgens wurde ich abgeloumlst und ging schlafen Im Zelt houmlrte ichnoch das Brummen der Flugzeuge die jetzt zuruumlckkehrten Meine Ka-meraden wollten deutlich schwarze Kreuze auf ihren Tragflaumlchen ge-sehen haben Mir erschien es komisch Etwa gegen 9 Uhr sahen wir allenoch mehrere deutsche Bomber hoch uumlber uns die in Keilformationennach Richtung Osten zogen diesmal mit Jagdschutz Einer der Jaumlgerstieszlig steil herab und setzte unsere Po-2 Maschine in Brand die auf demRollfeld stand Nun wurde uns klar daszlig es sich nicht um eine Uumlbunghandelte Wir wurden sofort alarmiert es hieszlig laquoVolle Gefechtsbereit-schaftraquo Mit unseren Gewehren bezogen wir Stellungen um den Flug-platz herum Gegen Mittag bekam jeder je 15 Patronen ausgehaumlndigtSo warteten wir auf den Feind bis zum spaumlten Abend Dann kam dieEntwarnung und ein neuer Befehl Die Schule muszlig auf einen Transportverladen und nach Kurgan in Westsibirien verlegt werden

Helmut Fuchs 1920 bei GrajewoAm 22 Juni 1941 ist es noch daumlmmerig als wir die Zelte abbauen unduns fertigmachen Ein Wort von Walther von der Vogelweide kommtmir in den Sinn laquoHerre Gott laszlig mich in Deinem Schutze gehen hellipraquoDie Feueruumlberfaumllle unserer Batterien droumlhnen los Die Granaten rau-schen uumlber die Grenze hinweg schlagen in den Zielpunkten ein Unddann geht die Infanterie gegen die russischen Bunker vor Der Krieg istnoch keine Stunde alt als die Abteilung schon ihren ersten Toten hatEin VB (vorgeschobener Beobachter) faumlllt vor einem der russischenGrenzbunkerAlles kommt in Bewegung Der Abteilungskommandeur HauptmannSchmidt faumlhrt mit dem Kuumlbelwagen vor zur Infanterie um die Lage zuerkunden und neue Feuerstellungen auszusuchen Die Fernsprechlei-tungen werden abgebaut die Gefechtsfahrzeuge der Stabsbatterie wer-den vorgezogen und fahren in schnellem Trab an den russischen Bun-kern vorbei Ein Pulk deutscher Infanterie liegt noch vor einem derBunker und feuert mit einem Pakgeschuumltz auf die SchieszligschartenAm Himmel ist die Sonne aufgegangen wie an jedem anderen Tag auchDeutsche Flugzeuge ziehen uumlber uns hinweg zum Bombenangriff aufdie befohlenen ZieleWir fahren vor bis zu dem Ort Grajewo und halten auf einem freienPlatz im Dorf Frauen denen noch der ganze Schrecken in den Gesich-tern steht kommen aus den Haumlusern heraus und starren uns sprachlosan

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Eine russische Batterie schieszligt jetzt zuruumlck ihre Geschosse schlagen inder Naumlhe unserer Gefechtsfahrzeuge ein alles duckt sich wirft sich hinnimmt Deckung drei Pferde werden verwundet muumlssen ausgespanntwerdenWir ziehen aus der Feuerzone heraus in die Naumlhe des Friedhofs Ichstehe mit meinem angstvoll schnaubenden Pferd im Schutze der Kirch-hofsmauer hinter der Mauer ragen die KreuzeEs geht weiter wir erreichen die russische Kaserne von Grajewo Manstuumlrzt hinein die Russen sind fort Es wird mitgenommen was nuumltz-lich und interessant erscheint Fahrzeuge mit Planen und breiten Gum-miraumldern Wagenheber eine kleine Teekuumlche auf zwei Raumldern Holz-loumlffel Pistolen aus der Waffenkammer Die leichten russischen Som-merstiefel und die russischen Sommerhosen stechen in die Augen DieLandser raffen Wachtmeister und Unteroffiziere schreien herumDie Abteilung marschiert weiter Wir kommen an einem Waldlager derRoten Armee vorbei Am Eingang zu dem Waldlager ein hohes Holz-tor mit dem Roten Stern

Der Offizier Martin Steglich 1915ndash1997 LitauenEs ist gegen 2200 Uhr abends Nach einem Angriff uumlber 27 km nur mitMarschkompasszahl graumlbt sich die Kompanie links und rechts ange-lehnt ein Harter Kampf gegen einen heimtuumlckischen und hinterhaumll-tigen Gegner Wir wurden von vorne von der Seite und von hintenbeschossen 3 Uffz und 3 Mannschaften sind verwundet Darunter 2 Uffz schwer (Lungensteckschuszlig und Querschlaumlger durch Unterarmvoumlllig zersplittert) Ufw Peters habe ich sofort vorgeschlagen zur Befoumlr-derung zum Feldwebel wegen Tapferkeit vor dem Feind Wurde sofortbefoumlrdert und ihm auf der Tragbahre bekanntgegeben Heute morgenum 305 Uhr war Angriffsbeginn Wir sind uumlberrascht daszlig der Russekeine Stellung voll besetzt hatte Haben kein russisches Flugzeug ge-sehen Sie sind also voumlllig uumlberrascht Doch wissen wir alle daszlig derHauptwiderstand auf dem eigentlichen russischen Boden jenseits derGrenze von 1939 sein wird Hoffentlich kommt die Feldkuumlche undkoumlnnen wir die Nacht noch pennen

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienGestern abend in unserem verdunkelten Omnibusquartier haben wirzum Teil sehr schoumlne und immer ernstere Lieder gesungen ndash doch sehrstark von dem Gefuumlhl beherrscht am Vorabend groszliger Ereignisse zustehen Nachts und in den fruumlhen Morgenstunden houmlrte ich das unauf-

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houmlrliche Summen groszliger Flugzeuge und so war man nicht uumlberraschtals erst das Geruumlcht dann mit Rundfunknachrichten die Bestaumltigungkam die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Ruszligland eingetre-ten Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges sodann aberdie Uumlberzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzungmit Ruszligland fruumlher oder spaumlterGroszliger Morgenappell in schoumlner Sonne frischem Wind Rede von Ad-jutant Leutnant Kulig Verlesung des Fuumlhreraufrufes an die Ostarmeemit den so ernsten Eingangsworten Wir gehoumlren nun zur XI Armeeund stehen auch als Nachschub in houmlchster Alarmbereitschaft Sofor-tige Uumlberpruumlfung der Gasmasken und Waffen Tarnen unseres Auto-parks [hellip] Ich bekam von Hanni zwei Paumlckchen in einem die drei er-sten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Houmlhe von 5000) im ande-ren u a auch Spielzeug fuumlr Ghiorghi Das beruumlhrte einen ganz seltsamVom laquoVaterraquo sind im 1 Quartal 1941 rund 7000 Stuumlck verkauft Derernste Sonntag wird allmaumlhlich schwuumll und truumlbe Wir houmlren daszlig dieDivision schon zwei Tote hat Unteroffiziere meiner 9 Kompanie desIII Bataillons vom I R 203 Oberleutnant von Roumldern mein alter Kom-paniechef schon wieder verwundet Fuumlr uns kriegerische Stille [hellip]Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenlaumluten dermit Soldaten belegten halbfertigen Kirche mit dem eigentuumlmlichenduumlnnen harten Trommeln dieser Kirchgegend hier trafen zusam-men [hellip]Das Dorf die Landschaft so oumlde so tot so grau trotz gruumlner Feldstrei-fen und des verschilften Teiches Friedlicher Abend mit einer FlascheCognak und Trinkspruch Dichten im Autobus

Erich Kuby 1910 Ostpreuszligen22 Juni 41 mittags [hellip] Unsere Panzer sollen bis jetzt 70 km hin-ter sich gebracht haben Die Russen waumlren dumm wenn sie sich stell-ten und wahrscheinlich sind sie nicht dumm Wenn ich nicht zu muumldebin werde ich auch lesen Kuumlgelgen Erinnerungen eines alten Mannesirgendwo herbekommen so fern so sternenfern der gegenwaumlrtigenWelt und Umwelt und doch findet sich in mir beides leicht und einfachzusammen Die Schnakenplage ist wieder groszlig

Der Offizier Udo von Alvensleben ZamoskWir sind seit 1939 gewohnt es meist mit einem schnell weichendenFeind zu tun zu haben Jetzt stoszligen wir zum ersten Mal auf einen Geg-ner der haumlrtesten Widerstand leistet Die 16 Panzer-Division ruumlckt von

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Ozarow bis Bilgoraj vor Um den See von Rudka mit dem Inselheilig-tum zu dem ununterbrochen Glaumlubige uumlber die Bruumlcke pilgern ist einPark mit seltenen alten Baumlumen mit Fichten durchbauten Kiefernbe-staumlnden und groszligen Wasserflaumlchen In dem gewohnten Tohuwabohudes ersten Kampftages fahre ich zur Befehlsstelle der Heeresleitung inKlemensow Dieses Hauptschloszlig der Zamoyskis ist ein langgestreckterBarockbau in groszligangelegtem englischen Park In der Achse nach Nor-den ist noch die urspruumlngliche Anlage mit Blumenparterre und langemlaquotapis vertraquo in der Mittelachse von hohen Lindenalleen begleitet dieden Fernblick freilassen Zu beiden Seiten des Mittelbaues sind Pavil-lons mit Mansarddaumlchern durch Fluumlgel und Orangerie noch weiter indie Laumlnge gestreckt Der Schloszligbezirk ist sommerlich still und kriegs-entruumlckt ndash Weiter zu einer Dienststelle nach Zamosk (Zamosc) DieStadt zur Renaissancezeit als Privatfestung und Hauptort der Graf-schaft von den Zamoyskis angelegt auf Schachbrett-Grundriszlig mitsternfoumlrmigen Befestigungsanlagen der Vaubanzeit Waumlllen GraumlbenRedouten die groumlszligtenteils geschleift sind wogegen die schoumlnen Torenoch erhalten sind Das Renaissance-Rathaus beherrscht den MarktDie Fassade ist rosa-weiszlig in der Mitte ein schlanker Turm mit kuumlhnerBarockspitze Zum Hauptstock fuumlhren geschwungene Treppen DerPlatz ist einheitlich von Renaissancefronten und Laubengaumlngen umge-ben feine Portale Inschriftentafeln Stuckarbeiten verzierte Gewoumllbein Nischen stehen Buumlsten Statuen Reliefs Zwei Kirchen mit Zwiebel-tuumlrmen Dieses historische Paradestuumlck an der Fernstraszlige Warschau-Lemberg von mir im Sturm des ersten Kampftages eingefangen hat diepolnische Republik nach 1920 noch um einen laquofranzoumlsischenraquo Stadt-park mit kleinem Zoo bereichertDie polnische Bevoumllkerung ist uumlber den Russenkrieg begeistert Auf demRuumlckweg komme ich durch die Stadt Szczebrzeszyn mit zwei Renais-sance-Kirchen wie alles hier von den Zamoyski gebaut Diese tuumlchtigeFamilie scheint ausgezeichnet zu wirtschaften ein planvolles Ineinan-derarbeiten der verschiedenen Betriebe

Der Leutnant Grigorij Melnik 1921 bei RownoAm 22 Juni 1941 befand sich unsere Division in einem Lager auf demTruppenuumlbungsgelaumlnde und bekam den Befehl nach Rowno vorzu-ruumlcken Nur einige Panzer und ruumlckwaumlrtige Dienste kamen mit einemEisenbahntransport In Gegenrichtung begegneten uns Transporte mitVerwundeten In der Naumlhe des Bahnhofs Zdolbunow wurden unsereTransporte ausgeladen Rege Flugtaumltigkeit des Feindes Deutsche Bom-

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ber flogen nach Osten und kamen dann nach den Bombenangriffen zu-ruumlck Sie achteten nicht auf unsEs wurde befohlen die Kommandeure sollen ohne Truppe nach Kowelkommen Der Bahnhofskommandant in Kowel konnte nichts unterneh-men und uns nicht uumlber die Lage aufklaumlren Er wuszligte auch nicht wo-hin wir weitermarschieren sollten Die Kommandeure waren meistensjunge Abgaumlnger der Offiziersschulen wie ich und solche Offiziere dienach dem Urlaub oder einer Dienstreise zu ihren Truppenteilen muszlig-ten Mit einem Leutnant bekamen wir den Auftrag auf einer Dampflokdie Lage vorne aufzuklaumlren wo angeblich noch gekaumlmpft wurde Aneiner bewachten Bruumlcke machten wir halt Ein Unterleutnant der fuumlrdie Bewachung der Eisenbahnbruumlcke verantwortlich war teilte uns mitdaszlig seine Leute feindliche Spione mit einem Funkgeraumlt gefangen haumlttenIhre Aufgabe sei gewesen das Artilleriefeuer der Deutschen zu korri-gieren Der Unterleutnant selbst hatte keine Verbindung zur vorge-setzten Dienststelle hellip Nach seinen Worten sprachen die Kundschafterukrainisch und er wuszligte nicht was er mit ihnen machen sollte Wirschlugen ihm vor nach dem Gesetz der Kriegszeit zu handeln und alleDiversanten zu erschieszligen Das tat er auch hellip

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm fruumlhen Morgen des 22 Juni rief uns Milmann an Die Deutschenhaben uns den Krieg erklaumlrt und bombardieren sowjetische Staumldte hellipWir saszligen vor dem Rundfunkgeraumlt und warteten darauf daszlig Stalinsprechen wuumlrde Statt dessen sprach Molotow Er war nervoumls Ich staun-te uumlber seine Worte von Treuebruch und Uumlberfall Treuebruch bedeu-tet eine ehrenruumlhrige Handlung oder zumindest eine Verletzung desAnstands Schwerlich aber konnte man Hitler den Leuten zurechnendie auch nur die geringste Vorstellung von Anstand besitzen Was sonstkonnte man von den Faschisten schon erwartenWir saszligen lange am Empfaumlnger Hitler sprach Dann wurde eine Redevon Churchill uumlbertragen Moskau aber sendete unterdessen froumlhlicheoder verwegene Lieder die zur Stimmung der Menschen paszligten wie dieFaust aufs Auge Man hatte offensichtlich weder Artikel noch Anspra-chen parat Man spielte Lieder hellip

Wladimir Petrow 1921ndash2001 TulaAm 22 Juni 1941 legte ich obwohl es ein Sonntag war meine Diplom-pruumlfung bei der Baufachschule in Tula ab Es war ein sonniger Som-mermorgen die Stimmung war herrlich Am Nachmittag sollte ich mit

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einem Diplom nach Hause kommen Meine Mutter wollte ein schoumlnesEssen machen und am naumlchsten Tag sollte es losgehen an die WolgaMit einer Freundin wollten wir eine Schiffsreise fluszligaufwaumlrts machenIch war ausgerechnet bei meinen Tabellen und Graphiken in einemAuditorium als Genosse Molotow im Radio sprach laquoUnsere Sache istgerecht Der Feind wird geschlagen werden Der Sieg wird unser seinraquoDiese Zuversicht befluumlgelte auch mich Zu Hause empfing mich meineMutter mit verweinten Augen Auf dem Tisch lagen schon zwei Ge-stellungsbefehle fuumlr mich und fuumlr meinen Vater Wir muszligten uns so-fort beim zustaumlndigen Kreismilitaumlrkommando einfinden

Kasja Oleschtschuk 1923 BaltaAm 22 Juni 1941 war ich in Balta Es war ein feierlicher Tag an demwir in der medizinischen Fachschule unsere Zeugnisse als Kranken-schwestern bekamen Um 12 Uhr houmlrten wir die Radioansprache Mo-lotows Also Krieg mit Deutschland hellipIch war in einem Dorf in einer christlichen Bauernfamilie aufgewach-sen und hatte mich nie fuumlr Politik interessiert Jetzt wurden wir vonunserem Direktor bestuumlrmt als Freiwillige an die Front zu gehen Ichwollte das zuerst nicht tun doch meine Freundin bestand darauf Trotz-dem habe ich spaumlter meine Erklaumlrung heimlich aus der Mappe geklautSo ging ich nach Hause in mein Dorf etwa hundert Kilometer von Baltaentfernt Zwei Wochen lang muszligten wir oumlstlich des Dnestr Schutzgraumlbenausheben und sonstige Befestigungen bauen Die von uns errichtetenBefestigungen halfen unserer Truppe spaumlter wenig der Deutsche um-ging sie einfach

Die Aumlrztin Ludmila Shiltzowa 1917 SemipalatinskDer erste Abendbericht des Moskauer Informationsbuumlros am 22 Juni1941 machte uns Hoffnung laquoIm Morgengrauen des 22 Juni griff diedeutsche Wehrmacht unsere Grenztruppe in einer Front von der Ostseebis zum Schwarzen Meer an und wurde am Vormittag von den Grenz-truppen bei ihrem Vormarsch aufgehalten Am Nachmittag traf der Feinddie Vorhuten der regulaumlren Truppe der Roten Armee Nach erbittertenKaumlmpfen wurde der Feind mit hohen Verlusten fuumlr ihn zuruumlckgewor-fenraquo Das Volk hatte keinen Grund die Glaubwuumlrdigkeit dieses Berich-tes in Zweifel zu ziehen Niemand kannte damals die wirkliche Lage anunseren Westgrenzen Ich glaube daszlig auch Stalin nicht davon wuszligtebei jenem DurcheinanderErst elf Tage nach dem Uumlberfall der Deutschen sprach Stalin im Rund-

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funk und nach seiner Rede wurde uns klar daszlig die Lage viel ernsterwar als wir am Anfang dachten und daszlig der Krieg sehr lange dauernund houmlchste Anstrengungen eines jeden Buumlrgers des Landes verlangenwuumlrde Das bestaumltigte mir auch der Militaumlrkreiskommandoleiter als ichihm mein Gesuch mich als Aumlrztin an die Front zu schicken einreich-te laquoDu wirst noch Zeit genug haben im Krieg herumzutanzen Dukannst sicher sein daszlig alle drankommenraquoAuf mein Gesuch schrieb er laquoWird abgelehntraquo Noch viele aumlhnlicheReaktionen bekam ich auf meine hartnaumlckig wiederholten Gesuche Erstals der Deutsche schon vor Stalingrad stand schrieb der unnachgiebi-ge Offizier endlich laquoBei Bedarfsanmeldung dem Wunsch nachkom-menraquo

Der Politruk Semjon Schafir 1917 WeiszligruszliglandDas Regiment in dem ich meinen Dienst abgeleistet hatte war im Mor-gengrauen am 22 Juni 1941 gerade auf dem Marsch Die Rotarmistensehnten sich nach einer Rast und dem Fruumlhstuumlck anstatt all dem ploumltz-lich ein Signal zur vollen Gefechtsbereitschaft Irgendwo in der Naumlhewaren die MG-Garben von Bordwaffen der Flugzeuge wahrzunehmendie Bomben regneten in einem Hagel auf unsere Koumlpfe Die feindlichenFlugzeuge sausten uumlber der Waldschneise vorbei Ich war damals alsstellvertretender Politruk einer Schuumltzenkompanie eingesetzt

Der Oberleutnant Iwan Kowaljow 1916 am PruthAm 22 Juni 1941 um 4 Uhr begann unsere Bekanntschaft mit der Luft-waffe von Reichsmarschall Goumlring mit der Luftwaffe die im groszligen undganzen uumlber 1200 unserer Flugzeuge auf ihren Flugplaumltzen mit einemeinzigen Schlag vernichtete Dadurch eroberten die Deutschen die Vor-herrschaft in der Luft blitzartig und hatten fuumlr ihr Heer volle FreiheitDie Fuumlhrung unserer Truppe war voumlllig demoralisiert Niemand kann-te die wahre Lage an der Grenze Das Trommelfeuer der feindlichenArtillerie beim Einmarsch die Sabotage deutscher Sondergruppen inUniformen der Roten Armee verursachten einen kolossalen und nichtwiedergutzumachenden Schaden

Ewgenija Iwanowa 1929 HangoumlFinnlandMein Vater war Offizier der russischen Kriegsflotte und ab 1940 als dieHalbinsel Hangouml von der Sowjetunion gepachtet worden war diente erdort als Kommandeur einer Kuumlstenbatterie Bald nach ihm kamen auchwir nach Hangouml Wir waren drei Geschwister meine Schwester war an-

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derthalb Jahre aumllter als ich und mein Bruder war fuumlnf Jahre alt Wir be-wohnten ein herrliches Einfamilienhaus an der Kuumlste der Ostsee be-suchten die oumlrtliche Garnisonsschule Nur schoumlne Erinnerungen hatdiese Vorkriegszeit in meinem Gedaumlchtnis hinterlassenAm Samstag dem 21 Juni 1941 schliefen wir spaumlt ein Den ganzenNachmittag waren wir im Haus herumgerannt Das war eine Hektik wieimmer vor einer Reise waumlhrend der Sommerferien Tuumlrenquietschendie Treppen hinauf- und hinuntergelaufen ob man noch dies oder dasnicht vergessen habe Am naumlchsten Morgen also am Sonntag dem 22 Juni 1941 sollte der Vater uns mit seinem Dienstwagen zum Bahn-hof fahren und von dort sollte uns ein Zug durch das ganze herrlicheFinnland nach Leningrad zu unserer lieben Oma bringen die auf uns ge-wiszlig schon mit Ungeduld wartete und bestimmt den Teig fuumlr ihre ein-maligen Kuchen gehen lieszlig hellipDer uumlberraschende Angriff der Deutschen brachte unsere Plaumlne zumScheitern Durch ein Alarmsignal wurde der Vater aus dem Bett geholtMatrosen liefen hin und her durch einen Tuumlrspalt houmlrte ich ihn sagenlaquoDas ist der Krieg meine Liebste Such ganz schnell die noumltigsten Sachenzusammen und warte hier auf mein Kommando Verdammt nochmalwir sitzen ja in einer Falle Kopf hoch und paszlig auf die Kinder aufraquoMit diesen Worten machte er sich auf zu seiner Batterie die durch ihrFeuer eine Landung von See verhindern sollteDie russische Kriegsflotte war besser auf den Krieg vorbereitet als dieLandstreitkraumlfte Das spuumlrten wir schon beim ersten deutschen Bom-benangriff auf Hangouml deutlich Unsere Abwehrkanonen nahmen diedeutschen Flugzeuge so heftig unter Feuer daszlig ihre Bomben kaum einZiel trafen Es gab sogar am ersten Kriegstag einige Feindabschuumlsse durchdie Schnellfeuerkanonen unserer Kriegsschiffe Wir saszligen im Kellerunseres Hauses houmlrten die furchtbare Musik des Krieges und wartetenauf Nachricht von unserem Vater Doch er erschien nicht mehr Amnaumlchsten Tag kam ein Matrose Wir sollten uns jederzeit bereithaltenman wuumlrde uns und andere Familien abholen und mit einem Schiff nachKronstadt oder sogar nach Leningrad abtransportieren Mein kleinerBruder meckerte immer wieder laquoWann fahren wir zur Oma Warumfahren wir nicht Der Vater wollte mir doch ein Rad kaufen Wo ist derVaterraquo

Dimitrij Lichatschow 1906 (Wyriza bei Leningrad)Der Sommer war schoumln Wir gingen zum Fluszlig suchten uns einen klei-nen Strand aus nur fuumlr unsere Familie badeten und sonnten uns Das

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Ufer war steil zu unserem winzigen Strand fuumlhrte nur ein Pfad EinesTages als wir uns gerade sonnten drangen die Fetzen eines schreck-lichen Gespraumlchs zu uns heruumlber Sommergaumlste kletterten den Pfad hochund redeten uumlber einen Bombenangriff auf Kronstadt und uumlber irgend-welche Flugzeuge Zuerst dachten wir sie erinnerten sich an den Fin-nischen Krieg von 1939 doch ihre aufgeregten Stimmen machten unsstutzig Als wir zur Datscha zuruumlckkehrten erzaumlhlte man uns daszlig derKrieg begonnen hatte Abends houmlrten wir im Garten des ErholungsheimsRadio Der Lautsprecher hing ganz oben an einem Mast und davor stan-den sehr viele Leute Sie schwiegen finster Am naumlchsten Morgen fuhrich nach Leningrad hinein Mama und Jura hatten die Schreckensnach-richt bereits aus dem Radio erfahren Jura soll kreidebleich gewordensein Die Stadt erschreckte mich durch ihre duumlstere Stille Nach den Blitz-erfolgen Hitlers in Europa erwartete niemand etwas Gutes Alle wun-derten sich warum sage und schreibe noch ein paar Tage vor Ausbruchdes Krieges massenweise Weizen nach Finnland geliefert worden warDas stand in allen Zeitungen Die Leute im Puschkin-Haus waren etwasredseliger doch ebenfalls aumluszligerst vorsichtig A I Gruschkin redete ammeisten Er machte phantastische Vorschlaumlge natuumlrlich alle laquopatrioti-scherraquo Art

Natalija Solotuchina 1930 LeningradAn jenem herrlichen sommerlichen Sonntag dem 22 Juni 1941 reistenwir fuumlr den ganzen Sommer nach Ostrowki eine kleine Siedlung amNewa-Ufer unweit der Stromschnellen von Iwanowskij Ein Kutter liefvon der Anlegestelle unweit des Hauses von Peter dem Groszligen aus ge-nau um 12 Uhr mittags also fahrplanmaumlszligig Damals legte er die Streckebis Ostrowki in drei Stunden zuruumlck Und diese drei Stunden waren fuumlrmich die letzten gluumlcklichen Stunden des friedlichen Lebens Als wir anLand gingen houmlrten wir das schreckliche Wort laquoKriegraquo Zuerst er-schreckte mich dieses Wort nicht sehr Ich war erst zehn Jahre alt und andiesem ersten Tag des Krieges konnte ich kaum die Gefahr begreifen undmir vorstellen welche Entbehrungen mir noch zuteil werden wuumlrden

Der Kameramann Efim Bogorow LeningradJeder Einwohner von Leningrad der die Blockade uumlberlebt hat bewahrtfuumlr immer in seinem Gedaumlchtnis den Sonntagmorgen des 22 Juni 1941Fuumlr mich begann er mit dem Start eines Gelaumlndelaufes von Komsomol-zen im zentralen Kultur- und Erholungspark von Leningrad Dort houmlrteich gegen Mittag das Wort laquoKriegraquo das uns auf lange Sicht von der Zeit

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trennte in der wir wenige Minuten zuvor noch gelebt hatten Am glei-chen Tag filmte ich die Kundgebung in der Fabrik laquoSwetlanaraquo Der Fa-brikhof war zum Bersten gefuumlllt Meistens waren es Frauen Besorgnisund Schmerz waren von ihren Gesichtern abzulesen Die Frauen schwie-gen aber ihre Augen sagten viel Seit jenem sonnigen Junimorgen warenmein Leben und meine Arbeit nur dem Streben untergeordnet moumlglichstviel vom Alltag der Leningrader zu filmen

Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradAm 22 Juni einem schoumlnen Sommertag rief ich aus einer Laune herauseinen Bekannten an Es war Sonntag um die Mittagszeit Ich wunder-te mich als eine Frauenstimme erklaumlrte Bobowitsch den ich sprechenwollte koumlnne jetzt nicht zum Telephon kommen laquoEr houmlrt RadioraquoIch wunderte mich noch mehr Nach einer kurzen Pause fuumlgte die Frauhinzu laquoEs ist Krieg Die Deutschen haben uns uumlberfallen und die Gren-ze uumlberschrittenraquoDas kam furchtbar uumlberraschend klang fast unglaubwuumlrdig obwohl esklar vorauszusehen war [hellip] Ein stiller Sommertag die Fenster weitoffen ein schoumlner geruhsamer Sonntag die Seele in Einklang mit demLeben Hoffnungen und Wuumlnsche gleichsam etwas Objektives vonauszligen in einen hineingewachsen ndash und auf einmal Krieg Man konntees nicht glauben wollte es nicht

Lidija Ochapkina 1912 LeningradAn jenem Sommersonntag hatte ich vor schon am fruumlhen Morgen mitmeinen beiden Kindern zu unserem Landhaus in einem Vorort von Le-ningrad zu fahren Mein Mann war dienstlich verreist deshalb warenmein Neffe sowie ein Verwandter von meinem Mann Schura Samso-now zu mir gekommen um mich mit den Kindern zum Bahnhof zubringenIch hatte alles gepackt und stillte gerade meine Tochter die erst fuumlnfMonate alt war Da houmlrte ich ploumltzlich im Radio laquoAchtung AchtungraquoUnd Molotow sprach seine bekannte Rede Ich beschloszlig sofort zu Hau-se zu bleiben Ich muszligte erst auf meinen Mann warten Ich hatte keineAngst Ich erinnerte mich an den Krieg gegen Finnland der fuumlr michund fuumlr die Leningrader nicht so fuumlrchterlich gewesen war

Jura Rjabinkin 1925ndash1942 LeningradWegen eines seltsamen Surrens vor meinem Fenster konnte ich dieganze Nacht nicht schlafen Als es am fruumlhen Morgen verstummte

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daumlmmerte es bereits Im Juni sind die Naumlchte in Leningrad mondhellund kurz Als ich aus dem Fenster blickte sah ich die Strahlen einigerScheinwerfer die den Himmel abtasteten Trotzdem schlief ich nochein Erst nach 10 Uhr morgens war ich wieder wach und ging in denGarten des Palastes fuumlr junge Pioniere In diesem Sommer wollte ich eineQualifikation im Schachspiel erreichen Schlieszliglich gewann ich oft auchbei den Spielern der dritten KategorieVor unserer Haustuumlr stand der Hausmeister mit einer Gasmaske undeiner roten Armbinde Bei anderen Torwegen sah ich gleich ausgeruuml-stete Hausmeister Die Milizleute trugen auch Gasmasken an allen Stra-szligenkreuzungen ging das Radio Etwas brachte mich auf den Gedankendaszlig in der Stadt der Ausnahmezustand verhaumlngt worden sein koumlnnteAls ich den Palast fuumlr junge Pioniere betrat traf ich dort nur zweiSchachspieler Es ist wohl noch zu fruumlh dachte ich In der Tat kamennach einer Weile noch einige dazuAls ich die Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt hatte sah ich eineGruppe von Jungen die sich um einen kleinen Jungen zusammenge-draumlngt hatten laquoUm 4 Uhr fruumlh haben die deutschen Bomber Kiew Shitomir Sewa-stopol und andere Staumldte angegriffenraquo erzaumlhlte der Junge mit PathoslaquoMolotow hat im Rundfunk gesprochen Jetzt stehen wir im Krieg mitDeutschlandraquoDas hatte ich nicht vermutet Deutschland Deutschland hat uns denKrieg erklaumlrt Jetzt wurde mir klar warum alle Gasmasken trugen Inmeinem Kopf ging alles durcheinander Ich wollte nichts mehr begrei-fen Drei Partien spielte ich noch die ich alle gewann Auf der Straszlige houmlrte ich aus einem Lautsprecher die Rede von Molo-tow Als ich nach Hause kam wuszligte meine Mutter schon alles Nachdem Mittagessen ging ich in die Stadt Uumlberall war eine seltsame An-spannung zu spuumlren Auf dem Ruumlckweg nach Hause wollte ich die Zei-tung kaufen und stellte mich in eine Schlange Die Zeitungen warennoch nicht geliefert worden und die Schlange wurde immer laumlnger DieMenschen erzaumlhlten Witze zum Thema Auszligenpolitik es gab auch skep-tische BemerkungenlaquoUnd wenn Deutschland mit England einen Friedensvertrag abschlieszligtund sie greifen dann uns gemeinsam anraquolaquoJetzt werden wir auf alles unsere Bomben werfen Nicht wie in Finn-land damals Die Wohnviertel werden wir auch angreifen moumlge das deut-sche Proletariat aufstehen da begreifen die Deutschen schnell gegenwen sie angetreten sindraquo

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laquoHabt ihr gehoumlrt bei Olgino ist ein deutsches Flugzeug abgeschossenwordenraquolaquoSo weit ist es reingeflogenraquolaquoJa man muszlig sich auch auf Bombenangriffe vorbereiten Wenn etwa300 Flugzeuge Leningrad angreifen werden hellipraquolaquoDas ist unvermeidlich Alles der Reihe nachraquoSo stand ich etwa zwei Stunden lang Schlange und wollte schon heim-gehen da wurde bekanntgegeben daszlig noch ein offizielles Bulletin er-scheinen wuumlrde doch wann es herauskommen sollte war leider unbe-kannt Nach einer halben Stunde ging ich nach Hause Unsere Haus-angestellte Nina kaufte dann spaumlter die ZeitungDer Tag neigt sich seinem Ende zu Die Uhr zeigt halb zwoumllf abends Einentschlossener und harter Kampf zeichnet sich ab zwei antagonistischeGesellschaftsordnungen stoszligen aufeinander der Sozialismus und derFaschismus Und vom Ausgang dieses groszligen historischen Kampfeshaumlngt das Wohlergehen der ganzen Menschheit ab

Der Student Artur Urasgildejew LeningradMan sagte uns daszlig wir uns alle schnell versammeln und Splitterschutz-graumlben auf dem Gelaumlnde des Instituts ausschachten sollten Der Grundfuumlr so eine Uumlberstuumlrzung war angeblich eine Uumlbung in der Zivilvertei-digung Als ich so einen merkwuumlrdigen Auftrag mitten in der Pruumlfungs-periode erhielt suchte ich die Wohnzimmer des fuumlnften Korps der Stu-dentensiedlung auf wo uumlberwiegend kuumlnftige Metallurgen unterge-bracht waren und bemuumlhte mich sie dazu zu bewegen an die Arbeitzu gehen Aus dem ersten Zimmer stieszlig man mich hinaus nachdemman sich mit dem Finger gegen den Kopf getippt hatte in dem anderenlegte man mir die Hand an die Stirn und sagte laquoDer Junge hat Fieberraquound in dem dritten Zimmer warf man ein dickes Buch nach mir Eineandere Reaktion war von den Studenten kaum zu erwarten es war diePruumlfungsperiode und alle bereiteten sich auf die Pruumlfungen vor Erstnach der Rede von Molotow um 12 Uhr mittags wurde auch der Erlaszligdes Obersten Sowjets der UdSSR uumlber die Einberufung der Jahrgaumlnge1905ndash1918 in die Rote Armee im Radio verlesen

Die Bibliothekarin Nina Druschinina LeningradAm 22 Juni 1941 einem herrlich sommerlichen Tag war unser Lese-saal vollbesetzt Es war die Zeit der Pruumlfungsperiode vor den Sommer-ferien Im Lesesaal saszligen etwa 500 Menschen es herrschte Stille nurleises Umblaumlttern der Seiten war zu vernehmen Ploumltzlich klingelte das

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Telefon Es war mein Mann der mich benachrichtigte daszlig der Kriegausgebrochen war und daszlig er einen Marschbefehl bekommen hatteDiese Nachricht war fuumlr mich so uumlberraschend und schrecklich daszlig ichan diese Worte zuerst nicht glauben konnte Nach einer Weile erschienein Vertreter des Parteikomitees er kletterte auf den Tisch und teilteden Menschen die schreckliche Nachricht mit Er lieszlig alle sofort zumFeld hinter dem Institut marschieren wo Splitterschutzgraumlben unterLeitung des Institutsdirektors Tjurkin ausgeschachtet werden solltenDer Lesesaal leerte sich schnell auf den Tischen blieben Buumlcher HefteTaschen Aktentaschen liegen uumlber den Stuhllehnen hingen Jacken undBlusen Als alle weg waren wurde mir ploumltzlich angst und bange wienie zuvor

Die Sportlehrerin Sinaida Winogradowa LeningradIch erinnere mich sehr gut an den Tag an dem der Krieg ausbrach Eswar ein sonniger und klarer Tag Mit einer Gruppe von Studenten fuhrich zum Finnischen Meerbusen nach Selenogorsk Wir wollten dorttrainieren Wir spielten liefen viel und genossen das herrliche WetterWir waren bestens gelaunt und sehr froumlhlich Da sahen wir ploumltzlichLeute die mit ihren Sachen zum Bahnhof liefen Rufe waren zu houmlrenlaquoKriegraquo Wir kehrten so schnell es ging nach Leningrad zuruumlck der Zugwar sehr voll

Die Studentin Anna Solowjewa am SwirEine groszlige Gruppe von Studenten machte ihr Praktikum beim Bau desKraftwerkes am Oberlauf des Swir Am Sonntagmorgen wollten wiruns am Ufer des Swir erholen Es gab dort viele Maigloumlckchen Vor un-serem Abmarsch houmlrten wir die Ansprache Molotows Krieg Schonam naumlchsten Tag gingen unsere Jungs in den Wald um die finnischenSoldaten zu bekaumlmpfen und die Maumldchen wurden in der Naumlhe vonPskow zum Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt

Die Studentin Nina Dedusenko LeningradDas Praktikum in Tosno ging zu Ende Am 22 Juni 1941 waren wir inder Kantine zum Mittagessen und houmlrten dort die Nachricht vom deut-schen Uumlberfall Wir fuhren sofort nach Leningrad und schlossen unsdem aufregenden Leben des Instituts an unternahmen Streifzuumlge durchdie Straszligen der Stadt gemeinsam mit den Jungs Wir hatten Spione undSaboteure zu fangen Am ersten Tag nahmen wir nur einen Verdaumlchti-gen fest den wir spaumlter auf freien Fuszlig setzen muszligten

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Jurij Gurewitsch 1924 Leningrad Die Nachricht uumlber den Kriegsausbruch an jenem Junisonntag 1941 er-reichte mich auf einem Fahrradausflug im Udelnyj Park Ich war damalsStudent an einer Fachschule fuumlr Energetik und nach dem Abschluszlig desersten Studienjahres hatte ich Ferien Auf einmal aumlnderte sich alles DasLeben bekam eine ganz andere Geschwindigkeit Mein Vater hatte einelaquoweiszlige Karteraquo er war fuumlr den Wehrdienst untauglich Ungeachtet des-sen ging er als Fuhrmann freiwillig zur Landwehr Drei Jahre lang warer an der Front 1944 erhielt meine Mutter die Nachricht von seinemlaquoheldenhaften TodraquoWir jungen Burschen bestuumlrmten die Militaumlrkreiskommandos mit un-seren Antraumlgen und Bitten uns an die Front zu schicken Wir wurdenschroff abgefertigt man wollte uns Sechzehn- und Siebzehnjaumlhrige nichteinberufenAber wir fanden eine Beschaumlftigung Als Ersatz fuumlr die Feuerwehrleu-te die zum Wehrdienst eingezogen wurden stellte man ein Feurwehr-regiment aus Komsomolzen auf Wir alle Jungen und Maumldchen ausunserer Gruppe traten in die Feuerwehrkompanie von Wassiljewski-ostrow ein Wir bekamen die Uniform der Feuerwehrleute Helme undsogar einen echten Feuerwehrwagen mit einem erfahrenen Komman-deur und einem Fahrer Wir wurden kaserniert in unserem Kommandoherrschte strenge Disziplin

Alexander Grusdew 1909 Leningrad1937 wurde in unserem Betrieb die erste Dampfturbine Europas von100 000 kW gebaut Heute ist das keine Leistung mehr aber damals wares ein hervorragender Erfolg des Arbeitskollektivs Kurz vor Ausbruchdes Krieges bekamen wir diese Turbine zur Generaluumlberholung zuruumlckDa die politische Lage schon sehr angespannt war muszligten wir vielarbeiten um diesen Auftrag rechtzeitig zu erfuumlllen Die Arbeit an derTurbine schlossen wir am Samstag dem 21 Juni 1941 um 3 Uhr nach-mittags ab und schickten sie gegen Abend an den Auftraggeber zuruumlckDer Sonntag begann wie gewoumlhnlich ein arbeitsfreier Tag nach eineranstrengenden Arbeitswoche beginnt wenn man weiszlig daszlig man gut ge-arbeitet und Erholung verdient hat Meine Frau und ich machten einenAusflug aufs Land zu einem Vorort von Leningrad wir genossen dieNatur und das herrliche Wetter des langersehnten Sommers Erst aufdem Ruumlckweg houmlrten wir vom Ausbruch des Krieges Zuerst verstandich die Bedeutung dieses Geschehnisses nicht Ich dachte nur an dasSpiel meiner Lieblingsfuszligballmannschaft um 6 Uhr abends fuumlr das wir

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Karten hatten Aber schon gegen Abend hatte sich die Atmosphaumlre inder Stadt geaumlndert die Menschen waren von Besorgnis erfuumlllt Ichbegab mich in mein Werk sobald wir nach Leningrad zuruumlckgekehrtwarenViele unserer Arbeiter wurden in den ersten Tagen des Krieges zumWehrdienst einberufen oder sie gingen auch freiwillig an die Front Un-ter ihnen waren auch diejenigen erfahrenen Arbeiter die fuumlr die Pro-duktion unentbehrlich waren So muszligten wir die alten schon laumlngst inden Ruhestand versetzten Fachleute an die Werkbaumlnke zuruumlckholen

Der Kolchosevorsitzende Alexander Marian 1914 SpejaDnjestrDa es vorher fuumlnf Tage lang geregnet hat verzichteten alle Kolchose-bauern heute auf den arbeitsfreien Tag Uumlber 460 Maumlnner und Frauenwaren auf dem Maisfeld erschienen um Unkraut zu jaumlten Am Himmelherrschte Hochbetrieb die Flugzeuge fliegen in verschiedene Richtun-gen seit dem fruumlhen Morgen ertoumlnt ihr Gedroumlhn Irgendwo uumlber Benderist seltsames Aufblitzen wie Funken zu beobachten weiszlige und schwarzeRauchpilze bilden sich ploumltzlich zwischen den Flugzeugen Sehr merk-wuumlrdiges Manoumlver Um 5 Uhr am Nachmittag kam ein Melder zu Pfer-de aus Tiraspol zum Dorfrat mit der Nachricht Deutschland habe heutedie Sowjetunion heimtuumlckisch uumlberfallen

Der Jagdflieger Wassilij Suslow 1920 bei RustawiGeorgienBei Ausbruch des Krieges war ich Offiziersanwaumlrter in einer Flieger-schule bei Rustawi in Georgien in der Jagdflieger ausgebildet wurdenAn jenem Tag wurden wir zu einem Appell befohlen wo uns unsereKommandeure und Kommissare uumlber den heimtuumlckischen UumlberfallHitlerdeutschlands informierten Sofort wurden die besten von uns zueinem beschleunigten Lehrgang bestimmt d h nach einigen Monatensollten wir schon als Flieger an der Front eingesetzt werden Und vonder Front kamen keine guten Nachrichten Die Deutschen hatten schon in den ersten Stunden des Krieges Hun-derte von unseren Flugzeugen auf den Flugplaumltzen durch Bombenan-griffe vernichtet und sich dadurch die volle Luftherrschaft gesichertUnser Informationsbuumlro gab taumlglich die Zahl der feindlichen Abschuumls-se leider aber keine eigenen Verluste bekannt Dutzendweise fielenunsere Staumldte und wichtige Ortschaften in die Haumlnde des Feindes InGeorgien wurden viele Lazarette aufgebaut in die Schwerverwundeteeingeliefert wurden Unter ihnen gab es auch abgeschossene Flieger de-

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nen es gelungen war sich im letzten Augenblick mit einem Fallschirmzu retten Bei denen waren wir oft zu Gast und wir houmlrten ihren Be-richten uumlber die Luftkaumlmpfe und die Taktik der feindlichen Luftwaffeaufmerksam zu So sammelten wir fern von der Front unsere laquoersteKampferfahrungraquo

Der Feldwebel H M im OstenAn seine FamilieNa was sagt Ihr denn zu unserem neuen Gegner Vielleicht kann sichPa noch erinnern wie ich in meinem letzten Urlaub von der russischenArmee gesprochen habe und schon damals aumluszligerte daszlig mit den Bol-schewisten auf Dauer keine freundschaftlichen Beziehungen aufrecht-zuerhalten sind Dazu sind dort noch viel zu viele Juden Neues gibt eshier noch nicht Wir sitzen staumlndig an den Lautsprechern und houmlren dieFrontberichte

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachHeute wunderbarer Sonntag Herrlicher Sonnenschein heiszlig und wind-still Ich habe leider gestern mir etwas Sonnenbrand zugezogen so daszligich heute den herrlichen Sonnenschein gar nicht so richtig genieszligenkann ndash Um 8 Uhr houmlrten wir im Radio daszlig Deutschland Ruszligland denKrieg erklaumlrt hat und daszlig seit heute morgen 503 Uhr die Kriegshand-lungen begonnen haben Wir sind alle ganz niedergeschlagen Hitler istein Wahnsinniger Was soll nur werden

Frau A N HausbergePorta Als ich heute fruumlh den Apparat einschaltete und dann voumlllig ahnungslosdie Proklamation des Fuumlhrers houmlrte da war ich zunaumlchst ganz sprach-los Und doch ich weiszlig nicht die Freundschaft zwischen der UdSSRund dem Deutschen Reich hat wohl kein Mensch so ganz ernst genom-men Man hatte so die Ahnung ob das wohl gutgeht und traute demRussen nicht Was mag es den Fuumlhrer gekostet haben sich uumlberhauptmit Stalin in Verbindung zu setzen und ihn um freundschaftliche Bin-dungen anzugehen Heute ist mir die Groumlszlige seiner Diplomatie ganzwunderbar zur Erkenntnis gekommen Viele Sorgen hat ihm diese ganzeAngelegenheit gemacht Man kann das bloszlig ahnen Und wenn man sichdas mal uumlberlegt dann wird man ganz klein Was ist unser biszligchen Leidunsere Sorgen und die winzigen Entsagungen die sich durch die Kriegs-wirtschaft ergeben Doch so ist man eigentlich denkt man zu wenig

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nach und dann wird man eben so sehr von dem Persoumlnlichen in An-spruch genommen und so lebt man dann hin Jedenfalls wird der Kampfwohl hart sein und doch wird mancher aufatmen nach den langen Wo-chen des Wartens Denn ein richtiger Soldat sehnt sich doch letztenEndes nach Kampf und Sieg um dann wieder seinen Arbeiten nachge-hen zu koumlnnen

Herr F M StraszligenhausKreis NeuwiedAls ich heute morgen das Deutschlandlied spielen houmlrte glaubte ich eswaumlre was Schoumlnes gemeldet worden Nun war es gerade das GegenteilHeute mittag wurde nun nochmals alles im Radio wiederholt Jetzt kannman auch verstehen was man vorher nicht begreifen konnte wofuumlr dasMilitaumlr im Osten ist Jetzt stehen Euch und auch uns wieder schwereWochen bevor Ihr Soldaten muumlszligt kaumlmpfen und aushalten und wir inder Heimat muumlssen warten und hoffen Jetzt lebt man wieder in der Un-ruhe und Ungewiszligheit

Der Soldat Helmut N dagger1945 DuisburgDer Fuumlhrer hat wieder einmal alle Last der Verantwortung all die Qualder Entscheidung all das Wissen Gefahr und Groumlszlige des Einsatzes hatweltanschauliche und politische Demuumltigungen allein fuumlr uns alle ge-tragenDies letzte hat ihn gewaltiger und unerreichbarer gemacht als je eine Tatzuvor Die Tat der Millionen die heute ausgeloumlst ist wiegt im einzel-nen weniger weil das Volk sie traumlgt Die Qual der Entscheidung aberspielte sich wieder einmal in der Seele des einzelnen ab Christus ist amKreuze gestorben die Suumlnden der Menschheit auf sich ladend Der Fuumlh-rer aber geht unablaumlssig seinen Kreuzweg beladen mit den Schmerzenden Unklarheiten eines groszligen Volkes und der gewaltigen Verantwor-tung fuumlr einen Weltteil ja fuumlr die gesamte Kultur der Welt

Der Oberleutnant G K im OstenVon allen meinen Kameraden einschlieszliglich Regimentskommandeurbin ich der einzige der diesen Krieg mit Ruszligland immer wieder voraus-gesagt hat und daher nicht so erschuumlttert ist wie vielleicht viele Wenndieser Krieg mit Ruszligland und anschlieszligend in Arabien (Irak ndash Syrien ndashPalaumlstina ndash Aumlgypten) beendet sein wird ndash und ich glaube in kurzer Zeit ndashdann glaube ich auch fest daran daszlig einmal als einziger deutscher Soldatder Herr von Ribbentrop nach England geht um dort mit den Englaumln-dern Deutsch zu reden Vielleicht werden wir auch alle hinuumlbermuumlssen

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aber dann haben wir wenigstens den Ruumlcken frei und fuumlnf bis sechsLuftflotten und Zehntausende von Panzern usw Nein diese Sache be-unruhigt mich nicht so sehr als die Tatsache daszlig Ihr armen Frauen undKinder mal wieder naumlchtelang in den Keller muszligtet und Euskirchenmal wieder heimgesucht wurde

Martha Bauchwitz 1871ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn ihre Tochter in StettinHeute nacht soll der neue Krieg ausgebrochen sein Der Himmel istblau seine Wolken toben von Ost nach West Die Sonne scheint ndash wiealle Tage Doch fuumlhlt man daszlig Neues vorgeht Wir koumlnnen nichts tunals bitten es moumlge nicht zu schlimm mit dem Menschenverlust seinWir sitzen mit gebundenen Haumlnden

Awigdor Nielawicki 1926 WiznaIch war 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna einem kleinenOrt etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt Als die Deutschendie Russen am 22 Juni im Osten Polens angriffen wurde Wizna aus derLuft bombardiert Das juumldische Viertel brannte Alle Familien auchmeine fluumlchteten Mit einem Pferdewagen zogen wir los Gegen Abendwurden wir von polnischen Banditen uumlberfallen Sie schlugen uns undstahlen das biszligchen was wir vor den Flammen retten konnten [hellip] Siewollten unser Geld und sie wuszligten daszlig niemand sie strafen wuumlrde fuumlrihre Taten Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Frei-wild fuumlr die Polen vor allem fuumlr die Nationalisten die Juden und Kom-munisten haszligten Etliche der Schlaumlger waren von den Deutschen geradeaus dem Gefaumlngnis freigelassen worden Solche Ex-Haumlftlinge toumltetenauch den Vater meiner Tante der nicht fliehen konnte

Nadeshda Tratschenko 1925 OdessaOdessa war immer eine ausgepraumlgt juumldische Stadt Die Juden begannenschon Ende Mai aufgeregt hin und her zu eilen und sie verlieszligen dieStadt mit Hab und Gut An die zuruumlckbleibenden Nachbarn verschenk-ten sie nur unnuumltzes Zeug Ihr Benehmen war verdaumlchtig es war Vor-zeichen eines groszligen Unheils Sie waren etwa den Haustieren aumlhnlichwenn sie vor einem Erdbeben hastig hin und her huschen Und sie hat-ten gute Kundschafter in der ganzen Welt welche sie uumlber die ihnendrohende Gefahr rechtzeitig informierten Uns sagten sie daruumlber nichts

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angeblich zogen sie in ihr Juumldisches Autonomes Gebiet im Fernen Ostenbei Birobidshan wo sich die Fuumlchse Gute Nacht sagen und wohin bis-her nicht einmal Praumlmien auch nur einen einzigen Juden hatten anlok-ken koumlnnen

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Sonntag Ratsversammlung wegen der Taktik fuumlrdie naumlchste Zeit Kampf gegen den Typhus Mittagessen Statuten derVersorgungsanstalt und der Produktionswerkstaumltten Nm um 1 Eroumlff-nung einer Kuumlche fuumlr die Beschaumlftigten der ZentraleEin Extrablatt uumlber den Krieg mit den Sowjets Man wird jetzt am Tagarbeiten muumlssen und nachts werden sie einen vielleicht nicht schlafenlassen

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau) Der polnische Haumlftling Helmut Wegner (Nr 6752) wird von der Sipound dem SD aus Warschau nach erneuter Vernehmung eingeliefert

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen dadie Nacht ist da daszlig was geschehrsquoEin Schiff ist nicht nur fuumlr den Hafen daes muszlig hinaus hinaus auf hohe SeeBerauscht euch Freunde trinkt und liebtund lacht und lebt dem schoumlnen AugenblickDie Nacht die man in einem Rausch verbrachtbedeutet Seligkeit und Gluumlck

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lt661 Montag 23 Juni 1941 1415gt

So jemand spricht Ich liebe Gott undhasset seinen Bruder der ist ein LuumlgnerDenn wer seinen Bruder nicht liebt dener sieht wie kann er Gott lieben den ernicht siehtherrnhut 1 joh 420

Albert Camus 1913ndash1960 Algerienlaquohellip und nichts als nur Stoumlhnen fuumllltrsquo Und Schmerzgeschrei weithindas Meereswogen bis Der schwarze Blick der Nacht das Schrecklichebegrubraquo (Die Perser Schlacht von Salamis)

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen 1884ndash1945 ChiemgauEs geschah gestern an einem glutheiszligen Tage daszlig ich im Morgengrau-en das Empfangsgeraumlt aufdrehte und zu meiner Uumlberraschung HerrnGoebbels houmlrte der gerade dem Verbuumlndeten von gestern den Krieg er-klaumlrte Tief betroffen drehte ich ab Es ist durchaus moumlglich daszlig diesernun anhebende neue Krieg auch mich meine Habe mein physischesLeben meine Kinder verschlingt es ist durchaus moumlglich daszlig ich in denStrudel dieses letzten Hitlerschen Geniestreiches hinabgezogen werde hellipTrotzdem war meine erste Reaktion ein wilder Jubel Dieses Volk andessen innersten tief verborgenen und kaum mehr sichtbaren Kern ichunentwegt glaube geht einer gigantischen und heilsamen Subtraktions-kur entgegen die es von ekelhaften Schwaumlren befreien und es sei esdurch unsaumlgliches Leiden lehren wird an andere Goumltter zu glaubendenn an die unheilige Deutsche Dreieinigkeit von Krupp Roumlchling undVolksempfaumlnger Der Satan der sich seiner bemaumlchtigt hat ist in seinemungeheueren Uumlbermut in die Schlinge gegangen und nie wird er aus ihrsich befreien koumlnnen Dies ist das Fazit und es macht daszlig mein Herzjubelt Ich hasse dich hellip ich hasse dich im Schlafen und im Wachen ichhasse dich als den Verderber der Seelen ich hasse dich als den Verderberdes Lebens ich hasse dich als den geschworenen Feind des Menschen-lachens hellip oh es ist der Todfeind Gottes den ich in dir hasseIn jeder deiner Reden verhoumlhnst du den Geist den du mundtot gemacht

hast und vergiszligt daszlig der einsam gedachte hellip in aller Leidenschaftgedachte Gedanke toumldlicher wirken kann als alle deine Folterappara-turen hellip Du bedrohst jeden Widersacher mit dem Tod aber du vergiszligtdaszlig unser Haszlig als toumldliches Gift in dein Blut schleicht und daszlig wirjauchzend sterben wofern wir nur dich mit uns in die Tiefe ziehn koumln-nen durch unseren Haszlig Mag das Leben sich erfuumlllen in diesem Zei-chen mag es untergehn in dieser Aufgabe Im Schoszlig des Volkes das duheute uumlberfaumlllst wurde ein Wort geboren und ich schreibe es auf in die-ser Stunde da es dir so gilt wie uns Wenn sie Gott von der Erde ver-bannen so werden wir unter der Erde ihm begegnen Und dann werdenwir die unterirdischen Menschen einen Trauergesang anstimmen zuGott der die Freude ist

John Colville 1915ndash1987 LondonDer Premierminister bruumltet nun uumlber der Idee wie man in Frankreichlanden koumlnnte waumlhrend die Deutschen in Ruszligland engagiert sind Nunsei die Gelegenheit gekommen sagte er laquoHoumllle zu spielen waumlhrend dieSonne scheintraquo

Julien Green 1900ndash1998 BaltimoreVorgestern um elf Uhr abends drehte ich am Knopf des kleinen Ra-dios das in meinem Zimmer steht und houmlrte die letzten Worte Hitlersan seine Heere die unterwegs nach Ruszligland sind Sehr erstaunt trotz derGeruumlchte die in den letzten Tagen umgegangen sind Es gibt Leute dieglauben daszlig Deutschland Ruszligland schlagen koumlnnte ich jedoch moumlch-te glauben dass Ruszligland lange Widerstand leisten wird Auf jeden Fallgibt das England eine Verschnaufpause

Joseph Goebbels 1897ndash1945 BerlinDer Aufruf des Fuumlhrers wird in der ganzen Welt woumlrtlich wiederge-geben London sagt vorlaumlufig Hitler ist wahnsinnig und verweist dabeiauf das Beispiel Napoleon das auch Molotow anfuumlhrte Damit muumlssenwir uns noch auseinandersetzen Einige englische Stimmen rufen auchzur Vernunft und legen dar was England verliert wenn wir die Ukrai-ne erobern USA verlegt sich aufs Schimpfen das tut aber bekanntlichnicht weh Wenn wir siegen haben wir recht Aus Japan noch keineStellungnahme [hellip]Die spanische Presse geht ganz groszlig ins Zeug Ebenso die schwedische

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Es macht sich so etwas wie Kreuzzugsstimmung in Europa breit Daskoumlnnen wir gut gebrauchen Aber nur nicht so sehr auf der Parole laquofuumlrdas Christentumraquo herumreiten Das ist doch etwas zu heuchlerisch [hellip]Jede Minute fast kommen neue Nachrichten Meistens recht erfreulicheBis zur Stunde 1100 russische Flugzeuge vernichtet Das ist ein Schlagins Kontor Brest [-Litowsk] genommen Alle Tagesziele erreicht Bis-her keine Komplikationen Wir koumlnnen sehr beruhigt sein Das Sowjet-regime wird wie Zunder auseinanderbrechen [hellip] Der Besuch Pavolinisverlaumluft sehr angenehm Wir verleben einen schoumlnen und anregendenAbend Wochenschau vor ihm bearbeitet Er und seine Leute staunennur so Es wird wieder sehr spaumlt Schlaf ist in letzter Zeit fuumlr uns ein Lu-xus geworden

Reichspressestelle der NSDAP BerlinTagesparoleDie Churchillrede sowie weitere vorliegende Stellungnahmen aus eng-lischer Quelle sind in allen jenen Punkten aufzugreifen die die Fest-stellungen des Fuumlhrers uumlber das Zusammenspiel Moskaus und Londonsunter Beweis stellen

Sicherheitsdienst der SS (Berlin)Geheimer LageberichtDie Einleitung der Proklamation des Fuumlhrers mit den Praumlludien vonLiszt und der neuen Fanfare sei als sehr wirksam angesehen worden [hellip]Mit groszliger Zustimmung werde die rasch einsetzende Bildberichter-stattung der Presse aufgenommen Dabei interessierten vor allem dieBilder auf denen die ersten russischen Gefangenen zu sehen waren

Heinrich Himmler 1900ndash1945 Berlin1545ndash1715 Tennis

Ruth Andreas-Friedrich 1901ndash1977 BerlinPuumlnktlich auf die Minute hat er angefangen Der laquoaufgezwungeneraquo Blitz-krieg gegen Ruszligland Fast am gleichen Tage wie Napoleon vor hundert-neunundzwanzig Jahren haben unsere Soldaten den Njemen uumlberschrit-ten Die Propaganda darf dort wieder anknuumlpfen wo sie im September1939 jaumlh abbrechen muszligte Kampf gegen den Bolschewismus Siche-rung Europas vor sowjetischer Bedrohung

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laquoDeutsches Volk ndash Nationalsozialistenraquo spricht Hitler laquoVon schwe-ren Sorgen bedruumlckt zu monatelangem Schweigen verurteilt ist nundie Stunde gekommen in der ich endlich offen reden kannraquo Er redetviel und lange Daszlig der deutsch-russische Pakt durch Moskau gebrochenworden sei Daszlig er es so gut gemeint und daszlig man ihn so boumlse hintersLicht gefuumlhrt habe

Hilde Wieschenberg 1910ndash1984 DuumlsseldorfMein lieber Franz unser guter PapiHeute am Sonntag kam diese furchtbare Nachricht daszlig Ruszligland mitDeutschland im Krieg stehtLiebes wohl tausendmal haben Dich immer meine Gedanken gesuchtDie Kinder habe ich unter Traumlnen in meine Arme genommen und diekleinen Geschoumlpfe gefragt Wo ist unser Vater bekommen wir wohl mor-gen die heiszligersehnte PostWas nuumltzt der strahlende Sonnenschein drauszligen ich muszlig doch wissenwie es unsrem Besten und Liebsten was wir in der Welt besitzen gehtob er in Gefahr istUnsere Gebete steigen noch inniger zum HimmelGott beschuumltze Dich Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagenImmer Deine Hilde Annemi und Hildchen

Grete Doumllker-Rehder 1892ndash1946 StuttgartDer siebte Krieg in 112 Jahren Polen Norwegen Holland-BelgienFrankreich Afrika Jugoslawien-Griechenland Nun unser Volk ist sogeduldig und so stark Es nimmt auch den Krieg gegen Russland nochauf sich Daszlig wir auch dort siegen bezweifelt niemand Aber Tote undVerwundete wird es wieder geben Unsere Jugend blutet Die jungenMaumlnner fallen die Maumldchen kriegen keine Maumlnner die Enkel bleibenungeboren immer die gleiche schreckliche Rechnung der Kriege ndashVon Sigfrid natuumlrlich noch nichts Meine Trauer laumlszligt nicht nach abermeine Festigkeit nimmt zu ndash Er lebt und ich bete fuumlr ihn das wird ihnschon erreichen

Der Leutnant Iwan Tschernow 1920 UkraineDer Krieg kam fuumlr mich wie auch fuumlr die meisten meiner Mitbuumlrger wieein Blitz aus heiterem Himmel Es war zwar viel uumlber einen bevorste-henden Krieg gemunkelt worden Man sprach uumlberall von den deutschenTruppenzusammenziehungen an der deutsch-sowjetischen Grenze unddaszlig der deutsche Uumlberfall unvermeidlich sei Doch am 13 Juni 1941 folg-

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te eine TASS-Erklaumlrung die in allen Zeitungen veroumlffentlicht wurde unddiese laquoGeruumlchteraquo dementierte Und wir glaubten damals unserer offi-ziellen Propaganda jedes ihrer Worte Wir wuszligten auch nichts uumlber dieheimtuumlckischen Plaumlne Hitlers der wie es sich spaumlter zeigte danach streb-te daszlig laquowestlich des Urals kein fremdes Militaumlr existiertraquo Wir wuszligtenauch nichts davon daszlig laquobei sechs Wochen gutem Wetter Ruszligland vonDeutschland liquidiert worden waumlreraquo Und unser Land half Hitler beider Ausfuumlhrung seiner Plaumlne taumlglich rasten geheime Eisenbahnzuumlge mitKautschuk-Lieferungen aus Suumldostasien mit unserer transsibirischenEisenbahn nach Deutschland hellipAls einer der besten Schulabgaumlnger (Goldmedaille) und aktiver Kom-somolze hatte ich mich 1939 an der Offiziersschule fuumlr Infanterie inOdessa bewerben koumlnnen Im Fruumlhjahr 1941 wurde unsere Offiziers-schule nach Wolsk bei Saratow verlegt An den Grund dieser Verlegungdachte niemand damals Wir wuszligten auch nichts uumlber die zahlreichengeheimen Offiziersschulen in der Sowjetunion in denen Kommandeurealler Raumlnge hastig ausgebildet wurdenAm 15 Juni wurden wir etwa 1600 Offiziersanwaumlrter zu Leutnantsbefoumlrdert frisch und sauber uniformiert in einen Eisenbahntransportverladen und nach Luzk in der Westukraine zum weiteren Dienst imBestand der 5 Armee in Marsch gesetzt Unterwegs sangen wir Liederund traumlumten vom Offiziersleben Die meisten von uns waren ja erst 20 Jahre altGegen Nachmittag des 21 Juni 1941 kam unser Zug in Zdolbunow beiRowno an Am naumlchsten Morgen sollten wir mit einem Autotransportder 5 Armee weiterbefoumlrdert werden Ein warmer Abend am sommer-lichen Samstag Ein Zug mit 1600 jungen Leutnants in einem westukrai-nischen Staumldtchen Knirschende Sohlen glaumlnzender Chromlederstie-fel blaue Breecheshosen helle Rubinwuumlrfel in den Kragenspiegeln derneuen Uniformblusen Tellermuumltzen mit himbeerfarbenen Muumltzenraumln-dern Die Maumldchen der Stadt waren von allen Seiten herbeigeflogenMusik Tanz zu Ziehharmonikaklaumlngen Lachen Knabbern von Son-nenblumenkernen Kichern und erregtes Schnaufen im Gebuumlsch nachdem Dunkelwerden Lange wurde gefeiert es wimmelte auf dem Bahn-hofsgelaumlnde wie in einem Bienenstock Erst gegen Mitternacht stiegenwir wieder in unsere Waggons und legten uns schlafenKurz danach wurden wir von Bombenexplosionen aufgeschreckt Wirwaren voumlllig uumlberrascht Schlaftrunken meist in Unterwaumlsche sprangenwir aus dem Zug auf die Gleisanlagen und rannten in Angst davonEinige Wagen standen schon in Flammen und unsichtbare Flugzeuge

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warfen weitere Bombenserien ab Manche von ihnen gaben im Tieffluglange Garben aus ihren Maschinengewehren ab In einem Haufen mitKameraden fiel ich aus dem Wagen hinaus die Stiefel und meine Kom-mandeurtasche in den Haumlnden haltend und lief barfuszlig uumlber die Gleisezu einem Waumlldchen von wo herzzerreiszligende Schreie zu vernehmenwaren Dort sah ich ein Maumldchen mit blutigen Haumlnden Es weinte lautum einen jungen Leutnant von uns der wahrscheinlich durch einenBombensplitter getoumltet worden war In etwa 10 Metern Abstand rauch-te ein tiefer Bombentrichter Das war die letzte Liebesnacht eines Ab-truumlnnigen dachte ich in jenem Augenblick hellipDie Flugzeuge waren nach etwa einer Viertelstunde wieder weg DerBahnhofsvorsteher und Leute von der Kommandantur am BahnhofZdolbunow waren gekommen es wurden Kommandos gegeben aberihnen folgten nur wenige Viele waren einfach fassungslos und irrten wieMondsuumlchtige auf dem Bahngelaumlnde umher Die Bilanz dieses heim-tuumlckischen Bombenangriffs war schrecklich wir verloren in wenigenMinuten uumlber 200 Kameraden Viele andere waren verwundet Und wirwuszligten uumlberhaupt nicht was wir unternehmen sollten Keine vorge-setzten Offiziere waren zu sehen nur General Wirrwarr herrschte Dasschlimmste war aber daszlig durch einen Volltreffer unser Waggon mit derReiseverpflegung zerstoumlrt worden war Wir hatten nichts um unserenHunger zu stillen Endlich zeigte sich ein unbekannter Major der sich alsverantwortlicher Offizier des Korpsstabes aus Rowno vorstellte Er hat-te auch keine Ahnung was in dieser Nacht geschehen war Er sagte nurdaszlig auch Rowno aus der Luft angegriffen worden sei Rowno war nur12 km entfernt Er lieszlig unsere Leutnantsabteilung antreten und im Fuszlig-marsch muszligten wir jetzt nach Rowno gehen Wir waren gerade in einDorf gekommen da sahen wir eine Menschenmenge um eine Rundfunk-lautsprechersaumlule stehen wir stellten uns dazu und ploumltzlich wurde unsdie bittere Wahrheit klar Der Deutsche hatte uns heimtuumlckisch wie eingemeiner Raumluber uumlberfallen Und wir hatten so viel Wert auf den Nicht-angriffspakt mit Deutschland vom August 1939 gelegt Wir wuszligten janicht daszlig Hitler schon am Vorabend der Unterzeichnung des Vertra-ges vor seinen houmlchsten Generaumllen auf dem Berghof gesagt hatte FuumlrDeutschland bedeute der Vertrag neben einer ungeheuren wirtschaft-lichen Staumlrkung eine voumlllige Wende seiner Auszligenpolitik [hellip] Nachdemdie politischen Vorbereitungen getroffen worden sind sei jetzt der Wegfuumlr den Soldaten frei Das habe ich leider erst 1946 in Wien gelesenIn Rowno wurden wir auf dem Kasernengelaumlnde verpflegt und mitneuen Marschbefehlen muszligten wir uns dann nach Luzk zum Armee-

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stab begeben wieder zu Fuszlig Luzk lag ja in der Naumlhe der neuen Staats-grenze Und da war schon Groszlig und Klein im Aufbruch begriffenTrecks mit den ersten Fluumlchtlingen in Richtung Osten Unsere Truppebezog in Marschkolonnen eilig die vorbereiteten Stellungen in denAufmarschraumlumen Uumlber dieser ungeheueren Voumllkerwanderung krei-sten wie Geier ungestraft die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe Nachden fast pausenlosen Luftalarmen als wir wie Schaben auseinanderlau-fen muszligten um Deckung zu finden war von unseren neuen Uniformennicht viel uumlbrig Und dazu sehr heiszliges Wetter Ohne Trinkwasser ginges auszligerdem ganz schlechtIn Luzk wurden wir fast alle als Zugfuumlhrer eingesetzt sofort bei derkaumlmpfenden Truppe Wir waren doch alle in der Paradeuniform Feld-anzuumlge hatten wir nicht und niemand kuumlmmerte sich nun darum Esgab viel wichtigere Dinge Unsere Truppe zog sich kaumlmpfend zuruumlckund der Feind gewann taumlglich neues Gelaumlnde das wir kaum verteidigenkonnten Nach unserer Vorschrift muszligten die Kommandeure wie Zug-fuumlhrer oder Kompaniechefs immer an der Spitze ihrer Abteilungen insGefecht ziehen Auf diese Weise machten die Deutschen unsere frisch-gebackenen Leutnants in Tellermuumltzen ruhig wie am Schieszligstand niederSo war fast die Haumllfte unseres Jahrgangs in den ersten Kaumlmpfen ruhmlosgefallen Im ersten Kampf habe ich meine Offiziersmuumltze weggeschmis-sen und bei einem gefallenen Soldaten aus meinem Zug seine Feldmuumltzesamt dem Stahlhelm laquorequiriertraquo Ich verstieszlig auch oft gegen die Vor-schrift ich nahm meine Stellung immer dort von wo ich meine Solda-ten am besten fuumlhren und befehligen konnte Vielleicht gelang es mirdeshalb uumlber einen Monat unversehrt an den muumlhevollen und haumlrte-sten Kaumlmpfen teilzunehmenUnd die Kaumlmpfe wurden von unserer Truppe hintereinander verlorenDie Deutschen waren uns durch den Uumlberraschungseffekt weit uumlber-legen Sie hatten auch bessere Waffen und Transportmittel und was aus-schlaggebend war ihre Fuumlhrung war unvergleichbar besser Das galt vorallen Dingen fuumlr die deutschen UnteroffiziereSchon bei unserem Fuszligmarsch nach Luzk am ersten Kriegstag sahenwir durchgesaumlgte Masten mit abgerissenen Telefonleitungen an der Stra-szlige liegen Erst spaumlter erfuhren wir daszlig diese Zerstoumlrungen durch dielaquofuumlnfte Kolonneraquo der Deutschen im Interesse der angreifenden Trup-pe durchgefuumlhrt worden waren um die Fuumlhrung innerhalb der RotenArmee zu desorganisieren Wir hatten ja viele ehemalige Mitbuumlrger alslaquoHeim-ins-Reich-Kehrenderaquo Hitler am Vorabend des Krieges fuumlr die-se Zwecke laquogeschenktraquo Sie kannten sich bei uns wie in ihrer Westen-

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tasche aus konnten akzentfrei russisch In der Uniform der Roten Ar-mee richteten sie viel Schaden an Ohne Verbindungen und deshalbauch ohne Fuumlhrung war die Rote Armee dem Untergang geweiht Ichdenke heute oft daruumlber nach was uns damals Kraft gab standzuhal-ten Und ich finde keine Antwort auszliger unser historisch bedingtes sla-wisches Unabhaumlngigkeitsgefuumlhl Lieber tot als unterdruumlckt leben

Iwan Seliwanow 1924 bei KasanDie Nachricht vom Kriegsausbruch am 22 Juni 1941 uumlberraschte michin einem tatarischen Dorf an der Wolga fluszligabwaumlrts in der Naumlhe vonKasan Jung und dumm waren wir damals Jeder von uns wollte zumMilitaumlr einberufen werden und wir alle strebten an die Front Wir hat-ten Angst der Krieg koumlnnte ohne uns zu Ende gehen und wir wuumlrdendann nichts von jener glorreichen Zeit erleben Dabei wurden die raf-finiertesten Tricks ausgedacht Ich war nicht so geschickt aber ganzschlau war ich auch Auf diese Weise hat man mir in meiner als Dupli-kat ausgestellten Geburtsurkunde ein Jahr zugegeben ich war also 18geworden und konnte schon eingezogen werden Da ich ausgerechnetvor dem Kriegsausbruch das Abitur gemacht hatte schickte man michzu einem Lehrgang wo angeblich Fallschirmjaumlger fuumlr den Kampf imfeindlichen Hinterland ausgebildet wurden

Der General Franz Halder 1884ndash1972 FuumlhrerhauptquartierDie Morgenmeldungen 236 und abschlieszligenden Tagesmeldungen des226 die waumlhrend der Nacht einlaufen ergeben das Bild daszlig mit demVersuch des Feindes gerechnet werden muszlig sich abzusetzen HGrNord nimmt sogar an daszlig der Entschluszlig hierzu beim Feind schon vor4 Tagen gefallen sei

Der Unteroffizier Kurt Kraumlmer 1912ndash1945 im OstenMeine liebe Leni Klaus und ElkeMir geht es sehr gut Mein Geschuumltz war zuerst uumlber den Grenzbachohne Bruumlcke und ohne Boot Jetzt sind wir schon tief in Feindes LandDu brauchst Dich nicht zu aumlngstigen ich lebe noch und bin immernoch feste dabei

Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienGestern um 315 Uhr ging der allgemeine Rummel los Wir lagen in ei-nem Wald als Divisionsreserve und warteten dauernd darauf daszlig My-riaden von Flugzeugen erscheinen wuumlrden und die Ari nur so losbal-

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lerte Stattdessen ab und zu ein Klacks von einem Abschuszlig Sonst ziem-lich ruhig Um 6 Uhr zogen wir los Major Warnecke vorneweg auf sei-nem Gaul mit einem franzoumlsischen Stutzen wie Tom Mix [Westernheld]Um 8 Uhr liefen uns schon die ersten 6070 Gefangenen entgegen Wirwaren restlos fertig Das fing ja gut an Bis dahin war noch kein einzi-ges russisches Flugzeug zu sehen Ab und zu nur ein deutsches Die Ge-fangenen hatten erdbraune Uniformen mit roten Kragenstreifen Sonstnichts Keinen Sowjetstern oder soInzwischen hatte das Rgt seine ersten Toten die wir spaumlter ganz gelbund mit blutigen Verbaumlnden neben offenen Graumlbern am Wegrand liegendvorfanden Ein Radfahrspaumlhtrupp des Radfahrzuges Das I Btl brachdurch die Bunkerlinie d h es umging die Bunker Das 2 Nachbarrgt(NR) hatte ziemlich geringe VerlusteWir kamen uumlber die deutsch-russische Interessengrenze Laumlngs ihr hoheHolzbeobachtungstuumlrme wie einst am Limes Am Morgen noch war hiergekaumlmpft worden jetzt am Nachmittag weidete hier schon irgend so einschmieriger Bauer seine Kuumlhe In der Ferne Rauchwolken Diese leich-ten Holzhaumluser brennen ja ohne weiteresNachts bei der Wache Feuerschein am Himmel Ab und zu dumpfesRumsen Man konnte deutlich den Abschuszlig unterscheiden das Quiet-schen des Fluges und den Aufschlag aber den erst nach einiger Zeit EineLeuchtkugel blinkte kurz auf ein Flieger brummte uumlber uns hinweg

Der Assistenzarzt Dr Hermann Tuumlrk 1909ndash1976 Brest-LitowskNaumlchsten Morgen geht es uumlber den Bug Die Bruumlcke war durch Hand-streich in unsere Haumlnde gefallen Die Sowjets haben nach kurzem Wi-derstand das Feld geraumlumt Wenige Kreuze zeigen daszlig unsere Verlustesehr gering sind Im Bahnhof Koden liegen schwerverwundete RussenKeiner kuumlmmert sich um sie Einer hat seine ganzen Eingeweide zwi-schen den Knien und ndash raucht Das scheint wirklich ein tolles Volk zusein Das kann ja gut werdenStradecz ist voumlllig zerstoumlrt Von den Katen ist nur noch der Schornsteinuumlbrig geblieben Alles andere nur ein kleiner schwelender Aschehau-fen ndash In gluumlhender Hitze geht es weiter Ich treffe Oberzahlmeister Juumlr-ges und Fiete Albrecht Sie verdursten bald Ich kann ihnen helfen ndashPloumltzlich wird Jenter mein Fahrer gelb und dann weiszlig Dicker Schweiszligtritt ihm auf die Stirne Er faumlllt nach vorne Ich lege ihn in den Graben ndashEr hatte den ersten zerfetzten russischen Toten am Straszligenrand liegensehen Daran muszlig er sich eben auch erst gewoumlhnen ndash Ich fahre dannmeine Maschine selbst

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Brest-Litowsk Um die Zitadelle wird noch gekaumlmpft Heckenschuumlt-zen schieszligen noch aus den Haumlusern sonst ist es ziemlich ruhig Dannrauschen einige Panzer heran knallen in die Haumluser und schieszligen allesVerdaumlchtige zusammenIn den Kasernen um Brest-Litowsk das uumlbliche Bild der Verwuumlstung8 Russen werden kurz umgelegt weil sie versucht haben Sabotage zutreiben Keiner kuumlmmert sich um sie Die Kompanie zieht im Offi-ziersheim ein Die Zimmer sehen toll aus Die Kasernen sind fabelhaftmodern Die Panzerwerkstaumltten koumlnnen sich glatt mit unseren messenDas will schon was heiszligen Die Russen sind eiligst getuumlrmt In denOffiziers-Zimmern stehen noch fertiggeschmierte Broumltchen usw Alleshaben sie zuruumlckgelassen Wir gehen die vielen Zimmer durch und neh-men was fuumlr die Mannschaften und fuumlr uns von Wert ist Das beste sinddie Ledersachen ndash Herrlich In jedem Zimmer finden wir neben denstinkenden und dreckigen Sachen Parfuumlm und Puder Im Gegensatz zuden Franzosen hier keine Schmutzfinkereien und geil aufgemachte Bil-der und Magazine Dagegen scheint es so daszlig viele Frauen mit denOffizieren und Funktionaumlren schlafen

Alexander Cohrs 1911ndash1996 UkraineUumlber diesen Tag habe ich keine sofortigen Aufzeichnungen gemachtDas lag daran daszlig wir hier auf die vordere russische Verteidigungsliniestieszligen und sie zu uumlberwinden hatten Sie bestand aus Panzern aumlltererBauart die so weit in die Erde eingegraben waren daszlig nur die drehbareKuppel uumlber Bodenhoumlhe war Jeder normal ausgebildete Soldat arbei-tet sich an diese Widerstandsnester heran indem er jede nur moumlglicheDeckung ausnutzt Hier erlebte ich zum ersten Mal wie sich die natio-nalsozialistische Erziehung auswirkte So griff der Hitlerjugend-Gau-leiter Hans Voumllmcke aus Dortmund Lehrer und ehemals deutscher Mei-ster im Weitsprung einen dieser eingegrabenen Panzer an indem er mitKarabiner stehend freihaumlndig auf ihn schoszlig und weiter auf ihn zugingJeder andere unter uns wuszligte daszlig man mit einem Karabiner houmlchstenseinen moralischen Effekt bei der Panzerbesatzung erzielen konnte etwain der Art von sehr lautem Anklopfen Vor seinem Tode rief er noch nacheinem Sanitaumlter Der kam auch aber es war keine Deckung da und sostarb auch der Sanitaumlter der aus der Deckung hinter der er mit mir zu-sammen hockte heraussprang ohne Voumllmcke noch zu erreichen Es warEmil Klimaschewski aus Strasburg in der Uckermark Kaumlsefabrikant undVater von fuumlnf Kindern

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Ernst-Guumlnter Merten 1921ndash1942 GalizienInzwischen sind wir ein ganz schoumlnes Stuumlck vorangekommen Manschreibt eben wenn man gerade Zeit hat Und die haben wir jetzt inbetraumlchtlicher Menge Das Btl ist angehalten worden Wir liegen aufeinem Bauernhoumlfchen und haben eben eifrigst Milch und Buttermilchgetrunken Das war eben eine ganz schoumlne Tour Bergrauf bergrunter Das Land istnicht nur leicht wellig sondern hat betraumlchtliche HoumlhenunterschiedeWir kommen uns mit unsern Funk- und Fernsprechtornistern vor wiedie Maultiere bei den Gebirgsjaumlgern Und wie die Dromedare wennwir uns erheben Erst auf die Vorder- dann auf die Hinterbeine1555 Uhr Unser 1 Feuergefecht Wir liegen an einem Waldhang Russund dt Artillerie ist aufgefahren Der alte Drosten hat eben seine MGKlosprasseln lassen Tadellos das Geknatter des SMGrsquos Mit weiszligen Wol-ken streichen die Geschosse der Granatwerfer in die Houmlhe Dazwischender stumpfe Abschuszlig der InfanteriegeschuumltzeEben bin ich auf der Houmlhe gewesen Unten im Tale brennt ein GehoumlftUumlber den Houmlhen schwarze Wolkenschleier Auf einem Berghang Rus-sen Von uns knattern einige mit ihren Puumlstern los Alles ist schwer be-geistertEs ist mittlerweile 17 Uhr geworden So erstmal den Stahlkoks (Stahl-helm) absetzen Man kommt doch etwas ins Schwitzen Die Sonnescheint Doch weht zum Gluumlck ein kuumlhles Luumlftchen durch den Wald aufdessen gruumlnem Boden Sonnenkringel durch das Geaumlst der hohen Kie-fern fallen hellipVon Feldkuumlche und Verpflegungswagen werden wir sobald wohl nichtswiedersehen Na wir muumlssen uns eben selbst helfen So heute morgenMilch und Buttermilch Die Russen waren kurz vor uns stiften gegan-gen Da fanden wir nun ganze Kuumlbel voll dicker Milch und loumlffelten sieaus Dazu aszligen wir rundes Landbrot Von handgemahlenem Roggengesaumluertes Brot das Aumlhnlichkeit mit unserem Schwarzbrot hatte

Der Leutnant Georg Kreuter 1913ndash1974 am BugDas Regiment wartet noch bis auch die Fahrzeuge uumlbergesetzt sinddann geht es weiter vor Aufklaumlrungsabteilung und Panzer sind vornDesgleichen Guderian und Lemmelsen Die gestrigen Verluste betru-gen 1 Offizier 23 Mann Tote und 5 Vermiszligte (ertrunken) Auch einPanzer ist in den Bug gefallen und verloren Auszligerdem gab es noch 46 Verwundete ein hoher Prozentsatz davon wurde von eigener Artil-lerie getroffen Unsere Panzer haben bereits 100 feindliche Kampfwagen

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abgeschossen ohne einen eigenen Verlust Sie liegen augenblicklich festda sie keinen Betriebsstoff mehr haben Betriebsstoffkolonnen gehenvor auch Ju 52 fuumlhren ihn heran Wir warten den ganzen Tag auf unse-ren Gef-Troszlig

Jochen Klepper 1903ndash1942 RumaumlnienDie Nacht verlief in voumllliger Stille Am Morgen houmlrte man Artillerie dain 40 km Entfernung von uns gekaumlmpft wird Die Russen haben einFlugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet Auch Pferde sind schontot Es wird wieder sehr schwuumll und heiszlig aber so sehr an aller Formfestgehalten wird gewaumlhrt man uns doch jede Erleichterung zumal nunzwei Stunden taumlglich kriegsmaumlszligige Uumlbungen abgehalten werden muumls-sen was mir meiner Luumlcken wegen sehr wichtig istDer Adjutant spricht mit mir uumlber das laquoKyrieraquo voll der waumlrmsten An-erkennung und sagt daszlig er sich in allem was in den Liedern ausgesagtsei in voumllliger Uumlbereinstimmung mit mir befinde ndash Ist nicht dort woich fromme Offiziere und Kameraden finde zwei oder drei in laquoSeinemNamenraquo schon der Ort zu dem der Engel mich geleiten soll und der mirvon Gott bereitet ist Aber wird dieser Eindruck standhalten Nach-mittags umwoumllkt aber keine Linderung der Schwuumlle Spaumlter schwererRegenguszlig Im Sonnenuntergang in fahlem Gold mitten eine steile graueWolkeFriedliche kleine Trinkrunde in unserem AutobusNeben unserer Division kaumlmpfen zwei rumaumlnische Divisionen vondenen die eine nur 30 km von hier entfernt den Russen nicht standge-halten hat

Der Oberstabsarzt Dr Willi Lindenbach dagger1974 GummersbachAm Abend klappte es mit dem Springen ganz ausgezeichnet Ich er-reichte 470 mtr Abends war eine Geburtstagsfeier im Hause SchleierHerr Schleier hatte Geburtstag Es gab eine fabelhafte Bowle nur dieganze Sache dauerte leider bis nachts um 1 Uhr was mir umso unange-nehmer war da ich ja morgens zum Sportspringen nach unten will Nawer 470 mtr springt schafft auch 475 mtr

Der Leutnant P G im OstenIch sage voraus daszlig in vier bis fuumlnf Wochen die Hakenkreuzfahne aufdem Kreml in Moskau wehen wird daszlig wir noch in diesem Jahr im An-schluszlig an Ruszligland uns den Tommy vorknoumlpfen werden Es ist ja schlieszlig-lich kein Geheimnis wie ob und daszlig man in vier Wochen mit unserer

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unschlagbaren Wehrmacht nach Moskau kommt Luftlinie sind es dochvon Suwalki nur 1000 Kilometer Wir lassen uns nur noch auf Blitz-kriege ein und kennen nur noch den Angriff Ran ran und nochmalsran unter Mitarbeit der schweren Waffen Feuer Pulver Eisen Bom-ben und Granaten das alles dem Russen an den Kopf das genuumlgt umihn den laquoschnellstenraquo Soldaten der Welt zu nennen

Der Unteroffizier A N Fliegerhorst Lyon Jetzt hat die Judenheit uns auf der ganzen Linie von einem Extrem biszum anderen (von den Londoner und New Yorker) Plutokraten bis zuden Bolschewiken den Krieg erklaumlrt Alles steht in einer Front gegenuns was judenhoumlrig ist Die Marxisten kaumlmpfen Schulter an Schultermit der Hochfinanz wie vor 1933 in Deutschland Und in Deutschlandhat der Nationalsozialismus gesiegt Jetzt hat Churchill seinen groumlszligtenTrumpf ausgespielt Aber ich glaube felsenfest daszlig der Fuumlhrer nocheinen groumlszligeren hat Wir sind ja den Roten durch unseren Praumlventiv-Angriff schon wiederum eine Nasenlaumlnge voraus Und auch die zaumlhen und tapferen Finnenkaumlmpfen mit uns Wenn Du vielleicht denken magst bei uns waumlre allesin jubelnde Begeisterung ausgebrochen dann ist das irrig Wir wissen jaselbst genau was auf dem Spiel steht und daszlig das einer der entschei-dungsvollsten Waffengaumlnge ist ja vielleicht wenn er siegreich ausgehtder entscheidende Ich meine daszlig England erst dann den Mut verlierenkoumlnnte

Ilja Ehrenburg 1891ndash1967 MoskauAm zweiten Kriegstag rief man mich ins PUR und bat mich ein Flug-blatt fuumlr die deutschen Soldaten zu verfassen hellip ich wuszligte daszlig es meinePflicht sei das wahre Gesicht des faschistischen Soldaten zu zeigen dermit gepflegter Hand in ein schoumlnes Schreibheft blutruumlnstigen aberglaumlu-bischen Unsinn uumlber seine rassische Houmlherwertigkeit eintraumlgt scham-lose moumlrderische Worte die jeden Wilden erroumlten lassen wuumlrden Ichmuszligte unsere Maumlnner vor dem illusionaumlren Vertrauen auf die Klassen-solidaritaumlt der deutschen Arbeiter warnen vor der Hoffnung daraufdaszlig den Kriegern Hitlers das Gewissen schlaumlgt Es war jetzt nicht dieZeit in der vorruumlckenden Armee des Feindes nach laquoguten Deutschenraquozu suchen indes der Tod in unsere Staumldte und Doumlrfer einzog Ich schrieblaquoToumlte den Deutschenraquo

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Olga Freudenberg 1880ndash1955 LeningradGleich in der ersten Kriegsnacht vom 22 auf den 23 Juni gab es in derStadt Fliegeralarm Auf mich hatte er eine verheerende Wirkung DieUngeheuerlichkeit der Luftattacke ndash des Mordens aus der Luft ndash er-schuumltterte mich Ich lag da und konnte es nicht fassen nicht begreifennicht akzeptieren ndash dieses sonderbare Leben diese sonderbaren Men-schen die Tyrannen die sich stritten die Sprengstoffabriken die Bom-ben die auf die Betten schlafender Buumlrger Kinder und Greise geworfenwurden Es schuumlttelte mich das Herz blieb mir stehenDanach gab es noch haumlufig Fliegeralarm aber ohne BombardementDie Evakuierung von Leningrad wurde zu einem Schreckgespenst Nachden ersten tragischen schlecht organisierten Transporten reinen Kin-dertransporten wollten die Eltern weder abreisen noch ihre Kinder her-geben Die ganze Stadt war angsterfuumlllt wollte aber bleiben Weder dieIntelligenz noch die Masse des Volkes glaubte an ein Heil in weiter Fer-ne und die Reisebedingungen in den verlausten Guumlterwaggons warengrauenhaft Die Institutionen wurden jedoch bereits ausgesiedelt undzogen die dort arbeitenden Menschen nach sich So auch die Akademieder WissenschaftenAm allermeisten fuumlrchtete ich die Evakuierung der Universitaumlt

Der Minister Anastas Mikojan 1895ndash1978 MoskauGleich nach Ausbruch des Krieges als die deutschfaschistische Truppeauf dem Vormarsch war konnten viele Transporte mit Nahrungsmit-teln die nach einem Mobilmachungsplan der noch vor dem Krieg auf-gestellt worden war in die westlichen Gebiete des Landes rollten ihrenBestimmungsort nicht mehr erreichen weil einige Empfaumlnger in demschon vom Feind besetzten Gebiet lagen und die Besetzung der ande-ren Gebiete bevorstand So ordnete ich an diese Eisenbahntransportenach Leningrad umzulenken weil wir dort umfangreiche LagerraumlumehattenIch dachte dabei daszlig die Leningrader sich uumlber so einen Beschluszligfreuen wuumlrden und sprach deshalb dieses Vorgehen nicht mit ihnen ab Stalin wuszligte auch nichts davon bis A Shdanow ihn aus Leningrad an-rief Er sagte daszlig saumlmtliche Leningrader Nahrungsmittellager vollge-stopft seien und bat ihn keine Lebensmittel uumlber den Plan hinaus ansie zu schickenStalin informierte mich uumlber den Anruf von Shdanow und fragte michzugleich warum ich so viele Nahrungsmittel nach Leningrad schickenlieszlig

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Ich erklaumlrte ihm den Grund und fuumlgte hinzu daszlig unter Kriegsbedingun-gen Vorraumlte an Nahrungsmitteln besonders an Mehl in Leningrad nieuumlberschuumlssig sein wuumlrden vor allem da Leningrad Getreide immer ausdem Wolgagebiet eingefuumlhrt hatte und im Krieg Lieferungen von dorterschwert werden koumlnnten Was die Lagerung anbetraf war ich derMeinung daszlig in einer Groszligstadt wie Leningrad immer ein Ausweg zufinden waumlre Damals dachte niemand von uns daszlig Leningrad bald be-lagert werden wuumlrde Deshalb befahl mir Stalin keine Lebensmittel uumlberden Plan hinaus an die Leningrader ohne ihre Billigung zu liefern

Der Sergeant Pjotr Kasimirow 1920 Karelien ndash RshewDer 22 Juni 1941 war ein gewoumlhnlicher Sonntag die seelische Anspan-nung war seit einigen Wochen sehr groszlig deshalb waren wir nicht sosehr erstaunt als wir gegen Mittag im Rundfunk uumlber den Krieg mitHitlerdeutschland houmlrten Wir hatten mehrere Kampfsaumltze Munition fuumlrunsere Kanonen und waren auf jede Entwicklung der Lage gefaszligtErst am 26 Juni 1941 erklaumlrte Finnland der UdSSR den Krieg In Suumld-finnland stand uns die gegnerische Truppe unter Leitung von Feldmar-schall Mannerheim gegenuumlber Gegen die finnischen Divisionen die aufder Karelischen Landenge mit der Stoszligrichtung auf die finnisch-so-wjetische Grenze von 1939 aufmarschiert waren richteten wir heftigesFeuer unserer guten Kanonen Vielleicht gelang es deshalb dem Feindnicht die Grenze in Richtung Leningrad zu uumlberschreiten Und wirwuszligten daszlig auch eine deutsche Division in unserem Abschnitt einge-setzt war

Der Gefreite Roumlder KownoAm 23 6 1941 uumlberschritten wir bei Wirballen die deutsch-russischeGrenze Noch am gleichen Tage kamen wir spaumlt nachmittags in Kow-no an wo wir in einer russischen Kaserne deren Namen mir nicht be-kannt ist Quartier bezogen Waumlhrend der Fahrt durch die Stadt Kownonoch bevor wir unser Quartier erreicht hatten sah ich auf einem Platzinnerhalb der Stadt eine Menschenansammlung Ich hielt mein Fahrzeugan um nachzusehen was dort los sei Wegen der Menge der umherste-henden Personen und einer Mauer muszligte ich auf mein Fahrzeug klet-tern um den Schauplatz uumlberblicken zu koumlnnen Dabei sah ich dannwie von litauischen Zivilpersonen mit verschiedenen Schlagwerkzeu-gen auf eine Anzahl von Zivilisten eingeschlagen wurde bis diese kei-

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ne Lebenszeichen mehr von sich gaben Da ich nicht wuszligte warumdiese Personen auf solch grausame Weise erschlagen wurden fragte icheinen neben mir stehenden Sanitaumltsfeldwebel welcher mir persoumlnlichnicht bekannt war Er sagte mir die erschlagenen Personen seien alle Ju-den welche von den Litauern in der Stadt aufgegriffen und zu diesemPlatz gebracht worden seien Bei den Schlaumlgern handelte es sich um ent-lassene litauische Zuchthaumlusler Warum diese Juden erschlagen wurdenhabe ich nicht erfahren lch konnte mir damals auch keine eigenen Ge-danken uumlber Judenverfolgungen machen weil ich davon noch nichtsgehoumlrt habe Bei den zuschauenden Personen handelte es sich fast aus-schlieszliglich um deutsche Soldaten welche aus Neugierde dem grausamenGeschehen zuschautenAls ich damals zu dem Platz kam wo die Juden erschlagen wurden mouml-gen etwa 15 Leichen oder Schwerverletzte auf dem Platz gelegen habenEs waren etwa 5 entlassene litauische Zuchthaumlusler gerade dabei wei-tere Juden zu erschlagen Die Zuchthaumlusler trugen soweit ich sie erken-nen konnte teils weiszlige Oberhemden und dunkle Hosen teils dunkleTrainingsanzuumlge Da ich Fotoamateur war habe ich von diesem einma-ligen Ereignis auf meinem Fahrzeug stehend 2 Aufnahmen gemachtDa der Film gerade durchbelichtet war habe ich denselben dem Apparatentnommen um einen neuen einzulegen Im gleichen Augenblick wur-de ich von einem Wehrmachtsbeamten im Offiziersrang vermutlich einZahlmeister gestellt und darauf hingewiesen daszlig man von solchen Er-eignissen keine Aufnahmen machen duumlrfe Ich muszligte ihm meine Per-sonalien und meine Einheit angeben und er hat mir den Apparat abge-nommen Die Lichtbilder konnte ich nur dadurch retten daszlig ich denFilm bereits entnommen hatte Auf den von mir gefertigten Lichtbil-dern [hellip] sind deutlich 5 litauische Zuchthaumlusler zu erkennen welchedie Schlagwerkzeuge in den Haumlnden tragen und gerade auf die am Bo-den liegenden Juden einschlagen Teilweise sind auch noch Angehoumlrigedes litauischen laquoFreikorpsraquo abgebildet welche am linken Arm eine Arm-binde trugen Diese brachten laufend weitere Juden zu dem Platz wo sieebenfalls von den Zuchthaumluslern erschlagen wurden Die auf dem Bodenliegenden Juden waren nicht alle gleich tot Sie wurden nachdem sie zumPlatz gefuumlhrt waren ganz wahllos auf den Kopf oder ins Gesicht geschla-gen so daszlig sie zunaumlchst benommen waren und zu Boden stuumlrzten Dannwurde von den Zuchthaumluslern solange auf sie eingeschlagen bis sie keinLebenszeichen mehr von sich gaben Dann wurden wieder andere Judenzu dem Platz gefuumlhrt und diese auf die gleiche Weise ebenfalls erschla-gen Ich hielt mich insgesamt etwa 10 Minuten am Ort des grausamen

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Geschehens auf und ging dann weiter bzw setzte meine Fahrt fort So-lange ich mich an dem Platz aufhielt war ich Zeuge wie etwa 10 bis 15 Juden erschlagen wurden [hellip]Bevor sie erschlagen wurden haben die Juden gebetet und vor sich hin-gemurmelt Auch die schon auf dem Boden liegenden schwerverletztenJuden haben teilweise noch vor sich hingebetet

Claumlre Silbermann 1895ndash1942 PiaskiDistrikt LublinAn Margarethe LachmundIch habe auch reichlich zu tun denn seit wir nicht mehr in der Ge-meinschaftskuumlche essen habe ich vormittags mit der Kocherei zu tunweil es auf der kleinen Flamme des Petroleumkochers natuumlrlich langedauert Und dann habe ich meine Schulstunden jetzt von 123 bis 5 gelegtund nachher hat man mal zu naumlhen zu stopfen waschen einzukaufenoder es ist Verteilung oder Sitzung oder man hat zu schreiben Abendswird kein Licht gemacht und jeder von uns ist auch so hundemuumlde dasist ganz merkwuumlrdig und wohl ein Zeichen der zermarterten Nerven

Adam Czerniakoacutew 1880ndash1942 Warschauer GhettoMorgens Gemeinde Danach bei Auerswald Fuumlr den [Ordnungs-]Dienst arische Kontingente aber aus der GesamtzuteilungNach Mittag der erste Luftangriff auf Warschau Um 11 Uhr abends derzweite Alarm ndash wir gingen in den Bunker Widerspruumlchliche Nachrich-ten angeblich sind Brest [Litovsk] und Białystok eingenommen wor-den Das Megaphon sagt gar nichts

Danuta Czech (KZ Auschwitz-Birkenau)60 Haumlftlinge die von der Gestapo aus Oppeln eingeliefert worden sinderhalten die Nummern 17 270 bis 17 329 In dem Transport befindensich 43 Polen und 13 Juden

Good Bye Jonny Good bye Jonny Schoumln warrsquos mit uns zweirsquonaber leider aber leider kannrsquos nicht immer so seinGood bye Jonny Good bye Jonny Machrsquos mir nicht so schwerich muszlig weiter immer weitermeinem Gluumlck hinterherBricht uns auch heut das Herz entzweiin hundert Jahren ist alles vorbei

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lt662 Dienstag 24 Juni 1941 1414gt

Du laumlssest sie dahinfahren wie einenStrom und sind wie ein Schlaf gleichwie ein Gras das doch bald welk wirdherrnhut psalm 905

Ernst Juumlnger 1895ndash1998 ParisSeit nunmehr drei Tagen stehen wir im Kriege auch mit Ruszligland ndash selt-sam wie wenig die Nachricht mich ergriff Indessen ist das VermoumlgenFakten aufzunehmen in solcher Zeit begrenzt falls wir es nicht mit einergewissen Hohlheit tun

Werner Vordtriede 1915ndash1985 EvanstonVorgestern ist der deutsch-russische Krieg ausgebrochen der die un-heimliche und laumlcherliche Konstellation mit sich bringt England undSowjetruszligland zu Bundesgenossen zu machen und das vor kurzem nochso gehaumltschelte und flattierte Finnland zum Feinde der Demokratien

Harold Nicolson 1886ndash1968 LondonGehe zu Fuszlig mit Ned Grigg in den Beefsteak Club Er sagt 80 Prozentder Fachleute glauben Ruszligland werde binnen zehn Tagen k o seinIhnen gefaumlllt dieser neue Krieg keineswegs weil er Hitler groszlige Trium-phe bescheren und ihm ermoumlglichen werde seine ganze Streitmachtgegen uns einzusetzen

Thomas Mann 1875ndash1955 Pacific PalisadesHitler ruft die christlich-katholische Welt zur Sympathie mit seinemGesittungskriege auf Gigantisch Dennoch wird dem Luder viel verzie-hen werden und wenn nicht Englands stubborness waumlre muumlszligte manFrieden nach seinem Siege erwarten Er rechnet auf den groszligen Gefal-len den er der Welt erweist

John Colville 1915ndash1987 LondonEs hat doch etwas fuumlr sich wenn man uumlber einen gewissen Einfluszlig ver-fuumlgt Heute morgen wurde ich wegen Uumlberschreitung der zulaumlssigen

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