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330 Anhänge Anhang 2: Der protreptische Charakter von Paulinus' Epithalamium Aus den vorhergehenden Ausführungen ist bereits deutlich geworden, daß Paulinus von Nola in seinem Epithalamium eine besondere und für diese Gattung eher unübliche Haltung gegenüber dem Adressaten einnimmt: Sein Ziel ist es über weite Strecken, den Rezipienten zu belehren und zu einem christlichen oder sogar asketischen Leben anzuleiten. Der Frage, ob sich der lehrhafte Charakter des Gedichtes, den viele Forscher subjektiv bestätigen, 884 auch mit objektiveren Kriterien im Rahmen einer quantitativen Untersu- chung bestätigen läßt, ist dieser zweite Anhang gewidmet. Zu diesem Zweck wurden zuerst alle Verse in Paulins Epithalamium ermittelt, die eine direkte Anrede enthalten, und dann untersucht, wie viele von ihnen auch den Imperativ enthalten (Tabelle 2.1). In einem zweiten Schritt wurde festgestellt, wie viele Verse in diesem Gedicht den iussiven Konjunktiv enthalten, und sodann eine Quote in Bezug zur gesamten Anzahl der Verse ermittelt (Tabelle 2.2). Diese Untersuchung hat ergeben, daß der Eindruck eines Lehrgedich- tes, einer Predigt oder einer Diatribe, mit denen dieses Werk häufig vergli- chen wird, keineswegs auf rein subjektiven Kriterien beruht: Wie die Tabelle 2.2 zeigt, stehen von 241 Versen des Gedichtes 60 im iussiven Konjunktiv - genau 24,9 % des ganzen Werkes. Nimmt man noch die 26 Verse hinzu, in denen Sätze stehen, die den Imperativ enthalten (Tabelle 2.1.), so drücken im ganzen 86 von den 241 Versen des Gedichtes einen Befehl, einen Wunsch oder eine Aufforderung aus. Dies bedeutet eine Quote von 35, 7 %. Wie hoch der Anteil an auffordernden Äußerungen und damit der pro- treptische Charakter des Werkes ist, macht ein Vergleich mit Claudians Epithalamium fur Honorius und Maria deutlich: Von den 341 Versen von Hon.Mar. sind es nur 58, die einen Satz enthalten, der im Imperativ oder im iussiven Konjunktiv steht, also insgesamt 17% - ein um die Hälfte geringe- rer Anteil. Außerdem sind die betreffenden Stellen bei Claudian häufig Teil der mythologischen Handlung (wie etwa die lange Passage, in der Venus 884 Siehe ζ. B. Fabre, Amitie 209 (mit Bezug auf Jul.Tit. 41-144): "On re- connait ici un developpement particulierement eher aux moralistes chretiens....: theme plus ä sa place, assurement, dans un sermon que dans un "epithalame"!" Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/18/13 5:32 PM

Das Epithalamium in der lateinischen Literatur der Spätantike () || Anhang 2: Der protreptische Charakter von Paulinus' Epithalamium

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Page 1: Das Epithalamium in der lateinischen Literatur der Spätantike () || Anhang 2: Der protreptische Charakter von Paulinus' Epithalamium

330 Anhänge

Anhang 2: Der protreptische Charakter von Paulinus' Epithalamium Aus den vorhergehenden Ausführungen ist bereits deutlich geworden, daß Paulinus von Nola in seinem Epithalamium eine besondere und für diese Gattung eher unübliche Haltung gegenüber dem Adressaten einnimmt: Sein Ziel ist es über weite Strecken, den Rezipienten zu belehren und zu einem christlichen oder sogar asketischen Leben anzuleiten. Der Frage, ob sich der lehrhafte Charakter des Gedichtes, den viele Forscher subjektiv bestätigen,884

auch mit objektiveren Kriterien im Rahmen einer quantitativen Untersu-chung bestätigen läßt, ist dieser zweite Anhang gewidmet.

Zu diesem Zweck wurden zuerst alle Verse in Paulins Epithalamium ermittelt, die eine direkte Anrede enthalten, und dann untersucht, wie viele von ihnen auch den Imperativ enthalten (Tabelle 2.1). In einem zweiten Schritt wurde festgestellt, wie viele Verse in diesem Gedicht den iussiven Konjunktiv enthalten, und sodann eine Quote in Bezug zur gesamten Anzahl der Verse ermittelt (Tabelle 2.2).

Diese Untersuchung hat ergeben, daß der Eindruck eines Lehrgedich-tes, einer Predigt oder einer Diatribe, mit denen dieses Werk häufig vergli-chen wird, keineswegs auf rein subjektiven Kriterien beruht: Wie die Tabelle 2.2 zeigt, stehen von 241 Versen des Gedichtes 60 im iussiven Konjunktiv -genau 24,9 % des ganzen Werkes. Nimmt man noch die 26 Verse hinzu, in denen Sätze stehen, die den Imperativ enthalten (Tabelle 2.1.), so drücken im ganzen 86 von den 241 Versen des Gedichtes einen Befehl, einen Wunsch oder eine Aufforderung aus. Dies bedeutet eine Quote von 35, 7 %.

Wie hoch der Anteil an auffordernden Äußerungen und damit der pro-treptische Charakter des Werkes ist, macht ein Vergleich mit Claudians Epithalamium fur Honorius und Maria deutlich: Von den 341 Versen von Hon.Mar. sind es nur 58, die einen Satz enthalten, der im Imperativ oder im iussiven Konjunktiv steht, also insgesamt 17% - ein um die Hälfte geringe-rer Anteil. Außerdem sind die betreffenden Stellen bei Claudian häufig Teil der mythologischen Handlung (wie etwa die lange Passage, in der Venus

884 Siehe ζ. B. Fabre, Amitie 209 (mit Bezug auf Jul.Tit. 41-144): "On re-connait ici un developpement particulierement eher aux moralistes chretiens....: theme plus ä sa place, assurement, dans un sermon que dans un "epithalame"!"

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ihrem Gefolge Anweisungen für die Hochzeitsfeier gibt [V. 190-227]) und können nicht auf die Brautleute oder andere Rezipienten des Gedichts bezogen werden, während die Herstellung eines solchen Bezugs von Pauli-nus in seinem Werk offensichtlich intendiert ist.

Von den 46 Versen in Paulinus' Werk, die eine direkte Anrede beinhal-ten, enthalten 30 auch den Imperativ (65,2 %). Demgegenüber ist der Imperativ in Claudians Gedicht von 99 Versen mit direkter Anrede nur bei 30 vertreten (30,3%).885 Diese enorme Diskrepanz ist sicherlich nicht nur durch den hohen sozialen Status der Brautleute Honorius und Maria und Stilichos zu erklären, der es angezeigt sein ließ, Bitten und Wünsche ihnen gegenüber nur sehr vorsichtig zu formulieren.

885 Zur Ermittlung dieser statistischen Daten wurden alle Sätze, die minde-stens ein Personal- oder Possessivpronomen der zweiten Person, eine Verbform in der zweiten Person oder eine namentliche Anrede enthalten, in ihrer gesamten Länge als direkte Anrede gewertet. (Der Text folgt der Interpunktion bei Härtel und Hall.) Fälle, in denen man ein Pronomen der zweiten Person dem Sinne nach ergänzen könnte, wurden zur Vereinfachung der Untersuchung nicht berücksichtigt (ζ. B. Claudian, HonMar. 331: diligimuspariter pariterque timemus).

Ebenso wurde bei der Untersuchung der Häufigkeit des iussiven Konjunktivs jeder Satz, der mindestens einen solchen enthielt, in seiner gesamten Ausdehnung (auch über mehrere Verse) in die Zählung miteinbezogen.

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Tabelle 2.1: Anreden im E. für Julian und Titia direkte Anrede angesprochene

Person Verwendung des Imperativs in der direkten Anrede

Anzahl der Verse mit Imperativ

V. 3-6 Christus V. 3-4 2 von 4 V. 69-72 iuvenes Christi V. 69-72 4 von 4 V. 81-90 nova nupta sancti

viri V. 81-82 2 von 10

V. 91-94 puer sanctus V. 91-92 2 von 4 V. 95-96 nova nupta und

puer sanctus V. 103-104 nova nupta und

puer sanctus V. 103-104 2 von 2

V. 191-200 das Brautpaar V. 191-196 6 von 10

V. 201-202 Memor (als Vater des Bräutigams)

V. 201-202 2 von 2

V. 213-214 Memor (als Bischof)

V. 213-214 2 von 2

V. 229-234 Christus V. 229-234 6 von 6 V.240-41 Memor V. 240-41 2 von 2

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Anhänge 333

Tabelle 2.2: Verwendung des iussiven Konjunktivs in JuLTit. Verse Inhalt Anzahl der Verse 9-12 Verbannung der heidni-

schen Hochzeitsgötter 4

27-36; 39-40 Ablehnung heidnischer Hochzeitsbräuche

12

41-54; 61-64 Anweisungen an die christliche Ehefrau

18

83-90 Ablehnung der Schön-heitspflege (für die Frau)

8

99-102 Aufforderung zum Leben nach biblischen Exempla

4

141-144 Aufforderung zur Liebe der Ehefrau (an den Mann)

4

145-148 Aufforderung zur Unterwerfung unter den Mann (an die Frau)

4

199-200 Aufforderung an den Bischof zur Ausführung der Hochzeitsriten

2

236-239 Wunsch auf Weiterfüh-rung der christlichen Tradition in der Familie und auf den Segen Gottes

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