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Das Gebietsreferendum im Völkerrecht. Seine Bedeutung im Licht der Staatenpraxis nach 1989. (Schriftenreihe Europäisches Recht, Politik und Wirtschaft Bd. 179) by Anne Peters; Jürgen Schwarze Review by: O. Kimminich Archiv des Völkerrechts, 35. Bd., 3. H. (September 1997), pp. 347-351 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40799010 . Accessed: 15/06/2014 20:23 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Archiv des Völkerrechts. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.2.32.28 on Sun, 15 Jun 2014 20:23:41 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Das Gebietsreferendum im Völkerrecht. Seine Bedeutung im Licht der Staatenpraxis nach1989. (Schriftenreihe Europäisches Recht, Politik und Wirtschaft Bd. 179) by Anne Peters;Jürgen SchwarzeReview by: O. KimminichArchiv des Völkerrechts, 35. Bd., 3. H. (September 1997), pp. 347-351Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40799010 .

Accessed: 15/06/2014 20:23

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den. Im Einklang mit der herrschenden Völkerrechtslehre steht aber auch die in diesem Buch eindrucksvoll belegte Warnung vor einem „humanitären Interventionismus", der einzelnen Staaten oder Staatengruppen das Recht zum militärischen Eingreifen auf dem Territorium ei- nes souveränen Staates gibt. Also spitzt sich das Problem wieder auf die Organisation der kollektiven Machtausübung durch die Vereinten Nationen oder ihrer Regionalorgani- sationen zu. Und hier bietet das Buch dann doch eine Überraschung: Friedensmissionen und humanitäres Recht werden - aus der Erfahrung der bisherigen Aktionen heraus - als Widerspruch bezeichnet. Man darf sich nicht wundern, daß diejenigen, die solche Aktionen selbst miterlebt haben, zu dem Ergebnis kommen, daß es humanitäre Aktionen gibt, „die ge- gen das humanitäre Recht verstoßen" (S. 193). Aber an keiner Stelle beschränken sich die Analysen auf das Lamentieren. Das Buch ist voll konkreter Vorschläge. So wird z. B. die Rolle der internationalen Gemeinschaft beim Wiederaufbau von Gesundheitssystemen mit Blick auf die Zukunft realistisch untersucht. Die Völkerrechtler, die sich mit allen diesen Problemen beschäftigt haben, könnten sich freuen, daß die von kenntnisreichen Praktikern in ihren Auffassungen bestätigt werden. Aber die Sache selbst bietet keinen Anlaß zur Freude. Trotzdem führt das Buch nicht zwangsläufig zum tiefsten Pessimismus. Nicht nur die Völkerrechtler haben den Ärzten dafür zu danken, daß sie so selbstlos helfen und die bei ihrer Tätigkeit gewonnenen Erkenntnisse auch denjenigen zugänglich machen, die ihre Informationen sonst nur über die Massenmedien beziehen können.

Kimminich

Anne Peters: Das Gebietsreferendum im Völkerrecht. Seine Bedeutung im Licht der Staatenpraxis nach 1989. (Schriftenreihe Europäisches Recht, Politik und Wirtschaft, hrsg. von Jürgen Schwarze, Bd. 179), Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. 1990, 562 S.

Auch ohne den im Untertitel enthaltenen Hinweis auf die Aktualität des Buches wäre die- sem das Interesse eines breiten Leserkreises sicher gewesen. Der Völkerrechtler knüpft daran besondere Erwartungen; denn er weiß, wie unsicher, fließend und verworren die Diskussion derjenigen Fragen geworden ist, die mit der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker zusammenhängen. Die bewaffneten Konflikte, die im Anschluß an Unab- hängigkeitserklärungen von Teilrepubliken oder autonomen Gebieten früherer Bundes- oder Zentralstaaten ausgebrochen sind, haben die Gegner des Selbstbestimmungsrechts der Völker erneut auf den Plan gerufen und viele Zweifler auf die Seite der Gegner gezogen. Die alten Argumente, mit denen bereits in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg operiert worden ist, werden auf der Grundlage der seither im Völkerrecht vollzogenen Wandlungen und zum Teil mit veränderter Terminologie erneut vorgetragen. Neue Argumente sind hinzugekom- men.

In einer solchen Situation muß zunächst die Terminologie in Ordnung gebracht werden. Dann müssen Rechtslehre und Staatenpraxis der zurückliegenden 75 Jahre mit Blick auf den Wandel der gesamten Völkerrechtsordnung analysiert werden und erst dann kann versucht werden, einen völkerrechtsdogmatischen Rahmen für die Bewältigung der theoretischen und praktischen Probleme der Gegenwart und Zukunft zu finden. Alle diese Aufgaben hat die Autorin mit ihrem Buch - einer preisgekrönten Freiburger Dissertation - glänzend gelöst.

Ein erstes Verdienst dieser auf höchstem wissenschaftlichen Niveau stehenden Arbeit liegt in der Begriffsklärung. Es ist anzunehmen, daß sich von jetzt an der Begriff „gebietsbezoge- nes Referendum", den die Autorin konsequent verwendet, im völkerrechtswissenschaftli- chen Schrifttum durchsetzen wird. Er ist weitgehend identisch mit dem traditionellen Begriff des Plebiszits, deckt sich aber nicht mit dessen salopper Verwendung. Die Gebiets-

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bezogenheit betrifft nicht etwa die geographische Begrenzung der Volksabstimmung, son- dern deren Inhalt. Das hier gemeinte Referendum bezieht sich auf den Status eines konkreten Territoriums. Die Autorin hat recht mit ihrem Befund, daß das traditionelle Plebiszit in der bisherigen völkerrechtwissenschaftlichen Literatur fast ausschließlich im Zusammenhang mit den Problemen des vertraglichen Gebietswechsels erörtert worden ist, während die Volksabstimmung über eine ins Auge gefaßte Sezession eines Gebietsteils, wie sie etwa im Vorgang des Zerfalls Jugoslawiens und der Sowjetunion vorgekommen ist, kaum Beachtung gefunden hat. Naturgemäß lassen sich die für die Zession entwickelten Gedankengänge nicht ohne weiteres auf die Sezession übertragen. Das verknüpfende Element ist freilich wieder das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Hier muß vor allen Dingen erneut vor der primitiven Gleichsetzung von Selbstbestimmungsrecht und Sezessionsrecht gewarnt werden. Aber auch unter der Berücksichtigung der Tatsache, daß sich das Selbstbestimmungsrecht der Völker nur in bestimmten Ausnahmefällen zum Sezessionsrecht zuspitzt, darf das Gebietsreferendum nicht einfach als Folge des Selbstbestimmungsrechts dargestellt werden. Zwar überschneiden sich die beiden Problembereiche, aber jeder von ihnen weist Segmente auf, die mit dem jeweils anderen nicht deckungsgleich sind. Das ergibt sich schon aus der un- terschiedlichen historischen Verankerung. „Das Plebiszit leitet sich unmittelbar aus dem Prinzip der Volkssouveränität ab. ... Dagegen geht der allgemeine Selbstbestimmungs- gedanke im politischen Bereich über die Gebietsveränderung hinaus und betrifft ganz allge- mein die Gestaltung des politischen Schicksals eines Volkes" (Otto Kimminich, Der Selbstbestimmungsgedanke am Ende des Ersten Weltkrieges - Theorie und Verwirklichung, in Richard Breyer (Hrsg.), Deutschland und das Recht auf Selbstbestimmung nach dem Ersten Weltkrieg, Bonn 1985, S. 18).

Mit bewundernswerter Sorgfalt bahnt sich Anne Peters ihren Weg durch dieses Gestrüpp der inhaltlichen Verwobenheiten, terminologischen Verwirrungen und historischen Ver- strickungen. Nach Begriffserklärung und historischem Rückblick (bei dem jeweils sogleich geprüft wird, „ob die jeweils zeitgenössischen Lehrmeinungen für die aktuellen Fällen über- haupt Geltung beanspruchen können") wird gefragt, ob sich im geltenden Völkerrecht be- reits ein gewohnheitsrechtliches Referendumsgebot nachweisen läßt. Dieser induktiven Untersuchung folgt eine „systematische", die man als deduktiv bezeichnen kann, obwohl die Autorin betont, daß „nicht versucht wird, aus allgemeinen Völkerrechtsprinzipien einen konkreten Satz über die Volksabstimmungen im strengen Sinne abzuleiten. Allgemeine Völkerrechtsprinzipien sollen aber daraufhin überprüft werden, ob ein Abstimmungsgebot mit den Grundprinzipien kompatibel ist" (S. 49).

Dieses große Programm wird in dem Buch in jeweils sorgfältig vorbereiteten kleinen Schritten bewältigt, die konsequent zum Ziel führen. Die dabei zur Anwendung kommende Methodologie wird überzeugend dargelegt. Begrüßenswert ist die Vorsicht, die Frau Peters gegenüber dem Nachweis von Gewohnheitsrecht in der richterlichen Praxis walten läßt. Ebenso begrüßenswert ist es aber, daß sie nicht bis zum Extrem der Verleugnung des Gewohnheitsrechts vordringt, zu dem etwa Frau Detter de Lupis (The Concept of International Law, 2. Aufl. Stockholm 1993) neigt. Im einzelnen werden die folgenden zwi- schen 1990 bis 1994 durchgeführten oder in die Wege geleiteten Gebietsveränderungen ana- lysiert: 1. ehemaliges Jugoslawien, 2. die baltischen Republiken, 3. Sowjetunion und Nachfolgestaaten, 4. Eritrea, 5. Kanada, 6. Puerto Rico. Auch bei denjenigen Vorgängen, über die in der deutschen Tagespresse ausführlich berichtet worden ist, erfährt der Leser viel Neues und wird in die Lage versetzt, sich ein Urteil zu bilden. (Daß die Darstellung der Ereignisse viel anschaulicher ist als in den üblichen Presseberichten, sei nur am Rande er- wähnt.) So werden z. B. bezüglich des ehemaligen Jugoslawiens die Referenden in Slowenien, Kroatien, Makedonien, der muslimischen Bevölkerung in Serbien-Montenegro und Bosnien-Herzegowina im einzelnen unter Berücksichtigung ihrer historischen Hintergründe berichtet und einer politischen und rechtlichen Bewertung unterzogen. Wer

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diese Ausführungen gelesen hat, kann sich endlich ein klares Bild über die Vorgänge und ih- re juristische Einordnung machen. Dasselbe gilt für alle anderen der genannten Gebiete. Auch die Auflösung der Tschechoslowakei, bei der aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Politikern auf eine Volksbefragung verzichtet worden ist, wird in einem zusätzlichen Abschnitt erörtert, weil dort immerhin die Veranstaltung eines Referendums zur Diskussion gestanden war. Als weitere Fälle, in denen „Gebietsveränderungen ohne Rekurs auf Referenden stattgefunden" haben (S. 275), werden genannt: die Oder-Neiße- Gebiete, die Walfischbucht und Homelands. Bezüglich des erstgenannten Problems - das in diesem Buch selbstverständlich nicht in voller Breite erörtert werden kann - bestätigt die Autorin die Feststellung, daß der Zwei-plus-Vier- Vertrag keine Gebietszession bewirkt hat. Zum Schluß werden noch „ungelöste territoriale Fragen" behandelt, zu deren Klärung Referenden vorge- schlagen wurden, nämlich Westsahara, Osttimor, Neukaledonien, Kaschmir, Somaliland (ein Teil von Somalia), Nordirland, Tibet und Sudan. Als „mittelbar demokratisch legitimierte Gebietswechsel" werden die deutsche Wiedervereinigung, die Schaffung autonomer palästi- nensischer Gebiete westlich des Jordans und im Gaza-Streifen sowie die Wiedervereinigung der Republik Jemen dargestellt.

Alle diese Einzelfälle werden in einem gesonderten Abschnitt unter die Tatbestands- merkmale eines völkergewohnheitsrechtlichen Satzes gestellt. Dabei wird, der herrschenden Lehre entsprechend, zwischen dem objektiven und dem subjektiven Element unterschieden. Das erstgenannte, die allgemeine Übung, zerfällt in drei Teilelemente: Verbreitung, Einheitlichkeit und Dauer; das zweitgenannte, die Rechtsüberzeugung, ist schwerer zu erfas- sen. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, daß es „im Hinblick auf die Gebietsreferenden nur unbefriedigend nachgewiesen werden" konnte (S. 312). Entsprechend vorsichtig formu- liert sie ihr Endergebnis, bei dem sie sich schließlich an Bleckmann (Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, Freiburg 1982) anlehnt.

Die rechtssystematische Einbindung des Referendumsgebots, die im dritten Hauptteil vorgenommen wird, ist naturgemäß die schwierigste Aufgabe. Hier müssen die eingangs er- wähnten Überschneidungen mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zur Sprache kom- men. Wieder geht die Autorin sehr behutsam vor und schildert zunächst die Geschichte des Selbstbestimmungsgedankens und den gegenwärtigen Gehalt des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Bezüglich der Trägerschaft kommt sie zu einem klaren Ergebnis: „Auch einzel- nen Gruppen (Minderheiten/Volksgruppen) innerhalb eines multinationalen Staates kommt das Selbstbestimmungsrecht zu" (S. 335). Wie alles in diesem Buch ist auch dieses Ergebnis sorgfältig untermauert. Dann aber kommt die Kardinalfrage nach der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Volksgruppe im multinationalen Staat. Anne Peters bestätigt das, was besonnene Befürworter des Selbstbestimmungsrechts seit Jahrzehnten betont ha- ben: die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker entfaltet nicht automatisch eine Explosivwirkung. Im Gegenteil: „Die Verfahrensvoraussetzung der Abhaltung eines Sezessionsreferendums ist als notwendige, nicht hinreichende Bedingung der Recht- mäßigkeit einer Sezession anzusehen. Es wirkt also als zusätzliche Hürde der Sezession und fungiert auf diese Weise eher als Bremse denn als Motor von Auflösungsprozessen" (S. 364).

Als Träger des per Referendum zu realisierenden Rechts auf Sezession kristallisiert die Autorin die Bewohner des betreffenden Gebiets heraus. Dabei ergibt sich freilich das Problem der Berücksichtigung einer vertriebenen Volksgruppe, das zwar in der theoreti- schen Betrachtung über die Gruppendefinition außer acht gelassen werden kann, in der Praxis aber auftaucht. Das Gesamtergebnis wird auch hier wieder vorsichtig formuliert: „Das Kollektiv, das Träger des Selbstbestimmungsrechts sein soll, kann nicht unangreifbar und endgültig festgelegt werden. Denn erstens bestehen innerhalb jeder Gruppe kleinere Einheiten, die sich ebenfalls selbst bestimmen wollen. Zum zweiten ist jedes Individuum in verschiedene Kollektive eingebunden" (S. 375 f.). Diesen Tatsachen müssen die völkerrecht- lichen Durchführungsregelungen Rechnung tragen. Mit ihnen beschäftigt sich das Buch

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nicht nur im unmittelbar daran anschließenden Abschnitt über das Verfahren der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, sondern auch und vor allem in dem monographischen Charakter tragenden Abschnitt „Selbstbestimmungsrecht und Demokratie", der einen Höhepunkt des imposanten Werks darstellt. Nicht zuletzt gelingt der Autorin in diesem Abschnitt auch eine Verknüpfung des internen Selbstbestimmungsrechts (als dessen Ausdruck die demokratische Staatsverfassung gesehen wird) mit der völkerrechtlichen Problematik des Selbsbstimmungsgedankens. Umgekehrt führen diese Überlegungen zur Frage nach der völkerrechtlichen Geltung des Demokratieprinzips. In dem deutlich feststell- baren „Demokratietrend" sieht die Autorin mit Recht eine „Unterstützung der These, daß das Völkerrecht die Einhaltung eines demokratischen Verfahrens bei der Entscheidung über Gebietsveränderungen nahelegt" (S. 432).

Wie verhält sich dieses mit methodologisch einwandfreien Mitteln gefundene Ergebnis zur Anerkennungspraxis der jüngsten Vergangenheit? Um diese Frage zu beantworten, muß zunächst auf die Bedeutung des Effektivitätsprinzips im gegenwärtigen Völkerrecht (nach Lehre und Praxis) eingegangen werden. Die Autorin unterschätzt die Bedeutung des Effektivitätsprinzips nicht. Aber sie kommt zu dem Ergebnis: „In dem Maße, wie die Selbstverteidigung im Zuge der Entwicklung wirksamer kollektiver Sanktionsmechanismen an Bedeutung verliert, tritt auch das Effektitvitätsprinzip zurück" (S. 457). Hinzu kommt, daß die Effektivität zu keiner Zeit eine ausreichende völkerrechtliche Legitimation der Gebietshoheit gewesen ist und ohne das Hinzukommen weiterer Tatbestandsvoraus- setzungen niemals Recht schaffen kann. Folgerichtig betrachtet die Autorin die Aufstellung von Verfahrenserfordernissen für die Gebietsveränderung, darunter auch die Veranstaltung eines Referendums, als „systemkonform". Dennoch dürfe das Völkerrecht, um als Friedens- ordnung zu wirken, nur solche inhaltlichen Anforderungen an die Staaten stellen, die uni- versal akzeptiert werden. Ergebnis: „Ein bloßes Verfahrenserfordernis für Gebietsver- änderungen, insbesondere für die Staatengründung, unterminiert den völkerrechtlichen, her- kömmlichen formalen Staatsbegriff nur geringfügig und stellt deshalb eine vertretbare Relativierung des aus Stabilitätsgründen grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden Effektivitäts- prinzips dar" (S. 458).

Erst auf diesen gesicherten Grundlagen geht die Autorin daran, Schlußfolgerungen für das Abstimmungsergebnis im Fall von Gebietsveränderungen zu ziehen. Bezüglich des (exter- nen) Selbstbestimmungsrechts bestätigt sie, daß dessen Ausübung „in einem demokratischen Verfahren erfolgen sollte" (S. 470). Doch gebiete das Selbstbestimmungsrecht nicht unter al- len Unständen die Erteilung der Zustimmung in einem plebiszitären Verfahren. Damit lehnt sie die These von der Unbedingtheit des Erfordernisses der unmittelbaren Zustimmung ab und bekräftigt, daß eine Entscheidung über die Gebietsveränderung durch frei gewählte Volksvertreter genügt, „die ihre geplante Politik zur in Frage stehenden Neuordnung vor ih- rer Wahl ausreichend deutlich gemacht haben" (S. 473). Verstößt eine Gebietsveränderung gegen die völkerrechtliche Pflicht zur vorherigen Ermittlung des Willens der Wohn- bevölkerung, so ist die Gebietsveränderung rechtswidrig. „Sie ist jedoch vom Völkerrecht nicht als unwirksam zu ignorieren, da diese radikale Rechtsfolge zu einem Konflikt zwischen Norm und Wirklichkeit führte und überdies durch die bisherige Staatenpraxis nicht gedeckt ist" (S. 485). Damit befindet man sich allerdings wieder im Dilemma der gegenwärtigen Staatenpraxis. Um es zu vermeiden, oder gegebenenfalls wieder aus ihm herauszufinden, kann die Autorin zunächst nur auf die Möglichkeit von Sanktionen verweisen. Dann aber geht sie einen Schritt weiter: „Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen könnte entspre- chend dem in neuerer Zeit entwickelten erweiterten Friedensbegriff eine Triedens- bedrohung' im Sinne von Kapitel VII der UNO-Charta feststellen und die entsprechenden Maßnahmen ergreifen" (S. 486).

In einem Schlußteil fügt die Autorin „Anmerkungen" zur politischen Diskussion um die Zweckmäßigkeit von Referenden hinzu und erörtert dabei die Funktionen von Gebiets-

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referenden und die Probleme, die wohl bei allen demokratischen Entscheidungsverfahren auftreten. Auch die Zweifel an der Tauglichkeit des plebiszitären Verfahrens verschweigt sie nicht. Mit derselben Vorsicht und Zurückhaltung durchleuchtet sie noch einmal die Regeln für die Durchführung von Referenden, dieses Mal unter rechtspolitischem Aspekt. Es geht erneut um den Kreis der Stimmberechtigten. Dabei erwähnt sie die Möglichkeit der Verlagerung der Problematik auf die Gebietsabgrenzung, etwa durch innere Aufteilung des Abstimmungsgebiets, und erörtert die Frage, ob auch im Reststaat, der von der Gebiets- veränderung betroffen ist, eine Abstimmung erfolgen soll. Im Anschluß daran dringt sie zu der heiklen Frage der Stimmberechtigung Geflohener und Vertriebener einerseits und gezielt Angesiedelter andererseits vor. Den Ausschluß von gezielt Angesiedelten hält sie dann für „naheliegend", wenn die betreffenden Personen „speziell zur Beeinflussung des Ab- stimmungsergebnisses eingeschleust wurden". Bezüglich der Stimmberechtigung von Ge- flohenen und Vertriebenen verweist sie lediglich auf zwei konkrete Beispiele (Eritrea, Westsahara), in denen diesem Personenkreis das Stimmrecht zuerkannt worden ist. Sie beschließt ihre Ausführungen mit einer Mahnung: „Möglichen Verfahrensregeln für Gebietsveränderungen sollte deshalb weiterhin Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil auch in Zukunft mit Staatenumbildungen und Sezessionen zu rechnen ist" (S. 513). Erneut betont sie, daß das den „Souveränitätspanzer" stützende Effektivitätsprinzip „durch den Einbruch von Legitimitätserwägungen in das Völkerrecht weiter relativiert" wird (S. 514). Der Prozeß der Annäherung und Verschränkung von Völkerrecht und Landesrecht werde dadurch fortgeführt.

Die vorsichtige Formulierung der Teilergebnisse ist kein Mangel. Die inhaltlichen Aussagen sind durchweg klar. Wer das Buch gelesen hat, weiß ganz genau, welche Konsequenzen das gegenwärtige Völkerrecht aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, aus dem im Vordringen begriffenen „internationalen Demokratieprinzip" und aus den Grundgedanken des Friedens und der Menschenrechte für die Entscheidung über Gebietsveränderungen und das dabei anzuwendende Verfahren zieht. Für diese Klärung ist der Autorin zu danken. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorherzusagen, daß dieses Buch ein Standardwerk für alle Fragen des Gebietsreferendums bleiben wird. Seine Lektüre wird jedem Völkerrechtler Freude bereiten.

Kimminich

Hague Yearbook of International Law - Annuaire de la Haye de Droit International 1991, Vol. 4, Den Haag: Martinus Nijhoff Publishers. 1992. XIX, 341 S.

Mit der üblichen Verzögerung ist der 4. Band des Haager Jahrbuchs für Internationales Recht erschienen, das vor allem die Vorträge der 34. Tagung der ehemaligen Hörer der Haager Akademie vom 10. bis 14. Juni 1991 in Montreal enthält. Auf der Tagung sind zwei Generalthemen behandelt worden: regionale wirtschaftliche Integration und völkerrecht- licher Eigentumsschutz. 6 Beiträge gehören zum erstgenannten Thema, 4 von ihnen sind in französischer Sprache geschrieben. Sie betreffen das Recht der Europäischen Gemein- schaften, den freien Warenaustausch zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten und die regionale wirtschaftliche Integration in Ozeanien, d. h. Australien und Neuseeland. In eng- lischer Sprache werden die institutionellen Aspekte der regionalen Wirtschaftsintegration in Lateinamerika und in Afrika behandelt.

Der völkerrechtliche Eigentumsschutz nimmt mit 9 Beiträgen einen breiteren Raum ein. Auch hier überwiegt die französische Sprache mit 5 Beiträgen. Das Generalthema ist weit gefaßt. So finden sich hier auch Abhandlungen über Menschenrechte in der amerikanischen Hemisphäre sowie über die doppelte Staatsangehörigkeit und die Kriegsdienstpflicht. Der Spitzenaufsatz in dieser Abteilung untersucht die Hintergründe und Folgen der mangelnden

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