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Das kosmische Leuchtfeuer

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Nr. 343

Das kosmische Leuchtfeuer

Razamons Kampf um die Leitstation

von H. G. Francis

Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans und Razamons Eingreifen wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Kontinent des Schreckens urplötzlich materialisiert war.

Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem neuen Start zu verlassen. Der ungebetene Besucher ging wie­der auf die Reise durch Zeit und Raum – auf eine Reise, von der niemand ahnt, wo sie eines Tages enden soll.

Doch nicht für lange! Der überraschende Zusammenstoß im Nichts führte dazu, daß der

»Dimensionsfahrstuhl« Pthor sich nicht länger im Hyperraum halten konnte, sondern zur Rückkehr in das normale Raum-Zeitkontinuum gezwungen wurde.

Und so geschieht es, daß Pthor auf Loors, dem Planeten der Brangeln, niedergeht, nachdem der Kontinent eine Bahn von Tod und Vernichtung über die »Ebene der Krieger« gezogen hat.

Natürlich ist dieses Ereignis nicht unbemerkt geblieben. Sperco, der Tyrann der Galaxis Wolcion, schickt seine Diener aus, die nach dem Rechten sehen sollen. Ein Schiff der Spercoiden landet auf Loors. Zur Orientierung dient ihm DAS KOSMI­SCHE LEUCHTFEUER …

3 Das kosmische Leuchtfeuer

Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Arkonide wird zum Sklaven gemacht.Razamon - Der Pthorer im Duell gegen einen Wachroboter.Thalia und Kolphyr - Sie entkommen den Spercoiden.Socco - Kommandant der TREUE.Topas - Atlans Herr und Gebieter.Pank-pank - Diktator von Moondrag.

1.

Er kam aus einer Bodensenke hervor, lautlos und schleichend wie ein angreifendes Reptil. In der Dunkelheit war er kaum aus­zumachen.

Atlan vernahm das Rieseln des Sandes, der am Hang der Düne an vereinzelten Grä­sern nicht genügend Halt fand.

Er lag auf dem Rücken und hielt die Au­gen geschlossen.

Aufpassen! signalisierte das Extrahirn, sonst erlebst du den Sonnenaufgang nicht mehr.

Er war den Spercoiden entkommen. Soc­co hatte ihn an einer Kette durch den Wölb­mantel geschickt, doch alles pflegte sich beim Durchgang aufzulösen, was nicht zu Pthor gehörte, so auch die Kette.

Socco hatte den Rest der Fesseln zurück­gezogen – ohne seinen Gefangenen.

Atlan hatte es für klüger gehalten, die Nacht am Rand von Pthor zu verbringen. In Sicherheit vor den Spercoiden, die den Wölbmantel nicht durchdringen konnten, si­cher aber auch vor den herumstreunenden Monstren, mit denen er überall im Innern des Kontinents rechnen mußte.

Die Lage war wenig verheißungsvoll. Pthor war auf dem Planeten Loors gestran­det. Diese Welt hatte keine bedeutende Zivi­lisation hervorgebracht und zeichnete sich auch sonst durch nichts Besonderes aus. Dennoch war sie ein Stützpunkt der Spercoi­den. Bis jetzt war nur ein Raumschiff dieses geheimnisvollen Volkes auf Loors erschie­nen. Die Besatzung konnte nichts gegen Pthor ausrichten, doch das konnte sich rasch ändern.

Waren die Söhne Odins auf eine Ausein­andersetzung mit den Spercoiden vorberei­tet? Oder verließen sie sich nur darauf, daß der Wölbmantel undurchdringlich für die Fremden war?

Sie warten ab, stellte der Logiksektor fest. Sie sind nicht fähig, richtig auf die Spercoi­den zu reagieren. Derartige Situationen sind ihnen fremd.

Ein paar Gräser raschelten. Ein aufge­schreckter Vogel eilte flügelschlagend da­von.

Atlan verlagerte das Gewicht auf Schul­tern und Hacken und drückte sich ein wenig zur Seite. Er glitt über die Kante einer sanft abfallenden Düne hinweg und rutschte etwa zwei Meter tiefer in eine Mulde hinein.

Der Entschluß, zu den Spercoiden zu ge­hen, hatte so gut wie nichts gebracht. Man hatte ihn gefangengenommen und in das Schiff geführt, um ihn zu verhören. Aber Er­kenntnisse hatte er selbst kaum daraus ge­winnen können.

Durch seine eigenwillige Aktion war er von Thalia, Razamon und Kolphyr getrennt worden. Das war der ganze Erfolg gewesen.

Er fragte sich nun, wo die Freunde waren. Hatten sie beobachtet, was geschehen war? Hatten die Spercoiden sie auch in Fesseln gelegt, oder hatten die Gepanzerten über­haupt nicht gemerkt, daß er Begleiter gehabt hatte?

Atlan blieb am Rand von Pthor, weil er hoffte, daß Thalia, Razamon und Kolphyr bei Tagesanbruch am Wölbmantel erschei­nen würden.

Metall klickte. Atlan warf sich herum, zog die Beine an,

stemmte sie gegen den Sand und schnellte sich über einen Busch hinweg.

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Ein Schatten flog auf ihn zu. Zwei Arme umfaßten ihn. Der Angreifer knurrte. Er ver­suchte, die Kehle Atlans mit den Zähnen zu erreichen, doch diese war durch das Goldene Vlies geschützt. Der Arkonide spürte, daß die Zähne des anderen daran abglitten.

Er stieß dem Angreifer die Ellenbogen in den Leib, beugte sich nach vorn und schleu­derte ihn über den Kopf hinweg in den Sand, wo er keuchend liegenblieb.

»Ich habe mich verschätzt«, erklärte er nach einer Weile, nachdem sich sein Atem beruhigt hatte. »Ich dachte, es mit einem Schwächling zu tun zu haben, aber das war ein Irrtum.«

Er sprach ein einwandfreies Pthora. »Du solltest es dir für alle weiteren An­

griffe merken«, entgegnete der Arkonide. »Ich bin recht milde mit dir umgegangen, aber du kannst es auch anders haben!«

»Danke«, sagte der Mann am Boden. »Es genügt mir. Können wir nicht ein Feuer an­zünden? Es ist kalt, und ein wenig Licht könnte auch nicht schaden.«

»Ich habe nichts dagegen«, erwiderte At­lan. »Es steht dir frei, Holz zu suchen, auf­zuschichten und zu entzünden. Dies hier ist für mich ebenso Niemandsland wie für dich.«

»Also gut«, sagte der andere. »Ich sehe, du bist zu faul, etwas für die Gemütlichkeit zu tun. Ich werde also eine Vorleistung er­bringen.«

Er erhob sich und ging davon. Atlan glaubte, er würde einen erneuten Angriff versuchen, aber er täuschte sich. Nach etwa zehn Minuten kehrte der andere mit Holz auf den Armen zurück. Er legte es auf den Boden, schichtete es auf und entzündete es.

Im Lichtschein der tanzenden Flammen sah der Aktivatorträger einen kahlköpfigen Mann, der etwa so groß war wie er selbst auch. Er hatte ein scharfkantiges, hohlwan­giges Gesicht mit tief liegenden, dunklen Augen. Die Nase war schmalrückig und scharf gebogen. Ein sorgfältig gestutzter Bart zierte das spitze Kinn.

Der Fremde hatte einen athletischen Kör-

H. G. Francis

per. Auffallend an ihm war, daß der linke Arm und das rechte Bein stählerne Prothe­sen waren, die er unverhüllt trug. Sie bestan­den aus mehreren dünnen Schienen. Diese bewegten sich so flüssig, als seien sie mit den Nervenfasern seines Körpers verbunden und würden von diesen aus wie Muskeln ge­steuert.

»Überrascht?« fragte der Fremde. Er hielt die rechte Hand über das Feuer, um sie zu wärmen.

»Überhaupt nicht«, antwortete Atlan und nannte seinen Namen.

»Du hast es gehört«, stellte der andere fest. Er hob bedauernd die Schultern, so als wolle er sich dafür entschuldigen, daß ihm kein lautloser Angriff gelungen war. »Ich kann gewisse Geräusche noch nicht ganz verhindern.«

»Das ist auch gut so«, entgegnete der Ar­konide. »Wie heißt du?«

»Ich bin Nedron, der Arzt.« Atlan setzte sich ans Feuer. »Du bist Arzt? Oder nennst du dich nur

so?« »Ich bin wirklich Mediziner«, bestätigte

Nedron. »Ich habe lange Jahre in Moondrag gearbeitet, habe Forschungsarbeiten in den Zuchtanlagen der Dellos geleistet und mehr Operationen durchgeführt als jeder andere auf Pthor. Wenn du willst, amputiere ich dir eine Hand. Das mache ich so sauber, daß du ohne weiteres eine Metallhand an den Stumpf ansetzen kannst. Diese wird dann vielleicht sogar noch besser funktionieren als die eigene.«

Atlan schüttelte den Kopf. »Ich behalte meine Hände ganz gern noch

ein Weilchen«, sagte er. »Vielleicht später einmal.«

Nedron nickte verständnisinnig. »Bei den heutigen Zuständen auf Pthor ist

zu erwarten, daß du irgendwann schwer ver­letzt wirst, so daß ich meine Arbeit aufneh­men kann. Ich hoffe, ich muß nicht allzu lange warten.«

Atlan schluckte. Forschend blickte er sein Gegenüber an. Nedron wich ihm nicht aus.

5 Das kosmische Leuchtfeuer

Seine dunklen Augen leuchteten auf, und der Mund verzog sich zu einem breiten La­chen.

»Jetzt glaubst du, daß ich den Verstand verloren habe«, rief er vergnügt. »Aber so ist es nicht. Ich liebe es, anderen so etwas zu sagen, weil ich dann förmlich sehen kann, wie sich ihnen der Magen umdreht.«

Er schüttelte den Kopf, fuhr sich mit der Hand über den Mund und blickte Atlan trau­rig an.

»Aber du reagierst nicht so«, erklärte er bedauernd. »Dich kann man damit nicht er­schrecken.«

»Ich frage mich, was du mit mir gemacht hättest, wenn du den Kampf gewonnen hät­test«, sagte der Arkonide.

Nedron verzog das Gesicht. »Das sind rein hypothetische Dinge, über

die niemand nachzudenken braucht«, erwi­derte er.

»Ich hätte dennoch gern eine Antwort.« Der Arzt erhob sich. Er wandte Atlan den

Rücken zu und blickte in die Nacht hinaus. »Wir müssen nach Moondrag«, sagte er.

»Es ist nicht weit. Vielleicht hat sich die Versorgungslage inzwischen verbessert. Vielleicht kann man dort wieder leben.«

»Auf jeden Fall kann man dort einen Arzt gebrauchen.«

Nedron drehte sich um. Er lächelte. »Willst du nicht ein wenig schlafen?«

fragte er. »Ich werde wach bleiben.« Atlan lachte ihm ins Gesicht. »Ich würde nie wieder aufwachen«, ent­

gegnete er. »Für wie dumm hältst du mich?« Nedron setzte sich wieder. »Du irrst, wenn du meinst, daß ich dir an

den Kragen will«, erklärte er. »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Wenn du Pro­thesen hättest oder ein Roboter wärst, dann wäre es etwas anderes. So aber hast du nichts zu befürchten.«

»Ein Arzt sollte nicht so über diese Dinge reden«, erwiderte Atlan abweisend. »Außerdem bist du bis auf den einen Arm und das eine Bein gesund. Was willst du mit weiteren Prothesen?«

Nedron lachte schallend. »Du wirst es nicht glauben«, erklärte er.

»Ich würde meinen ganzen Körper durch Robotteile ersetzen, wenn ich das könnte. Nur auf das Gehirn kommt es an. Was ist denn schon ein Arm? Was ist ein Bein? Je­des Tier hat Beine, und manche haben auch Arme. Diese Gliedmaßen kann man austau­schen.«

»Niemand würde das tun.« »Nur als Beispiel, damit du begreifst, was

ich meine. Ist ein Tier noch ein Tier, wenn man ihm ein menschliches Bein anpflanzen würde?«

»Natürlich«, antwortete der Arkonide. »Ist es aber auch noch ein Tier, wenn man

sein Gehirn gegen das eines Menschen aus­tauschen würde?« fuhr der Arzt fort.

Der Arkonide antwortete nicht. Ihm gefiel das Thema nicht, über das Nedron sprach.

»Siehst du«, rief der Arzt. »Du weißt die Antwort, willst sie aber nicht sagen.«

Er fuhr zusammen, sprang auf und ent­fernte sich einige Schritte vom Feuer.

»Was ist los?« fragte Atlan. »Komm mal her«, forderte Nedron. »Man

sieht ein Feuer.« Atlan ging zu dem Arzt hin. Er rechnete

damit, daß dieser über ihn herfallen würde, Nedron blieb jedoch friedlich.

»Ich will ehrlich sein«, sagte er. »Ich dachte, daß ich bei dir irgend etwas Eßbares finden würde. Das war leider nicht der Fall. Ich breche bald vor Hunger zusammen. Ich muß etwas haben. Da drüben brennt ein Feu­er. Laß uns nachsehen, ob wir dort etwas finden.«

Atlan hatte ebenfalls schon lange nichts mehr gegessen. Der Hunger quälte auch ihn.

»In Ordnung«, stimmte er zu. Die beiden Männer ließen das Feuer bren­

nen. Schweigend gingen sie in die Nacht hinaus.

Das andere Feuer war etwa drei Kilometer von ihnen entfernt.

»Es ist nicht zu erkennen, ob sich jemand dort aufhält«, sagte Nedron, als sie sich ihm bis auf etwa fünfhundert Metern genähert

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hatten. »Hoffentlich ist es keine Falle.« »Wenn mich nicht alles täuscht, sitzen da

drei Männer, und über dem Feuer dreht sich ein Braten.«

Die beiden Männer gingen schneller, ob­wohl sie kaum etwas sehen konnten. Das Feuer bildete den einzigen hellen Punkt in der Dunkelheit. Hundert Meter davon ent­fernt blieben sie stehen. Atlan ließ sich auf den Boden sinken, weil er aus dieser Per­spektive besser sehen konnte.

»Es sind nur die drei«, sagte Nedron. »Wir können ruhig zu ihnen gehen.«

»Wir nähern uns ihnen von zwei Seiten«, bemerkte Atlan. »Dann wird sich ja zeigen, was wir von ihnen zu halten haben.«

Er glaubte, Dalazaaren vor sich zu haben. Er richtete sich wieder auf und ging auf das Feuer zu, während Nedron es in weitem Bo­gen umkreiste. Zehn Meter davon entfernt hustete der Arkonide.

Die Dalazaaren drehten sich überrascht um.

»Komm her«, rief einer von ihnen. »Zeige dich. Und wenn du Hunger hast, laß es uns wissen.«

Vorsicht! mahnte das Extrahirn. Sie sind zu freundlich.

Er hörte etwas hinter sich, fuhr herum, reagierte aber zu spät. Jemand schlug ihm etwas über den Kopf. Dann wurde es dunkel um ihn.

Als er wieder zu sich kam, hatte er das Gefühl, mit dem Kopf unter einem Felsen zu liegen. Die Arme und Beine konnte er nicht bewegen. Sie waren gefesselt.

Er schlug die Augen auf und sah sich um. Er lag etwa zwanzig Meter vom Feuer ent­fernt im Dunkeln. Die drei Dalazaaren saßen an der gleichen Stelle wie zuvor und schnit­ten sich Fleisch von dem Braten ab, der sich auf einem Holzgestell über den Flammen drehte. Von Nedron war nichts zu sehen.

Atlan hatte starke Kopfschmerzen, doch sie ebbten allmählich ab. Sein Zellaktivator sorgte dafür.

Er hörte, daß sich neben ihm etwas regte, und wälzte sich auf die Seite.

H. G. Francis

Obwohl es noch immer dunkel war, er­kannte er mehrere Gestalten, die auf dem Boden lagen.

»He«, rief er. »Nedron, bist du auch hier?«

»Ich liege direkt neben dir, Atlan«, ant­wortete der Arzt stöhnend. »Jemand hat mir so kräftig etwas auf den Kopf gegeben, daß ich diesen am liebsten amputieren und durch einen anderen ersetzen würde.«

Einer der Dalazaaren erhob sich, kam zu ihnen und trat dem Arzt in die Seite.

»Sei still«, befahl er ihm. »Was glaubst du denn, weshalb wir uns so offen ans Feuer setzen? Wenn du uns unsere Beute verjagst, sorgen wir dafür, daß du keinen Laut mehr von dir geben kannst.«

Nedron steckte die Tritte schweigend ein. Der Dalazaare kehrte ans Feuer zurück und nahm sich das nächste Stück Fleisch. Kaum fünf Minuten waren verstrichen, als sich ein Dello dem Feuer näherte.

»Ist es erlaubt?« rief er. »Darf ich mich zu euch setzen, bis der Tag anbricht?«

Weiter kam er nicht. Jemand warf sich von hinten auf ihn und schlug ihn nieder. Danach zog er den Dello rasch in die Dun­kelheit, fesselte ihn und warf ihn neben At­lan in den Sand.

»Eine feine Falle«, kommentierte Nedron ärgerlich. »Und wir waren dumm genug, hineinzugehen. Und alles nur, weil wir Hun­ger hatten.«

»Was haben sie mit uns vor?« fragte der Arkonide. »Was für einen Sinn hat diese Falle?«

»Keine Ahnung«, wisperte der Arzt zu­rück. »Vielleicht sollen wir die Speisenkam­mern von Moondrag füllen? Wer weiß?«

Atlan versuchte, seine Fesseln zu spren­gen, doch es gelang ihm nicht. »Warum so unruhig?« fragte Nedron. »Eine kleine Spen­de können wir uns schon leisten.«

Atlan zog die Knie an und stieß sie ihm in die Seite.

»Ruhig«, befahl er. »Ich will kein Wort mehr hören.«

»Pah«, entgegnete der Arzt verächtlich.

7 Das kosmische Leuchtfeuer

»Ich wäre froh, wenn ich ein zweites Stahl­bein hätte. Dann hätte ich keine Schmerzen mehr.«

»Du hast Schmerzen?« fragte Atlan flü­sternd.

»Ständig«, erwiderte Nedron. »Sie quälen mich Tag und Nacht. Vor allem im Bein.«

Eine Stunde verstrich, ohne daß etwas ge­schah. Schweigend hing Atlan seinen Ge­danken nach. Dann näherten sich zwei Dala­zaaren dem Feuer. Sie gingen ebenso in die Falle wie alle anderen vorher. Sie waren die letzten in dieser Nacht. Als die Sonne auf­ging, sah Atlan, daß außer ihm und Nedron noch neun andere Männer vom Feuer ange­lockt und von den Dalazaaren überwältigt worden waren. Sie alle lagen gefesselt auf dem Boden.

Am Feuer versammelten sich nun sieben Dalazaaren. Sie verzehrten den Braten, bis nur noch blanke Knochen übrigblieben. La­chend unterhielten sie sich über die Jagd der letzten Nacht. Sie waren mit sich zufrieden.

»Ihr könntet uns wenigstens ein wenig Wasser geben«, brüllte Nedron zu ihnen hin­über. Sie beachteten ihn nicht.

Als sie ihre Jagd ausreichend beschwatzt hatten, lösten sie die Beinfesseln ihrer Ge­fangenen und trieben diese auf die aufstei­genden, schwarzen Felsen zu. Über einen schmalen Pfad ging es nach oben.

»Sie müssen uns auch die Arme freige­ben«, sagte der Arzt, als der Pfad zu einem kaum dreißig Zentimeter breiten Sims wur­de. »Gefesselt kommt hier niemand weiter.«

Er blieb stehen, doch schon Sekunden später hieb ihm einer der Jäger eine Peitsche über den Rücken. Nedron ging zögernd wei­ter. Er drängte einen Dello vor sich her, der es nicht wagte, den Sims zu betreten. Fünf Gefangene hatten die gefährliche Stelle be­reits passiert. Sie wurden von zwei Jägern bewacht.

Der Dello tastete sich zögernd voran. Er preßte sich mit der Brust gegen die steil auf­ragenden Felsen und schob die Füße zenti­meterweise weiter. Der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht.

Atlan beobachtete ihn. Er tat ihm leid, da er der Situation nicht

gewachsen war. Am liebsten hätte er ihm geholfen. Dazu hätte er sich jedoch an Ne­dron vorbeischieben müssen.

»Ganz ruhig«, rief er dem Androiden zu. »Es ist Platz genug da.«

Er blickte flüchtig nach unten. Sie befan­den sich in einer Höhe von etwa hundert Metern. Wer hier abstürzte, hatte keine Chance.

Der Dello blieb stehen. »Ich kann nicht«, rief er verzweifelt. »Ich

schaffe es nicht.« Einer der Jäger richtete die Spitze einer

Lanze auf ihn. »Geh sofort weiter«, befahl er ihm. »Los,

komm her zu mir.« Der Dello wimmerte. Tränen liefen ihm

über die Wangen. »Nicht doch«, sagte Atlan. »Es hilft über­

haupt nichts, wenn du stehenbleibst. Du mußt weitergehen. Entweder vor oder zu­rück.«

Einer der Jäger streckte die Lanze aus und stieß ihm die Spitze in die Seite.

»Wenn du dich nicht sofort bewegst, ma­che ich dir Beine«, sagte er drohend.

Der Dello schrie auf. Er schob einen Fuß zur Seite, rutschte auf einem Stein aus und stürzte auf die Knie.

»Hilf ihm«, schrie Atlan Nedron zu, doch dieser konnte auch nichts machen. Der Dello warf sich nach vorn, weil er hoffte, sich so halten zu können, doch dabei stürzte er in die Tiefe.

Die Jäger fluchten haltlos. Sie beklagten den Verlust eines Mannes, weil sich ihr Ge­winn dadurch verringerte.

Atlan blickte nach unten. Tief unter ihm auf den Felsen lag der zerschmetterte Dello. Es war nur ein Androide, ein biologischer Roboter. Dennoch tat er dem Arkoniden leid.

»Jetzt du«, befahl der Dalazaare und zeig­te auf Atlan.

Der Arkonide nickte. Er betrat den Sims und schob sich an der Felswand entlang.

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»Beeile dich«, schrie der Dalazaare, ob­wohl Atlan sich schnell und zügig bewegte. Der Aktivatorträger ließ sich nicht nervös machen. Mit schnellen, sicheren Seiten­schritten überwand er den gefährlichen Ab­schnitt. Neben dem Dalazaaren blieb er ste­hen.

Er erwartete, daß Nedron Schwierigkeiten wegen seiner Prothesen haben würde, doch er irrte sich. Nedron kam sicher über den Sims.

2.

»Seht ihn euch an«, brüllte der Mann. »Den da mit dem silbern schimmernden Haar und den roten Augen. Es ist der Ober­hof-Tormeister.«

Er krümmte sich vor Lachen, daß er bei­nahe von der Mauer gefallen wäre.

»Allerdings von eigenen Gnaden«, fügte er hinzu.

Die Menge johlte. Atlan tat, als habe er nichts gehört. Zu­

sammen mit den anderen Gefangenen be­wegte er sich durch die Menge, die sich vor dem Haupttor von Moondrag versammelt hatte. Er erinnerte sich daran, daß er zusam­men mit Razamon das Tor repariert und mit einem Ausgleichsgewicht versehen hatte, so daß es sich ganz leicht bewegen ließ. Die Bewohner von Moondrag benutzten diese Einrichtung, dachten jedoch nicht daran, sei­ne Leistung zu honorieren.

Einige Männer und Frauen stießen mit den Füßen nach ihm. Glücklicherweise wandte sich der Mann auf der Mauer den an­deren Gefangenen zu, um auch diese zu ver­höhnen. Dadurch ließ das Interesse der Zu­schauer für Atlan zumindest vorübergehend nach. Er hatte sich die Rückkehr nach Moondrag etwas anders vorgestellt, obwohl er nicht gehofft hatte, hier begeistert emp­fangen zu werden. Einige Bewohner von Moondrag sahen in ihm den Befreier, der die Stadt von dem Terror Sleipnirs befreit hatte. Die anderen sahen den Zerstörer in ihm, der schuld daran war, daß der größte Teil der

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Stadt in Schutt und Asche gesunken war. Dabei dachte niemand aus dieser Gruppe daran, daß Moondrag schon vorher kaum mehr als ein Trümmerhaufen gewesen war, in dem Ruhe und Ordnung Fremdworte wa­ren.

Zunächst jedoch schien sich keiner aus der Menge an seine Rolle im Kampf gegen Sleipnir zu denken. Man feierte die Tatsa­che, daß einige Dalazaaren Gefangene ge­macht hatten.

Die Dalazaaren trieben ihn und die ande­ren Gefangenen durch das Tor in die Stadt bis zu einem Platz, auf dem ein Holzgestell errichtet worden war. Auch hier hatte sich eine große Menge versammelt.

»Das sind wenigstens zweitausend Men­schen«, sagte Nedron, der stets dicht bei At­lan blieb. »Das ist fast die Hälfte der gesam­ten Bewohnerzahl. Was soll das alles?«

»Das werden wir vermutlich gleich erfah­ren«, entgegnete der Arkonide.

Die Dalazaaren trieben ihn zusammen mit den anderen Gefangenen auf die Plattform. Einige Kelotten fesselten ihre Füße an Stahl­ringe, die mit dem Holz verschraubt waren. Atlan sah sich um. Einige der Häuser, die den Platz begrenzten, waren neu aufgebaut worden. Sie bestanden aus Steinen, die mit einem Kunststoff verklebt worden waren. Sie machten einen sauberen Eindruck. Dane­ben standen einige Hütten. Bei ihnen war je­doch schon zu erkennen, daß sie abgerissen werden sollten. Baumaterial zeigte an, daß weitere Häuser neu errichtet werden würden.

»Es geht offenbar voran mit Moondrag«, sagte Nedron mürrisch. »Und darauf bilden die sich was ein?«

Aus einigen der Hütten stieg Rauch auf. Der Geruch gebratenen Fleisches wehte her­an.

Die Männer und Frauen, die sich versam­melt hatten, wirkten ausgelassen und heiter.

Du bist auf einem Volksfest, stellte der Logiksektor fest. Du bist eine der Attraktio­nen, die man dem Volk bietet.

»Was haben sie mit uns vor?« fragte Ne­dron. »Ob sie uns öffentlich umbringen wol­

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len?« Atlan schüttelte den Kopf. »Nein. Dazu

haben sie keinen Grund.« Eine Gruppe rot gekleideter Männer

drängte sich durch die Menge. Das Gesicht des Mannes, der sich an der Spitze der Gruppe bewegte, kam dem Arkoniden be­kannt vor.

Pank-pank, meldete das Extrahirn. Der Mann, der die Anlagen unter der Stadt nicht zerstören, sondern für sich und seine Macht­ansprüche nutzen wollte.

Pank-pank war ein Dalazaare. Er hatte schwarzes, schulterlanges Haar und helle Augen. Sein Gesicht war von der Sonne ge­bräunt. Es war scharf geschnitten und ließ erkennen, daß Pank-pank ehrgeizig war.

Er stieg über eine Treppe auf die Holz­plattform.

Die Menge verstummte. Die anderen Rot­gekleideten stellten sich hinter Pank-pank auf. Der umklammerte sein rechtes Handge­lenk mit der linken Hand und stieß die Arme dabei über dem Kopf in die Höhe.

»Pthor«, schrie er. »Pthor«, antwortete die Menge und grüßte

in gleicher Weise. »Moondrag – das ist Freiheit! Das ist Zu­

kunft! Das ist Reichtum«, brüllte er und er­hob die Arme abermals.

Die Menge applaudierte begeistert. Pank-pank ließ eine geraume Zeit ver­

streichen, in der er den Beifall genoß. Dann aber hob er abwehrend die Hände.

»Bewohner von Moondrag«, rief er. »Lange genug habt ihr hungern müssen. Das ist jetzt vorbei. Die neuen Herren haben sich verpflichtet, uns ausreichend zu versorgen. Wir haben ihnen keine andere Wahl gelas­sen.«

Das stimmte zwar nicht ganz, doch das wußten nur Pank-pank und seine engsten Freunde, die zusammen mit ihm in der FE­STUNG gewesen waren. Die Menge jubelte ihm zu. Sie glaubte ihm vorbehaltlos.

»öffnet die Buden«, befahl Pank-pank. Er zog ein Kurzschwert aus seinem Gürtel und streckte es in den wolkenverhangenen Him­

mel. Ein Trompetensignal ertönte. Einige Männer rissen die vorderen Wände

der Hütten ein. Die Zuschauer brüllten vor Vergnügen,

als sie sahen, was sich dahinter verborgen hatte. Auf Eisengestellen grillten einige Frauen abgehäutete Rinder über offenen Feuern.

»Eßt, Freunde«, rief Pank-pank. »Eßt, bis euch die Bäuche platzen.«

Die Menge stürzte sich jubelnd auf das dargebotene Fleisch. Die Menschen dräng­ten sich vor den Hütten, als wollten sie diese einreißen.

Pank-pank hatte für genügend Rinder ge­sorgt. Atlan sah, daß alle eine ausreichende Portion Fleisch bekamen.

»Für viele ist das wahrscheinlich die erste vernünftige Mahlzeit seit Wochen«, sagte Nedron. »Sie sind völlig ausgehungert.«

»Dich scheint das nicht zu stören«, ent­gegnete Atlan, der neben ihm stand.

»Ich habe immer genug zu essen gehabt«, erklärte Nedron. »Und wenn ich zwei Stahl­beine hätte, dann entkäme mir kein Wild mehr. Hoffentlich komme ich noch einmal dazu.«

»Wenn es dich glücklich macht, wünsche ich es dir«, sagte der Arkonide.

Nedron krauste die Stirn. »Was machen sie, wenn sie die Ochsen

verzehrt haben?« fragte er. »Was machen sie, wenn sie dann noch Hunger haben?«

»Sie fallen über uns her«, sagte einer der anderen Gefangenen. »Dann kommen wir auf den Spieß.«

»Rede keinen Unsinn«, entgegnete Atlan. »Was wollen sie dann?« fragte Nedron. »Woher sollte ich es wissen? Mach die

Augen auf und sieh dich um. Hier passiert allerlei. Vielleicht kommst du von selbst drauf.«

Die Gefangenen brauchten nicht lange zu warten, bis sie eine Antwort auf ihre Fragen erhielten. Die Speisung der Massen näherte sich ihrem Ende. Pank-pank, der sich inzwi­schen ebenfalls gesättigt hatte, kehrte auf das Holzgerüst zurück. Er hob die Arme

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zum Gruß. »Pthor!« schrie er, und die Menge ant­

wortete ihm mit dem gleichen Gruß. »Moondrag«, fuhr er fort. »Das ist Frei­

heit! Das ist Zukunft! Das ist Reichtum!« Er wartete ab, bis der aufbrausende Bei­

fall abgeklungen war. »Männer und Frauen von Moondrag, ihr

seid die Herren dieser Stadt. Über euch steht niemand. Wer von außen kommt, steht unter euch. Ganz gleich, wer es ist, er könnte nie­mals Moondrager werden, niemals alle Rechte erwerben.«

Wieder unterbrach ihn der Applaus der Menge. Atlan beobachtete ihn. Pank-pank genoß es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen.

»Jeder von euch hat mit dem Fleisch auch ein Papier bekommen«, rief Pank-pank. »Auf jedem Papier steht eine Nummer. Jetzt werden einige von euch Sklaven gewinnen, mit denen ihr machen könnt, was ihr wollt. Ihr könnt sie für euch arbeiten lassen. Ihr könnt sie aber auch verkaufen. Und ihr könnt sie töten, wenn sie ungehorsam sind.«

»Ich komme nie zu einem zweiten Stahl­bein und einem zweiten, wirklich brauchba­ren Arm«, sagte Nedron seufzend.

»Wenn das deine ganze Sorge ist, dann wirst du die nächsten Wochen ganz gut überstehen«, sagte Atlan. »Solange du dich gut benimmst, kann dir nichts passieren.«

»Schade«, entgegnete Nedron. »Ich hatte mich gerade an dich gewöhnt. Ich dachte, wir würden zusammenbleiben.«

Pank-pank ließ sich einen Zettel reichen, auf dem zehn Zahlen vermerkt waren. Er hob die Arme. Die Menge verstummte. Aller Augen richteten sich auf ihn.

»Ein erstklassiger Zirkus«, flüsterte der Arzt. »Die Meute fällt darauf herein.«

Pank-pank rief die erste Zahl aus. Eine al­te Frau jubelte auf. Sie eilte zum Holzgerüst und hielt die rechte Hand hoch, in der sie einen Zettel hielt.

»Gib mir meinen Sklaven«, forderte sie. Pank-pank gab einem seiner Helfer einen

Wink. Der Helfer löste die Fesseln eines Kuroden und führte ihn bis an die Treppe.

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»Er gehört dir«, verkündete Pank-pank. Die Frau zerrte den Sklaven zu sich her­

unter, und Pank-pank rief die nächste Zahl aus.

»Hoffentlich gerate ich an einen einiger­maßen erträglichen Herrn«, sagte Nedron.

Atlan antwortete nicht. Man nahm ihm die Fesseln ab und führte ihn an die Treppe. Auf der untersten Stufe stand ein Junge, der etwa vierzehn Jahre alt war. Grinsend be­trachtete er den Arkoniden.

»Danke, Pank-pank«, sagte er. »Ich bin zufrieden. Dieser Mann kann arbeiten, das sieht man.«

Atlan wollte zu dem Jungen gehen, als ihm Pank-pank rasch die Hand auf die Schulter legte.

»Laß dich nicht täuschen, Atlan«, sagte er drohend. »Dein neuer Herr ist jung, aber er ist dennoch dein Herr. Du bist sein Eigen­tum. Wenn du ihm nicht in jeder Hinsicht gehorchst, wird er es mir sagen. Und dann brechen die letzten Sekunden deines Lebens an.«

Atlan blickte ihn an. »Du weißt also noch, wer ich bin«, stellte

er fest. Pank-pank lächelte drohend. »Allerdings«, erwiderte er. »Ich habe

nichts vergessen. Gerade deshalb macht es mir Spaß, dich heute als Sklaven zu ver­schenken.«

Er stieß ihn die Treppe hinunter. »Komm mit«, befahl der Junge. Er

schlang Atlan eine dünne Kette um das Handgelenk und zerrte ihn hinter sich her.

*

»Du wirst draußen schlafen«, erklärte der Junge. »In der Hütte ist kein Platz für dich.«

Die Hütte war etwa anderthalb Meter hoch, zwei Meter lang und zwei Meter breit.

»Das sehe ich ein«, entgegnete Atlan. »Wir müssen also etwas tun, um eine Unter­kunft für mich zu schaffen.«

»Warum? Es schadet dir nicht, wenn du hier draußen schläfst.«

11 Das kosmische Leuchtfeuer

»Natürlich nicht«, erwiderte der Arkoni­de. »Dennoch macht so etwas nicht gerade den besten Eindruck. Wer einen Sklaven hat, gilt als reich in Moondrag. Die anderen sind neidisch. Was meinst du, wie gern sie einen Sklaven hätten? Was aber sollen sie von ei­nem halten, der zwar einen Sklaven hat, die­sem aber kein Dach über dem Kopf bieten kann?«

Der Junge setzte sich auf eine Kiste, stütz­te das Kinn auf die Fäuste und blickte Atlan ratlos an. Er hatte ein rundes Gesicht mit dunklen, lebhaften Augen. Das Haar, das er sich sicherlich seit einer Ewigkeit nicht ge­schnitten hatte, hing ihm bis über die Augen herab. Er strich es hin und wieder mit den Fingern zur Seite, weil er sonst nicht genü­gend sehen konnte. »Du redest zuviel«, sag­te er. »Wir müssen uns miteinander verstän­digen«, erklärte Atlan. »Wie heißt du?«

»Topas«, entgegnete der Junge. »Ich ver­biete dir aber, mich so zu nennen. Ich bin dein Herr. Für dich bin ich nur der Herr. Weiter nichts.«

»Ich werde es mir merken, Herr.« »Gut«, sagte Topas. »Und jetzt beginnen

wir mit der Arbeit. Warte mal, laß mich nachdenken. Was könntest du am besten tun?«

»Soll ich dir etwas vorschlagen?« »Nein. Du bist still.« »Vielleicht habe ich aber einige gute Ide­

en?« »Ich befehle dir, den Mund zu halten.

Wenn du nicht gehorchst, töte ich dich.« »Ich bin dein Sklave. Ich gehorche.« Atlan beobachtete den Jungen. Er wußte,

daß er ihn ernst zu nehmen hatte. Topas war unter extrem harten Bedingungen aufge­wachsen. Daß er überhaupt überlebt hatte, das hatte er nur seiner Zähigkeit und seiner Klugheit zu verdanken. Seit Jahren lebten die Bewohner von Moondrag ohne regelmä­ßige Versorgung und ohne straffe Ordnung. Jeder mußte sich um sich selbst kümmern.

Topas war sich darüber klar, daß er mit Hilfe seines Sklaven reich werden konnte. Er wußte nur nicht, wie er das anstellen soll­

te. Er fühlte sich ihm unterlegen, da er noch ein Kind war, und fürchtete, von ihm nicht ernst genommen zu werden.

Atlan war sich darüber klar, daß Topas ihn notfalls töten würde, wenn es für ihn darum ging, sich die Selbstachtung zu erhal­ten.

Daher gehorchte der Arkonide. Er schwieg und wartete ab.

Etwa eine Stunde verstrich, ohne daß To­pas ein Wort sagte. Er blickte seinen Skla­ven nur hin und wieder nachdenklich an. Schließlich erhob er sich.

»Ich weiß jetzt, was du tun mußt«, sagte er. »Geh los und besorge etwas zu essen. Ich weiß, wo etwas ist, aber der Mann, dem es gehört, ist zu stark für mich. Du aber kannst ihn niederschlagen und alles nehmen, was ich haben möchte.«

»Das geht nicht«, erwiderte Atlan. »Ich befehle es dir«, schrie Topas. Seine

Augen funkelten zornig. »Die Zeiten ohne Gesetz und Ordnung

sind vorbei. Pank-pank will Ordnung.« »Du mußt gehorchen, sonst töte ich dich.« »Ich bin dein Sklave, aber ich habe auch

die Pflicht, dich zu beschützen.« »Mich beschützen?« Der Junge blickte

Atlan überrascht an. »Wie meinst du das?« »Wenn ich für dich stehle, dann verstößt

du gegen das Gesetz. Du bist dafür verant­wortlich, was ich tue. Das bedeutet, daß du bestraft wirst. Nicht ich.«

Topas stieß einen Stein mit dem Fuß weg und fluchte.

»Es scheint gar nicht so leicht zu sein, einen Sklaven zu haben«, sagte Topas schließlich.

»Es ist nicht so schwer, wie du glaubst«, sagte der Arkonide. Er streckte dem Jungen die Hände entgegen. »Wenn dein Sklave nur mit seinen Händen für dich arbeiten soll, ist es schwer. Wenn er jedoch auch seinen Kopf benutzen darf, ist es leicht.«

»Wie meinst du das?« »Ich habe viel gelernt«, erklärte Atlan.

»Warum sollte ich stehlen, wenn ich auf an­dere Weise viel leichter Quorks verdienen

12

kann? Warum sollte ich die Hände benutzen, wenn ich mit dem Kopf weitaus mehr Quorks beschaffen kann? Warum sollte ich ein paar Nahrungsmittel zusammenraffen, wenn ich mir mit Quorks alles kaufen kann, was ich will?«

»Aha«, sagte Topas. »Du behauptest also, daß du Quorks beschaffen kannst. Wo willst du sie stehlen?«

Atlan lächelte. »Es geht nicht ums Stehlen. Es geht um

ehrliche Arbeit.« »Quatsch«, rief der Junge und spuckte

aus. »In Moondrag verdient kein Mensch mit ehrlicher Arbeit Geld.«

»Dann wirst du der erste sein.« »Wie denn?« »Mit dem Wind«, erwiderte der Arkonide.

»Soweit ich weiß, weht der Wind stets aus der gleichen Richtung. Stimmt das?«

»Das ist richtig, aber niemand in Moon­drag kauft mir den Wind ab.«

»Seit die Anlagen unter der Stadt zerstört sind, brennen die Lichter nicht mehr in die­ser Stadt«, erklärte Atlan. »Es hat zwar nur wenige Anschlüsse gegeben, aber selbst die sind jetzt nutzlos, weil es keinen Strom mehr gibt. Ich werde dir ein Gerät bauen, das Energie liefert. Dann brennen die Lichter wieder.«

»Und was habe ich davon?« fragte Topas. Ruhig und geduldig setzte Atlan ihm den

Plan auseinander. »Du wirst dich an das Gerät setzen und

von jedem Quorks kassieren, dessen Lichter brennen sollen«, sagte er und erklärte ihm, wie er eine Windmühle zur Stromerzeugung bauen wollte. Auch jetzt verstand Topas nicht alles. Er begriff jedoch immerhin, daß der Plan seines Sklaven realisierbar war und ihm Geld einbringen würde.

»Woher bekommen wir die Teile, mit de­nen wir das Dings bauen?« fragte er.

»Die liegen hier überall herum«, antwor­tete der Aktivatorträger. »Wir können auch in die zerstörten Anlagen unter der Stadt ge­hen und von dort holen, was wir benötigen. Laß das meine Sorge sein. Ich werde auch

H. G. Francis

mit jenen Leuten sprechen, die ihre Lichter brennen lassen wollen. Du brauchst dich um nichts zu kümmern, schließlich bist du der Herr, und ich bin der Sklave.«

Die Sache macht dir Spaß, stellte der Lo­giksektor fest.

Atlan hielt überrascht inne. Er horchte in sich hinein. Dann blickte er Topas an und lä­chelte.

Der Junge gefiel ihm. Er hatte das Bedürf­nis ihm zu helfen, und es machte ihm Spaß, etwas aufzubauen.

»Gut«, sagte Topas. »So machen wir es. Du arbeitest, und ich kümmere mich um die Politik.«

»Um die Politik?« fragte Atlan über­rascht. »Was hat das zu bedeuten?«

»Pank-pank braucht Männer, die mit ihm zusammen das neue Moondrag aufbauen«, erklärte Topas. Er umklammerte sein rechtes Handgelenk mit der linken Hand und stieß die Arme in die Höhe. »Der Kampf beginnt. Wir wollen die Zukunft und die Macht. Frei­heit für Moondrag.«

Erschüttert blickte Atlan den Jungen an. Er hatte nicht erwartet, daß die Parolen Pank-panks so auf ihn wirkten. »Pank-pank ist ein kluger Mann«, sagte er vorsichtig. »Und er hat Ideen, wie man Moondrag wie­der aufbauen kann, aber es gibt sicherlich auch Menschen, die es etwas anders machen möchten als er. Vielleicht ist ihr Weg sogar besser?«

»Moondrag ist die Macht«, entgegnete Topas. Seine Wangen strafften sich, und die Augen blitzten. »Pank-pank sichert uns die Zukunft. Und jetzt genug geredet, Sklave. Arbeite endlich. Wenn ich zurückkomme, will ich Ergebnisse sehen. Die Zeiten, in de­nen gefaulenzt wurde, sind endgültig vor­bei.«

Er ging hochaufgerichtet an Atlan vorbei und verschwand zwischen den Elendsquar­tieren in der Nachbarschaft.

Atlan ließ sich auf eine Kiste sinken. Es ist deine Schuld, meldete der Logik­

sektor. Versuche nicht, andere dafür verant­wortlich zu machen. Du allein bist schuld.

13 Das kosmische Leuchtfeuer

Als er das erste Mal nach Moondrag ge­kommen war, hatte er den Kampf gegen die Mächte aufgenommen, die damals die Stadt beherrschten. In der festen Überzeugung, das Richtige zu tun, hatte er diese Mächte zerschlagen. Seitdem schleuderte Mjöllnir keine Blitze mehr auf die Stadt. Die techni­schen Anlagen unter der Stadt waren zerstört worden und vollkommen ausgefallen.

Danach war Atlan aus Moondrag geflo­hen. Die Bewohner der Stadt hatten ihm die Schuld an den Zerstörungen gegeben, und er hatte keine Möglichkeit gehabt, ihnen zu be­weisen, daß alles ganz anders gekommen wäre, wenn man auf ihn gehört hätte.

Das ist keine Entschuldigung, stellte der Logiksektor fest. Du hättest Moondrag nicht verlassen dürfen.

Er hatte die Stadt zwar von der Schreckensherrschaft befreit, die Harvall mit Hilfe von Sleipnir errichtet hatte, aber dann hatte er die Menschen der Stadt mit sich al­lein gelassen. Er hatte ihnen nichts gegeben, an dem sie sich orientieren konnten.

Unter diesen Umständen war es ein Wun­der, daß sich nicht schon viel früher eine po­litische Bewegung herausgebildet hatte, die versuchte, eine Diktatur zu errichten.

Es überraschte Atlan auch nicht, daß die Massen auf die demagogischen Reden Pank­panks hereinfielen, und daß sie begeistert auf seine Parolen reagierten.

3.

Topas blickte an dem Stahlgerüst hoch zu dem Propeller. Sein Gesicht war gerötet vor Stolz und Erregung. Seine Hand umklam­merte einen Hebel. Langsam legte er ihn um, ohne den Blick vom Propeller zu wen­den. Dieser begann sich augenblicklich zu drehen, als die Sperre beseitigt war.

Topas fuhr herum und blickte zu einem etwa fünfzig Meter entfernten Holzbau hin­über. Er schrie jubelnd auf, als er sah, daß dort eine Glühbirne brannte.

Von dem Haus her antwortete ihm der Ju­belschrei eines korpulenten Mannes.

»Ich habe es geschafft«, rief Topas. »Ich habe es tatsächlich geschafft. Mann, das ist das reinste Zauberwerk. Ich hätte nie ge­dacht, daß ich das bringe. Einmalig!«

Um ihn herum standen etwa dreißig Män­ner, Frauen und Kinder. Staunend beobach­teten sie das Geschehen. Einige, die augen­blicklich begriffen, eilten zu Topas und gra­tulierten ihm überschwenglich. Sie hoben ihn auf ihre Schultern und trugen ihn im Kreis herum. Der Junge lachte und ließ es sich gefallen, bis seine Blicke auf Atlan fie­len, der abseits stand. Er schüttelte die Män­ner, die ihn hielten, ab und ging langsam zu dem Arkoniden. Sein Gesicht verfinsterte sich.

»Warum freust du dich nicht, Sklave?« fragte er zornig. »Warum gratulierst du mir nicht, so wie die anderen es tun?«

»Ich gratuliere dir, Herr«, sagte Atlan freundlich. »Das war großartig.«

»Ich habe die ersten Quorks in meinem Leben verdient«, rief Topas und zeigte die beiden Knochen vor, die er für den Strom erhalten hatte. »Dies ist der größte Tag in meinem Leben. Ihr seid alle meine Gäste. Du da, besorge etwas, damit wir alle essen und trinken können.«

Er zeigte auf einen älteren Mann, der sich sogleich unterwürfig vor ihm verneigte und versprach, alles zu tun, was möglich war.

Atlan hielt sich zurück. Er hätte Topas gern etwas gesagt, doch der Junge war in seiner überschäumenden Freude nicht an­sprechbar. So wartete der Arkonide ab, bis die Nacht vorbei war und Topas mit schwe­rem Kopf und leeren Taschen aufwachte.

Über ihm ratterte der Propeller, trieb un­ermüdlich den Generator an und lieferte Strom für eine einzige Glühbirne. Atlan hat­te dafür gesorgt, daß die Leistung gerade für diese eine Birne reichte. Durch eine einfache Umstellung konnte er jedoch erreichen, daß sie gesteigert wurde. Die Leistungsgrenze lag bei etwa einhundert Glühbirnen. Atlan war sich dessen sicher, daß Topas über Ab­nehmer nicht zu klagen brauchte, doch das wollte er ihm noch nicht sagen.

14

»Was siehst du mich so an?« fragte Topas mürrisch und gereizt. »Ich habe Hunger. Be­sorge etwas.«

»Gib mir Quorks«, forderte der Arkonide. »Ich habe keine mehr, doch man wird dir

überall etwas geben. Man weiß, daß ich je-den Tag Quorks verdiene.«

»Wenn du reich werden willst, mußt du es anders machen«, sagte Atlan freundlich. »Du hast Fehler gemacht. Der erste war, gleich beide Quorks auszugeben. Einer hätte genügt, alle satt zu machen. Und du hättest heute noch einen zweiten für dich gehabt. Doch damit nicht genug. Du willst jetzt auch die Quorks ausgeben, die du noch gar nicht verdient hast.«

»Das Ding da oben dreht sich und liefert mir Quorks, soviel ich will.«

»Heute wirst du dir einen Quork leihen. Morgen den zweiten. Übermorgen den drit­ten. Und so weiter. Dein einziger Kunde braucht erst in vier Wochen wieder zu zah­len. Bis dahin sind deine Schulden so groß geworden, daß man dir ein Angebot machen wird.«

»Was für ein Angebot?« fragte Topas. »Man wird dir alle Schulden erlassen,

wenn du dafür dein Elektrizitätswerk ver­kaufst.«

Topas klatschte begeistert in die Hände. »Das ist ja sagenhaft«, sagte er. »Ich kann

also vier Wochen lang prassen, bis das Geld verbraucht ist? Du bist ein guter Sklave. Mit dir kann man etwas anfangen.«

»Wenn du dein ganzes Geld ausgibst, bist du wieder so arm wie zuvor, und niemand wird dir auch nur einen Schluck Wasser schenken.«

»Pah«, erwiderte der Junge lachend. »Dann habe ich doch immer noch dich. Du wirst andere Dinge bauen, mit denen ich Geld verdienen kann.«

»Du könntest auch gleich soviel Geld ver­dienen, daß du später keine Sorgen mehr hast.«

Jetzt leuchteten die Augen des Jungen be­gierig auf. »Wie denn?« fragte er. »Zunächst mußt du dir darüber klar sein, daß Pank-

H. G. Francis

pank hier bald aufkreuzen wird. Er will Strom von dir haben, oder glaubst du, er läßt es sich gefallen, daß der Dicke dort drüben Licht hat, und er nicht?«

»Pank-pank bekommt von mir alles, was er will.«

»Natürlich«, antwortete Atlan. »Wenn du ihm nämlich nicht freiwillig gibst, was er haben will, dann nimmt er es sich mit Ge­walt.«

Topas fuhr zusammen. Er ballte die Hän­de zu Fäusten und erhob sie drohend vor At­lan, bevor er jedoch zuschlagen konnte, fuhr dieser fort: »Deshalb solltest du ihm ganz schnell so einen Turm anbieten, wie ich ihn dir gebaut habe. Dann hat Pank-pank Licht in seinem Haus, und er ist dir dankbar.«

»Das ist eine gute Idee«, stimmte Topas zu und ließ die Fäuste sinken. »Ich werde ihm einen Turm bauen. Und dem reichen Hosta ebenfalls.«

»Jetzt hast du begriffen«, sagte Atlan. »Du wirst viele Türme bauen und überall kassieren. Am Ende wirst du die ganze Stadt mit Strom beliefern und der reichste Mann von Moondrag sein.«

Topas sprang auf. »Worauf wartest du noch?« schrie er.

»Fange endlich mit den Arbeiten an. Glaubst du, wir haben den ganzen Tag Zeit zum Plaudern?«

Er eilte davon, um Pank-pank sein Ange­bot zu machen.

»Gib es ihm aber nicht umsonst«, rief At­lan ihm nach. »Er soll dafür zahlen.«

*

Als Topas zwei Stunden später zu Atlan zurückkehrte, blieb er vor Überraschung schon hundert Meter von ihm entfernt ste­hen. Zwanzig junge Männer saßen um Atlan herum auf dem Boden. Der Arkonide stand vor einer Brettertafel und zeichnete mit Kreide etwas auf.

»Bist du wahnsinnig?« brüllte Topas, als er begriff, was sein Sklave trieb. Er rannte auf ihn zu, stürzte sich auf die Brettertafel

15 Das kosmische Leuchtfeuer

und warf sie um. »Dafür hast du den Tod verdient.«

Er riß ein Messer unter seinem Hemd her­vor, warf sich auf den Arkoniden und ver­suchte, ihm die Klinge ins Herz zu stoßen. Atlan fing ihn jedoch ab und hielt seine Hand fest.

»Was hast du, Herr?« fragte er. »Ich ver­suche nur, dir zu dienen, so wie es meine Pflicht ist.«

»Was sollen diese Kerle hier? Wie kommst du dazu, ihnen mein Geheimnis zu verraten?« brüllte der Junge.

Atlan verkniff sich die Bemerkung, daß Topas überhaupt kein Geheimnis hatte, weil er nicht wußte, wie der Turm funktionierte.

»Ich habe sie dir verpflichtet«, erklärte er. »Keiner von ihnen wird etwas verraten. Sie werden alle für dich arbeiten und für dich Geld verdienen.«

Topas stutzte. Er riß sich los und trat zwei Schritte zurück.

»Sie werden für mich arbeiten? Wieso?« »Ich habe einen Plan für dich entwickelt«,

sagte der Arkonide. »Du willst die ganze Stadt mit Strom versorgen. Dazu brauchst du Hilfe. Diese Männer helfen dir. Sie wis­sen, wie man die Türme baut, aber sie wis­sen nicht, wie man Strom erzeugt. Dieses kleine Geheimnis habe ich für mich be­wahrt.«

Topas blickte ihn kopfschüttelnd an. »Ich verstehe dich nicht«, gestand er. »Dabei ist es doch so einfach«, erwiderte

Atlan. »Wissen ist Macht. Das ist kein leeres Wort. Nur derjenige, der etwas weiß, kommt weiter. Wer jedoch darauf verzichtet, sein Gehirn zu benutzen, bleibt stehen.«

Atlan klatschte in die Hände. »Los, Leu­te«, befahl er. »Beginnt mit der Arbeit. Sucht die Teile aus den Trümmern zusam­men, die wir benötigen. Beeilt euch. Wir be­zahlen gut. Wer nicht gut arbeitet, darf auch nicht für uns arbeiten.«

Gefährliche Ausbeutermethoden, stellte der Logiksektor fest.

Ich habe keine andere Wahl, verteidigte Atlan sich.

Er schreckte aus seinen Gedanken auf. Ei­ne Gruppe von rot gekleideten Jungen mar­schierte geordnet um die Ecke eines Hauses herum. Ein Erwachsener, ebenfalls in Rot, schritt ihnen voran. Er umklammerte das rechte Handgelenk mit der linken Hand, stieß die Arme in die Höhe und schrie: »Das Lied von Moondrag!«

»Freiheit! Zukunft! Reichtum«, antworte­ten die Jungen und sangen im Rhythmus ih­rer Schritte.

Atlan fühlte, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Verstohlen blickte er zu Topas hinüber, der den Zug mit leuchtenden Augen beobachtete. Er sah ihm an, daß er sich am liebsten zu den Jungen gesellt hätte, so wie es viele andere taten. Rasch legte er ihm die Hand auf die Schulter.

»Laß dich nicht ablenken, Herr«, sagte er. »Deine Aufgabe ist es, die Stadt mit Licht zu versorgen. Das ist wichtiger. Du gibst den Menschen Arbeit und Brot. Die da drü­ben geben ihnen Lieder. Was ist besser?«

Topas schüttelte die Hand ab. Er blickte den Jungen nach, bis sie zwischen den ärm­lichen Hütten verschwanden.

»Mußt du mir alle Freude nehmen, Skla­ve?« fragte er ärgerlich. »Was Pank-pank macht, gefällt mir.«

»Manchen gefällt es nicht.« »Das wird sich ändern, und wenn wir sie

zwingen müssen.« »Niemand sollte jemand zwingen, etwas

zu glauben oder nicht zu glauben.« »Sie haben die Freiheit, die Gedanken

Pank-panks in sich aufzunehmen«, erklärte Topas, wobei er nachsprach, was Pank-pank irgendwann verkündet hatte.

»Besser wäre es, wenn sie auch die Frei­heit hätten, es nicht zu glauben«, erwiderte Atlan.

»Du bist mein Sklave«, schrie der Junge wütend. Sein Gesicht rötete sich. »Ich will nicht, daß du etwas gegen Pank-pank sagst. Ich will, daß du gehorsam bist. Sonst töte ich dich.«

»Angesichts dieser Worte fällt es mir leicht, dir gehorsam zu sein«, bemerkte der

16

Arkonide. Topas musterte ihn argwöhnisch. Er wuß­

te nicht, wie Atlan seine Worte gemeint hat­te, und das machte ihn unsicher.

Ein blonder Junge näherte sich ihnen. Er hatte ein hohlwangiges Gesicht, das erken­nen ließ, daß er unter Hunger litt. Er trug ein grobes Gewand aus Sackleinen. Die dünnen Arme und Beine waren nackt.

»Hallo, Lanze«, sagte Topas. »Dich habe ich lange nicht mehr gesehen. Komm her. Du hast Hunger, wie?«

»Ich habe seit einer Woche nichts mehr gegessen«, entgegnete Lanze und ließ sich erschöpft auf den Boden sinken. »Ich habe gehört, daß es dir gut, geht.«

»Mir geht es ausgezeichnet.« Er warf At­lan einen der Quorks hin, die er von Pank­pank erhalten hatte. »Besorge uns was zu es­sen. Beeile dich. Lanze ist mein Freund. Er hat mir mal das Leben gerettet. Ist doch klar, daß ich etwas für ihn tue.«

Atlan ließ sich erklären, wo er etwas kau­fen konnte, und entfernte sich. Er hörte noch, daß Lanze und Topas sich über Pank­pank und dessen neue Ideen unterhielten. Dabei war Lanze offensichtlich anderer Meinung als Topas.

*

Schon nach etwa einer halben Stunde hat­te Atlan alles zusammen, was Topas haben wollte. Er machte sich auf den Rückweg durch die Trümmer der Stadt.

Mehrere Male stellten sich ihm Männer, Frauen oder Kinder in den Weg und zwan­gen ihn, auszuweichen. Atlan war sich des­sen bewußt, wie gefährlich die Situation für ihn war. Er vermied es, mit jemandem zu­sammenzustoßen, um niemanden zu provo­zieren.

Die Bewohner von Moondrag kannten ihn, und sie wußten, daß er Sklave war. Eine gewisse Strecke liefen Kinder hinter ihm her und verhöhnten ihn, aber er beachtete sie nicht.

Wie gut er daran tat, sich demütig zu ver-

H. G. Francis

halten, merkte er schon wenig später, als er einen Platz mit einem Brunnen erreichte. Et­wa zweihundert Männer und Frauen hatten sich hier versammelt. Einer der rot unifor­mierten Helfer Pank-panks stand neben ei­nem provisorisch aufgestellten Galgen.

Atlan krampfte sich der Magen zusam­men, als er sah, daß die Uniformierten einen der anderen Gefangenen erhängt hatten.

Der Arkonide wollte sich abwenden, als ihn plötzlich ein Mann am Arm packte.

»Hier ist noch einer«, rief er. Bleiche Ge­sichter wandten sich Atlan zu.

»Ein Sklave«, brüllte der Mann, der ihn festhielt. »Er scheint auch weggelaufen zu sein.«

»Ich habe Nahrungsmittel für meinen Herrn besorgt«, erklärte der Arkonide. »Er erwartet mich.«

Der Mann in der roten Uniform drängte sich durch die Menge. Vor Atlan blieb er stehen. Er musterte ihn von oben bis unten.

»Der scheint in Ordnung zu sein«, sagte er dann. Er wies mit dem Daumen über die Schulter zurück auf den Gehenkten. »Weißt du, was mit dem Sklaven war?«

»Nein. Ich weiß es nicht, Herr«, erwiderte Atlan.

»Er ist seinem Herrn weggelaufen«, eröff­nete ihm der Gehilfe Pank-panks.

»Das würde ich nie tun«, sagte der Arko­nide.

»Das will ich dir auch nicht raten.« Der Uniformierte gab ihm einen Stoß vor die Brust. Einige der Sachen, die Atlan gekauft hatte, fielen auf den Boden. Er bückte sich eilig, hob sie auf und entfernte sich. Wenig später stellte er aufatmend fest, daß ihm nie­mand folgte.

Er beschleunigte seine Schritte und kehrte zu Topas zurück. Lanze stürzte sich förm­lich auf die Nahrungsmittel. Er konnte je­doch nicht viel essen, weil er schon zu stark geschwächt war. Atlan riet ihm, eine Pause einzulegen und später noch ein wenig mehr zu sich zu nehmen.

Die meisten der Männer, die Atlan ausge­bildet hatte, waren inzwischen zurückge­

17 Das kosmische Leuchtfeuer

kehrt. Sie hatten ganze Berge von brauchba­rem Material angeschleppt. Der Arkonide befahl ihnen, mit der Arbeit fortzufahren, das Material zu sortieren und Teile der zu konstruierenden Türme zusammenzusetzen.

»Und für dich habe ich noch einen ande­ren Vorschlag, Herr«, sagte er dann zu To­pas.

Der Junge hatte inzwischen begriffen, daß er gut daran tat, auf Atlan zu hören.

»Willst du mir noch ein Geschäft vor­schlagen?« fragte er.

»Ich möchte mich in den Anlagen unter der Stadt umsehen«, erklärte der Arkonide ihm. »Vielleicht finden wir dort Dinge, die wir gebrauchen können.«

»Da ist nichts«, erwiderte Topas. »Alles ist zerstört.«

»Hast du es selbst gesehen?« »Natürlich nicht. Was sollte ich da un­

ten?« »Verlaß dich darauf, Herr, ich finde etwas

für dich.« Atlan atmete auf, als Topas doch noch seine Zustimmung gab. Er hatte kein besonders großes Interesse daran, den Jun­gen reich zu machen. Er wollte Moondrag so schnell wie möglich verlassen, aber er woll­te auch versuchen, die verhängnisvolle poli­tische Entwicklung aufzuhalten oder umzu­kehren.

So hoffte er, in den Höhlungen unter der Stadt ein Fluggerät zu finden, das er aktivie­ren konnte, um damit zur FESTUNG zu flie­gen. Das war sein Ziel. Er wollte so schnell wie möglich mit den Söhnen Odins spre­chen, um sie für einen Kampf gegen die Spercoiden zu gewinnen.

Nach wie vor hoffte Atlan aber auch, auf Robotbürger von Wolterhaven in Moondrag zu stoßen. Von ihnen, so glaubte er, würde er einen Zugor bekommen, mit dem er schnell zur FESTUNG gelangen konnte. Er war überzeugt davon, daß sich Robotbürger in der Stadt aufhielten, denn er ging davon aus, daß die Söhne Odins sich über Moon­drag und die hier vorhandenen Schaltanla­gen informieren wollten.

Daher ergab sich für ihn die Chance, in

den Anlagen unter der Stadt Hilfe zu finden – entweder in Form eines Fluggeräts oder durch die Robotbürger.

»Was, zum Beispiel, könntest du dort un­ten finden?« fragte Topas und machte sich auf den Weg.

»Ich denke an Maschinen, die die ganze Stadt mit Strom versorgen können«, erwi­derte der Arkonide. »Dann brauchtest du nicht viele Mühlen zu errichten, sondern könntest von einer Stelle aus die ganze Stadt versorgen.«

»Warum hast du mir das nicht gleich vor­geschlagen?« fragte der Junge. »Wir hätten uns viel Arbeit ersparen können.«

»Ich mußte dir erst einmal beweisen, daß ich es ehrlich mit dir meine. Jetzt weißt du, daß du dich auf mich verlassen kannst.«

»Du hast recht. Zuerst hatte ich kein Ver­trauen zu dir. Ich wußte schließlich, daß alle Sklaven faul und dumm sind. Du scheinst ei­ne Ausnahme zu sein.«

Er trat Atlan gegen die Wade. Der Schlag kam so überraschend, daß der Arkonide fast gestürzt wäre.

»Nur, damit du nicht übermütig wirst«, erläuterte Topas. »Damit du nicht vergißt, wer hier der Herr, und wer der Sklave ist.«

»Ich werde es nie vergessen«, versprach Atlan.

Der Junge eilte weiter. Sie erreichten die Reste einer Metallkuppel. Zwischen den Trümmern gähnte ein Krater.

»Warte hier«, befahl Topas. Er ging da­von und kehrte nach einigen Minuten mit mehreren Kerzen wieder zurück.

»Du hast sie gestohlen«, stellte Atlan fest. »Na und? Wen stört das?« »Vielleicht jene, denen die Kerzen gehö­

ren. Für sie sind sie unter Umständen le­benswichtige Tauschobjekte. Du kannst sie bezahlen. Sie kosten noch nicht einmal einen Quork. Sollen die Leute von dir sagen, daß du dir dein Geld zusammengestohlen hast? Das hast du nicht nötig.«

Das Gesicht des Jungen, das sich bei den ersten Worten Atlans verdüstert hatte, hellte sich nun mehr und mehr auf.

18

»Du hast recht«, sagte er. »Ich bin reich. Was soll's. Ich kann die Kerzen bezahlen.« Er streckte Atlan die Hand entgegen und ließ sich einen Quork geben. Dann eilte er erneut davon. Er sah zufrieden aus, als er kurz darauf zurückkehrte. Atlan zündete ei­ne Kerze an und kletterte mit Topas zusam­men in den Krater. Er stellte fest, daß nur wenige Spuren vorhanden waren. Offenbar hatten sich nur wenige Bewohner von Moondrag für die Anlagen unter der Stadt interessiert.

Bereits auf den ersten Schritten zeigte sich, warum das so war. Die Anlagen waren von den Explosionen zerfetzt worden. Ein schier undurchdringliches Gewirr von ver­bogenen Stahlträgern, Drähten und Maschi­nen stellte sich Atlan in den Weg. Ge­schmolzenes und in bizarren Formen wieder erstarrtes Metall bildete eine Barriere von erheblichen Ausmaßen. »Das hat keinen Sinn«, sagte Topas mutlos. »Da kommen wir nicht durch.«

»Abwarten«, entgegnete Atlan. Er kroch durch eine Lücke im Gewirr der Stahlträger und schob sich weiter voran, bis sich vor ihm ein Spalt im Boden auftat. Er warf einen Stein hinein. Dieser schlug erst nach etwa zwanzig Sekunden tief unter ihm auf.

»Das können wir nicht riskieren«, sagte Topas. »Der Spalt ist zu breit. Laß uns um­kehren.«

»Wart's ab«, entgegnete Atlan. Er leuchte­te das Gewirr der Stahlstreben aus, bis er ei­nige lose herumliegende Stücke fand. Diese schleppte er zum Spalt und baute eine einfa­che Brücke, über die er auf die andere Seite kommen konnte. Topas wartete ab. Er kam erst nach, als er sicher war, daß er nicht ab­stürzen würde.

Danach kamen Atlan und sein Begleiter schneller voran. Sie erreichten nach einiger Zeit ein Querschott, das die Spuren einer er­heblichen Hitzeeinwirkung aufwies. Atlan versuchte es zu öffnen, indem er die Hand auf die Kontaktscheibe legte, aber ohne Er­folg.

»Siehst du«, sagte Topas. »Es hat keinen

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Sinn. Wir kehren um.« »Noch nicht«, entgegnete der Arkonide. »Bin ich der Herr oder du?« schrie der

Junge. »Du bist es. Du entscheidest. Ich bin nur

der Sklave, aber als dein Diener bin ich ver­pflichtet, alles zu tun, was in meinen Kräften steht, um deine Position in Moondrag zu verbessern.«

»Übertreibe nicht«, sagte Topas. »Das ist doch alles Unsinn. Du tust alles nur, weil du an dich selbst denkst.«

»Nun gut«, gab Atlan zu. »Ich denke nur an mich selbst. Es stimmt. Ich habe keine Lust, einem Herrn zu dienen, der mir nur Abfälle vorsetzen kann. Wenn ich schon Sklave sein muß, dann bei einem Herrn, der mir etwas bieten kann.«

»Dafür könnte ich dich töten.« »Du machst es dir zu einfach. Ich will

dich reich machen. Und mächtig. Ich weiß, wie man so etwas macht. Warum sträubst du dich dagegen? Laß mich doch endlich tun, was ich für richtig halte. Du hast die Vortei­le davon.«

Topas blickte ihn unschlüssig an. »Du kannst das Schott nicht öffnen. Wozu

redest du also so viel?« »Ich bitte dich nur um ein wenig Geduld.

Dann geht alles«, erwiderte der Aktivatorträ­ger. »Jedes Schott hat zwei Öffnungsvor­richtungen, eine elektrische und eine mecha­nische. Den mechanischen Teil werde ich finden.«

»Dann beeile dich. Ich habe keine Lust, mein halbes Leben hier unten zu verbrin­gen.«

Atlan machte sich lächelnd an die Arbeit. Mit einem abgeplatzten Stahlstück, das er als Hebel benutzte, entfernte er die Wand­verkleidung neben dem Schott. Schon bald darauf hatte er einen Hebel freigelegt, der hinter einer Tür verborgen war. Er legte ihn um. Das Schott bewegte sich, kam nach ei­nigen Zentimetern jedoch wieder zur Ruhe.

Der Arkonide bewegte den Hebel nun mehrmals kräftig hin und her und öffnete das Schott dabei immer weiter, bis sich ein

19 Das kosmische Leuchtfeuer

Spalt gebildet hatte, der groß genug für ihn war. Er schob sich hindurch, da Topas keine Anstalten machte, die Vorhut zu überneh­men.

»Na, bitte«, sagte er befriedigt. »Hier ist nur wenig beschädigt worden.«

Der Junge folgte ihm eilig. »Was ist das?« fragte er. »Kennst du dich

mit diesen Maschinen aus?« »Es sind Antigravaggregate«, erklärte der

Arkonide. »Jetzt brauchen wir nur noch die Maschinen zu finden, die die Energie lie­fern, und du bist der König von Moondrag.«

»Der König von Moondrag ist Pank­pank«, entgegnete Topas. »Niemand ist mächtiger als er. Niemand wird ihn je besie­gen können. Er ist die Zukunft. Er ist Reich­tum. Er ist Freiheit.«

»Weiter so«, sagte Atlan. »Rede dir die­sen Unsinn nur oft genug ein. Schließlich wirst du glauben, daß es die Wahrheit ist.«

»Wenn du nicht sofort still bist, dann …«, schrie der Junge.

»Ja, ich weiß. Dann bringst du mich um«, sagte Atlan ruhig. »Denk doch nach. Pank­pank ist nichts, wenn ihr euch weigert, für ihn einzutreten.«

Er hob abwehrend die Hände, als Topas zu einer wütenden Gegenrede ansetzte.

»Du magst deinen Freund Lanze, nicht wahr?« fragte er.

»Sehr sogar«, erwiderte Topas. »Es tut mir leid, daß er nicht schon früher zu mir ge­kommen ist. Ich hätte ihm geholfen.«

»Du mußt ihm auch jetzt helfen. Er darf sich nicht so offen gegen Pank-pank äußern. Das könnte gefährlich für ihn werden.«

Topas schüttelte den Kopf und lachte är­gerlich.

»Manchmal denke ich, daß du klug bist. Dann wieder kommst du mir reichlich dumm vor. Du redest noch viel offener ge­gen Pank-pank als er. Hast du keine Angst?«

»Ich bin nur ein Sklave. Er ist ein freier Bürger und dein Freund. Schütze ihn vor Pank-pank.«

Topas wurde nachdenklich. Er schwieg einige Sekunden lang, dann gab er Atlan mit

einem Wink zu verstehen, daß er weiterge­hen sollte.

4.

»Hier geht es nach unten«, sagte Atlan. Er beugte sich über ein Geländer und streckte die Hand mit der Kerze von sich. Doch da­mit konnte er den Schacht nicht ausleuchten, vor dem er stand. Er war zu tief.

»Wer weiß, was da unten ist«, sagte To­pas unbehaglich. »Vielleicht geht's da direkt in die Hölle.«

»Das ist möglich«, entgegnete der Arko­nide. »Da du aber immer nur in Moondrag gelebt hast, dürfte es eigentlich nichts geben, was dich erschüttern kann.«

Er tastete sich bis zu einer Lücke im Ge­länder vor und fand eine senkrecht nach un­ten führende Stahlleiter. Ohne zu zögern, stieg er die ersten Sprossen hinab.

»Hierbleiben«, befahl der Junge. »Ich will nicht nach unten.«

Atlan stieg unverdrossen weiter, als habe er nichts gehört.

»Du sollst bleiben«, schrie Topas mit schriller Stimme, in der sich die Angst spie­gelte. »Du bist mein Sklave. Du mußt gehor­chen.«

»Du hast Angst«, rief Atlan zu ihm hoch und stieg weiterhin nach unten. »Dein Be­fehl wird dir später leid tun. Das weiß ich genau. Also entscheide ich mich für den Un­gehorsam, weil ich weiß, daß ich das Richti­ge für dich tue.«

»Komm zurück!« Atlan verharrte auf der Stelle. Er hob den

Arm mit der Kerze und leuchtete nach oben. »Du kommst sofort zu mir, Topas«, sagte

er. »Hast du verstanden?« Der Junge zögerte kurz, doch dann ge­

horchte er wortlos. Er schien noch nicht ein­mal zu bemerken, daß sich die Rollen ver­tauscht hatten. Er beugte sich dem Willen seines »Sklaven«.

Topas war in einer Stadt ohne Ordnung und Gesetz aufgewachsen. Nur eine Bestim­mung hatte es gegeben: Man durfte nichts

20

tun, was sich gegen den Herrn der Stadt richtete. Tat man es dennoch, zogen unwei­gerlich düstere Wolken über Moondrag auf, Sleipnir erschien in ihnen, und Mjöllnir schleuderte seine todbringenden Blitze auf den Täter herab.

So war es gewesen, bis Atlan in die Stadt gekommen war. Doch das war noch nicht so lange her. Die neue Zeit hatte noch keine tiefgreifenden Spuren in Topas hinterlassen. Der Glaube an die Rache durch den Blitze schleudernden Hammer war noch immer in ihm.

Oben in der Stadt fühlte er sich wohl. Dort kannte er sich aus. Dort hatte er es mit Menschen zu tun, gegen die er sich behaup­ten mußte.

Jetzt aber befand er sich in der Welt, die bisher verboten war. Wer konnte sagen, ob Sleipnir nicht doch plötzlich wieder erschi­en? Vielleicht war der wirklich Mächtige bisher so ruhig geblieben, weil er nur abge­wartet hatte?

Doch traute Topas sich auch nicht, allein durch diese düstere Welt nach oben zurück­zukehren. Jedes unbekannte Geräusch ließ ihn zusammenfahren. Und es gab fast nur unbekannte Geräusche in diesen Anlagen, deren Technik ihm völlig fremd war.

So hielt er sich dicht bei Atlan und hob sich seine Rache an ihm für später auf. Vor­läufig wollte er ihn nicht verärgern, damit er ihn nicht allein ließ oder gar in die Tiefe stürzte.

Er atmete auf, als Atlan die Leiter endlich verließ und über einen schmalen Steg auf fe­steren Boden zurückkehrte.

»Wo sind wir hier?« fragte Topas. Seine Stimme hallte vielfach an den Stahlwänden wider.

»Ich weiß es nicht«, antwortete der Arko­nide. »Du brauchst jedoch keine Angst zu haben. Hier ist niemand, der uns angreifen könnte. Wir sind ganz allein.«

»Ich habe keine Angst. Jedenfalls nicht vor dir.«

»Dazu hast du auch keinen Grund. Ich will dir helfen. Weiter nichts.«

H. G. Francis

Er ging an einer Schaltwand entlang, die mit zahlreichen Meßgeräten versehen war.

Atlan klopfte mit den Fingern dagegen. Er war am Ziel. Hier befand sich eine der Schaltstationen der fusionstechnischen Kraftwerke. Irgendwo mußte ein Notstrom­schalter sein. Er suchte die Schalttafeln ab, stets begleitet von Topas.

»Was suchst du?« fragte der Junge, als ei­nige Minuten verstrichen waren, ohne daß Atlan etwas erreicht hatte.

Der Arkonide lachte leise. »Dies hier. Deine Frage kam gerade rich­

tig.« Er legte einen Hebel um. Irgendwo tief unter ihnen summte es. Dann flackerten ei­nige Leuchtelemente über ihren Köpfen auf. Es wurde hell.

Topas atmete hörbar auf. Er drehte sich einige Male um sich selbst, bis er sich des­sen sicher war, daß niemand außer ihnen in der Nähe war.

»Ich habe die ganze Zeit über das Gefühl gehabt, daß uns jemand beobachtet«, sagte er.

»Hier sind nur wir«, erwiderte der Arko­nide.

»Und was jetzt? Wie geht es weiter?« »Wir sehen uns um«, erklärte Atlan. »Die

Schaltstation für das Kraftwerk haben wir gefunden, aber ob es noch funktioniert, wis­sen wir nicht. Diese Lampen hier werden aus Batterien gespeist, das aber genügt uns nicht.«

Topas wollte Fragen stellen, doch Atlan wies ihn ab. Er begann mit einer eingehen­den Untersuchung der Anlagen und führte eine Reihe von Tests durch, bis schließlich ein kraftvolles Brummen aus der Tiefe er­tönte.

»Jetzt gehen in Moondrag die Lichter an«, erklärte der Aktivatorträger. »Jedenfalls die, die diesem Netz angeschlossen sind.«

»Davon habe ich nichts. Wer bezahlt das?«

»Abwarten.« Atlan begann nun damit, die sich anschließenden Räume zu untersuchen. Dabei fand er allerlei Geräte, die für seine Zwecke geeignet waren. Er setzte ein Gerät

21 Das kosmische Leuchtfeuer

zusammen, das er mit der Hauptschaltung koppelte, und brachte einen Magnetschalter an, der über Funk betätigt werden konnte. Dann stimmte er es mit einem Armband­funkgerät ab, das er in einem Schrank ent­deckt hatte. Er schaltete die Anlage einige Male mit Hilfe des Funkgeräts ein und aus. Topas beobachtete ihn staunend. Er verstand nur wenig.

Als Atlan ihm jedoch das Funkgerät reichte, griff er begierig zu.

»Dieses kleine Ding macht dich mächti­ger als Pank-pank«, erklärte der Arkonide. »Warte ab. Es kommt nur darauf an, ihn vom Strom abhängig zu machen. Das dürfte jedoch nicht schwierig sein.«

Er forderte Topas auf, sich weiter umzu­sehen. Er wollte noch tiefer steigen, um die unteren Anlagen zu durchsuchen. Er hoffte, daß der Junge sich nun für einige Zeit von ihm trennen würde, aber Topas blieb bei ihm. Er ließ sich erklären, welche Pläne er hatte, und wie Pank-pank behindert werden konnte.

»Viel Arbeit liegt noch vor uns«, sagte Atlan. »Wir müssen das Kabelnetz oben in der Stadt reparieren, damit möglichst viele Abnehmer angeschlossen werden können.«

»Und dann?« »Dann gehst du von einem zum anderen

und kassierst.« »Allmählich glaube ich, daß du doch ein

ganz guter Sklave bist.« »Danke. So ein freundliches Kompliment

hat mir noch kein Herr gemacht.« Topas blickte ihn argwöhnisch an. »Du

erwartest doch wohl nicht, daß ich dich zur Belohnung freigebe?«

»Wir haben zu arbeiten. Komm.« Der Ar­konide wich allen weiteren Fragen des Jun­gen aus und konzentrierte sich auf die Erfor­schung der technischen Anlagen und auf die Reparaturen, soweit er sie durchführen konnte. Dabei wies er Topas ein und unter­richtete ihn, bis der Junge so müde wurde, daß er alles durcheinanderbrachte. Atlan leg­te eine Pause ein. Er wartete, bis Topas auf einem provisorisch errichteten Lager einge­

schlafen war, dann kehrte er lautlos an die Oberfläche zurück.

Die Nacht war hereingebrochen, doch es war nicht dunkel, weil überall Lampen brannten. Die Bevölkerung der Stadt feierte.

Atlan beobachtete eine Kolonne von etwa zweihundert Männern in roten Uniformen, die singend durch die Straßen der Stadt zo­gen und Pank-pank für seine Taten priesen. Er schloß daraus, daß dieser sofort als eige­ne Leistung ausgegeben hatte, daß die Be­leuchtung wieder funktionierte. Die Propa­gandatruppe war kaum vorbeigezogen, als Atlan eine Bewegung in seiner Nähe be­merkte. Fünf Männer krochen durch den Schatten auf den Krater zu, der den einzigen Zugang nach unten bot.

Pank-pank handelt schnell, stellte der Lo­giksektor fest. Das Einsatzkommando soll den Erfolg sichern.

Atlan zog sich zurück. Er kannte den Weg besser als die Männer. Er erreichte den Kra­ter vor ihnen. Hier konnte er Geräusche nicht ganz vermeiden, da das lockere Ge­stein unter seinen Füßen nachgab und pol­ternd in den Krater rutschte. Atlan sprang in die Tiefe und schlüpfte durch die Öffnung auf den Grund.

Ein Messer prallte dicht neben seinem Kopf gegen einen Stahlträger und stürzte klirrend auf den Boden. Er blickte über die Schulter zurück. Fünf Männer standen über ihm auf dem Rand des Kraters. Er konnte sie in der Dunkelheit ebensowenig erkennen wie sie ihn. Doch er wußte, daß es die Hel­fer Pank-panks waren, während sie nicht wissen konnten, wer er war. Er bückte sich und nahm drei Steine auf. Die Männer beug­ten sich nach vorn, weil sie in der Dunkel­heit nicht genügend sehen konnten. Zielsi­cher schleuderte er die Steine gegen sie und traf zwei von ihnen am Kopf. Schreiend wi­chen sie vom Kraterrand zurück.

Atlan tastete sich durch das Gewirr der verbogenen Stahlträger und Maschinenteile. Er überquerte den Spalt und zog dann die Eisenteile zu sich herüber, aus denen er eine Brücke errichtet hatte. Damit erschwerte er

22

es den Männern Pank-panks, ihm zu folgen. Unmöglich machte er es ihnen, als er das

Stahlschott erreichte, das sich nur mecha­nisch öffnen ließ. Er blockierte es von innen so, daß sie es nicht mehr aufbrechen konn­ten. Dann wartete er.

Eine Stunde verstrich, bis sie kamen. Eine volle Stunde lang mühten sie sich ab, bis sie endlich einsahen, daß sie nichts erreichen würden. Sie zogen sich zurück.

Als Atlan zu Topas kam, schlief dieser noch immer.

Der Arkonide schaltete die Lichtanlagen für Moondrag ab und legte sich auf den Bo­den der Station, um ebenfalls zu schlafen. Er überlegte, wie er Moondrag unter befriedi­genden Umständen verlassen konnte. Er wollte nicht schuld sein an einer Diktatur, wollte aber auch auf keinen Fall länger blei­ben als unbedingt notwendig. Immer wieder dachte er an Thalia, Razamon und Kolphyr, die er in der Nähe des Spercoiden-Raumers wähnte.

*

Kolphyr blickte Razamon und Thalia an. Vor Sekunden hatten sich vor und hinter ih­nen zwei Schotte geschlossen. Sie waren in einem winzigen Gangabschnitt gefangen, der kaum drei Schritt lang und zwei Schritte breit war.

»Und jetzt erwartet ihr von mir, daß ich alles weitere übernehme«, sagte der Bera. »Es ist doch so. Oder?«

Razamon lehnte sich gegen die Wand und kreuzte die Arme vor der Brust.

»Du hast recht«, erwiderte er. »Einer von uns muß etwas unternehmen. Thalia und ich brauchen gar nicht erst gegen die Schotte anzugehen. Wer also bleibt übrig?«

»Wir könnten natürlich auch warten, bis die Gepanzerten kommen und uns über den Haufen schießen, so wie sie es mit den Brangeln und vielleicht auch mit Atlan ge­macht haben«, fügte Thalia hinzu.

»Atlan lebt. Davon bin ich überzeugt«, versetzte Razamon. »Wir wollen uns dar-

H. G. Francis

über nicht die Köpfe zerbrechen. In unserer Situation müssen wir an uns selbst denken.«

»Gut«, sagte Kolphyr. »Dann wird es heiß für euch.«

Er zeigte auf eine Ecke ihres Verlieses und wartete, bis Razamon und Thalia sich dorthin begeben hatten. Dann schüttelte er eine Hand in Richtung der entgegengesetz­ten Ecke. Einige Moleküle seines Antimate­riekörpers durchdrangen den Velst-Schleier und schwebten unmittelbar am Schottver­schluß zu Boden. Als sie das Schott berühr­ten, wurde schlagartig ihre gesamte Energie frei. Razamon, Thalia und Kolphyr flogen wuchtig gegen das gegenüberliegende Schott. Feuer umgab sie, und die Druckwel­le drohte, ihre Lungen zu zerreißen. Dann aber gab das Schott nach, und ein Spalt ent­stand.

»Das reicht für uns«, sagte Kolphyr keu­chend. Er hatte Thalia und Razamon mit sei­nem riesigen Körper geschützt.

Razamon schob sich an ihm vorbei. Hu­stend eilte er zu dem Spalt und blickte hin­durch. Der Gang dahinter war leer.

»Los. Schnell 'raus hier«, rief er und kroch voran. Thalia und Kolphyr folgten ihm, wobei der Bera erhebliche Schwierig­keiten hatte, durch die kleine Öffnung zu kommen.

Die beiden Männer und das Mädchen rannten über den Gang bis zu einem senk­recht in die Tiefe führenden Schacht. Sie konnten nicht erkennen, wie tief er war.

»Kannst du nicht einmal großzügig sein und mehr als nur zwei oder drei Moleküle opfern?« fragte Razamon. »Spuck doch mal kräftig aus, damit sich die Sache auch wirk­lich lohnt.«

Kolphyr zog die Mundwinkel weit nach oben.

»Ich tue alles, was du willst«, erwiderte der Dimensionsforscher. »Wenn es dir recht ist, werfe ich eine Hand ab. Das reicht dann, um dieses Schiff und ein Stück des Kontin­ents in eine Umlaufbahn um diesen schönen Planeten zu befördern.« Razamon stöhnte auf. »Ich habe keine Antenne für diese Wit­

23 Das kosmische Leuchtfeuer

ze«, sagte er. Kolphyr streckte beide Arme über die

Brüstung des Schachtes hinaus und schüttel­te sie. Thalia und Razamon konnten nicht sehen, was geschah. Aber sie ahnten es. Ein Molekülschauer sank in diesen Sekunden im Schacht nach unten.

»Dort entlang«, rief Razamon und zeigte auf einen schmalen Gang, der schräg in die Tiefe führte und an einem offenen Fahr­stuhlkorb endete.

Als sie diesen erreicht hatten, berührten die Antimaterie-Moleküle den Grund des Schachtes. Eine donnernde Explosion er­schütterte das Schiff. Die Tür des Fahrstuhl­korbs schloß sich. Razamon sah jedoch noch eine Feuersäule, die aus dem Schacht auf­stieg. Der Korb sank nach unten. Dabei beb­te er, als werde er jeden Moment auseinan­derbrechen. Alarmpfeifen heulten auf. »Machen wir uns doch nichts vor«, sagte Thalia. »Hier kommen wir nicht heraus.«

»Kolphyr hat die Gepanzerten beschäf­tigt«, entgegnete Razamon. »Das ist schon viel.«

Der Fahrstuhlkorb hielt an. Razamon streckte die Hand zur Öffnungsscheibe aus. Er blickte das Mädchen und den Bera an.

»Wir befinden uns in der Nähe der unter­sten Schleuse«, erklärte er. »Jetzt kommt es darauf an. Wir haben nur eine Möglichkeit. Wir müssen den Kopf einziehen und uns durchschlagen. Irgendwie wird es schon klappen.«

Er preßte die Handfläche gegen die Kon­taktscheibe. Die Tür glitt zur Seite. Raza­mon sah mehrere Gepanzerte, die sich in großer Eile von ihnen entfernten.

»Sie wissen nicht, daß wir hier sind«, sag­te Thalia.

»Da drüben ist die Schleuse«, rief Raza­mon. »Der Weg ist frei.«

Sie rannten auf die Schleuse zu, ohne von irgend jemandem aufgehalten zu werden. Die Gepanzerten verschwanden durch ein Schott, ohne sich noch einmal umzudrehen.

»Warte«, sagte Kolphyr, als Razamon das Schleusenschott öffnen wollte. »Ich habe ei­

ne Idee.« Er zeigte auf einen aufwärts gepolten An­

tigravschacht, eilte zu ihm hin, streckte die rechte Hand hinein und bewegte sie vorsich­tig. Dann zog er sie betont langsam zurück, drehte sich um und entfernte sich ebenfalls langsam von dem Schacht.

Razamon glaubte, die winzigen Antimate­rie-Moleküle sehen zu können, die im Anti­gravfeld nach oben schwebten. Irgendwann würden sie das obere Ende des Schachtes er­reichen und schlagartig ihre gesamte Ener­gie freigeben. Bis dahin würden jedoch noch einige Minuten vergehen.

»Gut gemacht«, lobte er. »Das reicht nun hoffentlich.«

Er öffnete das Schott der Schleuse. Es glitt kreischend zur Seite und blieb halb ge­öffnet stehen. Kolphyr schob Razamon und Thalia hinaus. Sie sprangen aus etwa andert­halb Metern Höhe auf den verbrannten Bo­den hinab.

»Lauft«, brüllte der Bera. »Was hast du vor?« fragte Razamon und

drehte sich um. »Ich lasse ihnen noch einen kleinen Gruß

hier«, erklärte der Bera. »Das wäre ausgesprochen falsch. Mit ei­

ner Explosion würdest du den Gepanzerten verraten, wo wir sind. Also – keine weiteren Aktionen.«

»Schade«, entgegnete Kolphyr enttäuscht. »Dabei täte mir eine Gewichtsabnahme ganz gut.«

Sie rannten los. Dabei blickten sie sich immer wieder um, doch nirgendwo öffnete sich eine Schleuse. Verfolger zeigten sich nicht.

»Sie haben genug mit sich selbst zu tun«, vermutete Razamon. »Wer weiß, ob nicht al­les innen im Schiff brennt.«

Sie stürmten zu den Hügeln, auf denen die Brangeln zusammengetrieben worden wa­ren. Jetzt standen dort noch die Reste einiger Zelte, die Brangeln aber waren endlich ge­flohen. Die Spuren in der Asche zeigten an, daß sie sich in nordöstlicher Richtung ent­fernt hatten.

24

»Ich dachte, wir würden vielleicht noch ein paar Reitspyten finden«, sagte Thalia enttäuscht, »aber wir werden wohl zu Fuß gehen müssen.«

»Sei froh, daß wir mit heiler Haut aus dem Schiff herausgekommen sind«, entgeg­nete Razamon. »Außerdem sind wir noch lange nicht in Sicherheit. Die Gepanzerten können uns jederzeit mit einem Fluggerät verfolgen.«

Sie liefen weiter. Jeder hing seinen eige­nen Gedanken nach.

Razamon dachte fortwährend an die Di­mensionsfalle, in die Kolphyr hineingelau­fen war. Er hatte sich während ihrer Gefan­genschaft lange mit ihm darüber unterhalten. Und sie waren zu dem richtigen Schluß ge­kommen. Sie waren sich einig darüber, daß sie es mit einem kosmischen Leuchtfeuer zu tun hatten, das die Gepanzerten als Navigati­onshilfe nutzen. Sie zweifelten nicht daran, daß dieses Leuchtfeuer künstlich errichtet worden war. Kolphyr, der Dimensionsfor­scher, hatte behauptet, daß es natürliche Di-mensionserscheinungen dieser Art im Kos­mos nicht gab.

Daraus folgte, daß irgendwo in der Nähe des Raumschiffs eine technische Anlage vorhanden sein mußte, von der aus die Di­mensionsverschiebung mit Energie versorgt und gesteuert wurde.

Als die beiden Männer und das Mädchen sich etwa fünf Kilometer von dem Raum­schiff der Spercoiden entfernt hatten, fühlten sie sich sicher. Sie glaubten, den Gepanzer­ten endgültig entkommen zu sein.

Razamon blieb stehen. Er atmete schnell und keuchend, während der Bera und die Tochter Odins noch frisch wirkten.

»Ich habe Asche geschluckt«, erklärte er entschuldigend, »sonst passiert mir so etwas überhaupt nicht.«

Er erholte sich rasch, nachdem er ein ge­wisses Unwohlsein überwunden hatte, das durch die eingeatmete Asche verursacht worden war.

»Wir werden uns jetzt trennen«, sagte er danach. »Ich werde versuchen, die Dimensi-

H. G. Francis

onsschaltung zu finden. Ich werde sie akti­vieren und damit bei den Gepanzerten hof­fentlich ein heilloses Durcheinander hervor­rufen.«

»Wir bleiben bei dir«, antwortete der Be­ra. »Niemand wäre geeigneter als ich, dir zu helfen.«

»Irrtum«, entgegnete Razamon. »Ihr wer­det zu den Brangeln der Goltyras-Karawane laufen und sie dazu bringen, sich weiter zu­rückzuziehen. Sie dürfen den Gepanzerten nicht in die Hände fallen, oder es gibt noch ein Blutbad. Das müssen wir verhindern.« Kolphyr und Thalia wollten sich zunächst nicht davon überzeugen lassen, daß eine Trennung notwendig war. Sie wollten bei Razamon bleiben und mit ihm zusammen nach der Station suchen.

»Was willst du machen, wenn du in die Dimensionsverwerfungen gerätst?« fragte der Bera. »Ohne mich kommst du nicht wie­der heraus.«

»Ich glaube, daß keiner von euch beiden überhaupt an die Anlage herankommt«, ent­gegnete Razamon. Er schlug sich mit der flachen Hand gegen den Oberschenkel. »Ich denke, daß der Zeitklumpen mich gegen die Erscheinungen schützt. Daher glaube ich, daß ich der einzige von uns bin, der über­haupt in Frage kommt.«

»Vorsicht«, schrie Kolphyr. Razamon fuhr herum. Er sah, daß sich ein kleines Bei­boot von dem Raumschiff der Gepanzerten entfernte. Es flog nicht auf direktem Kurs zu ihnen, würde jedoch auch nicht weit an ih­nen vorbeistreichen.

»Sie suchen uns«, sagte Thalia. »Dort hin­ten habe ich eine Erdhöhle gesehen. Darin können wir uns zumindest vorübergehend verstecken.«

Sie führte ihre beiden Begleiter zu der Höhle und kroch zusammen mit ihnen hin­ein. Unmittelbar darauf flog das Beiboot der Spercoiden an ihnen vorbei und verschwand in der Ferne. Razamon, Thalia und Kolphyr kamen wieder aus ihrem Versteck hervor.

»Lauft weiter«, bat Razamon. »Ich muß die Station finden. Nur dann können wir die

25 Das kosmische Leuchtfeuer

Gepanzerten von hier vertreiben. Wenn sie bleiben, kann es schlimm für uns werden.« Dunkle Wolken zogen auf. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis es regnet«, fuhr er fort. »Der Regen wird die Spuren verwi­schen.«

»Also gut«, sagte Kolphyr einlenkend. »Es kann sein, daß der Zeitklumpen dich schützt. Daß ich in der Dimensionsverwer­fung nicht viel ausrichten kann, wissen wir bereits. Mit Thalia sieht es auch nicht anders aus. Ich bin also einverstanden. Wir trennen uns. Thalia und ich wünschen dir Erfolg.«

Razamon nickte nur. Er blieb stehen. Die beiden anderen wandten sich ab und eilten mit weit ausgreifenden Schritten davon. Die Rüstung schlotterte um den Körper Thalias.

Plötzlich blieb Thalia stehen, wandte sich um und rannte auf das Raumschiff der Sper­coiden zu. Sie stürmte etwa fünfzig Meter an Razamon vorbei. Er fragte sie, was sie vor­hatte, doch sie antwortete nicht. Er lief eini­ge Meter hinter ihr her, sah aber ein, daß er sie nicht aufhalten konnte. Sie war schneller als er.

Er glaubte, sie habe den Verstand verlo­ren. Er blickte zu Kolphyr hinüber, der ge­lassen weitertrottete, als sei nichts gesche­hen. Razamon wußte nicht, was er tun sollte. Doch dann fiel ihm ein, daß Thalia ihre Vars-Kugel in der Nähe des Raumschiffs weggeworfen hatte.

Wollte sie sich tatsächlich bis in die un­mittelbare Nähe des Schiffes wagen, nur um die Waffe zu holen?

Sie waren bald aus seinem Blickfeld. Er setzte sich und wartete ab. Minuten später erschien Thalia wieder

zwischen den Hügeln. Sie winkte ihm mit der Vars-Kugel zu und rannte ohne weiteren Aufenthalt an ihm vorbei hinter Kolphyr her.

5.

Topas trat ihm in die Seite. Atlan schreck­te hoch. Er sah, daß es dem Jungen leid tat, so grob gewesen zu sein. Im letzten Moment

ließ er die bereits erhobene Hand sinken, mit der er ihm eine Ohrfeige versetzen wollte.

Topas war nicht in der Lage, sich zu ent­schuldigen. Er sagte stammelnd: »Ich bin dein Herr. Du bist der Sklave.«

»Schon gut«, entgegnete Atlan. »Lassen wir das. Ich habe über dich und über meine Lage nachgedacht.«

»Du glaubst also, daß ich dich freigeben werde?«

»Davon bin ich überzeugt. Dir bleibt gar keine andere Wahl. Ich kann dir eine gute Ausgangsbasis für dein weiteres Leben schaffen. Mehr aber auch nicht. Für dein weiteres Leben mußt du selbst sorgen.«

»Du bist mein Sklave. Du mußt gehor­chen. Wenn du nicht gehorchst, lasse ich dich aufhängen.«

»Rede keinen Unsinn«, erwiderte Atlan. »Ich bin nicht dein Sklave. Ich bin dein Freund. Deshalb habe ich dir geholfen. Und ein Freund ist mehr wert als ein Sklave. Oder glaubst du wirklich, daß ich mich von den Gesetzen beeindrucken lasse, die ein Pank-pank aufstellt?«

»Pank-pank ist die Zukunft. Er ist …« »Hör auf mit dem Unsinn«, sagte Atlan

zornig. »Benutze lieber dein Gehirn. Dabei kommt mehr heraus. Ich will einen Zugor. Damit werde ich Moondrag verlassen und zur FESTUNG fliegen.«

»Was willst du dort?« »Die Söhne Odins sprechen. Sie sind mei­

ne Freunde.« Topas blickte ihn schweigend an. In sei­

nen Augen spiegelte sich Skepsis, aber auch Bewunderung. Der Junge wußte längst, daß er sich gegen Atlan nicht behaupten konnte. Deshalb kehrte er immer wieder den Herrn heraus und versuchte, Atlan mit Grobheiten zu demütigen. Dabei merkte er, daß er im­mer mehr an Terrain verlor, je mehr er ver­suchte, sich über seinen »Sklaven« zu erhe­ben. Noch war er jedoch nicht soweit, völlig aufzugeben.

»Große Worte. Und nichts dahinter«, sag­te er. »Die Söhne Odins deine Freunde! Daß ich nicht lache.«

26

»Pank-pank und seine Freunde werden ih­re Diktatur nicht aufbauen, wenn ich recht­zeitig zu Balduur, Sigurd und Heimdall komme. Wenn sie wissen, was hier ge­schieht, werden sie augenblicklich eingrei­fen. Wenn du jedoch zu lange zögerst, wird Pank-pank so mächtig sein, daß er nur noch in einer allgemeinen Revolte gestürzt wer­den kann.«

»Du übersiehst etwas«, sagte Topas und blickte Atlan ernst an. »Ich möchte Pank­pank gar nicht stürzen. Ich finde gut, was er tut, weil wir nur dann eine Zukunft haben werden.«

»Wir gehen nach oben«, erklärte der Ar­konide, »wir müssen Männer anwerben, die das Stromnetz von Moondrag in Ordnung bringen.«

»Damit entgleitet mir das Geschäft immer mehr«, wandte Topas ein.

»Dein Geschäft ist, daß du mit einem Funkbefehl die gesamte Anlage ausschalten kannst, wann immer du willst«, korrigierte ihn der Arkonide. Er lächelte und legte To­pas die Hand auf die Schulter, doch dieser schüttelte sie ab. »Damit bist du der mäch­tigste Mann von Moondrag. Doch vergiß ei­nes nicht. Wann immer ich will, kann ich dein Funkgerät mit einem Funkbefehl zer­stören. Dagegen kannst du nichts tun.«

»Doch«, erwiderte Topas trotzig. »Eine Möglichkeit gibt es. Ich lasse dich töten, dann kannst du mich nicht mehr aufhalten.«

*

Steine polterten vor ihnen herab. Jemand schrie. Dann näherten sich Schritte.

»Pssst, wir warten hier«, flüsterte Atlan. Sie lagen in dem Gewirr der verbogenen

Stahlstreben und Maschinenteile vor dem Schacht.

Atlan hörte, daß der unbekannte, der sich vor ihnen durch das Labyrinth quälte, keu­chend atmete.

»Warte«, rief er laut in die Dunkelheit hinaus. »Keinen Schritt weiter. Sonst stürzt du in den Abgrund.«

H. G. Francis

Der Unbekannte vor ihnen blieb stehen. Atlan entzündete eine Kerze und stellte sie vor sich auf den Boden.

»Topas?« flüsterte er. »Ich bin es. Lan­ze.«

»Lanze«, rief Topas erregt. »Was ist mit dir los?«

Atlan sprang auf und schob die Stahlstre­ben über den Spalt. Er eilte über die Brücke zu dem Jungen hin.

Lanze lag auf dem Boden. Sein Hemd war blutverschmiert.

»Lanze«, rief Topas schluchzend. »Was ist passiert?«

»Sie liegen draußen auf der Lauer«, be­richtete der Junge mühsam. Er hatte fraglos viel Blut verloren. Seine Kräfte schwanden. Atlan sah, daß der Junge im Sterben lag und unter den gegebenen Umständen nicht mehr gerettet werden konnte. Topas zerriß sein Hemd und preßte die Fetzen auf die Wunde, die Lanze in der Brust hatte.

»Pank-pank will dir alles wegnehmen«, fuhr Lanze fort, wobei er zwischen den ein­zelnen Worten lange Pausen machte. »Er will derjenige sein, der bestimmt, wann das Licht brennt. Er hat befohlen, dich zu töten.«

Topas blickte Atlan an. Sein Gesicht ver­änderte sich. Er sah plötzlich viel älter aus.

»Was hat Pank-pank getan?« fragte er. »Seine Männer liegen oben und warten

auf dich«, erklärte Lanze. »Ich wollte dich warnen. Sie haben mich mit dem Messer …«

Weitere Worte brachte er nicht mehr über die Lippen. Seine Augen wurden starr.

*

»Ich will nicht nach oben«, sagte Topas einige Stunden später. »Ich bleibe hier un­ten. Für immer. Hier gibt es alles, was ich brauche. Bestimmt ist auch etwas zu Essen da. Mit denen da oben will ich nichts mehr zu tun haben. Sie sollen auch kein Licht ha­ben. Sie sollen so leben wie bisher.«

Atlan saß ihm gegenüber. Vor wenigen Minuten war er von einem ausgedehnten

27 Das kosmische Leuchtfeuer

Rundgang durch den nicht zerstörten Teil der Anlagen zurückgekehrt. Er hatte Topas gesagt, daß er einen zweiten Aufgang gefun­den hatte, durch den sie ungesehen nach Moondrag kommen konnten.

»Wir haben meinen Freund Lanze unter Trümmern begraben«, fuhr Topas traurig fort. »Ich habe mich zu wenig um ihn ge­kümmert, als er noch lebte. Ich will wenig­stens jetzt bei ihm bleiben.«

»Du kannst viel mehr für ihn tun, wenn du nach oben gehst. Dort oben gibt es Hun­derte von Jungen und Mädchen, die unter ähnlichen Umständen leben müssen wie Lanze. Es wäre in seinem Sinn, wenn du da­für sorgst, daß es besser wird für sie.«

»Wie könnte ich das?« fragte Topas nie­dergeschlagen. »Nur durch Strom?«

»In Moondrag gibt es viele, die wissen, wie man das Stromnetz reparieren kann. Ihre Hilfe brauchst du, wenn du die Stadt zum Leben erwecken willst.«

»Du vergißt, daß Pank-pank sofort über mich herfallen wird, wenn er mich sieht. Er hat nicht das Wohl der Stadt Moondrag im Auge, sondern nur sein eigenes.«

Atlan war nicht überrascht über die Wen­dung, die sich in Topas vollzogen hatte. Nach dem Tod seines Freundes Lanze war damit zu rechnen gewesen. »Das wird sich zeigen. Du mußt kämpfen. Das ist klar. Aber das kannst du ja. Warum solltest du dich verkriechen?«

Topas senkte den Kopf und dachte nach. Etwa zehn Minuten verstrichen, dann stand er auf.

»Los, Sklave«, sagte er. »Was sitzt du hier noch herum? Wir gehen nach oben.«

Atlan gehorchte. Er führte den Jungen durch das Labyrinth der teilweise völlig zer­störten, teilweise unbeschädigten Anlagen. Die Explosionen hatten vor allem dort Ver­wüstungen angerichtet, wo keine Panzer­schotte und -wände vorhanden gewesen wa­ren.

Nachdem sie etwa eine Stunde lang ge­gangen waren, erreichten sie einen senkrecht nach oben führenden Schacht, in dessen

Wände Eisenstäbe eingelassen waren. »Der Schacht endet oben in einem verfal­

lenen Tempel«, erklärte Atlan. »Niemand hält sich dort auf.«

Er kletterte voran. Topas folgte ihm dichtauf. Am Ende des Schachtes befand sich ein Deckel, der aus Stahl bestand und an der Oberseite mit Steinen beklebt war. Diese dienten als Tarnung. Er hing in einer Halterung und ließ sich ganz leicht zur Seite schieben.

»Es wird gerade hell«, sagte Atlan und stieg aus dem Schacht. Er half Topas heraus und verschloß die Öffnung wieder. »Weißt du, wo wir hier sind?«

Der Junge blickte sich um. Sie befanden sich in einem Tempel, der aus einem verwit­terten Holzdach und sechs Steinsäulen be­stand. Eine hüfthohe Brüstung umlief den Tempel, so daß man von außen nicht sehen konnte, wenn jemand aus dem Schacht stieg.

Topas blinzelte in die aufgehende Sonne. »Am Nordrand«, sagte er. »Ich habe ein

paar Freunde hier in der Nähe.« »Glaubst du, daß sie uns helfen werden?« »Bestimmt.« »Gut. Dann gehen wir zu ihnen.« Die Stadt schlief noch. Zwischen den

Häusern war es still. Nur ein paar Vögel suchten zwischen den Trümmern nach Ab­fällen.

Jetzt führte Topas. Er kannte sich zwi­schen den Hütten und Häusern aus. Er brachte Atlan zu einem kuppelförmigen Bau, der aus alten Stahlplatten errichtet wor­den war. Die Tür war mit Säcken verhängt.

Topas schlug mehrmals mit der flachen Hand gegen den Stahl und wartete neben der Tür. Einige Minuten verstrichen. Dann kam ein bärtiger Mann nach draußen. Er lächelte Topas zu und blickte Atlan forschend an.

»Ich habe von ihm gehört«, sagte er dann zu dem Jungen. »Wußtest du eigentlich, daß dein Sklave Sleipnir getötet und die Anlagen unter der Stadt zerstört hat?«

»Genau wußte ich es nicht«, erwiderte Topas. »Ich hatte so eine Ahnung.«

»Man spricht in der Stadt von euch bei­

28

den. Pank-pank sucht euch.« »Er hat Lanze getötet.« Der Bärtige zuckte zusammen, tat dann

aber, als interessiere ihn die Nachricht nicht. »Was willst du von mir?« fragte er. »Wir brauchen alle Männer aus Moon­

drag, die sich mit dem Stromnetz auskennen und es reparieren können«, erklärte Atlan. Von der Kuppel aus konnte er einen Teil von Moondrag überblicken. Er sah, daß zahlreiche Lampen an den Straßen und Plät­zen brannten.

»Überall in Moondrag wird bald Licht brennen«, ergänzte Topas, »aber nur, wenn wir Hilfe bekommen.«

»Meine Leute machen das«, versprach der Bärtige. »Was zahlst du?«

»Für jeden Mann, den wir gebrauchen können, einen Quork pro Tag«, erwiderte Atlan. »Zehn Quorks zahlen wir gleich. Den Rest in zehn Tagen, wenn wir selbst auch kassiert haben.«

»In Ordnung«, sagte der Bärtige. »Seht euch vor Pank-pank vor. Er hat eine gefähr­liche Truppe aufgebaut. Und er hat einen Jä­ger.«

»Was für einen Jäger?« fragte Topas. »Einen Mann, der für ihn tötet. Es ist eine

seltsame Kreatur. Der Mensch hat zwei Stahlbeine und einen stählernen Arm. Nie­mand ist ihm gewachsen.«

»Zwei Stahlbeine?« fragte Atlan. »Bist du sicher? Und kennst du seinen Namen?«

»Er heißt Nedron«, sagte der Bärtige. »Das zweite Stahlbein hat er erst seit ge­stern.«

*

Der Bärtige und seine Freunde begannen noch in der gleichen Stunde mit der Arbeit. Der hohe Lohn war ein starker Anreiz für sie. Sie schwärmten aus und suchten alle Männer und Frauen auf, die vor dem Zusam­menbruch etwas mit Elektrizität zu tun ge­habt hatten. Diese wiederum nahmen das Arbeitsangebot nur zu gern an, da sich ihnen endlich wieder eine Möglichkeit bot, Geld

H. G. Francis

zu verdienen. Baumaterial war überall in ausreichender Menge vorhanden. Es ging fast ausschließlich darum, zerrissene Kabel wieder zusammenzufügen, elektrische Anla­gen zu isolieren und abzusichern und Trans­formatoren in Betrieb zu nehmen.

In zahllosen kleinen Werkstätten von Moondrag begannen die Motoren zu arbei­ten. Die öffentlichen Einrichtungen, die von stationären Robotern gesteuert wurden, funktionierten wieder. Das bedeutete, daß aus den Wasserleitung klares, genießbares Wasser floß, daß die Abwässer abgeleitet wurden, und daß die Kranken sich in den Medostationen versorgen lassen konnten.

Von der Kuppel des Bärtigen aus leitete Atlan alle Arbeiten. Eine Sondereinheit, die aus Freunden des Bärtigen bestand, suchte die Stromabnehmer der Reihe nach auf und schloß Verträge mit ihnen ab, so daß auch der Geldfluß in Gang kam.

Hapf-Thor, ein Freund von Topas, erwies sich als Finanzgenie. Atlan erfuhr es, als er mit ihm über finanzielle Probleme der Stadt diskutierte. So übertrug der Arkonide ihm die Gründung einer Bank. Dafür besorgte er sich ein großes Haus, in dem Hapf-Thor sich einrichten konnte. Der Bärtige organisierte eine schlagkräftige Sicherheitstruppe, die den Schutz der neuen Bank übernahm.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht über die Aktivitäten der Gruppe um Topas in der Stadt. Überall erwachte die Hoffnung. Wie von Atlan erwartet, sprang der Funke über. Aus allen Ecken und Schlupfwinkeln tauchten versteckte Vorräte auf und wurden zum Verkauf angeboten.

Die ersten zwei Tage vergingen wie im Flug. Atlan hatte so viel zu tun, daß er in dieser Zeit nicht mehr als zwei Stunden sch­lief. Währenddessen wuchs die Zahl der An­hängerschaft mit rasender Geschwindigkeit. Topas war in seinem Element. Er rief alles zu sich, was er als Freunde einstufte.

Hunderte von Jungen und Mädchen räum­ten in der Umgebung der primitiven Kuppel auf. Schutt und Abfall verschwanden von den Straßen und Plätzen. Plötzlich bestand

29 Das kosmische Leuchtfeuer

ein reges Interesse daran, die Häuser und Hütten zu reparieren und zu verschönern. Angesichts dieser Entwicklung wurde Atlan sich dessen bewußt, daß es ohne eine deut­lich verbesserte Kommunikation nicht ging. Er kehrte daher in die Anlagen unter der Stadt zurück und suchte dort nach Funk- und Videogeräten. Zu seinem Bedauern fand er nur wenige tragbare Geräte. Er nahm sie mit und arbeitete einen Plan aus, damit diese wenigen Einheiten so verteilt werden konn­ten, daß sich daraus ein optimal ausgenutz­tes Verständigungsnetz ergab.

Als er im Tempel aus dem Schacht stieg, hörte er, daß einige Jungen sangen. Sie stan­den nicht weit von ihm entfernt.

Er blieb hinter den Säulen stehen und be­obachtete sie. Topas stand in ihrer Mitte. Er hatte sie um sich geschart.

»Das ist unser neuer Gruß«, rief er und legte die rechte Hand an den Hinterkopf. »Dabei sagen wir: Topas!«

Die Jungen legten die rechte Hand an den Hinterkopf, richteten sich hoch auf und schrien: »Topas!«

Atlan trat hinter der Säule hervor. Er ging auf Topas zu. Der Junge lächelte verlegen. Als Atlan vor ihm stand, blickte er ihn an. Sein Gesicht verzerrte sich. Er versuchte, seine Unsicherheit zu überspielen, und ging zum Angriff über.

»Warum grüßt du nicht, Sklave?« fragte er mit schriller Stimme.

»Guten Tag«, sagte Atlan lächelnd. »Wie geht es dir, Herr?«

Topas wurde bleich. Er setzte zu einer wütenden Beschimpfung an, doch der Arko­nide flüsterte ihm rasch zu: »Soll ich den Strom abstellen? Willst du alles zunichte machen, was wir aufgebaut haben? Dann bist du innerhalb einer Minute wieder da, wo du vor einigen Tagen warst.«

Topas begann zu zittern. Tränen stiegen ihm in die Augen.

Übertreibe nicht, mahnte der Logiksektor. Er steht dicht vor dem Zusammenbruch.

»Sieh mal, Herr«, sagte Atlan sanft. »Wir wollen doch nicht den Fehler machen, den

Pank-pank gemacht hat. Wir wollen keine Diktatur, sondern Freiheit für alle. Die Dik­tatur aber beginnt bereits mit dem erzwunge­nen Gruß.«

Topas hatte den Schock seiner Niederlage noch nicht überwunden. Doch er kam nicht dazu, Atlan anzugreifen oder zu demütigen. Ein Schrei ließ ihn herumfahren.

Ein Junge kam um die Ecke eines Hauses herum. Er blutete aus einer Wunde an der Stirn.

Topas wollte eine Frage stellen, doch da marschierten zwölf Männer in roten Unifor­men um die Ecke des Hauses herum. Sie alle streckten ihre Hände über den Köpfen in die Höhe, wobei sie mit der linken Hand das rechte Handgelenk umspannten. In der rech­ten Hand hielten sie Eisenstangen, die ihnen als Waffen dienten.

Diese geschlossene Einheit hatte den Si­cherheitsgürtel, den Topas errichtet hatte, gesprengt. Die verschüchterten Jungen folg­ten ihr, ohne sich zu einem Angriff ent­schließen zu können.

»Weg«, brüllte Topas. »Flieht.« Atlan packte ihn am Arm, als er weglau­

fen wollte. »Wir bleiben«, rief er so laut und ener­

gisch, daß auch die anderen Jungen stehen­blieben.

»Sie schlagen uns tot«, schrie Topas in panischer Angst. »Begreifst du denn nicht?«

»Sie werden uns nichts tun«, erklärte At­lan. Er ließ Topas nicht los und wartete, bis die zwölf Uniformierten ihn erreicht hatten.

»Was gibt es?« fragte er dann. »Du bist verhaftet, Sklave«, erklärte einer

von ihnen. »Und dein Herr Topas auch.« »Was wirft man uns vor?« »Ihr habt versucht, eine Terrorregierung

aufzubauen, die gegen die fortschrittliche und freiheitliche Bewegung von Pank-pank ist«, erwiderte der Uniformierte. Atlan kratzte sich hinter dem Ohr. »Dachte ich es mir doch«, sagte er. »Mir war von Anfang an etwas unwohl bei dem Gedanken, die Stadt wieder mit Strom zu versorgen und den Hunger ihrer Bewohner zu stillen.« Er

30

blickte Topas kopfschüttelnd an. »Wir hät­ten wissen müssen, Topas, daß das Terror ist«, sagte er und hob die Arme über den Kopf. »Selbstverständlich beugen wir uns den Friedenskräften.«

»Das würde ich euch allerdings auch ra­ten«, sagte der Kommandoführer der Ein­heit. Er drehte sich um und wandte sich sei­nen Männern zu. »Zerschlagt alles, was ihr hier seht. Kein Stein darf auf dem anderen bleiben.«

»Verzeiht, Herr, wenn ich mich einmi­sche«, sagte Atlan rasch. »Aber das sollten Sie wirklich nicht tun.«

»Was sollte uns daran hindern?« »Vergessen Sie nicht, daß wir versucht

haben, eine Terrorregierung aufzubauen«, erklärte Atlan spöttisch. »Dazu gehört natür­lich auch, daß wir uns abgesichert haben. Hier liegen überall Bomben. Wenn Sie bei­spielsweise auf diesen Stein schlagen, könn­te es sein, daß Sie alle versteckten Bomben zünden. Das würde Sie und Ihre fortschritt­lich-freiheitliche Einheit bis zum Wölbman­tel hinaufbefördern.«

Der Kommandoführer blickte ihn unsi­cher an. Er wußte nicht, was er glauben soll­te.

»Selbstverständlich haben wir nichts da­gegen einzuwenden, daß Sie alles zerstö­ren«, fuhr Atlan fort. »Nur erlauben Sie uns, bitte, vorher aus dieser Gegend zu ver­schwinden. Wenn Sie allein sind, können Sie tun und lassen, was Sie wollen.«

Der Kommandoführer erbleichte. Fahrig strich er sich mit den Händen über das Haar, entfernte sich einige Schritte von Atlan, kehrte zurück und entschied: »Wir ziehen uns zurück. Es genügt, wenn wir die gefähr­lichsten Kreaturen verhaften. Legt ihnen Fesseln an.«

Atlan streckte ihm die Arme entgegen und ließ sich widerstandslos fesseln. Topas ließ resignierend den Kopf sinken. Er fühlte sich von dem Arkoniden verraten.

6.

H. G. Francis

Razamon eilte durch einen Graben, der in nord-südlicher Richtung zwischen den Hü­geln verlief. Unter einem Busch suchte er Deckung. Er kauerte sich unter dem kargen Blätterdach zusammen und wartete. Sekun­den später raste ein Beiboot der Gepanzerten über ihn hinweg.

Razamon richtete sich auf und wischte sich den Staub aus den Hosen. Dann kroch er aus dem Graben und sah sich um.

Er war etwa acht Kilometer vom Raum­schiff der Gepanzerten entfernt. Das Land war hügelig und kaum bewachsen. Nirgend­wo zeigte sich etwas, das auf eine Station hingewiesen hätte.

Razamon hatte einige Spuren gefunden, die Atlan, Thalia, Kolphyr und er hinterlas­sen hatten. Sie gaben ihm eine gewisse Ori­entierungshilfe. Von ihnen ausgehend, konn­te er ermitteln, wo ungefähr die Dimensions­verwerfungen verlaufen waren, die sich wie eine vielfach zerklüftete Wand in diesem Gebiet erhoben hatten.

Die Verwerfungen waren jetzt nicht mehr vorhanden, da die Gepanzerten sich sonst nicht ungehindert hätten bewegen können.

Razamon wollte die Station finden, um die Gepanzerten und ihren gesamten techni­schen Apparat lahmzulegen. Er hoffte jeden­falls, daß er das erreichen konnte.

Sein Blick fiel auf den Graben, in dem er sich versteckt hatte. Er verlief völlig gerade und war gleichmäßig tief.

Razamon stutzte. Dies war das erste Anzeichen einer künst­

lichen Beeinflussung der Landschaft, das er gefunden hatte. War es schon ein Beweis da­für, daß sich die Station in der Nähe befand?

Er wußte nicht, wie er sich die Station vorstellen sollte, da er auch nicht wußte, über welche technischen Einrichtungen sie verfügte. Bislang hatte er noch keinen Plan entwickelt.

Er kehrte zum Graben zurück und sprang hinein. Dann ging er langsam in ihm weiter, wobei er ihn sorgfältig untersuchte. Dabei stieß er auf einige Metallspitzen, die aus den Wänden des Grabens ragten. Sie waren nur

31 Das kosmische Leuchtfeuer

wenige Millimeter lang und schienen aus Kupfer zu sein.

Er kniete sich nieder und untersuchte sie, hielt es in dieser Stellung jedoch nicht lange aus. Der Zeitklumpen rief starke Schmerzen in seinem Bein hervor. Daher richtete er sich bald wieder auf und ging weiter. Er entdeck­te, daß die Metallspitzen in regelmäßigen Abständen von etwa fünf Metern aus den Wänden ragten. Hin und wieder befanden sich kugelförmige Erhebungen zwischen ih­nen, die jedoch so klein und unauffällig wa­ren, daß er nur wenige von ihnen fand. Sie bestanden aus einem kristallinen Material.

Razamon blieb stehen. Er zweifelte nicht daran, daß er auf einen

Teil der unbekannten Anlage gestoßen war. Und er war sich dessen sicher, daß diese über einen robotischen Wartungsdienst ver­fügte. Dieser mußte reagieren, wenn irgend etwas zerstört wurde.

Kurzentschlossen zerrte er an einer der Kupferspitzen. Sie ließ sich überraschender­weise leicht aus dem Erdreich hervorziehen. An ihr hing ein dünner Draht, der bereits bei geringer Belastung zerriß. Razamon machte sich nun daran, mehr und mehr Drähte her­vorzuziehen und zu zerstören. Dann ver­suchte er, ähnlich mit den kristallinen Gebil­den zu verfahren, konnte sie jedoch nicht be­wegen.

Hin und wieder kletterte er aus dem Gra­ben und eilte auf einen Hügel in der Nähe. Hier warf er sich auf den Boden und sah sich um.

Doch der Roboter, auf den er wartete, zeigte sich nicht.

Enttäuscht kehrte Razamon wieder in den Graben zurück. Er begann nun damit, die kristallinen Gebilde auszugraben. Dabei ent­deckte er, daß sie sich unmittelbar unter der Oberfläche zu klobigen Gebilden ausweite­ten. Er schlug mit einem Stein dagegen und zertrümmerte sie.

Nachdem er drei von ihnen auf diese Wei­se zerstört hatte, wollte er wieder auf einen Hügel klettern. Ein Schatten fiel auf ihn. Er fuhr herum. Ein vielarmiger Roboter schob

sich über ihn. Eine Stahlklaue packte ihn, riß ihn hoch und schleuderte ihn etwa zwanzig Meter weit durch die Luft. Er prallte auf ei­nem steil abfallenden Hang auf, so daß er ei­nige Meter weit auf dem Hosenboden rutschte, bevor sein Fall zwischen zwei Hü­geln endete.

Razamon sprang auf und flüchtete einige Meter weiter, bis ihm bewußt wurde, daß der Roboter ihn gar nicht verfolgte. Verwirrt erklomm er einen Hügel. Von diesem aus konnte er die Maschine sehen. Sie glich ei­ner zwölfbeinigen Spinne. Sie hatte einen kugelförmigen Körper mit einem Durchmes­ser von ungefähr zwei Metern. Die Beine wären annähernd fünf Meter lang und mit zahllosen Zusatzarmen versehen, die über die unterschiedlichsten Werkzeuge verfüg­ten.

Der Roboter bewegte sich mit großer Be­hendigkeit. Er holte aus seinem Körper al­lerlei Ersatzteile hervor und reparierte den Schaden damit. Das dauerte etwa drei Minu­ten. Dann wandte der Roboter sich ab, raste mit hoher Geschwindigkeit davon. Razamon blickte ihm nach. Der Roboter verschwand zwischen den Hügeln, ohne daß klar erkenn­bar gewesen wäre, wohin er eigentlich ge­laufen war.

Razamon rannte hinter ihm her. Dabei war es relativ leicht, den Spuren zu folgen, denn die Enden der Beine hatten sich tief in den Boden gedrückt. Daher glaubte der At­lanter bereits, die gesuchte Station mühelos finden zu können.

Doch er irrte sich. Die Spur des Roboters endete zwischen

zwei Hügeln. Razamon blieb verblüfft ste­hen. Nirgendwo gab es ein Anzeichen auf eine Station. Die Spur des Roboters endete so plötzlich, als habe er sich in Luft aufge­löst.

Der Atlanter suchte etwa zwei Stunden nach der Station, indem er immer größere Halbkreise um das Ende der Spur abschritt. Ohne jeden Erfolg.

Schließlich kehrte er zum Graben zurück, riß einige Kupferdrähte heraus und zerstörte

32

ein kristallines Gebilde. Dann rannte er in höchster Eile zum Ende der Spur zurück. Hier wäre er fast mit dem Roboter zusam­mengeprallt, der plötzlich hinter einem Hü­gel hervorkam. Razamon konnte sich gerade noch zu Boden werfen. Ein Bein, dessen En­de mit einem großen Schraubenschlüssel versehen war, flog zischend an seinem Kopf vorbei. Dann war der Roboter auch schon verschwunden.

Razamon lief zur Kuppe eines Hügels hoch. Von hier aus beobachtete er, wie der Roboter die Reparatur durchführte. Als sie beendet war, ging der Atlanter hinter einem Busch in Deckung.

Der Roboter kam zurück. Die Beine be­wegten sich so schnell, daß sich die Kontu­ren verwischten. Als er die Stelle erreichte, an der die Spur endete, hob er die Beine vom Boden ab und schwebte weiter.

Razamon rannte in gebührendem Abstand hinterher. Der Gedanke, daß der Roboter sich umdrehen und ihn angreifen könne, kam ihm nicht. Tatsächlich beachtete die Maschine ihn nicht. Sie wurde schneller und schneller, so daß Razamon sie bald aus den Augen verlor. Da sie dabei jedoch nicht auf­stieg, sondern weiterhin niedrig flog, sagte er sich, daß sie irgendwo in der Nähe landen würde. Er konnte sich nicht vorstellen, daß der Roboter sich weit entfernt hatte, da er sonst nicht so früh nach der Beschädigung der Kupferdrähte und Kristallgebilde an der Schadensstelle hätte erscheinen können. Auch glaubte er nicht daran, daß der Robo­ter Haken schlagen würde.

Also rannte Razamon hinter dem Auto­maten her, wobei er sich bemühte, die Rich­tung zu halten, die dieser eingeschlagen hat­te. Minutenlang schien es so, als habe er sich geirrt. Er glaubte, bereits, daß er an dem Un­terschlupf vorbeigelaufen war, ohne ihn be­merkt zu haben, als er den Roboter plötzlich sah.

Er ließ sich auf den Boden fallen und blieb keuchend im Gras liegen. Durch die Halme hindurch beobachtete er die Maschi­ne.

H. G. Francis

Das spinnenartige Gebilde war rückwärts in ein Loch gekrochen, das es vollkommen ausfüllte. Nur der vordere Teil mit den acht Linsen, den fühlerartigen Antennen und zwei mit Zangen versehenen Armen lugte daraus hervor.

Razamon erkannte sofort, daß er unter diesen Umständen nicht die geringste Chan­ce hatte, an dem Roboter vorbeizukommen und in die Station einzudringen. Daß diese durch den Roboter bewacht wurde, daran zweifelte er keine Sekunde.

Er schätzte die Strecke ab, die er zurück­gelegt hatte, und rechnete. Doch wie auch immer er überlegte, das Ergebnis war immer gleich. Er konnte den Eingang zu der Station nicht vor dem Roboter erreichen, wenn er diesen daraus hervorlockte, indem er die Drähte beschädigte. Der Weg vom Graben bis zur Station war zu weit.

Razamon zog sich zurück. Er umkreiste die Station mehrmals, wobei er sich mehr und mehr von ihr entfernte. Doch seine Hoffnung, auf weitere Gräben zu stoßen, er­füllte sich nicht. Nun entwickelte er einen Plan, der ihn doch noch zu seinem Ziel füh­ren sollte. Die Gräser waren geschmeidig, in sich jedoch sehr fest, so daß er sie nicht ab­reißen konnte. Er zupfte sie mit ihren Wur­zeln aus und knotete sie zu einem Band zu­sammen. Dieses Verfahren war recht zeit­aufwendig, doch er versprach sich einigen Erfolg von ihm. Er befestigte mehrere Bän­der an die Kupferkegel und Kristallgebilde im Graben und führte sie über einen Ast ei­nes Busches zusammen, um sie zu einem Band zu verknoten. Die Rinde des Astes ent­fernte er, um die Reibung zu vermindern. Danach stellte er fest, daß er recht gute Aus­sichten hatte, ausreichende Beschädigungen herbeizuführen.

Er verlängerte nun das Band aus Gras bis auf eine Länge von etwa fünfhundert Me­tern. Auch jetzt erwies es sich als noch aus­reichend fest. Nachdem er es noch einmal überprüft hatte, legte er sich ins Gras, spann­te das Band und riß kräftig daran. Gleich der erste Versuch erwies sich als erfolgreich.

33 Das kosmische Leuchtfeuer

Es war kaum eine Minute vergangen, als der Roboter an ihm vorbeirannte. Razamon sprang auf und stürmte zur Station. Er holte alles aus sich heraus, um vor dem Automa­ten dort zu sein. Doch jetzt schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben.

Der Boden unter seinen Füßen gab nach. Die Hügel erschienen ihm viel höher als zu­vor, und die Luft kam ihm so dünn vor, daß er schon bald wild nach Atem rang.

Razamon blickte sich immer wieder um. Er fürchtete, den Roboter hinter sich auftau­chen zu sehen. Wenn dieser erkannte, daß sein Ziel die Station war, so meinte er, wür­de er ihn angreifen. Er hatte aber keine Waf­fe gegen ihn.

Der Roboter erschien nicht. Die Reparatur hielt ihn nicht länger auf als zuvor auch. Doch Razamon täuschte sich in seiner Erre­gung erheblich über die verstrichene Zeit.

Er erreichte die Station. In dem Loch, in dem sonst der Roboter steckte, befand sich ein Stahlschott, das sich mittels einer einfa­chen Hebelmechanik öffnen ließ.

Razamon riß das Schott auf, stürzte sich hindurch und warf es wieder zu. Dabei be­obachtete er durch den sich schließenden Spalt, daß der Roboter zurückkehrte. Er leg­te den Verschlußhebel um und stemmte sich mit dem Rücken gegen die Tür.

Seine Lungen schmerzten. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, weil der Lauf ihn völlig erschöpft hatte. Jetzt erschi­en es ihm wie ein Wunder, daß er schneller gewesen war als der Automat.

In der Station war es dunkel, doch er er­hielt Hilfe von unerwarteter Seite.

Der Zeitklumpen an seinem Bein leuchte­te. Ein weißes, leicht pulsierendes Licht ging von ihm aus.

Razamon blickte nur kurz auf den Zeit­klumpen hinab. Dann ging er weiter. Der Roboter hatte nichts bemerkt. Er versuchte nicht, ihm zu folgen.

Razamon befand sich in einer kugelförmi­gen Halle. Durch das Schott hatte er eine Brüstung betreten, die dicht unter der oberen Rundung der Kugel um die Spitze einer ter­

rassenförmigen Pyramide führte. Von ihr aus konnte er über eine Treppe nach unten kommen. Er stieg die stählernen Stufen hin­unter und sah, daß die Pyramide an ihren vier unteren Ecken von einem blau schim­mernden Energiefeld gehalten wurde und ansonsten frei in der Kugelhülle schwebte.

Die Treppe endete an einer Schalttafel, die mit fünf Kontrollinstrumenten versehen war. Die Anzeigen dieser Instrumente sagten Razamon überhaupt nichts, da sie ihm völlig fremd waren.

Eindeutig erschien ihm dagegen die Funk­tion eines Stellrades, das mit einer Metall­zunge versehen war. Diese zeigte auf einen schwarzen Punkt und konnte mit dem Rad auf einen roten Punkt gedreht werden. Raza­mon sah sich noch einmal die gesamte Schalttafel mit ihren Instrumenten an. Dann kam er zu dem Schluß, daß es sich bei dem Stellrad nur um einen Ein-Aus-Schalter han­deln konnte.

Er drehte das Rad, so daß die Zunge auf den roten Punkt zeigte.

Die Pyramide reagierte augenblicklich. Sie überzog sich von ihren unteren vier Ecken her mit einem bläulichen Energie­schimmer und erzitterte und erbebte gleich­zeitig in ihren ernergetischen Verankerun­gen. Die Halle erhellte sich.

Die Instrumente zeigten unterschiedliche Werte an, die jedoch nach wie vor ohne Aussage für Razamon blieben. Nach einigen Sekunden summte die Pyramide leise. Die­ses Geräusch blieb, während die Instrumen­tenanzeigen langsam auf ihre Ursprungswer­te zurückschwenkten.

Razamon blickte zur Brüstung hoch. Er war überzeugt davon, daß die Dimensi­

onsverwerfungen nun wieder bestanden. Die Gepanzerten würden in eine schwierige La­ge kommen, denn sie waren mitten in ihrem Leuchtfeuer gelandet.

Doch das beschäftigte Razamon weniger als die Frage, wie er die Schaltstation wieder verlassen konnte.

Gab es überhaupt eine Möglichkeit, le­bend an dem Roboter vorbeizukommen?

34

*

Pank-pank nutzte die Verhaftung seiner gefährlichsten Gegner zu einer Demonstrati­on der Macht.

Als Atlan und Topas an der Spitze der Gruppe der Uniformierten einen Platz er­reichten, wurden sie von einer Abordnung von etwa einhundert Jugendlichen erwartet. Diese waren in militärischer Ordnung aufge­treten und stimmten das Lied der von Pank­pank eingeleiteten Revolution ein.

Moondrag – Zukunft, Freiheit Reichtum! hallte es Atlan entgegen.

In den sich anschließenden Straßen hatten sich Hunderte von Zuschauern versammelt, die offenbar rechtzeitig aus den Häusern ge­trommelt worden waren. Die Kunde von der Verhaftung Atlans hatte sich wie ein Lauf­feuer in der Stadt verbreitet.

Die Jugendlichen marschierten den Ver­hafteten singend voran, doch die Zuschauer­menge reagierte nur mit stumpfer Trauer auf das Schauspiel. Mit den wirtschaftlichen Aktionen hatten der Arkonide und Topas sich weitaus mehr Popularität erworben als Pank-pank mit seinen politischen Maßnah­men.

»Die Leute scheinen enttäuscht zu sein«, sagte Atlan zu Topas. »Es scheint ihnen nicht zu gefallen, daß wir verhaftet worden sind.«

»Sie sind um eine Hoffnung ärmer«, ent­gegnete der Junge.

»Es sollte mich freuen, wenn du das wirk­lich begriffen hast«, bemerkte der Arkonide.

Sie erreichten einen Platz, auf dem sich fast zweitausend Menschen versammelt hat­ten. Es war jener Platz, auf dem Atlan als Sklave an Topas vergeben worden war. Jetzt erhob sich auf dem Podest ein Galgen.

Pank-pank stand mit zwanzig seiner An­hänger auf dem Podest und wartete auf die Verhafteten. Nedron befand sich in seiner Nähe. Atlan erkannte ihn an den unverhüll­ten, stählernen Beinen und der Armprothese.

Der Arzt zuckte zusammen, als er sah,

H. G. Francis

daß Atlan einer der beiden Verhafteten war. Die Männer, die dem Arkoniden und To­

pas Fesseln angelegt hatten, führten sie bis unter den Galgen. Die Menge hatte sich ru­hig verhalten. Zögernd stimmte sie jetzt in das Lied mit ein, das Pank-pank anstimmte. Es war die Moondrag-Hymne, die immer wieder begeistert von den Jugendlichen ge­sungen wurde.

»Was hat man mir vorzuwerfen?« fragte Atlan, als es ruhig wurde.

»Mord an einem vierzehnjährigen Jungen namens Lanze«, erwiderte Pank-pank mit lauter Stimme, so daß auch die ihn verstehen konnten, die weit von ihm entfernt waren.

Die Sonne ging unter, doch es wurde nicht dunkel, denn das Licht der zahlreichen Lampen erhellte den Platz bis in den letzten Winkel. Auch auf dem Galgen befanden sich zwei Lampen, die senkrecht auf Atlan und Topas herabstrahlten.

»Darüber hinaus seid ihr beiden in die Anlagen unter der Stadt eingedrungen. Ihr habt versucht, Explosionen auszulösen, um Moondrag völlig zu vernichten«, fuhr Pank­pank fort. »Dann habt ihr eine politische Or­ganisation mit dem Ziel aufgebaut, die frei­heitliche und fortschrittliche Entwicklung in dieser Stadt aufzuhalten.«

»Er dreht den Spieß um«, flüsterte Atlan Topas zu. »Er wirft uns vor, was er selbst betreibt: den Versuch, die Bevölkerung von Moondrag zu entmündigen und zu verskla­ven.«

»Nach den Gesetzen der neuen Gesell­schaft von Moondrag können solche Verbre­chen nur mit dem Tod geahndet werden.«

»Aha«, sagte Atlan. »Dachte ich es mir doch.«

»Hast du gar keine Angst, Atlan?« fragte Topas mit Tränen in den Augen. »Ich will nicht sterben.«

»Das wirst du auch nicht, Topas«, erwi­derte er.

»Antworte«, schrie Pank-pank. »Was hast du zu sagen? Wir erlauben dir ein letztes Wort, bevor du hingerichtet wirst.«

»Wie freundlich du bist«, erwiderte Atlan

35 Das kosmische Leuchtfeuer

ironisch. »Aber du hast recht. Mit den wahr­haft Mächtigen sollte man vorsichtig umge­hen.«

Pank-pank stürzte sich auf ihn und würgte ihn. Zusammen mit Atlan stürzte er zu Bo­den, doch der Arkonide schaffte es, ihn mit einer geschickten Körperbewegung abzu­schütteln. Atlan warf zunächst die Beine hoch und schnellte sich dann auf die Beine. Er stand früher als Pank-pank.

»Töte ihn«, befahl Pank-pank. Nedron trat auf Atlan zu. Er streckte seine

künstliche Hand aus. Die stählernen Finger schlossen sich um seinen Hals, bevor der Arkonide es verhindern konnte.

Er blickte Nedron in die Augen. Der Arzt zögerte. Er schloß die Klauen

noch nicht. Mehrere Sekunden verstrichen, ohne daß etwas geschah. Die beiden Männer standen sich gegenüber und sahen sich in die Augen.

Kein Muskel zuckte im Gesicht des Arko­niden.

Dann lösten sich die Stahlklauen und san­ken langsam herab. Nedron trat von Atlan zurück, und ein Raunen ging durch die Men­ge.

»Wir haben die Fusionsreaktoren unter der Stadt wieder eingeschaltet«, rief Atlan. »Die Stadt hat wieder Strom. Neues Leben regt sich. Die Menschen von Moondrag glauben wieder an eine Zukunft, doch ihre Träume können sich ganz schnell in Nichts auflösen. Wenn du Hand an mich oder To­pas legst, dann werden die Lampen verlö­schen, und Jahrhunderte werden vergehen, bevor sie wieder leuchten. Deine Lieder und deine Parolen helfen dir überhaupt nichts. Die Herren der FESTUNG sind auf meiner Seite. Ich bin in ihrem Auftrag hier. Wenn du mich tötest, erhebst du dich gegen die Herren der FESTUNG. Das wäre nicht nur dein Ende, sondern auch das Ende von allen Bewohnern von Moondrag.«

Pank-pank war blaß geworden. Sein Atem ging schnell und keuchend. Mit flammenden Augen blickte er Atlan an, doch dieser be­achtete ihn nicht.

»Komm her zu mir, Nedron«, befahl der Arkonide. »Stelle dich hinter mich.«

Der Arzt gehorchte. Mit überraschend ge­schmeidigen Bewegungen ging er um den Arkoniden herum und stellte sich hinter ihn. Seine Stahlprothesen verursachten knacken­de Geräusche.

»Entscheidet euch, Bewohner von Moon­drag«, rief der Aktivatorträger. »Die neuen Herren der FESTUNG wollen einen Treue­beweis. Sie wollen, daß diese Stadt in neu­em Reichtum erblüht. Deshalb haben sie mir erlaubt, die Anlagen der Stadt zum Wohle ihrer Bewohner wieder einzuschalten. Ent­scheidet euch also für jene, die euer Wohl im Auge haben. Jagt Pank-pank aus dieser Stadt. Er hat in ihren Mauern nichts zu su­chen. Er ist euer Verderben.«

Pank-pank stürzte sich nach vorn. Er stieß die Arme in die Höhe.

»Glaubt ihm nicht«, schrie er. »Er ist ein Schwindler und ein Mörder. Ich bin der wahre Beauftragte der neuen Herren der FE­STUNG. Sie sind meine Freunde. Sie haben mir die Macht gegeben.«

»Wenn es so ist«, sagte Atlan, »dann soll­test du es auch beweisen.«

»Ich kann es nicht beweisen, bevor sie hier sind«, erwiderte Pank-pank.

»Oh, doch«, rief der Arkonide. »Wenn du so mächtig bist, dann kannst du sicherlich das Licht in der Stadt aus- und wieder ein­schalten.«

»Das kann niemand«, antwortete Pank­pank übereilt. Erst als die Worte heraus wa­ren, merkte er, daß er in eine Falle gegangen war. Doch jetzt mochte er keinen Rückzug mehr machen. »Beweise, daß du es kannst!«

»Ich kann es«, erklärte der Arkonide. »Beweise es«, schrie Pank-pank. »Nun gut«, sagte Atlan. »Das Licht soll

ausgehen.« Topas reagierte wie erwartet. Er betätigte

das Funkgerät. Da sich aller Augen auf At­lan richteten, bemerkte niemand, von wem der Funkbefehl kam.

Die Lampen erloschen. Es wurde dunkel in Moondrag.

36

Die Menge harrte schweigend aus. »Willst du wieder Licht haben?« rief Atlan. Trotz der Dunkelheit sah er, daß sich ihm je­mand näherte.

»Paß auf, Nedron«, flüsterte er dem Arzt zu.

Pank-pank antwortete nicht. Atlan trat zur Seite. Jemand stürzte sich auf ihn, verfehlte ihn jedoch und prallte mit Nedron zusam­men. »Licht«, rief der Arkonide. Die Lam­pen gingen wieder an, und die Menge sah, daß sich Pank-pank und Nedron wild kämp­fend auf dem Boden wälzten.

»Auf ihn«, brüllte jemand aus der Zu­schauermenge.

Die uniformierten Anhänger Pank-panks flüchteten. Einige von ihnen rissen sich de­monstrativ die roten Kleider vom Leib.

Einige Männer zerrten Pank-pank hoch. Fäuste prasselten auf ihn herab. »Laßt ihn leben«, befahl Atlan, während Nedron ihm in aller Eile die Fesseln abnahm. »Ich will nicht, daß ihr ihn tötet. Zurück.«

Zusammen mit Nedron warf er sich auf die Männer und stieß sie zurück. Pank-pank brach blutüberströmt zusammen. Stöhnend blieb er auf dem Boden liegen.

»Bringt ihn aus der Stadt«, befahl Atlan. »Er hat hier nichts mehr zu suchen. In dieser Stadt sollen freie Bürger leben. Alle Ziele, die wir haben, lassen sich auf anderem We­ge viel besser erreichen, als auf dem, den Pank-pank eingeschlagen hat.«

Nedron und einige andere Männer rissen Pank-pank hoch. Sie führten den Mann, der sich gern zum Diktator von Moondrag auf­geschwungen hätte, durch das Stadttor.

Atlan nutzte die Gelegenheit, die sich ihm bot. Er wollte und konnte unter diesen Um­ständen nicht darauf verzichten, für einen geregelten Aufbau von Moondrag zu sorgen.

Er schilderte der Menge die Ereignisse, die zum Tod der früheren Herren der FE­STUNG und zur Machtübernahme durch die Söhne Odins geführt hatten. Und er infor­mierte sie über die Situation, in der sich Pthor zur Zeit befand.

Er beschrieb danach, wie er zusammen

H. G. Francis

mit Topas die Anlagen unter der Stadt akti­viert hatte, soweit das noch möglich gewe­sen war, und empfahl, sich ihren wirtschaft-lichen Bemühungen anzuschließen. Dabei fand er begeisterte Zustimmung.

Da der Arkonide merkte, daß sie nicht in der Lage waren, sich politisch allein zu or­ganisieren, half er den Bewohnern von Moondrag in dieser Nacht, ein Gremium zu wählen, das die vorläufige Verwaltung der Stadt übernehmen und eine politische Ver­fassung ausarbeiten sollte.

»Du willst die Stadt also verlassen«, stell­te Topas fest, als der Morgen graute.

»Ich hoffe, du wirst es mir nicht verbie­ten, Herr«, entgegnete Atlan scherzhaft. To­pas errötete.

»Hör auf damit«, bat er. »Ich mag das nicht mehr hören. Das war alles ziemlich dumm von mir. Natürlich bist du nicht mein Sklave. Ich bedaure nur, daß du gehen willst. Allein schaffe ich es nicht.«

»Nedron wird bei dir bleiben«, sagte At­lan. »Er wird dich schützen und dich bera­ten, und er wird niemals versuchen, dich zu übervorteilen. Nicht wahr?«

»Niemals«, versprach Nedron. »Vorausgesetzt, du sorgst dafür, daß ich einen zweiten Metallarm bekomme. Das wä­re mir schon ziemlich wichtig.«

»Dein Wunsch ist mir Befehl«, erwiderte der Aktivatorträger. »Ich weiß auch, wo wir einen Arm finden. Inzwischen aber wirst du einen Zugor beschaffen, mit dem ich zur FE­STUNG fliegen kann.«

»Du kannst dich auf mich verlassen«, sag­te der Arzt.

7.

Socco, der Spercoide, kehrte niederge­schlagen zum Beiboot zurück. Er wurde sich der vielen Fehler bewußt, die er begangen hatte. Die Kette, mit der er Atlan gefesselt hatte, zog er hinter sich her.

Er hatte den neuen Tag abgewartet, weil er gehofft hatte, wenigstens sehen zu kön­nen, was auf der anderen Seite des geheim­

37 Das kosmische Leuchtfeuer

nisvollen Energieschirms passierte. Doch er war auch in dieser Hinsicht enttäuscht wor­den.

Der Gefangene war verschwunden, und die Kette hatte sich in Nichts aufgelöst, wo sie durch den Wölbmantel gedrungen war. Ihm aber war es nicht gelungen, Atlan zu folgen. Er hatte auch nur einen halbherzigen Versuch dazu unternommen, weil er sich da­vor fürchtete, daß sich sein Schutzanzug auflöste.

Die anderen Spercoiden, die ihn begleitet hatten, schwiegen sich zu dem Vorfall aus. Socco allein hatte ihn zu verantworten.

»Wir fliegen zurück«, sagte Socco, als er das Beiboot der TREUE betreten hatte.

»Das ist auch notwendig«, erwiderte der Navigator. »Einige Gefangene sind geflüch­tet. Sie haben mehrere Explosionen an Bord ausgelöst.«

»Wann war das?« fragte Socco bestürzt. Der Navigator gestand ihm, daß er Socco

die Ereignisse für eine längere Zeit vorent­halten hatte, weil er ihn nicht hatte stören wollen.

»Wir fliegen sofort zurück«, entschied Socco. »Ich will wissen, was da passiert ist. Vielleicht fangen wir die Gefangenen wie­der ein.«

Er warf die Kette ärgerlich von sich und betrat die Schleuse des Beiboots, das schon wenig später aufstieg.

Socco begab sich in die Leitzentrale. Er war verstört und verärgert. Zu keiner Stunde hatte er damit gerechnet, daß es auf Loors solche Schwierigkeiten geben würde, und er war davon überzeugt gewesen, daß er mühe­los klären würde, woher der seltsame Plane­toid kam.

Doch er hatte sich getäuscht. Noch niemals zuvor hatte es solche

Schwierigkeiten auf diesem Planeten gege­ben. Und er wußte überhaupt nichts über den geheimnisvollen Körper, der auf Loors ge­landet war. Einer der Gefangenen hatte so­gar behauptet, der Körper sei nicht im Sinne des Wortes gelandet, sondern materialisiert – wodurch die ganze Angelegenheit noch

rätselhafter wurde. Bisher hatten die Spercoiden noch nir­

gendwo solche Auswirkungen ihrer Leucht­feuer erlebt. Sollten sie bei der technischen Entwicklung etwas übersehen haben? Oder hatte er sich lediglich durch eine geschickte Lüge seines Gefangenen irritieren lassen?

Socco ließ sich in einen der Sessel in der Zentrale sinken.

Er wußte nicht mehr, was er denken soll­te. Er blickte flüchtig auf einen der Bild­schirme. In der Ferne wurde die TREUE sichtbar. Er hob die Hände und legte sie an die von außen nicht durchsichtige Schutz­scheibe seines Helmes, als der Navigator plötzlich neben ihm aufschrie.

Socco ließ die Hände sinken und blickte erneut auf den Bildschirm. Das Beiboot ra­ste mit der üblichen Geschwindigkeit auf die TREUE zu. Es würde das Mutterschiff in wenigen Sekunden erreichen.

Doch dieses Mal war alles anders auf Loors.

Die TREUE bot nicht das gewohnte Bild. Aus einer der Schleusen kräuselte sich eine Rauchfahne. Sie war ein deutliches Zeichen dafür, daß ein Feuer im Innern des Schiffes ausgebrochen war. Aber selbst das erregte Socco nicht so sehr wie die Tatsache, daß die TREUE langsam durchsichtig wurde!

Er beugte sich nach vorn und streckte die Hände aus, als wolle er das Geschehen da­durch von sich wegschieben.

Die TREUE verschwand, und der Pilot neben Socco unternahm nichts, um die Ge­schwindigkeit des Beiboots zu vermindern. Dieses flog direkt auf die TREUE zu und mußte sie in wenigen Sekunden erreichen.

»Verzögern«, schrie Socco. »Wir dürfen nicht zur TREUE fliegen.«

Der Pilot reagierte, jedoch handelte er viel zu spät. Das Beiboot verlor seine hohe Ge­schwindigkeit, schwebte jedoch langsam in das Gebiet hinein, das die TREUE eben noch ausgefüllt hatte.

Socco blickte atemlos vor Entsetzen auf die Instrumente, die plötzlich transparent wurden und sich auflösten. Er streckte beide

38

Arme aus und zog sie auch nicht zurück, als er verfolgte, wie seine Hände durchsichtig wurden, wie das Unheimliche seine Arme hochkroch und ihn selbst erfaßte.

Immerhin begriff er noch, daß er der TREUE mit dem Beiboot in das Nichts folg­te.

*

Atlan landete mit dem Zugor, den man ihm in Moondrag zur Verfügung gestellt hatte, direkt vor der FESTUNG. Zehn Del­los eilten auf ihn zu. Er befürchtete bereits, daß sie ihn angreifen würden, sie bemühten sich jedoch nur darum, ihm aus dem Flugge­rät zu helfen.

»Ich will zu Heimdall, Sigurd und Baldu­ur«, erklärte er. »Bringt mich zu ihnen.«

»Sie sind in der Nähe«, antwortete ihm ei­ner der Androiden. »Folge uns.« Die Dellos umringten den Arkoniden und führten ihn in die Pyramide, in der die drei Söhne Odins als neue Herrscher über Pthor residierten. Durch einige verwinkelte Gänge und in ei­nem Fahrstuhl ging es zu einem quadrati­schen Raum, der geschmackvoll eingerichtet war. In der Mitte gruppierten sich einige Sessel um einen prunkvollen Tisch, der in einem einzigen Stück aus einem Blutbaum gearbeitet worden war. An den Wänden be­fanden sich großflächige Abbildungen der verschiedenen Landschaften von Atlantis. Boden und Decke des Raumes waren von reichverzierten Teppichen verhüllt, die alle Geräusche dämpften.

Atlan hörte seine eigenen Schritte nicht, als er zu einem der Sessel ging. Eines der Wandgemälde schob sich lautlos zur Seite, und die drei Söhne Odins betraten den Raum.

Sie lächelten, als sie Atlan sahen. Sie be­grüßten ihn freundlich.

»Wir haben uns lange nichts gesehen«, versetzte Sigurd und bot dem Arkoniden Platz an. »Du bist draußen gewesen, nicht wahr?«

»Allerdings«, entgegnete Atlan und be-

H. G. Francis

richtete, was er in der Zwischenzeit erlebt hatte. Mit besonderem Interesse verfolgten die drei Brüder die Ereignisse in Moondrag. Sie waren daran interessiert, die technischen Anlagen unter der Stadt wieder in Betrieb zu nehmen, um mit ihrer Hilfe Pthor steuern zu können.

»Davon sind wir vermutlich noch etwas entfernt«, erklärte der Arkonide. »Die Anla­gen sind zu einem erheblichen Teil zerstört. Sie müssen von Spezialisten untersucht, re­pariert und durchgetestet werden. Erst da­nach läßt sich mehr sagen. Dennoch glaube ich, daß man in absehbarer Zukunft etwas damit anfangen kann. Wichtig ist aber vor allem auch, daß die Menschen von Moon­drag in vernünftiger Weise versorgt werden. Wirtschaftlich aufbauende Maßnahmen müssen überall eingeleitet werden, wenn Pthor nicht erneut in chaotische Zustände stürzen soll.«

»Das ist uns klar«, antwortete der finstere Heimdall abweisend. »Wir wissen, was wir zu tun haben, und wir haben auch schon eine Menge unternommen, um die Lebensbedin­gungen für alle auf Pthor entscheidend zu verbessern. In diesem Sinne begrüßen wir, was in Moondrag geschehen ist. Hoffentlich findet sich jemand, der die Geschicke ihrer Bewohner in vernünftiger Weise leitet.«

»Davon bin ich überzeugt.« Er ließ sich nun von den Söhnen Odins

berichten, was in der Zwischenzeit auf Pthor geschehen war, erfuhr jedoch nicht sonder­lich viel. Dennoch entstand der Eindruck, daß die drei Bürder energisch versuchten, Ordnung auf Pthor herzustellen und die Be­wohner in eine bessere Zukunft zu führen.

»Wir haben beobachtet, daß das seltsame Raumschiff unter eigenartigen Begleitum­ständen verschwunden ist«, sagte Balduur schließlich. »Es wurde durchsichtig und lös­te sich in Nichts auf. Wir haben ein Beiboot geortet, das im letzten Moment noch zu die­sem Raumschiff fliegen wollte. Es ver­schwand ebenfalls.«

Atlan blickte überrascht auf. »Das kann nur durch das Leuchtfeuer ge­

39 Das kosmische Leuchtfeuer

schehen sein, das ich euch geschildert ha­be«, sagte er. »Die Spercoiden werden sich selbst kaum haben verschwinden lassen. Da­für kommt eigentlich nur Razamon in Frage. Ich vermute, daß der Zeitklumpen an seinem Bein ihm einen gewissen Schutz verleiht. Daher ist es ihm vielleicht gelungen, an die Hauptleitstation des Leuchtfeuers heranzu­kommen und es einzuschalten. Mit einem für die Spercoiden recht unangenehmen Ef­fekt.«

Er kreuzte die Arme vor der Brust. »Ich kann Razamon und die anderen nicht

allein lassen«, erklärte er. »Ich muß zu ihnen und ihnen helfen. Vermutlich wollen sie nach Pthor zurück. Daher bitte ich euch, mir einen Zugor zu geben, mit dem ich Pthor verlassen kann.«

»Muß das sein?« fragte Heimdall unwil­lig. »Uns ist es am liebsten, wenn wir mit den Ereignissen da draußen nicht in Berüh­rung kommen. Wenn Razamon, Kolphyr und Thalia zurück wollen, dann sollen sie kommen. Wir brauchen sie nicht zu holen.«

»Ich verstehe«, sagte Atlan. »Euch ist es nur recht, wenn Thalia draußen bleibt. Ihr legt am liebsten Scheuklappen an und küm­mert euch um gar nichts.«

»Wir haben mehr als genug damit zu tun, Ordnung auf Pthor zu schaffen«, stellte Si­gurd fest. »Wir haben weder Zeit noch die Möglichkeit, in die Ereignisse da draußen einzugreifen. Und was die Spercoiden trei­ben, geht uns schon gar nichts an.«

»Darüber können wir uns vielleicht später unterhalten«, sagte Atlan einlenkend. »Zunächst muß ich mich um meine Freunde kümmern. Es liegt mir nicht, jemand auf sich allein gestellt zu lassen, der so viel für Pthor und den Sturz der alten Herren der FE­STUNG getan hat.«

Die Mienen der drei Brüder verdüsterten sich bei diesen Worten. Sie wußten recht gut, was Atlan mit diesen Worten meinte, doch zunächst zeigten sie sich nicht gewillt, auf den Vorwurf des Arkoniden zu reagie­ren.

Lediglich Heimdall zeigte ein gewisses

Entgegenkommen. »Wir geben dir einen Zugor«, sagte er.

»Und wir sorgen dafür, daß du Pthor verlas­sen und jederzeit hierher zurückkehren kannst.«

»Das reicht mir vorläufig«, antwortete At­lan.

*

Razamon stieg die Treppe hoch. Er wollte die Leuchtfeuer-Schaltstation Verlassen und sich davon überzeugen, daß er eine ausrei­chende Wirkung auf die Spercoiden erzielt hatte.

Er überlegte, wie er den Roboter am Ein­gangsschott abschütteln konnte. Jetzt bedau­erte er, daß er nicht schon vorher irgend et­was unternommen hatte, womit er seinen Rückweg vorbereiten und sichern konnte. Doch nun war es zu spät.

Unschlüssig stand er vor dem Schott. Wie würde der Roboter reagieren, wenn

es zur Seite glitt? Würde er ihn vorbeilas­sen? Würde er ihn angreifen?

Unwillkürlich griff sich Razamon an die Hüfte, aber dort hing keine Waffe, die er hätte benutzen können. Wenn der Roboter ihn attackierte, hatte er ihm nichts entgegen­zusetzen. Dennoch hatte er keine andere Wahl, wenn er nicht in der Station verhun­gern oder warten wollte, bis die Gepanzerten ihn herausholten.

Er legte die Hände an die Hebelmechanik des Schottes und betätigte sie. Knirschend schob sich das Schott zur Seite. Razamon blickte auf den hinteren Teil des Roboters mit den eng an den Körper gelegten Stahl­beinen und den wuchtigen Gelenken. Der Roboter füllte den ganzen Rahmen des Schottes aus. Nicht die kleinste Lücke blieb frei. Razamon konnte nicht an ihm vorbei­kommen, wenn er seinen Platz nicht verließ.

Der Roboter wiederum konnte ihn nicht eingreifen, bevor er sich nicht zunächst et­was vorwärts bewegt und sich dadurch für seine hinteren Gliedmaßen etwas Bewe­gungsraum verschafft hatte. Diese Tatsache

40

empfand der Atlanter als beruhigend. Er trat mit dem Fuß gegen ein Bein des

Roboters. Nichts geschah. Razamon wandte sich ab und blickte in

die Halle hinunter, weil er hoffte, dort ir­gend etwas zu finden, was er als Werkzeug benutzen konnte. Im gleichen Augenblick bemerkte er eine Bewegung hinter sich. Er fuhr herum und erschrak.

Der Roboter hatte sich nach vorn bewegt. Seine hinteren Beine streckten sich. Sekun­denbruchteile konnte es nur noch dauern, bis sie ausschlagen und ihn zerschmettern wür­den.

Razamon warf sich gedankenschnell auf den Hebel und riß ihn herunter. Die Mecha­nik faßte. Das Schott glitt wuchtig zu. Eines der Roboterbeine schoß auf den Atlanter zu. Dieser warf sich zur Seite. Eine Zange traf ihn an der Hüfte und schleuderte ihn quer über die Brüstung. Er rutschte über den Rand hinweg, stürzte, konnte sich jedoch noch mit einer Hand halten.

Während er über dem Abgrund hing und sich verzweifelt bemühte, auch die zweite Hand an die Brüstung zu bringen, beobach­tete er, wie das sich schließende Schott das Stahlbein des Roboters zerschmetterte. Der Stahl war so spröde, daß er unter dem Auf­prall der einrastenden Metallwand zersplit­terte. Das abgeplatzte Teilstück hüpfte über den Boden der Brüstung und blieb direkt vor Razamon liegen.

Dieser zog sich an der Brüstung hoch und schwang sich vorsichtig hinüber. Dann setz­te er sich auf den Boden und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Unwillkürlich blickte er nach unten. Er wußte, daß er einen Sturz in die Tiefe auf keinen Fall überlebt hätte.

Wenn er versucht hätte, mit dem Roboter zu kämpfen, hätte er ebenso geringe Überle­benschancen gehabt.

Was also konnte er tun? Ratlos blickte er auf das Stahlschott, hin­

ter dem nun der Roboter lauerte. Er war da­von überzeugt, daß der Automat sich in an­griffsbereiter Haltung befand.

H. G. Francis

*

Atlan flog mit dem Zugor zum Rand der Fläche Mur-Zerrada. Schon von weitem sah er, daß sich dort die Goltarys-Karawane be­fand. Er hoffte, die Freunde bei ihr zu fin­den.

Um die Brangeln und die Spyten nicht zu sehr zu beunruhigen, landete er etwa drei­hundert Meter von der Karawane entfernt mit dem Zugor und stieg aus. Er wollte den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen.

Kaum war er einige Schritte gegangen, als sich aus der Menge der Brangeln zwischen den Zelten zwei Gestalten lösten, die die an­deren deutlich überragten. Er erkannte Tha­lia und Kolphyr. Sie winkten ihm zu.

Atlan kehrte zum Zugor zurück, da er nun keinen Grund mehr dafür sah, zu Fuß zu ge­hen und flog zu den Freunden. Dabei stellte er fest, daß die Brangeln zwar erregt reagier­ten, aber keineswegs ängstlich. Sie schmatz­ten laut mit ihren Rüsselfingern, gaben aber deutlich zum Ausdruck, daß sie seine An­kunft begrüßten.

Atlan war kaum gelandet, als Thalia und Kolphyr bereits bei ihm waren.

»Du hast uns einen Schreck eingejagt«, rief sie. »Wir haben nicht damit gerechnet, daß du mit einem Zugor kommen würdest.«

»Wir dachten, daß du noch immer bei den Gepanzerten bist«, fügte der Bera hinzu. »Und wir haben tausend Pläne entwickelt, wie wir dich herausholen können, aber sie haben alle nichts gebracht.«

»Jedenfalls sind wir froh, daß du es ge­schafft hast«, sagte Thalia mit einem strah­lenden Lächeln.

Atlan begrüßte die Brangeln und berichte­te kurz, was sich ereignet hatte.

»So etwas habe ich mir gedacht«, erwi­derte er, als Thalia ihm berichtete, welche Absichten Razamon verfolgt hatte. »Und er hat es geschafft. Das Schiff der Spercoiden ist verschwunden. Auch das Beiboot, mit dem ich geflogen bin.«

»Dann wird Razamon bald zu uns sto­

41 Das kosmische Leuchtfeuer

ßen«, bemerkte Kolphyr. »Das ist die Frage«, entgegnete Atlan. »Er

hat die Schaltstation gefunden. Das ist klar. Aber was ist dann passiert? Ist es ihm gelun­gen, auch wieder herauszufinden? Ist er jetzt auf dem Weg zu uns oder befindet er sich in Schwierigkeiten? Ich denke, das sind Fra­gen, die wir klären müssen.«

»Außerdem glaube ich, daß es auf lange Sicht nicht genügt, daß er das Leuchtfeuer wieder eingeschaltet hat«, sagte das Antima­terie-Wesen. »Wenn ein weiterer Spercoi­den-Raumer kommen sollte, dann kann die­ser es bestimmt per Funk ausschalten. Viel­leicht gelingt es den Spercoiden auch, sich aus den Dimensionsverwerfungen zu lösen und sich an die Station heranzumachen.«

»Wenn das der Fall ist, steht es schlecht um Razamon«, stellte Thalia fest.

»Wir müssen ihm helfen«, fügte Kolphyr hinzu. »Wenn er schon auf dem Weg zu uns ist, werden wir ihn aufnehmen, und er wird uns zeigen, wo die Station ist. Wenn er noch dort ist, werden wir ihn auch so finden.«

»Auf jeden Fall ist die Spercoiden-Gefahr nicht schon dadurch gebannt, daß dieser Raumer zwischen den Dimensionen ver­schwunden ist«, stimmte Atlan zu. »Ich schlage vor, daß wir mit dem Zugor in das Gebiet fliegen, in dem sich die Station befin­det. Dort suchen wir dann nach Spuren von Razamon.«

»Hoffentlich ist das möglich«, wandte Kolphyr ein. »Razamon ist durch den Zeit­klumpen geschützt. Wir könnten uns in den Dimensionsverwerfungen verfangen. Viel­leicht kommen wir dieses Mal nicht wieder heraus.«

Atlan blickte den Bera nachdenklich an. Wenn der Dimensionsforscher solche Be­denken anmeldete, dann mußte er ihn ernst nehmen. Keiner von ihnen verstand soviel von diesen hyperphysikalischen Dingen wie er. Außerdem war Kolphyr mitten in die Di­mensionsverwerfungen hineingeraten, wobei es zu überraschenden Zwischenfällen ge­kommen war. Er hatte sich befreien können, weil er Antimaterie-Teilchen durch den

Velst-Schleier abgestoßen und damit einem genau berechneten Energieeinbruch im Grenzbereich der Dimensionsverwerfungen herbeigeführt hatte. Dadurch hatte er für Bruchteile von Sekunden in einem kleinen Dimensionssektor stabile Verhältnisse her­beigeführt, die ihm den Übertritt in den für Atlan und die Freunde gültigen Dimensions­bereich erlaubt hatten. »Du meinst also, daß du selbst Schwierigkeiten haben könntest, dich aus den Verwerfungen zu befreien?« fragte Atlan.

»Das halte ich für wahrscheinlich«, bestä­tigte der Bera.

»Dann können wir nichts unternehmen«, sagte Thalia. »Vielleicht kommt Razamon selbst auf den Gedanken, die Station zu zer­stören.«

Atlan blickte den Bera nachdenklich an. »Könntest du nicht irgendein Gerät ent­

wickeln, mit dem man die Dimensionsver­werfungen sichtbar machen kann?« fragte er. Kolphyr schüttelte den Kopf. »Nicht mit Antimaterie«, erwiderte er.

»Du meinst, nicht aus positiv geladener Materie«, stellte der Arkonide richtig.

»Ich bestehe aus positiv geladener Mate­rie«, erwiderte Kolphyr. »Ihr seid aus Anti­materie, und aus diesem Stoff kann ich kein brauchbares Gerät herstellen.«

Der Aktivatorträger hob abwehrend die Hände, um eine weitere Diskussion darüber abzublocken, was Materie war, und was An­timaterie. »Also, was tun wir?« fragte Tha­lia. Kolphyr hob ratlos die Hände. Atlan fuhr sich mit dem Handrücken über die Lip­pen. Nachdenklich blickte er auf den Boden.

»Ich fürchte, Razamon hat sich in einer Falle gefangen, die für uns unzugänglich ist«, sagte er schließlich. »Er muß sich allein helfen. Wir können vorläufig nichts für ihn tun.«

»Können wir es nicht wenigstens versu­chen?« fragte Thalia. Sie legte Atlan die Hände auf den Arm. »Es muß doch einen Weg geben. Razamon würde doch für uns auch alles tun, was in seiner Macht steht, wenn wir in Gefahr wären.«

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»Was steht denn in unserer Macht? Wir können in das Gebiet vordringen, das

in Frage kommt, Zweige nehmen und sie vor uns herführen. Auf diese Weise können wir uns langsam an die Verwerfungen heranta­sten. Wenn wir Glück haben, finden wir da­bei die Spur Razamons und vielleicht auch die Station, aber wir müssen sehr viel Glück haben, wenn wir Erfolg haben wollen.«

»Wir müssen es versuchen«, sagte Thalia leidenschaftlich. »Wenn wir streng nach Plan vorgehen, werden wir auch Erfolg ha­ben.«

»Da liegt eben die Schwierigkeit«, ent­gegnete der Bera. »Ein Plan läßt sich kaum entwickeln.«

»Warum nicht?« fragte Thalia. »Wenn wir alles genau überlegen und Schritt für Schritt vorgehen, dann muß sich logischer­weise ein Erfolg einstellen.«

»Das ist richtig«, stimmte Kolphyr zu und sein Mund zog sich in die Breite.

»Na also«, triumphierte die Tochter Od-ins.

»Allerdings ist es nicht richtig nach den Gesetzen der Logik, die in jenem Kontinu­um gelten«, fuhr der Bera fort.

»Wie soll ich das nun wieder verstehen?« Thalia war sichtlich verwirrt.

»Wir haben es mit einer Dimensionsver­werfung zu tun. Daran müssen durchaus nicht nur zwei Dimensionen beteiligt sein. Es können unbegrenzt viele sein, ohne daß sie sich gegeneinander abgrenzen lassen.«

»Richtig«, stimmte Atlan zu. »Und dabei können Dinge passieren, die sich mit der für uns geltenden Logik überhaupt nicht erklä­ren lassen.«

Er blickte von Thalia zu Bera und von diesem wieder zu ihr.

»Wobei ich mir nicht klar bin, welche Lo­gik denn nun eigentlich hier gilt«, fügte er hilflos hinzu.

»Bisher noch immer jene, daß jede Wir­kung ihre Ursache hat«, antwortete das Mädchen. »Ohne Ursache keine Wirkung.«

»Das könnte sich im Bereich der Dimen­sionsverwerfungen umkehren«, sagte Kol-

H. G. Francis

phyr und zeigte damit das ganze Dilemma auf, in dem sie sich befanden.

»Wir können natürlich auch endlos disku­tieren«, sagte Atlan, »aber damit kommen wir nicht weiter. Ich schlage vor, daß wir nach der einfachsten Methode vorgehen, die wir haben. Wir pflücken uns Zweige ab, marschieren damit in das Grenzgebiet hin­ein. Auf diese Weise finden wir heraus, wo die Grenzen der Dimensionsverwerfungen sind.«

»Falls sie sich nicht laufend verändern«, fügte der Bera breit grinsend hinzu.

8.

Razamon faßte einen verwegenen Plan. Er wußte, daß er etwas tun mußte, um aus der Falle herauszukommen, und er sah nur eine Möglichkeit.

Er nahm das abgesplitterte Teilstück des Roboterbeins in die linke Hand und legte die rechte an den Hebel des Türschotts. Dann at­mete er einige Male tief durch, um sich auf den Angriff des Automaten vorzubereiten.

Er wollte das Schott öffnen, sich attackie­ren lassen und das Schott dann schließen, und er hoffte, daß es dabei weitere Beine des Roboters zerschmettern würde. Das war, wie er meinte, die einzige Chance, die er hatte.

Er verdrängte alle Gedanken daran, was sein würde, wenn die Beine des Automaten nicht zerschlagen wurden, wenn es nicht ge­lang, den Roboter zurückzudrängen.

Entschlossen riß er den Hebel herum. Das Schott fuhr auf, und bevor es sich ganz ge­öffnet hatte, schossen zwei Robotbeine auf Razamon zu. Er entging ihnen nur knapp, indem er sich zur Seite warf. Dabei klam­merte er sich an den Hebel, weil er fürchtete, später nicht mehr an ihn heranzukommen.

Eine endlos lange Zeit schien zu verstrei­chen, bis das Schott sich ganz geöffnet hatte und sich wieder zu schließen begann. Raza­mon erschien es, als laufe ein Film in Zeitlu­pe vor ihm ab, in den ein Roboter mit Nor­malablauf eingeblendet worden war.

Die Robotbeine krochen mit unglaubli­

43 Das kosmische Leuchtfeuer

cher Geschwindigkeit durch die Öffnung. Sie streckten sich und wurden immer länger, so daß er bereits das Gefühl hatte, der ganze Raum sei mit ihnen ausgefüllt.

Die Spitze eines Beines traf ihn an der Brust, hob ihn hoch und schleuderte ihn über die Brüstung hinweg. Razamon überschlug sich mehrere Male. Er schlug mit Armen und Beinen um sich, als könne er noch ir­gendwo Halt finden.

Dann prallte er gegen die Pyramide und rutschte an ihr herunter. Benommen blickte er nach oben. Er sah, wie die Brüstung sich rasend schnell von ihm entfernte, er sah, wie sich das Schott schloß, und er beobachtete, wie sich die Robotbeine in Splitter auflö­sten, die als schimmernde Geschosse durch die Luft wirbelten. Er begriff, daß der Robo­ter nicht in die Halle eindringen konnte, und dann erkannte er, daß ihm das nichts mehr nützen würde.

Unter ihm gähnte ein Abgrund. Schlagar­tig wich die Benommenheit, als Razamon begriff, daß er noch eine winzige Chance hatte. Er rutschte an der Pyramide herunter und näherte sich einer Stelle, an der der Ab­stand zwischen der Pyramide und der Kon­trollstation nur etwa fünf Meter betrug. Wenn es ihm gelang, sie zu überspringen, war er gerettet. Die Erfolgsaussichten waren äußerst gering für ihn, da er ohne Anlauf praktisch aus dem Stand heraus springen mußte. Zu schnell rutschte er, als daß er sich genügend hätte vorbereiten können. Er ent­schied sich jedoch für den Absprung, als er meinte, den günstigsten Punkt erreicht zu haben, und schnellte sich ab.

Im ersten Moment schien es, als weite sich der Abgrund zu einer unüberbrückbaren Kluft. Die Füße schienen auszurutschen, so daß er nicht genügend Geschwindigkeit ge­wann. Dann aber rückte der Rand der Kon­trollstation auf ihn zu. Razamon packte zu, seine Hände klammerten sich um das Eisen, und sein Körper schwang weit durch. Seine Finger rutschten ab, und wieder schien es so, als sei er endgültig verloren. Doch dann ge­lang es ihm doch, sich zu halten. Er warf

sich hoch und gelangte mit dem Oberkörper über die Kante.

Keuchend blieb er liegen. Er zitterte am ganzen Körper. Erst jetzt wurde er sich des­sen voll bewußt, wie knapp er dem Tod ent­gangen war. Er kroch weiter, bis er ausge­streckt auf dem Boden lag, und er schwor sich, nicht ein zweites Mal ein solches Risi­ko einzugehen.

Staunend blickte er auf die Pyramide. Er konnte es nicht fassen, daß er den rettenden Sprung geschafft hatte. Jetzt erschien es ihm völlig unmöglich, daß ein Mann einen sol­chen Abgrund überhaupt überwinden konn­te. Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, erhob er sich. Langsam stieg er die Treppe bis zur Brüstung empor. Er stellte fest, daß er nunmehr insgesamt vier Roboterbeine mit dem Schott zerstört hatte.

War der Automat dadurch aber schon be­siegt? Er glaubte es nicht. Der Roboter konnte fliegen. Das bedeutete, daß er auch noch mit nur einem Arm ein gefährlicher Gegner war.

Razamon hockte sich auf die oberste Stu­fe. Er blickte die Treppe hinunter zur Schalt­tafel.

Zweifelsohne konnte er die Verkleidung der Schalttafel abreißen und Zerstörungen in der Positronik anrichten. Damit würde er die Leuchtfeuer-Station wahrscheinlich funkti­onsunfähig machen, aber auch die Gepan­zerten herbeirufen.

Da Razamon nicht wußte, daß die Sper­coiden mittlerweile in den Dimensionsver­werfungen gefangen waren, schied diese Möglichkeit für ihn aus. Dennoch ging er zur Schalttafel und untersuchte sie. Er war davon überzeugt, daß irgendwo Reparatur­werkzeuge und -ausrüstungen vorhanden waren.

Er entdeckte schließlich kleine Vertiefun­gen an den Seiten der Verschalung. Er drückte einen Finger hinein und drehte ihn. Dabei spürte er, daß sich etwas unter seinem Finger bewegte. Als er ihn abhob, sah er, daß die Vertiefung sich verfärbt hatte. Er suchte weiter, bis er glaubte, alle Mulden

44

gefunden zu haben. Dann kippte die Ver­schalung von selbst ab. Darunter wurde die komplizierte Positronik sichtbar.

Razamon ließ sich auf den Boden sinken, kreuzte die Beine und versuchte, das Gewirr zu enträtseln, das sich ihm bot.

Es gelang ihm zunächst nicht. Er unterbrach seine Bemühungen nach ei­

nigen Stunden und durchsuchte die Station nach irgend etwas, das er essen oder trinken konnte. Er fand nichts.

Müdigkeit übermannte ihn. Er legte sich auf den Boden und schlief fast augenblick­lich ein.

Als er erwachte, wußte er zunächst nicht, wo er war, und wie lange er geschlafen hat­te. Erst allmählich kam er zu sich. Er stand auf und sah sich in der Halle um. Alles war so, wie es vorher gewesen war.

Razamon machte einige gymnastische Übungen, um munterer zu werden. Dann suchte er erneut nach etwas, womit er seinen Durst stillen konnte, aber auch jetzt hatte er damit keinen Erfolg. Die Station besaß nichts, womit ein lebendes Wesen versorgt werden konnte.

Der Atlanter setzte sich wieder auf den Boden, kreuzte die Beine unter dem Körper, senkte den Kopf und konzentrierte sich. Er wollte das quälende Durstgefühl überwin­den, das ihn ablenkte und daran hinderte, klar und zielbewußt zu denken.

Danach erhob er sich und machte sich er­neut an die Untersuchung der Positronik. Immer wieder sagte er sich, daß die beste Lösung die totale Vernichtung des Leucht­feuers war. Doch sie kam nicht in Frage, so­lange der Roboter den Eingang der Station bewachte.

Sein vordringliches Ziel mußte sein, den Roboter zu vernichten. Das aber erschien unter den gegebenen Umständen unmöglich.

Razamon rannte die Treppen hoch und trommelte fluchend mit den Füßen gegen das Schott. Jetzt bereute er, daß er sich dazu entschlossen hatte, in die Station der Gepan­zerten einzudringen und die Maschinerie einzuschalten, mit der die Dimensionsver-

H. G. Francis

werfungen erzeugt wurden. Er machte sich Selbstvorwürfe, weil er

nicht daran gedacht hatte, seinen Rückzug besser vorzubereiten.

Doch er wurde sich rasch dessen bewußt, daß sinnlos war, was er tat. Es brachte nichts ein, wenn er seinen Zorn am Stahlschott aus­ließ.

Er drehte sich um und stützte sich auf das Geländer der Brüstung. Seine Blicke wan­derten über die Seite der Pyramide. Bei sei­nem Sturz hatte er keinerlei Spuren hinter­lassen. Er erschauerte, als er sich daran erin­nerte, wie er in die Tiefe gestürzt war. Wenn er überlebt hatte, so hatte er das nur der Tat­sache zu verdanken, daß der Roboter ihn weit genug über die Brüstung hinwegge­schleudert hatte.

Razamon überlegte, ob er sich einen wei­teren Angriff des Automaten nicht zunutze machen konnte. Dabei kam ihm eine Idee. Er eilte die Treppe hinunter und kehrte zur Positronik der Schalttafel zurück, um erneut mit der Suche nach Ersatzteilen zu begin­nen. Jetzt versuchte er, die Bodenplatten ab­zulösen, da er sich sagte, daß die Erbauer je-den Platz genutzt hatten.

Tatsächlich gelang es ihm nach einigen Stunden vergeblicher Mühen, eine Boden­platte abzulösen. Darunter lagen allerlei Kleinteile, die bei einem Ausfall in die Po­sitronik eingeschoben werden konnten. Da­mit konnte er nichts anfangen.

Immerhin wußte er jetzt, daß es sinnvoll war, weiter zu suchen. Da er die erste Platte abgelöst hatte, wußte er, was er tun mußte. Er hatte keine Mühe, nun weitere aus den Verankerungen zu heben. Doch stieß er zu­nächst immer nur auf Kleinteile, die ihm nichts halfen. Erst nach Stunden fand er Ka­bel, die bündelweise zusammengebunden waren.

Mittlerweile war er von den Anstrengun­gen der letzten Stunden jedoch so erschöpft, daß er eine Pause einlegen mußte. Er legte sich erneut auf den Boden, um sich über sei­nen Plan klar zu werden. Darüber schlief er ein. Er hatte das Gefühl, wenigstens zwei

45 Das kosmische Leuchtfeuer

Tage geschlafen zu haben, als er wieder er­wachte. Sein Mund und sein Hals waren so ausgetrocknet, daß er kaum atmen konnte, so daß er eine geraume Weile benötigte, bis er sich in der Lage fühlte, den Plan weiter­zuführen. Er überlegte kurz, wieviel Tage vergangen sein mochten, seit er in der Stati­on war, kam jedoch zu keinem Ergebnis. Daher verdrängte er alle Gedanken an die Zeit und konzentrierte sich nur auf das, was vor ihm lag.

Er rollte die Kabel aus und zog sie die Treppe hoch. Dann entfernte er mit einem abgesplitterten Teil des Roboters die Isolati­on.

Danach kehrte er zur Positronik zurück und begann nun damit, die einzelnen Drähte an die verschiedenen Stromquellen anzu­schließen. Er kehrte immer wieder zu dem anderen Ende vor dem Schott zurück, um sich davon zu überzeugen, daß sich die ein­zelnen Enden nicht berührten. Ein zu früher Kurzschluß konnte alle Chancen zunichte machen.

Die Arbeit war zeitraubend und mühsam, da er die Positronik nicht zerstören durfte. Sie lenkte ihn jedoch von seinen Durstge­fühlen ab.

Wie stark sein Verlangen nach Wasser war, merkte er erst, als er alle Drähte ange­schlossen hatte.

Als er sich erhob und die Treppe hinauf­stieg, tanzten feurige Kreise vor seinen Au­gen. Seine Knie zitterten, und ihm wurde so übel, daß er sich setzen mußte. Doch er gönnte sich keine lange Ruhepause. Er trieb sich selbst wieder hoch.

Erschöpft überwand er die letzten Stufen. Er bückte sich und nahm das Kabel auf. Mit einem Metallsplitter prüfte er an einem der Drahtenden, ob sie auch wirklich Strom führten. Ein Schock zuckte durch seine Fin­ger, so daß er das Metallstück verlor.

Er lächelte. Das hatte er geschafft. Mit der freien Hand griff er nach dem He­

bel, mit dem er das Schott öffnen konnte.

*

Atlan, Thalia und Kolphyr ahnten nicht, in welcher Situation Razamon war, als sie das Lager der Brangeln verließen und sich mit dem Zugor dem Gebiet näherten, in dem sie die Leitstation des Leuchtfeuers vermu­teten.

»Ich möchte noch wissen, ob es einen Un­terschied im Zeitablauf zwischen Pthor und Loors gibt«, sagte Thalia. Sie überflogen ei­ne weite Ebene und folgten dabei den Spu­ren, die sie mit den Reitspyten in die Steppe gezeichnet hatten. Da es seit Tagen nicht ge­stürmt oder geregnet hatte, waren sie noch gut zu erkennen.

»Das weiß ich noch nicht genau«, antwor­tete der Arkonide. »Ich vermute jedoch, daß es keinen Unterschied gibt, jedenfalls kei­nen, der so stark ist wie der auf der Erde.«

Das Mädchen und die beiden Männer be­gannen nun zu rechnen und zu vergleichen. Sie kamen zu dem Ergebnis, daß die Zeit in­nerhalb und außerhalb von Pthor gleich ab­lief.

»Das bedeutet, daß Razamon sich in er­heblichen Schwierigkeiten befindet«, stellte Atlan fest.

»Oder er hat sich irgendwo aufs freie Land zurückgezogen und ruht sich von den Strapazen aus«, erwiderte Thalia.

Atlan schüttelte lächelnd den Kopf. »Das paßt nicht zu ihm«, sagte er.

»Razamon kämpft entweder, oder er kommt zu uns. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«

»Es sei denn, daß er …«, begann Kolphyr, brach dann jedoch ab, als er die erschrocke­nen Blicke der anderen bemerkte.

»Razamon ist nicht tot«, sagte Atlan ener­gisch.

Kolphyr zeigte nach vorn. »Ich erkenne die Gegend wieder«, sagte

er. »Hier ungefähr war es, wo ich in die Di­mensionsverwerfung geraten bin.«

»Das Raumschiff ist verschwunden«, stellte Atlan nachdenklich fest. »Das bedeu­tet also, daß es in den Dimensionsverwer­fungen steckt. Weiter dürfen wir nicht flie­gen. Wir landen.«

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Er senkte den Zugor ab und setzte ihn auf. Zusammen mit Thalia und Kolphyr stieg er aus der Flugschale. Deutlich konnte der Be­ra die Spuren sehen, die er selbst hinterlas­sen hatte. Kolphyr riß einen Busch aus und hielt ihn vor sich her. Dann ging er langsam auf seiner alten Spur entlang. Thalia und At­lan folgten ihm zögernd.

Als sie etwa fünfzig Meter weit gegangen waren, blieb der Bera stehen.

Die Spitze des Busches verschwand im Nichts.

»Und jetzt?« fragte die Tochter Odins.

*

Razamon führte das Drahtbündel bis dicht an das Stahlschott heran. Dann zögerte er. Seine Hand zitterte vor Schwäche und Erre­gung.

Du mußt es tun! sagte er sich. Es ist deine einzige Chance.

Ihm wurde plötzlich bewußt, daß er sich vor dem spinnenförmigen Roboter fürchtete, der auf der anderen Seite der Stahlwand lau­erte. Seit Tagen fürchtete er sich vor ihm, vor seinen schnellen Reaktionen und der ele­mentaren Gewalt, mit der er zuschlug.

Doch ihm blieb keine andere Wahl, als das Schott zu öffnen, wenn er nicht verhun­gern wollte.

Er riß den Hebel herunter. Das Schott glitt laut knirschend zur Seite.

Razamon rechnete damit, daß der Auto­mat augenblicklich angreifen würde, doch das tat er nicht. Er wartete, bis der Durch­gang ganz offen war. Dann stürzte er sich in die Halle, wobei er seine meterlangen Arme blitzschnell nach vorn schleuderte.

Der Atlanter warf das Kabel gegen den Roboter. Die blanken Metalldrähte schlugen gegen das Metall, und ein Überschlagsblitz hüllte fast den gesamten Automaten ein.

Ein Stahlarm traf Razamon und warf ihn zu Boden. Dann raste der Roboter über ihn hinweg, prallte krachend gegen die Brü­stung, durchbrach sie und stürzte in die Tie­fe.

H. G. Francis

Der Atlanter kroch zur Kante der Brü­stung vor und blickte ihm nach. Er erwarte­te, daß der Robot seinen Antigrav einschal­ten würde, doch das geschah nicht. Mit weit von sich gestreckten Armen und Beinen ra­ste der stählerne Wächter der Station nach unten. Er traf auf die Pyramide, rutschte an ihr entlang und verschwand dann.

Razamon hörte nach einigen Sekunden einen Aufschlag. Er sah etwas aufblitzen, und dann wurde es still in der Halle.

Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und wunderte sich, daß die Hand feucht wurde, obwohl sein Körper völlig ausgetrocknet war. »Das war's«, sagte er mit krächzender Stimme.

Mühsam erhob er sich. Er fühlte sich so schwach, daß er sich aufstützen mußte, als er durch das offene Schott hinausging.

Er blinzelte in die Sonne und atmete die würzige Luft tief ein, die ihm ins Gesicht wehte. Langsam und mit schleppenden Schritten stieg er auf einen Hügel. Vor ihm in einer Senke blitzte es silberhell auf. Raza­mon rannte los, ohne nachzudenken. Er hielt erst wieder, als er vor dem Bach stand, den er entdeckt hatte. Zögernd fast ließ er sich auf die Knie sinken und schöpfte mit den Händen Wasser.

Als er die ersten Schlucke über die Lip­pen gebracht hatte, hörte er Stimmen.

Er sprang auf und stürmte einen Hügel hinauf.

Atlan, Thalia und Kolphyr befanden sich in der Nähe. Sie waren nur etwa vierzig Me­ter von ihm entfernt.

»Atlan«, schrie er. Seine Stimme klang wieder voll. Dennoch hörte der Arkonide ihn nicht.

Einige Sekunden verstrichen, bis Raza­mon endlich begriff, daß die Freunde sich außerhalb der Dimensionsverwerfungen be­fanden, während er sich in ihrem Bereich aufhielt.

Er lief auf sie zu. Sie sahen ihn erst, als ihn noch etwa zwei

Meter von ihnen trennten. Thalia jubelte. Sie eilte auf ihn zu.

47 Das kosmische Leuchtfeuer

»Du siehst aus, als hättest du ziemlich schwere Tage hinter dir«, sagte sie.

*

Atlan legte Razamon die Hand auf die Schulter, als sie etwa eine halbe Stunde lang miteinander gesprochen hatten. Inzwischen hatte der Atlanter etwas gegessen und ge­trunken.

»Bist du wieder in Ordnung?« fragte der Arkonide.

»Völlig«, erwiderte Razamon. »Dann muß ich dir sagen, daß du dich

noch einmal auf die Socken machen mußt«, fuhr der Aktivatorträger fort. »Du hast uns geschildert, wie es in der Station aussieht, doch das hilft uns nicht. Du mußt noch ein­mal hingehen und alles in die Luft spren­gen.«

»Warum gehst du nicht?« fragte Thalia hitzig. »Razamon hat genug durchgemacht.«

»Typisch Weib«, sagte der Arkonide lä­chelnd. »Und recht hat sie auch noch. Ich würde ja gern gehen, aber leider würde ich nicht heil bis zur Station kommen.«

»Oder nicht in einer Form zurückkehren, die wir akzeptieren können«, bemerkte Kol­phyr. »Razamon ist durch den Zeitklumpen geschützt. Er muß es übernehmen.«

Der Atlanter nickte. »Ich mache es«, erklärte er. »Im Zugor gibt es Sprengsätze, die du

verwenden kannst«, sagte Atlan. »Bediene dich.«

Razamon erhob sich wortlos und ging zum Zugor hinüber. Er hantierte einige Mi­nuten lang daran herum, dann kehrte er mit einer armlangen Röhre in den Händen zu­rück.

»Ich werde eine Zeitschaltung einrich­ten«, sagte er. »Danach habe ich vermutlich nicht viel Zeit. Ich werde zu euch kommen. Wir müssen dann sofort starten und ver­schwinden, sonst erwischt es uns.«

»Keine Sorge«, entgegnete der Arkonide. »Wir sind schon jetzt startbereit.«

Razamon nickte ihm zu, schulterte die

Röhre, als sei es ein Stück Holz. »Ein bißchen wohler wäre mir ja, wenn

mir jemand sagen könnte, was passiert, wenn das Ding explodiert«, sagte er. »Hoffentlich reißen wir nicht den ganzen Planeten auseinander.«

»Wird schon schiefgehen«, antwortete At­lan.

Er blickte Razamon nach. Der Atlanter hinkte deutlicher als sonst. Atlan schloß dar­aus, daß der Zeitklumpen ihm Beschwerden bereitete. Thalia und Kolphyr lehnten neben dem Arkoniden am Zugor. Auch sie beob­achteten Razamon.

Die Tochter Odins schüttelte den Kopf, als Razamon plötzlich verschwand.

»Es ist nicht zu fassen«, sagte sie. »Wir steigen ein. Wer weiß, wie lange es

dauert, bis er zurückkommt. Vielleicht ist er schon gleich wieder da.« Atlan half Thalia in den Zugor. Kolphyr wälzte sich hinein und setzte sich auf den Boden. Der Arkonide betrat den Sockel in der Mitte des Fluggeräts und bereitete den Start vor.

Eine halbe Stunde verstrich. »Es muß etwas passiert sein«, sagte Tha­

lia nervös. »Er hat keinen Grund, so lange zu bleiben.«

»Er muß alles sorgfältig vorbereiten«, er­widerte der Bera. »Und er muß sich Zeit las­sen. Wenn er das nicht tut, macht er die Rei­se mit.«

Er streckte den Arm nach oben und zeigte in den Himmel hinauf.

»Sei still«, bat Thalia. »Irgendwann sehen wir ihn wieder. So

oder so«, sagte Kolphyr. Er zog die Mund­winkel nach oben und blickte Thalia lachend an.

In diesem Augenblick stürzte Razamon aus den Dimensionsverwerfungen hervor. Sein Gesicht war blaß und verzerrt. Mit ei­nem mächtigen Satz warf er sich in den Zu-gor hinein. Atlan reagierte sofort. Er startete die Maschine.

»Hoffentlich geht das gut«, rief Razamon. »Ich mußte den Zündsatz an einen Druckab­fall-Anzeiger anschließen und ein Ventil

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öffnen. Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauert, bis …«

Weit hinter ihnen wölbte sich der Boden auf, und ein bedrohliches Grollen erfüllte die Luft. Dann schoß eine Feuersäule aus den Hügeln hervor, und eine gleißende Hel­ligkeit breitete sich aus.

Atlan riß den Zugor in die Höhe, um zu verhindern, daß sie von der Druckwelle ge­gen die Hügel geschleudert wurden. Doch die über sie hereinstürzenden Energien er­wiesen sich als weit weniger mächtig als be­fürchtet. Ein Windstoß packte den Zugor und trieb ihn vor sich her.

Die Feuersäule sank in sich zusammen. Dafür wölbte sich eine Staubwolke auf, die langsam in den Himmel hinaufstieg und sich dort ausbreitete.

»Es ist vorbei«, sagte Kolphyr. »Das war schon alles?« fragte Thalia. Sie

schien enttäuscht zu sein. »Mir genügt es gerade«, entgegnete Raza­

mon, »aber ich gebe zu, daß ich mir das al­les auch schlimmer vorgestellt habe.«

»Wo ist die TREUE?« fragte Thalia. »Sollte sie nicht wieder erscheinen, nach­dem die Station zerstört ist?«

»Keineswegs«, antwortete Kolphyr. »Die TREUE ist in den Dimensionsverwerfungen verschwunden. Es wird ihr schwerfallen, un­verändert hierher zurückzukehren. Wahr­scheinlich bleibt sie für alle Zeiten irgendwo zwischen den Dimensionen verschollen.«

»Das kann für Loors und seine Bewohner nur gut sein«, stellte Atlan fest. »Die Sper­coiden werden diesen Planeten vielleicht nie wiederfinden.«

*

Kommandant Lasko verließ seinen Raum und trat auf den Hauptgang des Hauptquar­tiers hinaus.

Der Spercoide trug einen schweren Pan­zeranzug, so wie alle anderen in diesem Hauptquartier auch.

Als er sich einige Schritte von seinem Raum entfernt hatte, kamen ihm zwei Unter-

H. G. Francis

gebene entgegen, die rangmäßig nicht weit unter ihm standen. Sie blieben vor ihm ste­hen.

»Was gibt es?« fragte er. »Wir müssen melden, daß die TREUE

überfällig ist«, erwiderte einer von ihnen. »Dieser Planet Loors scheint sich immer

mehr zu einem Problem zu entwickeln«, fügte der andere hinzu.

Lasko überlegte sorgfältig, bevor er auf die Meldung reagierte. Er stimmte Cooros zu, der meinte, daß Loors sich zu einem Pro­blem entwickelte. Dieser Meinung war er auch, und er erwog, dem Tyrannen selbst ei­ne Meldung zu machen. Doch dann nahm er davon Abstand. Er wollte zunächst einmal abwarten.

»Ein Verband mit sechsunddreißig Ein­heiten soll nach Loors fliegen«, befahl er. »Sofort.«

Dann ging er weiter. Die beiden Unterge­benen machten respektvoll Platz.

*

Etwa zur gleichen Zeit betraten Atlan, Thalia, Razamon und Kolphyr den Raum in der FESTUNG, in dem der Arkonide vor nicht allzu langer Zeit schon einmal gewe­sen war, um mit den neuen Herren zu spre­chen.

Sigurd, Heimdall und Balduur erwarteten sie. Die drei Söhne Odins waren wenig er­baut, als sie Thalia sahen. Ihnen war anzu­merken, daß sie es begrüßt hätten, wenn ihre Schwester nicht in der FESTUNG erschie­nen wäre.

»Was führt euch zu uns?« fragte Sigurd. »Ich nehme an, euch ist nicht entgangen,

daß die Station der Spercoiden nicht mehr besteht. Es gibt keine Dimensionsverwer­fungen auf Loors mehr, die uns gefährlich werden könnten«, entgegnete der Arkonide. »Razamon hat die Leitstation zerstört.«

»Dafür danken wir ihm«, versetzte Baldu­ur in einem Ton, der zeigte, wie wenig ihn die Nachricht interessierte.

»Ich habe bereits geschildert, wer die

49 Das kosmische Leuchtfeuer

Spercoiden sind und was ich über sie weiß«, fuhr Atlan unbeeindruckt fort. »Sie stellen eine Gefahr dar, der wir begegnen müssen. Hier auf Loors ist sie jetzt wirkungslos ge­worden. Das bedeutet aber nicht, daß man sie ignorieren darf.«

»Wozu die lange Rede?« fragte Heimdall abweisend.

»Wir sollten die Macht von Pthor dazu nutzen, die Spercoiden zu bekämpfen«, ant­wortete Atlan. »Endlich einmal sollte Pthor nicht als Negativ-Faktor in Erscheinung tre­ten, sondern gegen die Tyrannei der Sper­coiden kämpfen.«

Heimdall lächelte. »Ich weiß nicht, wie du dir das vor­

stellst«, erwiderte er, als habe er nicht ver­standen, was Atlan gesagt hatte.

»Wir sind froh darüber, daß die Zeiten des Schreckens auf Pthor vorbei sind.

Jetzt ist es unsere Aufgabe, die errungene Herrschaft auf Pthor zu festigen und endlich

auch technisch unter Kontrolle zu bekom­men.«

»Wir sind erst wirklich die Herren von Pthor, wenn wir die Anlagen beherrschen, mit denen sich Pthor steuern läßt«, fügte Si­gurd hinzu. »Wir werden nichts anderes tun und uns nicht von Pthor ablenken lassen.«

»Wir werden alles tun, um wieder Kon­takt mit den unersetzlichen Magiern zu be­kommen«, sagte Balduur. »Dahinter muß al­les andere zurückstehen.«

Atlan preßte die Lippen zusammen. Seine Blicke glitten von einem der drei Brüder zum anderen.

Er erkannte, daß sie nicht nachgeben wür­den, so sehr er sich auch bemühte. Sie wür­den auf ihrem Standpunkt beharren.

Die Gegensätze waren zur Zeit nicht zu überbrücken.

E N D E

Im Reich des Tyrannen von Kurt Mahr

Während Odins Söhne sich um nichts anderes als um die Konsolidierung ihrer Herrschaft über Pthor kümmern, denkt Atlan weiter. Er weiß, daß Spercos Diener auch nach der Aus­schaltung des kosmischen Leuchtfeuers eine akute Gefahr darstellen.

Die Ereignisse geben dem Arkoniden recht. Um den Gegner näher kennenzulernen und sei­ne Möglichkeiten auszuloten, läßt Atlan sich auf ein lebensgefährliches Unternehmen ein.