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Leseprobe aus: Jan Weiler Das Pubertier Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de. Copyright © 2014 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Leseprobe aus:

Jan Weiler

Das Pubertier

Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

Copyright © 2014 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Jan Weiler

Da s P u b e r t i e r

Illustriertvon Till Hafenbrak

Kindler

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Die Geschichten in diesem Banderschienen zuerst als Kolumnen unterdem Titel «Mein Leben als Mensch»

in der Welt am Sonntag.

1. Auflage März 2014Copyright © 2014 by Rowohlt Verlag GmbH,

Reinbek bei HamburgEinbandgestaltung any.way, Barbara Hanke/

Cordula SchmidtEinband- und Innenillustrationen © Till Hafenbrak

Alle deutschen Rechte vorbehaltenSatz Arno Pro, InDesign

Gesamtherstellung CPI books GmbH, LeckPrinted in Germany

ISBN 978 3 463 40655 8

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Vor Dem sturm

Bevor diese ganze Sache bei uns anfing, hatte icheigentlich ganz romantische Vorstellungen von derPubertät unserer Tochter Carla. Ich dachte daran,dass sie womöglich mal Alkohol trinken und Ziga-retten ausprobieren und dass ich das auch irgend-wie okay finden würde. Ich stellte mir vor, dass ichmit ihr schöne und inspirierende Diskussionenerleben und ihr sozusagen beim Erwachsenwerdenzuschauen könnte. Ich wünschte mir diese Phase inCarlas Leben als gemeinsames Abenteuer, bei demman zusammen auf Konzerte geht. Schließlich wa-ren wir ja auch jung. Irgendwie sind ja alle jung.

Doch dann waren meine reizende Gattin Saraund ich bei Freunden eingeladen. Zum Essen. Ir-gendwann mittendrin flog die Tür auf, und eineverpickelte Silvesterrakete flog grußlos durch denRaum. Ich erkannte darin Emilia, ihre Tochter –ein Geschöpf, das wenige Jahre vorher noch aufmeinem Schoß gesessen und mir alles Wissens-

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werte über Polly Pocket und Hannah Montana na-hegebracht hatte. Und nun das.

Emilia gab mir auf Anordnung ihres Vatersmissgelaunt ihre schlaffe Pfote und meckerte kurzüber die stinkenden Blumenleichen, die wir in derAnnahme, es handele sich um einen hübschenStrauß, mitgebracht hatten. Dann fragte sie, ob siewas vom Dessert haben könne, und verschwandin der Küche. Schließlich tauchte sie wieder auf,um zu fragen, wer ihr blaues Sweatshirt habe. Ichzeigte belustigt auf, wurde mit Nichtbeachtungbestraft, und es folgte ein ungnädiger Schwall vonVorwürfen an ihre Mutter. Am Ende verabschie-dete sich Emilia Richtung Party von irgendeinemPaul und ging linksseitig ab, wenn auch ohne Sze-nenapplaus.

Den Rest des Abends verbrachten wir damit,die Klagen und Selbstvorwürfe unserer Freun-de entgegenzunehmen. Ich lernte: Kinder, diedu als liebenswürdige Geschöpfe voller Anmutund Charme in Erinnerung hattest, verwandelnsich innerhalb kurzer Zeit in stinkende Monster( Jungs) oder hysterische Amazonen (Mädchen).Wenn die Familie viel Glück hat, verlassen die Ju-gendlichen diese danger zone der Eiterpickel und

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befleckten Unterwäsche als lebenstüchtige Er-wachsene. Einige jedoch verbleiben für immer imSchattenreich der Adoleszenz, machen aber den-noch manchmal Karriere.

Zurück zu unseren armen Freunden, die immersehr auf ein partnerschaftliches Verhältnis zu ihrenKindern gebaut hatten: Die Gespräche, eigent-lich sind es Gebrülle, haben bei ihnen herrlicheThemen wie Hygiene, Drogen, Umgangsformen,Ernährung und Faulheit. Ich bestand darauf, dassich auch in Zukunft niemals Sätze sagen würdewie: «Ich kann nicht ertragen, wie du deine Zeitsinnlos verplemperst.» Oder: «Räum endlich die-sen Saustall auf.» Ich fand, dass beide Angelegen-heiten in das Selbstbestimmungsrecht der Kinderfallen und die Eltern nichts angehen. Mein Freundlachte bitter und goss sich einen Absinth ein.

Auf dem Heimweg schwiegen wir. Ich stellte mirden Besuch von Carlas erstem Freund vor und wieich ihm die Haustür öffnen würde. Eine Mischungaus Thor, dem Hammergott, und Catweazle stehtvor mir und fragt, ob Carla zu Hause ist. Ich sage:«Aha, Kamerad, erst geht es mal zum Eignungs-test.» Dieser beinhaltet Fragen nach dem Berufdes Vaters, dessen politischen Präferenzen und der

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Marke seines Autos. Aus seinen Angaben lässt sichschon allerhand ableiten, für den Fall einer zu pla-nenden Hochzeit beispielsweise. Außerdem willich wissen, woher dieser junge Mann (ich werdeihn monatelang in Claras Beisein immer nur «die-sen jungen Mann» nennen) meine Tochter kennt,ob er ein Instrument spielt, «In der Halle desBergkönigs» kitschig findet und was er von mei-ner Tochter will. Wenn er «In der Halle des Berg-königs» für ein Kapitel aus «Der Herr der Ringe»hält und von meiner Tochter «gar nix» will, kanner gleich wieder abzittern. Wenn er auf die letzteFrage antwortet, er wolle «fummeln», halte ichihm einen dreißigminütigen Vortrag darüber, wiedas in den achtziger Jahren war. Und wenn er dannimmer noch nicht abhaut, darf er mit meiner Toch-ter ins Kino. Ich rufe während des Films acht Malan, um zu fragen, ob sie noch dort sind. So stellteich mir das vor.

Aber wie alles im Leben kam es völlig anders.

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im Pubert ier -b iotoP

Nur der im Tierreich fehlenden Schulpflicht ist eszu verdanken, dass der Koalabär als faulstes Lebe-wesen der Welt gilt. Er hängt täglich zwanzig Stun-den rum. Das würde unsere Tochter locker toppen,aber sie muss zwischendurch in die Schule.

Ihr aktuelles Idol heißt William Gaines. Daswar der Herausgeber des Magazins «Mad». VonGaines wird erzählt, er habe sich jahrelang ineinem Rollstuhl herumschieben lassen, und zwarnicht, weil er gebrechlich gewesen sei, sondernaus reiner Faulheit. Das entspricht genau CarlasVorstellung von einem perfekten irdischen Da-sein. Unser Pubertier kann nicht aufräumen, weiles keinen Bock auf den Stress hat. Sie kann nichtans Telefon gehen, weil sie das Klingeln unter Leis-tungsdruck setzt. Sie hätte gerne Salz in der Soße,akzeptiert diese aber auch ungesalzen, wenn siedas Salz selbst holen muss. Sie ist fauler als ein sar-discher Esel im August um die Mittagszeit.

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Heute Morgen steht sie abmarschbereit im Flur.Ich sage, dass es klug sei, eine Jacke anzuziehen.Antwort: «Meine Jacke ist oben, und bis ich diegeholt habe, ist der Schultag vorbei.» Wir woh-nen keineswegs im Parlamentspalast von Bukarest(umbaute Fläche: 365 000 Quadratmeter). Mankann eine Jacke holen und innerhalb einer halbenMinute zurück sein. Dies allerdings nur, wenn mansich beim Gehen bewegt. Und Pubertiere bewegensich nicht, jedenfalls nicht sichtbar.

Carla ist sehr gut im Chillen, Relaxen, Entspan-nen, Ausruhen, Runterkommen, Zeittotschlagenund einfach mal nix machen. Es handelt sich da-bei übrigens nicht um dieselbe Tätigkeit in siebenVarianten, sondern laut Carla um unterschiedlicheVerrichtungen, für die mein Verständnis jedochallmählich schwindet. Carla ist aber der Meinung,dass nicht sie, sondern ich nicht ganz normal sei.Vielleicht hat sie recht. Ich werde mit zunehmen-dem Alter immer tüchtiger. Eigentlich schrecklich,denn ich kann mich durchaus an Gespräche mitmeinen eigenen Eltern erinnern, in denen diesemir «sinnlose Faulheit», «mangelndes Interesse»und «pflanzenartiges Herumlungern» vorwarfen.Ich nahm dies 1980 müde zur Kenntnis und kochte

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mir einen Tee, um runterzukommen. Ich war min-destens so schlimm wie Carla. Aber das würde ichihr gegenüber nie zugeben.

Natürlich weiß ich, dass das alles wieder mit denHormonen und diesem ganzen Entwicklungsterrorzu tun hat. Aber es ist momentan kaum vorstellbar,dass sich aus unserer lethargischen Amphibie einesTages eine engagierte und flinke Person pellen soll,die der Gesellschaft zum Nutzen und der eigenenNatur zum Trotz Dinge anfängt und zu Ende führt.

Neulich teilte sie mit, sie könne kein Ei kochen,da sie nicht wisse, wann man es ins Wasser gebe.Ich sagte ihr, man könne es sowohl ins kalte alsauch ins kochende Wasser legen. Nach einer Vier-telstunde kam sie zurück und fragte, wann dennso ’n Wasser koche. Ich sah nach und stellte dannerst einmal den Herd an. Ich dachte eigentlich, wirwären schon mal weiter gewesen. Ein befreundeterArzt klärte mich dann darüber auf, dass es sich umein Paradebeispiel nicht miteinander verknüpfterSynapsen handele. Alles völlig normal.

Gestern wollte ich gerade ins Bett, als mich einschwaches Stimmchen aufhielt. Es rief mich. Fle-hentlich. Ich ging also ins Zimmer meiner Tochter,die im Bett lag und mich mit einem Blick ansah,

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gegen den sich Bambis Gesichtsausdruck wie dereines Taliban-Anführers ausnahm. Ob ich ihr maleben die Tasse von ihrem Schreibtisch reichenkönne. Sie hatte tatsächlich darauf gewartet, bis je-mand an ihrem Zimmer vorbeiging, nur um nichtselbst aufstehen zu müssen. Ich sagte, dass es wohlbei ihr piepe. Sie erwiderte, sie leide am Asperger-Syndrom und sei nicht dazu in der Lage, einfachsteVerrichtungen zu erledigen. Ich erklärte ihr, dasssie höchstens unter dem Gaines-Syndrom leide,und erzählte ihr die Sache mit dem Rollstuhl des«Mad»-Herausgebers. Sie antwortete: «Das ist jasehr interessant. Aber wenn du schon in meinemZimmer rumstehst, kannst du mir auch die Tassevom Schreibtisch geben.» Ich war so verdutzt, dassich es tat. Darauf sie: «Na also. Geht doch.»

Manchmal fühle ich mich meiner Tochter nichtgewachsen.

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Die tee -Nager iN

Manchmal ärgere ich unsere Tochter. Ich weißschon, das ist nicht nett und führt mittelfristig zuKonflikten. Aber es macht nun einmal Spaß, einPubertier zu reizen. Sie gehen steil in die Luft undexplodieren in den schönsten Farben.

Zum Beispiel fragte ich sie während der Lektü-re des letzten Bandes von Harry Potter bis zu zehnMal am Tag, ob denn der böse «Lord Waldemar»schon tot sei. «Der heißt Voldemort, Voldemort,Voldemort», kreischte sie irgendwann. Gemein?Vielleicht.

Oder ich nerve sie mit einem Scherz über denhübschen amerikanischen Sänger Bruno Mars.Es gab eine Zeit, da hing ihr ganzes Zimmer mitPostern von ihm voll. Das war, nachdem der blö-de Vampir ausgezogen war. Die jungen Männerkommen und gehen, wenn auch nur zweidimen-sional und an der Wand. Egal. Ich fand diesen Bru-no nicht mal so übel, trotzdem musste er ständig

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für Scherze herhalten. Zum Beispiel für den hier:«Warum heißt Bruno Mars nicht Bruno Snickers?Weil er keine Nüsse hat!» Carla fand das schonbeim ersten Mal nicht lustig. Eigentlich macheich solche Scherze nur, weil ich ihre Reaktion un-glaublich cool finde. Sie stellt sich dann vor michund sagt todernst: «Ja. Papa. Der war’s jetzt. Ichschmeiß mich weg.»

Aber sie ärgert mich auch zurück. Als ich michvor einiger Zeit weigerte, mit ihr im Auto nachStuttgart zu fahren, um dort gegen den Bahnhofzu demonstrieren, schleuderte sie mir verächtlichentgegen, ich sei eben so eine richtige «Revolu-tionsbremse». Das ist ein starkes Stück für jeman-den, der mit dreizehn Jahren durchaus schon zuDemos ging, auch wenn er die thematischen Zu-sammenhänge nicht genau verstand.

Neulich musste ich mit ihr Klamotten aussor-tieren. Und zwar nicht ihre, sondern meine. Sieidentifizierte drei Hemden, mit denen ich aussähewie ein Honk, sowie eine untragbare Hose. «Bittehol mich nie in diesem Ding von der Schule ab»,bat sie mich angewidert. Aber wenn wir uns nichtärgern, vertragen wir uns eigentlich ganz gut, Carlaund ich.

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Und kaum, dass sie auf der Welt war, feierte sieauch schon ihren dreizehnten Geburtstag. Eineeinschneidende Angelegenheit, denn damit warsie – täterätäää – ein Teenager. Freudig erregt ent-warf ich morgens ein kleines Bilderrätsel. Ich malteeinen Teebeutel plus eine Maus auf ein Blatt Papierund schrieb darüber: «Hallo.» Das hängte ich anden Spiegel im Badezimmer. Sie erschien mit derZeichnung am Frühstückstisch und fragte, was dasnun wieder solle. Wahrscheinlich vermutete sieeine unbotmäßige Schmähung ihrer Person. Icherklärte ihr, das sei ein Rebus, aber sie kam nichtdarauf. «Jetzt guck doch mal. Das hier ist Tee,und das ist ein Nager. Ein Tee-Nager», sagte ich.«Aha», antwortete sie mäßig begeistert. «Undwarum malst du dann bitte schön eine Fliegenklat-sche und ein Schwein?» Ich war augenblicklich be-leidigt, auch wenn ich eingestehen muss, dass beimir alle Tiere aussehen wie Schweine. Außer ichmale Vögel. Die sehen aus wie Hühner.

Nach dem Frühstück verkündete Carla, sie habezehn Freunde aus der Schule für den Nachmittagzu sich eingeladen. «Zum Kindergeburtstag?»,frohlockte ich. «Nein, zum Chillen», sagte sie.Dann übergab sie mir eine Einkaufsliste und er-

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klärte, dass die meisten bei uns übernachten wür-den, mindestens drei Jungs und mindestens vierMädchen. Sie brächten Schlafsäcke mit, und manwerde es sich in ihrem Zimmer gemütlich machen.In Anbetracht der Größe des Raumes nahm ichan, dass es dort sehr, sehr gemütlich werden wür-de. Alles eine Frage der Einstellung. Ich fragte, obLord Waldemar auch eingeladen sei, und bekamein Brötchen an den Kopf.

Dann ging ich zum Einkaufen. Ich besorg-te alles, was auf ihrem Zettel stand, nur nicht dieAlcopops, aber ich nehme an, damit wollte Carlalediglich den Verblödungsgrad ihrer Revolutions-bremse testen. Als ich zurückkam, stand sie dannin der Küche und rührte in einem großen Topf.Chili con Carne. «Anstatt Kuchen?», fragte icharglos, und sie erklärte mir, dass es sich dabei umdie Mitternachtssuppe handele. Sie hielt uns danneinen längeren Vortrag darüber, dass unsere Anwe-senheit in ihrem Zimmer unerwünscht sei, egal,was für Geräusche aus ihm drängen. Und dass wiruns ein einziges Mal benehmen sollten wie richtigcoole Eltern. Wir nickten eingeschüchtert, dannklingelte es auch schon an der Tür. Die erstenGäste kamen.

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Sie hatten Schlafsäcke dabei und waren auf dieNacht ungefähr so gut vorbereitet wie ReinholdMessner auf die Besteigung des Nanga Parbat,auch wenn ihr Proviant wenig höhentauglich er-schien. Chipstüten platzen im Hochgebirge. Die-ser wichtige Hinweis wurde von den jungen Men-schen achselzuckend hingenommen, bevor sie mitihrem Krempel die Treppe zu unserer Tochter em-porstiegen.

Dort spielte sich wenig Aufregendes ab, soweitman das durch eine geschlossene Zimmertür beur-teilen konnte. Carla hatte die komplette TV-Serie«Glee» besorgt, die man sich auf ihrem Laptopansah. Für einen Moment dachte ich: Wie lang-weilig. Wie spießig. So überhaupt null kriminelleoder wenigstens hormonelle Energie. Dann wurdemir augenblicklich klar, dass es sich ja um den drei-zehnten und nicht um den sechzehnten Geburts-tag handelte, und ich hielt mich mit meiner Kritikam Festprogramm zurück.

Später waren gedämpftes Gemurmel und Geki-cher und Möbelgerücke zu hören. Zwischendurchklingelte es immer mal wieder, Neuankömmlingewurden wie Kriegsheimkehrer gefeiert, von Zeit zuZeit trippelte wer ins Bad. Gegen Abend lockte ich

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die Meute (per Telefon!) in die Küche, wo ich Piz-za servierte, was als ausgesprochen cool bewertetwurde und mir den anerkennenden Blick meinerTochter eintrug. Die Damen und Herren bliebenimmerhin fast eine Stunde am Tisch, um dann insBasislager zurückzukehren und dort pointenlosrumzuhocken.

Sara und ich saßen genau darunter im Wohn-zimmer und schauten an die Decke.

«Sie könnten ja ein bisschen tanzen», sagteSara.

«Ja. Oder heimlich rauchen», sagte ich.«Oder zanken», sagte Sara.Und dann geschah es. Ein Eklat. Endlich! Le-

ben! Wir hörten Türenschlagen und Getrampel,dann wieder Türenschlagen und ein Schloss. Je-mand hatte sich im Klo eingesperrt. Ich ging malgucken. Vor dem Bad standen vier Gäste und unserPubertier. Auf meine Frage, wer dadrin sei, erklärteCarla, das sei Jenny und der gehe es nicht so gut.Jenny ist ein sehr korpulentes Mädchen. HübschesGesicht, aber doch ziemlich kräftig.

Jenny hielt es eine Dreiviertelstunde im Kloaus, was sicher auch an den großartigen uraltenComicheften liegt, die ich dort deponiert habe.

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Als sie endlich den Schlüssel umdrehte und mittränenverschmiertem Gesicht auftauchte, warensämtliche Pubertiere zur Stelle, um sie abzufan-gen und zu umsorgen. Nur Moritz nicht, der saßauf der Treppe und guckte wie Philipp Rösler nachder Bundestagswahl.

Später habe ich durch investigative Recherche(Facebook) rausgefunden, was sich abgespielt hat-te. Es war nämlich so, dass Carla gesagt hat: «Jen-ny und ich sind wirklich so richtig dicke Freun-dinnen.» Und darauf hat Moritz fröhlich gerufen:«Na ja, mehr oder weniger.» Und da ist Jenny ausdem Zimmer gestürzt. Die anderen haben sich denMoritz vorgeknöpft, weil das von ihm echt endfieswar, die Jenny so krass vor den anderen zu dissen.

Hat sich dann aber auch alles wieder eingerenkt.Über Nacht haben wir nicht viel gehört, außer alsSimon sich übergeben hat. Zu viel von allem, mankennt das ja. Aber sie haben gemeinsam sauber-gemacht. Am nächsten Morgen bereitete ich dasFrühstück für Carla und ihre Gang vor, und dieseerschien schluckweise. Man gab sich schweigsam.Auf meine Frage, wie lange man getagt habe, hießes, dass es die Letzten bis sieben Uhr morgens aus-gehalten hätten. Man selbst erinnert sich an solche

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Exzesse, kann sie aber nicht mehr verstehen. Ichpersönlich schlafe ja höchst gerne.

Ich fragte in die Runde, wer denn jetzt alleseinen schönen Kakao haben wolle, und Moritzfragte zurück, ob auch ein Latte macchiato gehe.Dem schlossen sich alle an. Und mein winzig klei-ner Coolheitskredit war quasi nolens volens wie-der weg.

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