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Das Teufelsherz

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Geisterfänger Band 23

Das Teufelsherz von A. F. Morland

Die Krallen der Angst sind entsetzlich.

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Noel Wynn schlich zaghaft durch die Dunkelheit. Seine Nerven vibrier­ten. Er versuchte die Aufregung, die wie ein würgender Kloß in seinem Hals steckte, hinunterzuschlucken.

Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Er blieb stehen und lauschte. Eine trügerische Stille herrschte im Heeresgeschichtlichen Muse­

um. Sie war nicht echt, denn Noel war nicht allein in diesem Gebäude. Irgendwo in dieser schwarzen Finsternis lauerte der Tod auf ihn. Er wusste das mit hundertprozentiger Sicherheit, war jedoch

trotzdem nicht in der Lage umzukehren, denn Kevin O'Hara, dieser Teufel, der ihm nach dem Leben trachtete, hatte die Sache raffiniert eingefädelt.

O'Hara! Bis vor fünf Jahren war dieser Mann ein gefürchteter Gewaltver­

brecher gewesen. Ganz New York hatte vor ihm gezittert. Aber eines Tages hatte diesem dreisten Gangster die Stunde ge­

schlagen. Er war nach einem blutigen Coup von der Bildfläche ver­schwunden, um Gras über die Sache wachsen zu lassen.

Doch ein Mann namens Abe Christie hatte durch Zufall sein Ver­steck entdeckt und dem Privatdetektiv Randy Gill einen wertvollen Tipp zukommen lassen.

Zu dritt rückten sie Kevin O'Hara dann auf die Pelle: Randy Gill, sein Freund und Mitarbeiter Noel Wynn und Lieutenant Dan Simon.

Sie trieben den Gangster in die Enge und stellten ihn. Kevin O'Ha­ra zögerte nicht, zur Waffe zu greifen und zwang damit Randy Gill, schneller abzudrücken als er.

Fünf Jahre waren seit diesem Tag vergangen. Damals hatte New York erleichtert aufgeatmet und allmählich war Kevin O'Hara in Ver­gessenheit geraten.

Niemand hätte es für möglich gehalten, dass O'Hara die Stadt er­neut heimsuchen würde, dass er grausamer als je zuvor seine blutigen Ziele verfolgen würde. Und doch war es dazu gekommen.

Eine furchtbare unheimliche Macht hatte den toten Verbrecher aus dem Grab geholt und ihm die Rückkehr aus dem Totenreich er­möglicht.

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Der lebende Leichnam war sofort darangegangen, sich zu rächen. Er hatte sich als ersten Abe Christie vorgenommen und hätte Noel

Wynn um ein Haar auf dem Flushing Cemetery erwürgt. Nur dem mutigen Eingreifen Randy Gills war es zu verdanken ge­

wesen, dass Noel mit dem Leben davonkam. Doch der Rächer aus dem Jenseits, den keine Kugel töten konnte

und der übermenschliche Kräfte besaß, zog weiter seine grausamen Fäden.

Er kidnappte Mae Copperfield - Noel Wynns Freundin - tötete an­schließend Lieutenant Simon und bot Noel danach einen Tausch an: sein Leben gegen das von Mae Copperfield.

Noel hatte akzeptiert. Nun war er hier, denn in diesem Gebäude sollte der ungewöhnli­

che Tausch über die Bühne gehen. Randy Gill war irgendwo draußen. Über Funk war er mit dem

Freund, um dessen Leben er bangte, verbunden. Es hatte ihn viel Überredungskunst gekostet, um Noel dazu zu

bringen, ein Walkie-Talkie bei sich zu tragen, denn Kevin O'Hara hatte sich ausbedungen, dass Noel allein hierher kam.

Sollte Noel Wynn sich nicht an diese Vereinbarung halten, würde Mae Copperfield das mit ihrem Leben zu bezahlen haben.

Auf Randy Gills Drängen hin hatte Noel den lebenden Leichnam auszutricksen versucht. Er hatte O'Hara aus dem Museum locken wol­len, dabei hätte der Rächer aus dem Totenreich Mae mitbringen sollen, aber darauf war Kevin O'Hara nicht eingegangen.

Folglich war Noel nichts anderes übrig geblieben, als das Heeres­geschichtliche Museum zu betreten.

Er war sich der Tatsache bewusst, dass er sich auf dem Weg zur Schlachtbank befand. Aber er sah keine Möglichkeit, das grausame Schicksal, das ihn erwartete, von sich abzuwenden.

Ein einziger Trost blieb ihm: Er opferte sein Leben für Mae. Er erreichte eine offene Tür und sah eine Treppe, die nach unten

führte. Nervös ließ er seine Zunge über die Lippen huschen. Er spürte ein kaltes Prickeln zwischen seinen Schulterblättern.

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Dort unten war Mae - mit Kevin O'Hara, dessen Wiederauftauchen allen ein großes Rätsel war.

Wer hatte die Macht der Hölle aktiviert, die den grausamen Ver­brecher aus seinem Grab geholt hatte?

Konnte es Orfeo Muerto getan haben? Dieser menschenscheue Ei­genbrötler, der vor kurzem erst O'Haras Haus gekauft hatte, das so lange leer stand.

Noel fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. Schwer lag sein Colt Agent in seiner Faust. Obwohl er miterlebt hatte, dass keine von Randy Gills Kugeln den Höllenbastard niederstrecken konnte, ver­mittelte ihm dennoch die Waffe in der Hand ein ganz klein wenig das Gefühl von Sicherheit.

Er kam sich nicht ganz wehrlos vor. Hart traten seine zuckenden Wangenmuskeln hervor. Er setzte seinen Fuß auf die erste Stufe. Die Berührung elektri­

sierte ihn. Er hielt inne. Seine Hand tastete nach dem Handlauf. Es kostete ihn große Überwindung weiterzugehen, den nächsten Schritt zu tun.

Einen Augenblick lang hatte er den Wunsch, Mae zu rufen, doch er verwarf ihn gleich wieder. Sie hätte ihm nicht antworten können. Er wusste von O'Hara, dass ihr Mund zugeklebt war.

Gott, welche Pein musste sie ausstehen! Damit sollte es ein Ende haben noch in diesen Minuten. Noel ging rascher. Er erreichte das Ende der Treppe. Vor ihm lag ein Gang mit hellen

Wänden. Von seinem Ende her kam ein flackernder Lichtschein. Dort brannte eine Kerze. O'Hara musste sie angezündet haben.

Noel schluckte trocken. Würde sich dort sein Schicksal erfüllen? Trotz dieser schrecklichen Aussichten zögerte er nicht, weiterzu­

gehen. Nach wie vor stand er zu seiner Einwilligung. Immer noch galt sein Einverständnis. Der Tausch sollte stattfinden: sein Leben gegen das von Mae Copperfield.

Er hoffte, sie wenigstens noch einmal in seine Arme nehmen zu dürfen, ehe sie fort ging - und er blieb.

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Immer schneller ging er den Gang entlang. Er lief fast schon. Mae! Mae, Mae!, hallte es in seinem Kopf. Er erinnerte sich, ihr

gestanden zu haben, dass er sie mehr als sein Leben liebe. Nun würde er es beweisen. Endlich gelangte er an das Ende des Ganges. Er blickte in einen großen Raum. Auf einem Glasschrank, in dem

wertvolle Waffen ausgestellt waren, stand eine weiße Kerze. Ihr Schein reichte aus, um den gesamten Raum in ein angeneh­

mes Licht zu tauchen. Eine Wohltat für die Augen nach all der Fin­sternis von vorhin.

An den Wänden hingen Schwerter und Lanzen aus einer längst vergangenen Epoche. Es gab einen Richtstuhl, auf dessen Sitzfläche ein Aufkleber angebracht war, der dem Betrachter mitteilte, wie viele Menschen darauf ihren Kopf durch Enthaupten verloren hatten.

Daneben hingen und standen Folterinstrumente an der Wand. Auch eine eiserne Jungfrau fehlte nicht. Doch für all das interessierte sich Noel Wynn nicht. Er wollte vor allem Mae Copperfield sehen, wollte sich davon ü­

berzeugen, dass sie noch wohlauf war. Doch weder sie noch Kevin O'Hara schienen sich in diesem Raum

zu befinden. Verdammt noch mal, was sollte dieses Katz-und-Maus-Spiel?

Aus welchem Grand lockte O'Hara ihn hier herunter, wenn er ihn dann nicht in diesem Raum erwartete?

Oder war der Rächer aus dem Jenseits doch da? Verbarg er sich in einer der Mauernischen? Oder hinter einem der Schränke?

Wollte O'Hara ihn langsam, aber sicher konfus machen? Noel Wynns Augen verengten sich. Seine Nasenflügel vibrierten. Langsam begann er seinen Rund­

gang. Die Waffe hielt er schussbereit in seiner Hand. Sobald O'Hara sich blicken ließ, wollte er abdrücken.

Auf den Kopf des lebenden Leichnams wollte er schießen. Viel­leicht war der Tote zu erledigen, wenn man sein Gehirn zerstörte, das von einer schwarzmagischen Kraft aktiviert worden war.

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Noel versuchte so lautlos wie möglich zu sein. Möglicherweise gelang es ihm, O'Hara zu überraschen. Mehr und mehr spannte sich seine Kopfhaut. Sie schmerzte schon.

Noel Wynn konnte die enorme nervliche Anspannung fast nicht mehr verkraften. Zum Teufel, er wünschte sich, dass es endlich zu einer Entscheidung kam.

So oder so - er würde jeden Ausgang akzeptieren. Er sah nicht die bleiche Hand, die sich hinter der Tür, durch die er

den Raum betreten hatte, hervor schob. Die Finger legten sich auf die Kante und dann drückte Kevin O'Ha­

ra die Tür lautlos zu. Das Opfer war in der Falle!

*

Randy Gill trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Er saß in sei­nem schwarzen Chevrolet Chevelle Malibu und machte sich große Sor­gen um seinen Freund und Mitarbeiter.

Er hatte versucht, Noel davon abzuhalten, das Museum allein zu betreten. Er hatte ihm vorgeschlagen, ihn zu begleiten. Doch davon hatte Noel nichts wissen wollen.

Von nun an sollte alles so geschehen, wie er es wollte. Wenn das bloß gut ging! Dieser gottverdammte Fall hatte Randy bereits einen Freund geko­

stet: Lieutenant Dan Simon. O'Hara hatte ihn im fünften Stock zum Fenster hinausgeworfen und die drei bärenstarken Polizeibeamten, die bei Dan gewesen waren, hatten es nicht verhindern können.

Randy wollte nicht auch Noel verlieren. Sie waren ein bestens aufeinander eingespieltes Team. Ohne Noel

war Randy nur halb so viel wert. Doch nicht nur deshalb sollte Noel Wynn ihm erhalten bleiben.

Er hatte auf Noel eingeredet wie auf ein krankes Pferd, doch der Freund war nicht mehr umzustimmen gewesen.

Er hatte alles, was Randy gesagt hatte, einfach ignoriert, hatte die eindringlichen Warnungen überhört und nicht mehr geantwortet.

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Schwer seufzend hatte es Randy schließlich aufgegeben, Noel um­stimmen zu wollen. Seither hatte er das Gefühl, auf glühenden Kohlen zu sitzen.

Vor ihm lag das Walkie-Talkie. Es war auf Empfang geschaltet, doch Noel Wynn meldete sich

nicht. »Sturer Bock!«, knurrte der Privatdetektiv. Er war ratlos, wusste nicht, was er tun sollte. Es war verdammt

schwierig, das Richtige zu tun. Ein kleiner Fehler konnte Mae Copperfield das Leben kosten. Noel

hätte ihm das niemals verziehen, aber auch er selbst hätte sich dann ein Leben lang Vorwürfe gemacht.

Aber, Herrgott noch mal, konnte es richtig sein, einfach stillzusit­zen und den Dingen ihren Lauf zu lassen?

War nicht gerade das falsch? Randy Gill starrte das Funkgerät an. Noel ließ nichts von sich hö­

ren und Randy wagte nicht, Funkkontakt mit dem Freund auf­zunehmen - wegen Kevin O'Hara. Eine verflucht verzwickte Situation war das.

Tat Randy Gill nichts, konnte das seinem Freund das Leben ko­sten. Tat er etwas, musste möglicherweise Mae Copperfield dies mit dem Leben bezahlen und vielleicht mit ihr gleich auch noch Noel.

Wofür sich Randy auch immer entschied, es konnte ein folgen­schwerer Fehler sein.

*

Noel Wynn dachte zur gleichen Zeit an Randy Gill. Randy war einer von den Menschen, die nichts so schlecht können wie warten. Deshalb war zu befürchten, dass er in diesen Minuten aktiv wurde.

Hatte es einen Zweck, zu hoffen, dass er sich still verhielt? Mit seinem Eifer, seiner Unrast, seinem Tatendrang konnte Randy

viel kaputtmachen. Vor allem Maes Leben. Mae! Liebe Güte, wo war sie denn nur?

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Befand sie sich in diesem Raum? Die Kerze flackerte nicht mehr. Eigentlich hätte Noel das auffallen

müssen. Es gab keinen Durchzug mehr, weil O'Hara die Tür ge­schlossen hatte. Gerade nach oben brannte die Flamme nun, aber Noel war viel zu erregt, um darauf zu achten.

Je mehr Zeit verging, desto mehr sorgte er sich um Mae. Mit dem Colt in der Hand setzte er ahnungslos seinen Rundgang

fort. Er näherte sich der eisernen Jungrau, einem grausamen Hin­richtungsschrein, dessen Innenseiten mit dolchartigen Eisenspitzen gespickt waren.

Man hatte den Delinquenten hineingestellt und den Deckel ge­schlossen. Den Rest besorgten dann die langen Dornen.

Außen war die eiserne Jungfrau kunstvoll verziert. Doch all der künstlerische Schmuck vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen, wie entsetzlich die Anwendung dieses Schreins gewesen war.

Das Mordinstrument war geschlossen. Noel Wynn blieb seltsam berührt davor stehen. War es möglich, dass sich Kevin O'Hara darin versteckte?

Dem lebenden Leichnam konnten die tödlichen Spitzen nichts an­haben.

Der drahtige Detektiv grub seine vorstehenden Schneidezähne in die Unterlippe. Nervös glitt sein Blick an der eisernen Jungfrau hinun­ter, erreichte den Boden und wurde starr.

Unter dem Todesschrein glänzte etwas. Etwas Rotes. Blut! Noel war nahe daran durchzudrehen. Blut! Frisches Blut! Eine klei­

ne Lache, die sich mit jedem Tropfen, der seinen Weg aus der ei­sernen Jungfrau fand, vergrößerte.

Grauenvolle Gedanken wirbelten durch Noels Kopf. Er hatte Angst, sie fertig zu denken, denn sie waren zu schrecklich.

Aber eine teuflische Macht zwang ihn, aus dieser Entdeckung sei­ne Schlüsse zu ziehen.

Blut!

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Es konnte sich hierbei nicht um O'Haras Blut handeln, denn der Tote blutete nicht. Kugeln hatten ihn schon durchsiebt, aber er hatte keinen Tropfen Blut verloren.

Auf dem Boden glänzte das Blut eines Menschen. O'Hara war seit seiner Rückkehr aus dem Totenreich kein Mensch mehr. Die Hölle hat­te ein Monster aus ihm gemacht, das entgegen allen Gesetzen der Vernunft lebte.

Das Blut eines Menschen!, echote es in Noel Wynns Kopf. »O Gott, nein!«, stöhnte er verzweifelt. Er fasste sich an die Schläfen, wollte das Entsetzliche nicht wahr­

haben, doch die Tatsache ließ sich nicht mehr ignorieren. Mit einer schmerzlichen widerwärtigen Impertinenz drängte sie sich auf.

Noel zitterte am ganzen Leib wie Espenlaub. Fassungslos starrte er die eiserne Jungfrau an. Er hatte nicht den

Mut, den Mordschrein zu öffnen. Er hatte panische Furcht vor dem, was sich ihm dann präsentieren würde.

Gleichzeitig aber wusste er, dass die Situation wie sie jetzt war, unhaltbar war. Alles war in Schwebe. Es musste endlich eine Entschei­dung fallen.

Es zuckte in Noels Gesicht. »Herr im Himmel!«, presste er mühsam hervor. »Mach, dass es

ein Irrtum ist! Ich flehe dich an, lass es ein Irrtum sein. Eine Halluzina­tion...«

Bleischwer war sein Arm. Er hatte Mühe, ihn zu heben. Die quä­lende Ungewissheit war fast nicht mehr zu ertragen.

Noels Herz raste. Als seine Finger den klobigen Griff aus Eisen berührten, zuckte er

heftig zusammen. Er musste seine ganze Energie aufbieten, um die eiserne Jungfrau zu öffnen.

Zoll um Zoll zog er den Kasten auf. Die Spannung machte ihn schwindelig. Er hielt sie kaum noch aus.

Jetzt stieg ihm der süßliche Geruch des Blutes in die Nase. Der Geruch des Todes. Nach langer Zeit hatte wieder ein Mensch in diesem Todesschrank sein Leben verloren, war umgekommen auf eine fürch­terliche Art.

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Noel schloss die Augen. Im Unterbewusstsein hoffte er, damit alles, was hier an Schreckli­

chem passierte, ungeschehen zu machen. Aber die Realität war grausam. Sie ließ sich nicht einfach mit dem

Schließen der Augen zum Verschwinden bringen. Sie beharrte darauf, akzeptiert zu werden.

Nun war die eiserne Jungfrau offen und Noel Wynn hatte nicht die Kraft, die Augen noch länger geschlossen zu halten.

Er war gezwungen, sie zu öffnen. Doch bevor sie noch offen wa­ren, wusste er schon, was für ein schrecklicher Anblick ihn erwartete.

Es war noch schlimmer, als er befürchtet hatte. Der Schock war für ihn so schmerzlich, dass er beinahe zu Boden

gegangen wäre. »Mae!«, brüllte er in größter Verzweiflung. Doch seine Freundin hörte ihn nicht mehr. Mae Copperfield war tot!

*

Randy Gill war am Ende seiner Geduld angelangt. Es war ihm un­möglich, auch nur eine Minute länger in seinem Wagen sitzen zu ­bleiben.

Noel sollte die Sache nicht allein durchstehen. Randy wollte ihm helfen. Irgendwie musste es ihnen mit vereinten Kräften gelingen, O'Hara ein Bein zu stellen.

Randy verließ den schwarzen Chevrolet Chevelle Malibu. Sein Wal­kie-Talkie nahm er mit, damit Noel die Möglichkeit hatte, sich jederzeit wieder mit ihm in Verbindung zu setzen.

Da war plötzlich ein leises Knacken im Funkgerät. Nahm Noel mit ihm wieder Kontakt auf?

»Noel?«, rief Randy. Sein Freund und Mitarbeiter meldete sich nicht. Aber Noel Wynns

Gerät war auf Sendung. Und Randy Gill hörte etwas, das ihm die blon­den Haare zu Berge stehen ließ. Noel Wynn weinte! Haltlos!

Randy hatte das Gefühl, man hätte ihn mit Eiswasser übergossen.

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»Noel!« Der Freund antwortete nicht. »Noel, was ist passiert?« Noel Wynns Schluchzen ging Randy wie ein scharfes Messer unter

die Haut. In einer solchen Verfassung hatte er den Freund noch nicht erlebt. Noel musste einen Nervenzusammenbruch erlitten haben.

Wodurch war dieser furchtbare Schock ausgelöst worden? Da gab es nur eines. »Gott im Himmel!«, entfuhr es Randy Gill. Noel brauchte ihm

nichts mehr zu berichten. Er wusste auch so, was geschehen war. Noel hatte seine Freundin gefunden. Und Mae Copperfield lebte

nicht mehr. »Randy!«, drang es jetzt gebrochen aus dem Lautsprecher. »Ja, Noel?« »Mae...« »Ich kann es mir denken«, sagte Randy erschüttert. »Er - er hat Mae umgebracht...« »Es tut mir unendlich leid, Noel.« »In einer eisernen Jungfrau.« »Dieser grausame Teufel!«, presste Randy Gill entrüstet hervor. »Er hat ihr einen Zettel ans Kleid geheftet.« »Was steht darauf?« »Dass ich mich an die Abmachung hätte halten sollen. Verdammt,

Randy, warum habe ich mich bloß von dir überreden lassen? Warum hast du das getan? Warum hast du mich nicht allein hierher gehen lassen?«

Die bittere Anklage des Freundes traf Randy Gill schmerzlich. »Du weißt, warum, Noel. Ich wollte helfen...« »O'Hara hat das falsche Spiel sofort durchschaut!«, rief Noel vor­

wurfsvoll. »Er hat gesagt, er würde Mae töten, wenn ich nicht allein kommen würde. Und er hat die Drohung wahr gemacht - unverzüglich und grausam - als er merkte, dass wir ihn hintergehen wollten...«

Randy Gill schluckte trocken. »Du hast Mae auf dem Gewissen, Randy!«, schrie Noel. »Du bist

schuld daran, dass sie nicht mehr lebt!«

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»Ich hab's gut gemeint, Noel.« »Du hast sie umgebracht. Wirst du damit leben können?« »Verdammt, ich wollte Mae retten, Noel!« »Aber sie ist tot - und ich hasse dich, weil sie deinetwegen ihr Le­

ben verloren hat.« »Schluss damit, Noel!« »Sie könnte noch leben, wenn du nicht darauf bestanden hät­

test...« »Wir wollen nicht übersehen, dass du letzten Endes mit meinem

Vorschlag einverstanden warst, Noel!« »Ich sagte dazu ja und amen, weil du mir keine Ruhe gelassen

hast. O Randy, ich könnte dich umbringen!« »Du weißt nicht, was du sagst!«, schrie Randy Gill heiser. Dann riss die Funkverbindung ab.

*

Noel Wynn hatte sich das Walkie-Talkie vom Hals gerissen und zu Bo­den geschleudert. Tränen glänzten auf seinen Wangen. Er trampelte auf dem Funkgerät herum. Ihm war, als würde er damit seine Freund­schaft mit Randy Gill wuchtig zertreten.

Wut und Hass prägten diese Tritte. Er machte Randy Gill voll für Mae Copperfields Tod verantwortlich. Aus der bisherigen Freundschaft war eine gefährliche Feindschaft

geworden. Stellvertretend für Randy Gill musste das Walkie-Talkie herhalten.

Noel zertrümmerte es restlos. Plötzlich vernahm er ein satanisches Lachen. Er hielt mitten in der

Bewegung inne. Eine raue Gänsehaut umspannte jäh seinen Körper. Wie von der Natter gebissen fuhr er herum - und sah Kevin O'Ha­

ra. Totenblass war er. Die blutleeren Lippen entblößten die gebleckten Zähne. Aus blutunterlaufenen Augen starrte der lebende Leichnam sein Opfer an. Deutlich war das Loch in seiner Stirn zu sehen. Jenes Loch, das ihm Randy Gills Kugel vor fünf Jahren gestanzt hatte.

Noel Wynn kniff hasserfüllt die Augen zusammen.

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»Da bist du ja, du Höllenhund!« »Randy Gill hat deine Freundin umgebracht«, sagte der Tote höh­

nisch. »Was ist das denn für ein Freund?« »Du warst es, du Satan! In erster Linie warst es du!« »Okay. Wir waren es gemeinsam - dein Freund Randy und ich. Er

hat mich gewissermaßen gezwungen, es zu tun. Ich habe dich ge­warnt. Um meine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, musste ich die Drohung auch wahr machen. Das siehst du doch ein, oder?«

»Verdammt, wer hat dir die Rückkehr ermöglicht, O'Hara?« »Ist das so wichtig? Hauptsache, ich bin wieder da.« Der lebende

Leichnam lachte böse. »Ich weiß, wie es in dir jetzt aussieht, Noel Wynn. Du würdest Randy Gill und mich wegen Mae Copperfields Tod gern zur Verantwortung ziehen, würdest uns am liebsten den Garaus machen, aber daraus wird nichts. Erstens deshalb nicht, weil du nicht in der Lage bist, mir etwas anzuhaben...«

»Und zweitens?« »Weil ich nicht zulassen werde, dass du dich an Gill vergreifst.« »Warum nicht?« »Weil er mir gehört. Ich bin zurückgekehrt, um Rache zu nehmen

an Abe Christie, an Lieutenant Dan Simon, an dir und an Randy Gill!« Noel Wynn richtete seinen Colt Agent auf den Toten. »Ich werde

es dir nicht so leicht machen. Komm her! Ich schieße dich in Stücke!« O'Hara lachte. »Du Dummkopf. Habt ihr das nicht schon mal ver­

sucht? Es wird wieder nicht klappen, denn ich bin unverwundbar.« Noel presste die Kiefer fest zusammen. Er ließ den Killer aus dem

Totenreich nicht aus den Augen. O'Hara setzte sich in Bewegung. Langsam kam er näher. Noel

Wynn vibrierte von Kopf bis Fuß. O'Hara hatte Mae umgebracht. Dafür wollte Noel ihn nun bestrafen. Mit beiden Händen hielt er den Colt.

Er zielte so gewissenhaft, wie es seine enorme Aufregung zuließ. Er visierte den Kopf des lebenden Leichnams an, weil er im Kino einen Film gesehen hatte, in dem Zombies dadurch zu vernichten gewesen waren, indem man ihr Gehirn zerstörte.

Aber dies war kein Film. Es war quälende Realität!

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O'Hara kam näher. Noel drückte noch nicht ab. Er wollte ganz si­chergehen, dass die Kugel traf. Mit bis zum Zerreißen angespannten Nerven wartete er.

Vier Schritte war der lebende Leichnam nur noch von ihm ent­fernt. O'Hara grinste unbekümmert.

»Gib auf, Wynn!«, verlangte er. »Füg dich in dein Schicksal. Du hast nicht die geringste Chance gegen mich.«

Drei Schritte! »Irgendeinen schwachen Punkt muss selbst ein Höllenbastard wie

du haben!«, schrie Noel. »Gewiss hab' ich den. Aber du wirst ihn nicht finden.« Zwei Schritte... Jetzt drückte Noel ab. Laut krachend entlud sich die Waffe. Sie

bäumte sich in seinen Händen auf. Die Feuerlanze fauchte dem le­benden Leichnam entgegen. Das Projektil saß genau da, wo Noel Wynn es haben wollte.

Die Wucht des Schusses stieß O'Hara zurück. Für einen Moment glaubte Noel, der Tote würde umfallen. Er woll­

te schon triumphieren. Aber dann packte ihn das Grauen mit eiskalten Fingern. Kevin O'-

Hara blieb auf den Beinen. Knurrend starrte er sein Opfer an. Sein bleiches Leichengesicht verzerrte sich und abgrundtiefer Hass sprühte aus seinen toten Augen.

Das Loch, das Noels Kugel ihm in die Stirn gebohrt hatte, schloss sich wieder. Verblüfft registrierte Noel Wynn das.

»Willst du noch einen Versuch machen?«, fragte O'Hara spöttisch. Noel wollte noch einmal schießen, aber sein Finger war wie ge­

lähmt. Er gehorchte ihm nicht, war nicht bereit, sich zu krümmen. O'Hara griff an. Er stürzte sich auf sein Opfer. Sein erster Hieb entwaffnete Noel.

Der Detektiv steckte gleich danach einen schweren Treffer ein und brach zusammen.

Aber alles in ihm lehnte sich gegen ein gewaltsames Ende auf. Er wollte nicht sterben. Er war zwar bereit gewesen, sein Leben für Mae

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zu geben, doch jetzt lebte Mae Copperfield nicht mehr und es nützte keinem, wenn er starb.

Folglich wollte er alles daransetzen, um seine Haut zu retten. Auf allen vieren entfernte er sich von O'Hara.

Der grausame Killer folgte ihm mit stampfenden Schritten. Noel blickte sich gehetzt um. Er sah die Speere, die an der Wand hingen.

Blitzschnell sprang er auf. Ehe O'Hara ihn daran hindern konnte, bewaffnete er sich. Der Tote schüttelte den Kopf.

»Auch das rettet dich nicht, Wynn!« Noel wartete auf den Angriff des bleichen Monsters. O'Hara wuch­

tete sich vorwärts. Noel Wynn steppte zur Seite und rammte dem Gegner den Speerschaft vor die Beine.

Kevin O'Hara stolperte und fiel. Mit einem Triumphschrei war Noel über dem lebenden Leichnam.

Seine beiden Hände umklammerten den hochgerissenen Speer. Kraftvoll stieß er damit zu. Die schlanke Spitze traf auch. Aber O'-

Haras Worte bestätigten sich erneut. Er war unverwundbar! Noel erhielt einen Tritt, der ihn gegen die Wand schleuderte. O'-

Hara sprang auf. Mit einem wilden Ruck riss er sich den Speer aus dem Leib. Waagerecht hob er die Waffe hoch und zerbrach sie wie ein großes Streichholz. Die beiden ungleich langen Teile warf er achtlos hinter sich.

Noel versuchte die Tür zu erreichen, die O'Hara verriegelt hatte. Er stemmte sich von der Mauer ab und rannte an der eisernen

Jungfrau vorbei. Doch O'Hara holte ihn mit wenigen Sätzen ein. Der Tote packte sein Opfer und riss es herum. Seine Faust traf

Noel an der Schläfe. Noel Wynn war nahe daran, die Besinnung zu ver­lieren.

Er konnte nicht mehr denken, nicht mehr handeln, war zur Passi­vität verurteilt und musste zusehen, was geschah, ohne es verhindern zu können.

In seinem Kopf war ein dumpfes schmerzhaftes Brummen. Er sah Kevin O'Hara wie durch einen dichten Schleier. Alles erschien ihm ir­gendwie unwirklich. Wie ein furchtbarer Traum.

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Der Rächer aus dem Jenseits hatte leichtes Spiel mit ihm. Er stieß ihn auf den Richtstuhl, auf dem vor vielen Jahren eine Menge Men­schen ihren Kopf verloren hatten.

Noel unternahm nicht einmal den Versuch, von der Sitzfläche hochzuschnellen. Er war dazu nicht fähig.

Fast gleichmütig registrierte sein angeschlagenes Bewusstsein, was O'Hara tat. Der Tote schnallte ihn mit breiten Gurten fest.

Nun hätte sich Noel Wynn selbst dann nicht mehr regen können, wenn er nicht angeschlagen gewesen wäre.

Kalter Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er wusste, dass er ver­loren war. Hier in diesem schrecklichen Raum sollte sich nach Mae Copperfields Schicksal auch seines erfüllen.

Daran konnte niemand mehr etwas ändern. Kevin O'Hara starrte sein Opfer triumphierend an. »Wenn ich dich erledigt habe, fehlt mir nur noch einer: Randy

Gill!« Noel war davon überzeugt, dass es auch Randy nicht gelingen

würde, mit dem Leben davonzukommen. O'Hara war unbezwingbar. Der lebende Leichnam wandte sich um und holte das Richt­

schwert. Als er damit zurückkehrte, gab Noel Wynn sich endgültig auf.

*

Wenn schon Mae Copperfield nicht mehr zu retten war, wollte Randy Gill wenigstens Noel zu Hilfe eilen.

Er konnte verstehen, dass Noel ihn hasste. Ihre Freundschaft hat­te einen schweren Knacks abbekommen, aber Randy war zuversicht­lich, dass dieser Bruch sich wieder kitten ließ.

Nicht sofort. Erst musste Noel über den schmerzlichen Verlust hinwegkommen. Aber dann würden sie wieder zueinander finden und zu jenem erfolgreichen Team werden, das sie viele Jahre lang ge­wesen waren.

Obwohl Noel ihn nicht um Hilfe gebeten hatte, kam es für Randy nicht in Frage, den Freund sich selbst zu überlassen.

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Kevin O'Hara durfte seinen Rachedurst nicht schon wieder stillen. Randy lief mit langen Sätzen die Straße entlang. Er keuchte. Endlich kam das Heeresgeschichtliche Museum in Sicht.

Randy sah den silbermetallicfarbenen VW Rabbit des Freundes. Er entdeckte die offene Tür, durch die Noel das Gebäude betreten hatte.

Er rannte darauf zu. Seine Köpfhaut spannte sich unwillkürlich, als er das Museum betrat. Blitzschnell zog er den Colt Agent aus der Schulterhalfter. Dass er O'Hara damit nicht töten konnte, wusste er. Aber jeder Treffer irritierte den lebenden Leichnam, stieß ihn zurück, brachte ihn aus der Fassung.

Randy blieb kurz stehen. Sein Atem ging schnell. Dunkelheit umfing ihn. Er lauschte - und hörte Kampflärm. Noel

wehrte sich seiner Haut! Halte durch, Noel!, dachte Randy Gill. Er stürmte vorwärts, auf die Geräusche zu. Eine offen stehende

Tür. Stufen. Der Privatdetektiv hastete hinunter. Plötzlich Stille. Randy hatte das Gefühl, eine Schlinge würde sich um seinen Hals

zuziehen. War der Kampf entschieden? Kam er zu spät? Über den Aus­gang des Kampfes konnte es nicht den geringsten Zweifel geben.

Da Randy nichts hörte, musste er annehmen, dass er nun auch seinen besten Freund verloren hatte.

Er erreichte das Ende der Treppe und vernahm eine Stimme. Es war Kevin O'Hara, der soeben sagte: »Wenn ich dich erledigt habe, fehlt mir nur noch einer: Randy Gill!«

Das Herz des Privatdetektivs machte einen Freudensprung. Es war noch nicht alles aus. Noel lebte noch.

»Noel!«, schrie Randy. »Lass dich nicht unterkriegen! Halte durch!«

Er wollte die Tür aufstoßen, bei der er soeben angelangt war, doch sie war von innen verriegelt.

»Gib nicht auf, Noel!«, brüllte Randy. »Wehr dich!« Er konnte nicht wissen, dass sein Freund auf den Richtstuhl geschnallt war.

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Ungestüm warf er sich gegen die Tür, doch seine Wildheit brachte ihm nur heftige Schmerzen in der Schulter ein.

»O'Hara!«, schrie er wütend. »Kevin O'Hara! Lass Noel in Ruhe! Er hat dir nicht die Kugel in deinen verdammten Schädel gejagt. Das war ich! Wenn du Rache nehmen willst, musst du dich an mich wenden!«

Drinnen knurrte der lebende Leichnam: »Du kommst auch noch dran, Gill!«

»Warum nicht nur ich?« »Weil Noel Wynn mitgeholfen hat, mich in die Enge zu treiben.

Genau wie Lieutenant Simon!« »Du macht einen Fehler!«, schrie Randy Gill durch die Tür. »Bestimmt nicht!« »Doch!« »Und wieso?« »Mit jeder Stunde, die ich länger lebe, wird die Wahrscheinlichkeit

größer, dass ich herausfinde, wie man dich erledigen kann. Ich weiß, dass es eine Möglichkeit gibt, dich zum Teufel zu schicken und ich werde sie finden, wenn du mir genügend Zeit dafür lässt.«

»Hör auf zu phantasieren, Gill. Du schaffst mich nie!« »Ich wette dagegen!« »Die Wette gilt!« »Lass mich rein!« O'Hara lachte hohn triefend. »Willst du an der Hinrichtung deines

Freundes teilnehmen? Möchtest du sehen, wie ich ihm mit dem Richt­schwert...«

»Lass die Finger von Noel, du gottverfluchter Satan!« Drinnen hob Kevin O'Hara seelenruhig das Schwert. Die Klinge war

blank und reflektierte das Kerzenlicht. Der Rächer aus dem Jenseits umklammerte den Schwertgriff mit

beiden Händen. Sein fahles Totengesicht war ausdruckslos. Er hatte kein Mitleid mit Noel Wynn, der ihn entsetzt und verzweifelt anstarrte.

Allmählich verlor sich die Wirkung des Faustschlages und Noel konnte wieder klar denken. Dadurch bekam er mit grausamer Deut­lichkeit mit, was mit ihm geschehen sollte.

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Er wusste, dass Randy Gill draußen vor der Tür stand und nicht herein konnte. Er hörte, wie Randy sich wild gegen die Tür warf und er klammerte sich – wie ein Ertrinkender an den Strohhalm - an die Hoff­nung, dass Randy es schaffte, die Tür aufzukriegen.

Aber der ›Henker‹ hatte bereits das Schwert zum tödlichen Streich erhoben. Wie hätte Randy Gill den Schlag noch verhindern sollen?

»O'Hara!«, brüllte Randy. Der Rächer aus dem Jenseits antwortete ihm nicht. Randy besann

sich seines Revolvers. Er trat einen Schritt zurück, hob die Waffe. Im selben Moment gerann ihm das Blut in den Adern. Jenseits der

Tür hatte Noel verzweifelt aufgeschrieen. »Nein! R-a-n-d-y!« Der Detektiv hörte das Surren des Richtschwerts - und dann nichts

mehr.

*

Randy Gill hatte das Gefühl, schlagartig um zehn Jahre gealtert zu sein. Schwer fuhr ihm der Schock in die Glieder.

Er hat es getan!, schrie es in ihm. Verdammt, dieses Dreckschwein aus der Hölle hat es tatsächlich getan.

Dem Privatdetektiv wurde eiskalt. Die Wogen seiner Erregung er­reichten einen Punkt, über den sie nicht mehr hinaus konnten. Schlimmer kann es nicht mehr werden, dachte er.

Er handelte mechanisch. Etwas in ihm hafte ausgehakt. Er war im Moment zu keinem Gefühl mehr fähig.

Er hatte die Menschen, die er am meisten mochte - Dan Simon und Noel Wynn – verloren und er fühlte sich am Tod von Mae Copper­field schuldig.

Was hätte ihn jetzt noch erschüttern können? Sein Gesicht war zur Maske erstarrt. Er drückte mehrmals hin­

tereinander ab und schoss die Tür auf. Die Projektile hämmerten ins Holz, fetzten lange Splitter heraus und zertrümmerten den Riegel.

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Mit einem kraftvollen Tritt beförderte der Privatdetektiv die Tür zur Seite. Als er den gerichteten Freund sah, wurde er fahl und sein Ma­gen revoltierte. Mühsam kämpfte er gegen die Übelkeit an.

Mit schussbereiter Waffe betrat er den Raum, in dem zwei Men­schen ein schreckliches Ende gefunden hatten.

Er suchte O'Hara, doch der Killer aus dem Totenreich war durch ein schmales Fenster entwischt.

Randy Gill verließ den Raum auf demselben Weg. Er gelangte in einen finsteren Hof. O'Haras Vorsprung war nicht groß. Er konnte noch nicht allzu weit sein. Randys Augen gewöhnten sich rasch an die Dun­kelheit.

Er hörte etwas klappern. Blech. Möglicherweise den Deckel einer Mülltonne. Sofort blickte er in die Richtung, aus der das Geräusch an sein Ohr gedrungen war.

Eine schemenhafte Gestalt! Randy rannte los. Er hetzte durch die Finsternis. Die Gestalt über­

kletterte soeben eine Mauer und verschwand aus Randys Blickfeld. Der Privatdetektiv forcierte seinen Lauf. Eigentlich war es unsin­

nig, was er machte. Was wollte er denn? Er konnte O'Hara nicht festhalten. Er konnte ihn nicht überwäl­

tigen, konnte ihn nicht töten. Im Grunde genommen konnte nur eines passieren, wenn Randy

Gill den Killer aus dem Jenseits einholte: dass dieser den Detektiv e­benfalls tötete.

Aber Randy war ein Jäger und es steckte zu sehr in seinem Blut, dass man einen Kerl, der ein schweres Verbrechen begangen hatte, nicht einfach entkommen lassen durfte.

Es grenzte an Selbstmord, Kevin O'Hara zu verfolgen, doch daran verschwendete Randy Gill keinen einzigen Gedanken.

Er erreichte die Mauer, sprang auf die davor stehende Mülltonne und flankte Augenblicke später über die Mauerkrone.

Weich landete er im Gras eines Parks. Wo war O'Hara? Welche Richtung hatte er eingeschlagen? Randy

zwang sich zur Ruhe. Er schaffte es nur mit Mühe, den Atem an­

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zuhalten und zu lauschen. Vor allem hörte er dann das vehemente Pochen seines Herzens.

Aber da war noch etwas: ein Schleifen, Rascheln. Es kam aus ei­nem der Büsche, die wie schwarze Tintenflecke in der Nacht klebten.

Unverzüglich lief Randy Gill darauf zu. Mutig warf er sich in den Busch, doch O'Hara verbarg sich nicht

mehr darin. Der Tote war auch nicht dahinter. Es musste ihm gelungen sein, unbemerkt den Park zu verlassen.

Randy Gill zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Da drang abermals ein Geräusch an sein Ohr.

*

Maggie George war blond und blauäugig und ihre Beine hatten Kingsi­ze-Format. Eine Frau, die so aussah wie sie, konnte an jedem Finger zehn Männer haben. Ihr Sex-Appeal war nicht zu übersehen und ihre Kurven entsprachen den weiblichen Idealmaßen schlechthin.

Mochte der Teufel wissen, warum sie sich ausgerechnet für Ran­dolph Ritt entschieden hatte, wo sie doch seriöse Angebote von einem Senator, einem Limonadenerzeuger und einem Jeansfabrikanten zur Auswahl gehabt hätte.

Vermutlich hatte es ihr Ritts brutaler Charme angetan. Außerdem hatte Ritt besser als die anderen Bewerber ausgesehen und Maggie hatte die clevere selbstsichere Art dieses Mannes imponiert.

Erst als sie in seinem Haus gewohnt hatte, war sie nach und nach dahinter gekommen, wer Randolph Ritt eigentlich war.

Heute wusste sie, dass er der König von New Jersey war, ein Gangsterboss aus der obersten Schublade, der ohne mit der Wimper zu zucken über Leichen ging. Er hielt die Zügel straff in seinen kräfti­gen Händen.

Wer aus der Reihe tanzte, hatte das sehr bald schon zu bereuen. Rauschgift, Falschgeld, Prostitution - es gab nichts, womit Ran­

dolph Ritt sich nicht die Finger schmutzig machte, wenn dabei nur ge­nügend Geld heraussprang, denn er vertrat die Ansicht, dass Geld die Welt regiert und dass man deshalb nie genug davon haben könne.

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Mit Geld kann man so ziemlich alles erreichen. Man kann diesen und jenen wichtigen Mann bestechen und wenn sich einer partout nicht kaufen lassen will, kann man eine Prämie auf seinen Kopf aus­setzen. Jeder Killer wird bestrebt sein, sich die Summe zu verdienen...

O ja, Randolph Ritt wusste, wie man mit dem Geld regierte und er wusste auch, sich laufend neue Bucks zu verschaffen.

Schon vor zwei Jahren hatte Maggie George den Gangsterboss verlassen wollen, doch sie hatte nicht gewusst, dass sie bereits wie eine Mücke am Fliegenfänger klebte.

Wer mit Randolph Ritt erst einmal in Berührung gekommen war, der kam von ihm nicht mehr los. Das galt selbstverständlich auch für Maggie.

Trotzdem versuchte sie es. Die Sache war von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen,

denn Maggie hatte keine Ahnung gehabt, wohin sie gehen sollte. Randolph Ritt kontrollierte ganz New Jersey und er hatte die bes­

ten Kontakte zur Unterwelt von New York. Ihm kam nicht so schnell etwas abhanden. Wie gesagt, Maggie versuchte dennoch ihr Glück. Sie kam nicht

weit. Als Ritt merkte, dass sie ausgerückt war, schickte er seine Blut­hunde hinter ihr her. Diese fanden Maggies Spur noch am selben Tag, erwischten sie in Manhattan und brachten sie umgehend zu Ritt zu­rück.

In den Tagen danach hatte sie nicht stehen, nicht sitzen und nicht liegen können - so schwer hatte Randolph Ritt sie zusammenge­schlagen.

Und dabei hatte sie noch großes Glück gehabt, denn Ritt hätte sie auch umbringen lassen können.

»Tu das nie wieder!«, hatte er ihr geraten. »Ich mag dich. Du ge­hörst mir. Solange ich nicht von dir genug habe, kriegst du deine Frei­heit nicht wieder.«

Zwei Jahre ertrug sie ihn. In dieser Zeit erfuhr sie - ohne dass sie es wollte - eine ganze Menge über seine Geschäfte und sie begriff ver­zweifelt, dass Ritt sie mit diesem Wissen niemals gehen lassen würde.

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Sie hätte ihm gefährlich werden können. Das, was sie über ihn und seine verbrecherischen Machenschaften wusste, konnte ihn für sehr lange ins Zuchthaus bringen. Es wäre für ihn ein untragbares Ri­siko gewesen, sich von ihr zu trennen.

In letzter Zeit hatte er Probleme am Hals. Die Sorgen machten ihn leicht reizbar. Er griff öfter als früher zur

Whiskyflasche und wenn er mehr als vier Gläser getrunken hatte, wur­de er aggressiv.

Zumeist ging Maggie ihm aus dem Weg, wenn sie merkte, in wel­cher Verfassung er war. Aber das gelang ihr nicht immer.

Es genügte dann oft nur ein einziges Wort und schon explodierte Ritt. Neulich hatte er ihr ein blaues Auge geschlagen. Sie war danach tagelang mit einer Sonnenbrille herumgelaufen, obwohl es geregnet hatte.

Und gestern war Ritt wieder mit seinen Fäusten über sie hergefal­len.

Maggie hielt das nicht mehr aus. Sie fühlte sich mit ihren 22 Jahren alt und verbraucht. Ihre Schön­

heit blätterte ab wie Lack, unter dem sich Rost gebildet hat. Nein, das war kein Leben mehr an Randolph Ritts Seite. Tag für

Tag musste sie sich vor seinen Schlägen fürchten. Sie hielt das nicht länger aus.

Heute war ihr Entschluss erneut gereift, ihn zu verlassen. Diesmal wollte sie es geschickter anstellen.

Sie brauchte Hilfe. Das hatte sie schon beim ersten Mal gewusst, aber da hatte sie noch niemanden gekannt, der den Mut besessen hätte, sich schützend vor sie zu stellen.

Nun kannte sie jemand. Einen Privatdetektiv. Randy Gill war sein Name. Sie hatte ihn vor einem halben Jahr kennen gelernt. Randy Gill

hatte beruflich mit Ritt zu tun gehabt, war mit den Männern des Gangsterbosses gehörig Schlitten gefahren und hatte sich auch vor Randolph Ritt kein Blatt vor den Mund genommen.

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Es war Randy Gill damals gelungen, Ritt ein großes Geschäft zu verderben und da Randolph Ritt nicht sofort Befehl gegeben hatte, den Privatdetektiv kaltzumachen, vermutete Maggie George, dass der Gangsterboss ihn fürchtete.

Einen solchen Mann brauchte Maggie in ihrer Situation. Nur bei ihm konnte sie jenen Schutz finden, den sie nun dringend

nötig hatte.

*

Randy Gill wirbelte auf den Hacken herum. Er hetzte zwischen zwei Büschen hindurch, sah die Silhouette eines Mannes und sprang.

Seine Hände packten zu. Die Finger krallten Sich in die Kleidung des Gegners. Mit dem rechten Fuß sichelte er dem Mann die Beine weg.

Sie fielen beide. Der Mann stieß einen krächzenden Schrei aus. Randy - in der Meinung, es mit Kevin O'Hara zu tun zu haben - setzte dem Gegner seinen Revolver an die Brust.

»Mal sehen, ob dein schwarzes Herz auch unverwundbar ist!«, keuchte der Privatdetektiv.

Beinahe hätte er abgedrückt. Doch plötzlich begriff er, dass er ein fremdes Gesicht vor sich hatte.

Das war nicht O'Hara! Verstört starrte der Fremde ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

Der Mann hatte einen struppigen, ungepflegten Bart. Er stank nach Schweiß und billigem Fusel. Das war ein Penner!

Randy entspannte sich enttäuscht. Er spürte, wie der Mahn unter ihm zitterte. Der Penner musste der Meinung sein, seine letzte Stunde habe geschlagen.

»Bitte...«, flehte er mit tonloser Stimme. »Bitte, tun Sie's nicht...« Randy ließ von ihm ab. Er schob den Colt Agent in die Schulter­

halfter. »Tut mir leid«, sagte er zerknirscht. »Hab' dich wohl zu Tode er­

schreckt, was?«

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»Das - das Kann man wohl sagen, Mister.« Schwerfällig stand der Penner auf.

Randy drückte ihm eine Banknote in die Hand. »Hier, kauf dir was zu trinken.« Die Lider des Penners flatterten. Er wusste nicht, was er von die­

sem plötzlichen Frieden halten sollte. Nach solch einem Angriff. »Ich bin kein Killer«, sagte Randy Gill. Der Struppige nahm ihm zaghaft das Geld aus den Fingern. »Ach, nein?« »Ich bin hinter einem Killer her.« »Sind Sie 'n Bulle oder so was?« »Oder so was: Privatdetektiv.« »Schnüffler also«, meinte der Penner. Es hatte den Anschein, als

habe sein Respekt vor Randy ein bisschen an Gewicht verloren. »Ich hab' schon schlechte Erfahrungen mit Privatdetektiven gemacht. Nicht alle sind astrein.«

»Es gibt in jeder Branche schwarze Schafe.« »Hinter einem Killer sind Sie her?« »Ja. Hast du jemand gesehen?« »Gesehen nicht...« »Aber?« »Gehört«, sagte der Penner. »Ich wollte mich gerade dort hinten

friedlich auf 'ner Bank niederlassen, da hörte ich plötzlich ein bösarti­ges Knurren und Schnaufen. Mir kam das nicht ganz geheuer vor, des­halb machte ich 'ne Fliege. Man weiß ja nie, was in so 'ner Nacht alles passiert. Ich führ zwar ein beschissenes Leben, aber es ist immer noch besser als gar keines. Als Sie sich vorhin auf mich stürzten, dachte ich, es wäre aus mit mir.«

»Tut mir leid«, sagte Randy noch einmal. »Wohin ist der Kerl ge­laufen? In welche Richtung hat er sich abgesetzt?«

Der Penner wies etwa dorthin, wo sich der nördliche Parkausgang befand.

»Was genau hat der Bursche denn angestellt?«, wollte er wissen. »Das erzähle ich dir lieber nicht, sonst kriegst du heute Nacht kein

Auge mehr zu«, erwiderte Randy und hastete weiter.

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Er hatte nicht viel Hoffnung, O'Haras Spur zu finden, aber er woll­te es wenigstens versuchen.

Wenn er das Glück gehabt hätte, sich auf O'Haras Fersen zu hef­ten, wäre er möglicherweise hinter das Geheimnis des Wiedergängers gekommen.

Aber er hatte dieses Glück nicht. O'Hara war verschwunden. Und so sehr sich Randy Gill auch anstrengte, er konnte den lebenden Leichnam nicht wieder finden.

*

Rotlichter zuckten auf den Dächern der Patrol Cars, die vor dem Hee­resgeschichtlichen Museum standen.

Randy Gill war seiner Pflicht nachgekommen und hatte die Polizei verständigt. Nachdem er die öffentliche Fernsprechzelle verlassen hat­te, wartete er zehn Minuten. Dann traf der erste Wagen der Metropoli­tan Police ein.

Mittlerweile waren es vier Radio Cars. Dahinter stand der Ka­stenwagen der Mordkommission.

Die Spezialisten waren bereits an der Arbeit. Soeben verließ Captain Frank Harris, der Leiter der Mordkom­

mission, das Gebäude. Er war ein schmaler Mann. Sein Haupthaar war stark gelichtet und er erweckte den Eindruck, als habe er mindestens ein Dutzend Magengeschwüre.

»Schrecklich«, sagte er und schüttelte ernst den Kopf. Was er drinnen im Heeresgeschichtlichen Museum gesehen hatte, ging ihm gehörig an die Nieren.

»O'Hara ist ein grausamer Teufel«, sagte Randy Gill. »Findet er denn kein Ende? Er hat Abe Christie erwürgt, hat mei­

nen Lieutenant im fünften Stock zum Fenster hinausgeworfen. Und nun Mae Copperfield und Noel Wynn...«

»Seine schwarze Seele wird erst Ruhe finden, wenn er auch mich gekillt hat«, sagte Randy.

Captain Harris zündete sich ein Zigarillo an. Er blies den Rauch an Randy Gill vorbei. Nachdenklich musterte er den Privatdetektiv.

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»Haben Sie Angst, Randy?« »Ich weiß es nicht, Captain. Ganz wohl fühle ich mich natürlich

nicht in meiner Haut.« »O'Hara hat bisher alles geschafft, was er sich vornahm. Nun wird

er Sie ins Visier nehmen.« »Davon werde ich ihn nicht abhalten können.« »Ich möchte Ihnen helfen, Randy.« »Ich fürchte, das können Sie nicht, Captain.« »Wir könnten Sie in Schutzhaft nehmen, dann wären Sie vor O'Ha­

ras Rache sicher.« »Und wie lange sollte ich in Schutzhaft bleiben?« »Bis wir den Killer aus dem Jenseits erwischt haben.« »Das könnte für mich unter Umständen lebenslange Schutzhaft

bedeuten.« »Haben Sie so wenig Vertrauen zur Polizei?« »Die Polizei von New York ist okay Captain. Dennoch bezweifle

ich, dass sie O'Hara das Handwerk legen kann.« »Können Sie das denn?« »Ich muss es können«, erwiderte Randy Gill. »Mein Leben hängt

davon ab.« Frank Harris nahm einen Zug von seinem Zigarillo. Er ließ den

Rauch langsam durch die Nasenlöcher sickern. »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, Randy...« »Ja, Captain?« »Angenommen - niemand hofft so sehr wie ich, dass es eine An­

nahme bleibt, angenommen, Kevin O'Hara gelingt es, Sie zu töten. Was dann? Kehrt er dann in sein Grab zurück?«

»Das wäre der Stadt zu wünschen.« »Er hätte seinen Rachedurst dann ja gestillt.« »Es könnte sein, dass er danach sein altes Treiben fortsetzt. Na­

türlich brutaler und rücksichtsloser, denn nun kann ihm der Arm des Gesetzes ja nichts mehr anhaben.«

Der Captain schauerte. »Eine Horrorvision ist das.« »Die sich hoffentlich nie erfüllen wird«, sagte Randy Gill.

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Die beiden Männer verstummten. Zwei Zinkwannen wurden aus dem Gebäude getragen. Mit finsterem Blick nahm Randy Abschied von Mae Copperfield und Noel Wynn.

Er würde sie nie vergessen. Schon deshalb nicht, weil er sich an ihrem Tod mitschuldig fühlte.

*

Randy Gill hatte das Gefühl, nicht mehr derselbe zu sein, der er vor achtundvierzig Stunden gewesen war. Das Schicksal hatte mehrfach mit grausamer Härte zugeschlagen und Randy gelang es nicht, diese schmerzhaften Tiefschläge zu verdauen.

Seit Kevin O'Hara von den Toten wiederauferstanden war, gab es keine Ordnung mehr. Alles war auf den Kopf gestellt. Die Welt war aus dem Gefüge geraten. Die destruktive Macht, die der lebende Leichnam verkörperte, hatte Randy Gills Leben völlig verändert.

Er war plötzlich allein. Seine besten Freunde lebten nicht mehr und auch ihm wollte Ke­

vin O'Hara ans Leben. Gott, wie waren sie voller Zuversicht gewesen, als sie diesen Fall anpackten!

Was war aus dieser Zuversicht geworden? Resignation. Hoff­nungslosigkeit. Furcht. Enttäuschung.

Niemand konnte dem mordlüsternen Treiben des Rächers aus dem Jenseits Einhalt gebieten. Keinem Menschen war es möglich, die­sem schrecklichen Killer das Handwerk zu legen.

Würde New York mit dieser Plage leben müssen? Es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis O'Hara auch

Randy Gill getötet hatte. Wie konnte man es verhindern? Randy zermarterte sich das Gehirn, aber ihm kam keine Idee, wie

er mit dem toten Verbrecher fertig werden konnte. Sanft blieb der Fahrstuhl im 18. Stock stehen. Die Lifttüren glitten

auseinander. Randy verließ die Kabine. Augenblicke später betrat er sein Büro, an das eine kleine,

zweckmäßig eingerichtete Wohnung grenzte.

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Sein Blick fiel auf Noel Wynns verwaisten Schreibtisch, an den sein Freund nie mehr zurückkehren würde.

Wut und Hass loderten in ihm auf. Er durfte sich nicht unterkrie­gen lassen. Wenn er resignierte, war die Sache für O'Hara schon ge­laufen. Aber so leicht wollte Randy Gill es diesem Satansbraten nicht machen. Solange er lebte, wollte er kämpfen.

Und solange er kämpfte, gab es zwangsläufig auch eine Aussicht auf einen unverhofften Sieg.

Er wollte in seine Wohnung gehen. Da läutete das Telefon. Randy blieb stehen. Seine Brauen zogen sich zusammen.

O'Hara hatte Noel Wynn mit einem Anruf zum Heeresgeschichtli­chen Museum bestellt. War das noch einmal der Tote?

Blitzschnell griff Randy nach dem Hörer. Er riss ihn von der Gabel und sagte aggressiv: »Hallo!«

Alles in ihm war angespannt. Doch am ändern Ende der Leitung war nicht Kevin O'Hara, sondern eine junge Frau.

»Endlich«, seufzte sie. »Wie?« »Ich hab' schon viermal angerufen.« »Ich war unterwegs«, sagte Randy. »Mein Name ist Maggie George. Erinnern Sie sich noch an mich,

Mr. Gill? Wir lernten uns in Randolph Ritts Haus kennen.« »Selbstverständlich erinnere ich mich«, antwortete Randy. Er hat­

te die hübsche blonde Frau deutlich vor seinem geistigen Auge. »Was kann ich für Sie tun, Miss George?«

»Ich brauche Ihre Hilfe, Mr. Gill.« »Wobei?« »Ich bin Ritt weggelaufen.« »Das wird ihm nicht gefallen.« »Bestimmt nicht.« »Haben Sie das nicht schon mal getan?« »Ja, aber Ritts Männer haben mich eingefangen und zu ihm zu­

rückgebracht und dann... Oh, Mr. Gill, es war schrecklich. Ich dachte, Ritt würde mich umbringen.«

»Trotzdem versuchen Sie es heute wieder?«

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»Ich habe es bei Randolph Ritt einfach nicht mehr ausgehalten.« Die verzweifelte Frau erzählte dem Privatdetektiv von dem Mar­

tyrium der letzten Wochen und Monate. »Ich habe aus der Erfahrung gelernt«, fuhr Maggie fort. »Ich

brauche jemanden wie Sie, der den Mut hat, sich schützend vor mich zu stellen, Mr. Gill. Werden Sie mir helfen?« Die Frage kam flehend durch den Draht.

Randy konnte Ritt nicht ausstehen. Wo sich ihm eine Gelegenheit bot, diesem Verbrecher eins auszuwischen, hakte er ein.

Deshalb war es für ihn eine klare Sache, Maggie George zu helfen, denn damit tat er einmal mehr etwas, das Ritt gegen den Strich ging.

»Haben Sie auch nur einen Augenblick daran gezweifelt, dass ich Ihnen helfen werde, Maggie?«

Der jungen Frau fiel ein Stein vom Herzen. »O Randy, Sie wissen nicht, was Sie für mich tun. Diesmal schaffe

ich es, von Randolph Ritt loszukommen.« »Von wo aus rufen Sie an?« »Ich bin in einer kleinen Bar in College Point.« »Soll ich Sie holen?« »Das ist nicht nötig. Erwarten Sie mich in zehn Minuten.« »Einverstanden«, sagte Randy. »Und - Randy...« »Ja?« »Danke. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen.« »Keine Ursache. Das tu ich gern.« Randy legte auf. Er bereitete

sich seelisch darauf vor, dass er nun für unbestimmte Zeit mit einer äußerst attraktiven Frau unter einem Dach wohnen würde.

Ihre Reize würden ihm nicht gefährlich werden. Erstens war er ein Gentleman, der wusste, wie er sich einer Frau gegenüber zu beneh­men hatte. Und zweitens hatte er zurzeit ganz andere Dinge als so etwas im Kopf.

Er würde Kevin O'Hara nicht vergessen, würde nicht den Fehler begehen, auch nur für kurze Zeit unvorsichtig zu sein.

Aber er würde es auch nicht versäumen, Maggie eine Menge Fra­gen zu stellen, die Randolph Ritts unsaubere Geschäfte betrafen.

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Sie wusste einiges darüber und sie würde es ihm sagen - aus Dankbarkeit, weil er sie nicht abgewiesen hatte, als sie ihn um Hilfe bat.

Randy war zuversichtlich, dass es ihm mit Maggie Georges Unter­stützung endlich gelingen würde, Ritt zu Fall zu bringen.

Der Mann war ihm schon lange ein Dorn im Auge. Er hatte immer auf eine solche Chance gehofft. Jetzt war sie da.

Die zehn Minuten vergingen sehr schnell - und dann trat Maggie zaghaft in Randys Büro. Bildschön und traurig.

Das Lächeln, das sie ihm schenkte, misslang. Sie war nervös, zuckte mit den Schultern und sagte verlegen: »Da bin ich.«

*

Porter Liggett, ein schwergewichtiger Muskelmann, grinste breit. »Wenn sie wüsste, dass sie uns auf den Fersen hat...« »Sie würde glatt 'nen hysterischen Anfall kriegen«, sagte Lino Loy

und lachte meckernd. Er lenkte den nilgrünen Mustang hinter dem Yellow Cab her, in dem Maggie George saß.

Loy sah aus wie Liggetts Schatten. Er war schlank, hatte einge­sunkene Wangen und eine nicht zu übersehende Geiernase, die weit aus seinem penetranten Gesicht hervorsprang.

»Das Vögelchen hat einen unbändigen Freiheitsdrang«, sagte Lig­gett.

»Man sollte ihm die Flügel stutzen.« »Das wird der Boss diesmal ganz bestimmt tun. Ein drittes Mal

wird es Maggie garantiert nicht mehr in die Ferne ziehen.« Die Gangster lachten. Sie waren die besten Spürhunde, die Ran­

dolph Ritt zur Verfügung hatte und es hatte den Anschein, als wäre es für sie eine Kleinigkeit gewesen, Maggie Georges Spur zu finden.

»Wohin sie wohl fährt?«, brummte Porter Liggett. »In dieser Richtung geht's nach Whitestone.« »Nach Whitestone!«, rief Liggett mit kratziger Stimme aus. »Was regt dich daran so auf?«, fragte Lino Loy. »Menschenskind, hast du denn Puderzucker in deiner Birne?«

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»Ne, Grips.« »Den streng mal an.« »Weshalb denn?« »Wer wohnt denn in Whitestone, he?« Bei Lino Loy fiel plötzlich der Groschen. Er sagte nichts, riss nur

die Augen auf und wiegte den Kopf. »Alles klar?«, fragte Liggett. »Glasklar«, gab Loy zurück. »Die Puppe ist zu Randy Gill un­

terwegs.« »Das wird dem Boss ganz und gar nicht schmecken.« »Toben wird er. Alles kurz und klein schlagen wird er«, sagte Lino

Loy. »Ausgerechnet zu Randolph Ritts Erzfeind begibt sich die Puppe. Das wird ihr der Boss nicht so bald verzeihen.«

Das Taxi erreichte Whitestone. Gleich darauf blieb es vor einem modernen Büro-Hochhaus stehen. Die Gangster hatten richtig getippt. Es handelte sich um Randy Gills Adresse. Hier befand sich sein Büro und hier wohnte er auch.

Lino Loy lenkte den Mustang rasch rechts ran. Er schaltete die Scheinwerfer ab, ließ den Motor aber noch laufen.

Maggie stieg aus dem Yellow Gab. Nervös schaute sie sich um. Ih­re Blicke streiften auch den Mustang, aber die Gangster waren auf Tauchstation gegangen und so schöpfte die Frau überhaupt keinen Verdacht.

Loy und Liggett kamen aus der Versenkung erst wieder hoch, als Maggie George im Hochhaus verschwunden war.

»Sind wir nicht Glückskinder?«, fragte Porter Liggett. »Was machen wir jetzt?« »Erst mal den Boss informieren, würde ich vorschlagen.« »Vorschlag einstimmig angenommen«, sagte Lino Loy grinsend.

»Dort hinten ist 'ne Telefonbox.« »Bin schon unterwegs«, sagte Liggett und stieg aus. Mit gewich­

tigem Schritt begab er sich zu der Zelle. Lino Loy beobachtete ihn im Rückspiegel.

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Porter Liggett quetschte seine massige Figur in die Glaskabine und nahm den Hörer vom Haken. Dann warf er einen Dirne in den Automa­ten und wählte die Nummer seines Brötchengebers.

Er bekam nicht sofort Randolph Ritt an die Strippe. Zuerst meldete sich Jerry Cox, dessen Leibwächter. Ein eiskalter Bursche, der ver­dammt schnell mit der Kanone war und dessen Treffsicherheit Aufse­hen erregte.

»Ich bin's, Porter«, sagte Liggett. »Sag bloß, ihr habt die Puppe schon.« Der Muskelmann lächelte selbstgefällig. »Noch nicht ganz. Aber so gut wie.« »Wo ist sie?« »Ist der Boss da?« »Ja.« »Gib ihn mir«, verlangte Porter Liggett. Er wollte seinen Trumpf

nicht schon jetzt ausspielen. »Augenblick«, sagte Jerry Cox eingeschnappt, doch das störte

Liggett nicht. Er konnte Ritts Schutzengel ohnedies nicht besonders gut leiden.

»Jerry sagt mir, ihr habt das Miststück?«, polterte Sekunden spä­ter Randolph Ritt am ändern Ende der Leitung. »Wo steckt sie?«

»Halt dich fest, Boss.« »Verdammt, mach's nicht spannend, Porter!« »Sie hat sich in Randy Gills Schutz begeben, Boss«, berichtete

Liggett. »Das darf doch nicht wahr sein!«, brüllte Ritt und dann legte er

mit Volldampf los. Er fluchte und tobte, dass Liggett den Hörer weit vom Ohr weg halten musste. Eine Menge wüster Drohungen ließ er vom Stapel. Sein ungezügeltes Temperament ließ es nicht so schnell zu, dass er sich wieder beruhigte.

»Na, die kann sich auf was gefasst machen!«, wetterte er. »Die kann was erleben!«

»Wie soll's nun weitergehen, Boss?«, wollte Liggett wissen. »Da fragst du noch? Ihr bringt die Kanaille sofort hierher.« »Dagegen wird Gill einiges einzuwenden haben.«

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»Verflucht noch mal, wer schert sich denn um Randy Gill?« »Er wird sich als Maggies Beschützer aufspielen.« »Okay, ihr seid zu zweit. Ihr habt Kanonen. Ihr werdet diesem

miesen Schnüffler die Leviten lesen und zwar gehörig! Und an­schließend schnappt ihr euch das Mädchen und bringt es unverzüglich zu mir. Ist noch was unklar?«

»Nein, Boss.« »Dann geht an die Arbeit!« Porter Liggett hängte den Hörer an den Haken und verließ die Te­

lefonbox. Er kehrte zum Mustang zurück. »Hat er getobt?«, erkundigte sich Lino Loy. Liggett grinste. »Er tobt noch immer.« »Was sollen wir tun?«, fragte Loy. Liggett sagte es ihm.

*

»Ist Ihnen jemand gefolgt?«, fragte Randy Gill. »Ich glaube nicht«, erwiderte Maggie George unsicher und zuckte

wieder mit den wohl gerundeten Schultern. Randy machte eine einladende Handbewegung. »Treten Sie näher.« »Ich bringe Sie möglicherweise in Schwierigkeiten.« »Die nehme ich gern in Kauf.« »Sie brauchen mir nicht umsonst zu helfen, Randy.« »Was soll der Unsinn, Maggie?« »Ich möchte Sie engagieren. Doch, doch, das möchte ich. Ich

kann es mir leisten, Sie zu bezahlen.« »Daran zweifle ich nicht. Aber ich will kein Geld vor Ihnen.« »Aber ich kann doch nicht von Ihnen verlangen, dass Sie für

nichts möglicherweise Kopf und Kragen riskieren.« »Sie stehen nicht gern in jemandes Schuld, wie?« Maggie nickte. »So ist es«, gestand sie.

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Randy blickte ihr in die tiefblauen Augen. »Hören Sie zu. Ich helfe Ihnen weil ich Randolph Ritt nicht mag.

Kerle wie er sind mir zuwider. Deshalb werde ich für Sie tun, was ich kann und ich werde dafür kein Geld von Ihnen nehmen. Aber wenn Sie sich revanchieren wollen, können wir uns ausführlich über Ritts Ge­schäfte unterhalten. Damit würden Sie nicht nur mir, sondern sicher­lich auch sich selbst einen großen Gefallen erweisen.«

»Wieso mir selbst?« »Nun, wenn es mir gelingt, Randolph Ritt ein Bein zu stellen, lan­

det er nicht bloß auf der Schnauze, sondern im Zuchthaus und es hängt von uns beiden ab, für wie lange.«

Maggie ergriff eine widerspenstige Haarsträhne und klemmte sie sich hinter das Ohr. Sie musterte Randy nachdenklich.

»Einverstanden, Randy. Wir werden über Randolph Ritt reden. Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich von ihm weiß. Aber nicht sofort.«

»Ich werde Sie nicht drängen.« »Ich brauche etwas Zeit.« »So viel Sie wollen«, sagte Randy Gill. »Kommen Sie, ich zeige Ih­

nen jetzt mal meine Wohnung. Sie ist nicht sonderlich groß, aber wir werden uns schon nicht auf die Nerven gehen.«

Randy führte die junge Frau nach nebenan. Es gab ein Wohn­zimmer mit Kochnische, ein Bad mit Toilette und ein Schlafzimmer, das von nun an Maggie zur Verfügung stehen sollte.

»Und wo werden Sie schlafen?«, fragte Maggie. »Im Wohnzimmer. Die Sitzbank kann man ausziehen. Ich hoffe,

Sie fühlen sich bei mir wie zu Hause.« Maggie George senkte traurig den Blick. »Ich habe kein Zuhause, Randy«, sagte sie. »Schon lange nicht

mehr.« »Sie werden wieder eines kriegen. Ich werde dafür sorgen«, ver­

sprach Randy Gill. Im Büro läutete das Telefon. »Ist bei Ihnen nachts immer soviel los?«, fragte Maggie.

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»Das ist ganz verschieden. Manchmal komme ich kaum zum Luft­holen und dann wiederum scheinen alle Leute meine Telefonnummer vergessen zu haben. Entschuldigen Sie mich.«

»Natürlich«, sagte Maggie und nickte. Randy eilte ans Telefon und hob ab. Am andern Ende war ein

Mann der ganz aus dem Häuschen war. Sein Amerikanisch war nicht ganz akzentfrei. Obgleich der Mann seinen Namen nicht genannt hat­te, wusste Randy sofort, mit wem er es zu tun hatte.

Es handelte sich um Orfeo Muerte, jenen klapperdürren Latein­amerikaner, der Kevin O'Haras Haus gekauft hatte.

Randy und sein Freund Noel hatten den menschenscheuen Ei­genbrötler aufgesucht. Dabei hatte der Privatdetektiv Muerte gebeten, ihn unverzüglich anzurufen, wenn O'Hara sich in der Nähe seines Hau­ses blicken ließ.

Das schien nun auch passiert zu sein. O'Hara! Für kurze Zeit hatte Randy ihn vergessen. Doch nun

drängte sich die Erinnerung an diesen Teufel und an all die schreckli­chen Taten, die er begangen hatte, wieder in den Vordergrund.

»Mrs. Gill, ich...« »Was ist passiert, Mr. Muerte?« »Sie ließen mir Ihre Karte da! Sie sagten...« »Ich weiß, was ich gesagt habe, Mr. Muerte!«, fiel Randy dem

aufgeregten Mann ungeduldig ins Wort. »Ich habe Angst, Mr. Gill.« »Vor O'Hara?« »Ja. Er ist da. Er schleicht um das Haus herum. Ich habe ihn ge­

sehen, als ich zufällig zum Fenster hinausblickte. Mich traf vor Schreck beinahe der Schlag. Er will herein. Alle Türen und Fenster sind verrie­gelt, aber ich habe ihn an der Hintertür rütteln gehört. Mr. Gill, ich habe das Gefühl, wahnsinnig zu werden. Was soll ich tun? Ein Riegel kann diesen Teufel doch nicht abhalten, das Haus zu betreten, das ihm einmal gehörte. Er wird es mir wegnehmen. Er wird mich wahrschein­lich umbringen.«

»Versuchen Sie sich zu beruhigen, Mr. Muerte.« »Das kann ich nicht. Ich befinde mich in Lebensgefahr.«

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»Lassen Sie sich zu keiner unüberlegten Handlung hinreißen!« »Aber O'Hara...« »Verlassen Sie unter keinen Umständen das Haus!«, schärfte

Randy Gill dem Lateinamerikaner ein. »Er wird eine der Türen aufbrechen oder ein Fenster einschlagen.

O Gott, wenn ich doch bloß wüsste, wie ich mich verteidigen soll - und womit!«

»Passen Sie auf, Muerte, Sie tun gar nichts!« »O'Hara wird mich...« »Ich setze mich jetzt gleich in meinen Wagen und komme zu Ih­

nen.« »Oh, Mr. Gill, ich danke Ihnen. Hoffentlich kommen Sie nicht zu

spät!« »Ich werde rasen«, versprach Randy und ließ den Hörer auf die

Gabel fallen. Er eilte in seine Wohnung. Als Maggie George sein fahles Gesicht sah, stieß sie erschrocken

hervor: »Mein Gott, wie sehen Sie denn aus, Randy? Was ist los?« »Ich muss dringend weg.« »Wann kommen Sie wieder?« »Weiß ich nicht. Gehen Sie schlafen, wenn Sie müde sind. Sie

brauchen nicht auf mich zu warten und Sie brauchen auch keine Angst zu haben. Hier sind Sie sicher.«

»Es muss etwas Schreckliches passiert sein.« »Wir reden ein andermal darüber«, entgegnete Randy, drehte sich

um und stürmte aus seinem Büro.

*

Sie wollten nicht auffallen, deshalb betraten sie das Büro-Hochhaus nicht durch den Haupteingang, sondern wählten den Weg durch die Tiefgarage. Hier war die Gefahr, jemandem zu begegnen, wesentlich geringer.

Außerdem gab es zahlreiche Möglichkeiten, sich zu verstecken, falls dies nötig sein sollte.

»Das Baby wird Augen machen«, sagte Porter Liggett.

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»Der Schnüffler aber auch«, bemerkte Lino Loy grinsend. »Wir werden ihn nicht mit Samthandschuhen anfassen.« »So etwas besitze ich überhaupt nicht«, erwiderte Loy kichernd. »Gill ist 'ne Klapperschlange. Verdammt gefährlich.« »Deshalb werde ich ihm meinen Ballermann unter die Nase halten,

während du ihn zusammennagelst. Aber mach deinen Job gründlich, damit ihm ein für allemal die Lust vergeht, sich mit Ritt anzulegen.«

»Ich werde tüchtig zulangen, darauf kannst du dich verlassen«, kündigte Porter Liggett an.

Die Gangster, durchquerten die Tiefgarage mit raschen Schritten. Weit und unübersichtlich war der Parkraum.

Porter Liggett und Lino Loy strebten auf die Fahrstühle zu. Plötz­lich gab Loy einen zischenden Warnlaut von sich.

»Was ist?«, fragte Liggett. Lino Loy wies auf die Etagenanzeige eines Lifts. »Es kommt jemand!« Liggett schaute sich um. »In Deckung«, flüsterte er und verschwand hinter einem anthra­

zitfarbenen Caravan. Loy glitt von der anderen Seite hinter dasselbe Fahrzeug. Geduckt

warteten die Verbrecher. Der Aufzug sackte zur Tiefgarage ab. Augenblicke später öffneten sich die Türen. Das Kabinenlicht er­

hellte die markanten Züge eines blonden, gut aussehenden Mannes, der wie ein Topmanager der Großindustrie aussah.

Lino Loy stieß seinen Begleiter mit dem Ellenbogen an. »Das ist Randy Gill!«, sagte er leise. »Denkst du, ich kenn den nicht?«, gab Liggett ebenso leise zu­

rück. »Was tun wir?« Die Gangster beobachteten den Privatdetektiv. Gill war ahnungs­

los. Dies wäre eine günstige Gelegenheit gewesen, über ihn herzu­fallen und ihn niederzumachen.

»Wir kaufen ihn uns!«, entschied Porter Liggett. »Er hat es verdammt eilig.«

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»Komm, wir müssen ihn erwischen, bevor er seinen dicken Hin­tern in seine Karre schwingt.«

Lino Loy zog seinen Revolver. Er huschte geduckt hinter dem Ca­ravan hervor und hinter Randy Gill her.

Auch Porter Liggett folgte dem Detektiv. Randy – nichts ahnend - schob seine Hand in die Hosentasche. Er

holte die Wagenschlüssel heraus, erreichte seinen schwarzen Chevrolet Chevelle Malibu, schloss ihn auf, schwang sich hinter das Lenkrad und klappte die Tür zu. Ehe es die Gangster verhindern konnten, knurrte der Motor los. Dann setzte sich das Fahrzeug langsam in Bewegung.

Die Pneus pfiffen laut. Der Malibu gewann rasch an Fahrt. Die beiden Gangster hatten das Nachsehen. »Verdammter Mist!«, knirschte Lino Loy. Wütend stieß er seinen

Revolver in die Schulterhalfter. »Der Bursche hat mehr Glück als Verstand!«, sagte Liggett und

ließ seine Faust auf und ab wippen. »Na schön, dann lassen wir Punkt eins eben fallen und gehen zu

Punkt zwei über«, meinte Loy. »Wir wissen, wo sich Maggie versteckt hat. Fahren mit dem Lift rauf und holen sie uns.«

»Und Randy Gill soll leer ausgehen?« »Was sollen wir denn machen, wenn er nicht da ist.« Liggett rümpfte die Nase. »Das wird dem Boss nicht schmecken, Junge.« »Ich kann mir Randy Gill nicht herausschneiden...« »Ich hab 'ne bessere Idee.« »Lass hören«, verlangte Lino Loy. »Wo die Mieze ist, wissen wir, doch sie hat keine Ahnung davon.

Ob wir sie uns jetzt oder in 'ner Stunde holen, ist im Grunde ge­nommen Jacke wie Hose. In der Zwischenzeit können wir dem Schnüffler die Abreibung verpassen, die ihm der Boss zugedacht hat und um die er so billig nicht herumkommen darf.«

»Okay, dann gehen wir eben so vor.« »Ist doch viel besser, oder?«

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»Wird sich herausstellen«, erwiderte Lino Loy und beeilte sich, mit seinem Komplizen zum Mustang zurückzukehren.

Loy drückte kräftig auf die Tube. Es gelang ihnen tatsächlich, un­bemerkt hinter dem Privatdetektiv herzufahren. Am Ende dieser Fahrt sollte Randy Gill eine unliebsame Überraschung erleben. Das war je­denfalls von Liggett und Loy geplant. Doch aus ihrer Überraschung sollte nichts werden.

Das Schicksal hatte die Weichen bereits anders gestellt. Die furchtbaren Dinge, die erst kürzlich ihren Lauf genommen hat­

ten, sollten nun eine haarsträubende Fortsetzung finden.

*

Randy Gill lenkte seinen Wagen mit großer Geschwindigkeit über den Highway. Fieberhaft überlegte er. Die Situation war immer noch die­selbe. Kevin O'Hara war unverwundbar und Randy hatte nicht den blassesten Schimmer, wie er den lebenden Leichnam zum Teufel schi­cken konnte.

Dennoch war er felsenfest davon überzeugt, dass O'Hara einen schwachen Punkt hatte. Er hatte gehofft, genügend Zeit zur Verfügung zu haben, um gemeinsam mit Noel Wynn danach zu suchen.

Aber daraus war nichts geworden. Noel lebte nicht mehr und O'Hara hatte dafür gesorgt, dass Randy

schon wieder in Zugzwang geraten war. Der Privatdetektiv begriff, dass er nun auf sein Glück angewiesen

war. Wenn ihm der Zufall nicht zu Hilfe kam, würde er wahrscheinlich an diesem - seinem schwierigsten - Fall zerbrechen.

Kleine Schweißtröpfchen bildeten sich auf seiner Stirn. Unwill­kürlich musste er an die Worte seiner Mutter denken.

Wenn er am Verzweifeln gewesen war und schon aufgeben wollte, hatte sie immer gesagt: »Du musst wollen, mein Junge. Von ganzem Herzen, mit der ganzen Kraft deines Willens. Wenn man etwas ganz fest will, dann schafft man das auch.«

Sie hatte recht gehabt. Sehr oft hatte er seine hochgesteckten Ziele mit zäher Verbissenheit erreicht.

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Page 43: Das Teufelsherz

Würde er letzten Endes auch diesmal Erfolg haben? Er wagte kaum, das zu hoffen. Kevin O'Hara war seit seiner Rückkehr aus dem Totenreich nicht bloß um eine, sondern gleich um mehrere Nummern zu groß für ihn.

Er wusste nicht, wie er mit diesem schrecklichen Teufel fertig werden sollte. Trotzdem hatte er nicht das Handtuch geworfen.

Er hätte die Stadt verlassen und sich irgendwo verkriechen kön­nen, doch das war nicht sein Stil.

Er wollte bleiben und entweder siegen oder sterben. Eine dritte Möglichkeit gab es für ihn nicht. Sein Blick streifte die Armaturenbrettuhr. Es war kurz nach Mit­

ternacht. Über den nächsten Loop-Verteiler verließ er den Highway. Dass ihm ein Wagen folgte, fiel ihm nicht auf. Er war mit zu vielen

anderen Dingen beschäftigt. Als er in den Rückspiegel schaute, sah er das Fahrzeug zwar, aber dass der mit zwei Mann besetzte Mustang hinter ihm her war, kam ihm nicht in den Sinn.

Seine Gedanken kreisten ausschließlich um Kevin O'Hara, dem er in Kürze wieder begegnen würde.

Was dann? Wie würde dieses neuerliche Zusammentreffen enden? Orfeo Muerte fiel ihm ein. Der Mann stand in seinem Haus ver­

mutlich im Augenblick Todesängste aus. Randy drückte mehr aufs Gaspedal. Er erinnerte sich, sogar den menschenscheuen Mann verdächtigt

zu haben, als er sich die Frage gestellt hatte, wer Kevin O'Hara die Rückkehr aus dem Totenreich ermöglicht hatte.

Doch nun kam ihm dieser Verdacht unsinnig und dumm vor. Muerte gehörte selbst zu den gefährdeten Personen. Randy Gill

überlief es bei diesem Gedanken eiskalt. Wie lange ließ Kevin O'Hara sich davon abhalten, das Haus zu betreten, das ihm einst gehörte?

Was würde er tun, wenn er in dem Gebäude war, dessen Besitzer nun Orfeo Muerte hieß? Würde er sein Haus zurückverlangen? Oder würde er es sich einfach nehmen und den Mann töten, der ihm dieses Recht streitig machte?

Noch zwei Straßen, dann war Randy Gill am Ziel.

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Der Privatdetektiv stoppte den Malibu vor dem schäbigen Gebäu­de. Er sprang aus dem Fahrzeug und blickte sich nervös um.

Stille herrschte. Das konnte etwas Gutes, aber auch etwas Schlechtes bedeuten. Lebte Orfeo Muerte noch? Oder hatte ihm der lebende Leichnam bereits das Leben genommen?

Gleich würde es Randy wissen. Er hastete um den Chevrolet herum, erreichte die hüfthohe Git­

tertür und durchschritt gleich darauf den unkrautüberwucherten Vor­garten.

Seine Erregung wuchs. Er schlug ungestüm mit der Faust an die Tür und wartete mit brennender Ungeduld darauf, dass sie geöffnet wurde.

Als dies nicht sofort geschah, hämmerte er die Faust erneut gegen das Holz. Seine Sorge um den Lateinamerikaner drohte auszuufern.

Endlich reagierte Orfeo Muerte. »Ja«, kam es zaghaft durch die Tür. Randy Gill fiel ein wahrer Felsblock vom Herzen. »Sind Sie es, Mr. Gill?«, fragte Muerte. »Ja. Machen Sie auf.« Eine Kette rasselte. Ein Schlüssel drehte sich klackend im Schloss.

Dann schwang die Tür auf und Randy stand dem klapperdürren Mann gegenüber. Nach wie vor trug Muerte seinen schwarzen Kaftan aus grobem Leinen. Seine olivefarbene Haut wirkte welk. Er war sehr auf­geregt und blickte Randy mit seinen tiefschwarzen Augen beunruhigt an.

Nervös strich er sich über das weiße Kraushaar, das sich wie Wolle an seinen Kopf schmiegte.

»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Randy. »Ich bin nicht sicher.« »Was heißt das?« Der magere Mann hob die knöchernen Schultern. »Er kann in den Keller eingedrungen sein. Ich habe Geräusche

gehört und...« »Haben Sie nachgesehen?« »Ich bin nicht lebensmüde, Mr. Gill.«

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»Dann werde ich mal nach dem Rechten sehen«, sagte Randy. »Ist das nicht zu gefährlich?« »Wir müssen Gewissheit haben.« Der Lateinamerikaner gab die Tür frei. Randy betrat das Haus. Er

hatte keine Ahnung, ob er richtig handelte. Niemand konnte ihm sa­gen, wie man einen Wiedergänger bekämpfte und besiegte. Er musste selbst darauf kommen, musste seine eigenen Erfahrungen sammeln.

Orfeo Muerte schloss die Haustür. Randy wandte sich ihm zu. »Wo geht's in den Keller?« »Ich zeige Ihnen den Weg.« Muerte führte den Privatdetektiv durch die Diele. Sie bildete ein L

und endete vor einer dicken Bohlentür. Der Lateinamerikaner legte seine sehnige Hand auf die Klinke. »Da hinunter«, sagte er und zog die Tür langsam auf. Randy angelte seinen Colt aus der Schulterhalfter. Muerte wies darauf. »O'Hara ist doch schon tot. Sie können ihn nicht noch einmal er­

schießen, Mr. Gill.« »Es ist eine Angewohnheit, dass ich zur Waffe greife, wenn es für

mich brenzlig zu werden droht.« Orfeo Muerte blickte die Treppe hinunter. »Soll ich Sie begleiten?«, fragte er. Randy schüttelte den Kopf. »Nein, Mr. Muerte. Sie bleiben besser hier.« »Was soll ich tun, wenn Sie O'Hara dort unten aufstöbern?« »Abwarten.« »Und wenn er Sie - was der Himmel verhüten möge...« »Dann nehmen Sie Ihre Beine in die Hand und verschwinden so

schnell wie möglich aus diesem Haus. Rufen Sie Captain Frank Harris an. Er wird Ihnen helfen.«

Orfeo Muerte nagte an der Unterlippe. »Sie können sich nicht vorstellen, wie es in mir aussieht. Ein Wun­

der, dass ich das auf meine alten Tage überhaupt noch aushalte.« »Dann will ich mal«, sagte Randy und wandte sich um.

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Plötzlich veränderte sich Muertes Gesichtsausdruck. Randy sah es nicht, sonst wäre er stutzig geworden.

Abgrundtiefer Hass loderte in den schwarzen Augen des Latein­amerikaners. Er zauberte aus seinem wallenden Kaftan ein handliches Stück Hartholz hervor.

Ein breites gemeines Grinsen verzerrte sein hohlwangiges Gesicht. Er freute sich über den Triumph, denn der Privatdetektiv war ihm in die Falle gegangen. Jetzt brauchte er nur noch eines zu tun... Kraftvoll schlug er zu. Randy Gill brach wie vom Blitz getroffen zusammen und stürzte die Kellertreppe hinunter. An ihrem Ende blieb er reglos liegen.

Nun waren die Würfel endgültig gefallen.

*

Ein dumpfer Schmerz weckte ihn. Er merkte, dass er saß. Sein Kopf war auf die Brust gesunken. Er konnte sich nicht bewegen. Folglich musste er gefesselt sein. Eine leichte Übelkeit machte ihm zu schaffen.

Er bekämpfte sie mit tiefen Atemzügen. Noch war sein Geist be­nebelt, doch allmählich erholte er sich wieder.

Langsam hob er den Kopf. Ein unangenehmer Geschmack war in seinem Mund. Sein Denkapparat kam wieder in Schwung und er schalt sich einen Dummkopf, wie es keinen größeren auf dieser Welt gab.

Wie hatte er nur so naiv, so leichtgläubig sein können? Voll blin­dem Vertrauen war er dem Einsiedler in die Falle gegangen.

Einmal hatte Randy den Lateinamerikaner verdächtigt, er könnte etwas mit Kevin O'Haras Rückkehr aus dem Totenreich zu tun haben, doch dann hatte er diesen Gedanken als unsinnig und dumm wieder verworfen.

Nun hatte sich jedoch herausgestellt, dass es gar nicht so unsinnig und dumm gewesen war, was er sich nach seinem ersten Besuch in diesem Haus zusammengereimt hatte.

Orfeo Muerte steckte mit dem Killer aus dem Jenseits unter einer Decke. Dieser klapperdürre Mann im schwarzen Kaftan hatte es O'Hara ermöglicht, sich grausam zu rächen.

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Auf welche Weise hatte Muerte den Toten zurückgeholt? Randy war sicher, es nun zu erfahren. Aber würde er mit diesem Wissen noch etwas anfangen können? Er befand sich in Muertes Gewalt.

Der Lateinamerikaner hatte ihn für Kevin O'Hara gefangen, das stand fest. Und O'Hara würde ihn umbringen.

Dunkelheit umgab den Privatdetektiv. Randy versuchte die Fesseln loszuwerden. Er spannte die Muskeln an, dehnte und streckte seinen Körper, doch die Stricke gaben keinen Millimeter nach.

War er verloren? Sah so sein Ende aus? Schwitzend und keuchend bäumte er sich in den Fesseln auf. Es

nützte nichts. Er konnte sich noch so sehr anstrengen, an der Tatsa­che, dass er gefesselt war, änderte sich nichts.

Die Anstrengung trieb ihm das Blut in den Kopf und rief wieder den dumpfen Schmerz wach, der schon abgeebbt war.

Randy entspannte sich. Geräuschvoll stieß er die Luft aus. Plötzlich hatte er das untrügliche Gefühl, nicht allein zu sein. Jemand war in seiner Nähe.

Orfeo Muerte? Kevin O'Hara? Randy strengte seine Augen an. Er versuchte die Finsternis zu

durchdringen. Es gelang ihm kaum. Dass er vor sich eine vage Bewe­gung wahrnahm, konnte auch eine Täuschung sein.

Das Herz des Privatdetektivs schlug aufgeregt gegen die Rippen. Kam da jemand auf ihn zu?

War es sein Mörder? Randys Nerven vibrierten. Er dachte an die Menschen, die dem

Killer aus dem Totenreich zum Opfer gefallen waren: Abe Christie, Lie­utenant Simon, Mae Copperfield und Noel Wynn.

Sollte die Serie des Grauens nun mit ihm fortgesetzt werden? Er bekam eine Gänsehaut, seine Hände wurden feucht, starr wa­

ren seine Augen in die Dunkelheit gerichtet. Alles in ihm war in Aufruhr. Er wollte nicht sterben. Er war ein

nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft.

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Maggie George wartete in seiner Wohnung auf seine Rückkehr. Sie brauchte ihn und er konnte mit ihrer Hilfe eine ganze Menge für New York und gegen Randolph Ritt unternehmen.

Es gab noch so vieles für ihn zu tun. Er brauchte sein Leben noch. Er durfte es nicht verlieren.

Aber hatte er eine Möglichkeit, dies zu verhindern? Ein hohn triefendes Lachen jagte ihm kalte Schauer über den Rü­

cken. Er zuckte wie unter einem Stromstoß zusammen. »Randy Gill, der clevere Privatdetektiv - übertölpelt wie ein blu­

tiger Anfänger!«, hallte es durch die Finsternis. Das war Orfeo Muertes Stimme gewesen. »Verdammt, Muerte, das wird Sie teuer zu stehen kommen!«,

schrie Randy Gill wütend. Licht flammte auf - eine nackte Glühbirne, die an einem Draht von

der Decke hing. Randy Gill befürchtete, dass Muerte in Gesellschaft von O'Hara

war, doch das war nicht der Fall. Noch nicht! Wieder lachte der Lateinamerikaner. Er trat vor den Privatdetektiv. »Ich scheine ein guter Schauspieler zu sein. Es fiel mir nicht

schwer, Sie zu täuschen.« »Warum haben Sie das getan, Muerte? Warum haben Sie mich

hierher gelockt und niedergeschlagen?« »Erraten Sie's nicht?« »Was haben Sie mit mir vor?« »Ich unterstütze O'Hara. Ich bin ein ungeduldiger Mensch. Es dau­

ert mir schon zu lange, bis der Wiedergänger seinen Rachedurst ge­stillt hat. Deshalb habe ich die Sache ein bisschen beschleunigt, damit ich den lebenden Leichnam danach für andere Aufgaben heranziehen kann.«

Randy konnte kaum fassen, was er hörte. »Wo ist O'Hara?«, fragte er. »Er wird bald hier sein.«

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Page 49: Das Teufelsherz

»Wer sind Sie, Muerte? Ein Hexer? Ein Zauberer? Wie haben Sie es geschafft, O'Hara aus dem Totenreich zurückzuholen? Das ist doch Ihr Werk, oder?«

»O ja, das ist es und ich bin sehr stolz darauf«, tönte der Mann im schwarzen Kaftan.

Randys Blick huschte durch den Kellerraum, dessen Wände schwarz gestrichen waren. Auf einer roh gezimmerten Holzkiste lag der Colt des Detektivs. Unerreichbar für ihn.

Im Hintergrund des Raumes entdeckte Randy Gill einen schwarzen Holzschrein, der bis zur Decke hinaufreichte und dessen Türen ge­schlossen waren. Unwillkürlich drängte sich Randy der Verdacht auf, dass Orfeo Muerte in diesem Schrein ein grauenvolles Geheimnis auf­bewahrte.

Würde der Lateinamerikaner die Türen öffnen und ihm zeigen, was sich darin befand? Einerseits wollte es Randy Gill wissen, ande­rerseits hatte er Angst davor, das Geheimnis zu kennen.

»Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit Schwarzer Magie«, sagte Orfeo Muerte ernst. »Es ist eine faszinierende Wissenschaft, mit deren Hilfe man Tore in schreckliche Dimensionen aufstoßen kann. Wer sie beherrscht, dem sind die Mächte der Finsternis Untertan und er kann unvorstellbare Taten vollbringen. Doch das Gebiet der Schwar­zen Magie ist groß, die Materie ist schwierig. Man muss viel Geduld aufbringen, um in die Bereiche des Bösen vordringen zu können. Viele Experimente gehen daneben und nur wer sich nicht durch die Misser­folge entmutigen lässt, wird von der Hölle eines Tages reich belohnt. Meiner zahlreichen Experimente wegen hat man mich in meiner Hei­mat verfolgt. Ich war gezwungen, von einer Stadt in die andere zu ziehen, floh über Grenzen in andere Länder, konnte nirgendwo lange bleiben und in Ruhe arbeiten. Das war der Grund, weshalb ich mich entschloss, nach New York zu gehen. Hier in dieser Riesenstadt, dem Schmelztiegel der Nationen, beabsichtigte ich unterzutauchen, denn ich hatte etwas Großes vor.«

Orfeo Muertes Augen funkelten in wilder Leidenschaft. »Sie sind verrückt!«, stieß Randy Gill grimmig hervor.

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»Mein Eifer, mein bedingungsloser Einsatz für die Sache des Bö­sen wurden schon nach wenigen Tagen mit Erfolg gekrönt«, erzählte Muerte weiter. Er schien froh darüber zu sein, endlich einmal mit sei­nen Leistungen prahlen zu können.

»Was haben Sie denn so Großes vollbracht?«, fragte Randy ver­ächtlich.

»Ich habe etwas geschaffen, was vor mir noch keiner fertig ge­bracht hat!«

»Was denn?« »Viele Magier haben es versucht, doch keinem ist es gelungen. Es

ist eine schwarze Großtat, das darf ich ohne Übertreibung behaupten.« »Was ist es denn, verdammt noch mal?« »Tage- und nächtelang habe ich alle Dämonen beschworen, die

mir namentlich bekannt waren. Ich habe sie in dieses Haus eingeladen und sie sind alle gekommen. Sie haben mir die Namen anderer wichti­ger Wesen aus dem großen Höllenheer verraten. Auch diese waren Gast in meinem Haus und jeder schenkte mir einen wertvollen Tropfen seines schwarzen Dämonenblutes.«

Randy Gill blickte auf den hohen Schrein. »Und dieses Blut bewahren Sie da drin auf, richtig?« »So ist es«, bestätigte Orfeo Muerte grinsend. »Das nennen Sie eine schwarze Großtat?« »Ich bin mit meinem Bericht noch nicht fertig.« »Was kommt noch?« Der Magier begab sich zum Schrein. »Sie sind der erste und zugleich der letzte Mensch, vor dem ich

mein Geheimnis lüfte, Mr. Gill.« »Soll ich mich geehrt fühlen?« »O ja, das sollen Sie, denn Sie werden etwas Einmaliges erleben.

Etwas, das es bisher auf der Welt noch nicht gegeben hat. Hier ist es: Das Teufelsherz!«

Muerte riss die beiden Türen auf und Randy Gill hielt den Atem an, als er das von Orfeo Muerte geschaffene Organ erblickte.

*

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Page 51: Das Teufelsherz

Es war viel größer als das Herz eines Menschen. Grauenerregend sah es aus und es schwebte. Tiefschwarzes Dämonenblut pulsierte in ihm. Es zuckte regelmäßig und im gleichen Tempo, wie Randy Gills Herz schlug. Ein Netz dünner grauer Äderchen umspannte es.

Randy war überwältigt. Dieses Organ des Bösen lebte. Und ein Mensch hatte es geschaf­

fen! »Ungeheure Kräfte wohnen in ihm«, erklärte Orfeo Muerte stolz. Randy Gill spürte, dass der Magier die Wahrheit sagte. In diesem

Teufelsherz war das Blut vieler Dämonen vereinigt. Das war geballte Kraft. Eine höllische Macht belebte das Herz und Randy spürte deutlich die bedrohliche Ausstrahlung, die davon ausging.

»Halten Sie mich immer noch für verrückt?«, fragte Muerte. »Mehr denn je!« »Weshalb?« »Kein Mensch, der seine Sinne beisammen hat, ließe es sich ein­

fallen, sich mit dem Teufel einzulassen, Muerte!« »Sie wissen nicht, wozu die Mächte der Finsternis fähig sind.« »Es kommt niemals etwas Gutes dabei heraus!« »O doch - wenn man bereit ist, nach den Gesetzen der Hölle zu

leben.« »Sind Sie das?« »Selbstverständlich.« »Was bezwecken Sie damit?« »Ich habe Kevin O'Hara mit Hilfe des Teufelsherzens aus dem

Grab geholt. Er wird mir - nachdem er sich gerächt hat - als wil­lenloses, unverwundbares Werkzeug zur Verfügung stehen.«

»Und wie gedenken Sie ihn einzusetzen?« »Ich werde mir mit O'Haras Hilfe einen guten Platz in der Hölle

verschaffen.« »Wenn das nicht verrückt ist, dann...«, sagte Randy. »Es gibt Menschen, die tun alles, um in den Himmel zu kommen.

Warum soll es also nicht auch Menschen geben, die das Gegenteil an­streben, Mr. Gill?«

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»Weil es pervers ist. Im Himmel erwartet uns die Glückseligkeit. In der Hölle herrschen Unglück und Leid.«

»Oh, da sind Sie aber völlig falsch unterrichtet, Mr. Gill. Auch in der Hölle gibt es erstrebenswerte Positionen. Man kann sie sich erkau­fen.«

»Womit? Welche Währung gilt dort unten denn?« »Die höchste, die wir besitzen. Es gibt in den Dimensionen des

Grauens kein wertvolleres Zahlungsmittel als die Seele eines Men­schen. Und Kevin O'Hara wird mir davon eine ganze Menge verschaf­fen. Solange dieses Teufelsherz schlägt, wird O'Hara leben und mir gehorchen. Ist das nicht genial?«

Randy leckte sich aufgeregt die Lippen. »Mann, was Sie tun, ist an Gefährlichkeit nicht mehr zu über­

bieten.« »Das weiß ich. O'Hara, dieses Teufelsherz und ich - wir drei stellen

eine furchtbare Bedrohung für New York dar. Niemand kann uns Ein­halt gebieten. Eine dämonische Bombe tickt und die Menschen in die­ser Stadt haben davon nicht die leiseste Ahnung.«

»Auch Sie sind gefährdet!«, behauptete der Detektiv. »Unsinn, Gill...« »Glauben Sie im Ernst, dass sich die Mächte der Hölle von Ihnen

gängeln lassen? Sie werden sich eines Tages gegen Sie wenden und Sie vernichten.«

»Sie befinden sich im Irrtum, Gill.« »Sind Sie sicher?« »Absolut sicher. Ich bin mit dem Bösen verbündet. Von ihm droht

mir keinerlei Gefahr.« »Ich rate Ihnen, dieses Teufelsherz zu zerstören, Muerte.« Der Magier grinste. »Sie möchten, dass ich Ihnen das Leben rette. Aber geben Sie

sich keiner falschen Hoffnung hin. Daraus wird nichts.« »Sie retten damit auch Ihr eigenes Leben, begreifen Sie das denn

nicht?«

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»Es hat mich fast ein ganzes Leben gekostet, dieses Teufelsherz zu schaffen, Mr. Gill und es wird niemals geschehen, dass ich es wie­der vernichte.«

Randy Gill schauderte. Der Magier war wahnsinnig. Die Bedro­hung, die er heraufbeschworen hatte, würde bald seiner Kontrolle ent­gleiten.

Die Mächte der Finsternis ließen sich von keinem Sterblichen diri­gieren, das würde Orfeo Muerte schon bald erfahren.

Aber dann würde es zu spät sein - für ihn, für Randy und für New York.

*

Ein Geräusch - oben auf der Treppe - erschreckte den Privatdetektiv, denn es verriet ihm, dass er dieses Spiel nun endgültig verloren hatte.

Ein mitleidloses Lächeln huschte über die Züge des Magiers. Randy konnte die Person, die das Geräusch verursacht hatte, nicht

sehen. Er wusste dennoch, dass es sich um Kevin O'Hara handelte. Der Killer aus dem Jenseits war eingetroffen, um seine Rache ab­

zuschließen. Unwillkürlich stellten sich Randy Gills Nackenhärchen hoch.

Langsam kam der lebende Leichnam die Stufen herunter. Randy beobachtete das Teufelsherz. Mit unbeirrbarer Regel­

mäßigkeit schlug es weiter, immer weiter. Der Detektiv schaffte es nicht, ruhig sitzen zu bleiben. Er begann

heftig an den Fesseln zu zerren, doch die Stricke lockerten sich nicht. »Es nützt alles nichts«, spottete Orfeo Muerte. »Sie sind verloren,

Mr. Gill. Fügen Sie sich in Ihr unvermeidliches Schicksal.« »Solange ich atme, werde ich um mein Leben kämpfen«, knirschte

der Detektiv. »Du wirst nicht mehr lange atmen«, sagte O'Hara hinter ihm. »Los, O'Hara!«, rief der Magier ungeduldig aus. »Erledige ihn!« Randy spürte die eiskalten Finger des Toten. Kevin O'Haras Hand

strich über seinen schweißnassen Nacken.

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Page 54: Das Teufelsherz

»Er hat Angst!«, stellte der Wiedergänger zufrieden fest. »Todes­angst!«

»Mach ihn fertig! Mach Schluss mit ihm!«, verlangte Muerte. Nun trat O'Hara vor Randy. Leichenblass. Mit fahlen Lippen und

blutunterlaufenen Augen. Eine grauenerregende Erscheinung. »Ich wollte, dass du der letzte bist, Gill, denn du solltest am mei­

sten von allen leiden - schließlich war es deine Kugel, die mich getötet hat. Ich habe deine Freunde umgebracht und dir gezeigt, dass du machtlos gegen mich bist. Mit jedem Mord tastete ich mich näher an dich heran und du konntest es nicht verhindern. Deine Nerven wurden auf eine harte Probe gestellt.«

»Red nicht so viel!«, schrie Muerte. »Bring den Schnüffler endlich um!«

O'Hara grinste. »Hörst du ihn? Er kann es kaum noch erwarten, dich sterben zu

sehen. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken, deshalb werde ich ihm den Gefallen wohl tun müssen.«

Randys Körper durchjagten eisige Schauer. Keine Chance? Hatte er wirklich keine Chance mehr? Der Würger aus dem Totenreich hob die weißen Hände. Seine Fin­

ger zuckten, als er sie spreizte. »Dir werde ich das Sterben am schwersten machen, Gill!«, kün­

digte er an. In Randys Kopf fuhren die Gedanken Karussell. Fieberhaft suchte

er nach einem Ausweg aus dieser tödlichen Situation, nach einer ret­tenden Idee.

Plötzlich kam ihm eine. Im allerletzten Augenblick, denn die kalten Hände des Würgers hatten sich bereits um seinen Hals gelegt.

»Feigling!«, zischte er. »Es ist keine Kunst, einen wehrlosen Mann zu erwürgen.«

»Ich hätte mit dir genauso leichtes Spiel, wenn du nicht gefesselt wärst.«

»Das möchte ich sehen.« »Lächerlich!«

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Page 55: Das Teufelsherz

»Du scheust also den Kampf?« »Versprichst du dir im Ernst etwas davon?«, fragte der lebende

Leichnam überheblich. »Ich würde mich mit Klauen und Zähnen verteidigen.« »Es würde dir nichts nützen.« »Sag Muerte, er soll mir die Fesseln abnehmen!«, verlangte Randy

Gill. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht. »Als ich deinen Freund, den Lieutenant, tötete, versuchten mich

drei bärenstarke Bullen daran zu hindern. Ich habe sie wie Flöhe abge­schüttelt!«, sagte der Tote.

»Die wussten nicht, wie man dich fertigmachen kann.« »Weißt du es?« »Ja!«, behauptete Randy Gill. »Jetzt auf einmal?«, erwiderte der lebende Leichnam ungläubig. »Was ist?«, drängte ihn Randy. »Nimmst du die Herausforderung

an? Oder kneifst du?« »Ich werde dir beweisen, dass du ein lächerlicher Wicht bist!«,

knurrte Kevin O'Hara. Blitzschnell trat er einen Schritt zurück und ver­langte von Orfeo Muerte, seinem Opfer die Fesseln abzunehmen.

Während der Magier an den Knoten herumfummelte, schickte Randy Gill ein Stoßgebet zum Himmel.

Herr, lass es klappen! Lass es, um alles in der Welt, klappen, sonst bin ich verloren!

*

Lino Loy und Porter Liggett hatten aus sicherer Entfernung beob­achtet, wie Randy Gill aus dem schwarzen Chevrolet Chevelle Malibu sprang und gleich darauf in einem Haus verschwand, das wie die Mini­aturausgabe eines verwunschenen Schlosses aussah.

Die Eile des Detektivs hatte ihre Neugier geweckt. »Zuerst rast er wie die Feuerwehr und dann rennt er, dass er fast

die Absätze verliert«, sagte der schwergewichtige Liggett grinsend. »Was hat das denn zu bedeuten?«

»Dass er's eilig hat.«

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»Darauf wäre ich selbst wohl nie gekommen«, knurrte Liggett. »Deshalb hab' ich's dir ja verraten«, gab Loy zurück. »Ob es in der alten Bruchbude brennt?« »Irgendwie schon.« »Wir könnten uns das ja mal ansehen. Was meinst du als Laie da­

zu?« »Ich platz vor Neugier genauso wie du«, erwiderte Lino Loy. »Was das für Hindernisse sind, bis man Gill endlich seine Prügel

verabreichen kann!« »Dafür werden sie hinterher um so kräftiger ausfallen«, meinte

Loy. »Das ist ein Wort.« Lino Loy fuhr ein Stück näher an das alte Haus heran, dann stie­

gen die beiden Verbrecher aus. Unbemerkt betraten sie den Vorgarten, in dem das struppige Un­

kraut wucherte. Eine Distel bohrte ihre harten Stacheln in Porter Lig­getts Handrücken. Der Gangster zerbiss einen ordinären Fluch zwi­schen den Zähnen. Er streckte die Zunge weit heraus und leckte sich das Blut ab.

»Bist ein typischer Städter«, stellte Lino Loy fest. »Du weißt dich mit der Natur nicht mehr abzufinden.«

»Verdammt, Unkraut hat doch wohl nichts mit Natur zu tun.« »Ein Botaniker würde sich die Haare raufen, wenn er dich so re­

den hört.« »Ist mir piepegal.« Die Männer schlichen rechts am Haus vorbei

und versuchten durch eines der Fenster einen Blick in das Innere des Gebäudes zu erhaschen. Doch sämtliche Übergardinen waren zugezo­gen und dort, wo dies möglicherweise nicht der Fall war, waren die Fenster mit Brettern vernagelt.

Hinter dem Haus war das Unkraut genauso hoch wie im Vorgar­ten.

Porter Liggett entdeckte eine Tür. »Die knacken wir und dann hören wir uns an, was drinnen läuft«,

entschied er.

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»He, warum geben wir dem Schnüffler nicht gleich da drinnen, was ihm zusteht?«, fragte Lino Loy.

Liggett griente. »Ja. Warum eigentlich nicht?« Sie näherten sich der schmalen Tür. Plötzlich vernahm Loys feines Ohr ein leises Knacken. Sofort rammte er seinem Begleiter den Ellenbogen in die Seite. »Da treibt sich außer uns noch jemand auf dem Grundstück her­

um«, flüsterte er. »Erstaunlich frequentiert, die Gegend, was?« Die Gangster trennten sich. Sie bogen nach links und rechts ab

und verschwanden im hohen Unkraut, indem sie sich flach auf den Bauch legten und sich vollkommen ruhig verhielten.

Schleifende Schritte näherten sich ihnen. Lino Loy beschlich ein eigenartiges Gefühl. An und für sich war er

kein ängstlicher Typ. Solange er seine Kanone bei sich trug, war er zuversichtlich, dass ihm nichts passieren konnte, denn mit dem Schießeisen in der Hand wusste er sich seiner Haut zu wehren.

Aber in diesen Sekunden empfand Loy so etwas wie Furcht. War es die Finsternis? Die unheimliche Umgebung? Die ge­

spenstischen Geräusche, die immer näher kamen? Loy ärgerte sich über die Angst, die sich immer deutlicher in ihm

ausbreitete. Er kämpfte dagegen an, versuchte sie zu verscheuchen, doch sie blieb. Es kostete ihn einige Überwindung, den Kopf zu heben, als die Person, die durch die Dunkelheit schlich, knapp an ihm vorbei­ging.

Im selben Moment übersprang Lino Loys Herz einen Schlag. Er traute seinen Augen nicht. Trotz der Finsternis erkannte er das kalkweiße Gesicht eines Man­

nes. Schaudernd stellte Loy fest, dass die Lippen des Fremden blutleer waren und sein Blick gebrochen war.

Loy hatte den Eindruck, den Verstand zu verlieren. Sein Puls raste. Sofort zog er den Kopf wieder ein und hoffte, der Kerl möge ihn nicht entdecken.

Ohne Eile ging der Mann weiter.

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Loy wartete, bis der Unheimliche sich vier Meter von ihm entfernt hatte, erst dann nahm er seine Geiernase wieder aus dem Unkraut.

Käfer krabbelten ihm über die Finger. Er schüttelte sie angewidert ab. Da erschrak er zutiefst, denn ihm wurde bewusst, dass er damit ein Geräusch verursacht hatte, das den Fremden auf ihn aufmerksam machen konnte.

Doch der Bleiche setzte seinen Weg unbeirrt fort. Lino Loy schluckte trocken. Der Unheimliche erreichte die Hintertür und öffnete sie. Sie war

nicht abgeschlossen. Als die Tür hinter dem Mann zuklappte, atmete Loy erleichtert auf. Aber er erhob sich noch nicht.

Eine innere Stimme riet ihm, übervorsichtig zu sein. Nur nichts überstürzen.

Loy ließ eine Minute verstreichen. Nichts rührte sich. Auch Porter Liggett nicht. Loy stemmte sich behutsam hoch.

Er schielte unsicher zum Haus und suchte dann den Komplizen. Aber Liggett war immer noch auf Tauchstation.

»Pst!«, machte Lino Loy leise. »Ja?« »Entwarnung! Die Gefahr ist vorüber!« Loy stand auf. Der sonst so rabaukenhafte Liggett erhob sich äußerst zögernd. Er

fuhr sich mit seiner großen Tatze über die Augen und schüttelte den Kopf.

Loy ging zu ihm hinüber. »Du scheinst dasselbe wie ich gesehen zu haben.« »Aha! Und was hab' ich gesehen?« »Einen Toten, 'ne Leiche. Einen Kerl, der von 'ner Kugel 'n Loch im

Schädel hat.« »Dann hab' ich also nicht geträumt.« »Ebenso wenig wie ich.« »Aber wie ist so etwas denn möglich? Wie kann 'ne Leiche hier

herumstelzen?« »Dasselbe wollte ich gerade dich fragen.« »Junge, wenn wir das dem Boss erzählen, sind wir unseren schö­

nen Job los. Ritt würde uns glatt für verrückt halten.«

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Loy feixte. »Er muss ja nicht alles erfahren«, schlug er vor. »Du sagst es. Ob sich Gill wegen dieses Unheimlichen so beeilt

hat?« »Möglich«, meinte Loy. »Der Top-Schnüffler von New York trifft

sich nachts mit 'nem Toten. Das ist 'n Hammer, was? Gehen wir ins Haus?«

Porter Liggett schüttelte erschrocken den Kopf. »Bist du meschugge?« »War ja nur 'n Scherz.« »Keine zehn Pferde bringen mich da rein.« »Mich auch nicht«, sagte Lino Loy. Als er den Vorschlag machte, zum Wagen zurückzukehren, hatte

Porter Liggett nicht das Geringste dagegen einzuwenden.

*

Kevin O'Hara wartete. Randy Gill blickte an ihm vorbei. Seine Augen waren auf das Teufelsherz gerichtet, das unaufhörlich zuckte. Damit hatte Orfeo Muerte tatsächlich etwas Einmaliges geschaffen, aber er brauchte nicht stolz darauf zu sein, denn dieses dämonische Organ war eine furchtbare Gefahr für die Menschheit.

Fortwährend pulsierte das schwarze Dämonenblut durch die Herz­kammern. Gigantische Kräfte befanden sich in diesem Herz. Kräfte, die die Welt an einen furchtbaren Abgrund bringen konnten.

Orfeo Muerte hatte den Mächten der Finsternis eine schreckliche Basis geschaffen, von der aus sie operieren würden.

Heute war es nur Kevin O'Hara, der aus seinem Grab gestiegen war. Morgen schon konnte das Teufelsherz weitere Gewaltverbrecher aus dem Totenreich zurückholen.

Eine Armee des Grauens konnte aufstehen und mordend und brandschatzend über New York herfallen.

Schreckensvisionen quälten Randy Gill. Wenn das Böse die Herr­schaft über New York an sich gerissen hatte, würde es auf andere Städte übergreifen.

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Washington würde fallen. Eine von der Hölle eingesetzte Regie­rung konnte den gesamten Globus in ein Chaos stürzen.

Schaudernd schloss der Privatdetektiv die Augen. Er spürte, wie Orfeo Muerte, dieser wahnsinnige Schwarzmagier, an seinen Fesseln herumnestelte.

»Wie lange dauert das denn noch?«, knurrte Kevin O'Hara. »Gleich...« »Verdammt, warum nimmst du nicht ein Messer und schneidest

die Stricke durch?« Randy Gill vernahm sofort das Schnappen einer einrastenden Klin­

ge. Wenige Sekunden später war er in der Lage, Hände und Füße zu bewegen.

Er erhob sich. Ein taubes Gefühl war in seinen Fingern. Er bewegte sie wie ein

Klavierspieler vor dem Konzert. Muerte warf die Stricke hinter sich, steckte das Messer ein und

stellte den Stuhl zurück, auf den Randy gebunden gewesen war. O'Hara starrte den Detektiv mit seinen blutunterlaufenen Augen

mordlüstern an. »Zufrieden, Gill?« »Zufrieden bin ich erst, wenn du endgültig tot bist, O'Hara.« »Das wirst du nicht erleben.« »Abwarten!« »Klopf keine Sprüche!«, höhnte der lebende Leichnam. »Bereite

dich lieber aufs Sterben vor, denn aus diesem Haus kommst du nicht lebend raus!«

Langsam kam der Tote näher. Und jetzt schlug das Teufelsherz auf einmal schneller. Das Ge­

schehen schien das Höllenorgan aufzuregen. Es war also auch zu Ge­fühlen fähig.

*

Er war nicht immer der ›King‹ gewesen. Lange Zeit war es mit Ran­dolph Ritt auf und ab gegangen. Mal hatte er so viel Geld besessen,

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dass er sich schon beinahe reich vorgekommen war. Mal hatte er froh sein müssen, dass man ihm wenigstens das Leben gelassen hatte.

Er war mehrmals aufgestiegen und wieder heruntergefallen, doch das hatte ihn nicht daran hindern können, immer wilder und rück­sichtsloser zur Spitze vorzudrängen.

Höhen und Tiefen schmiedeten seinen Charakter. Sein Wille war unbeugsam. Er schuf eherne Gesetze, nach denen sich alle richten mussten. Wer sich darüber hinwegsetzte, spielte leichtfertig mit sei­nem Leben.

Immer mehr Menschen begriffen das und diejenigen, die weiterhin die Stirn hatten, sich Ritts Sturmlauf entgegenzustellen, verschwanden rasch von der Bildfläche und tauchten in Leichenschauhäusern wieder auf.

Einer seiner wagemutigen Anläufe brachte Randolph Ritt schließ­lich eine Position ein, von der er sich nicht mehr verdrängen ließ.

Geschickt baute er sie aus und scharte Männer um sich, die nicht billig, dafür aber verdammt gut waren.

Ritt siebte gewissenhaft und diese Sorgfalt machte sich schnell bezahlt. Nur die besten Männer arbeiteten für ihn.

Im Handumdrehen hatte er eine schlagkräftige Truppe aufgebaut, vor der die andern Gangs zittern mussten.

Und nun ging Randolph Ritt daran, Terrain zu erobern. Er un­terbreitete den Bossen seine Vorschläge und stellte es ihnen anheim, anzunehmen oder abzulehnen.

Jene, die ablehnten, starben allesamt keines natürlichen Todes. Nur die klugen Bosse überlebten.

Sie machten Ritt zum König von New Jersey. Er hatte von nun an das Sagen und sie mussten nach seiner Pfeife tanzen. Aber das war ihnen immer noch lieber, als ganz aus dem Geschäft oder gar tot zu sein.

Da Ritt nicht unverschämt war, sondern von ihnen nur so viel ver­langte, wie sie leicht bezahlen konnten, ging es ihnen genau ge­nommen nun besser als früher, denn sie hatten keine Sorgen mehr.

Ritt nahm sie ihnen ab - und sie genossen auch seinen Schutz.

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Aber Ritt drohte sich zu übernehmen. Er mutete sich zuviel zu. Er kümmerte sich zu sehr um alles, war gestresst. Sein Hausarzt hatte ihn bereits mehrfach gewarnt und ihm geraten, die Arbeit nicht zu über­treiben und seinen Eifer ein wenig zu bremsen.

Doch das schaffte Randolph Ritt einfach nicht. Er kam von ganz unten, wusste, wie deprimierend es dort war und

wollte nie wieder in die Gosse zurück. »Wenn Sie so weitermachen«, hatte der Doc neulich gesagt, »ist

der Tag nicht mehr fern, an dem die Pumpe streikt.« »Okay, dann habe ich bis dahin aber mein Leben gelebt«, hatte

Ritt geantwortet. Nach dieser Antwort hatte der Arzt dieses Thema nie wieder angeschnitten. Es hätte ja doch keinen Sinn gehabt.

Niemand hätte Randolph Ritt angesehen, dass er der gefährlichste Gangsterboss von New Jersey war. Er sah wie ein Filmstar aus, kleide­te sich elegant, mit gutem Geschmack und wenn er nicht wütend war, wusste er sich sogar gut zu benehmen.

Nur wenn man ihn reizte, streifte er die guten Manieren blitz­schnell ab und präsentierte sich so, wie er wirklich war: beinhart und gemein.

Er blickte soeben auf seine Uhr. An seiner Schläfe zuckte eine A­der. Ein Zeichen, dass er auf hundert war.

»Verdammt, wieso dauert das denn so lange?«, knurrte er. Jerry Cox, sein Leibwächter, hob gleichmütig die Schultern. Ihn

konnte nicht so leicht etwas aus der Ruhe bringen. Er war ein aalglatter Typ mit den stechenden Knopfaugen einer

Giftschlange. Er war seinem Boss treu ergeben, denn nirgendwo war es ihm jemals besser gegangen als bei Randolph Ritt.

»Gut Ding will Weile haben«, meinte Cox. »Verschone mich jetzt mit dämlichen Sprüchen, zum Teufel, ja?

Wie lange ist das denn schon her, seit Porter angerufen hat?« »Halbe Stunde.« »Es muss schon länger her sein«, sagte Ritt. »Vielleicht fünfundvierzig Minuten.« »Sie wissen, wo Maggie steckt, haben nichts weiter zu tun, als

dem Schnüffler die Fresse einzuschlagen und die Puppe hierher zu

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bringen - aber es tut sich nichts. Die Sache müsste doch schon längst gelaufen sein. Warum rufen die Idioten denn nicht an?«

»Möglicherweise ist was schief gegangen«, bemerkte Jerry Cox. Randolph Ritt streckte die Hand aus. »Gib mir eine Zigarette.« »Doc Abraham hat gesagt...« »Doc Abraham kann mich mal! Kreuzweise! Ist es seine Gesund­

heit oder meine, die dabei draufgeht?« Jerry Cox lächelte. »Es geht auch ein bisschen um die Gesundheit unserer Organisa­

tion, Boss. Wenn du diesen Haufen nicht mehr zusammenhältst, zer­fällt er. Dann splittert sich die Ritt-Gang auf.«

Randolph Ritt winkte ab. »Ist mir doch egal«, brummte er. »Nach mir die Sintflut. Und jetzt

her mit 'nem Stäbchen, bevor ich ungemütlich werde!« Cox zupfte zwei Zigaretten aus der Packung. Auch er klemmte sich

ein Stäbchen zwischen die Lippen. Sie rauchten schweigend. »Etwas schief gegangen!«, griff Ritt den Gesprächsfaden schließ­

lich wieder auf. »Mann, wenn Lino und Porter nicht in der Lage sind, Maggie zurückzubringen, sollen sie es ja nicht wagen, mir noch mal vor die Augen zu treten. Der Blitz würde sie treffen!«

Ritt lief ruhelos auf und ab. Er hatte ein unangenehmes Gefühl in der Brust. Es war kein Schmerz, nur ein eigenartiges Unwohlsein.

Fluchend drückte er die Zigarette im Aschenbecher aus und schluckte eine von den riesigen grünen Kapseln, die ihm Doc Abraham verschrieben hatte und die er einnehmen sollte, wenn er sich fühlte, wie er sich im Augenblick fühlte.

Es dauerte auch nicht lange, da ging es ihm schon wieder besser. Aber ruhelos war er immer noch. Er drosch die Faust auf den Maha­gonitisch.

»Verflucht, jetzt reicht's mir aber! Ich hab's satt, hier auf glühen-den Kohlen herumzustelzen!«

»Was willst du dagegen unternehmen, Boss?« »Ich werde die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen.«

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»Ist das klug, Boss?«, fragte Jerry Cox zweifelnd. »Ich meine, du hast eine Menge Leute, denen du einen Haufen Geld bezahlst.«

»Ja, aber die Erfahrung hat mich gelehrt, dass nur dann etwas so erledigt wird, wie ich es haben will, wenn ich es selbst mache!«

Cox musste den weißen Continental aus der Garage holen. Außer diesem besaß Randolph Ritt noch sechs weitere Fahrzeuge. Er hätte an jedem Tag in der Woche mit einem anderen Auto fahren können. Ritt setzte sich neben seinen Leibwächter auf den Beifahrersitz.

»Wo Randy Gill wohnt, ist dir ja bekannt«, sagte er. »Es gibt nicht viele, die in unserer Branche tätig sind und diese

Adresse nicht kennen«, erwiderte Jerry Cox. »Dann fahr los.« Sie verließen New Jersey auf dem kürzesten Weg und erreichten

Manhattan durch den Holland Tunnel. Wenig später rollte der Conti­nental durch Brooklyn und wechselte schließlich nach Queens über.

Ritts Wangenmuskel zuckten. »Randy Gill!«, knurrte er. »Zum Henker, kannst du mir sagen, wa­

rum ich diesen Schnüffler nicht schon lange fertiggemacht habe?« »Er ist wie ein Stück nasse Seife: Verdammt schlecht zu packen.« »Wir werden ihn so sehr durch den Wolf drehen, dass hinterher

kein Hund mehr 'nen Knochen von ihm nimmt.« »Und wenn er dann immer noch Zicken macht?« »Dann legst du ihn um!« Jerry Cox grinste breit. »Das wäre ganz nach meinem Geschmack, Boss.«

*

Das Teufelsherz schlug schneller. Es regte sich auf. Randy Gills aufmerksamer Blick richtete sich auf Kevin O'Hara.

Nun konnte er den Killer aus dem Jenseits nicht mehr länger hinhalten. Der lebende Leichnam wollte seine grausame Rache abschließen.

Schon ging er in Angriffsstellung. Knisternde Spannung herrschte im Kellerraum.

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Orfeo Muerte hatte sich zurückgezogen. Mit fanatisch funkelnden Augen beobachtete er die Szene.

O'Hara näherte sich seinem Opfer. Randys Kleider waren so feucht, als wäre er in einen Platzregen geraten. Der Schweiß rann ihm kalt über die Wirbelsäule.

Kevin O'Hara schnellte auf ihn zu. Randy sprang zur Seite. Er rammte die Arme des Wiedergängers

von sich. Die weißen Hände des Toten verfehlten ihn. Geduckt federte Randy vorwärts. Gleichzeitig stellte er seinem

Gegner ein Bein. Der lebende Leichnam knallte hart gegen die Wand, stieß ein zorniges Knurren aus und kreiste herum.

Aus der Drehung heraus schlug er zu und wenn Randy Gill nicht so blitzartig reagiert hätte, hätte es böse für ihn ausgesehen.

Die Wucht des ins Leere gehenden Schlages riss Kevin O'Hara nach vorn. Randy Gill nützte den Schwung des gefährlichen Gegners geschickt aus.

Der Wiedergänger bekam von ihm einen Karatetritt, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte. O'Haras Hände zuckten Halt suchend durch die Luft, ehe er schwer zu Boden krachte.

Orfeo Muerte wurde nervös. Es gefiel ihm nicht, dass O'Hara so lange brauchte, um den Detektiv zu töten.

Als der Tote auf dem Boden gelandet war, erfüllte Randy Gill ein unbeschreibliches Triumphgefühl.

Jetzt war er sicher, dass er es schaffen würde. Er zweifelte nicht mehr daran, Kevin O'Hara besiegen zu können. Es gab eine Möglichkeit, den Wiedergänger zum Teufel zu schi­

cken. Randy wandte sich von O'Hara ab, als dessen Körper den Keller­

boden berührte. Mit einem weiten Satz war er bei jener Holzkiste, auf die der Magier seinen Colt Agent gelegt hatte.

Ein folgenschwerer Fehler! Muerte erkannte Randy Gills Absicht. Seine Augen weiteten sich in

panischem Entsetzen. »Nein!«, brüllte der Lateinamerikaner.

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Doch Randys Finger waren um den Revolverkolben bereits zuge­schnappt. Der Privatdetektiv schwang die entsicherte Waffe sofort hoch.

Der Mann im schwarzen Kaftan stürmte schreiend durch den Kel­ler. Es sah aus, als würde ein riesiger schwarzer Fetzen durch den Raum fliegen.

Kevin O'Hara sprang auf. Alles passierte innerhalb weniger Se­kunden. Orfeo Muerte machte einen Wettlauf mit Randy Gills erster Kugel.

Endlich wusste der Privatdetektiv, wie er den lebenden Leichnam vernichten konnte.

Muerte hatte es ihm verraten. Nicht auf O'Hara musste er schießen. Auch nicht auf den

Schwarzmagier. Aber auf das Teufelsherz! Denn solange es schlug, lebte Kevin O'Hara. Eiskalt visierte Randy

Gill das Teufelsherz an. Das dämonische Organ raste jetzt. Es war in großer Gefahr. Die Bedrohung regte das Teufelsherz mächtig auf. Es zuckte in großer Hast.

Auch O'Hara begriff, was Randy Gill vorhatte und ihm war klar, dass seine Existenz in dem Augenblick ein Ende hatte, wo Randys Ku­gel das Teufelsherz traf.

Deshalb wollte der Wiedergänger den Schuss verhindern. Aber Randy Gill krümmte bereits den Finger am Abzug. Brüllend

entlud sich die Waffe. Orfeo Muerte hatte das wild pochende Teufelsherz fast erreicht. Er

wollte seine Vernichtung um jeden Preis verhindern, wollte das Sa­tansorgan mit seinem Körper schützen.

Wie eine zusammengedrückte Sprungfeder, die man plötzlich los­lässt, schnellte der Magier vorwärts. Und er schaffte es. Er war schnel­ler beim Teufelsherz als Randy Gills Geschoß.

Das Projektil traf nicht das Höllenorgan, sondern den Mann im schwarzen Kaftan. Gurgelnd brach Orfeo Muerte zusammen.

Noch im selben Augenblick hauchte er sein verdorbenes Leben aus.

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Der Misserfolg machte Randy Gill konfus. Er hatte damit gerech­net, dass gleich der erste Schutz sitzen und alles entscheiden würde.

Für einen zweiten Schuss ließ ihm O'Hara keine Zeit. »Ja, Gill!«, schrie der Wiedergänger. »So hätte es laufen können,

aber du warst nicht schnell genügt.« Wild griff der lebende Leichnam an. Randy hatte große Mühe, sich

dem gefährlichen Griff des Toten immer wieder zu entziehen. Ein Faustschlag entwaffnete ihn. Der Colt Agent kreiselte über den

Boden. Kevin O'Hara drängte ihn sofort vom Revolver ab. »Jetzt ist es endgültig aus mit dir!«, kündigte O'Hara an. Randy wich vor seinen Hieben zurück. Es war fast schon zu spät,

als er merkte, dass der Wiedergänger ihn in einer Ecke in die Enge treiben wollte.

Er konnte weder nach links noch nach rechts ausweichen und vor ihm stand Kevin O'Hara.

Instinktiv ließ Randy sich fallen. Er stieß sich mit beiden Beinen von der Wand ab, schlug einen ra­

santen Purzelbaum, dessen Schwung ausreichte, um ihn wieder auf die Beine zu bringen und dann flog er mit einem weiten Hechtsprung durch die Luft.

O'Hara drehte sich. Randy landete hart auf dem Boden. Er verbiss den Schmerz. Abermals bekam er seinen Colt zu fassen. Auf dem Boden liegend

rollte er herum. Zwei Kugeln jagte er aus dem Lauf. Sie stießen den Wiedergänger zurück. Wertvolle Sekunden schlugen für Randy zu Bu­che.

Er flitzte hoch. Im Beidhandanschlag zielte er. Diesmal konnte O'Hara den Schuss auf das Teufelsherz nicht mehr

verhindern. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall. Eine lange Feuer­lanze stach aus der Mündung. Obwohl Randy Gill angeschlagen und so aufgeregt war wie noch nie in seinem Leben, verfehlte er sein Ziel nicht.

Mit ungeheurer Präzision traf die Kugel.

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Das Geschoß zerstörte das schwebende Teufelsherz mit großer Wucht.

Laut zerplatzte das Satansorgan. Fast schwarzes Dämonenblut klatschte gegen die Wände. Einige

Tropfen trafen auch Randy Gill. Er achtete nicht darauf. Die Freude darüber, letztlich doch noch gesiegt zu haben, ließ ihn einen Ju­belschrei ausstoßen.

Das Teufelsherz existierte nicht mehr. Die größte Bedrohung, der New York jemals ausgesetzt war, war

gebannt. Endlich! Triumphierend wandte sich Randy um. Ein eiskaltes Grinsen ver­

zerrte seine Züge. »Siehst du, O'Hara!«, rief er. »Es hat schließlich doch noch ge­

klappt!« Der Wiedergänger wankte. Schmerzen rasten durch seinen Körper. Er fasste sich an die Brust

und röchelte schaurig. Aber Randy hatte kein Mitleid mit dem Rächer aus dem Totenreich.

»Das ist die Revanche, O'Hara!«, schrie er dem Toten ins bleiche Gesicht. »Für Abe Christie! Für Dan Simon! Für Mae Copperfield und für Noel Wynn! Fahr zur Hölle! Stirb! Stirb noch einmal! Und bleib diesmal tot - für immer!«

Kevin O'Hara machte einen unsicheren Schritt vorwärts. Randy Gill wich zurück. »Stirb!«, fauchte er. »Das Teufelsherz existiert nicht mehr! Du bist

erledigt!« Der lebende Leichnam vermochte sich nicht mehr langer auf den

Beinen zu halten. Verzweiflung zuckte in seinem bleichen Gesicht. Er fiel auf die Knie und streckte Randy die Hände entgegen, als wollte er um Hilfe flehen.

»Es ist aus, O'Hara!«, keuchte Randy begeistert. »Aus und vor­bei!«

»Rette mich, Gill!« »Ich müsste verrückt sein!« »Bitte, Gill...«

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»Ich könnte es nicht einmal, selbst wenn ich wollte.« »Doch, du könntest es.« »Wie denn?« »Das Dämonenblut... Ah!« Der Schrei des Wiedergängers war markerschütternd. Er bäumte

sich wild auf. Panik erfasste ihn. Sein teigiges Antlitz verzerrte sich und drückte unsägliche Pein aus. Dann fiel er nach vorn aufs Gesicht und regte sich nicht mehr.

Kevin O'Hara war zum zweiten Mal tot!

*

Randy Gill konnte es kaum fassen. Es war ihm wirklich gelungen, mit den Höllenmächten aufzuräumen. Lange Zeit hatte es nicht danach ausgesehen. Furchtbar schlecht hatte es um ihn gestanden und er hätte selbst keinen löchrigen Cent mehr für sein Leben gegeben.

Reglos stand er da. Er fürchtete, dass das alles nur ein Traum war, aus dem er jeden Moment erwachen konnte. Und dann lebten Orfeo Muerte und Kevin O'Hara wieder...

Es dauerte eine Weile, bis er seinen Sieg verkraftet hatte. Nein, es war kein Traum. Kevin O'Hara und Orfeo Muerte waren wirklich tot - und er war al­

len Widernissen zum Trotz am Leben geblieben. Unfassbar, aber wahr! Schwer lag der Colt in seiner Faust. Er bemerkte es jetzt erst und

schob die Waffe in die Schulterhalfter. Das Dämonenblut fiel ihm auf. Tiefschwarz glänzten die Tropfen

auf seinen Händen. Er ekelte sich davor und wollte sie abwischen, doch das gelang ihm nicht. Nicht einmal verschmieren ließen sie sich.

Sie lebten auf seiner Haut und waren nicht abzukriegen. Seltsam! Randy Gill wusste nicht, was er davon halten sollte. Aber er war

zuversichtlich, dass es ihm schon irgendwie gelingen würde, sich von dem schwarzen Zeug zu befreien.

Erstmal weg von hier!, dachte der Privatdetektiv. So rasch wie möglich nach Hause! Maggie George wartet!

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Er warf noch einen letzten Blick auf Orfeo Muerte und Kevin O'Ha­ra - und plötzlich kamen ihm Zweifel, ob er richtig gehandelt hatte.

Ärgerlich schlug er sich mit der flachen Hand auf die Stirn. »Verdammt noch mal, tickst du denn auf einmal nicht mehr rich­

tig?«, fragte er sich. »Was soll denn an dem, was du getan hast, falsch gewesen sein?«

Er redete sich ein, sich selbst und der Stadt einen großen Dienst erwiesen zu haben. Aber irgendwo im Hintergrund seines Geistes mel­dete eine Stimme ernste Bedenken an.

Abrupt drehte er sich um. Er wollte den Keller verlassen, doch plötzlich hielt er mitten in der

Bewegung inne. »Was ist denn das?«, entfuhr es ihm. Verwirrt blickte er auf seine Hände. Die schwarzen Flecken waren

kleiner geworden. Verdampfte das Dämonenblut etwa auf seiner Haut? Diesen Eindruck hatte er nicht. Das Gegenteil schien eher der Fall

zu sein: Langsam, aber stetig, schien das Dämonenblut in seine Haut einzusickern.

Verflucht, ja! Das schwarze Blut der Dämonen drang in seinen Körper ein.

Randy Gill reagierte auf diese Wahrnehmung mit Entsetzen. Was hatte das zu bedeuten? War der Horror denn noch nicht zu

Ende? Was hatte ihm Kevin O'Hara über das Dämonenblut sagen wol­len, kurz bevor ihn der Tod ereilte?

Der Privatdetektiv merkte, wie er wieder zu schwitzen begann. Heftig wischte er über die hässlichen schwarzen Tropfen, doch sie blieben auf seiner Haut, drangen in sie ein und wurden zusehends kleiner.

»Du saugst das Dämonenblut auf wie ein Schwamm!«, stellte Randy erschüttert fest.

Die kleineren Tropfen waren von seiner Haut bereits verschwun­den und er spürte, dass er sie nun in sich hatte.

Das Blut von Dämonen befand sich in seinem Körper!

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Es begann sich mit seinem Blut zu vermischen und in seinen A­dern zu kreisen. Schaudernd fragte er sich, was das für Folgen haben würde.

Würde das Dämonenblut ihn umbringen? Musste er jetzt doch noch sterben? Ihm war, als hörte er fremde Stimmen, die in seinem Kopf waren.

Er glaubte sich zu verändern. Mit jenem Zweifel, ob es richtig gewesen war, Muerte und O'Hara unschädlich zu machen, war ein gefährlicher Anfang gemacht.

Immer mehr Tropfen verschwanden. Randy Gill hatte das Gefühl, seine Persönlichkeit würde sich all­

mählich spalten. Zwei Lager schienen sich in seinem Inneren zu bilden: Gut und Böse. Sie bezogen gegeneinander Stellung.

Randy befürchtete, dass es zum Kampf kommen würde. Er ver­suchte dies verzweifelt zu verhindern, doch er war machtlos. Er konnte die unheilvolle Entwicklung, die in seinem Geist und in seinem Körper ablief, nicht unterbinden.

Mehr und mehr wuchs die Angst in ihm, dass das Böse über das Gute siegen könnte. Was dann? Was wurde dann aus ihm?

Würde er dann noch in der Lage sein, dem Gesetz objektiv zu sei­nem Recht zu verhelfen? Würde er korrupt und bestechlich werden? Würde man ihn in ungesetzliche Machenschaften hineinziehen können. Würde er es mit dem Töten von Menschen nicht mehr so besonders genau nehmen?

Randy fuhr sich entsetzt an die Lippen. »Verdammt, welchen Weg werde ich einzuschlagen gezwungen

sein?«, keuchte er betroffen. Abermals streifte sein Blick Muerte und O'Hara - und plötzlich

stand es für ihn fest, dass es falsch gewesen war, die beiden unschäd­lich zu machen.

Er riss sich von diesem Anblick los und stürmte die Kellertreppe hinauf. Der Kampf zwischen Gut und Böse hatte bereits begonnen.

Randy versuchte für das Gute Partei zu ergreifen und das Böse aus seinem Körper zu vertreiben, doch die schwarze Macht ließ das nicht zu. Sie zwang ihn, sich neutral zu verhalten.

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Er war bestürzt und verzweifelt, er hatte panische Angst vor dem, was das Dämonenblut, das durch seine Adern floss, aus ihm machen würde.

*

»Der Boss wird schon ungeduldig sein«, sagte Porter Liggett. Lino Loy zuckte mit den Schultern. »Gill kann nicht mehr lange in diesem Haus bleiben.« »Angenommen, dieser unheimliche Bleiche killt den Schnüffler

dort drinnen, dann können wir bis in alle Ewigkeiten darauf warten, dass er wieder rauskommt.«

»Hast du einen besseren Vorschlag?« »Wir könnten das mit Gill lassen. Die Dresche kann er auch ein

andermal beziehen.« »War doch schon lange meine Idee«, sagte Loy. »Aber davon

wolltest du doch nichts wissen.« Liggett massierte seine Nase. »Du weißt, wie kurz Ritts Geduld ist. Allmählich dauert mir das

hier zu lange. Lass uns Maggie abholen und beim Boss abliefern.« »Wollen wir nicht noch fünf Minuten warten - wo wir doch schon

mal hier sind?« »Wenn es wenigstens eine Möglichkeit gäbe, den Boss anzuru­

fen...« »Nicht mehr nötig«, fiel Lino Loy dem Komplizen ins Wort. »Da ist

Gill schon.« Liggett sah den Privatdetektiv ebenfalls. Er grinste. »Sieht nicht ganz taufrisch aus, der Junge, was?« »Ist ein bisschen bleich um die Nase«, stellte Loy erfreut fest. »Scheint sich nicht ganz wohl zu fühlen.« »Dieses Unwohlsein wollen wir gleich mal 'n bisschen vertiefen«,

bemerkte Lino Loy. »Los, komm!« Die Gangster stiegen aus dem Mustang. Sie eilten auf Randy Gill

zu. Der Detektiv schien sie nicht wahrzunehmen. »Was mag sich in dem Haus abgespielt haben?«, raunte Liggett.

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»Ist doch unwichtig«, gab Loy leise zurück. Mit einer fließenden Bewegung holte er seinen Ballermann aus der Schulterhalfter.

Randy Gill erreichte seinen Malibu. Lino Loy legte auf ihn an. »Stopp, Gill!«, rief er. Jetzt erst schien der Privatdetektiv die beiden Verbrecher zu be­

merken. Er drehte sich um. Loy und Liggett näherten sich ihm grin­send.

»Na«, sagte Lino Loy. »Ist das eine gelungene Überraschung?« Randy Gill warf ihnen einen eiskalten Blick zu. In seinen Augen

war ein Ausdruck, der die Gangster eigentlich hatte stutzig machen müssen.

Doch sie fühlten sich dem Schnüffler weit überlegen. »Was wollt ihr von mir?«, fragte Randy knurrend. »Ein kluges Kerlchen wie du kann sich das sicher denken«, er­

widerte Porter Liggett. »Randolph Ritt ist mächtig sauer auf dich.« »Kannst du uns folgen?«, fragte Lino Loy höhnisch. »Ich denke, das kann ich«, gab Randy Gill frostig zurück. »Du hättest Maggie George nicht bei dir aufnehmen dürfen,

Schnüffler!«, sagte Liggett. »Sondern?« »Es wäre besser für dich gewesen, wenn du die Puppe umgehend

zu Ritt zurückgeschickt hättest. Das hätte dir eine Menge Hiebe er­spart.«

»Ach, wollt ihr mich etwa verdreschen?« »Wir werden dir zu einem längeren Krankenhausaufenthalt ver­

helfen, mein Junge. Du wirst wochenlang nur flüssige Nahrung zu dir nehmen können!«

»Hoffentlich wird dir das eine Lehre sein«, sagte Lino Loy. »Du bist bestimmt nicht so verrückt, dich noch mal mit Randolph Ritt anzu­legen.«

Randy Gills Gesichtshaut wurde fahl. In seinen Augen glomm eine fremde Glut auf. Die Gangster hätten sich vor ihm in acht nehmen sollen, doch sie ahnten nicht, welche Gefahr ihnen drohte.

Woher hätten sie auch wissen sollen, dass dieser Mann auf einmal Dämonenblut in seinen Adern hatte?

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Der Privatdetektiv machte eine unwillige Handbewegung. »Macht, dass ihr verschwindet!« Loy lachte. »Das nenne ich Mut. Der Bursche sitzt bis zur Halskrause in der

Scheiße und riskiert trotzdem die große Lippe.« Randy Gill atmete heftig. Sein Brustkorb hob und senkte sich

rasch. »Haut ab, ihr Blödmänner, ehe mir der Geduldsfaden reißt!« »Erst sorgen wir noch dafür, dass du reif für die Intensivstation

bist«, sagte Porter Liggett. Er wollte sich auf den Detektiv stürzen. Lino Loy nahm dabei eine

Position ein, von der aus es ihm möglich war, den Schnüffler mit seiner Waffe in Schach zu halten.

Doch Randy Gill dachte nicht daran, sich zu fügen. Es passierte ganz plötzlich. Er riss den Mund auf. Sein Gebiss glich dem eines gefährlichen

Raubfisches. Er stieß ein furcht erregendes Gebrüll aus. Ein heftiges Zittern durchlief seinen Körper und im selben Moment

begann er sich zu verwandeln. Das Dämonenblut ermöglichte ihm die Metamorphose, Er wurde schlagartig zur Bestie.

Rabenschwarze Spinnenhaare bedeckten seinen Körper. Facet­tenaugen quollen aus dem Kopf, während aus dem blutroten Rachen schwefelgelbe Flammen schlugen.

Der Detektiv bot einen grauenerregenden Anblick. Porter Liggett prallte zurück. Lino Loy war dermaßen geschockt,

dass er nicht fähig war, seine Waffe auf das Monster abzufeuern. »Das gibt's doch nicht!«, stieß Liggett heiser hervor. Randy Gills Aussehen veränderte sich ständig. Er wurde zum Tiger

und zum Ghoul. Das Blut vieler Dämonen war nun in ihm und sein Äußeres richtete sich danach.

Fauchend griff er den bulligen Liggett an. Er hieb mit seiner harten Tatze nach dem Gangster. Porter Liggett entging dem Treffer nur mit großer Mühe. Er krei­

selte schreiend herum und hetzte davon.

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Ein Tritt des Monsters schleuderte Lino Loy auf den Asphalt. Der Verbrecher heulte auf. Seine Waffe entfiel ihm. Er rollte mehrmals herum, sprang verstört auf und suchte dann ebenfalls mit langen Sät­zen das Weite.

Randy Gill nahm wieder menschliches Aussehen an. Ein sa­tanisches Lächeln umspielte seine Züge. Er hatte nicht die Absicht, Liggett und Loy so billig davonkommen zu lassen. Das Dämonenblut in ihm verlangte das Leben dieser beiden Männer und das wollte er sich holen.

In dieser Nacht noch. Wo die Kerle wohnten, wusste er. Aber zunächst wollte er nach Hause gehen. Zu Maggie George. Er

bleckte gierig die Zähne. Vampirzähne! Und er verspürte plötzlich einen unbändigen Hunger nach Men­

schenblut, den er unbedingt stillen musste. Zu Hause.

*

Er setzte sich in den Malibu. Von Liggett und Loy war nichts mehr zu sehen. Randy Gill startete den Motor. Der Chevrolet rollte an. Das Böse hatte in ihm Oberwasser bekommen. Zwar tobte noch ein erbitterter Kampf, doch die schwarze Macht gewann mehr und mehr Terrain.

Sein Inneres wurde vom Bösen überschwemmt und verseucht. In den wenigen Augenblicken, in denen sich das Gute für kurze

Zeit die Vormachtstellung erkämpfen konnte, war er entsetzt. Was war aus ihm geworden? Ein Scheusal! Ein Monster! Ein Dämon! Eine Gefahr für die Menschen in dieser Stadt, denn die schwarze

Macht hasste die Menschen, lechzte nach ihrem Leben, wollte sie ins Unglück stürzen und ihnen die Seelen aus dem Leib reißen.

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Und er, Randy Gill, verkörperte nun diese schwarze Macht. Sie war in ihm, hatte sich in ihm eingenistet, breitete sich immer mehr in ihm aus und war nicht mehr zu vertreiben.

Randy Gill war in seinen wenigen hellen Momenten unglücklich. Tränen rannen ihm aus den Augen. Er war kein zuverlässiger Verfech­ter des Guten mehr.

Sein Wesen konnte sich schlagartig ändern. Wie das Wetter im Gebirge.

Dr. Jekyll - Mr. Hyde. Ja, so etwas war aus ihm geworden. Eine gefährliche Person, vor

der man sich nicht genug in acht nehmen konnte. Von dem Augenblick an, als Kevin O'Hara aus dem Totenreich zurückgekehrt war, war Ran­dy Gills Niedergang vorgezeichnet gewesen, ohne dass er es geahnt hatte.

Jetzt, als das Gute gerade oben war, fragte er sich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Kevin O'Hara ihn getötet hätte.

Aber hätte sich für New York in diesem Fall etwas geändert? Nein. Dann hätte die Bedrohung O'Hara geheißen. Und so heißt sie Gill!

Randy schauderte. Ihm wurde schwarz vor den Augen. Es brodelte in seinem Inne­

ren. Ein schneidender Schmerz durchzuckte ihn. Er konnte gerade noch bremsen. Als er den Chevrolet zum Stehen

gebracht hatte, verlor er das Bewusstsein. Wach wurde er erst wieder durch die Schläge, die ihm jemand auf

die Wangen gab. Bleischwer waren seine Lider. Er musste sich unheimlich anstrengen, sie zu heben. Gleichzeitig

entsetzte ihn der Mordtrieb, der in ihm aufwallte. Verzweifelt kämpfte er dagegen an. Mühsam unterdrückte er die

unbändige Blutgier. Ein junger Mann war über ihn gebeugt. Er hatte ein offenes, freundliches Gesicht und gute Augen.

Randy verspürte den ungeheuren Wunsch, dieses junge Leben zu vernichten. Er war fast rasend vor Hunger.

»Dem Himmel sei Dank«, sagte der junge Mann aufatmend. »Ich kam hier zufällig vorbei. Als ich Sie so über dem Lenkrad hängen sah, befürchtete ich das Schlimmste.«

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Die Gier wollte Randy Gill überwältigen. Aber er gab nicht nach. »Wie fühlen Sie sich?«, erkundigte der junge Mann. »Es geht schon wieder«, keuchte Randy. »Ein kleiner Schwäche­

anfall.« »Haben Sie das öfter?« »Heute zum ersten Mal.« »Sie sollten zum Arzt gehen.« »Das werde ich.« »Wohnen Sie weit von hier?« »Nicht sehr weit.« »Sie sollten nicht mit dem Auto nach Hause fahren.« »Ich bin schon wieder okay.« »Sie könnten noch einmal schlapp machen. Möchten Sie, dass ich

Sie nach Hause fahre?« »Das kann ich nicht von Ihnen verlangen.« »Oh, es würde mir nichts ausmachen.« »Ich lehne trotzdem dankend ab.« Die schwarze Macht geißelte Randy Gill. Erbittert setzte sich das

Gute zur Wehr. Es errang einige wichtige Punkte. Ihm war klar, dass er schnellstens weiterfahren musste. Wenn er noch länger hier blieb, war dieser ahnungslose hilfsbereite junge Mann verloren.

»Seien Sie nicht unvernünftig«, sagte der Bursche. »Lassen Sie mich in Ruhe!«, schrie Randy ihn an. »Verschwinden

Sie! Nun machen Sie schon, dass Sie fortkommen!« »Ein bisschen freundlicher könnten Sie schon sein...« »Wenn Sie nicht augenblicklich abhauen, passiert ein Unglück!« »Ich hätte wissen müssen, dass Sie ein undankbarer Verrückter

sind, denn dann hätte ich mich nicht um Sie gekümmert«, sagte der junge Mann beleidigt.

Randy Gill würgte den ersten Gang rein und raste los. Es geschah zum Wohle des Jungen, doch wie hätte dieser das wissen sollen?

*

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Da Maggie George wusste, dass sie sowieso nicht schlafen konnte, verzichtete sie darauf, zu Bett zu gehen. Sie war viel zu aufgeregt. Obgleich sie sich in Randy Gills Wohnung relativ sicher fühlte, wurde sie dennoch die Angst nicht los, einer von Randolph Ritts Männern könnte auf die Idee kommen, sie hier zu suchen.

Randy hatte ihr geraten, sich hier wie zu Hause zu fühlen und sie hielt sich daran. Nachdem sie zwei Bourbons getrunken hatte, zitterten ihre Nerven nicht mehr ganz so arg.

Sie beabsichtigte, auf Randy Gills Rückkehr zu warten. Bis dahin wollte sie die Zeit mit einem Buch totschlagen, doch schon nach weni­gen Zeilen erkannte sie, dass sie zum Lesen nicht die Ruhe hatte.

Nachdem sie im Fernsehen alle Kanäle durchgeschaltet, jedoch nichts gefunden hatte, was ihr zugesagt hätte, stöberte sie in der Vi­deothek des Privatdetektivs herum und entdeckte einen alten Film, den sie vor Jahren schon zwar gern gesehen hätte, aber immer wieder verpasst hatte.

Sie schob die Kassette in das Videogerät und drückte auf den Startknopf. Der Film lenkte sie ab, nahm ihr die Furcht und das Gefühl, allein in der Wohnung zu sein.

Die Zeit verging dennoch schleppend. Maggie hoffte, dass Randy Gill nicht allzu lange fortblieb. Da sie noch einen Bourbon vertragen konnte, holte sie sich einen. Plötzlich - sie befand sich gerade auf dem Rückweg zum Sessel -

vernahm sie ein Geräusch. Nebenan. Im Büro. Das musste Randy Gill sein. Maggie war froh, dass er wieder da war.

Sie stellte das Glas auf den Tisch und öffnete die Tür, die in das Büro des Privatdetektivs führte.

Im selben Moment stieß sie einen heiseren Schrei aus, denn vor ihr stand nicht Randy Gill, sondern - Randolph Ritt mit Jerry Cox.

Ritt grinste. »Sieh nur, Jerry, wie sie sich freut, mich wieder zu sehen!«

Schlagartig wurde er ernst. »Wo ist Gill?« »Er ist nicht da«, antwortete Maggie George heiser. Sie hatte

furchtbare Angst. Ritt würde sie bestimmt wieder schlagen.

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»Hast dich verlaufen, Baby, nicht wahr?«, sagte Randolph Ritt lei­se. Er wirkte vollkommen ruhig. Aber Maggie kannte ihn. Wenn er so war, war er am gefährlichsten.

»Wie-wieso weißt du, dass ich hier bin?«, stammelte die Frau. »Loy und Liggett haben es mir verraten. Du hättest vorsichtiger

sein müssen, Kleines.« »Ich dachte, das wäre ich gewesen.« »Irrtum. Ich habe Loy und Liggett aufgetragen, Gill gehörig die

Leviten zu lesen und dich wieder nach Hause zu bringen. Wieso ist das nicht geschehen?«

»Ich habe keine Ahnung, Randolph.« »Lüg nicht. Was hat Gill mit meinen Männern gemacht? Hat er sie

der Polizei übergeben?« »Ich weiß es wirklich nicht. Loy und Liggett waren nicht hier, Ran­

dolph. Ich schwör's dir.« Ritt blickte die blonde Frau mit schmalen Augen an. »Ehrlich gesagt, ich hätte nicht gedacht, dass du den Mut auftra­

gen würdest, noch mal wegzulaufen - nach dem, was, dich beim er­sten Mal danach erwartet hat. Ich hatte gehofft, die Strafe würde dich davon abhalten, es noch mal zu tun, aber sie war wohl nicht hart ge­nug.«

Ein Schweißfilm glänzte auf Maggie Georges Gesicht. Die junge Frau zitterte vor Angst.

Ihre Augen schwammen in Tränen. »Ich - ich hab's einfach nicht mehr ausgehalten, Randolph.« »Undankbares Miststück! Habe ich dir nicht alles gekauft, was du

haben wolltest?« »Die Schläge, Randolph, wenn du getrunken hattest... Ich hätte

gern auf die Kleider und den Schmuck verzichtet, wenn du mich dafür nicht immer mit deinen Fäusten...«

Ritt fletschte die Zähne. »Du gehörst mir, Baby und ich kann mit dir machen, was ich will!« »Ich bin ein menschliches Wesen, Randolph!« »Du bist nichts weiter als ein gut aussehendes Luder. Ich werde

dafür sorgen, dass du mir bestimmt nicht noch mal davonläufst.«

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»Ich bitte dich, schlag mich nicht wieder.« »Kannst du mir eine andere Strafe nennen, die ebenso wirksam

ist?«, fragte Randolph Ritt eiskalt. »Ich verspreche dir, dich nie wieder zu verlassen.« »Los, komm mit, wir gehen!« »Was hast du denn vor, Randolph?« »Wir fahren nach Hause.« »Und dann?« »Erinnerst du dich nicht mehr daran, was nach deinem ersten

Ausreißversuch passierte?«, fragte Randolph Ritt gemein grinsend. »Diesmal kommt's dicker.«

Maggie George schüttelte heftig den Kopf. »Dann komme ich nicht mit.« »Baby, du musst.« »Lieber sterbe ich.« »Drisch keine leeren Phrasen!«, fiel Ritt der verzweifelten Frau ins

Wort. »Komm jetzt!« Maggie wich einen Schritt zurück. Ritt hatte nicht die Absicht, ihr

ihren Willen zu lassen. Deswegen war er nicht hergekommen. Er machte Jerry Cox ein ungeduldiges Zeichen.

Daraufhin setzte sich dieser in Bewegung. »Er soll mir vom Leib bleiben, Randolph!«, stieß Maggie aufgeregt

hervor. Ritt grinste. »Was hast du gegen Jerry?«, fragte er unschuldig. »Er ist ein brutaler Henkersknecht.« »Deine Menschenkenntnis ist miserabel, Baby. Jerry ist ein ver­

dammt netter Junge. Er tut alles, was ich ihm sage.« Maggie versuchte sich blitzschnell in Randy Gills Wohnung zurück­

zuziehen. Sie wollte die Tür zuwerfen und hoffte, dass sie sich ab­schließen ließ. Doch Jerry Cox durchschaute ihren Plan.

Bevor sie ihn ausführen konnte, sprang er auf sie zu. Er packte sie derb und riss sie an sich. Ihrer Kehle entrang sich ein schmerzhafter Schrei. Cox drehte ihr den Arm auf den Rücken.

Gott, wie hasste sie diesen gemeinen Schergen.

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Cox stieß sie vor sich her. Sie war nicht in der Lage stehen zu ­bleiben, denn in diesem Fall hätte ihr Cox vermutlich den Arm ge­brochen.

Ritt war damit einverstanden, wie sein Leibwächter mit ihr um­sprang. Er nickte zufrieden.

»Gehen wir!« Sie schickten sich an, das Büro des Privatdetektivs zu verlassen.

Doch es kam ihnen etwas dazwischen. Sie vernahmen plötzlich ein aggressives Knurren. Randolph Ritt

wirbelte wie von der Tarantel gebissen herum. Er erblickte Randy Gill. Der Detektiv stand mitten im Raum. Nie­

mand hatte ihn eintreten gehört. Ein unheimliches Feuer loderte in seinen Augen und seine Haltung

ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er nicht gewillt war, den Weg freizugeben.

*

Ritt bleckte die Zähne. »Da ist er ja!«, zischte er. Randy Gill sagte nichts. Er starrte den Gangsterboss hasserfüllt an.

Doch der merkte nicht, dass reine Mordlust in Gills Augen lag. »Junge, dein Maß ist voll!«, sagte Ritt grimmig. »Dass du mir ein

lukratives Geschäft verdorben hast, habe ich gerade noch geschluckt, weil du überdurchschnittlich gute Beziehungen zu den Bullen hast. Aber jetzt, da du auch noch Maggie Unterschlupf gewährt hast, um mir erneut eins auszuwischen, werde ich darauf keine Rücksicht mehr nehmen.«

»Was hast du vor?«, fragte Randy Gill. Seine Stimme klang unge­wöhnlich rau. Ein bösartiges Knurren mischte sich hinein.

»Ich werde dir zeigen, was es heißt, sich mit Randolph Ritt anzu­legen.«

»Ich habe keine Angst vor dir.« »Solltest du aber haben.« »Du wirst sterben, Ritt.«

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Der Gangsterboss lachte auf, als würde er sich köstlich amüsieren. »Du musst 'nen Dachschaden haben, Gill. Scheinst deine Objek­

tivität völlig verloren zu haben. Du verkennst die Situation total. Ich brauche nur mit dem Finger zu schnippen - und schon bist du tot!«

Randy Gill nickte furchtlos. »Okay, Ritt. Schnippe!« Maggie George biss sich erschrocken auf die Lippe. Himmel, was

verlangte Randy denn? Das war doch Selbstmord! Dazu würde sich Randolph Ritt nicht zweimal auffordern lassen. Es

würde geschehen, was Randy verlangte. Ritt hob die Schultern. »Na schön, wenn du's so haben willst...« Er schnippte mit dem Finger. Und dann überstürzten sich die Ereignisse. Das Schnippen ging natürlich Jerry Cox an. Ritts Leibwächter rea­

gierte unverzüglich auf dieses Zeichen. Er stieß Maggie George zur Seite, damit seine Bewegungsfreiheit

nicht beeinträchtigt war und griff zur Waffe. Blitzschnell ging das. So mancher Westernheld hätte sich da noch

einiges abgucken können. Trotzdem war er nicht schnell genug, denn plötzlich geschah etwas, das allen Anwesenden - Maggie eingeschlos­sen - die Haare zu Berge stehen ließ.

Haare sprossen in Gedankenschnelle aus Randy Gills Haut. Im Nu war sein Körper von einem räudigen Fell bedeckt.

Seine Hände wurden zu krallenbewehrten Pfoten, während sich sein Kopf zu einem furcht erregenden Wolfsschädel verformte.

Randy Gill war zum Werwolf geworden! Maggie stieß einen spitzen Schrei aus. Randolph Ritt prallte vor

dem Monster zurück. Er zweifelte ebenso an seinem Verstand wie Jer­ry Cox.

Da es nicht möglich war, dass sie alle dieselbe Sinnestäuschung hatten, musste sich Randy Gill tatsächlich in diese gefährliche Bestie verwandelt haben. Cox überwand die Schrecksekunde.

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Er richtet die Waffe auf den Werwolf und drückte ab. Doch er feu­erte zu überhastet. Was ihm schon lange nicht mehr passiert war, ge­schah jetzt. Die Kugel verfehlte haarscharf ihr Ziel.

Das Monster wuchtete sich knurrend vorwärts. Jerry Cox sprang zur Seite. Er war nicht schnell genug. Ein Pran­

kenhieb entwaffnete ihn. Ritts Leibwächter heulte auf. Er verlor die Fassung.

Entsetzen befiel ihn. Er wollte die Flucht ergreifen, doch die hechelnde Bestie ließ ihn

nicht entkommen. Mitleidlos schlug der Werwolf zu. Jerry Cox hatte nicht die geringste Chance gegen das Ungeheuer. Schwer prallte der Körper des Werwolfs gegen ihn. Das Monster

riss ihn zu Boden. Er schrie entsetzt auf. Dann tötete der Werwolf sein Opfer mit einem einzigen Biss.

*

Das war Randolph Ritt zuviel. Der König von New Jersey verlor vor Angst fast den Verstand. Ihm war klar, dass der Werwolf auch über ihn herfallen würde, wenn er nicht schleunigst das Weite suchte.

Aber er wollte nicht ohne Maggie fliehen. Sie sollte für ihn so et­was wie ein Faustpfand sein.

Er glaubte, das Monster mit Maggie George unter Druck setzen zu können, meinte, Gill würde ihm nichts anhaben, solange Gefahr be­stand, dass dadurch auch die Frau ihr Leben verlor.

Es war ein Irrtum. Randy Gill hatte das Böse in sich. Niemand war mehr vor ihm sicher. Auch Maggie George nicht. Aber das wusste Randolph Ritt nicht. Der Gangsterboss riss die

Frau an sich und stürzte mit ihr aus dem Büro. »Randy!«, kreischte Maggie. Auch sie verkannte die Lage. Hilfe

war das letzte, was sie von Randy Gill erwarten durfte. Das Scheusal ließ von seinem Opfer ab. Kraftvoll federte es hoch.

Ritt hastete mit Maggie den Gang entlang.

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Sie sträubte sich, doch Ritt zerrte sie mit sich. Sie erreichten die Feuertreppe. Der Gangsterboss floh mit der Frau auf das Dach.

Sie befanden sich im 18. Stock. Zwanzig Etagen hatte das Hoch­haus. Also mussten sie zwei Stockwerke zurücklegen.

Ritt unternahm alle Anstrengungen, um seinem schrecklichen Ver­folger zu entkommen, aber der Werwolf holte rasch auf, war ihnen bereits dicht auf den Fersen.

Ritt schaffte es gerade noch, das Dach zu erreichen. Die Flucht hatte ihn so viel Kraft gekostet, dass er nun schlappzumachen drohte.

Er atmete schwer. Seine Kehle war trocken und schmerzte. Er konnte Maggie nicht mehr länger halten. Ihr Arm entglitt seiner Hand.

Das feindselige Knurren des Wolfs riss den ›King‹ von New Jersey herum. Verstört blickte er in die brennenden Augen des Monsters.

Im Krebsgang wich er vor der Bestie zurück. Er streckte dem Un­geheuer abwehrend die Hände entgegen.

Sein Herz trommelte aufgeregt gegen die Rippen. Es grenzte an ein Wunder, dass es das alles aushielt.

Aber in Notsituationen wächst der Mensch manchmal über sich selbst hinaus - und mit ihm auch sein Herz.

»Nein!«, presste der Gangsterboss heiser hervor. Er blieb nicht stehen, sondern ging unaufhörlich zurück. »Tu das nicht, Gill!« Maggie George war am Ende ihrer Kräfte. Weinend sank sie zu

Boden, während das Monster seinem zweiten Opfer folgte. »Gill, ich habe keine Ahnung, wie du es geschafft hast, zur Bestie

zu werden... Wenn du mich verschonst, kriegst du von mir einen Hau­fen Geld! Lass mich leben, Gill! Ich bin bereit, dir sofort eine Viertelmil­lion Dollar zu zahlen! Und zehntausend kannst du jeden Monat von mir kassieren...«

Der Werwolf knurrte aggressiv. »Zwanzigtausend!«, schrie Randolph Ritt. Doch der Wolf wollte nicht das Geld des Gangsterbosses, sondern

dessen Leben. »Gill, wenn wir uns zusammentäten... Du, mit dieser einmaligen

Fähigkeit und ich...«

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Das Monster machte angriffslustig. Ritt warf einen gehetzten Blick hinter sich. Er war schon fast am

Ende des Daches angelangt. Drei Schritte nur noch. Und dann? »Um alles in der Welt, Gill, lass mir mein Leben!«, jammerte Ritt.

Die Bestie hieb mit der Pranke nach ihm. Entsetzt sprang er zurück. Die Krallen zerfetzten sein Jackett und er stellte bestürzt fest, dass er nun keine Möglichkeit mehr hatte, noch weiter zurückzuweichen.

Er hatte das Ende des Daches erreicht. Schlotternd vor Angst stand er da. Aus dem Mann, der über die Unterwelt von New Jersey herrschte, war ein bibberndes Nervenbündel geworden.

»Gill, ich gebe dir alles, was ich besitze!«, keuchte er verzweifelt. Die Bestie blieb stehen. Randolph Ritt glaubte, hoffen zu dürfen. Er konnte nicht wissen, dass in Randy Gills Inneren ein erbitterter

Kampf zwischen Gut und Böse tobte, der immer noch nicht abge­schlossen war.

Mehr und mehr hatte die schwarze Macht von dem Detektiv Besitz ergriffen. Doch das Gute in Randy ließ ihn erkennen, dass es schlecht für ihn aussah, dass er eine furchtbare Zukunft vor sich hatte.

Was noch an sauberen Kräften in ihm war, lehnte sich dagegen auf, aber der Detektiv machte sich nichts vor.

Früher oder später musste sein lauteres Ego diesen brutalen Kampf verlieren. Dann wurde er zur tödlichen Gefahr für alle Men­schen in dieser Stadt. Der Keim des Bösen würde ihn unaufhörlich zwingen, grausame Taten zu begehen. Das Blut vieler unschuldiger Menschen würde fließen.

Auch Maggie George würde sterben. Es gab nur eine Möglichkeit, New York zu retten. Randy musste

sich opfern. Damit verwehrte er den Dämonen, die sich in seinem Kör­per eingenistet hatten, ein grausames Wüten in dieser Stadt und er bewahrte Maggie George vor dem sicheren Tod.

Spring!, schrie das Gute, das der schwarzen Macht schon nahezu ganz unterlegen war. Stürz dich in die Tiefe!

Er war bereit, das Opfer zu bringen.

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Ehe das Böse ihn daran hindern konnte, duckte er sich zum Sprung. Kraftvoll stieß er sich ab. Da die schwarze Macht ihn nicht daran hindern konnte, sich das Leben zu nehmen, zwang sie ihn, we­nigstens nicht allein in den Tod zu gehen.

Knurrend stürzte der Wolf sich auf Randolph Ritt - und gemeinsam fielen sie in die Tiefe.

Ende

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