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Das textkritische Problem des sogenannten Aposteldekrets Author(s): Thorleif Boman Source: Novum Testamentum, Vol. 7, Fasc. 1 (Mar., 1964), pp. 26-36 Published by: BRILL Stable URL: http://www.jstor.org/stable/1560248 . Accessed: 15/06/2014 14:36 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . BRILL is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Novum Testamentum. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.2.32.49 on Sun, 15 Jun 2014 14:36:31 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Das textkritische Problem des sogenannten Aposteldekrets

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Das textkritische Problem des sogenannten AposteldekretsAuthor(s): Thorleif BomanSource: Novum Testamentum, Vol. 7, Fasc. 1 (Mar., 1964), pp. 26-36Published by: BRILLStable URL: http://www.jstor.org/stable/1560248 .

Accessed: 15/06/2014 14:36

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DAS TEXTKRITISCHE PROBLEM DES SOGENANNTEN APOSTELDEKRETS

VON

THORLEIF BOMAN Eckersbergsgt. 21, Oslo 2, Norwegen

Es gibt zweifellos kein textkritisches Problem im ganzen Neuen

Testament, wo die Entscheidung gr6ssere Konsequenzen bekommt als im sogenannten Aposteldekret. Unter Voraussetzung, dass der

sogenannte 6stliche Text urspriinglich ist, sagt FOAKES-JACKSON in seinem Actakommentar mit Recht, dass das xv. Kap. der Apostel- geschichte das schwerste im ganzen Neuen Testament sei; Lukas versuche hier zuerst eine fast unm6gliche Aufgabe zu l6sen, einen Bericht zu geben, wie es sich ereignete, dass eine Vereinbarung zwischen der strengen jiidischen Partei der Glaubigen in Jerusalem und der mehr liberalen und kiihnen Kirche in Antiochien erzielt wurde 1). Wenn aber der westliche Text der urspriingliche sein

sollte, fallen die Schwierigkeiten weg, und ,,so kann man ganze Bibliotheken von Auslegungen und Untersuchungen als Doku- mente der Geschichte eines grossen Irrtums schliessen! Was ist nicht alles fiber das Aposteldekret als Speiseverbot geschrieben worden, fiber das Verhiltnis von Gal. ii und Act. xv unter der

Voraussetzung, Act. xv handle von Speiseverboten, fiber Juden- und

Heidenchristentum, fiber die ,,noachitischen" Gebote, fiber den Unwert der Apostelgeschichte!" 2)

Unter solchen Umstanden sollte man doch nicht so schnell mit der textkritischen Frage fertig werden, um sie als ein fiir alle mal beantwortet zu betrachten, sondern sich gerade ihr mit aller

Energie zuwenden, in der Hoffnung neue Seiten des Problems zu entdecken. Tut man es, dauert es nicht lange, bis man entdeckt, dass entscheidend wichtige Momente von der Forschung bisher iibersehen worden sind.

Apostelkonzil und Aposteldekret haben eine ganze Literatur

1) F. J. FOAKES-JACKSON, The Acts of the Apostles, Ld. 193I, S. 129.

2) A. HARNACK, Apostelgeschichte, I908, S. I97.

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DAS SOGENANNTE APOSTELDEKRET 27

hervorgerufen. ERNST HAENCHEN erwahnt in seinem Actakommen- tar die wichtigsten Beitrage zwischen I906 und I958, 1) und gibt auch eine kurze Geschichte der Exegese, 2); mehr ausfiihrlich bei WERNER BIEDER, ,,Die Apostelgeschichte in der Historie" 3). Seit- dem sind mehrere Actakommentare und Spezialabhandlungen er- schienen. Ich sehe es aber nicht als meine Aufgabe an, alle alteren

Problemstellungen und Losungsversuche zu diskutieren, sondern sie nur in dem Masse zu erwahnen, wie eine kurze Darstellung neuer Gesichtspunkte es notwendig macht.

Es gibt, wie bekannt, zwei Textvarianten, die in dem entschei- denden Punkt stark von einander abweichen. Der sogenannte 6stliche Text hat in Acta xv 29 rx'szOOXCat AoXo0UrTo xaO ac'x.LXo< xOcl 7vxwzov (oder XVLXTOU) xal 7ropv'Lao. Derselbe Text steht auch v. 20

(mit einer anderen Reihenfolge der Siinden und mit Tcov &Xoay- p4i0Tov Tn V zvScoXcov im ersten Glied) und xxi 25, wo das Verbum

ypuX'accroa statt arzX?saocL gebraucht ist. Im sogenannten westlichen Text fehlt iiberall xal 7tvxXTov (zvLx-

Tzo). In den meisten Zeugen des westlichen Textes ist in xv 20.29 die goldene Regel, Matth. vii I2, hinzugefiigt, aber sie fehlt ganz in xxi 25. Sie ist deshalb zweifellos in den westlichen Text Kap. xv

spater beigefiigt, und wir sehen deshalb vorlaufig von ihr ab. Das

Merkwiirdige ist aber, dass, indem ,,und das Erstickte" wegfallt, der Satz einen ganz neuen Sinn bekommt. Es liegen damit zwei

Ausgaben des sogenannten Aposteldekiets mit ganz verschiedenem Inhalt vor.

Nach allgemeiner Auffassung der Exegeten verbietet der 6st- liche Text das Essen von G6tzenopferfleisch (das in den Laden verkauft wurde), von Blutgerichten und von Fleisch von Tieren, aus welchen das Blut nicht ausgeronnen war; die zuletzt erwahnte Unzucht oder Hurerei sei eine jiidische Bezeichnung fur Ehen verbotener Verwandtschaftsgrade. Der Inhalt sei ganz kultisch.

Der westliche Text verbietet G6tzenopfer (d.h. G6tzendienst) Mord und Hurerei. Der Inhalt ist ganz ethisch.

Beide Formen sind sachlich wohl denkbar. Durch ein Zahlen der Zeugen ist das textkritische Problem nich zu losen. Zwar hat der 6stliche Text die Mehrzahl der Zeugen mit alien Unzialen mit Aus- nahme von D fur sich, aber der westliche Text hat ausser D, den

1) HAENCHEN, Die Apostelgeschichte, G6tt. I96I, S. 382 f. 2) a.a.O. 396 ff. 3) Theologische Studien, Heft 6i, Zurich, I960.

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Lateinern und anderen alten tbersetzungen auch die alten Kirchen- vater des Westens fur sich, Irenaus, Tertullian, Cyprian und Ambro- siaster. Wichtig ist hier Tertullian, der nur den westlichen Text kennt und ihn im ethischen Sinne interpretiert, aber gleichzeitig das Blutverbot anerkennt ohne es auf das Aposteldekret zuriick- zufiihren 1). Das heisst, das im Anfang des 3. Jahrhunderts nur die dreigliedrige ethische Textform des Apostdekrets im Westen be- kannt war, und sie ist damit mindestens ebenso gut bezeugt wie die 6stliche.

Sachlich sind die beiden Textformen gleichwertig; im jiidischen Glauben hatten beide grosse Bedeutung. Die vier kultischen Gebote geben eine zentrale alttestamentliche Stelle wieder, namlich Lev. xvii 7-xviii 26, und es heisst hier, dass sie nicht nur den Israeliten, sondern auch dem Fremden, ha-ger, gelten, xvii 8, Io, 12, I3, I5; xviii 26. Es lag dann sehr nahe, den Fremden mit dem Heiden- christen zu identifizieren, und diese Gebote als fur die Heiden- christen bindend anzusehen.

Die drei ethischen Gebote waren (und sind noch immeI) fur die Juden die wichtigsten und unbedingtesten im Alten Testament. Von den sieben noachitischen Geboten, die nach talmudischer Auf- fassung in die Urgeschichte des israelitischen Volkes zuriickgehen, stehen die drei Todsiinden zuerst. Sie diirfen unter keinen Umstan- den iibertreten werden. Es ist die erste Pflicht des Juden, sein Leben zu retten und zu bewahren; dies Gebot ist strenger als das Sabbatsgebot (und was das Sabbatsgebot umst6sst, st6sst nach jiidischer Auffassung logisch und automatisch alle anderen Gebote um), Yoma 88,I. Die drei erwahnten Gebote bilden doch eine Ausnahme; davon heisst es in Sanhedrin 74,I: Von alien tfber- tretungen in der Thora gilt es: Wenn man zu einem Menschen sagt: ,,Begehe diese tbertretung, so wirst du nicht ermordet"; dann soll er die tbertretung begehen, um nicht ermordet zu werden, mit Ausnahme von G6tzendienst, Unzucht (eig. Blutschande) 2) und Blutvergiessen.

Sich diesen drei Sfinden zu enthalten war also fur die Juden heilsnotwendig.

1) G. RESCH, ,,Das Aposteldekret", Texte u. Unters. z. Gesch. d. altchr. Literatuy, I905, S. 13, 144, I49ff.

2) Fur die Juden war also Unzucht eine Form der Blutschande; das zeigt mit welchem Abscheu sie die Unzuchtssiinden betrachteten, vgl. I Kor. vi I8. Die Hinweise auf Yoma und Sanhedrin verdanke ich Oberrabbiner Dr. MARCUS MELCHIOR, Kopenhagen.

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DAS SOGENANNTE APOSTELDEKRET

Wenn wir den kiirzeren westlichen Text zuerst betrachten, bemerken wir den erstaunlichen, fast unglaublichen Zufall, dass jedes der drei Hauptw6rter im Satze zwei ganz verschiedene Be- deutungen hat; siSoXOOurcos kann sowohl G6tzendienst (Teilnehmen an der G6tzenopfermahlzeit) wie Ladenfleisch (das, was bei dem G6tzenopfer iibrig blieb und als gew6hnliches Fleisch verkauft wurde) bezeichnen; oc[tza bedeutet sowohl Blut wie Mord: rcopvsi kann Hurerei und Ehen verbotener Verwandtschaftsgrade an- geben, welche die Juden als Inzest verurteilten. Diese Doppel- deutigkeit der drei Substantive erlaubt den ganzen Satz entweder ethisch oder kultisch zu deuten. Alle Exegeten meinen aber, dass er ethisch gedeutet werden muss, wahrend der 6stliche Text nur die kultische Deutung erlaubt.

Die aller meisten neueren Exegeten haben sich fur den 6stlichen Text mit verschiedener Begriindung entschieden, z.T. auch so, dass die Argumente sich gegenseitig aufheben. Die meisten behaupten, die Bedeutung Mord von oc'pz sei so selbstverstandlich in dem Zusammenhang, dass der urspriingliche Abschreiber des westlichen Textes, sie bei alien seinen Lesern voraussetzen konnte, wenn er entschlossen xaoc tvLx,r&v strich und somit den kultischen Sinn des Dekrets in einen ethischen verwandelte; andere behaupten, dass c'Loca nicht Mord bedeuten kann 1). Letzeres ist zweifellos unrichtig. LIDDEL and SCOTT fiihren zahlreiche Beispiele aus der klassischen Literatur von Homer ab an, wo oad'o Bluttat, Mord bedeutet. Ausserdem kann niemand bestreiten, dass im westlichen Text nach dem Zusatz der goldenen Regel, die das ganze Dekret ethisch macht, ocpoc nur Mord bedeuten kann. Aber der Einwand von Kennern der griechischen Sprache zeigt jedenfalls so viel, dass die Bedeutung Mord keine Selbstverstandlichkeit war, womit der ,,Textverbesserer" bei seinen Leser ausnahmslos rechnen konnte.

Als Motiv fur das Entfernen des Erstickten gibt LYDER BRUN an: ,,einmal weil es im Blutverbot schon mitenthalten und demnach als iiberfliissig empfunden werden konnte, sodann weil die Forde- rung der Enthaltung von Ersticktem manchen Heidenchristen un- verstindlich gewesen sein wird" 2). Also, das Verbot des Erstickten

1) F. BLASS, Theolog. Stud. u. Krit. I900, S. I8; LYDER BRUN, Norsk Teologisk Tidskrift, Beiheft zu B. 21, I920, S. 14.

2) BRUN, a.a.O. S. 15.

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war im Satze sowohl selbstverstandlich wie unverstandlich. Die-

jenigen, die den 6stlichen Text vorziehen, geben als das Motiv des

Aposteldekrets an, den Verkehr zwischen Heidenchristen und

Judenchristen regeln zu wollen. Davon ist aber weder in Acta xv I noch in Gal. ii die Rede; das Problem ging viel tiefer, es handelte sich um die notwendige Grundlage des Heils. So stellt auch Paulus sonst in seinen Briefen das Problem des Halten des Gesetzes in den heidenchristlichen Gemeinden dar.

Das fur alle Anhanger des 6stlichen Textes entscheidende

Argument ist aber, dass es viel leichter zu erklaren ist, dass ein heidenchristlicher Abschreiber kultische Gebote in ethische ver- andert hat, als umgekehrt. Letzteres k6nne als ausgeschlossen gelten, so auch HAENCHEN 1). Ja, wenn dies die unumgangliche Problemstellung ware, ware die Argumentation auch zwingend, aber die Problemstellung ist falsch. Die Textvarianten im Neuen Testament sind doch nicht in der Weise entstanden, dass die Ab- schreiber den Sinn eines klaren Textes bewusst zu etwas ganz Anderem geandert haben. Die Textanderung im Aposteldekret muss deshalb in beiden Fallen anders erklart werden. Aber ein viel

schwerwiegenderes Argument gegen die gw6hnliche Problemstel-

lung ist, dass noch niemand sich konkret vorgestellt hat, welche

Leistung sie dem Manne zuschreiben, der den 6stlichen Text in den westlichen hat verandern sollen. Die bewusste Anderung (und alle

Exegeten nehmen an, dass die Anderung bewusst war) setzt voraus, dass der Abschreiber, noch wahrend der eindeutige kultische Text vor ihm lag, entdeckt hat, dass wenn er das Erstickte strich, die Bedeutung der drei anderen Substantive im Satze durch einen Zufall sich g]eichzeitig von selbst andern und dadurch auf einmal ein Dekiet mit einem neuen, ihm mehr sympatischen Inhalt ent- stehen wiirde. Vorausgesetzt aber, dass er diesen iibermenschlichen Scharfsinn besessen hatte, ware es eine raffiniert ausgedachte Falschung, wenn er auf dieser Grundlage den Text verandert hatte.

Wenn man aber eingesehen hat, dass das Erstickte im 6stlichen Text nicht durch eine bewusste Anderung eines oder mehrerer Abschreiber entfernt sein kann, muss man sich zuerst erinnern, dass die Problemstellung aller Anhanger des 6stlichen Textes sich damzit als falsch erwiesen hat und die Entstehung des westlichen Textes aus dem 6stlichen ein Ratsel geworden ist. Diejenigen, die

1) Apg. S. 390, Anm. 5.

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DAS SOGENANNTE APOSTELDEKRET

trotzdem den 6stlichen Text vorziehen, sind dann verpflichtet, eine andere und bessete Erklirung des Verschwindens des Er- stickten im westlichen Text zu geben. Unm6glich ist dann die Annahme eines langsamen tbergangs von der kultischen in die ethische Foim durch den Gebrauch in den heidenchristlichen Gemeinden; denn ein uniiberbriickbarer Unterschied verschwindet nicht durch Wiederholung, sondern versteift sich.

Zuliick bleibt nur die M6glichkeit, dass das Erstickte durch einen Zufall an drei Stellen in Acta ausgefallen ist. Dann muss man aber weiter voraussetzen, dass dies gerade in einem Satze eintraf, wo durch den Zufall der Inhalt des Textes dabei total verandert wurde. Aber so viele Zufalle auf einmal sind auch nicht denkbar.

Eine natiirliche Erklarung der Entstehung des langeren Textes aus dem kiirzeren ist aber nicht schwer zu finden. Das Schreiben der Fiihrer der Urgemeinde an die heidenchristlichen Gemeinden in Antiochien, Syrien und Cilicien war selbstverstandlich auf grie- chisch geschrieben und eine Abschrift fur die Absender in Jerusalem niedergelegt. Da viele der Gemeindeglieder nicht griechisch ver-

standen, wurde der Brief ins aramaische iibersetzt. Dann wurde Zweifellos oca'ca mit .T (oder Kn.) wiedergeben. Damit war aber

schon der verhdngnisvolle Ubergang vom ethischen in das kultische Gebiet geschehen; denn nT auf hebraisch und aramaisch bedeutet

nicht Mord; in dem betreffenden Satze, wo es als Objekt eines Verbums ,,sich enthalten" steht, muss es Blutspeise bedeuten. Auf griechisch kann man a'ta Tcpairrs.v, Mord begehen, sagen, Eur. Or. 1139, eine ahnliche Verbindung mit "T ist unm6glich. Oberrabbiner Dr. MELCHIOR bestreitet energisch, dass n- im Alten

Testament oder im Talmud Mord bedeuten kann. Es bedeutet Blut und Blutschuld, aber es gibt nirgends die Tat an. Dass Dr. MELCHIOR damit Recht hat, wird vom Alten Testament bestatigt. Dass die Exegeten dies nicht friiher gesehen haben, hat zwei Ur- sachen. I. Unsere beiden grossen hebraisch-aramaischen W6rter- biicher, GES. BUHL und L. KOEHLER geben ungenau Bluttat, Mord als eine m6gliche Nebenbedeutung von a"T an. Wenn man aber die

Belegstellen untersucht, findet man keine Stelle, welche die Be- deutung Mord fordert. Die Belegstellen bei GES. BUHL sind Sir. 8, i6 und Lev. xvii 4; aber in Sir. 8, I6 iibersetzt V. RYSSEL, KAUTZSCH, Apokryphen, S. 284, nT mit Blut, und wenn man unter

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dem Verbum ntn, niph. nachschligt, iibersetzt GES. BUHL selbst

nr in Lev. xvii 4 mit Blutschuld. Die von KOEHLER angefiihrten

Belegstellen, Ex. xxii I; Num. xxxv 27; 2 Sam. xxi I, haben noch

weniger Beweiskraft. Blutschuld ist hier fiberall die richtige tber- setzung. 2. Der israelitische Begriff Blut ist anders orientiert als unser, sodass wir bei der Ubersetzung ausnahmsweise -r mit Mord

wiedergeben k6nnen, aber das heisst nicht, dass r" in diesem Falle fur hebraisches Sprachempfinden die Bluttat bezeichnet. Eine mogliche tYbersetzung bildet keinen Beweis von dem Sinn des Woites der Originalsprache.

Die Bedeutung Blut wurde durch die Ubersetzung von escoX6OurTo

unterstrichen, denn auf hebraisch und aramiisch musste es mit einem mit 'I:, Fleisch, zusammengesetzten Wort wiedergeben werden. Die Erwahnung der xopvtcx als drittes Glied fiihrte die Gedanken in dieselbe Richtung, denn in der fur die Definition der Unzuchtssiinden klassischen Stelle, Lev. xviii, werden diese Siinden mit siindigem Opfern und Blutessen verbunden, Lev. xvii. Es lag dann sehr nahe anzunehmen, dass die Apostel bei der Ausarbeitung des Dekrets Lev. xvii 7-xviii 26 in den Gedanken gehabt hatten, und dass es nur auf einem Versehen beruhte, dass das Erstickte in das Dekret nicht mitgenommen ware. Als irgend jemand das Ver- saumte nachholte, indem er das Erstickte hinzufiigte, hat er also nur das Dekret in volle Ubereinstimmung mit der Heiligen Schrift und auch mit der frommen jiidischen tberlieferung gebracht, denn nach Dr. MELCHIOR ist das Verbot des Erstickten eine uralte rab- binische tberlieferung, die alteI ist als das Neue Testament.

Die grosse Ausbreitung des 6stlichen Textes ist nun auch leicht erklarlich. Hat man in Jerusalem eine aramaische Abschrift des Aposteldekrets gehabt, wo das Erstickte mitgenommen war, musste das mit der Zeit weiteren Kreisen ausserhalb Palastina bekannt geworden sein. Nach dem Tode der ersten Generation mussten deshalb auch die Heidenchristen annehmen, dass man hier den authentischen Text vor sich hatte, und so haben einige Abschreiber ehrlicherweise das Erstickte in den Lukastext eingefiigt, obgleich ihnen die urspriingliche Form mehr sympatisch und verstandlich erscheinen musste.

Wenn man nicht abstrakt rasonniert, sondern sich konkret in die Lage der beiden eventuellen Textanderer hineindenkt, entdeckt man also, dass es einerseits psychologisch unmoglich ist, sich

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DAS SOGENANNTE APOSTELDEKRET

vorzustellen, wie ein Abschreiber bewusst das Erstickte gestrichen hat, um sich ein ethisches Dekret zu schaffen, und dass es anderer- seits leicht zu erklaren ist, warum ,,das Erstickte" zuerst in die aramaische Abschrift, spater in die griechischen codices eingefiigt wurde.

Die Apostel und Jakobus, evt. auch andere hervortretende Mit- glieder der Urgemeinde, haben also mit aller Kraft (der Heilige Geist und wir!) den Heidenchristen die drei absolut geltenden Ge- bote der heiligen Schrift, die gleichzeitig die drei Hauptsiinden des Heidentums trafen, eingescharft. Damit haben sie den Heiden- christen eigentlich keinen Moralkatechismus gegeben (so HARNACK), sondern das ihnen vom christlichen Standpunkt aus falsch gestellte oder von ihnen falsch aufgefasste Problem, was im Gesetz heils- notwendig war, so richtig wie es m6glich war, beantwortet. Dies war natiirlich ein ausserstes Minimum; das tbrige der sittlich religi6sen Belehrung haben sie dem 6rtlichen Unterricht iiberlassen miissen; das konnten sie getrost tun, ,,denn Moses hat seit alter Zeit in jeder Stadt seine Verkiindiger, indem er in den Synagogen jeden Sabbat verlesen wird", v. 2I. Die Apostel setzen also voraus, dass die Heidenchristen jedenfalls zum Teil die jiidischen Gottesdienste neben ihren eigenen besuchten, so wie sie es selbst in Jerusalem taten. Als Lukas (oder schon seine Quelle) v. 20 f. schrieb, sind seine Gedanken schneller als seine Feder gelaufen, sodass ein Glied in der Gedankenreihe in der Eile iibersprungen wurde, etwa: ,,Mehr braucht nicht gesagt zu werden, denn ..."

Das, was zuerst auffalt, wenn man das Aposteldekret und den Bericht in Acta xv liest, ist, dass die verantwortlichen Leiter der Urgemeinde in dieser entscheidenden Frage ganz jiidisch-alttesta- mentlich denken, begriinden und eImahnen. Das gilt in noch h6herem Grade, wenn der 6stliche Text authentisch sein sollte. In der ganzen Rede des Jakobus und in dem Sendschreiben der Urgemeinde steht kein christlicher Gedanke, kein christlicher Gruss oder Trost, alles ist jiidisch mit Ausnahme von v. 26, wo Barnabas und Paulus geriihmt werden, weil ,,sie ihr Leben in den Dienst des Namens unseres Herrn Jesus Christus gestellt haben". Niemand dachte an Worte und Taten Jesu, die in Verbindung mit der Ge- setzesfrage standen, und aus welchen man Belehrungen fiir den vorliegenden Fall ziehen konnte.

Das Problem, wie das Verhaltnis zwischen Heidenchristen und Judenchristen in der Diaspora geregelt werden sollte, stand nicht

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Novum Testamentum VII 3

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auf der Tagesordnung und wurde nicht behandelt. Das war ffir Paulus und fur das Urchristentum iiberhaupt ein Gliick, denn Jakobus dachte in dieser Sache jiidisch, Gal. ii 12, Paulus entschie- den christlich, ii I4. Petrus konnte beide Standpunkte verstehen und gutheissen, und er hat sich auch verschieden benommen, je nachdem er unter Heidenchristen und unter Judenchristen (und Juden) lebte; als er aber in Antiochien in einer gemischten Ver- sammlung gezwungen wurde, zwischen den beiden M6glichkeiten zu wahlen, hat er die gr6sste Riicksicht auf das reizbare jiidische Empfinden genommen, da er sich ja als ein Apostel der Juden be- tlachtete, Gal. ii 9, und sich deshalb nicht in Palastina unm6glich machen konnte. Paulus aber sah die gefahrlichen Konsequenzen, die das Schwanken des Petrus fur das Evangelium mit sich fiihrte, (woriiber Petrus sicher nicht klar war, da er ja ffir prinzipielles Denken nicht so wie Paulus veranlagt war) und schritt gegen Petrus ein. In dieser Frage fiigte sich also Paulus nicht der Urge- meinde und ihren Fiihrern. Wenn es einmal entschieden war, dass das Halten des Gesetzes ffir die Heidenchristen nicht heilsnotwendig war, zog er selbst die n6tigen prinzipiellen Konsequenzen aus dieser Entscheidung, ohne sich die Hilfe der Saulen in Jerusalem bei dieser Denktatigkeit zu erbitten, vgl. Gal ii 6, 9.

Es ist oft behauptet worden, dass Paulus in seinen Briefen weder direkt noch indirekt das Aposteldekret erwahnt. Das ist nicht richtig. Gal. ii 6 nimmt er doch deutlich Bezug darauf mit dem Satz 4Aiot y,p o O 8oxoUVTc ou8ov rpoavGOsv-To. In dem rrpoS liegt doch, dass ihm etwas auferlegt wurde, aber nichts fiber das hinaus, was er immer in den heidenchristlichen Gemeinden gelehrt hatte. Um das den Galatern nochmals hervorzuheben baut er v I9-2I den

Lasterkatalog nach dem Schema des Aposteldekrets auf, und riigt zum Schluss sinngemass die Genusssucht, die die christliche Freiheit vom Gesetz zu einem Vorwand zum Siindigen missbraucht, v. 13:

I. IIopvrwa, axocOopaco, aeXyeto (dieselbe Zusammenfassung der Unzuchtssiinden auch 2 Kor. xii 2I)

2. eLooXaC'TpOCa, (papEocxstoc

3. zOPocL, ?pti, rTXoq, Outio, pt06ia, 8tXocta'caL, oapr'tS, 0p6vo., Op6vo 1) (vgl. I Joh. iii 15; Matth. v 21 f.)

4. p?0aL, X&COJt.

1) cp6voL ist gut bezeugt, A C D G Koine lat; in p46 B Sin etc. ist es nach dem optisch und klanglich ahnlichen Wort 0pO6vo, ausgefallen.

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DAS SOGENANNTE APOSTELDEKRET

Die Disposition der Lasterkataloge in den anderen Paulusbriefen ist undurchsichtig, am meisten verwandt ist I Kor. vi 9 f. Aber in der

Apocalypse sind die drei ethischen Hauptsiinden mit besonderer Klarheit hervorgehoben ix 20 f., wo sie mit Diebstahl und xxi 8; xxii 15, wo sie mit Liige verbunden sind. Wir haben guten Grund, dies als eine Wirkung des Aposteldekrets anzusehen und als ein Indizium der Urspriinglichkeit der ethischen Fassung.

In deutlicher Ubereinstimmung mit dem Aposteldekret unter- streicht der Apostel, Gal v 21, dass es heilsnotwendig ist, sich von diesen Siinden zu enthalten, und er erinnert bedeutungsvoll daran, dass er dies auch friiher gelehrt hat, aber er begriindet die Gebote nicht gesetzlich oder mit einem Hinweis auf die Autoritat der Ur-

apostel (wenn er eine ethische Autoritat n6tig hat, erwahnt er

Jesus Christus, I Tess. iv I f.), sondern positiv, christlich, v. I6-I8; 24 f. und prinzipiell, in dem er mit Jesus das ganze Gesetz in das

Liebesgebot zusammenfasst, v. 14; deshalb fiigt er zu den Siinden die Tugenden des Lebens im Geiste hinzu, v. 22 f.

Mit der Einreihung der Genusssucht unter die Todsiinden, v 2I, hat er das Berechtigte in der jiidischen Forderung der Speiseenthalt- samkeit so weit anerkannt, wie es christlich zu verteidigen war.

Die Beifiigung der goldenen Regel in den westlichen Text ist

geschichtlich interessant; sie gibt uns einen Einblick in die An-

finge des altchristlichen Katechumenenunterrichts. K. A. G. ZEZSCHWITZ hat im System der christlich-kirchlichen Katechetik, Bd. I, 1863, nachgewiesen, dass diesem Unterricht nicht die zehn Gebote, sondern das doppelte Liebesgebot zu Grunde gelegt wurde. Die Ethik wurde also nicht jiidisch-alttestamentlich, sondern christlich-neutestamentlich begriindet. Diese Tendenz spurt man also schon im westlichen Text. Neben die drei alttestamentlichen Verbote der Apostel, die freilich auch gegen die gefahrlichsten Schwachen des Heidentums 1) gerichtet waren, setzte ein Ab- schreiber (wohl im Anschluss an die damalige kirchlich-padago- gische Praxis) ein positiv geformtes Gebot aus der kanonisch ge- wordenen Bergpredigt, Matth. vii I2 hinzu, worin Jesus selbst den ethischen Inhalt des ganzen Alten Testaments (dies ist das

1) Dr. FRITHJOF BIRKELI, ein ehemaliger Missionar auf Madagaskar, er- zahlt, dass das Aposteldekret ein beliebtes Thema der eingeborenen Prediger ist; sie legen es dabei unwilkiirlich im Sinne des westlichen Textes aus, ohne zu wissen, dass eine solche Textform tatsachlich vorliegt, Norsk Teologisk Tidskrift 1953, S. I44ff.

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36 BOMAN, DAS SOGENANNTE APOSTELDEKRET

Gesetz und die Propheten!) zusammenfasst. Das Motiv des Ab- schreibers war also dasselbe wie seiner Zeit fur die Hinzufiigung des Erstickten: eine Erginzung des Aposteldekrets aus der Heiligen Schrift, damals war es das Alte Testament, jetzt das Neue. Mit der Zeit haben die Katecheten der alten Kirche doch herausgefunden, dass das doppelte Liebesgebot den ethischen Inhalt des Alten Testaments besser als die goldene Regel zusammenfasste, und dies dem Unterricht zu Grunde gelegt.

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