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Das Treffen der Rebellen

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Nr. 297

Das Treffen der Rebellen

Das Schicksal des Imperiums auf des Messers Schneide - die Gegner

mobilisieren ihre letzten Kräfte

von Hans Kneifel

Das Geschehen im Großen Imperium der Arkoniden wird gegenwärtig durch innere Konflikte bestimmt – in höherem Maß jedenfalls als durch die Kämpfe gegen die Me­thans. Es gärt auf vielen Welten des Imperiums. Und schuld daran ist einzig und al­lein Orbanaschol, der Brudermörder und Usurpator, der in seiner Verblendung und Korruptheit einen politisch völlig falschen Weg beschritten hat.

Die Tage Orbanaschols scheinen gezählt, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann die Gegenkräfte im Imperium stark genug sind, den Usurpator vom Thron zu stoßen.

Während Orbanaschol in seiner Verzweiflung und Panik die ihm verbliebene Macht nutzt, um gegen echte oder vermeintliche Widersacher brutal vorzugehen, sammeln die Gegner seines Gewaltregimes ihre Kräfte und ziehen sie in der Nähe des Arkon-Systems zusammen.

Verschiedene Ansichten werden von den Rebellen vertreten, was die Vorgehens­weise gegen den Usurpator betrifft. Doch alle sind sich darüber einig, daß ein Bürger­krieg der Arkoniden unbedingt vermieden werden muß, da dieser die Position des Imperiums gegenüber den Methans entscheidend schwächen würde.

Dies sind die Probleme beim TREFFEN DER REBELLEN …

3 Das Treffen der Rebellen

Die Hautpersonen des Romans:Orbanaschol - Der Usurpator gibt nicht auf.Kornelius und Getray von Helonk - Zwei Rebellen gehen als Parlamentäre nach Arkon.Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und der Bauchaufschneider gelangen nach Arkon II.Wessalock - Ein Diener Orbanaschols.Upoc - Gonozals Halbbruder.

1.

Der kostbare Pokal überschlug sich. Der bernsteinfarbene, stark riechende Inhalt spritzte in einem flachen Bogen heraus, die Tropfen besudelten die Decke, eine Wand und den kostbaren Teppich, der in Dalirc ge­webt worden war und eine unerhörte Selten­heit darstellte. Der Diktator ächzte schrill auf.

»Hinaus mit dir, du unfähiger Idiot!« Der Pokal traf die Ordonnanz zwischen

die Schulterblätter. Der junge Mann schrie auf und sprang durch das stahlverkleidete Schott. Hinter ihm zischte die Tür zu. Er blieb stehen und atmete auf. Der gesamte Korridor hatte sich verwandelt: alle zehn Schritte stand ein bis an die Zähne bewaff­neter Elitesoldat der Palastwache, dazwi­schen drehten sich die Linsen und Detekto­ren der wuchtigen Kampfroboter. Jeder von ihnen war aktiviert. Der Kristallpalast auf Arkon Zwei hatte sich in eine Festung ver­wandelt. Die unsichtbaren Wellen der Panik erschütterten bereits den Regierungsplane­ten.

Der dritte Orbanaschol ließ sich keuchend in den Sessel zurückfallen.

Ein junges Mädchen, aufreizend angezo­gen und mit kostbarem Geschmeide be­hängt, glitt aus der Dunkelheit neben dem riesigen Schreibtisch hervor und bewegte sich vorsichtig durch die dreidimensionalen Darstellungen. Sie wurden von einer Dop­pelreihe großer Bildschirme erzeugt, die an der gegenüberliegenden Wand des großen Gemachs aufgebaut waren. Dieser luxuriöse Raum im Kristallpalast hatte sich ebenso wie viele andere Bereiche der Anlage in eine Art Kommandostand verändert.

»Dieser Ignorant!« keuchte der Diktator und sah gleichgültig zu, wie das Mädchen den Becher aufhob. »Will mir einreden, daß die Maahks siegreich sind!«

Orbanaschols Gesicht und die Haltung seines Körpers zeigten deutlich, daß dieser Arkonide am Ende seiner Beherrschung an­gelangt war.

Die Augäpfel waren von auffallend großen, roten Adern durchzogen. Die Trä­nensäcke hingen schwer und schlaff nach unten; die großporige Haut war dunkel ver­färbt. Schweiß glänzte auf dem Gesicht. Es sah teigig und verquollen aus. Das schüttere Haar klebte an dem massigen Schädel. Acht­los war die Jacke aufgerissen, große Schmutzflecken wurden durch die Dunkel­heit nur mühsam verborgen. Der Diktator hockte wie eine müde Kröte in dem pracht­vollen Sessel. Seine Augen glitten wie die eines gehetzten Tieres von einem der Bild­schirme zum anderen. Hin und wieder zuck­ten die Finger der beringten Hand vor und drückten einen Kontakt der Steuerung. Dann dröhnte der betreffende Lautsprecher zum Bild auf und schilderte, was zu sehen war. Weder die beruhigenden Medikamente ver­mochten seine Stimmung zu ändern, noch schafften es die Ärzte, seinen Zustand zu verbessern.

Seine Macht erstreckte sich nicht mehr auf jeden einzelnen Arkoniden, nur noch ei­ne Mehrzahl von Überwachungsorganen ge­horchten ihm. Aber nicht jeder Arkonide führte die Befehle aus wie früher.

Es gab nur einen einzigen Arkoniden, der die Krise nicht mehr oder minder deutlich und klar sah: Orbanaschol der Dritte.

»Komm her!« sagte er mit zitternden Lip­pen.

Das Mädchen goß aus einer bauchigen

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Flasche neuen Reitzwein in den Pokal, tat etwas Pulveriges aus einem schlanken Deckelgefäß hinein und rührte vorsichtig um. Orbanaschol beugte sich vor, legte die Arme auf den Tisch und stierte nacheinander die Bilder an. Als die Konkubine den Pokal neben seine rechte Hand stellte, griff er um ihren Körper und tätschelte sie mit seltsam ziellosen Bewegungen.

»Ich habe es ihnen gezeigt!« knurrte er und ließ seine Hand wieder sinken. »Ich werde sie alle lehren! Die ›Macht der Son­ne‹ ist vernichtet, und die Anhänger dieses Anmaßenden auf Aycua … sie sind ver­schwunden.«

Er lachte übertrieben laut. Daß seine Maßnahmen brutal und unmenschlich wa­ren, scherte ihn nicht. Er mußte diese Krise mit allen Mitteln aus der Welt schaffen, ko­ste es, was es wolle.

Lautlos zog sich das Mädchen zurück. Seit sie in seiner Nähe war, hatte sie Orba­naschol hassen gelernt; sein heißer Atem, seine monologisierenden Reden, seine Un­beherrschtheit und die Krankheit des Ver­standes, die aus fast allen seinen Reaktionen sprach, stießen sie in einem Maß ab, das sie noch nie gekannt hatte.

Sie wußte, daß die Situation Orbanaschols fast aussichtslos war.

Es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann alles zusammenbrach und wann der Bürgerkrieg offen ausbrach. Bürger­krieg! Das Gespenst eines jeden Staates! Aber dieses Blutbad war allem Anschein nach nicht mehr aufzuhalten.

Der einzige Sieger aus diesen Kämpfen würden die Methanatmer sein. Niemand sonst. Das arkonidische Großreich war zum Untergang verurteilt, sobald der erste Zünd­funken übersprang.

»Atlan! Immer wieder Atlan! Jetzt erken­ne ich erst das Muster seines Vorgehens!« heulte der Imperator auf.

Solange er diese Partisanen nicht gekannt und ihre wahre Identität nicht gewußt hatte, waren seine Schrecken über ihre Erfolge ge­ring gewesen. Einer von vielen Gegnern.

Hans Kneifel

Aber dieser Augenblick während der Ge­richtsverhandlung – er hatte alles geändert. Unablässig gingen ihm die beiden Namen durch die Gedanken.

Atlan und Fartuloon. Der Bauchauf­schneider und der Kristallprinz!

»Niemand darf an mich heran!« schrie er. »Ich gehe sofort, Imperator!« antwortete

das Mädchen verschüchtert. »Ich meine dich nicht!« fuhr er auf, er­

griff den juwelengeschmückten Becher und stürzte einen großen Schluck hinunter.

»Sperre! Quarantäne! Landeverbot für al­les, das größer als ein Gleiter ist!« schrie er aufgeregt, drückte ein paar Knöpfe und war­tete, bis sich die Körper von Sekretären und hohen Würdenträgern auf den Bildschirmen zeigten.

»Ich ordne ab sofort Landesperre für Ar­kon Eins an!« rief er und schlug mit der Faust auf die Tischplatte.

»Gebieter!« wagte ein zweifacher Son­nenträger zu widersprechen. »Das ist nicht sofort durchführbar, und es ist auch eine un­zweckmäßige Maßnahme …«

»Was zweckmäßig ist, bestimme ich!« schrie Orbanaschol und trommelte mit bei­den Fäusten auf die Platte. »Sofort! Mein Befehl! Habt ihr diese zwei Verbrecher schon gefangen?«

»Nein, Imperator. Aber die Maßnahmen laufen auf vollen Touren.«

»Einfältige, untüchtige Narren. Das seid ihr alle. Ihr schmarotzt in meinem Palast, schmückt euch mit allen möglichen Würden und Orden, aber keiner leistet etwas. Ich verlange Gehorsam. Ich brauche Erfolg. Sonst gibt es keine Argumente.«

Er schwieg plötzlich, beugte sich wieder vor, und in sein schweißüberströmtes Ge­sicht kam ein verschlagener Ausdruck.

»Oder möchten die Herren vielleicht an einen besonders exponierten Platz der Maahkfront gebracht werden? Ins Kampfge­biet?«

»Imperator«, erwiderte derjenige Sonnen­träger, der für diese Ausführung verantwort­lich war, »es wird sofort geschehen. Ich

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werde mich persönlich um die geringsten Kleinigkeiten kümmern. Wir werden es be­stens organisieren. Der Kristallpalast wird absolut sicher sein!«

»Sie werden mir das garantieren?« »Selbstverständlich. Auch gegen den

eventuellen Widerstand liberaler Komman­danten und Anführer von Schiffsverbän­den!«

»Es wird keinen Widerstand geben! Nie­mand stellt sich gegen meine Befehle!«

»Sie sagen es, Imperator!« Unwillig schaltete Gonozal die Bildschir­

me ab, dämpfte den Ton der anderen Kom­munikatoren ab und lehnte sich wieder zu­rück.

Ganz tief in seinem Bewußtsein und sei­nen bohrenden und quälenden Gedanken verborgen, überdeckt durch Haß gegen jeden und alles, von dem er sich bedroht fühlte, förmlich eingesponnen in ein unzerreißbares Netz aus Herrschsucht, Beharrungsvermö­gen, sich überschlagender Aktivität und dem festen Willen, weiterhin der Herrscher über das Imperium zu sein, hin und wieder schmerzhaft aufflackernd und wie ein Aus­bruch an die Oberfläche drängend, saß die nackte Angst. Angst vor Atlan und den Kräften, die ihn sichtbar unterstützten. Und noch mehr die Angst vor Atlan und jenen unzählbaren Massen einzelner Individuen, die den Kristallprinzen und seine legitime Forderung unsichtbar förderten. Angst vor der schweigenden Mehrheit. Eines Tages würde sie nicht mehr schweigen. In Momen­ten, in denen Orbanaschol es riskierte, nicht an machtpolitische Entscheidungen oder an seichte Vergnügungen zu denken, tauchte diese Angst auf. Immer wieder. Dazu kam die Furcht vor dem Ende, wie immer es aus­sehen würde. Und deshalb tat Orbanaschol alles, um sich abzulenken. Er durfte nicht daran denken. Er durfte auf keinen Fall der Angst gestatten, zum Herren über seine Ent­scheidungen zu werden. Dann nämlich wür­de er nicht mehr kaltblütig, sondern wie ein Gehetzter reagieren. An diesem Punkt der Überlegungen angelangt, wischte er mit dem

Ärmel seiner weichen Jacke den Schweiß vom Gesicht, atmete mehrmals tief durch und trank aus dem Pokal.

»Sie geraten alle in Panik, ist es nicht so?« fragte er laut. Da sonst niemand im Raum war, bezog das Mädchen die Frage auf sich. Sie wollte nur noch eines: gehen. Und dies möglichst sofort.

»Nicht alle geraten in Panik«, murmelte sie. Ihr Körper war hinreißend, aber sie wußte selbst, daß sie nicht übermäßig klug war. Außerdem hatte sie Angst vor diesem völlig unberechenbaren Mann dort im Ses­sel. Er wandte ihr das von Trunkenheit und Schlaflosigkeit gezeichnete Gesicht zu. Un­ter dem einen Auge zuckte ein winziger Muskel unkontrolliert.

»Aber ich gerate niemals in Panik«, sagte er und grinste. »Komm her. Laß dich anfas­sen.«

Sie gehorchte mit der Begeisterung einer Puppe und mit ebensolchen Bewegungen.

Das Leben Orbanaschols und seiner näch­sten Umgebung, also nahezu aller Arkoni­den im Kristallpalast von Arkon verlief in einer Art Fieberkurve. Kurze Zeiten schein­barer Ruhe wechselten ab mit Phasen hekti­scher Aufregung, in denen Orbanaschol wild um sich schlug und erkennen ließ, das er verzweifelt war. Eigentlich hatte seine Unsi­cherheit nach dem Mord an Gonozal VII an­gefangen und stetig zugenommen. Je länger die Entwicklung dauerte, desto schärfer und länger waren die Anfälle von Angst, Panik und gewaltigen Reaktionen. Jede Maßnah­me, die der Imperator wegen seiner eigenen Sicherheit anordnete, schwächte an irgendei­ner Stelle die Schlagkraft an der Maahkfront. Nicht nur dem Mädchen schien es, als habe Orbanaschol den Kontakt mit der Wirklichkeit verloren.

Stunde um Stunde, Tag um Tag verging. Außerhalb der Mauern des Kristallpalasts änderte sich diese Wirklichkeit fortlaufend.

Obwohl die Zeichen der größten Krise des Imperiums deutlich sichtbar waren und so­gar im Palast gespürt wurden, verhielt sich Orbanaschol, als habe er alle Fäden fest in

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der Hand. Denjenigen, die ihn warnten, glaubte er nicht. Jeder winzige Erfolg sagte ihm, daß sein Reich sicher war, daß es kei­nen Grund gab, sich echte Sorgen zu ma­chen.

Aber nicht einmal dies konnte er glauben.

2.

Kommandant Kornelius hob den Kopf, starrte schweigend die Bildschirme an und blinzelte. Sein hartes, kantiges Gesicht zeig­te einen düsteren, undefinierbaren Ausdruck. Er sagte halblaut:

»Das ist weit mehr als eine Überraschung. Für mich bedeutet es eine große Gefahr!«

Er drehte sich um und sah Getray von He­lonk in die Augen.

»Warum eine Gefahr?« fragte sie. »Das erkläre ich Ihnen später«, meinte er.

»Wir haben jedenfalls den Treffpunkt er­reicht.«

»Etwas später«, schaltete sich der Erste Offizier der BEMORC ein, »aber immerhin rechtzeitig. Sicher haben diese Schiffe dort nicht nur auf uns gewartet.«

»Ganz sicher nicht.« Das Fünfhundert-Meter-Schiff BEMORC

mit seinen rund fünftausend Besatzungsmit­gliedern war durch die dramatischen Ereig­nisse auf dem Planeten Versank aufgehalten worden und traf verspätet hier am Treff­punkt der Meuterer ein.

»Kommandant«, meldete sich die Or­tungsabteilung, »wir haben eben eine erste Auszählung durchgeführt. Am Treffpunkt befinden sich über viertausend Raumschiffe. Ich muß Sie warnen; möglicherweise befin­den sich auch Einheiten darunter, die nicht unsere Einstellung zu den anstehenden Pro­blemen haben.«

Das war sehr vorsichtig ausgedrückt. Kor­nelius lächelte knapp und erwiderte:

»Versucht bitte, möglichst schnell ein Treffen der Verantwortlichen zu organisie­ren. Gleichgültig, auf welchem Schiff.«

Zwölf Lichtjahre von den Arkonwelten entfernt hingen in allen denkbaren Formatio-

Hans Kneifel

nen mehr als viertausend Schiffe im Raum. Sie hatten sämtlich ihre Geschwindigkeit an­geglichen und bildeten Perlenschnüre, dichte Cluster, traubenförmige Zusammenballun­gen oder scheibenartige Gruppen. Zwischen den großen Schiffen wieselten winzige Bei­boote durch den Raum. Auf den Bildschir­men zeichnete sich vor dem Panorama der Sterne ein gewaltiges, aber eindrucksvolles Bild ab.

»Verstanden, Kommandant.« Kornelius, der Sonnenträger, war zumin­

dest bei den meisten anderen Schiffsführern bekannt. Viele von ihnen hatten zusammen mit ihm studiert und ihre Laufbahn begon­nen. Die anderen hatten ihn während des langen Krieges einmal hier, einmal dort ge­troffen, überdies standen die Kommandan­ten über das Hauptquartier ohnehin in relativ enger Verbindung. Hier gab es inzwischen wohl niemanden mehr, der nicht wußte, daß Kornelius rückhaltlos die Absetzung des Im­perators im Sinn hatte.

Kornelius deutete auf den Ersten Offizier und nickte langsam. Er war ein besonnener Mann und hoffte, daß seine Besonnenheit die Gefahr mindern konnte. Gleichzeitig wußte er ganz genau, daß die Stimmung hochexplosiv war. Sein Erster Offizier, ein hagerer Mann mit langem Haar und einer Stirnnarbe, würde ihn in dieser Hinsicht fa­belhaft unterstützen.

»Hör zu, Innerten, du kommst mit. Ich glaube, es wird das Vernünftigste sein. Ge­tray, Sie bitte auch. Seit der Kristallprinz deutlich sichtbar aufgetaucht ist, hat sich al­les in einen brodelnden Hexenkessel ver­wandelt. Das einzige, was wir diesen aufge­regten Raumfahrern predigen können, ist kalte Vernunft! Raumanzüge, ein Beiboot und ein Treffpunkt. Veranlasse es bitte. Ich gehe mich anziehen. Klar?«

»Alles klar«, sagte Innerten. Neunund­neunzig von hundert Raumfahrern – das galt mit Sicherheit für die gesamte, noch immer riesige Flotte des Imperiums – waren bedin­gungslos gegen Orbanaschol, aber für Ar­kon. Diese Einstellung bedeutete nur schein­

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bar einen Gegensatz. Sie wollten die Maahks besiegen und zurücktreiben und nichts anderes als Ruhe, Frieden und Wohl­stand für das Imperium. Die Art, in der Or­banaschol regierte, war ihnen ein Greuel.

Getray blickte dem hochgewachsenen Mann nach und wandte sich an Innerten.

»Ich glaube, ich ziehe mich auch in meine Kabine zurück. Sie holen mich, wenn das Verbindungsboot klar ist?«

»Selbstverständlich.« Auch Innerten war von der Menge der

hier versammelten Schiffe überrascht. Er wußte, daß Kornelius etwa die Hälfte erwar­tet hatte, nicht mehr. Das war ein gutes Zei­chen, denn viertausend Schiffe stellten einen Machtfaktor ersten Grades dar. Und das war auch gleichzeitig die Gefahr dabei. Nicht je­der der Kommandanten der Meutererschiffe hatte den ausgewogenen Charakter Korneli­us'. Innerten ließ von der Funkzentrale die verschiedenen Schiffe anrufen, ordnete an, daß eine Mannschaft ein Beiboot klarma­chen sollte und versprach, innerhalb einer halben Stunde an Bord eines Großkampf­schiffs zu sein. Dort hatten sich bereits die wichtigsten Kommandanten versammelt. Die Nachricht, daß Kornelius eingetroffen war, löste offensichtlich bei der Versamm­lung starke Erleichterung aus.

*

Als Kornelius neben Getray, von Innerten gefolgt, in den großen Konferenzsaal eintrat, hörten für einen Moment die erregten Debat­ten auf. Männer und Frauen schwiegen, dann begannen sie zu murmeln, schließlich klopften die meisten anerkennend auf die Ti­sche. Ein alter, haarloser Kommandant mit faltigem Gesicht und Methannarben hob den Arm und schrie:

»Hierher, Kornelius! Gibt genügend Platz für euch!«

Kornelius winkte zurück und betrat den schmalen Gang. Er grüßte nach allen Seiten; überall saßen und standen erwartungsgemäß Freunde, Bekannte oder solche Arkoniden,

denen er irgendwo begegnet war. »Lauter Rebellen!« murmelte er. Er schüt­

telte ein paar Hände, stellte Getray und sei­nen Offizier vor, schließlich setzte er sich neben Cronk Vorren und schlug dem Kom­mandanten kräftig auf die Schulter. Vorren war einer seiner Lehrmeister gewesen.

»Einige Milliarden Jahre Verbannung sit­zen in diesem Saal«, sagte er ruhig und machte Vorren bekannt. Dann zog er das Mikrophon zu sich heran und sagte ruhig, in trockenem Tonfall:

»Besten Dank für die hochschlagenden Wellen der Begrüßung. Diese entzückende Dame neben mir ist Getray von Helonk, dem einen oder anderen vielleicht nicht unbe­kannt. Der Offizier ist der Erste Offizier der BEMORC, Innerten. Ich sehe, daß unsere größten Erwartungen übertroffen wurden. Mehr als viertausend kampffähige Einhei­ten! Welch ein Erfolg einer an sich traurigen Idee!«

Er registrierte eine gespannte Atmosphäre in diesem Saal. Etwa dreihundert Personen saßen hier und waren aufgeregt. Sie reprä­sentierten also irgendwie als Delegierte den gesamten riesigen Schiffspulk.

»Orbanaschol zieht rund um Arkon eine noch größere Flotte zusammen. Einige Scoutschiffe sind zurückgekommen. Der Diktator rechnet mit fünftausend Einheiten«, sagte jemand. Kornelius nickte.

»Das verspricht eine schöne, blutige Raumschlacht, in der sich die besten Raum­fahrer gegenseitig umbringen. Welch eine erhebende Vorstellung, meine Freunde!«

Auf vielen Gesichtern zeichnete sich Be­troffenheit ab. Vorren lehnte sich zurück, drehte seinen Sessel ein wenig und zog aus der Hüfttasche eine flache Flasche. Während er einen kräftigen Schluck zu sich nahm, grinste er. Dann blickte er von der Seite Kornelius kühl und prüfend an. Kornelius hob die Hand und machte eine abwehrende Bewegung. Jeder konnte sehen, daß er nicht im mindesten scherzte.

»Meine Freunde«, rief er deutlich, »wenn wir jetzt losschlagen sollten, dann bedeutet

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es nichts anderes als den Ausbruch eines Bürgerkriegs von ungeahntem Ausmaß und unvorstellbarer Grausamkeit. Das ist nicht in unserem Sinn. Orbanaschol ist keinen Bür­gerkrieg wert. Und es wird sicher auch nicht im Sinn des legalen Nachfolgers von Gono­zal sein, dem jungen Kristallprinzen.«

Die gemurmelten Unterhaltungen, die rundherum stattfanden, hörten jetzt auf. Es herrschte plötzlich eine wirkliche Stille. Kornelius senkte den Kopf. Konnte es sein, daß von all diesen Männern und Frauen nie­mand diesen Aspekt betrachtet hatte?

»Jeder Tag, den wir noch warten, bedeutet einen klaren Vorteil für die Maahks!« rief jemand. Ein anderer fügte hinzu:

»Knapp zehntausend Raumschiffe! Vier­tausend und mehr hier, fünftausend in zwölf Lichtjahren Entfernung vor Arkon. Das sind zehntausend Schiffe weniger an der Front. Millionen von Raumfahrern, die nicht kämp­fen, sondern Daumen drehen!«

»Du hast völlig recht!« gab Kornelius zu­rück, der den Kommandanten kannte. »Der Vorteil für die Maahks ist viel größer als du denkst. Als ihr hier denkt!«

Wieder schienen sie überrascht zu sein. Getray schaltete ihr Mikrophon ein und sag­te voller Erregung:

»Wenn sich zehntausend Arkon-Kampfschiffe gegenseitig vernichten, dann fallen sie für alle Zeit als Gegner für die Maahks aus. Wir reden immer nur von Schiffen. Denkt einer von Ihnen darüber nach, daß wir vielleicht in diesem Bürger­krieg allein während der zu erwartenden Raumschlacht Millionen von Arkoniden tö­ten?«

Sofort hakte Innerten nach und fügte hin­zu:

»Von denen ein sicherlich nicht geringer Prozentsatz ebenso über Orbanaschol denkt wie wir? Raumfahrer, die nur den Befehlen ihrer Kommandanten gehorchen. Diese Kommandanten allerdings sind vermutlich in den meisten Fällen Anhänger unseres lie­ben Freundes Orbanaschol.«

»Auf keinen Fall sollten wir Zeit verlie-

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ren. Wir haben keine Zeit!« rief ein Kom­mandant. Hier herrschte kein Chaos einan­der widerstrebender Meinungen, aber für Kornelius wurde deutlich, daß es wohl seine Aufgabe werden würde, auszugleichen, zu beschwichtigen und die Synthese aller An­sichten herbeizuführen.

»Zeitmangel und Bürgerkrieg sind keine ernsthaften Alternativen!« sagte Innerten laut.

»Gibt es eine bessere?« Wieder hob Kornelius die Hand und war­

tete, bis die Erregung abgeflaut war. »Jawohl, Freunde. Es gibt eine viel besse­

re Alternative. Es ist eine Möglichkeit für besonnene, kluge Männer. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es andere Männer in diesem Raum gibt!« widersprach Getray, die Frau jenes korrupten Edelmanns.

Mit gelinder Verblüffung starrte Korneli­us sie an, dann nickte er ihr anerkennend zu.

»Welche Möglichkeit?« »Ruhig abwarten!« entgegnete Kornelius.

»Ich meine damit keineswegs, der Entschei­dung feige auszuweichen. Wirklich nicht. Jeder, der mich ein wenig kennt, weiß, daß ich für das Imperium sterben würde, wenn es sein müßte.«

»Vielleicht erhältst du bald Gelegenheit für diese innere Einstellung«, erklärte einer der Kommandanten spottend.

»Vielleicht«, gab Kornelius zu. »Besser ein einzelner als eine Million. Es wäre mir keineswegs angenehm, aber ich will nicht ausweichen. Darf ich einen Vorschlag ma­chen?«

»Selbstverständlich!« knurrte Vorren laut und nahm wieder einen Schluck.

Kornelius blickte sich ruhig um. Er brauchte die ungeteilte Aufmerksamkeit al­ler. Also schwieg er und machte sie neugie­rig und gespannt.

Der Sitzungssaal war schüsselförmig. Et­wa dreihundertfünfzig Konferenztische und Sessel bildeten fünf übereinanderliegende Kreise, zwischen denen schmale Gänge und flache Stufen hindurchführten. Bildschirme und andere technische Anlagen außer der

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Lautsprecheranlage waren ausgeschaltet. Mädchen und Männer aus der Besatzung dieses großen Schiffes – es gab nur an Bord weniger Einheiten solche Einrichtungen – bewegten sich zwischen den Kommandan­ten, verteilten Becher und schenkten Geträn­ke aus. Etwa zehn Prozent der Kommandan­ten waren Frauen, einige von ihnen einfache oder mehrfache Mondträger, die anderen Planetenträger. Nur langsam und zögernd legte sich die Unruhe. Schließlich stand Kornelius auf, nahm das Mikrophon hoch und sagte:

»Wir alle sind wohl einer Meinung dar­über, daß die mit Sicherheit erfolgende Raumschlacht uns schaden, unsere Position schwächen und den Maahks helfen würde. Ist jemand gegenteiliger Meinung, dann bitte ich das durch Handaufheben zu zeigen.«

Voller Spannung beobachtete Getray, daß sich nicht ein einziger Arm hob. Also schie­nen sie alle einer Meinung zu sein, was nicht sonderlich überraschend war. Kornelius re­dete weiter.

»Ich möchte gern einen Vorschlag ma­chen, der sicherlich nicht der dümmste ist. Wir warten ab und schicken in der Zwi­schenzeit eine Abordnung nach Arkon.«

»Wozu?« »Um dem Diktator unsere Forderungen zu

überbringen.« »Welche Forderungen? Soll er sich selbst

umbringen?« »Nein. Er soll sofort zurücktreten. Wenn

er dies tut, dann verzichtet das Imperium auf jede Bestrafung und gestattet ihm, ehrenvoll ins Privatleben zurückzukehren. Nicht mehr, nicht weniger.«

Dank der sinnreichen Anordnung der Sit­ze und Tische konnte ohne sonderliche Schwierigkeiten jeder Teilnehmer jeden an­deren sehen. Nicht nur Innerten und Getray bemerkten, daß sich hier eine beachtliche Anzahl von einfachen Sonnenträgern, etwas weniger zweifache Sonnenträger und sogar mehrere dreifach Ausgezeichnete versam­melt hatten. Offensichtlich wuchs das Kri­tikvermögen mit Erfahrung und Dienstalter.

Innerten war wie viele andere sicher, daß es in Wirklichkeit zwei verschiedene Arkon-Flotten gab: eine, die den alten Gesetzen ge­horchte, und eine andere, die der Willkür des Imperators entsprach.

»Und Sie glauben, Sonnenträger Korneli­us, daß Orbanaschol auf dieses Ultimatum eingeht?«

»Das weiß ich nicht!« bekannte Korneli­us. Vorren griff nach oben, packte die Schulter des Sonnenträgers und drückte ihn auf den Sitz zurück. In der gleichen Bewe­gung richtete er sich auf und stützte sich schwer gegen das Pult. Sie kannten ihn alle; viele von denjenigen Männern, die hier sa­ßen und ratlos schienen, hatte er ausgebildet oder jedenfalls ihren Weg gekreuzt.

»Hört zu, ihr klugen, entschlossenen Frauen und Männer, ihr hochdekorierten Raumfahrer. Hört gut zu, was ich euch zu sagen habe. Die meisten von euch habe ich auf meinen Knien geschaukelt, und das ist keine Übertreibung. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe schon schwere Kri­sen hinter mich gebracht, als ihr noch bei der ARK SUMMIA durchgefallen seid.«

Cronk Vorren war alt, knorrig und sarka­stisch. Es gab nicht mehr viel, was ihn be­eindrucken konnte. Allerdings war er noch niemals dabei gewesen, als man versucht hatte, einen Diktator auf unblutigem Weg zum Abdanken zu zwingen. Er registrierte mit stillem Grimm, daß ihm jeder Anwesen­de, selbst die Ordonnanzen, wie gebannt zu­hörten.

»Ich bin mehr oder weniger uneinge­schränkt für Kornelius und seinen Vor­schlag. Laßt mich aussprechen!

Wir warten. Das ist mein Vorschlag. Es ist für uns und, ohne daß ich dadurch meine innige Liebe zu diesem Psychopathen im Kristallpalast beweisen möchte, auch für Or­banaschol eine Bedenkfrist. Fünf Tage, schlage ich vor. Das können wir alle verant­worten, selbst in Hinsicht auf die ge­schwächte Front gegen die Maahks.

Parlamentäre gehen nach Arkon, legen Orbanaschol unsere Beweggründe klar und

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sagen ihm, daß nach Ablauf dieser Frist der Angriff auf alles, was mit Orbanaschol sym­pathisiert, erfolgen wird. Dann wird ohne Zweifel ein Gemetzel stattfinden, aber um die Flotte vor Arkon zu entschärfen, fällt uns sicher etwas ein. Und eines schwöre ich euch, ihr Helden:

Wenn die erste Meldung von unserem siegreichen Vorrücken bekannt wird, dann fallen neunzig Prozent aller derjenigen um und schlagen sich auf unsere Seite, die es bis heute noch nicht wagen.«

»Das wurde hier noch nicht erörtert. We­nigstens nicht laut. Ich rechne ebenfalls da­mit, daß die Front unserer Gegner sehr durchlässig wird«, unterbrach Innerten.

»Richtig. Die Unzufriedenheit, um es mil­de auszudrücken, ist groß. Die meisten Ar­koniden stehen nur aus reiner Angst auf der Seite Orbanaschols. Wir können ziemlich si­cher damit rechnen, daß sie sehr schnell wis­sen werden, wer der wahre Sieger ist. Wir! Wobei es nicht um Sieg oder Niederlage geht, sondern einzig und allein darum, daß der nächste Imperator im Kristallpalast we­der ein Mörder und Erbschleicher, noch ein Geisteskranker ist, sondern jemand, der das Imperium erhält, fördert und nicht systema­tisch ruiniert. Gegen Orbanaschol, aber für Arkon, für das Imperium!«

Die tiefe Stimme des alten Arkoniden schlug sie alle in ihren Bann. Er war auf sei­ne Art rücksichtslos und pragmatisch. Aber es war die Wahrheit, die er schonungslos aussprach. Viele der Anwesenden fühlten sich in ihre Jugend zurückversetzt, in der für sie das Imperium als Begriff kosmischer Größe ein Ideal gewesen war. Als sie den al-ten Kommandanten sprechen hörten, wußten sie, wie sehr ihr Ideal verraten worden war. Keiner von ihnen war zynisch genug, um das Leben eines einzelnen arkonidischen Raumfahrers gegen den Tyrannen einzutau­schen. Die Wahrheit war böse und unange­nehm. Aber er scheute sich nicht, sie deut­lich auszusprechen.

»Wir sind, soweit ich dies beurteilen kann, alle Ihrer Meinung, Sonnenträger Vor-

Hans Kneifel

ren«, sagte einer der Kommandanten. »Und wer soll nach Ihrer Meinung diese Selbst­mordmission unternehmen?«

Jetzt breitete sich echte Ratlosigkeit aus. Es sah nicht so aus, als wolle sich einer frei­willig melden.

Plötzlich eine Stimme. »Ich.« Die Köpfe drehten sich in die Richtung.

Kornelius stand auf und hob den Arm. »Ich gehe mit!« Neben ihm war Getray aufgestanden und

lächelte tapfer. Die Verwirrung hielt sich in Grenzen. Eine Sache war es, im Kampf ver­wundet zu werden oder zu sterben, eine an­dere, sich selbst umzubringen. Niemand zweifelte daran, daß diese Mission reiner Selbstmord war.

»Ich glaube, das sagt alles über die wah­ren Absichten und den Charakter von dieser jungen Frau und Sonnenträger Kornelius aus«, sagte Vorren nachdrücklich und fügte hinzu:

»Ich habe meinen Standpunkt klar darge­legt. Macht, was ihr wollt! Wenn es dem Im­perium nützt, bin ich sogar wider bessere Einsicht auch bereit, Vorhaben zu unterstüt­zen, die mir persönlich als Unsinn erschei­nen. Ich habe gesagt, was zu sagen war. Ab­stimmung?«

Diesmal blieb Kornelius sitzen. »Zwei Dinge sind noch zu sagen. Ich hän­

ge ebenso an meinem Leben wie jeder ande­re. Ich rechne mir trotz allem noch Chancen aus, zusammen mit Getray lebend zurückzu­kommen. Vielleicht erwischen wir Orbana­schol in einer Phase der Klarheit. Wenn ihr alle diesem Vorschlag zustimmt, dann haben wir nur noch die Länge und Dauer der Be­denkzeit zu diskutieren. Aber ich kenne mei­nen Lehrmeister Vorren. Er soll uns jetzt er­klären, was seine Verbindungsleute ihm aus dem Kristallpalast berichtet haben. Viel­leicht lernen wir aus diesem Bericht, wie wir besser und wirksamer vorzugehen haben. Ich danke euch.«

Als er sich zurücklehnte, begann Vorren dröhnend zu lachen. Er amüsierte sich dar­

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über, daß er für ganz kurze Zeit Kornelius unterschätzt hatte. Seine Schule! Sein Ge­lächter entspannte die Situation, die ernst genug war.

»Tadellos! Fabelhaft, Kornelius. Hast du es erraten, geschätzt oder etwa gewußt?«

Mit steinernem Gesicht antwortete Korne­lius:

»Ich habe es sozusagen ausgerechnet. Ich vermag mir nicht vorzustellen, daß dich, Vorren, irgendwelche Entwicklungen über­raschen. Du hast schon immer dafür gesorgt, daß du mehr Informationen bekommst als andere. Also! Wir wollen die Wahrheit wis­sen. Du hast das Wort.«

Cronk Vorren winkte eine Ordonnanz herbei, nahm einen leeren Becher und goß den restlichen Inhalt seiner Taschenflasche hinein. Vorren trank und knurrte vernehm­lich: »Dummes Laster.« Dann setzte er an:

»Ich kürze und vereinfache stark. Was ich sage, hat den Vorzug, richtig und wahr zu sein. Seit dem Mord an Gonozal befindet sich Orbanaschol in einer Ausnahmesituati­on. Er erwartet, daß die Wahrheit bekannt wird. Diese erste Angst belastet ihn seit je­nen Tagen. An einem sehr frühen Zeitpunkt erkannte er, daß er als Imperator für das Im­perium ein paar Nummern zu klein war. Er­ste Kritik kam auf, und da er alles andere als dumm oder unintelligent ist, spürte er sie. Er reagierte schnell, aber unangemessen, die Folge war mehr Kritik. Und an diesem Zeit­punkt beginnt eine Spirale oder eine Schau­kel. Mehr und neue Kritik, hastigere und weniger überlegte Handlungen oder Anord­nungen, Fehlschläge und wieder deutlichere Kritik – so ging es weiter. Und am Schluß dieser Entwicklung reagierte er wie ein ver­wundetes Tier. Er schlug wahllos nach al­lem, was er als Gefahr identifizierte. Er ver­gaß seine angeborene Schläue und seine In­telligenz, genauer, er wandte sie an, um mit gigantischem Aufwand keine Wirkung her­vorzurufen. Dieses System von gegenseiti­gen Beeinflussungen und falschen Abhän­gigkeiten mündete schließlich in die klassi­schen Verhaltungsweisen eines Verfolgs­

wahns: Orbanaschol wurde zum echten Paranoi­

ker. Jetzt reagierte er blind und gedankenlos.

Er schlägt wie ein Rasender um sich. Er ist ein Rasender. Er wäre längst allein und machtlos, wenn es nicht einige Verblendete gäbe und solche, die ihm bedingungslos ge­horchen. Er ist und bleibt gefährlich, gerade deswegen. Zusammenfassend muß ich sa­gen:

Von Orbanaschol können wir alles erwar­ten. Nur eines nicht: die vernünftigen Hand­lungen und Reaktionen eines geistig gesun­den Arkoniden.«

Die Frage, die von allen am schwersten zu beantworten war, stellte nach längerem Schweigen Getray von Helonk.

»Und wer soll Orbanaschol ablösen?« Viele Stimmen riefen: »Natürlich Atlan, der junge Kristallprinz.

Wir alle wissen, daß er lebt und mit uns kämpft.«

Kornelius schüttelte den Kopf und erklär­te:

»Meiner Meinung nach ist dies eine nahe­liegende Lösung. Aber es ist eine falsche Lösung.«

Als sie in ihn drangen, um zu erfahren, was gegen Atlan sprach, schwieg er mit großer Entschlossenheit.

*

Nach rund drei Stunden, die teilweise stürmisch verliefen, hatte Kornelius eine lange Unterhaltung mit Innerten. Er sagte seinem Stellvertreter genau, was in diesem oder jenem Fall zu geschehen hatte.

Dann legte an einem Hangar des Flagg­schiffs ein kleines, unscheinbares Schiff an; es war die TURCOS mit nur zehn Mann Be­satzung, die sich ausnahmslos freiwillig ge­meldet hatten.

Kornelius zog den rechten Raumhand­schuh an und strich die Finger glatt.

»Noch können Sie zurück, Getray!« sagte er leise und verständnisvoll, als er vor dem

12

Personenschott der kleinen Schleuse stand. »Ich weiß. Aber ich habe mich entschlos­

sen, mit Ihnen zu gehen, Kornelius. Ich komme mit nach Arkon.«

»Hoffentlich bereuen wir es nicht«, mur­melte er und half ihr, den Raumanzug zu schließen. Sie schalteten im Innern der Schleuse die Anzugsversorgung ein, durch­querten Hand in Hand den Hangar und schwebten am Verbindungstau hinüber zu dem Schiff, das nur sechzig Meter Durch­messer aufwies. Die Luke der TURCOS war grell ausgeleuchtet. Auf Bildschirmen beob­achteten die zurückgebliebenen Komman­danten die beiden Personen. Kaum einer von ihnen würde freiwillig mit Getray und Kor­nelius tauschen. Sie wußten, daß es im wah­ren Sinn des Wortes eine Selbstmordmission war.

Keiner rechnete mehr damit, die beiden Arkoniden lebend wiederzusehen.

Langsam schob sich die TURCOS aus dem Pulk heraus, schlug eine spiralige Zick­zackbahn ein, um den vielen Verbindungs­booten auszuweichen. Diese kleinen Raum­transporter brachten die Kommandanten zu­rück in ihre Schiffe. Die Bedenkzeit für Or­banaschol hatte begonnen.

Möglicherweise war es auch genau die Zeitspanne bis zum Tod Getrays und Korne­lius'…

Die TURCOS beschleunigte und ging auf direkten Kurs nach den Arkonwelten.

3.

Das narbenübersäte Gesicht Morvoner Sprangks schob sich in den Raum. Karmina Arthamin setzte sich auf, schlug die Decke zurück und blinzelte.

»Es sieht so aus, als wären wir angekom­men!« murmelte Sprangk humorlos. »Vermutlich hatten wir Erfolg mit unserer Suche.«

»Atlan? Ist er dort?« fragte Karmina auf­geregt.

Ausweichend zog Sprangk die Schultern hoch. An Bord der ISCHTAR kannte jeder

Hans Kneifel

die Gerüchte, die den Kristallprinzen an der Spitze einer riesigen Meutererarmee sehen wollten. Morvoner zog das Schott hinter sich zu und ging an Karmina vorbei. Er schaltete den Bildschirm ein, wählte die Zentrale und deutete auf die Wiedergabe der Ortungsschirme. Schweigend blickte Karmi­na auf die zahllosen Echos.

»Das sind … Tausende von Raumschif­fen!« sagte sie überrascht und rieb sich schläfrig die Augen.

»So ist es. Die Funkabteilung tut, was sie kann!« erwiderte er und strich über seinen kahlen Schädel. »Wenn Atlan nicht hier ist, so gibt es vielleicht jemanden, der uns etwas über ihn sagen kann. Wir müssen warten.«

»Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig.« Sie hatten immer wieder teilweise ver­

stümmelte Funksprüche aufgefangen und viele Strukturerschütterungen von Transitio­nen angemessen. Ganz langsam und mit großer Vorsicht, stets zur Flucht bereit, hatte sich die ISCHTAR diesem Gebiet genähert. Jetzt lösten sich aus dem Grenzbereich des riesigen Pulks einige Schiffe und rasten der abbremsenden ISCHTAR entgegen.

»Sind das alles Schiffe der Meuterer?« fragte Karmina.

»Mit größter Wahrscheinlichkeit. Ich wer­de in der Zentrale gebraucht – kommen Sie nach, Karmina?«

»Ja. Selbstverständlich. Gleich.« Sie hatte bis jetzt geschlafen. Morvoners

Summer hatte sie geweckt. Ihr Schlaf war voller unruhiger Träume gewesen. Einmal hatte sie geträumt, daß Atlan gestorben wäre und daß sie wie versteinert vor Schmerz ne­ben seiner Leiche gestanden hätte. Ein ande­rer Traum, ähnlich furchtbar, hatte ihr ge­zeigt, daß sie und Atlan sich für immer ge­trennt hatten. Sie wartete darauf, bis sich der Becher mit der heißen, aufmunternden K'amana gefüllt hatte, dann schüttete sie einen Schluck Alkohol hinein und trank. Die Mischung munterte Karmina ein wenig auf und riß sie aus der Beklemmung der Schläf­rigkeit und der Alpträume. Dann folgte sie durch die leeren Korridore des Schiffes

13 Das Treffen der Rebellen

Sprangk in die Zentrale. Hier herrschte helle Aufregung. Die ISCHTAR wurde jetzt von vier.

Schiffen eskortiert. Der Bildfunkverkehr war in vollem Gang. Auf einem großen Mo­nitorschirm sahen die Raumfahrer einen un­tersetzten Mann mit haarlosem Schädel, Me­thannarben im faltigen Gesicht und drei glänzende Sonnen auf der linken Brustseite.

»Ich verstand ISCHTAR«, sagte er mit ei­ner tiefen, heiseren Stimme. »Handelt es sich um ein Schiff des Kristallprinzen? Es gibt so allerlei Gerüchte.«

Sprangk stand vor den Linsen und Mikro­phonen. Er nickte bedächtig und sagte:

»Ja. Wir haben eigentlich erwartet, daß Fartuloon und Atlan bei Ihnen sind und auf uns warten.«

»Bedauere. Wir wären selbst froh dar­über. Aber weder Kristallprinz Atlan noch Fartuloon sind bisher aufgetaucht. Schließen Sie sich uns an?«

»Darüber müssen wir noch beraten. Hof­fentlich betrachten uns die Kommandanten der eskortierenden Schiffe nicht als Spione oder als Kampfschiff Orbanaschols.«

»Mit Sicherheit nicht. Ich sehe dort hinten das Wesen, das als ›Eiskralle‹ inzwischen in die Raumfahrererzählungen eingegangen ist. Unmöglich, daß ein Chretkor auf einem Schiff Orbanaschols mitfliegt. Wollen Sie sich an einen unserer Pulks anhängen?«

»Geben Sie mir noch etwas Zeit, Sonnen­träger«, meinte Sprangk. »Wir kommen nä­her.«

»Lassen Sie sich Zeit, Kommandant Sprangk«, versicherte der Sonnenträger an­scheinend gutgelaunt. »Wir alle können nichts anderes tun als warten.«

»Wie das?« Auf den großen Schirmen der Panorama­

galerie bildete sich die Flut der vielen großen und kleinen Schiffe ab. Schweigend starrte Karmina Arthamin die Bilder an. Sie dachte an den lebenden Leichnam des alten Imperators. Gonozal der Siebente lag ir­gendwo in einer der sicheren Hospitalkam­mern des Schiffes und dämmerte dahin.

Vorry kam herbeigetappt und brummte: »Sind alles Rebellen, wie?« »Ja. Etwa viertausend Schiffe voller Meu­

terer«, erklärte Corpkor, der finster brütend die Ansammlung betrachtete.

»Was werden wir tun?« erkundigte sich der Magnetier.

»Warten.« »Warum immer nur warten?« Morvoner Sprangk drehte sich um, ließ

seinen Blick über die Freunde gleiten und sagte schließlich resignierend:

»Hier befinden wir uns in der Sicherheit der Gruppe. Wir können hier die Entwick­lung am besten abwarten. Vielleicht erfahren wir etwas von Atlan.«

»Außerdem ist es wahrscheinlich, daß At­lan und Fartuloon dieselben Beobachtungen wie wir gemacht haben. Das würde sie auto­matisch hierher führen«, schloß Karmina. »Wenn sie noch leben.«

4.

Im Augenblick fühlte ich mich am Ende meiner Kräfte. Es war eine innerliche Er­schöpfung, ein Zustand, der mir sagte, daß es so nicht mehr lange weiterging.

Vor wenigen Augenblicken hatte mich der Schmerz getroffen, der das Eintreten der NEKOR in den Normalraum begleitete. Wir näherten uns Arkon. Ein neuer Versuch. Hoffentlich der letzte.

Keine übertriebenen Hoffnungen, sagte der Extrasinn scharf.

Nach dem Zwischenfall mit diesem Satel­liten, der sich als Falle entpuppt und durch die Warenmenge und die pausenlos arbei­tenden Transmitter gesprengt worden war, befanden sich Fartuloon und ich auf dem Handelsschiff in größtmöglicher Sicherheit, wenigstens für die Dauer des Fluges. Mir war nicht klar, wie viele Transitionen noch bis Arkon durchgeführt werden mußten. Ich gähnte, fühlte eine unbestimmte Schwäche in den Knien und eine Flut dunkler Gedan­ken. Ich schaltete den Bildschirm ein und wählte die Zentrale.

14

Der hünenhafte Kommandant Denc-Mons drehte sich herum und blickte mich an.

»Sie sind es!« sagte er. »Ich fürchte, ich habe schlechte Neuigkeiten für Sie und Far­tuloon.«

»Sie können mich kaum mehr überra­schen«, gab ich zurück. »Was ist los?«

»Funksprüche aus allen Richtungen, und dazu eine Menge offizieller Durchsagen von Arkon Eins.«

»Ich höre?« Ich befand mich an einem Punkt, an dem

mich nur noch die Mitteilung über absolute Katastrophen ernsthaft beunruhigten. In den letzten Monaten, spätestens seit dem Zeit­punkt, an dem ich in der Arena niederge­schlagen und entführt worden war, folgte ein vernichtender Schlag dem anderen. Eine Kette von Mißerfolgen, so lang wie die hal­be Galaxis. Denc-Mons meinte beschwichti­gend:

»Keine guten Nachrichten, Atlan. Orbana­schol hat vor kurzem Arkon Eins sperren lassen. Kein Schiff darf mehr landen. Klei­nere Boote werden von Schlachtschiffen eingeschleust. Ich habe noch keine Aus­kunft, aber ich denke, auch auf Arkon Zwei werden wir nicht landen können.«

Der Diktator fürchtet euch! sagte der Lo­giksektor.

»Ich verstehe. Der Diktator traut nur noch einem kleinen Kreis von Personen bezie­hungsweise Kommandanten«, sagte ich lei­se. »Sie gehören nicht dazu, Denc-Mons?«

»Möglicherweise nicht. Er kennt mich nicht, also rechne ich mit Schwierigkeiten.«

»Sagen die Funksprüche etwas von Um­sturz, von Meuterei oder Rebellion?« erkun­digte ich mich vorsichtig.

»Es gibt keine offizielle Meldung der letz­ten zwanzig Minuten, in der ein solcher Ver­dacht ausgesprochen wurde. Kommen Sie doch in die Zentrale, hören Sie selbst, was wir auffangen.«

»Gute Idee«, sagte ich. »Ich komme und bringe Fartuloon mit.«

»Einverstanden.« Der Bildschirm blieb eingeschaltet, aber

Hans Kneifel

der riesige, breitschultrige Handelskomman­dant wandte sich wieder dem Steuerpult zu. Langsam bremste die NEKOR ab; ich er­kannte es an den veränderten Geräuschen der Maschinen. Wir hatten eine mächtige Organisation aufgebaut, und nun war Krau­mon verwüstet, und die Freunde waren ver­schollen. Wenn es ein Gerücht einer größe­ren Rebellion gab, dann war sie nicht vom Bauchaufschneider oder mir oder unseren Freunden ausgelöst worden. Oder doch? Vielleicht genügten die Informationen von unserem Wirken, vielleicht hatten wir da­durch, daß wir während dieser makabren Gerichtsverhandlung unsere wahre Identität enthüllten, eine Art Signal gegeben? Viel­leicht hatten die vielen Millionen Unzufrie­dener nur auf ein solches Signal gewartet? Ich strich über mein kurzes Haar, das noch lange brauchen würde, um nachzuwachsen, dann stand ich entschlossen auf. Was ich brauchte, war eine starke Droge, die mir Selbstvertrauen und Entschlossenheit zu­rückgab.

Ich murmelte einen altarkonidischen Fluch, verließ die Kabine und hämmerte ge­gen das zerbeulte Schott von Fartuloons Aufenthaltsraum.

»Bring einen Schinken, schäumenden Wein und eine Handvoll schlanker, vollbusi­ger Frauen mit!« donnerte Fartuloon. Ich är­gerte mich noch mehr. Während ich litt, schien der Bauchaufschneider bester Laune zu sein und begann laut zu schwadronieren. Ich riß das Schott auf und sah, daß Fartuloon mit bloßem Oberkörper in einem Sessel lag, eine alte Lesespule vor sich und in der lin­ken Hand einen großen Becher.

»Es tut mir leid«, begann ich säuerlich, »aber auf deine sündigen Lustbarkeiten wirst du wohl noch etwas warten müssen.«

»Dafür habe ich den überaus lieblichen Ausdruck deines länglichen Gesichts, du haarloser Kristallprinz«, sagte er gutgelaunt, deutete auf die Liege und schüttete sich den Inhalt des Bechers zwischen die Zähne. »Ich habe mitgehört. Warum bist du derartig schlecht gelaunt?«

15 Das Treffen der Rebellen

Ich zuckte die Schultern. »Ich sehe nichts, das mich optimistisch

stimmen kann. Rebellion! Quarantäne für Arkon! Und noch immer regiert dieser Ty­rann!«

Fartuloon schaltete die Spule ab, setzte den Becher auf den Tisch zurück und richte­te sich im Sessel auf. Plötzlich war er wieder ernst. Mit großen Augen sah er mich an, auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Querfalten.

»Das Ende ist nahe!« murmelte er hohl, dann lachte er völlig unmotiviert dröhnend auf, sprang aus dem Sessel und legte seinen Arm um meine Schultern.

»Unser Ende, möglicherweise!« murmelte ich. »Was erheitert dich eigentlich so? Es ist die falsche Einstellung am falschen Platz und zu einem unpassenden Zeitpunkt.«

Er schüttelte heftig den Kopf. »Du hast nicht recht, Söhnchen. Ich weiß

es. Ich glaube, die Zeichen des Untergangs besser zu kennen als du, denn ich habe in derlei Dingen ungleich mehr Erfahrung; ein fragwürdiger Vorteil eines höheren Alters. Ich weiß, ohne alle Informationen zu haben, daß Orbanaschol in beträchtlichem Tempo auf das Ende seines Weges zustolpert. Glaubst du mir, Atlan?«

Ich setzte mich auf die Schreibplatte, nahm eine der vielen Flaschen und trank ge­dankenlos einen Schluck. Das Getränk ver­wandelte meine Speiseröhre in ein weißglü­hendes Rohr, aber als es im Magen ankam, breitete sich eine wohlige Wärme aus. Ich fühlte direkt, wie ich mich entspannte. Lang­sam bekam ich wieder Respekt vor den höchst unkonventionellen Mitteln dieses Mannes, der mir ein Vater, ein Lehrer und ein Freund gleichermaßen war.

»Es fällt mir schwer«, sagte ich und sah zu, wie er sich anzog. Glücklicherweise mußte er darauf verzichten, seinen reichlich mitgenommenen Brustharnisch und das Skarg anzulegen.

»Natürlich wird es schwer sein, auf leerer Straße im Triumphzug in den Kristallpalast einzuziehen. Bis du dort bist, wird es noch eine schöne, runde Serie von Abenteuern ge­

ben. Es wäre sonst auch langweilig. Aber ich glaube, daß unser verdammter Freund inzwischen sich selbst in eine Position hin­einmanövriert hat, die ihn selbst binnen kur­zer Zeit erledigt. Es ist nicht so, daß ich fa­natisch an unseren Sieg glaube. Aber nach allem, was ich weiß, und nach dem vielen, das ich ahne, glaube ich fest an die Niederla­ge von Orbanaschol. Und darauf haben wir alle seit Jahren hingearbeitet. Kannst du dir, um nur ein Beispiel zu erwähnen, denken, wie es inzwischen an der Front gegen die Methanatmer aussieht? Glaubst du, daß Zehntausende braver und imperiumstreuer Kommandanten diesen Irrsinn noch länger mitmachen? Es sind jene Rebellen, von de­nen die Gerüchte sprechen.«

Er befestigte die diamagnetischen, auffal­lenden Manschettenknöpfe und grinste vol­ler Kälte. Gerade deshalb, weil er mit völlig ruhiger, emotionsloser Stimme gesprochen hatte, überzeugte er mich weitaus mehr.

»Soweit die Betrachtung, die Orbanaschol betrifft«, sagte ich halblaut und nahm noch einen Schluck dieser merkwürdigen Flüssig­keit, ehe ich mit einem Hieb der flachen Hand den Verschlußzylinder in den Hals schlug. »Und was unternehmen wir, um den Sieg herbeizuführen?«

Fartuloon packte mich an der Schulter und zog mich zum Schott.

»Warte, Kristallprinz«, sagte er. »Ich wer­de es dir ganz genau erklären. Zuerst aber orientieren wir uns über die Situation.«

Schweigend und schnell legten wir das kurze Stück Korridor bis zur Zentrale des Handelsraumers zurück. Denc-Mons sah uns kommen und hielt uns wortlos die ausge­druckte Fassung aller wichtigen Funksprü­che entgegen. Schweigend lasen wir die Zei­len. Das Bild rundete sich.

Nach einer Weile hob ich den Kopf und erklärte:

»Das ist deutlich. Wir werden also nicht auf Arkon Eins landen, sondern abgeholt. Nicht einmal auf Arkon Zwei darf Ihr Schiff seine Ladung löschen, Kommandant!«

»Richtig.«

16

»Hier steht, daß ein Containerschiff gest­artet und ein Anlegemanöver fliegen wird. Soll das heißen, daß die Ladung von dikta­tortreuen Mannschaften übernommen und abgesetzt wird?« fragte ich voller Überra­schung. Der Kommandant nickte; für ihn war diese Lösung vermutlich besser als ein möglicherweise langes Warten auf Landeer­laubnis.

»Die NEKOR wird entladen, dann muß sie abdrehen und zurückfliegen«, erklärte Denc-Mons. »Ich kann natürlich nichts da­gegen unternehmen.«

Fartuloon fragte kurz: »Wohin geht die Ladung?« »Mit einiger Sicherheit nach Arkon Zwei.

Ich kann mir keinen anderen Landeplatz vorstellen. Aber es ist in diesem Stadium der Verwirrung natürlich alles denkbar. Sie ha­ben schon wieder diesen verwegenen Blick, Fartuloon. Was planen Sie?«

Fartuloon vollführte eine lässige Bewe­gung, die völlige Gleichgültigkeit möglichen Gefahren gegenüber ausdrücken sollte.

»Behandeln Sie uns als einen Teil der La­dung!« schlug er ungerührt vor. Schon jetzt zündete die Idee; ich erwärmte mich sofort für seinen Vorschlag. Plötzlich erfaßte mich wieder die Lust, zu handeln und weiterzu­kämpfen. Der alte Bauchaufschneider schien wirklich einer der besten Psychologen zu sein, die es innerhalb des Imperiums gab!

»Ich verstehe«, gab Denc-Mons nach eini­gen Sekunden des Überlegens zurück. »Wollen Sie es sich nicht leichter machen? Ich kann Sie auch gleich hier in der Zentrale umbringen, dann ersparen wir uns eine Men­ge Arbeit. Ein selbstmörderischer Vor­schlag, meine Herren!«

Ich hob die Hand und korrigierte ihn. »Sie kennen mein Überlebenspotential

nicht. Es ist ebenso hoch wie das von Fartu­loon. Er ist ein alter, von Sorgen und Aus­schweifungen gebeugter Mann. Er wäre nie so alt geworden, wenn seine Überlebenska­pazität nicht so hoch wäre.«

Denc-Mons und der größte Teil der Besat­zung, die sich hier in der engen Zentrale be-

Hans Kneifel

fanden, betrachteten uns, als wären wir grüngefleckt und vieräugig. Schließlich zuckte der Kommandant die Schultern und sagte leise:

»Sie geben nicht auf, wie?« »Nicht so kurz vor dem Ziel. Dort, dieses

Echo, ist die Sonne Arkons!« meinte Fartu­loon. »Sie bauen einen Container, den wir in einem Ladungscontainer verstecken. Auf diese Weise gelangen wir auf den Boden des Planeten. Hier, im Freien Fall, wird niemand die Ladung so genau untersuchen, daß wir entdeckt werden. Einverstanden? Außerdem wird Sie dieses Verfahren der Verantwor­tung entheben.«

»Ich warne Sie«, sagte Denc-Mons. »Der Versuch kann tödlich sein.«

»Vermutlich nicht!« widersprach ich. »Und wie wollen Sie sich befreien? Was

ist, wenn man Sie auf Arkon oder dort, wo diese verdammten Container entladen wer­den, entdeckt?«

»Dann werden wir uns zu befreien wis­sen«, erklärte ich. Denc-Mons schüttelte fas­sungslos den Kopf. Es war völlig klar, daß er uns für Selbstmörder oder Wahnsinnige hielt. Aber er bewies eine gewisse Überle­genheit und sagte zu seinem Ersten Astroga­tor:

»Gehen Sie. Holen Sie sich ein paar Leu­te. Zimmert einen Verschlag, luftdicht und raumfest, in dem diese beiden Abenteurer den Flug vom Umladepunkt bis hinunter nach Arkon überleben. Ich werde wider mein besseres Wissen und gegen meine Überzeugung den zwei Selbstmördern Nah­rungsmittel und Waffen mitgeben. Das Gan­ze ist zu verrückt, als daß ich länger darüber diskutieren will. Aber noch eines, Fartuloon:

Wenn es Ihnen dreckig gehen sollte, dann schimpfen Sie bitte über alles und jeden, aber nicht über mich. Ich habe getan, was ich konnte. Obwohl ich Ihren Versuch für glatten Wahnsinn halte und Ihnen noch im­mer abrate.«

Feierlich erklärte der Bauchaufschneider: »Wir haben begriffen. Ihre Sorge ehrt Sie,

Denc-Mons. Wir danken Ihnen für alles.

17 Das Treffen der Rebellen

Aber wir müssen wohl alles versuchen, um das gesteckte Ziel zu erreichen – es ist nicht das schlechteste. Die letzten Meter vor dem Ziel schaffen wir irgendwie auch noch, selbst wenn es unbequem sein sollte. Kön­nen wir den Männern helfen, ein gutes Ver­steck in der Ladung zu bauen?«

»In Ordnung. Gehen Sie mit meinem Astrogator. Er weiß, wo die Zubehörteile liegen.«

Wir nickten ihm zu und folgten dem Astrogator. Binnen weniger Stunden, wäh­rend die NEKOR abbremsend den Arkon-Planeten entgegenschwebte, bauten wir eine Art Plastikkäfig, rüsteten ihn mit zwei Ver­sorgungsanlagen aus alten Raumanzügen aus, konstruierten mit einer Ladung aus gla­sähnlichen, eckigen Erzteilen einen Flucht­weg, durch den wir sowohl den Hohlraum erreichen als uns auch daraus wieder befrei­en konnten, installierten eine schwache Be­leuchtung und zogen dann einfache Raum­fahrerkombinationen an. Der Kommandant gab uns jeweils zwei Waffen mit, einen Strahler und einen kleinen Paralysator. Wir packten einige Notrationen ein, Getränke und einige Lesespulen.

Wir wußten: waren wir einmal auf Arkon Zwei, gelangten wir auch irgendwie in die Nähe des Kristallpalasts. Es schien uns bei­den undenkbar, daß nach dieser unendlichen Kette von Unternehmungen nun auch der letzte Versuch fehlschlagen sollte. Wir beide glaubten an die Bemerkungen, die wir machten – unsere Fähigkeit, auch unter den abstrusesten Bedingungen noch zu überle­ben und nötigenfalls zerschunden, aber le­bend davonzukommen, war ziemlich hoch. Wir gingen in die Kombüse und aßen uns satt, verabschiedeten uns von den Gefährten dieses Fluges und blieben schließlich in der Zentrale, bis sich das Containerschiff melde­te und der Kommandant die verschiedenen Anlege- und Übernahmemanöver bestätigte und die entsprechenden Daten durchgab. In­zwischen füllte Arkons Zentralstern die Bildschirme. Dort vorn, in der anonymen Dunkelheit des Alls, verbarg sich Arkon

Eins. Dort stand der Kristallpalast, in dem sich der psychopathische Mörder meines Vaters verschanzt hatte. Als die Datenflut zwischen den Schiffen abflaute, sagte Denc-Mons:

»Am besten, Sie gehen jetzt in Ihr Ver­steck!«

»Schon unterwegs«, erklärte Fartuloon, nicht mehr ganz so überzeugend. »Darf ich Ihnen danken, Denc-Mons?«

Er ergriff die Hand des Kommandanten und schüttelte sie ausnehmend heftig. Denc-Mons versuchte ein Grinsen, das aufmun­ternd wirken sollte.

»Versuchen Sie dringend«, knurrte er, »nicht umzukommen. Es wäre schade um Sie.«

Ich verabschiedete mich von Denc-Mons, und ehe er wieder eine unpassende Bemer­kung loslassen konnte, sagte ich:

»Sie werden von uns hören. Sicher stehen wir nicht auf der Liste der Opfer. Ich danke Ihnen, Kommandant. Sorgen Sie sich nicht zuviel um uns. Wir kommen schon durch!«

»Ich wünsche es Ihnen von Herzen, Kri­stallprinz!« sagte er mit heiserer Stimme.

Der Astrogator und drei Besatzungsmit­glieder begleiteten uns in den Laderaum. Unter dem grellen Licht der Tiefstrahler öff­neten wir den Deckel des Containers, kro­chen in den Plastikschlauch, der unter Druck stand und setzten uns in den engen Ver­schlag aus Metall, Kunststoff und Plasti­kumhüllung. Das Aggregat wurde abge­schaltet, der Schlauch fiel in sich zusammen, die schweren Glasmetallbrocken sackten klirrend hoch. Roboter schaufelten die zuvor herausgenommenen Brocken wieder in den Container zurück. Wir versuchten, es uns so bequem wie möglich zu machen. Wir saßen auf luftgefüllten Plastikbehältern, sahen uns gegenseitig im Licht der winzigen Lampe in die Gesichter und streckten die Beine aus. Mehr als zwei Meter Länge hatte diese win­zige Kabine in dem großen Container nicht; etwa zwei Kubikmeter betrug ihr Inhalt. Noch eine Weile lang hörten wir die ein­schlägig zu identifizierenden Geräusche,

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dann schnappten die schweren Verschlüsse des riesigen Behälters zu.

Einer der Raumfahrer hämmerte ab­schiedsnehmend noch viermal gegen die Seitenwand, dann entfernten sich die Schrit­te, die schwache Vibration hervorriefen.

»Wo werden wir landen, Fartuloon?« fragte ich nach einer Weile, die mir endlos erschien. Wir beide lasen in den kleinen Le­sespulen. Immerhin lenkten sie uns ab; uns erschienen abenteuerlich gefärbte Erzählun­gen als schwacher Abglanz dessen, was wir selbst ununterbrochen erlebten.

»Ich rechne damit, daß wir auf Arkon Zwei abgeladen werden.«

»Durchaus möglich.« Eine Situation, die an den Nerven zerrte.

Die kleinen Aggregate, die unsere Atemluft regenerierten, arbeiteten mit fast unhörba­rem Summen. Wir schwiegen und lasen. Die Zeit schien stillzustehen. Immer wieder schweiften unsere Gedanken ab und be­schäftigten sich mit dem, was »draußen« vor sich gehen mochte. Die NEKOR näherte sich dem vereinbarten Treffpunkt, das ande­re Schiff kam ebenfalls näher, und nach Stunden, wie es uns schien, erfolgte ein dumpfer, glockenartig tönender Schlag. In Wirklichkeit war nicht mehr als eine gute halbe Stunde vergangen.

»Kontakt«, murmelte Fartuloon. »Jetzt fangen sie mit dem Umladen an.«

Im Freien Fall, in der Schwerelosigkeit, konnten diese großen Container leicht um­geladen werden, wenn auch die Technik al­les andere als ungefährlich war. Diese großen und schweren Behälter besaßen eine große kinetische Energie, und es überstieg die Fähigkeiten eines jeden arkonidischen Gehirns, die Bewegungen richtig zu steuern. Also luden Robotmechanismen die langge­streckten Kästen um.

Wir waren lebendig begraben. Nur dann droht Gefahr, wenn die Contai­

ner lange dem Vakuum des Raumes ausge­setzt sind, warnte der Logiksektor.

»Sie scheinen nicht gerade sanft mit der Ladung umzugehen«, sagte ich.

Hans Kneifel

Offensichtlich befand sich zwischen den Bordwänden der beiden Schiffe oder zwi­schen den großen Luken der Laderäume ein luftdichter Balken. Wir spürten nicht nur die schweren Vibrationen, sondern wir glaubten, auch ferne Kommandos, Flüche und Scherze zu hören, wie sie unter Raumfahrern üblich waren. Immer wieder erfolgten scharrende, krachende und dröhnende Geräusche. Die beiden Raumschiffe waren miteinander ver­bunden, aber die schweren Massen, die be­wegt wurden, erschütterten immer wieder dieses labile Gleichgewicht.

»Wieder eine neue Erfahrung«, sagte ich. »Versteckt und absolut hilflos.«

Fartuloon grinste mich an und flüsterte zurück:

»Der Unterschied zwischen Jäger und Ge­jagtem ist häufig, daß letzterer nichts vom ersteren weiß. Wir sind, weil niemand uns sieht und niemand daran denkt, daß ausge­rechnet die zwei meistgesuchten Männer des Imperiums sich in einem solchen Container verbergen, die Jäger. Und überdies in der besseren Position. Geduld, Atlan, Geduld! Wir haben Jahre gewartet! Jetzt sollten wir auch noch einige Stunden warten. Wir kom­men irgendwo auf Arkon Zwei heraus, und dort sind wir wieder unter Arkoniden. Ich kenne dort jeden Grashalm.«

Er fügte nachdenklich hinzu: »Falls es dort überhaupt noch Gras gibt.« Es war durchaus denkbar, daß der Bauch­

aufschneider auch auf Arkon Zwei seine Kristalle der tausendvierundzwanzig Felder, jene OMIRGOS, versteckt hatte. Ich wartete ungeduldig. Schließlich wurde »unser« Con­tainer hochgehoben, querbeschleunigt und in das andere Schiff hinübergeschoben. Einige Geräusche und harte Schläge waren zu spü­ren, schließlich krachte der metallene Kasten schwer auf den Boden eines Laderaums und kam zur Ruhe.

Eineinhalb Stunden lang warteten wir und versuchten, keinerlei Panik aufkommen zu lassen.

Dann merkten wir, daß sich das andere Schiff in Bewegung setzte.

19 Das Treffen der Rebellen

»Halbzeit, Atlan!« flüsterte Fartuloon. Der Flug des Containerschiffs, dessen

Kommandant für Orbanaschol und seine we­nigen Getreuen offensichtlich kein Sicher­heitsrisiko darstellte, nach Arkon II hatte an­gefangen. Es konnte nicht mehr lange dau­ern, bis wir landeten. Aber dann lag die Dauer des Aufenthalts im Ungewissen.

Aber … es war ebenso möglich, daß die­ses Schiff gar nicht nach Arkon Zwei flog, sondern auf einem anderen Planeten landete und dort entladen wurde. Wir mußten mit al­lem rechnen. Und es war vernünftig, mit ne­gativen, nicht mit positiven Ergebnissen zu rechnen.

So ist es. Die Enttäuschung hält sich in diesen Fällen in Grenzen, bestätigte weise der Extrasinn.

Nichts anders blieb uns übrig: Wir warte­ten. Wieder einmal.

5.

Getray von Helonk schob ihr Haar in den Nacken, musterte Kornelius voller Unruhe und sagte nach einer Weile:

»Ich verstehe Sie nicht, Kommandant.« Er lächelte vage und blickte ihr direkt in

die Augen. Dann zuckte er die Schultern. Plötzlich schien er sehr gelassen und gerade­zu ungewöhnlich ruhig zu sein.

»Wenn ich ganz ehrlich sein soll, Ge­tray«, erklärte er leise, »dann verstehe ich mich selbst auch nicht völlig. Das heißt, mich selbst schon. Aber nicht die Gründe, die mich bewegt haben, als Parlamentär auf­zutreten. Ich bin nicht gerade feige, aber ir­gendwie scheint mir das Ganze jetzt doch riskant zu sein.«

»Wahrscheinlich, Kornelius.« Die TURCOS hatte knapp zwölf Lichtjah­

re zurückgelegt und befand sich seit Minu­ten wieder im Normalraum. Voraus loderte die Sonne der Arkonplaneten. Weder Getray noch Kornelius brauchten sich um Identifi­kation, Funkverkehr oder Steuerung zu küm­mern. Sie saßen in tiefen Sesseln in einem Winkel der Zentrale und warteten gespannt

auf ihren Einsatz. »Und aus welchem Grund sind Sie, frei­

willig zudem, mitgekommen? Die gleiche Gefahr gilt für Sie, Getray!« sagte er.

»Es mußte einfach jemand tun«, sagte sie nachdenklich. »Auch wenn ich denke, daß ein Angehöriger der Flotte keiner so großen Gefahr ausgesetzt sein würde, wie eine Pri­vatperson.«

»Schon möglich. Aber es ist fraglich, ob wir Orbanaschol wirklich selbst sehen. Ich glaube, er wird nur mittelbar mit uns verkeh­ren wollen.«

»Was unsere Mission nicht weniger ge­fährlich machen wird. Wir sind die verfüg­baren Vertreter der Meuterer oder Rebellen – über uns wird sich seine Wut entladen!«

Kornelius nickte und schwieg. Getray hat­te Recht.

Sie waren von etwa viertausendeinhundert Schiffsführern beauftragt worden, dem Dik­tator das Ultimatum zu überbringen. Ab jetzt lief die Zeit. Die Frist, die man Orbanaschol gestellt hatte, betrug ab heute fünf Tage. In kurzer Zeit würde man sie in den unmittel­baren Einflußbereich des psychopathisch reagierenden Imperators bringen. Auf kei­nen Fall würde es einfach werden. Ohne es auszusprechen, rechnete der Kommandant mit der Möglichkeit des Todes für sie beide. Er wäre ohne Zögern im Kampf gestorben, aber der Umstand, daß einer der willkürli­chen Entscheidungen Orbanaschols sie töten konnte, störte ihn beträchtlich. Aber das al­les hatte zumindest er schon gewußt, bevor er sich freiwillig für diese Mission gemeldet hatte.

»Was geschieht jetzt, Kornelius?« fragte Getray zögernd. Sie betrachtete die Männer an den Schaltkonsolen und die Handgriffe mit gelinder Verwirrung, und in dem Durch­einander von wirklichen Stimmen und Laut­sprecherdurchsagen wuchs ihre eigene Ver­wirrung.

»Ich bin sicher, daß man uns nicht landen läßt, sondern Sie und mich abholt. Mit ei­nem Aufwand, als wären wir lebende Bom­ben!«

20

In gewisser Hinsicht, so dachte er, stimm­te dieser Vergleich. Für den Diktator waren sie lebende Bomben. Sie überbrachten ein Ultimatum. Auf dem kurzen Flug hatten sie den Text gelesen, sich darüber unterhalten, das. Für und Wider abgewogen und auf alle denkbaren Fragen und Unsicherheiten Ant­worten erarbeitet. Noch mehr: sie hatten das Vertrauen der Rebellenflotte.

In diesem Augenblick schob der Funker des kleinen Raumschiffs einen Regler hoch, und aus den Lautsprechern war zu hören:

»Raumschiff TURCOS! Wir haben ver­standen, daß eine Abordnung an Bord ist. Der Imperator befiehlt der TURCOS, im Or­bit zu bleiben. Nehmen Sie folgende Positi­on und Abstände ein …«, eine Reihe von Zahlen und Anweisungen folgte. Dann fuhr die harte Stimme eines Leibwächters oder dessen Vorgesetzten fort:

»Wir werden Ihre Position anfliegen, die Delegation abholen und auf den Boden des Planeten bringen. Die fraglichen Personen sollen die Raumanzüge anziehen und, falls sie bewaffnet sind, die Waffe ablegen. Über­dies werden wir sie selbstverständlich kon­trollieren. Sie warten auf uns. Ende.«

Fragend und ein wenig hilflos drehte sich der Kommandant des kleinen Schiffes nach Kornelius um. Der Sonnenträger machte ei­ne Geste des Verständnisses und sagte:

»Klingt nicht sehr entgegenkommend. Gehen wir. Legen wir die Raumanzüge an.«

Getray stand auf, während das Schiff in die errechnete Umlaufbahn um den Planeten Arkon Eins steuerte. Von einem Raumhafen nahe des Kristallpalasts startete ein kleines Kampfschiff, nahm Kurs auf die TURCOS und paßte sich dann der Orbitalbahn an.

*

Die leere Hangarschleuse war strahlend hell angeleuchtet. An der Frontwand und entlang der beiden Seitenwände standen ins­gesamt fünfzehn Kampfroboter mit aktivier­ten Waffenarmen. Heiße Panik flackerte in Getray auf, als zwischen den Maschinen et-

Hans Kneifel

wa ein Dutzend schwer bewaffneter Arkoni­den mit grimmigen, kalten Gesichtern hinter den Visieren der Helme auftauchten. Die Männer packten Kornelius und die dreißig­jährige Frau an den Armen und zogen sie mit sich.

Das äußere Schott schloß sich, die große Personenschleuse öffnete sich schnell. Über­all waren Scheinwerfer, Sicherheitsanlagen, Kontrollen und bewaffnete Männer.

Zweifellos würde die frühere Getray von Helonk jetzt die Fassung verloren haben. Aber während ihres erzwungenen Aufent­halts auf dem Planeten Kosic hatte ein Pro­zeß stattgefunden, der alles geändert hatte. Oder vielmehr: dort hatte diese neue Ent­wicklung angefangen, die jede Art von Ziel­losigkeit aus ihrem Leben fortgeweht und für immer gegenstandslos gemacht hatte. Die Wachen mit dem Zeichen der Palast-Leibwächter auf den funkelnden, gepanzer­ten Raumanzügen brachten Kornelius und Getray aus dem Hangar hinaus, über einen kurzen Korridor und in eine karg ausgestat­tete Doppelkabine.

Der Anführer der Palastwache nahm sei­nen Raumhelm ab und warf ihnen lange, drohende Blicke zu.

»Sie warten hier«, sagte er scharf. Korne­lius gab den Blick kalt und mit einer gewis­sen Arroganz zurück.

»Sie versprachen, uns zu durchsuchen, Chef«, meinte er freundlich.

Der Mann legte die Hand an den Kolben der Waffe und deutete mit der anderen zur Decke.

»Das besorgen Höchstleistungsdetektoren für uns.«

»Ich verstehe«, erwiderte Kornelius und begann, seinen Raumanzug auszuziehen. In­zwischen hatte das Boot Fahrt aufgenom­men und stürzte auf den Planeten zu. »Wohin bringen Sie uns? In den Kristallpa­last?«

Der Tonfall des Wächters wurde eine Spur eisiger, als er die Sonne auf dem Raumanzug erkannte.

»Sie werden nach Arkon Eins gebracht.

21 Das Treffen der Rebellen

Aber nicht in den Kristallpalast. Ich habe keine Befugnis, Ihnen das Landeziel zu nen­nen.«

»Auch gut«, kommentierte Kornelius und half Getray aus dem schweren Anzug. Der Gardist warf noch einen langen, eindeutigen Blick auf die gut aussehende Arkonidin, dann drehte er sich abrupt um und verließ den Raum. Die Zurückbleibenden hörten, wie sich schwere Riegel vorschoben.

Einen Augenblick später erklärte Korneli­us, noch immer erstaunlich gefaßt:

»Keine Daten, keine wichtigen Gesprä­che. Wir werden selbstverständlich abge­hört!«

Auch er deutete zur Decke. Getray stieß ein sarkastisches Lachen aus und entgegne­te:

»Als ob das wichtig oder sinnvoll wäre. Also nicht der Kristallpalast, wie?«

»Nein. Entweder sind wir zu gefährlich, und der Imperator fürchtet sich, oder er will keine Zeugen haben, wenn er uns hinrichten läßt. Das wiederum läßt mich vermuten, daß auch innerhalb des Kristallpalasts nicht mehr alles zum Besten steht.«

»In der Tat eine beneidenswerte Situati­on«, sagte Getray und ließ völlig offen, ob sie sich und Kornelius meinte oder Orbana­schol.

Das Schiff bremste ab, durchstieß im di­rekten Flug die Atmosphäre und schwebte dann längere Zeit über der Planetenoberflä­che dahin. Schließlich sank es schnell ab­wärts und landete mit der Präzision langer Übung des Piloten.

»Jetzt werden wir es gleich wissen, nicht wahr?« flüsterte Getray. Wieder verspürte sie Angst. Aber nicht die Gefahr, in der sie schwebten, löste die Angst aus, sondern das untätige Warten.

»Es würde mich nicht verblüffen, wenn wir auf dem Gelände des Kristallpalasts ge­landet wären«, gab Kornelius zu. Auch er war schweigsam geblieben; die Aussichten, die nächsten Tage zu überleben, waren für ihn gering. Jedenfalls war er von der Rich­tigkeit seiner Überlegungen überzeugt. Auf

dem Korridor ertönte das Geräusch schwerer Schritte, dann zogen sich die Riegel zurück, das Schott zischte auf.

»Sie kommen mit!« sagte der Chef der Garde.

Es blieb ihnen nichts anderes übrig. Sie wurden wie gefährliche Kriminelle behan­delt. Überall standen Roboter, man nahm Getray und Kornelius in die Mitte der schwerbewaffneten Gruppe und führte sie aus dem Schiff hinaus, über die Rampe ins Freie. Das Schiff stand auf einem Privat­raumhafen.

»Wir sind auf der Kristallwelt!« stellte Getray fest.

Sie konnten sich gerade kurz umsehen, aber der Raumhafen lag vom »Hügel der Weisen« und vom Kristallpalast weit ent­fernt; die Umgebung bestand aus einer künstlich modellierten Parklandschaft mit nur wenigen Erhebungen. Vor ihnen brachen vielfarbige, wuchtige Felsen aus dem Bo­den, von riesigen Bäumen und Schlingpflan­zen umwuchert.

»Geradeaus!« ertönte das harte Komman­do.

Sie sahen entlang des breiten Weges aus geschliffenem, geäderten Stein die halb ver­steckten Sicherheitsanlagen. Linsen, Projek­toren und Scheinwerfer verwandelten, wenn es sein mußte, diesen Weg in eine Straße der Vernichtung. Die Gardisten gingen in ver­dächtiger Hast weiter, der Weg machte zwi­schen den Felsen eine Biegung und führte über eine Reihe flacher Stufen in einen etwa fünfzig Schritte langen Stollen hinein, über dem sich ein Teil des Parks befand. Auch in die Wände dieses Ganges waren Verteidi­gungsanlagen eingebaut. Ein starker Ver­dacht keimte in Kornelius und Getray auf – war dies ein geheimer Schlupfwinkel des Diktators?

Hundert Schritte weiter. Nachdem sie den Stollen verlassen hatten, führte der Weg ent­lang eines Teiches, zwischen Bäumen, durch gepflegten Rasen und mündete schließlich in einen kleinen Hof, der von drei Gebäude­fronten umgeben war. Im Hof verteilt stan­

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den farbige Energieplastiken, die langsam zum Klang positronischer Instrumente ihre Formen veränderten.

»Sie gehen geradeaus!« Die langgestreckten Flachbauten schienen

nichts anderes als Gästezimmer oder Wirt­schaftsräume zu sein. Einige der riesigen Scheiben waren von Stahlblenden bedeckt, die sich aus Schlitzen im Boden hochge­schoben hatten. Die Gebäude würden einem Sturmangriff längere Zeit standhalten kön­nen, sagte sich Kornelius und ging weiter. Hinter dem Frontbauwerk türmte sich ein Hügel auf, der vage Ähnlichkeit mit einem niedrigen Vulkankegel hatte.

Eine der Platten glitt langsam nach unten. Eine Eingangshalle wurde sichtbar. Die Stie­fel der Gardisten erzeugten krachende Ge­räusche auf dem spiegelnden Boden. Es ging ungefähr dreihundert Schritte geradeaus. Ein Eindruck, in den tiefsten Keller eines Ge­fängnisses gebracht zu werden, verstärkte sich bei Getray und Kornelius. Aber weder sie noch die Leibwächter sprachen ein Wort.

Vorbei an einem raffinierten System von Sicherheitseinrichtungen, offenen Sperren und den Projektoren von Strahlwaffen ging es immer tiefer in den Berg hinein.

Schließlich sagte der Offizier kurz: »Halt!« Die Gruppe blieb stehen. Hinter ihnen

schoben sich von zwei Seiten und von der Decke abermals Stahlplatten hervor. Ein massives Schott öffnete sich, und dahinter standen im Sonnenlicht einige Arkoniden, die zwar bewaffnet waren, aber keinen der­artig brutalen Eindruck machen.

»Wessalock?« schnarrte der Gardistenan­führer. Einer der Männer nickte und trat vor. Er musterte die beiden Delegierten, die sich immer mehr wie Schwerstverbrecher vorka­men, die man zur Hinrichtung brachte.

»Ja?« »Diese beiden Arkoniden wurden von uns

hierher gebracht. Sie haben zu warten, bis der Imperator zu erscheinen geruht. Ich habe Befehl, folgendes anzuordnen: Ihre Bewe­gungsfreiheit wird auf die ihnen zugewiese-

Hans Kneifel

nen Räume beschränkt. Sie erhalten Essen, können die allgemeinen Einrichtungen ihres Quartiers benutzen, es ist ihnen gestattet, die Nachrichtengeräte einzuschalten. Es sind keine Gefangene. Aber es erscheint dem Im­perator unumgänglich, daß sie keine Gele­genheit zum Verlassen des Gebäudes erhal­ten. Sie haften persönlich für die Einhaltung dieser Anordnung und die ordnungsgemäße Ausführung. Alles klar?«

Der mit Wessalock angesprochene Wäch­ter oder Diener nickte mehrmals und versi­cherte in ungewöhnlich ruhigem Tonfall:

»Alles klar, Mondträger. Ich weiß, was ich zu tun habe. Schließlich haben wir beide miteinander gesprochen, als Ihr Schiff hier­her flog.«

Wieder ein paar Kommandos. Die Gardi­sten drehten sich um und marschierten exakt wie Maschinen hinaus. Als sich das Schott hinter ihnen geschlossen hatte, erklärte Wes­salock halblaut:

»Bitte, kommen Sie mit. Sie werden lei­der eine unbestimmte Zeit warten müssen – niemand weiß, wann der Imperator kommt.«

Nach zehn Schritten wußten sie, daß sie sich auf einer der untersten Ebenen eines Trichterhauses befanden, das in den Hügel hineingebaut worden war. Vor ihnen er­streckten sich der runde Park und die unter­sten Wohnringe. Mit verhaltener Höflichkeit öffnete schließlich Wessalock eine Tür und ging voraus.

»Sie finden hier mehrere Zimmer mit al­len nötigen Einrichtungen. Eine Robotkü­che, die zentral versorgt wird, kann Ihre Wünsche ziemlich gut erfüllen. Ich darf Ih­nen keine Auskünfte geben, aber sollten Sie ernsthafte Probleme haben, dann steht Ihnen die Rufanlage zur Verfügung. Von Ihren Räumen existiert ein Zugang zum Park, aber ich muß Sie dringend davor warnen, flüch­ten zu wollen. Obwohl zur Flucht meines Erachtens ja kein Grund besteht.«

»Danke«, murmelte Kornelius. »Sie sind zu gütig. Wir wissen Ihre Besorgtheit zu schätzen, denke ich.«

Wessalock senkte den Kopf; er ging nicht

23 Das Treffen der Rebellen

auf Kornelius' Ironie ein. »Wann kommt der Dikta … Verzeihung,

der Imperator?« fragte Getray. »Nicht, daß wir ihn zwingen könnten, aber eine Frist läuft ab, an der wir nichts mehr ändern kön­nen.«

»Ich weiß es wirklich nicht. Sie sollten sich auf längeres Warten einrichten, denn in diesem Fall wird die Überraschung positiver Natur sein.«

»Kann sein Kommen irgendwie beschleu­nigt werden?« fragte Kornelius.

»Dies ist stark zu bezweifeln. Ich darf jetzt gehen?«

»Ja. Danke.« Das alles schien gespenstisch. Zuerst die

rücksichtslose Art der Leibgardisten, nun die Höflichkeit dieses Wächters. Kornelius und Getray sahen sich schweigend an, dann gin­gen sie in die Räume hinein, die teilweise miteinander verbunden, teilweise einzeln waren.

Es half nichts. Sie mußten warten, bis Or­banaschol geruhte, hierher zu kommen. Und die Zeit lief ab, die Uhr tickte … mehr als viertausend Raumschiffe würden reagieren, wenn die Frist vorbei war. Mit jeder Stunde wurde die Gefahr des Blutbads eines arkoni­dischen Bürgerkriegs größer.

6.

Langsam und nachdenklich ging er hin­über zum großen Fenster, blieb davor stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah hinaus in den Park und betrachtete die Zierbäume, die riesigen Blüten und die Blu­menwindungen, die sich um Baumstämme schlagen. Alles lag im strahlenden Licht der Sonne, die fast senkrecht herunterschien. Auf seine merkwürdige Weise, dachte Wes­salock, hätte Lebo Axton seine makabre Freude an diesem Arrangement.

Lebo Axton wollte nichts anderes als der Sonnenträger und die schöne junge Frau – und als er, Wessalock, selbst. Es gab nicht viele Arkoniden, die Orbanaschol besser kannten als Wessalock. In seiner Eigen­

schaft als oberster Verantwortlicher für die­sen Parkpavillon, wie Orbanaschol den Trichterbau im Park nannte, in dieser Eigen­schaft kannte Wessalock ihn ganz besonders gut. Er wußte, daß der Imperator geistes­krank war. Unzweifelhaft verhielt er sich wie jemand, der nicht mehr Herr über seine eigenen Entschlüsse war. Das Verhältnis Or­banaschols zur Wirklichkeit war erheblich gestört.

Also waren die Delegierten, Axton und er als Axtons Vertrauter sich einig. Sie zählten zu den Gegner Orbanaschols.

Wessalock zuckte zusammen, als er die Konsequenzen erkannte.

Er verließ seinen Platz, ging langsam und ziemlich verwirrt in den Raum, den er be­wohnen durfte, und während er über alles nachdachte, was bisher geschehen war, be­gann er zu ahnen, daß er sich wie die beiden anderen Arkoniden in einer aussichtslosen Lage befand.

Er mußte Lebo Axton verständigen. Von diesem Haus aus war es zwar technisch möglich, aber würde ein Akt des Selbst­mords werden, denn alles wurde beobachtet und abgehört.

Er durfte während der Anwesenheit der beiden Delegierten den Trichterbau nicht verlassen.

Was sollte er tun? Mit einiger Wahrscheinlichkeit würde Or­

banaschol den Befehl geben, die Meuterer auf der Stelle zu erschießen. Oder er würde es selbst tun. Die zweite Möglichkeit war weniger wahrscheinlich. Warnte er die »Gefangenen«, so machte er sich selbst zum Mitwisser, denn auch diese Warnung würde abgehört werden. Dasselbe galt, wenn er ih­nen die Flucht ermöglichte. Aber sie wollten ja auch nicht fliehen, denn sie warteten auf Orbanaschol, um ihm die Forderung der Re­bellen zu überbringen. Ein teuflischer Kreis von Sinnlosigkeiten und hilflosen Überle­gungen. Regungslos hockte Wessalock in seinem Sessel, starrte blicklos die Überwa­chungsmonitoren an, auf denen jede Bewe­gung der Rebellen aufgezeichnet wurde.

24

Konnte er es riskieren, diesen Parkpavillon zu verlassen und mit dem Gleiter zu seinem Haus zu fliegen, von dort aus Axton anrufen und informieren? Ebenfalls unmöglich, denn wenn etwas Unvorhergesehenes geschah, dann würde man ihn zur Rechenschaft zie­hen. Ein Bote? Völlig ausgeschlossen. Sie alle waren, wenn nicht aus Überzeugung, so doch aus nackter Angst vor Bestrafung des Diktators Kreaturen, ebenso wie er.

Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Nichts fiel ihm ein. Weder an diesem Tag, noch am folgenden. Als das Signal eintraf, daß Orbanaschol den Kristallpalast verlassen hatte und hierher flog, wuchs die Erkenntnis in Wessalock, daß alles weitere nur noch vom Schicksal gesteuert werden würde.

*

Zuerst landeten einige Raumschiffe und öffneten die Schleusen. Ungefähr achthun­dert schwerste Kampfroboter schwebten über die Rampen und durch die Luft und bil­deten ein Spalier vom Raumhafen bis weit in den »Parkpavillon« hinein.

Einige Zeit später verließen lange Reihen von schwerbewaffneten Männern die Schiffe und bezogen Posten. Alles schien nach ei­nem minuziös ausgearbeiteten Plan vor sich zu gehen. Verborgene Kraftwerke liefen an, und während Kleinraumschiffe mit ausge­fahrenen Geschützprojektoren über diesem Bezirk der Landschaft kreisten, entfalteten sich dröhnend überall Energieschirme und ineinander übergehende Energiekugeln, auf denen sich das Licht des Sonnenaufgangs spiegelte.

Der Trichterbau füllte sich mit Männern, die aufgeregte Kommandos riefen und über­all umherschlenderten, jeden Winkel durch­suchten und schließlich auch die Räume be­traten, in denen gerade Kornelius und Ge­tray von Helonk aufgewacht waren und sich duschten und anzogen.

»Der Imperator kommt! Machen Sie sich fertig!« rief jemand durch die offenen Tü­ren. Warnsignale summten. Irgendwo heul-

Hans Kneifel

ten Sirenen auf. Ein gewaltiger Lärm breite­te sich aus. Zwischen den Bäumen und an allen Stellen der weiträumigen Parkanlagen schwirrten Gleiter, die ebenfalls mit bewaff­neten Gardisten besetzt waren. Die Schiffe, von denen Maschinen und Arkoniden abge­setzt worden waren, starteten und zogen sich auf naheliegende Raumhäfen zurück.

Ein Pulk von fünf kleinen Schiffen raste heran, flog eine exakte Schleife über dem Trichterhaus und setzte gleichzeitig zur Lan­dung an. Aber nur ein Schiff landete wirk­lich, die vier anderen stiegen wieder auf und verschwanden mit ohrenbetäubendem Lärm. Eine Schleuse glitt auf, ein schwerer Gleiter schwebte heraus und auf einem Strukturriß der größten Schutzschirmkuppeln zu.

Kaum war der Gleiter innerhalb des Schirm, schloß sich die Lücke.

Das gesamte Sicherheitssystem von über viertausend Arkoniden oder Robotern war nur für einen einzigen Mann aktiviert wor­den. Der Gleiter, in dem fünf ausgewählte Gardisten und Orbanaschol saßen, ging tiefer und folgte dem Spalier der wartenden Kampfmaschinen. In einem gepanzerten un­terirdischen Raum stieg der Diktator aus der Maschine und knurrte heiser:

»Ihr bleibt hier und wartet. Ich werde ver­mutlich nicht lange bleiben. Forderungen! Abordnung von Rebellen! Lächerlich!«

Er stapfte davon. Da er selbst angeordnet hatte, in welchen Räumen die beiden Rebel­len untergebracht werden sollten, fand er den betreffenden Sektor seines Trichterhau­ses ohne die geringste Mühe. Er wartete, bis sich die Panzertür eines riesigen, prunkvol­len Büros geöffnet und der Raum sich mit Gardisten und Robotern gefüllt hatte.

Dann warf er sich in den prächtigen Ses­sel und schrie:

»Bringt sie her, diese Verräter! Ich werde ihnen sagen, was sie mit den Forderungen tun können!«

Daraufhin trennte eine massive doppelte Energiebarriere den Raum in zwei Teile. Nach kurzer Zeit brachte Wessalock die zwei »Delegierten«.

25 Das Treffen der Rebellen

*

Sowohl Kornelius als auch Getray kann­ten den Diktator nicht persönlich, hatten sich aber schon oft in seiner Nähe befunden, an Festen im Kristallpalast teilgenommen und waren von ihm mit einigen Worten bedacht worden. Seit einiger Zeit hatten sie ihn nicht mehr direkt gesehen.

Jetzt erschraken sie, denn sein Aussehen hatte sich stark verändert. Zwar war die Kleidung kostbar und hervorragend ge­pflegt, die Stiefel glänzten, und im Licht der vielen Beleuchtungskörper leuchteten und schimmerten die Bordüren aus Edelmetallfä­den, die Verzierungen an Jacke und Hose.

Das Haar klebte strähnig am Kopf. Es war stark gelichtet. Das fahle Gesicht mit der grobporigen, ungesund wirkenden Haut und den tiefen, schlaffen Falten wirkte unglaub­lich alt und verwahrlost. Stechend musterten die kleinen Augen aus der Tiefe der Höhlen die zwei Eintretenden.

»Ausgerechnet Sie! Ich habe gedacht, ich verhöre mich! Von Helonk! Sie wagen es, mir unter die Augen zu treten? Das Minder­wertigste, das ich seit langem gesehen habe. Und dazu noch in Begleitung eines Raum­fahrers! Schämen Sie sich nicht? Entblößen Sie sich nicht? Warum haben Sie sich noch nicht selbst umgebracht, Getray?«

Sie ließ den Ansturm aus Schreien, Fi­steln und Keuchen über sich ergehen. Er war wie von Sinnen. Orbanaschol hatte sich halb aus dem Sessel erhoben, über den Tisch ge­worfen und schrie wie ein Rasender auf sie ein. Getray erschrak nicht über Lautstärke und Wortwahl, aber sie erschrak über die Art, in der Orbanaschol förmlich explodier­te. Er besaß keine Spur von Selbstbeherr­schung mehr. Sein Gesicht rötete sich, die bläulichen Adern traten hervor. Aus den Mundwinkeln perlten kleine Bläschen.

Kornelius stand schräg hinter ihr und leg­te ihr warnend und wie tröstend eine Hand auf die Schulter. Deutlich drang der keu­chende, pfeifende Atem des Diktators an ih­

re Ohren. Beide spürten den Hauch eines kommenden Verhängnisses. Dieser Mann dort vorn war tatsächlich nicht mehr normal. Er holte tief Atem und schrie weiter.

»Und dazu auch noch Sie, Sonnenträger! Sie sollten an der Maahkfront sein und ge­gen die Methanungeheuer kämpfen!«

Kornelius sagte mit unerschütterlicher Ruhe:

»Das würde ich tun, wenn ich einen kla­ren Befehl bekommen hätte. Aber seit min­destens über einem Jahr hat die Flotte kei­nerlei klare Befehle erhalten, die zu echten Siegen geführt hätten. Aus diesem Grund und einer Anzahl anderer Gründe bin ich hier.«

Er ließ seinen Blick über die Gesichter der Gardisten gleiten. Es war unmöglich, zu erkennen, was die Männer dachten oder empfanden. Sie hielten ihr Mienenspiel her­vorragend unter Kontrolle. Sie sahen starr geradeaus; nur drei oder vier Gardisten blickten Kornelius und Getray direkt an. Der Diktator hob seine Arme und hämmerte mit beiden Fäusten auf die Tischplatte. Dann fiel er in den Sitz zurück und wurde plötzlich ganz ruhig.

»Was wollen Sie, Kornelius?« fragte er schnarrend. Er kniff die Augen zusammen und lächelte listig.

»Getray von Helonk und ich sind von rund viertausendeinhundert Kommandanten beauftragt worden, mit Ihnen zu sprechen, Imperator Orbanaschol.«

»Worüber?« fragte er viel zu leise. Korne­lius fühlte sich immer unbehaglicher.

»Die Kommandanten, denen sich stünd­lich mehr Schiffe anschließen, verlangen von Ihnen, daß Sie abdanken. In diesem Fall wird weder eine Verhandlung verlangt noch sonstige Sanktionen. Man bietet Ihnen an, in allen Ehren ins Privatleben zurückzugehen und an einem Platz zu bleiben, den Sie sich aussuchen dürfen.«

»Nicht mehr?« flüsterte er zischend. Noch immer bewegte sich keiner der Gardisten.

»Das ist im wesentlichen alles. Über die Modalitäten können wir uns einigen. Und

26

noch etwas. Ich bin beauftragt, Ihnen zu sa­gen, daß die Kommandanten Ihnen eine Frist gestellt haben. Wenn wir beide nicht mit einem positiven Bescheid zurückkom­men, werden diese Schiffe Arkon angreifen und versuchen, Sie mit Gewalt zu vertrei­ben, Imperator.«

»Eine Frist? Höre ich recht?« fragte er. Seine Stimme wurde lauter und unangeneh­mer. »Die Soldaten, die ich geschaffen habe, stellen eine Frist?«

»So ist es.« »Wann läuft die Frist ab?« Kornelius erwiderte ruhig: »In zweieinhalb Tagen, auf die Stunde ge­

nau.« Orbanaschol schwieg. Er blickte von Ge­

tray zu Kornelius und wieder zurück. Dann bewegte sich sein Körper langsam vorwärts und rückwärts. Bei jeder zweiten Bewegung schlug der Diktator mit der flachen Hand auf den Tisch, und gleichzeitig begann er zu schreien und die Worte fistelnd hervorzusto­ßen.

»Ich bin noch immer der Imperator. Nie­mand kann und darf mich absetzen. Es ist Hochverrat von euch allen, überhaupt daran zu denken. Ich bin gerecht und klug. Nie­mandem habe ich geschadet!

Ich soll abdanken! Vielleicht auch noch mein Amt diesem schurkischen Atlan über­geben, der mich Tausende von Raumfahrern auf allen möglichen Welten gekostet hat! Er ist ebenso ein Lügner und Betrüger wie der Bauchaufschneider. Und wie ihr beide dort! Und diese beispiellose Unverschämtheit, auch noch eine Frist zu stellen.

Meine Frist, merkt euch das, ist noch lan­ge nicht abgelaufen. Aber eure Frist läuft ab.«

Kornelius wahrte die Fassung. Deutlich sah er das doppelte Energiegitter vor dem Imperator. Er konnte ihn nicht einmal an­greifen. Die Wachen standen da wie aus Stein gehauen.

»Diese Fragen werden nicht diskutiert, Imperator Orbanaschol. Selbst wenn uns et­was geschieht, wird der Angriff stattfinden.

Hans Kneifel

Der Bürgerkrieg bricht los! Arkon und das Imperium werden sich davon niemals wie­der erholen können. In zweieinhalb Tagen wird das Chaos über die drei Arkonwelten hereinbrechen. Die Rebellen, wie Sie jene aufrechten Frauen und Männer nennen, wis­sen auch, daß Sie eine Gegenflotte aufge­stellt haben. Es gibt viele Mittel, sie zu um­gehen und in vielfache Fallen zu locken.

Wir richten an Sie den dringenden Appell, der dringenden Aufforderung nachzukom­men. Ihnen wird nicht ein Haar gekrümmt. Auch Sie können die Zukunft nicht manipu­lieren und die Entwicklung nicht aufhalten. Außerdem würde die Nachricht von unse­rem Tod niemanden davon abhalten, nicht zu kämpfen. In zweieinhalb Tagen wird sich eine riesige Flotte auf Arkon Eins und Zwei stürzen und wie eine Flutwelle alles hinweg­fegen, mit oder ohne uns. Sie sind in diesem Fall das erklärte Ziel der Rebellen.«

»Sie wollen mich töten! Sie haben ernst­haft vor, mich zu ermorden, diese Wahnsin­nigen!« heulte Orbanaschol und winkte sei­nen Wachen. »Bringt mich weg! Ich glaube nichts! Ich werde ihnen die größte Flotte des Imperiums entgegen werfen! Die Meuterer werden zerschmettert, vernichtet, hingerich­tet und getötet!«

Er sprang auf und warf den schweren Ses­sel um. Dann rannte er zum Ausgang des Büros und blieb vor der Türplatte noch ein­mal stehen. Mit ausgestrecktem Arm deutete er auf Kornelius und Getray von Helonk.

»Wessalock! Sie bürgen mir dafür! Sie sorgen dafür, daß die Abgesandten den mor­gigen Tag nicht mehr erleben! Legt sie um, verscharrt sie; aber nicht in meinem Park! Sie haften, hören Sie? Ich lasse Sie foltern und töten, wenn ich erfahre, das sie morgen Mittag noch am Leben sind!«

»Ich habe verstanden«, sagte Wessalock aus dem Hintergrund. Kornelius und die Frau blieben stehen und sahen zu, wie die Männer in den gepanzerten Kampfanzügen mit dem Diktator in der Mitte den Raum verließen. Sie erzeugten beträchtlichen Lärm. Plötzlich hörte Kornelius deutlich,

27 Das Treffen der Rebellen

wie Wessalock sagte: »Ich versuche alles. Sie müssen mitspie­

len!« Dann winkte er zwei Robotern, von denen

die Abgesandten aus dem Raum hinaus und in ihr luxuriöses Gefängnis zurückgebracht wurden.

Aber jetzt hatte sich die Szene verändert. Vor jedem Schott, jedem Fenster und jeder Öffnung, die als Fluchtweg denkbar war, schwebten aktivierte Kampfroboter. Korne­lius versuchte, noch ein Wort oder einen Blick Wessalocks zu erhaschen, aber der Mann schwieg beharrlich. Er wirkte sehr un­glücklich und verwirrt. Das Geräusch, mit dem das Trennschott zufiel, hatte etwas Endgültiges. Kornelius wußte jetzt, daß sie nicht einmal mehr einen Tag zu leben hat­ten.

7.

Als riesige, silberfarbene Sichel hing der Mond zwischen den Zweigen. Sie bewegten sich im Rhythmus der schmeichelnden, ruhi­gen Musik und im warmen Nachtwind. Die Zeit zwischen Sommer und Winter war ge­kommen. Die Blätter begannen sich zu fär­ben. Aber es war noch immer warm in den Nächten, hier am Schnittpunkt von vier ver­schiedenen Landschaftszonen. Hier, neben dem Delta des Voomis, hatte Upoc sein Haus gebaut.

Nach Süden erstreckte sich der schier endlose Strand des Meeres in einem weiten halbmondförmigen Sandstreifen. Im Norden erstreckte sich die kleine Wüstenzone, deren äußerster Ausläufer hier im Süden den Strand berührte. Ein unabsehbarer Wald be­fand sich zwischen dem Strand und der Wü­stenei im Westen. Und direkt unterhalb des Hauses begann das sumpfige Schilfdelta des Voomis, ebenfalls ein riesiges und uner­forschtes Dreieck aus Schlamm und Wasser, Pflanzen und kleinen Inseln mit festem Bo­den. Alle vier Winkel des Landes wurden von den spärlichen, beruhigenden Klängen erreicht. Die Musik mischte sich mit den

Lauten des Nachtwinds. Die Natur atmete die Wärme, die sie tags­

über aufgenommen hatte, langsam wieder aus. Die fremdartigen Klänge aber schienen auf sämtliche Lebewesen eine beschwichti­gende und wohltuende Wirkung zu haben. Wie immer zirpten große Insekten in ihren Verstecken, die Amphibien quakten, die Nachtvögel jagten, und in den Sümpfen glit­ten gepanzerte Echsen lautlos durch das schwarze Wasser.

Der Kolonialplanet Dalirc war eine ver­gessene Welt.

Dalirc lag weit abseits der vielbeflogenen Routen, aber dennoch landeten Schiffe hier. Jedoch hatte der große Methankrieg bisher auf Dalirc niemandem geschadet. Die Maahks schienen den Planeten und sein Sonnensystem nicht zu kennen oder aus ei­nem unbegreiflichen Grund zu verschonen. Es lebten nicht sehr viele Arkoniden hier.

Jene Welt der absoluten Ruhe, fast unbe­rührt, nur von wenigen Handelsschiffen be­sucht, stellte einen Rückzugspunkt dar, eine Ferienkolonie für einen ganz bestimmten Typ Arkoniden – meist nicht mehr sehr jung, in jedem Fall nicht willens, ein öffent­liches Amt oder einen einflußreichen Posten anzunehmen, in keinem Fall in der Lage, in der Flotte mitzukämpfen. Künstler lebten hier und arbeiteten in Ruhe an ihren Wer­ken. Einige andere bauten Mineralien ab, mehr zu ihrem Vergnügen als zum Broter­werb, wieder andere jagten mit den Einge­borenen und für die Eingeborenen; es gab jemanden, der seit mehreren Jahren über den Voomis eine Brücke baute, fast ganz allein hatte er mehr als die Hälfte fertig.

Auch Politiker, die der Ansicht waren, al­les getan zu haben, wozu sie auf Arkon oder anderen Welten in der Lage gewesen waren, wohnten hier. Wenn sich die Frauen und Männer treffen wollten, so geschah dies mit Hilfe von Gleitern. Wenn sie allein sein wollten, so war dies recht einfach, und über­dies gab es eine große Anzahl leistungsfähi­ger Sender, mit deren Hilfe man praktisch jeden arkonidischen Bewohner von Dalirc

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erreichen konnte. Upocs Musik war noch immer zu hören,

obwohl sie völlig unaufdringlich war. Nur derjenige hörte sie wirklich, der sie

hören wollte. Das galt natürlich nur in sehr beschränktem Maß für viele Tiere, aber all die unhörbaren Schwingungen, die ihre Er­gänzung in den Rhythmen und den Kaden­zen fanden, verbreitete Ruhe. Vor allem lie­ßen sie deutlich erkennen, daß derjenige, der diese Musik erfunden hatte und jetzt spielte, über ein unerwartet großes Maß innerer Ru­he und Ausgeglichenheit verfügte.

Upoc schaltete das Band ein. Es hatte auf­genommen, was er eben auf der komplizier­ten, selbstgebauten Tastatur gespielt hatte. Jede Einzelheit war positronisch aufgezeich­net worden. Jetzt spielte das Gerät automa­tisch. Upoc stand auf, streckte seinen Rücken und entkrampfte sich. Ruhig, aus großen Augen, blickte er sich in seinem Raum um und ging hinaus auf die weit vor­springende Terrasse. Dank der Musik waren die kleinen Insekten nicht im geringsten ag­gressiv.

Upoc sah hinaus auf das Meer, betrachtete eine Weile die langen Brandungswellen. Auch das Rauschen war wesentlicher Be­standteil der Musik, die er schrieb. Ein wei­teres Element, in Rhythmus und Klang der Natur abgelauscht und zu künstlichem Klang geworden. Mondlicht schimmerte auf den Wellen und endete erst am Horizont. Im Sumpf schrie ein Alligator.

»Böse Nachrichten!« murmelte Upoc und dachte an seinen toten Bruder. Während des Tages hatte er mit seinem Empfänger einige Meldungen aufgefangen, die sich mit der Si­tuation des Imperiums befaßten. Aber Upoc wußte, daß nur ein totaler Sieg der Maahks den Planeten Dalirc gefährden konnte. Alles andere war sicherlich nicht unwichtig, aber es würde ihn ebenso wenig betreffen wie die anderen Arkoniden hier.

Er ging zurück in den riesigen Wohn­raum, der ein Sphäroid war, geformt wie ein zusammengedrückter Kugelkörper. Der fla­che »Nordpol« bestand aus einer Sonnen-

Hans Kneifel

und Ausguckterrasse, und am anderen Ende befand sich ein Betonrohr von fünf Metern Durchmesser, das tief ins Erdreich hinein­reichte, eine Treppe und alle möglichen Ver­sorgungseinrichtungen enthielt. Im Wohn­raum waren auf zwei Decks sämtliche Berei­che durch dünne Plastikwände in vielen Far­ben und halbtransparentem Material ge­trennt. Upoc wählte an der Bar eine Mi­schung aus einem starken Schnaps der Da­lirc-Eingeborenen und einem milden, schäu­menden Wein. Vorsichtig mischte er beides, hob den Pokal und blieb wieder auf der Ter­rasse sitzen. Gedankenvoll ließ er seinen Blick über das Voomis-Delta gleiten und dachte nach.

Er hatte Ruhe und Abgeschiedenheit ge­sucht und hier gefunden. Sein Ehrgeiz rich­tete sich, wenn überhaupt vorhanden, auf seine Kompositionen und auf immer neue Verbesserungen des Instrumentariums.

Selbstironisch charakterisierte sich Upoc als versponnen und eigenbrötlerisch. Aber er wußte – und Orbanaschol, der ihn niemals im geringsten belästigt hatte, wußte es auch –, daß er die hohe Intelligenz der Familie Gonozal geerbt hatte.

Lange saß Upoc auf seiner Terrasse, trank noch ein Glas leer und betrachtete die unauf­dringliche Schönheit des Planeten, sah den Mond untergehen und schlief ein. Die Ma­schine schaltete sich selbständig aus, und gegen Morgen überhörte Upoc sogar das Geräusch eines landenden Raumschiffs.

Als Upoc kurz vor Sonnenaufgang wieder auf die Terrasse hinausging, sah er das Schiff. Ein Fremdkörper, dessen Landestüt­zen sich tief in den feuchten Sand gegraben hatten. Auf den zweiten Blick registrierte Upoc mit steigender Verwunderung, daß die Schleuse offen und die Rampe ausgefahren war. Vom Schiff aus bewegten sich ein paar Männer auf den Schaft seines Turmes zu. Deutlich sah er die tiefen Eindrücke ihrer Sohlen im feuchten Sand.

»Sie wollen zu mir«, knurrte er. Er zog sich einige Schritte zurück, wäh­

rend er seinen zerschlissenen Morgenmantel

29 Das Treffen der Rebellen

um die Schultern warf. Dann betrachtete er Schiff und Männer mit gelassener Neugier-de. Wenn sie schon seine Wohnung gefun­den hatten, dann stand es außer Zweifel, daß sie von ihm etwas wollten. Was? Die Män­ner kamen näher, zwei von ihnen deuteten zu ihm hinauf.

»Vorbei«, sagte er bedauernd. »Fliehen ist sinnlos und außerdem unmöglich.«

Er ging in den Wohnraum, zog sich schnell an und warf einen nachdenklichen Blick auf die Klaviatur, dann lief er schnell die Wendeltreppe hinunter und ging durch das dürre, salzstarrende Gras und auf den Sand.

Derjenige Fremde, unzweifelhaft ein Ar­konide fortgeschrittenen Alters, der die Gruppe anzuführen schien, hob grüßend den Arm und rief:

»Sie sind Upoc von Gonozal!« Sein Name hatte ihn also eingeholt. Er

musterte die Männer. Immer mehr kamen aus dem Raumschiff und wurden im ersten Licht des Morgens deutlicher. Jedes der na­hen Gesichter drückte Ernst, Besorgnis und Hoffnung aus. Langsam antwortete er:

»Ja. Richtig. Woher kommen Sie? Wer sind Sie?«

»Unsere Namen tun eigentlich nichts zur Sache. Wir kommen von Arkon Eins. Wir alle sind Mitglieder des öffentlichen Lebens. Ein paar Politiker, Ärzte, einige Wissen­schaftler, mehrere Journalisten und andere. Sie werden uns alle kennenlernen. Sie kön­nen sicher sein, daß wir in schwerer Sorge hierher gekommen sind und völlig ehrenhaf­te Ab …«

Upoc sagte mit Entschiedenheit: »Ich kann es mir denken, warum. Sie sind

da, genießen Sie also auch meine Gast­freundschaft. Ich habe dort oben Platz für zwanzig Leute.«

Ein dünnes Lächeln der Vorfreude erschi­en auf dem Gesicht des Sprechers. Er deute­te nacheinander auf die einzelnen Männer und stellte sie vor, nannte ihre Berufe oder Stellungen. Upoc, der ein nahezu telepathi­sches Gespür für unbewußte Schwingungen

hatte, ohne daß er diese Fähigkeit jemals sy­stematisch weiterentwickelt hatte, registrier­te einen Umstand, der ihn störte: diese etwa fünfzehn Männer von Arkon waren zutiefst unsicher und in hoffnungsloser Stimmung.

»Danke!« sagte der Sprecher. Sie folgten Upoc schweigend die Wendeltreppe hinauf und verteilten sich dann im geräumigen Wohnraum auf die verschiedenen Sitzgele­genheiten. Upoc entschuldigte sich, daß er ihnen so gut wie nichts anbieten könne, aber niemand war daran ernsthaft interessiert. Schließlich lehnte er sich an die Stützsäule und fragte:

»Warum sind Sie gekommen?« »Weil wir Sie brauchen!« »Ich verstehe nicht recht. Was soll ein

versponnener Einsiedler haben, das Sie brauchen können?«

»Haben Sie in der letzten Zeit Nachrich­ten gehört?«

»Spärlich. Genug aber, um zu erkennen, daß es um das Imperium nicht eben sehr gut steht«, erklärte er leise.

»Dann kennen Sie den Grund unseres Be­suchs. Wir rechnen sozusagen stündlich mit dem Ausbruch eines Bürgerkriegs.«

Er prüfte bedächtig den Ausdruck eines jeden Gesichts und murmelte dann:

»So schlimm?« »Ja. Schlimmer. Orbanaschol hat das Im­

perium in die tiefste Krise seit seinem Beste­hen gestürzt. Die Tage des Diktators sind gezählt. Es ist keiner unter uns, der nicht da­von überzeugt ist, daß Orbanaschol zumin­dest Anfälle von Wahnsinn zeigt, wenn er nicht ganz und gar wahnsinnig ist.«

»Wahnsinn im medizinischen Sinn?« fragte Upoc, diesmal wirklich erstaunt und beunruhigt, »oder nur deshalb, weil viele mit seinen Entscheidungen nicht einverstanden sind?«

»Da er keinen Arzt an sich heranläßt, konnten nur ›Ferndiagnosen‹ gestellt wer­den. Wir alle und darüber hinaus viele Mil­lionen andere Arkoniden sind sicher, daß er im medizinischen Sinn wahnsinnig ist. Wir sind in mehrfacher Hinsicht verzweifelt. Er­

30

stens deswegen, weil Orbanaschol das Impe­rium in den Bürgerkrieg stürzen wird, und zwar innerhalb weniger Tage.«

»Das meinen Sie nicht im Ernst!« wider­sprach der Halbbruder Gonozals, von dessen Existenz die Öffentlichkeit zwar wußte, aber mehr oder weniger vergessen hatte.

»Wir wären nicht hier, wenn wir davon nicht hundertprozentig überzeugt wären«, sagte ein Journalist mit kurzem Haar und al-ten, müden Augen. »Zweitens befürchten wir, daß Orbanaschol von einem unbere­chenbaren Abenteurer gestürzt wird, der dann womöglich noch schlimmer herrscht oder durch fehlende staatsmännische Klug­heit auch noch die letzten Reste vernichtet.

Und drittens gibt es dieselbe Gefahr, falls ein Strohmann Imperator werden sollte. Dann ist das Imperium der Willkür von skrupellosen Geschäftemachern oder noch schlimmeren Kreaturen ausgeliefert. Was wir brauchen, ist ein Mann, dessen Name bereits für Ausgewogenheit und Vernunft garantiert.«

»Ich?« flüsterte Upoc verständnislos. »Ja. Sie, Upoc von Gonozal. Sie sind der

einzige, von dessen Integrität wir alle über­zeugt sind.«

Upoc schüttelte den Kopf. Wieder trafen zögernde und verständnislose Blicke die De­legation. Mit allem schien Upoc gerechnet zu haben, aber keinesfalls mit dieser direk­ten Aufforderung.

»Sie leben hier völlig zurückgezogen. Wir erfuhren, daß Sie parapsychologisch wirken­de Musik komponieren und versuchen, de­ren Wirkung auf Lebewesen zu studieren. Ein Mann, der dies tut, wird seine eigenen Interessen dem Wohl des Imperiums unter­ordnen. Milliarden von Arkoniden, die jeden Glauben an den Imperator – oder, um genau-er zu sein, an das Amt des Imperators – ver­loren haben, warten nur auf den Augenblick, an dem sie eine neue Leitfigur haben, die hält, was sie verspricht.«

Upoc hob beide Hände und machte eine abwehrende Geste.

»Ich habe nichts versprochen, meine Her-

Hans Kneifel

ren.« Ihn schauderte schon allein bei der Vor­

stellung, sein Haus hier verlassen und nach Arkon fliegen zu müssen. Noch mehr graute ihm davor, das zu versuchen, was man ge­meinhin Regieren nannte. Ein kaltes Gefühl kroch über seinen Rücken.

»Sie haben nichts versprochen, nein. Aber wir bitten Sie um Ihre Zustimmung. Sie sol­len uns nur bestätigen, daß Sie bereit sind, nach der furchtbaren Ära Orbanaschol die Macht zu übernehmen.«

»Warum gerade ich!« rief er. »Es gibt Tausende von Männern, die besser und ent­schlossener sind als ich.«

Zwar führte er ein zurückgezogenes und in seine Neigungen und den Ablauf des Le­bens von Dalirc eingesponnenes Leben, aber er erkannte mit Leichtigkeit, daß die Männer dieser kleinen Versammlung weder Dumm­köpfe noch Illusionisten waren. Sie glaubten an das, was sie hier vortrugen. Sie alle wa­ren davon überzeugt, daß ausgerechnet er, Upoc, der Retter des Imperiums war. Welch eine absurde Fehleinschätzung der Dinge! Er konnte nicht, und er wollte nicht. Trotz­dem rührte ihn ihre Beharrlichkeit ein we­nig. Nach dem Tod Gonozals, seines Halb­bruders, hatte er jegliches Interesse verloren, mehr mit dem Imperium zu tun zu haben als unumgänglich nötig.

»Aus mehreren Gründen gerade Sie. Upoc!« sagte ein Arzt und deutete auf ihn.

»Ja? Welche Gründe?« »Es gibt wohl niemandem im Bereich des

Imperiums, der den Namen Gonozal nicht kennt und weiß, für welche Tugenden er steht.«

Upoc winkte ab. »Also nur weil ich zufällig Träger dieses

ehrwürdigen und unbeschmutzten Namens bin, wollen Sie, daß ich …«

»Lassen Sie mich bitte beenden. Das ist ein Grund. Dann weiß jeder, der Sie noch in Erinnerung hat, daß Sie hundertprozentig ehrlich und kein ehrgeiziger Tyrann sind, noch sein werden.«

»Man kann Entwicklungen nicht vorher­

31 Das Treffen der Rebellen

sagen!« schränkte er warnend ein. »Sie wären andernfalls längst der Herr­

scher über Dalirc, mit Ihrer Musik und Ihren sonstigen Geistesgaben. Wir haben Sie nie­mals beobachten lassen, aber es gibt viele Informationen, die wir zusammentrugen.«

»Über mich und meine Person?« »Richtig. Und da Sie ein verständiger und

hochanständiger Mann sind, was Sie sicher nicht abstreiten werden, rechnen wir damit, daß Sie sich dem Imperium zur Verfügung stellen werden. Denken Sie an Ihren Halb­bruder, der mit einer großen Wahrschein­lichkeit von Orbanaschol oder seinen Hel­fern ermordet worden ist!«

Die Sonne tauchte jetzt hinter dem Hori­zont auf und badete das Land in ihr gelbes Licht. Aus dem Sumpfdelta erhoben sich riesige Vogelschwärme und begannen zu kreisen. Das Geräusch der ununterbrochenen Brandung war leiser geworden; die Ebbe hatte das Wasser weit zurücktreten lassen. Die Dünen der Wüste warfen lange, undeut­liche Schatten. Die Gegenstände im Wohn­raum schienen ein Eigenleben zu bekommen und glänzten. Und das grelle Licht ließ die Gesichter der Männer hervortreten. Upoc, der schweigend über die letzte Bemerkung nachdachte, sah jetzt deutlich die Linien der Sorge und der Angst in den Gesichtern der freiwilligen Abordnung. Unzweifelhaft: ihre Motive waren echt, aber mit jeder Faser sträubte er sich dagegen, dieses Leben hier aufzugeben und Dinge zu tun, von denen er weder eine Ahnung hatte noch Lust, sie zu tun.

»Ich denke an meinen Halbbruder«, mein­te er schließlich.

»Wir bitten Sie abermals, das zu tun, worum wir Sie bitten, Upoc!«

Er schüttelte mit mehr Nachdruck den Kopf und sagte hart:

»Nein. Ich bleibe hier und lebe weiter, so, wie ich es bisher getan habe.«

»Das kann nicht Ihre wirkliche Antwort sein!« rief einer der Wirtschaftsführer. »Wir brauchen Sie dringend. Ach was, dringend ist nicht das richtige Wort. Arkon braucht

Sie, um zu überleben!« »Das kann ich Ihnen nicht glauben. Ich

würde es niemandem glauben«, gab Upoc zurück. Aber er schien nicht unsicher ge­worden zu sein. »Ich bin für die Arbeit, die Sie mir anbieten, der Ungeeignetste!«

»Keineswegs. Sie mißtrauen sich selbst – grundlos!«

»Ich kann Arkon und das Imperium nicht komponieren und spielen«, sagte er und deu­tete auf die Klaviatur des Instruments und auf die einzelnen, kleineren Geräte, die er mitnahm, wenn er seine Melodien im Delta testete.

»Sie brauchen in beiden Fällen nur für Harmonie zu sorgen. Sie haben Berater, die ihr letztes hergeben würden, um dem Impe­rium nützen zu können!«

»Meine Antwort bleibt nein!« Der Sprecher der Gruppe stand auf und

machte einige beschwichtigende Gesten. Er war klug und erkannte, daß sie jetzt und hier nicht weiterkommen würden. Er meinte lei­se, aber eindringlich:

»Unsere Zeit ist knapp, aber ein paar Stunden Warten wird das Imperium noch vertragen, schätze ich. Wir gehen zurück ins Schiff. Upoc wird auf diese Art Ruhe und Zeit bekommen, unsere Angebote oder drän­genden Bitten genau und in der Ruhe des Alleinseins zu überdenken. Wir kommen wieder, Upoc. Zumindest ich werde versu­chen, mit Ihnen das Problem noch einmal zu diskutieren.«

Er trat vor ihn hin, blickte ihm in die Au­gen und schüttelte ihm die Hand. Die ande­ren Männer verabschiedeten sich, und als er ihnen nachsah, wie sie über den Strand zu­rückgingen, dachte er daran, daß schon die nächste. Flut ihre Spuren verwischt haben würde. Er setzte sich vor sein Instrument, blickte die Tasten und die Regler an und die Kabel, die zu den Generatoren und Zusatz­geräten führten, aber er spielte keinen Ton.

Er war tief aufgewühlt, seine Empfindun­gen überschlugen sich, aber je, länger er dar­über nachdachte, desto größer wurde das Gewicht, das ihn hier auf Dalirc hielt.

32

*

Am frühen Nachmittag, als die Sonne fast senkrecht herunterbrannte und sich das Del­ta in eine Zone des Schweigens und der hit­zeflirrenden Ruhe verwandelte, hob Upoc sein langes, aus dreißig dünnen Metallröhren und einem Verstärker und Modulator beste­hendes Gerät auf die Schulter und verließ, noch immer nicht ganz beruhigt, den Schaft seines Hauses.

Ganz langsam ging er hinüber zu der wie ein Finger gekrümmten Halbinsel, die vom festen Land weit in den Sumpf hineinragte. Gedankenlos schob er die immer höher wachsenden Binsen und Kolben zur Seite, dann hob er das Instrument an die Lippen, legte die Finger auf die kurzen Tasten und begann zu spielen.

Zuerst war er unsicher. Seine Verwirrung übertrug sich auf dem Weg über Finger, Atem, Ansatztechnik und Verstärkung auf die leise, klagende Melodie, die sofort In­sekten aufstörte, Wasservögel aus dem Schilf scheuchte und ein kleines Rudel Jagd­schlangen ins Wasser gleiten ließ. Dann aber hatte er sich schnell gefangen und spielte lauter, eindringlicher und zielbewußt.

Ich muß meine Spannungen abbauen, ich muß mich abreagieren, dachte er verzwei­felt.

In Gedanken stellte er eine Art Wertskala auf. Ihm lag nicht das geringste an Ruhm, Besitz, Ehrungen. Natürlich hatte er den Tod seines Halbbruders tief betrauert; Gonozal war einer der Männer gewesen, die ihm am nächsten gestanden hatten. Aber das war in­zwischen Historie. Andererseits hatte er ein Recht, sich die Ohren zuzuhalten, wenn Ar­kon ihn rief. Aber jeder Schritt, den er wei­ter in das raschelnde und rauschende Feld aus breiten, feuchten Blättern und Halmen eindrang, zeigte ihm die Schönheit des Pla­neten und die ruhige Einsamkeit seines Le­bens hier, das er ohne Verantwortung leben konnte. Wie vermochte er diese Männer da­von zu überzeugen, daß er einfach nicht der

Hans Kneifel

richtige Mann für das angebotene Amt war? Und wie schaffte er es, sie fortfliegen zu

lassen – und später womöglich mit dem Vorwurf der Erkenntnis leben zu können, er wäre der einzige gewesen, der Blutbad und Bürgerkrieg, Chaos und einen untauglichen neuen Herrscher hätte verhindern können?

Einige Sekunden lang gab sein Gerät lau­te, weithin schallende Mißtöne und klirrende Dissonanzen ab.

Der Sumpf und die Flächen des Landes und des freien Wassers schienen plötzlich zu kochen und zu brodeln. Tiere aller Arten stürzten kreischend, schreiend, flatternd und springend aus dem Dickicht und flüchteten in Panik nach allen Seiten. Als er sich aber­mals beruhigte, änderte sich auch die Zone der Furcht. Ruhe kehrte wieder ein. Er setzte sich auf einen Kieshaufen, streckte die blo­ßen Füße ins Wasser und spielte weiter. Fi­sche kamen herbei und knabberten zutrau­lich an seinen Zehen. Eine Panzerechse, zweimal so lang wie er, riß den Rauchen auf und blinzelte ihn andachtsvoll an.

Dann hörte er Schritte hinter sich und sah abermals den Chef dieser zusammengewür­felten Gruppe. Die Falten im Gesicht von Kavery schienen sich geglättet zu haben.

»Ich hoffte, Sie allein zu treffen«, sagte Kavery. »Nicht stören lassen! Sie haben eine gewaltige Macht mit dieser Musik und Ihrer Fähigkeit. Und Sie üben diese Macht auch aus, natürlich im positiven Sinn. Deswegen braucht Arkon Sie, Upoc!«

Upoc blies einige Takte und setzte das Mundstück ab.

»Arkon ist nicht von Insekten, Fröschen und Echsen bevölkert«, sagte er und spielte, nachdem er tief Luft geholt hatte, ungerührt weiter.

»Diese Analogie kann unbedenklich ange­wandt werden«, widersprach Kavery und deutete auf die Echse, die heranschwamm und den Schwanz aufwärts krümmte wie einen riesigen Bogen.

»Ich komme nicht mit!« »Wir wollten Sie auch nicht mitnehmen.

Wir wollen nur Ihr Wort, daß Sie im Augen­

33 Das Treffen der Rebellen

blick der Not unser Mann sind. Spüren Sie keine Verantwortung für das Werk Ihres Halbbruders?«

Die Musik beruhigte und entspannte auch Kavery, aber sie nahm ihm nichts von der Schärfe seiner Argumentation.

»Nein, nicht besonders!« »Und wenn die Einsicht kommt, Sie hät­

ten Blutvergießen und einen Usurpator auf dem Kristallthron verhindern können, was dann? Beruhigen Sie sich dann Tag und Nacht mit der Musik? Sie werden gute Lun­gen brauchen!«

Deutlicher Ärger stand in Upocs Gesicht, als er sich umdrehte und Kavery anblickte. Seine Augen blitzten auf; mit einer schnel­len, ruckartigen Bewegung warf er sein Haar in den Nacken.

»Sie werden unangenehm, Kavery!« sagte er schroff. Kavery lächelte ohne Verlegen­heit und gab zurück:

»Um Sie zu überzeugen, würde ich Sie niederschlagen und nach Arkon tragen. Kei­ne Sorge, ich sagte würde. Ich kann nichts anderes tun als betteln wie ein Kind. Kom­men Sie! Helfen Sie uns, und helfen Sie dem Imperium!«

Upoc krümmte seine Schultern, setzte das Instrument wieder an die Lippen und spielte weiter. Nach einer schier endlosen Weile drehte er sich wieder halb herum und sagte heiser:

»Warum sind Sie gekommen und haben mich aus meiner Ruhe gerissen? Gehen Sie dorthin zurück und suchen Sie einen Mann, der darauf brennt, dieses Amt anzutreten. Ich bin nicht der Mann, den Sie suchen.«

»Genau der Mann sind Sie!« »Es muß einen anderen geben!« »Keinen, den wir kennen. Keinen, den das

Imperium akzeptiert!« Kaverys Stimme war wieder beschwörend und drängend gewor­den.

»Lassen Sie mich aus dem Spiel. Ich bin nicht interessiert. Ich bin zu dem Amt nicht geeignet, ich bin unfähig. Ich kann nur Fi­sche dressieren mit dieser Superflöte.«

»Sie können Arkoniden beherrschen und

retten, was in einer undenkbar langen Zeit aufgebaut wurde.«

»Nein!« stieß Upoc gequält aus. »Hören Sie nicht, wie Ihr toter Halbbru­

der Ihnen zuflüstert, daß Sie tun sollen, was Ihnen der Verstand rät?«

»Ich behalte, woran mein Herz hängt.« Kaverys Lachen war ohne jeden Humor.

Sarkastisch versicherte er: »Unser Herz hängt am Imperium, und un­

ser Verstand sagt uns allen, daß es gerettet werden muß. Und zwar durch Sie, Upoc von Gonozal!«

Upoc starrte zweifelnd auf die Wasserflä­che und sah zu, wie die Echse den Schwanz herunterschlug und mit dem langen Wider­hakendorn einen dicken Fisch aufspießte und danach schnappte. Schmatzend zerfetzte sie das weißbäuchige Tier.

»Ich habe kein Gegenargument. Trotzdem bitten Sie mich vergeblich, Kavery!«

Kavery flüsterte eindringlich: »Noch sind nicht alle Fragen gestellt und

alle Antworten gegeben. Sie können nicht ausweichen.«

8.

»Kornelius, jetzt habe ich furchtbare Angst. Ich will nicht sterben. Nicht für die­sen wahnsinnigen Schurken!« flüsterte sie.

Kornelius streckte den Arm aus und strich vorsichtig über ihr Haar. Er biß sich auf die Unterlippe und suchte in Gedanken noch im­mer nach einem Ausweg oder einer Flucht­möglichkeit. Jede Minute, die ungenutzt ver­strich, verringerte ihre Überlebenschancen.

»Niemand will sterben. Ich ebenso wenig. Aber ich finde nichts, das uns hilft.«

»Er wird uns erschießen lassen, nicht wahr?« fragte sie leise und lehnte sich schutzsuchend an ihn.

»Es sieht so aus. Aber denken Sie daran, was der Wächter – Wessalock ist sein Name – uns zugeflüstert hat.«

Sie zuckte mit den Schultern und gab fra­gend zurück:

»Wobei sollen wir mitspielen? Und wie

34

will ausgerechnet er uns retten?« »Aber das weiß ich nicht – es war eine

hervorragende Idee, was die Breitenwirkung betrifft. Ermordete Parlamentäre versetzen Rebellen stets in besinnungslose Wut. Lei­der kann ich diese Empfindung nicht recht begrüßen. Aber noch ist Hoffnung, Getray!«

»Wo sehen Sie Hoffnung? Ich sehe nur Roboter!« sagte sie bitter.

Sie standen in der Mitte des großen Wohnraums. Auf dem Tisch befanden sich die Reste eines hervorragenden Essens, aber sie hatten nur wenige Bissen herunterwür­gen können. Dafür hatten sie mehrere Gläser starken Alkohol getrunken, der sie zwar ein wenig entspannte, aber ihnen die Angst nicht nehmen und keinerlei Hoffnung geben konnte. Der Wächter hatte sich nicht mehr blicken lassen.

Wessalock war verzweifelt. Er hatte es geschafft, kurz zu seinem Haus

fliegen zu können. Mindestens fünfmal hatte er versucht, Lebo Axton zu erreichen, aber Axton meldete sich nicht. Er mußte unter­wegs sein und seine guten Gründe haben, daß sein Gerät unbesetzt war. Von dieser Richtung gab es keinerlei Hilfe. Und jetzt befand sich Wessalock wieder im Trichter­haus des Parkpavillons und sann, was er zur Rettung der beiden Arkoniden tun konnte. Bisher war ihm nicht einmal eine Möglich­keit in den Sinn gekommen. Es war jetzt frü­her Nachmittag – ihm blieb nur noch die Nacht, um sich etwas einfallen zu lassen.

Wessalock beschloß, mit allen Kräften weiterhin die Rettung der beiden Parlamen­täre zu versuchen, und dazu seine eigene, denn er wußte, daß der Diktator keinerlei Ri­siko einging und auch ihn selbst, den Major­domus dieses meist leerstehenden Hauses, beobachten ließ.

Es gab eine haarfeine Grenze, bis zu der sich Wessalock hervorwagen konnte. Für ihn war es tödlich, diese Grenze zu über­schreiten. Er ging langsam zurück in das kleine Verwaltungszentrum des Hauses und setzte sich vor den Kommunikationsbild­schirm.

Hans Kneifel

»Wessalock spricht. Bitte, die Wachen Dannynt, var Aggos, Fynghar und Iddynt in die Zentrale. Wir haben ein ernstes Thema zu besprechen.«

Er schaltete ab und wartete. Die Durchsa­ge war in allen Teilen des weiträumigen Pa­villons zu hören gewesen. Nacheinander ka­men die Wachen hierher, nahmen sich etwas zu trinken und setzten sich. Auf eine beson­dere Art kannten sich die fünf Männer, und sie hatten ein angenehmes Verhältnis zuein­ander. Natürlich wußten sie, worum es ging. Wessalock machte keinerlei Umschweife.

»Hört zu, Freunde«, sagte er. »Wir sollen die zwei Parlamentäre umbringen. Wer drängt sich vor?«

Sie starrten ihn schweigend und entsetzt an.

»Ich scherze nicht«, sagte er. »Jeder von uns hat gehört, was Orbanaschol befohlen hat. Ich kümmere mich freiwillig um die beiden Leichen und sorge dafür, daß sie spu­renlos beseitigt werden. Ich bin Majordo­mus, kein Mörder.«

»Ich bin der Ansicht, daß seit jeher Parla­mentäre den Schutz ihres Status genießen und nicht hingerichtet werden sollen!« er­klärte Dannynt finster. »Ich bin auch kein Mörder. Warum nicht die Roboter, von de­nen wir inzwischen Unmengen hier haben?«

Wessalock lächelte nichtssagend. »Die Roboter sind einschlägig program­

miert. Sie würden vielleicht feuern, wenn die Parlamentäre ausbrechen und wild um sich schießen würden. Auf diesen Gefallen können wir lange warten. Also, wer will den Befehl unseres Herrschers ausführen?«

Innerlich zitterte er, aber er versuchte standhaft, seinen Bluff weiterzutreiben. Die bisherigen Erfolge schienen ihm Recht zu geben.

»Ich bestimmt nicht«, knurrte Iddynt. »Ich bin hier eingestellt und bezahlt worden, um Angriffe auf das Eigentum des Impera­tors abzuwehren. Was bisher noch nicht der Fall war.«

»Möchtest du, Fynghar?« fragte Wessa­lock. Seine Versuche waren kläglich, aber

35 Das Treffen der Rebellen

sie stellten seine einzige Möglichkeit dar. »Nicht die geringste Bereitschaft dazu.

Orbanaschol hat keinen von uns namentlich genannt!« gab Fynghar zurück. Er zuckte die Schultern und sah sich verlegen um, dann nahm er einen Schluck aus dem Glas.

»Wir haben nicht viele Möglichkeiten zur Auswahl«, sagte Wessalock langsam. »Der Befehl wurde gegeben, wir haben ihn zu be­folgen. Tun wir dies nicht, dann sterben wir, das ist ebenfalls sicher. Und in diesem Fall bin ich geneigt, meine Skrupel ein wenig zu­rückzustellen.«

Car Aggos, ein großer, breitschultriger Mann mit einer dunklen Haarsträhne und groben Gesichtszügen, stieß heiser hervor:

»Ich bin ratlos!« »Zwei von euch gehen morgen früh hin­

unter ins Sportzentrum im Tiefkeller. Dort stehen die zwei Parlamentäre zwischen eini­gen Robotern. Ihr feuert einen langen Schuß ab, und alles ist erledigt«, schlug Wessalock vor.

»Wer?« »Von mir aus könnt ihr losen, euch ge­

genseitig bestechen, meinetwegen dürft ihr euch betrinken, wenn ihr nur in der Lage seid, die Auslöser zu drücken. Pünktlich um sieben Uhr. Ich lasse euch rufen. Wer mel­det sich freiwillig?«

Sie starrten ihn schweigend an. Keiner hatte die geringste Veranlassung dazu, und keiner dieser braven, an sich völlig harmlo­sen Wachen fühlte sich als potentieller Mör­der. Aber sie hatten Angst um ihr eigenes Leben, denn im Lauf ihrer Arbeit hier hatten sie den unberechenbaren Zorn und die Wut­ausbrüche des Diktators sehr gut und inten­siv kennengelernt.

»Gibt es eine Möglichkeit, diesen … Auf­trag nicht ausführen zu müssen?« murmelte Dannynt unbehaglich.

»Ich denke nein«, antwortete Wessalock. »Nun?«

Sie waren voller Skrupel. Zudem war Kornelius ein Sonnenträger, also ein untade­liger Kommandant der Flotte. Sie wanden sich innerlich, aber je länger sie darüber

nachdachten, desto genauer erkannten sie, daß ihnen keine Wahl blieb.

»Dannynt?« fragte Wessalock in einem Tonfall, der ihnen sagte, daß er eine Ent­scheidung verlangte.

»Ausgeschlossen!« »Jeder von uns wird immer wieder ›Nein‹

sagen«, flüsterte Car Aggos. »Du kannst uns immer wieder fragen.«

»Und du wirst immer wieder dasselbe Nein hören!« pflichtete ihm Fynghar bei.

»In diesem Fall werde ich euch die Ver­antwortung abnehmen«, sagte Wessalock und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ihr wißt, aus welchen Beweggründen ich handle. Wenn sich die Zeiten ändern sollten, wird man uns zur Rechenschaft ziehen. Dann könnt ihr euch ja auf mich berufen. Ich bringe euch … zuerst noch meine An­ordnung:

Car Aggos und Fynghar melden sich mor­gen früh bei mir. Ich bringe euch neue, durchgesehene Waffen, Strahler, die mit ei­nem einzigen Schuß töten. Dann geht ihr hinunter, feuert jeweils einen Schuß ab und überlaßt den Rest mir. Niemand wird euch zur Rechenschaft ziehen. Ist das klar?«

Car Aggos nickte, stürzte den Inhalt sei­nes Glases hinunter und stand auf. Er fluchte leise und verließ den Raum.

»Fynghar?« »Schon gut. Ich schieße nur, weil ich die

Rache des Imperators mehr fürchte als mein schlechtes Gewissen.«

»In diesem Fall handeln wir alle unter demselben Zwang«, sagte Wessalock. »Ich danke euch, weil ihr mir helfen wollt. Der Anlaß ist traurig genug.«

»Bei Arkon. Das ist er!« pflichtete ihm Dannynt bei und stellte das leere Glas zu­rück. »Je eher dieser verdammte Zwischen­fall vergessen ist, desto besser für alle Betei­ligten!«

»Auch für Getray und Kornelius!« sagte Wessalock und war am Ende seiner Beherr­schung. Er wartete, bis die Männer gegan­gen waren, dann goß er ein Glas voll starken Alkohol und trank es in einem Zug aus. Er

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fühlte sich keineswegs besser, aber er bilde­te sich ein, die Ereignisse wären unter sol­chen Umständen etwas weniger schwer zu ertragen.

*

Im Laufe der Jahre hatte Wessalock genau erfahren, welche Räume überwacht, abge­hört und mit Linsen versehen waren. Das kleine Magazin wurde nicht überwacht. Er ging hinunter und nahm zwei der schweren Strahler aus den Verpackungen. Nachdenk­lich wog er sie in der Hand, dann entfernte er die Energiemagazine aus dem Griff der Waffen.

Er schob die Magazine in das Ladegerät, nahm einige Schaltungen vor und wartete. Dann, als er eine bestimmte Zeigerstellung erkannte, nahm er eines der Magazine her­aus, schob es in die Waffe zurück und nahm eine Einstellung der Streuung vor. Er richte­te den Lauf des Strahlers gegen eine entfern­te Stelle des Korridors und feuerte einen Schuß ab. Es gab ein donnerndes Geräusch, einen langgestreckten Blitzstrahl und einen Einschlag am Ende des Ganges.

Wessalock legte die Waffe zur Seite, ging geradeaus und betrachtete schweigend und mit zusammengepreßten Lippen die Brand­spuren des Einschlags.

»Wenn dieser Schuß ein lebendes Wesen getroffen hätte, wäre es tot«, murmelte er verzweifelt.

Was konnte er tun? Er machte einen zweiten Versuch mit ei­

ner noch stärker entladenen Magazinfüllung und schätzte, daß zwar Geräusch- und opti­sche Entwicklung deutlich und dramatisch waren, aber daß die Brandspuren geringer waren. Mit mehreren langen Schüssen ent­lud er die erste Waffe, und schließlich glaubte er nach knapp zweistündigen Versu­chen, daß seine Schätzungen richtig sein könnten. Er öffnete die Mechanik beider Waffen, klemmte die Kontrollvorrichtung beider Waffen fest und sah, daß sie erwar­tungsgemäß volle Ladungsstärke zeigten. Er

Hans Kneifel

schob die Waffen wieder in die dreieckigen Hüllen zurück und verließ das Magazin. Er ließ die Waffen im Büro des Zentralraums zurück und ging hinunter ins Sportzentrum, in dem sich Orbanaschol seit Errichtung die­ses Trichterhauses bestenfalls ein paar Stun­den lang aufgehalten hatte.

Er programmierte mehrere Robots um, schuf bestimmte Helligkeitsverhältnisse in dem langgestreckten Raum, öffnete und schloß Türen und steuerte einen Gleiter an einen bestimmten Punkt.

Das alles waren Dinge, die er sich zwar hatte vorstellen können, aber die er niemals getan hatte. Ihm fehlte jegliche Übung in Fragen der Konspiration und einer solchen Tricktechnik. Aber die Not und die Ver­zweiflung trieben ihn zu wahrer Größe. Mit­ten in der Nacht fuhr er zu seinem Haus und versuchte abermals, Lebo Axton zu errei­chen.

Wieder war der Versuch ergebnislos. Er fuhr zurück zum Pavillon und befahl

zwei Robotern, an einer unauffälligen Stelle eine tiefe Grube auszuschachten und zwei große Plastikbehälter in das Sportzentrum zu bringen.

Dann setzte er sich in seinem Schlafraum in einen Sessel, aß eine Kleinigkeit und dachte nach. Immer wieder ließ er die ein­zelnen Phasen seines Planes in seinen Über­legungen passieren und suchte nach Fehlern und schwachen Stellen. Sie waren zahlreich. Er rief einmal die Zimmer der Parlamentäre an und fragte, ob Kornelius und Getray be­sondere Wünsche hätten.

Um sechs Uhr morgens wurde er von sei­nem Robot geweckt, und nur äußerlich ru­hig, innerlich aber mehr als unsicher und verzweifelt ordnete er die verschiedenen Abläufe des Mordes an den Parlamentären.

Als er Fynghar und Car Aggos die Waf­fen gab, vermieden es die drei Männer, sich in die Augen zu sehen.

*

Wessalock stand seitlich an der Längs­

37 Das Treffen der Rebellen

wand des Raumes, als die Roboter die Parla­mentäre hereinbrachten und an ihm vorbei­führten.

»Mitmachen. Schreien. Zusammenbre­chen!« zischte er. Getray war starr und krei­debleich vor Angst. Der Sonnenträger schloß und öffnete die Augen zweimal. Wessalock, der seine zitternden Hände in den Taschen verbarg, definierte dies als Zei­chen des Verstehens.

Die Maschinen, die jeweils mit einem un­aufbrechbaren Griff ihrer Stahlfinger einen Arm der Todeskandidaten umfaßt hatten, schwebten bis zum Ende der Halle, drehten sich dort herum und nahmen ihre Plätze ein. Zwischen den Maschinen standen nebenein­ander die beiden Arkoniden. Kornelius hatte seinen Arm um Getrays Schultern gelegt und hielt die junge Frau an sich gepreßt.

Hinter den Gefangenen befand sich eine mit Metall ausgekleidete Wand. Nur zwei Scheinwerfer leuchteten diesen Teil der An­lage aus. Car Aggos und Fynghar tauchten dreißig Meter entfernt am anderen Ende der Halle auf. Wessalock holte Luft und rief mit unsicherer Stimme:

»Getray und Kornelius. Der Imperator ordnete an, Sie zu töten. Wir vollstrecken nur seinen Befehl. Ihr beide dort, fertig?«

Widerwillig knurrte Aggos: »Ja.« »Feuert!« rief Wessalock, hielt seine eige­

ne Waffe in der Hand und schoß eine volle Energieladung oberhalb der Köpfe der Par­lamentäre in die Stahlwand. Gleichzeitig oder fast gleichzeitig donnerten die beiden anderen Schüsse auf. Getray schrie gellend, Kornelius stieß einen dumpfen Schrei aus, dann brachen beide in einem Inferno aus Helligkeit und Lärm zusammen, zuckten ein wenig und blieben liegen. Aus dem Boden­belag stieg dichter Rauch auf. Die Roboter glitten zur Seite. Wessalock schrie:

»Laßt die Waffen hier und betrinkt euch. Danke.«

Er sah die zwei Männer fast ruckartig den Raum verlassen. Die Sprinkleranlage trat in Tätigkeit. Wessalock herrschte die Roboter

an: »Bringt die Leichen zum Gleiter. Schnell!

Bleibt dann bei dem Grab, das ihr ausgeho­ben habt und wartet auf mich.«

Er sah, halb verrückt vor Spannung, den Maschinen zu. Sie hoben mühelos die re­gungslosen Körper hoch, schwebten hinaus und legten sie in die Kunststoffkästen. Dann schwebten sie weiter zum Lift und fuhren hinauf an die Oberfläche.

Bis jetzt ging alles gut. Wie lange noch? dachte Wessalock voller Nervosität, die er nicht zeigen durfte.

Er schwang sich in den Gleiter und warte­te, bis der Lastenlift wieder unten angekom­men war. Er fuhr hinein, drückte den Kon­takt und sprang dann aus dem Gleiter.

»Hören Sie?« rief er leise. Der Lift befand sich nicht im Überwachungssystem.

Wessalock stemmte die beiden Deckel hoch und hörte zu seiner unendlichen Er­leichterung die Stimme von Kornelius.

»Ja. War es richtig so? Getray ist lobens­werterweise ohnmächtig geworden!«

Der Majordomus bewunderte die Kaltblü­tigkeit des Sonnenträgers. Er atmete hörbar aus und flüsterte:

»Steigen Sie sofort aus. Verstecken Sie sich in der Kabine des Gleiters. Unter dem Fahrersitz liegen ein Plan und ein Impuls­schlüssel für mein Haus. Rufen Sie Lebo Axton an, seine Nummer ist ebenfalls auf dem Zettel. Sagen Sie ihm, was passiert ist. Diese Kisten hier werden verscharrt. Lassen Sie sich Zeit, bleiben Sie in der Deckung von Bäumen und Büschen. Schnell!«

Während der Lift aufwärts glitt, stehen­blieb, aber die Türen noch nicht aufgingen, half Wessalock dem Mann, Getray von He­lonk aus der Kiste zu heben und zwischen den Sitzen des Gleiters zu verstecken. Dann schlossen sie die Behälter. Auch Kornelius versteckte sich so gut wie möglich, und Wessalock öffnete die Türen des Lifts.

Glücklicherweise herrschte diesiges Wet­ter, auch war die Sonne noch nicht aufge­gangen. Langsam steuerte der Majordomus den Gleiter zu dem offenen Grab, ließ die

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Maschinen die beiden Kunststoffsärge ausla­den und schwebte davon, einem seitlichen Eingang des Gebäudes zu.

Dort ließ er den Gleiter stehen und ging ins Haus zurück.

Er holte die Waffen, entfernte die Maga­zine, beseitigte die falschen Anzeigen der Ladungskontrolle und brachte die Strahler zurück in ihre Verpackungen. Inzwischen beseitigten die Maschinen bereits die Schä­den in den Sporträumen. Wessalock ging in den Speiseraum, in dem die vier Männer mürrisch herumsaßen und tranken – und er bestellte sich in der Robotküche ein Früh­stück.

Rätselhafterweise hatte er einen guten Appetit. Car Aggos war betrunken, und Fynghar schien von diesem Zustand nicht weit entfernt zu sein.

»Verdammt!« lallte Aggos. »Sind sie … tot?«

»Es war eine schnelle, schmerzlose Hin­richtung«, bestätigte Wessalock leise. »Sie werden eben verscharrt. Sie werden nur noch in unseren schlechten Träumen weiter­leben.«

Er hoffte, daß die Skrupel und das Gefühl, gegen eigenen Willen zu Henkern des Impe­rators geworden zu sein, die Männer weni­ger mißtrauisch gemacht hatten und ihre Fragen und späteren Aussagen eindeutig klingen lassen würden.

»Und weiter …?« fragte Fynghar leise. »Was weiter?« »Was haben wir noch zu tun?« Wessalock schüttelte den Kopf. »Was uns fünf betrifft, so läuft das Leben

so weiter wie immer in diesem schönen Landsitz des Imperators. Nichts hat sich ge­ändert. Außer, daß wir dann Angst haben müssen, wenn Orbanaschol nicht mehr re­giert. Dann erst wird man uns zur Rechen­schaft ziehen.«

Als er nach dem Essen einen Monitor ein­schaltete, registrierte er mit düsterer Freude, daß sich der Gleiter nicht mehr dort befand, wo er ihn zurückgelassen hatte.

Hoffentlich hatten diejenigen, die ihn und

Hans Kneifel

die Anlage überwachten, in den entscheiden­den Sekunden nicht auf die Bildschirme ge­sehen. So bald wie möglich mußte Wessa­lock in sein eigenes Haus und den angeblich Toten sagen, was sie tun konnten.

Und wenn auch sein Haus überwacht wur­de …?

9.

Die ganze lange Skala der identifizierba­ren Geräusche war rückwärts wieder abge­laufen: Der ruhige Flug des Schiffes. Die veränderten, Geräusche der Maschinen. Das Heulen der Atmosphäre. Die Landung, die vielen Vibrationen des Entladevorgangs, dann die Richtungsänderungen irgendwel­cher Robotmaschinen, die den Container transportierten. Eine lange Abwärtsbewe­gung. Verschiedene Stimmen. Und schließ­lich das offensichtliche letzte Glied der lan­gen Kette. Der harte Ruck, mit dem der Be­hälter auf dem Boden einer mit Sicherheit subarkonschen Lagerhalle abgesetzt wurde.

Ruhe! Äußerste Ruhe und Geduld! er­mahnte mich der Logiksektor.

Ich blickte Fartuloon an. »Was jetzt? Stürmen wir hinaus, oder

warten wir?« fragte ich leise. Waren wir überhaupt auf Arkon Zwei?

»Natürlich warten wir!« sagte der Bauch­aufschneider seelenruhig. »Du rechnest da­mit, daß die Ladung kontrolliert wird?«

»Diesem Wahnsinnigen ist es zuzutrauen, daß er eine große Menge von Leuten be­schäftigt, jede Winzigkeit zu Kontrollieren. Vergiß nicht, er hat Angst vor jedem und al­lem.«

»Das mag sein.« Wir blieben also in unserem winzigen

Versteck, nicht viel größer als ein Rauman­zug. Langsam und quälend verging die Zeit. Wir hörten durch die Ladung und die Wan­dungen hindurch verschiedene Laute, Kom­mandos, das Summen von Motoren und dann heiseres Gelächter. Alles klang un­glaublich leise und gedämpft. Die Phantasie und die Erfahrung ergänzten viele undeutli­

39 Das Treffen der Rebellen

che Geräusche. Nach einer unendlich lang erscheinenden Zeit murmelte ich:

»Jetzt könnten wir es riskieren, Fartu­loon!«

»Du kannst Recht haben. Allerdings müs­sen wir mit äußerster Vorsicht aus diesem Kasten herauskrabbeln!« sagte er leise. Wir entsicherten die Waffen, nahmen die Schein­werfer und öffneten den Verschluß des Kunststoffschlauchs, der zu der winzigen Klappe im Oberteil des Containers führte. Hintereinander krochen wir durch die Win­dungen dieses engen Rohres. Wir schwiegen und bemühten uns, nicht laut zu atmen. End­lich hörte ich ein scharfes Flüstern. »Ich öff­ne jetzt. Still! Vorsicht!«

Ich hielt den Atem an und versuchte, an Fartuloons Körper vorbeizublicken. Außer­halb des Containers schien es dunkel zu sein. Mit leisem Klicken schaltete der Bauchaufschneider den Scheinwerfer aus; auch ich betätigte den Schalter meiner Handlampe. Dann hörte ich das Scharren seiner Stiefel und ein leises Knirschen.

Er steigt aus! flüsterte der Logiksektor. Fartuloon verließ mit einem entschlosse­

nen Ruck das letzte Stück der versteckten Röhre. Ich folgte ihm und drehte meinen Kopf, als ich eine andere Luft und eine nied­rigere Temperatur spürte.

Waren wir auf Arkon Zwei? Fartuloon bewegte sich rechts von mir

fast geräuschlos wie ein Tier der Nacht über die kühle Oberfläche des Behälters. Ich schwang mich ebenfalls ins Freie und regi­strierte, als ich die Klappe so leise wie mög­lich schloß, daß wir uns in einem riesenhaf­ten Lager befanden, den Lichtverhältnissen nach unter der Planetenoberfläche. In großer Entfernung gab es ein halbes Dutzend von Scheinwerfern, die aber dort, wo sie ange­bracht waren, senkrecht nach unten strahl­ten. Einige Sekunden lang rührten wir uns nicht und horchten vorsichtig herum.

Dann war ich an Fartuloon herangekro­chen und wisperte dicht an seinem Ohr:

»Arkon Zwei, nicht wahr?« »Sieht so aus, Kristallprinz!«

»Wir versuchen, hinauszukommen?« »Ja. Irgendwo dort vorn, wo das Licht ist.

Dort scheint auch ein Ausgang zu sein. Los! Aber leise!«

Wir krochen nebeneinander bis zur Kante des Containers. Inzwischen hatten sich unse­re Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Wir befanden uns hoch über dem Boden, keine zehn Meter von einer felsigen, von Stahlträ­gern und Kabelbündeln durchzogenen Fel­sendecke entfernt. Unter uns erstreckten sich in vier übereinanderliegenden Ebenen riesi­ge Mengen von Frachtbehältern. Langsam und vorsichtig machten wir uns an den Ab­stieg.

Als unsere Sohlen den rauhen Boden be­rührten, lehnten wir uns an der Ecke eines Turmes von Behältern gegen die Wand. Ich sagte:

»Hier können wir weder etwas sehen noch erfahren.«

»Aus diesem Grund arbeiten wir uns so vorsichtig wie möglich an die Lichtquellen heran.«

»Dort vorn ist die Ladestraße!« »Schon gesehen«, flüsterte er und glitt da­

von. Vorsichtig bewegten wir uns im Zickzack

zwischen den hoch übereinandergetürmten Containern. Allein in diesem Silo lagerten ungeheure Mengen von Waren aus allen Teilen des Imperiums. Eine ganze Flotte mußte unterwegs gewesen sein, wenn die Blockade auch erst einige Tage dauerte. Im­mer wieder stolperten wir über Reste von Ladungen oder Verpackungsmaterial. Aber außer einem vagen, tieffrequenten Summen gab es keinen einzigen Laut, der uns noch vorsichtiger gemacht hätte. Schweigend sch­lichen wir an Dutzenden von Frontseiten vorbei. Immer wieder lasen wir selbstleuch­tende Reihen von Schriften und Buchstaben, die Ladungen, Herkunft und andere Daten bezeichneten.

Fartuloon wandte sich plötzlich um, hielt mich an der Schulter fest und duckte sich. Unsere Hände fuhren an die Griffe der Schockstrahler.

40

»Halt!« hauchte er nahezu unhörbar. Ich drehte mich um und versuchte, etwas

zu erkennen, vielleicht einen Schatten. Ich bildete mir ein, meinen eigenen Herzschlag dröhnend zu hören.

Nichts! meldete sich der Extrasinn. Ich fühlte, wie der Bauchaufschneider mit

den Schultern zuckte. Inzwischen waren wir dem Licht so weit nähergekommen, daß wir zwischen den schmalen Gassen der Contai­nerstapel die Helligkeit deutlich wahrnah­men. Zwar warfen auch wir Schatten, wenn wir uns außerhalb der Behälterstapel befan­den, aber wir sahen in den Längsfugen auch keine Bewegung und keine fremden Schat­ten. Also schlichen wir weiter.

Das Summen von Maschinen, vermutlich Klimageräten oder laufenden Transportein­richtungen, war ebenfalls deutlicher gewor­den. Wir konnten uns ein wenig ungehinder­ter bewegen, denn die Geräusche unserer Schritte und diejenigen Laute, die entstan­den, wenn wir mit der Kombination an den Wänden entlangstreiften, gingen in diesem Hintergrundlärm unter.

Schließlich befanden wir uns in einem schmalen Korridor, der auf seiner ganzen Länge einzusehen war. Dort vorn schien sich eine Art Büro oder Schaltplatz zu befin­den. Wir sahen Roboter, einen Spezialglei­ter, einige Pulte und Schreibtische und den Teil einer Rechenanlage. Hin und wieder glitt eine Gestalt durch den Ausschnitt. Wenn es überhaupt einen Ausgang für uns gab, dann dort vorn.

Wir schlichen auf diesen freien Platz in­mitten der unübersehbar großen Menge von Containern zu.

Ich war jetzt sicher, daß wir uns auf Ar­kon II befanden.

10.

Erst am Abend gelang es Wessalock, den Pavillon zu verlassen.

»Hoffentlich finde ich mein Haus nicht besetzt vor!« sagte er sich und dachte an die Sicherheitspolizei oder irgendwelche Leute

Hans Kneifel

vom Geheimdienst. Zweimal hatten untere Dienstränge angerufen und sich erkundigt, ob die Hinrichtung stattgefunden hätte. Vor einer Stunde aber meldete sich der Imperator selbst und verlangte einen genauen Bericht. Da Wessalock offiziell nichts davon wußte, daß die Mehrzahl der Räume überwacht wurde, rief er die beiden Helfer, erklärte vorher ihren Zustand und ließ sie schildern, was vorgefallen war.

Offensichtlich war Orbanaschol zufrieden mit dem, was er gehört hatte. Er ließ sich von einer offiziellen Außenkamera noch den Platz zeigen, an dem die Parlamentäre ver­scharrt waren, dann blendete er sich kom­mentarlos aus der Verbindung.

Wessalock ging zu Fuß; um keine Verwir­rung aufkommen zu lassen, würde er mit seinem eigenen Gleiter zurückkommen müs­sen. So schnell wie möglich und unter Aus­nutzung aller jener Deckungsmöglichkeiten, die ihn zwar kaum sichtbar, andererseits aber, falls man ihn sah, auch nicht verdäch­tig machten – das glaubte er wenigstens! – ging er in die Richtung seines vergleichs­weise winzigen Hauses. Es lag am Rand des riesigen Parks, der den Pavillon umgab.

Als Wessalock, inzwischen noch unruhi­ger geworden und schwitzend, durch ein Stück Allee mit weicher, indirekter Beleuch­tung hastete, sah er voraus hinter einer Pan­oramascheibe seines flachen, in einen Hügel hineingebauten Hauses ein flüchtiges Licht aufschimmern. Es erlosch sofort wieder. Au­genblicklich wich der Majordomus nach links aus, tauchte zwischen den Zierbüschen unter und schlug einen Umweg ein.

Der Weg würde ihn an vielen Verstecken vorbeiführen, in denen sich Orbanaschols Schergen verbergen konnten – wenn sie ihm auf der Spur waren. Vielleicht konnte er sie ablenken. Seine Panik, die er einen halben Weg lang mühsam unterdrückt hatte, flackerte wieder auf.

Aber hier standen keine Gleiter, er sah keine Schatten, keinen hellen Fleck zwi­schen dem Grün der Anlage. Er rannte jetzt, keuchend und mit schmerzendem Kopf. Die

41 Das Treffen der Rebellen

Nervenanspannung war zuviel für ihn. Als er sich an der Ecke befand, an der das

Bauwerk in den flachen Hang überging, hat­te er noch immer niemanden gesehen. Müh­sam beruhigte er sich und blieb stehen. Sein Herz klopfte hart und schnell. Unter der vor­springenden Regenplatte entdeckte er den Gleiter, mit dem Getray und Kornelius hier­her gekommen waren.

»Hoffentlich …«, murmelte er, rannte an der Hausfront entlang und auf den schmalen Eingang zu. Inzwischen war es dunkel ge­worden. Er schob die Tür auf, nachdem er den zweiten Öffnungsmechanismus betätigt hatte. Lautlos wich die undurchsichtige Glasplatte nach links aus.

Das Haus war dunkel und völlig still. Mit einem Satz verschwand Wessalock

im Innern und rief unterdrückt: »Kornelius! Ich bin es, Wessalock!« Hinter ihm sagte eine Stimme mit deutli­

cher Erleichterung: »Beinahe hätte ich Sie erschlagen, mein

Freund.« Wessalock wirbelte herum und entdeckte

einen großen Schatten, der sich bewegte. Er glaubte einen Arm zu sehen, der sich senkte und ein glänzendes Stück Metall hielt.

»Alles klar?« krächzte er. »Er scheint so zu sein«, entgegnete Kor­

nelius müde. Wessalock fand einen Kontakt, legte einen Finger darauf und verdunkelte sämtliche Fenster, die zum Park hinausgin­gen. Dann ließ er das Licht aufflammen. Kornelius und er sahen sich schweigend an. Wessalock schwankte und lehnte sich gegen die Wand. Jetzt nahm er auch den Essensge­ruch wahr, der aus dem hinteren Teil des Hauses kam.

»Also, der Imperator scheint uns geglaubt zu haben. Offiziell sind Sie beide tot und verscharrt. Haben Sie Axton erreicht?«

»Nein!« Der Sonnenträger, dessen Span­nung noch immer anhielt und harte Linien in sein Gesicht grub, schüttelte schwach den Kopf. »Wir haben es ununterbrochen ver­sucht. Das Gerät ist frei, aber niemand mel­dete sich. Falsche Nummer?«

»Ausgeschlossen. Aber Lebo Axton ist ein seltsamer, undurchsichtiger Mann. Er wird niemanden verständigen, wenn er nicht anzutreffen ist. Und einen Anschluß, der nicht in seiner privaten Wohnung liegt, will ich nicht anwählen. Das Risiko ist zu groß. Gehen wir hinein.«

»Gern. Zuerst muß ich mich bedanken, Wessalock. Sie waren großartig und erfin­dungsreich. Ohne Ihre Hilfe wären wir jetzt tot.«

Wessalocks Knie wurden schwach. Der Schock wirkte jetzt, und er ließ sich in einen Sessel fallen. Leise sagte er:

»Es war der erste Versuch einer solchen Aktion in meinem Leben. Und Sie haben hervorragend mitgespielt. Ich bin noch jetzt ganz schwach. Das alles kommt mir wie ein Traum vor.«

Getray von Helonk kam in den Wohn­raum und trug auf einem Tablett Krüge und Becher. Sie strahlte Wessalock an und reich­te ihm, als er auf ihre unausgesprochene Fra­ge nickte, einen Becher. Das heiße, schwar­ze Getränk beruhigte ihn ein wenig.

»Es war kein Traum, sondern gräßliche Realität«, sagte sie. »Meine Angst war grö­ßer als Ihre. Wie lange sind wir hier sicher?«

»Keine Ahnung. Je länger, desto weniger sicher.«

»Begreiflich!« sagte Kornelius. Sie saßen jetzt in drei Sesseln sich gegenüber. Zwi­schen ihnen schwebte der Antigravtisch.

Wessalock deutete in die Richtung auf Orbanaschols Trichterbau.

»Ich habe heute Nachtdienst. Ich muß gleich wieder zurück. Sie sollten so unauf­fällig wie möglich sein. Gehen Sie nicht an den Bildschirm. Öffnen Sie nicht. Ver­stecken Sie sich. Ich werde ebenfalls versu­chen, Axton zu erreichen. Er ist der Geheim­dienstchef, aber ich weiß, daß er den Dikta­tor haßt und unschädlich machen wird.«

»Wir glauben Ihnen.« »Axton wird sich Ihrer annehmen. Er

bringt sie in ein sicheres Versteck.« »Das hilft uns, aber sonst niemandem. Die

Frist, die Orbanaschol von den Rebellen ge­

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stellt wurde, läuft ab.« Wessalock zuckte zusammen. Er blickte

auf die große Uhr in der Kaminwand. »Tatsächlich. An alles andere habe ich ge­

dacht. Wann genau?« Der Sonnenträger versuchte ein dünnes,

humorloses Lächeln. Mit Bestürzung er­kannte der Majordomus, daß dieser Mann unter einer genauso großen Spannung stand wie er selbst.

»Zum Zeitpunkt unseres inszenierten To­des waren es noch eineinhalb Tage. Jetzt ist es weniger als ein Tag. Morgen um diese Zeit ist die Meutererflotte bereits im Anflug. Dann beginnt der Bürgerkrieg – wenn nicht ein Wunder geschieht.«

Getray von Helonk schüttelte hoffnungs­los den Kopf.

»Es wird kein Wunder geschehen!« Wessalock stand auf und machte eine um­

fassende Bewegung. »Verfügen Sie über das Haus und die Ein­

richtung. Waffen gibt es leider keine, aber einen Seitenausgang in meinen kleinen Gar­ten. Vielleicht brauchen Sie ihn. Und lassen Sie sich nicht erwischen. Ich bin sicher, daß Sie heute Nacht ruhig schlafen können – wenn man mich sucht, so wird das drüben im sogenannten Pavillon sein.«

Er schüttelte Getrays Hand, und Kornelius brachte ihn zum Ausgang. Vor der geschlos­senen Tür murmelte der Sonnenträger:

»Nochmals meinen uneingeschränkten Dank. Ich wünschte, wir würden uns unter anderen Umständen kennengelernt haben. Viel Glück noch. Wir werden sehen, was aus unseren Wünschen geworden ist.«

Wessalock drückte die Hand des schlan­ken Mannes.

»Ich denke, Sie und Ihre Partei der Rebel­len brauchen mehr Glück als ich.«

Er öffnete die Tür, ging scheinbar gleich­gültig und ohne Eile: zu seinem Gleiter und stieg ein.

In dieser Nacht geschah nichts. Kein Überfall, keine Kontrolle, kein weiterer Wutausbruch des Imperators. Irgendwann hatte sich Wessalock mit Hilfe von Medika-

Hans Kneifel

menten so weit beruhigt, daß er einschlafen konnte. Als er ziemlich spät aufwachte, war sein erster Gedanke, daß es nur noch wenige Stunden bis zum entscheidenden Augenblick waren. Mehr als viertausend Schiffe stürzten sich dann auf Arkon.

11.

Wir blieben stehen, als wir noch etwa vierzig Meter vom Rand des freien Platzes entfernt waren.

»Zuviel Bewegung dort vorn!« wisperte der Bauchaufschneider.

»Wir kommen an ihnen nicht vorbei!« gab ich zu. Wir sahen jetzt einen größeren Ausschnitt der kreisförmigen Fläche, die tat­sächlich ein Verteilungsbüro und eine Wachtstation war.

Gefahr! Rechts von euch! schrie plötzlich der Logiksektor.

Wir reagierten blitzschnell, aber zu lang­sam. Als rechts von uns ein starker Schein­werfer aufblendete, als gleichzeitig jemand laut und hallend »Stehenbleiben!« schrie, krachte ein doppelter Schuß auf. Wir wur­den getroffen. Der kalte Schock traf meinen Arm auf dem Weg zur Waffe, und ich schlug schwer gegen die Seite eines Contai­ners, weil ich reflexhaft meine Muskeln ge­spannt hatte, um zur Seite zu springen.

Fartuloon hatte neben mir gestanden, und er fiel halb auf mich. Unsere Körper waren gelähmt, aber da uns die Schüsse in die Brust und in die Arme getroffen hatten, konnten wir denken, sehen und hören. Aber wir vermochten uns nicht zu bewegen.

Der Scheinwerfer bewegte sich. Schritte kamen näher. Zwei Männer un­

terhielten sich. Sie leuchteten uns in die Ge­sichter, dann merkte ich, wie sich Fartuloons schwerer Körper bewegte; er wurde von mir heruntergezogen.

»So etwas war zu befürchten. Die zwei Spione haben sich vermutlich mit einer La­dung eingeschlichen.«

»Das soll Axton erfahren. Er kann sie ab­holen lassen.«

43 Das Treffen der Rebellen

Das grelle Licht verschwand. Vermutlich richteten sie den Scheinwerfer auf Fartu­loon.

»Kennst du sie?« »Nein. Ein junger und ein alter Mann.« »So alt ist er nun auch wieder nicht. Aber

schön fett. Leider werden wir nicht nach Ge­wicht bezahlt.«

Entweder hatten sie dort gelauert und sich gerührt, oder wir waren auf unserem Weg durch unsichtbare Detektorstrahlen gelaufen oder mit anderen Mitteln entdeckt worden. Aber ich erkannte, daß sie uns nicht klar identifizierten. Nun, sicher waren unsere Kombinationen verschmutzt, die Gesichter möglicherweise auch. Ich hörte die nächste Bemerkung.

»Nein. Ich kenne weder den einen noch den anderen. Irgendwelche Flottenleute. Wollen sie etwa von hier aus …?«

Der Mann sprach nicht weiter. Dann fühl­te ich im Gesicht einen Luftzug. Eine Decke wurde über mich geworfen, eine zweite über Fartuloon. Ich konnte den Sinn dieser Maß­nahme nicht einmal erraten.

»Lassen wir sie erst einmal hier liegen.« »Alarmierst du den Sektionskommandan­

ten?« »Gleich. Vom Büro aus.« Die Helligkeit verschwand. Die Schritte

entfernten sich und wurden immer leiser. Ich wußte jetzt, daß Orbanaschol tatsächlich alle Möglichkeiten und jeden Weg, der ins Ar­kon-System hineinführte, genauestens vom Geheimdienst kontrollieren ließ. Eine gera­dezu unübersehbar große Menge von Arko­niden mußte auf den Beinen sein, um eine einigermaßen sichere Absperrung zu ge­währleisten.

Die Geheimdienstler unterhielten sich, als sie gingen, so undeutlich, daß ich nichts ver­stehen konnte. Ich versuchte zu sprechen oder zu flüstern, aber die gelähmten Mus­keln und Nerven gehorchten mir nicht. Nur die Lungen funktionierten noch.

Ich lag da, verfluchte unsere Unachtsam­keit und wartete …

*

Ich schätzte, daß wir zwei Stunden re­gungslos zwischen den Containern lagen. Dann wieder hörte ich ein Summen, ein viel helleres Geräusch. Ich kannte es. Roboter näherten sich.

Kleine Scheinwerfer richteten sich auf uns. Die glühenden Linsen schwenkten hier­hin und dorthin. Die glänzenden Körper aus Metall und Plastik rochen nach Maschinen. Ich fühlte die seelenlosen Griffe der Robot­finger. Mein Körper wurde schnell und mit der Leichtigkeit der Maschinen hochgeho­ben, mehrmals gedreht und bewegt, dann zwischen den Containern in die Richtung getragen, aus der die beiden Männer vorhin und jetzt die zwei Roboter gekommen wa­ren. Mein Kopf schob sich aus der Decke heraus; meine starren Augen blickten zur Seite.

Ich sah die breite Bahn des Transport­wegs. Hier stand mit abgeblendeten Schein­werfern ein Gleiter. Flüchtig erkannte ich das Zeichen des Geheimdiensts auf den Tü­ren. Die Roboter schwebten auf das Fahr­zeug zu, blieben vor der Ladefläche stehen und setzten uns ab. Wir lagen nebeneinan­der. Ich hatte dicht vor meinen Augen den Hinterkopf des Bauchaufschneiders. Früher oder später würde man uns entwaffnen und genau untersuchen. Dann würden sie wissen, wen sie paralysiert hatten.

Nach einigen Minuten, in denen die Ma­schinen auf Befehle zu warten schienen, drehten sie ab und schwebten davon, in die Richtung auf die Tiefen des Containerlagers. Der Gleiter ruckte an und schwebte mit uns davon.

Wohin? Ich hatte keine Ahnung, aber es konnte

nicht sehr viel verschiedene Möglichkeiten geben. Untersuchung, Entdeckung, Benach­richtigung an Orbanaschol – und als letzte Station die Hinrichtung.

Wir waren an unserem Ziel, denn wir be­fanden uns endlich wieder auf Arkon. Aber

44

unser Ziel hatte sich erschreckend verändert. Es würde der Tod sein. Das war sicher; we­nigstens in diesem Augenblick verlor ich meine letzten Hoffnungen. Eine Stimmung erfaßte mich, die mir nicht unbekannt war: Niedergeschlagenheit und Wut, schwarze Verzweiflung und das Gefühl großer Ein­samkeit.

12.

Der alte, kahlköpfige Sonnenträger hatte über alles nachgedacht. Er hatte genügend Zeit dazu gehabt. Es gab nichts zwischen dem Start und der Vernichtung, das ihn noch überraschen konnte. Nicht einmal der Sieg über die Verteidigungsflotte würde ihn er­staunen. Wie gesagt: nichts. Außerdem war er ein alter Mann, der eine Unmenge Raum­schlachten geschlagen hatte. Nichts mehr war ihm fremd. Er hob die Stiefel auf das In­strumentenpult, zog seine flache Flasche aus der Hüfttasche und nahm einen Schluck.

»Das ist die absolute Krönung meiner Karriere«, sagte er.

Die Kommandanten der wartenden Rebel­lenflotte hatten jeden einzelnen Schritt und jede Variante genau besprochen. Die Frist lief ab, es waren nur noch Stunden bis zum Start. Vorren schien jetzt genau zu wissen, daß Kornelius und die junge Arkonidin tot waren. In den rund drei Stunden bis zum Ablauf des Termins würde die TURCOS auch nicht mehr zurückkommen.

Vorren drückte auf einen Schalter und rief die Funkzentrale.

»Vorren hier. Ist Nachricht von Kornelius gekommen? Oder eine Nachricht über ihn?«

»Bedaure, Sonnenträger«, war die Ant­wort. »Absolut nichts. Ich habe auch mit den anderen Funkleuten gesprochen. Niemand hat etwas gehört oder eine einschlägige In­formation.«

»Danke. Ende.« Rund viertausendzweihundert Schiffe –

einige waren inzwischen noch zu der Flotte gestoßen – waren bereit. Fast jeder Beset­zungsangehörige blickte jetzt, wie auch Vor-

Hans Kneifel

ren, auf die wechselnden Ziffern der Uhren. Der Augenblick, an dem die Flotte starten würde, war übereinstimmend festgelegt wor­den. Auch alle Manöver, die zwischen dem Sammelplatz hier und Arkon ausgeführt werden würden, um die Verteidigungsflotte so gut wie möglich zu neutralisieren, stan­den fest. Im übrigen entschied jeder Kom­mandant selbst, was zweckmäßigerweise zu tun war. Auch das Ziel war definiert wor­den: es lag auf den Raumhafen von Arkon I.

Vorren schraubte den Verschluß der Fla­sche auf, dann wieder zu, schließlich nahm er einen letzten Schluck und stand auf. Die düstere Perspektive der kommenden Stun­den bedrückte ihn natürlich, aber es gab wohl kein anderes Mittel, um Orbanaschol zum Abdanken zu zwingen.

Es war bitter, zu wissen, daß sein ehema­liger Vorzugsschüler Kornelius tot war. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hatte ihn dieser Wahnsinnige exekutieren lassen.

Vorren fuhr mehrmals mit der Hand über seinen glänzenden Schädel, kratzte sich im Nacken und murmelte:

»Nicht zu ändern. Gut. Fangen wir an.« Er näherte sich einem Mikrophon und gab

eine Reihe knapper Kommandos. Sein Schiff wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Mitten in seine Anweisungen hinein ertönte laut und scharf wie eine Säge der Ton eines Summers.

»Verdammt!« schrie Vorren auf. »Was soll das?«

»Funkzentrale, Sonnenträger! Hyperfunk aus dem Arkon-System!«

»Das kann nicht euer Ernst sein!« rief Cronk laut und erstarrte. »Abspielen! Sofort und in sämtliche Räume. War es der Schur­ke im Kristallpalast?«

»Ja. Ich spiele ab!« Zwei Sekunden später tobten die Laut­

sprecher los. Vorren war sicher, daß die Funkzentralen in den anderen Schiffen eben­falls die Hyperfunknachricht auf sämtlichen Kanälen abspielten. Er ahnte, was Orbana­schol den Meuterern zu sagen hatte. Und er

45 Das Treffen der Rebellen

irrte nicht. »Hier spricht Imperator Orbanaschol der

Dritte! Ich befehle allen Kommandanten der Meutererschiffe, sofort mit ihrem wahnsinni­gen Vorhaben abzubrechen!

Ich befehle den Kommandanten, augen­blicklich umzukehren! Lassen Sie ab von diesem verbrecherischen, verräterischen Vorhaben! Ich befehle es! Ich werde jeden von Ihnen hinrichten lassen. Stellen Sie den Widerstand ein, fliegen Sie dorthin, wo es Maahks gibt. Das ist ein Befehl aus dem Kristallpalast. Befolgen Sie ihn unverzüg­lich. Ich beuge mich keiner Drohung, die von irregeleiteten Rebellen und Meuterern stammt. Meine Flotte wird euch vernichten, zermalmen, in einer Feuerwalze verbrennen, wenn ihr nicht sofort zu den Stellungen und Kampfplätzen zurückfliegt! Arkon starrt von Waffen, ihr kommt nicht weiter!«

Cronk Vorren benutzte die Nebenleitung in die Funkzentrale und fragte brummig:

»Geht das in diesem Tonfall weiter?« »Was dachten Sie, Kommandant?« Vorren winkte ärgerlich ab. Er war zu alt

und zu abgeklärt, um sich über diese Folge von Beschimpfungen und über die Erregung aufzuhalten, die aus jedem Wort klang. Sein Entschluß stand fest.

Er wartete immerhin, bis Orbanaschol sei­ne wilden Drohungen beendet hatte, dann sagte er zum Piloten seines Schiffes:

»Wir starten zum angesetzten Zeitpunkt, nicht früher, nicht später. Funkzentrale?«

»Wir hören?« »Fragt bei den Kommandanten zurück,

die an unseren Konferenzschaltungen, teil­genommen haben. Ich nehme an, sie reagie­ren ebenso wie wir.«

»Ich verständige Sie über jede abweichen­de Meinung.«

Vorren grinste kalt. In Gedanken hatte er bereits alles vollzogen, was nach dem Start der Flotte erfolgen konnte. Er fuhr fort, An­ordnungen zu geben, die sein Schiff und die Mannschaft auf einen erbarmungslosen Kampf vorbereiten sollten.

Als er sich später mit seinen Freunden,

den Kommandanten der anderen Abteilun­gen, unterhielt, stellte er fest, daß es nur eine Meinung gab:

Wir rächen den Tod der Parlamentäre. Wir fliegen nach Arkon. Wir zwingen den Diktator, abzudanken. Wenn nicht freiwillig, dann unter Waffengewalt. Keiner von ihnen würde zurückschrecken, selbst wenn es den eigenen Tod bedeuten würde. Es ging um das Imperium.

Die riesige Flotte setzte sich genau in der errechneten Sekunde in Bewegung. Die Schiffe fügten sich zu bestimmten Gruppen zusammen, beschleunigten und rasten in Richtung auf das System davon.

Der Bürgerkrieg war unvermeidlich. Und bis zum Zeitpunkt des Starts, dachte

angstvoll Karmina Arthamin, hatten sich weder Atlan noch Fartuloon gemeldet. Also waren auch sie tot oder in der Gewalt des Diktators.

Das Schicksal Arkons schien besiegelt zu sein. Der Untergang war sicher.

13.

Jetzt war Orbanaschol völlig ruhig. Seine Überlegungen und Gedanken funktionierten präzise wie ein System von Zahnrädern. Er war allein und befand sich in seinem priva­ten Kommandoraum.

Er kniff die Lider zusammen und betrach­tete das riesige, dreidimensionale Modell des Weltraums in dreißig Lichtjahren Radius um die Sonne der Arkonplaneten. Überall blinkten farbige Pünktchen.

Sie kennzeichneten die Position der großen Flotte der Rebellen, aber auch die Einheiten der Flotte, die Arkon Eins und den Kristallpalast schützen sollte.

Die zwei Parlamentäre waren hingerichtet und verscharrt worden. Es war unwahr­scheinlich, dachte Orbanaschol, daß jemals die Öffentlichkeit davon erfuhr. Das Ge­heimnis war ebenso vollkommen wie die Umstände, durch die er an die Macht ge­kommen war.

»Zweifellos eine Krise!« sagte er laut.

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Die Worte hallten in dem Raum wieder, der praktisch nur aus Signaleinrichtungen und den unzähligen Geräten bestand, die In­formationen in klare, optische Signale um­setzten. Orbanaschol ging zwischen den Ses­seln und den leeren, aber arbeitenden Pulten hindurch und sah immer wieder in das drei­dimensionale Diagramm. Jetzt zeigten sich dort auffallende Veränderungen. Die unzäh­ligen roten Pünktchen bewegten sich. Sie kamen auf ihn zu, unendlich langsam in die­ser Verkleinerung, aber ihre Bewegungen, mit denen sie sich zu kleinen, langgestreck­ten Gruppen zusammendrängten, fielen deutlich auf.

»Aber keine Krise, die mir ernsthaft scha­det!« sagte er. Sie waren alle geblendet von seiner Macht. Jeder der vielen Frauen und Männer im Kristallpalast gehorchte ihm aufs Wort.

An einem halbkreisförmig gekrümmten Pult drückte sein Finger einen Kontakt.

Sofort leuchtete in dem Diarama eine Ku­gelschale aus blauen Pünktchen auf. Es war die Verteidigungsflotte, die sich ebenfalls langsam zu verteilen begann und darauf wartete, daß die etwa zwölf Lichtjahre zwi­schen den beiden Fronten übersprungen und zum Kampfgebiet wurden.

»Sie werden sie besiegen und vernich­ten!« flüsterte der Diktator.

Er ging langsam zu einem anderen Pult. Vor zwei Stunden hatte er versucht, zu schlafen. Aber der folternde Gedanke, er ha­be einen entscheidenden Fehler begangen oder etwas Wichtiges vergessen, ließ ihn nicht einschlafen. Er stand auf, jagte das Mädchen aus seinem Schlafraum und wan­derte allein durch die Korridore, die voller Wachroboter waren.

Wieder ein Knopfdruck. Die planetaren Verteidigungseinrichtun­

gen. An allen denkbaren Punkten einer au­genblicklich projizierten Karte strahlten gel­be und grüne Punkte auf. Das waren entwe­der gelandete Schlachtschiffe, die sämtliche Projektoren nach oben, dem Weltraum ent­gegen richteten, oder es handelte sich um

Hans Kneifel

energieautarke Verteidigungsforts, deren Anlagen tief in der Planetenkruste verborgen waren.

Abermals ein neuer Kontakt. Die unmittelbare Umgebung des Kristall­

palasts. Rund um den Berg waren wahre Massen von Schiffen, Booten, Gleitern und Tanks in Stellung gegangen. Sie bildeten förmlich eine sich bewegende Kuppel über der riesigen Anlage. Die Standorte der Ma­schinen, die mächtige Projektoren trugen, waren vermerkt. Im Fall eines tatsächlich denkbaren Angriffs würden sie Energie­schirme aufstellen, durch die kein lebendes Wesen und kein Roboter dringen konnte.

Klickend rastete ein anderer Schalter ein. »Sie sollen nur kommen! Jeder Rebell be­

zahlt seinen Versuch mit seinem Leben!« er­klärte Orbanaschol den Geräten und der lee­ren Halle mit ihren vielen Bildschirmen und Projektionen. Ein schneller Blick zeigte ihm, daß ein Großteil der Rebellenflotte sich in­zwischen in Transition befand, jedenfalls von den Bildschirmen und aus der Projekti­on verschwunden war.

Ein neuer Bildschirm zeigte ihm in einer langsamen Folge von Abläufen die internen Verteidigungseinrichtungen.

Der Kristallpalast hatte sich in eine Fe­stung verwandelt.

Von oben nach unten erschienen die Bau­pläne. Alle nur denkbaren Winkel, Durch­lässe, Ecken und Schotten, Türen und Trep­pen waren verzeichnet. Und überall befan­den sich festeingebaute oder mobile Vertei­digungseinrichtungen wie Kampfroboter, Gasfallen, Energieschranken und andere schreckliche Tricks, in denen sich jeder Ein­dringling fing und durch die er getötet wur­de, selbst wenn er im Raumanzug und im vermeintlichen Schutz einiger Abwehrschir­me vorzudringen verbuchte.

So wie die äußeren Zonen waren auch die Kernzonen geschützt, nur mit doppeltem und dreifachem Aufwand. Je mehr sich die Verteidigungslinien den Gemächern Orba­naschols näherten, desto größer war der An­teil von eingeschworenen Gardisten.

47 Das Treffen der Rebellen

»Sie können angreifen!« sagte er. Er be­wunderte sich selbst; in Momenten der äu­ßersten Gefahr blieb er kaltblütig und beson­nen. Die Krise würde vielleicht mit einigen Opfern bewältigt werden, aber er überstand auch dies.

Ohne jeden Zweifel!

14.

Ein Holzscheit knackte, ein Regen glü­hender Funken sprang nach allen Seiten. Es war ein dissonantes Geräusch in der Harmo­nie der Musik, die aus großen Lautsprechern heraus den Raum überflutete und ringsher­um über die Landschaft wehte wie ein Her­bstwind. Upoc lag in seinem fellüberzoge­nen Sessel und hielt ein leeres Glas in den Fingern. Er war nicht nüchtern, doch keines­wegs betrunken; als Mann der Mäßigung und Ausgeglichenheit betrank er sich nie­mals. Aber er war ein ganz klein wenig be­schwipst.

Genauso wie sein Gegenüber. »Sie haben jetzt zwei Tage lang auf mich

eingeredet, Kavery!« sagte er leise und starr­te in die Flammen.

»Für das Ziel, das wir haben, würde ich auch zwei Monate lang auf jemanden einre­den. Aber ich gebe offen zu, daß Sie beson­ders hartherzig sind, Upoc.«

»Kein Wunder. Ihr Vorschlag ist abwe­gig.«

»Die Situation ist noch viel abwegiger!« schloß Kavery und stand auf. Er ging zu ei­nem Bord rechts am Kamin und entkorkte die Flasche. Er goß sich und Upoc ein.

»Ich habe Sie genau beobachtet!« sagte er mit schlauem Lächeln.

»So, haben Sie das?« »Ja. Und ich habe herausgefunden, daß

Sie verdammt genau wissen, was Sie zu tun haben. Für mich sind Sie kein Träumer, auch wenn Sie verzweifelt versuchen, diese Fiktion aufrechtzuerhalten.«

Upoc richtete sich ein wenig auf und dachte über das nach, was er eben gehört hatte. Viel zuviel verwirrende Dinge waren

in den beiden Tagen geschehen. Die Männer aus dem Raumschiff hatten seine Ruhe für lange Zeit gründlich ruiniert. Sie benahmen sich wie barbarische Eindringlinge.

»Was bin ich dann?« fragte er und be­trachtete Kavery, so wie er eine seltene Sumpfpflanze oder eine Blüte betrachtete, die nach dem ersten Frühlingsregen im Sand wucherte.

»Sie sind klug und besonnen. Ihre Musik ist nichts anderes als der Ausdruck einer be­stimmten Unsicherheit. Sie versuchen, zu sich selbst zu finden.«

»Sie haben nicht recht.« »Doch! Sie zogen sich hierher zurück, um

allein zu sein und über alles nachzudenken. Aber inzwischen kennen Sie Ihre Grenzen. Sowohl die Grenzen nach oben wie die nach unten.«

»Meinen Sie? Aber das macht mich noch lange nicht zum zukünftigen Imperator. Ich werde es Ihnen immer wieder sagen: ich will dieses Amt nicht, ich eigne mich nicht dafür, und ich werde Ihrer Werbung nicht nachge­ben.«

Kavery sagte hart: »Sie verschwenden Ihre Begabung an Fi­

sche und Echsen, an Insekten und Frösche.« »Das mag sein. Aber dies ist mein gutes

Recht.« Seit zwei Stunden saßen sie hier und strit­

ten miteinander. Upoc merkte mit der Si­cherheit des introvertierten Mannes, daß die Kraft, die er brauchte, um zu widerstehen, immer größer wurde. Sein Gegner war hart­näckig, und er wußte, was er sagte, und wo er einzuhaken hatte. Es war ein leiser, aber besonders hartnäckiger Kampf. Eine Aus­einandersetzung zwischen zwei Weltan­schauungen.

Hätte Upoc dies geahnt, als er das gelan­dete Schiff gesehen hatte, dann wäre er in die Sümpfe geflüchtet. Keiner der Leute von Arkon hätte ihn gefunden.

»Erlauben Sie eine Frage, Upoc von Go­nozal?« erkundigte sich Kavery und nahm einen Schluck.

»Ja. Sofern ich sie beantworten kann –

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gern.« Kavery lächelte ihn freundlich an. In die­

ser Sekunde wirkte er wie ein hungriger Sumpfbewohner mit ledriger Haut und lan­gen weißen Zähnen.

»Was hält Sie auf diesem Planeten?« Upoc hob die Schultern und antwortete

nicht gleich. Aber nach einer Weile erklärte er ohne Zögern:

»Eine ruhige Welt. Gleichzeitig ein Pla­net, auf dem ich dann allein sein kann, wenn ich es wünsche, und wenn ich Gesellschaft brauche, dann besuche ich den einen oder anderen Bewohner oder die Dörfer der Ein­geborenen. Sie machen ein hervorragendes Bier und den Wurzelschnaps, den Sie in sich hineinschütten. Dann habe ich hier eine Menge von Möglichkeiten, was meine Mu­sik betrifft. Ich kann ununterbrochen daran arbeiten, die Melodien verändern, die Beto­nungen anders setzen, bis aus dem ersten Entwurf ein kleines, intimes Meisterwerk geworden ist.

Ich habe seit dem Tag, an dem die Anlage hier fertig war, zwei Dutzend von Musik­stücken durchkomponiert. Jede einzelne No­te hat ihre bestimmte Wirkung. Ich bin noch nicht alt und hinfällig, ich bin gesund, und ich brauche niemanden und störe nieman­den. Und ich habe immer einen der schön­sten Ausblicke des Universums, am Tag und in der Nacht. Sie sollten einmal das Meer und die Wüste während der Herbststürme sehen oder in einem der Winterorkane.«

Kavery erwiderte: »Wovor sind Sie eigentlich hierher geflo­

hen? Und würden Sie sich wenigstens bereit erklären, auf Arkon eine Ihrer Kompositio­nen zu spielen? Und wie werden Sie damit fertig werden, daß Sie sich Ihrer Berufung entzogen haben?

Denn ich anerkenne keinen Grund für Ihre hartnäckige Weigerung. Ein Mann von ho-hem Adel wie Sie sollte sich seiner Beru­fung stellen. Ich werde Ihnen sagen, was Sie davon abhält, mit uns zu kommen!«

Upoc zeigte beträchtliche Unsicherheit und Unruhe, indem er den Inhalt seines Gla-

Hans Kneifel

ses in einem Zug hinunterstürzte. »Ich bin nicht geflohen. Ich sah zu, erleb­

te mit und stand daneben, als mein Halbbru­der diesen gewaltigen Organismus zu regie­ren versuchte. Ich versuchte meinerseits, darin einen Sinn zu finden. Es gab keinen – für mich.

Dagegen, daß ich auf Arkon auftrete und wieder hierher zurückgeflogen werde, ist grundsätzlich nichts zu sagen.

Ich habe keine Berufung, also konnte ich mich keiner Berufung entziehen. Sie argu­mentieren mit großer Geschicklichkeit und Überzeugungskraft, Kavery.«

»Deswegen sitze ich hier und kämpfe die­sen einsamen Kampf gegen Sie!« stellte Ka­very ungerührt fest.

»Immerhin ein Kampf für eine, wie ich denke, gute Sache«, gab Upoc zu.

Auch auf die Männer im Raumschiff wirkte die Musik vom Bandgerät; sie beru­higte auch Upoc selbst und seinen Ge­sprächspartner und, wie stets, die Tiere in weitem Umkreis der vier Landschaftszonen.

Dann fragte Upoc: »Und was hält mich, Ihrer Meinung nach,

davon ab, Ihnen nach Arkon und in den Kri­stallpalast zu folgen?«

»Angst vor Veränderungen. Furcht vor unbekannten und neuen Dingen. Angst, den Anforderungen nicht zu genügen.«

Sie sahen sich in die Augen. Schließlich senkte Upoc den Kopf und murmelte:

»Das kann sein. Aber es sind keine uneh­renhaften und keine unverständlichen Moti­ve, Kavery.«

»Ich habe dies nicht behauptet. Aber un­sere Zeit und meine persönlichen Probleme zwingen mich, Ihnen jetzt zum letztenmal die Frage zu stellen, beziehungsweise Sie noch einmal in aller dringenden Herzlichkeit zu bitten. Wollen Sie hier weiter ein Ein­siedlerdasein ohne jeden Zweck und jeden Vorteil für Arkon führen?

Kommen Sie mit uns. Helfen Sie dem vor Chaos, Angst und Not zitternden Imperium! Sie helfen nicht sich selbst oder mir. Sie hel­fen Milliarden von Arkoniden! Sie dürfen

49 Das Treffen der Rebellen

sich dieser Verantwortung nicht entziehen!« Wieder schwiegen sie. Die Brandung rauschte rhythmisch und

verband sich mit den Klängen der Musik. Die Sterne strahlten auf das Land herunter. Überall waren winzige Geräusche von tau­senden Tieren zu hören. Upoc schien in sich versunken zu sein. Nach einer langen Zeit sagte er mit überraschend deutlicher Stim­me:

»Lassen Sie mich nachdenken, Kavery. Morgen früh erfahren Sie meinen Entschluß. Er wird in jedem Fall endgültig sein. Es ist dann zwecklos, mich umstimmen zu wollen. Ich werde mich dann auch nicht mehr mit Ihnen oder einem anderen Abgesandten un­terhalten. Klar?«

Kavery hob das Glas. Es war nicht zu er­kennen, mit welcher Antwort er endgültig rechnete.

»Ich habe Sie verstanden, Upoc von Go­nozal. Wir werden Ihre Entscheidung re­spektieren. Zufrieden?«

»Ja. Und wenn Sie jetzt Lust haben, dann spiele ich Ihnen eines meiner heiteren Stücke vor. Ich denke, wir brauchen etwas Heiterkeit nach diesem schweren Ge­spräch.«

»Ich danke Ihnen. Fangen Sie an. Ich höre zu.«

Die Schalen der Waage hingen absolut auf gleicher Höhe. Upoc selbst wußte nicht, wie er antworten würde. Aber man hatte ihm klargemacht, daß jetzt das Chaos in mehre­ren Welten und aus verschiedenen Richtun­gen auf den Mittelpunkt des Systems zuflu­tete. Er griff nach dem Instrument, stimmte es, dann begann er eine heitere, entspannen­de Melodie zu spielen.

Kavery und er vergaßen vorübergehend alle brennenden Sorgen und Probleme. Aber nur für die Dauer einer halben Stunde.

E N D E

Lesen Sie nächste Woche, ATLAN Nr. 298: Gegner des Imperators von H. G. Francis Atlan auf Arkon – der Kristallprinz zwischen den Fronten