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1 3 ANGEWANDTE GEOGRAPHIE Der Beitrag befasst sich mit den Voraussetzungen der Re- gion Bliesgau für die Anerkennung als Biosphärenreservat. Im Vordergrund stehen die wesentlichen Aspekte, die zum Konzept des Biosphärenreservates „Biosphäre Bliesgau“ im partizipativen Prozess in der dritten Phase entwickelt wurden. Die Konzeption von Biosphärenreservaten gemäß der Sevilla-Strategie wird kurz vorgestellt; ebenso werden die Spezifika des Bliesgaus als Natur- und Kulturraum ge- zeigt. Einige konzeptionelle Überlegungen und deren Aus- wirkungen auf den Beteiligungsprozess werden erläutert. Schließlich erfolgen Ausblicke auf die Entwicklung der Region im Allgemeinen sowie auf die des Biosphärenre- servates Bliesgau im Besonderen. Im mehreren Schritten zum Biosphärenreservat Am 26. Juli 2009 überreichte Gertrud Sahler, Vorsit- zende des deutschen „Man-and-Biosphere-Nationalko- mitees“ (MAB), dem saarländischen Ministerpräsidenten die Urkunde zur Anerkennung der Region Bliesgau als UNESCO-Biosphärenreservat (Abb. 1). Die Entwicklung der Region von den ersten konzeptionellen Überlegungen in Bezug auf die Errichtung eines Biosphärenreservates bis zur Anerkennung durch die UNESCO lässt sich grob in drei Phasen unterteilen: Die erste Phase, die in den späten 1980er Jahren begann und bis zum Regierungswechsel 1999 andau- erte, war von Voruntersuchungen insbesondere geoökolo- gischer Art geprägt. In der zweiten Phase zwischen 1999 und 2004 wurden erste Ansätze einer – stark Top-Down- geprägten – Kommunikationsstrategie entwickelt. Außer- dem wurden Überlegungen zur Zonierung konkretisiert, Gutachten zur sozialen und ökonomischen Entwicklung angefertigt sowie der Förderverein „Freunde der Biosphä- renregion“ gegründet. Die dritte Phase zwischen 2004 und der UNESCO-Anerkennung war durch ein breit angelegtes Beteiligungsverfahren sowie durch Abstimmungen mit dem MAB-Nationalkomitee beherrscht. Die Aufgaben von Biosphärenreservaten Im Vergleich zu anderen Großschutzgebieten wie National- und Naturparken sind die Aufgaben von Biosphärenreser- vaten differenzierter und komplexer. Während das Konzept der Nationalparke in erster Linie auf einen klassischen lokalen bzw. regionalen bestandserhaltenden Naturschutz ausgerichtet ist, sollen Biosphärenreservate integrierte ganzheitliche Nachhaltigkeitskonzepte entwickeln. Diese beinhalten neben dem Schutz des Naturhaushaltes und der genetischen Ressourcen auch die nachhaltige Landnutzung, die Umweltforschung und -beobachtung sowie die Umwelt- bildung. Dies äußert sich auch in einer höheren Relevanz des Kulturlandschaftsschutzes im Vergleich zum Natur- landschaftsschutz, der in den Nationalparken höchsten Stel- lenwert besitzt. Der Schutz der Kulturlandschaft umfasst auch eine Einbindung von Siedlungen in das Gesamtkon- zept (Klein 1996). Insbesondere nach der Einführung der Sevilla-Strategie im Jahr 1995 richtet sich das Konzept der Biosphärenreservate verstärkt auf die Prinzipien der sozia- len und ökonomischen Nachhaltigkeit in Verbindung mit denen der ökologischen Nachhaltigkeit (vgl. Kühne 2003). Biosphärenreservate werden auch zu einem Instrument der Regionalentwicklung, in denen unter Ausnutzung von Bot- tom-Up-Prozessen unter anderem die ökonomischen und STANDORT (2010) 34:27–33 DOI 10.1007/s00548-010-0131-3 Das UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau Entwicklungen, Beteiligungen und Verfahren in einer Modellregion Olaf Kühne Dr. phil. habil. Dr. rer. soc. O. Kühne () Ministerium für Umwelt des Saarlandes, Keplerstraße 18, 66117 Saarbrücken, Deutschland E-Mail: [email protected] Online publiziert: 09.03.2010 © Springer-Verlag 2010

Das UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau

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AngewAndte geogrAphie

der Beitrag befasst sich mit den Voraussetzungen der re-gion Bliesgau für die Anerkennung als Biosphärenreservat. im Vordergrund stehen die wesentlichen Aspekte, die zum Konzept des Biosphärenreservates „Biosphäre Bliesgau“ im partizipativen prozess in der dritten phase entwickelt wurden. die Konzeption von Biosphärenreservaten gemäß der Sevilla-Strategie wird kurz vorgestellt; ebenso werden die Spezifika des Bliesgaus als Natur- und Kulturraum ge-zeigt. einige konzeptionelle Überlegungen und deren Aus-wirkungen auf den Beteiligungsprozess werden erläutert. Schließlich erfolgen Ausblicke auf die entwicklung der region im Allgemeinen sowie auf die des Biosphärenre-servates Bliesgau im Besonderen.

Im mehreren Schritten zum Biosphärenreservat

Am 26. Juli 2009 überreichte gertrud Sahler, Vorsit-zende des deutschen „Man-and-Biosphere-nationalko-mitees“ (MAB), dem saarländischen Ministerpräsidenten die Urkunde zur Anerkennung der region Bliesgau als UneSCo-Biosphärenreservat (Abb. 1). die entwicklung der region von den ersten konzeptionellen Überlegungen in Bezug auf die errichtung eines Biosphärenreservates bis zur Anerkennung durch die UneSCo lässt sich grob in drei phasen unterteilen: die erste phase, die in den späten 1980er Jahren begann und bis zum regierungswechsel 1999 andau-erte, war von Voruntersuchungen insbesondere geoökolo-gischer Art geprägt. in der zweiten phase zwischen 1999 und 2004 wurden erste Ansätze einer – stark top-down-

geprägten – Kommunikationsstrategie entwickelt. Außer-dem wurden Überlegungen zur Zonierung konkretisiert, gutachten zur sozialen und ökonomischen entwicklung angefertigt sowie der Förderverein „Freunde der Biosphä-renregion“ gegründet. die dritte phase zwischen 2004 und der UneSCo-Anerkennung war durch ein breit angelegtes Beteiligungsverfahren sowie durch Abstimmungen mit dem MAB-nationalkomitee beherrscht.

Die Aufgaben von Biosphärenreservaten

im Vergleich zu anderen großschutzgebieten wie national- und naturparken sind die Aufgaben von Biosphärenreser-vaten differenzierter und komplexer. während das Konzept der nationalparke in erster Linie auf einen klassischen lokalen bzw. regionalen bestandserhaltenden naturschutz ausgerichtet ist, sollen Biosphärenreservate integrierte ganzheitliche nachhaltigkeitskonzepte entwickeln. diese beinhalten neben dem Schutz des naturhaushaltes und der genetischen ressourcen auch die nachhaltige Landnutzung, die Umweltforschung und -beobachtung sowie die Umwelt-bildung. dies äußert sich auch in einer höheren relevanz des Kulturlandschaftsschutzes im Vergleich zum natur-landschaftsschutz, der in den nationalparken höchsten Stel-lenwert besitzt. der Schutz der Kulturlandschaft umfasst auch eine einbindung von Siedlungen in das gesamtkon-zept (Klein 1996). insbesondere nach der einführung der Sevilla-Strategie im Jahr 1995 richtet sich das Konzept der Biosphärenreservate verstärkt auf die prinzipien der sozia-len und ökonomischen nachhaltigkeit in Verbindung mit denen der ökologischen nachhaltigkeit (vgl. Kühne 2003). Biosphärenreservate werden auch zu einem instrument der regionalentwicklung, in denen unter Ausnutzung von Bot-tom-Up-prozessen unter anderem die ökonomischen und

StAndort (2010) 34:27–33doi 10.1007/s00548-010-0131-3

Das UNESCO-Biosphärenreservat BliesgauEntwicklungen, Beteiligungen und Verfahren in einer Modellregion

Olaf Kühne

dr. phil. habil. dr. rer. soc. o. Kühne ()Ministerium für Umwelt des Saarlandes, Keplerstraße 18,66117 Saarbrücken, deutschlande-Mail: [email protected]

online publiziert: 09.03.2010© Springer-Verlag 2010

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sozialen entwicklungspotenziale der betreffenden region gefördert werden sollen.

die Sevilla-Strategie geht auf die internationale Bio-sphärenreservatskonferenz der UneSCo in Sevilla/Spa-nien vom 20. bis 25. März 1995 zurück. demnach sollen Biosphärenreservate nicht zu möglichst geschlossenen Systemen der nachhaltigkeit werden, „sie sollen viel-mehr dazu beitragen, wissen der Vergangenheit auf die erfordernisse der Zukunft zu übertragen und aufzeigen, wie die probleme unserer sektoral orientierten institutio-nen überwunden werden können“ (UneSCo 1996). Bio-sphärenreservate sollen als repräsentative Ausschnitte von natur- und Kulturlandschaften in Zusammenarbeit mit der ansässigen Bevölkerung Konzepte zum Schutz, zur Pflege und zur entwicklung von natur und Landschaft erarbeiten und umsetzen. Zudem sollen sie dazu dienen, die Mensch-Umwelt-Beziehungen zu beobachten. dazu sind Biosphä-renreservate in der regel in drei Zonen einzuteilen, denen spezifische Aufgaben zufallen:

1. die Kernzonen sollen sich als Zonen ohne nutzung unter weitgehendem Ausschluss des Einflusses des Men-schen entwickeln können. Sie dienen als Vergleichsräume für die wissenschaftliche Untersuchung des Mensch-Umweltverhältnisses. eine Ausweisung als naturschutz-gebiet ist erforderlich.

2. die Pflegezonen dienen als Zonen naturverträglicher Nutzung der Erhaltung und Pflege von Ökosystemen, die durch menschliche Nutzung entstanden bzw. beeinflusst sind. eine Unterschutzstellung als natur- bzw. Land-schaftsschutzgebiet ist anzustreben.

3. die Entwicklungszonen stellen den Lebensraum der Bevölkerung mit seinen vielfältigen Funktionen wie Arbeiten, wohnen und erholen dar. in diesen Zonen

nachhaltiger nutzung und entwicklung soll sich das nachhaltige wirtschaften des Menschen entfalten.

Ursprünglich war vorgesehen, dass diese drei Zonen nahezu konzentrische Ringe bilden. Um den spezifischen örtlichen erfordernissen und Bedingungen rechnung zu tragen, besteht jedoch die Möglichkeit auch anderer Anordnungen.

Räumliche Spezifika

das 36.152 hektar umfassende Biosphärenreservat Blies-gau mit gegenwärtig rund 111.000 Einwohnern befin-det sich im südöstlichen Saarland und grenzt im osten an rheinland-pfalz, im Süden und westen an Lothringen (Abb. 2). geomorphologisch wird es von den Schichtstufen des Muschelkalks im Süden und denen des Buntsandsteins im norden geprägt. Aufgrund der geringen Bodengüte und der starken Reliefierung ist der Norden des Biosphärenre-servates stärker bewaldet als der pedologisch und klimatisch begünstigte Süden, der als Saar-Bliesgau naturräumlich den Kernraum des Biosphärenreservates bildet. der südliche teil des Bliesgaus, heute durch halboffenlandschaften mit einem hohen Streuobstwiesenanteil bestimmt, wurde aufgrund sei-ner naturräumlichen gunst bereits im neolithikum besie-delt. dieses gebiet war in den prozess der industrialisierung weniger integriert. es stellte vor allem Arbeitskräfte und lie-ferte Kalk für die eisenschaffende industrie. heute ist dies der weniger dicht besiedelte teil des Biosphärenreservates. der nördliche Bereich hingegen gehört zum saarländischen Verdichtungsraum und weist unterschiedlich hohe grade der Altindustriealisierung auf: während die Stadt St. ingbert stark von glasindustrie, Kohleförderung und eisenschaffen-der industrie geprägt ist und heute einen intensiven Struktur-wandel vollzieht, wird die – teilweise im Biosphärenreservat gelegene – Kreisstadt homburg stark von Automobilzulie-ferindustrie und Maschinenbau bestimmt. Zentralörtlich bezieht sich die region stark auf Mittel- und oberzentren am rande oder außerhalb des Biosphärenreservates: neben den Mittelzentren homburg und St. ingbert ist der raum im Süd-osten auf das rheinland-pfälzische Zweibrücken, im Süden auf das lothringische Sarreguemines (Saargemünd) und im westen auf das oberzentrum Saarbrücken ausgerichtet. das im Landesentwicklungsplan als Mittelzentrum ausgewiesene und zentral im Biosphärenreservat gelegene Blieskastel ent-faltet nur geringe Bindungswirkungen (Kühne 2008). einige gemeinden – insbesondere Kirkel und Mandelbachtal – wie-sen in der Vergangenheit infolge von Suburbanisierungsten-denzen deutliche Bevölkerungsgewinne auf, vor allem St. ingbert musste hingegen erhebliche Bevölkerungsverluste hinnehmen. Auch in den bisherigen wachstumsgemeinden ist infolge des demographischen wandels künftig mit deut-lichen Schrumpfungsprozessen zu rechnen.

Abb. 1 Biosphärenfest mit Überreichung der Anerkennungsurkunde als UneSCo-Biosphärenreservat auf der ruine der Kirkeler Burg (Foto: Kühne)

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29das UneSCo-Biosphärenreservat Bliesgau

historisch lässt sich eine räumliche trennung der an den Fluss- und Bachtälern von Saar, Mandelbach, Blies und Bickenalb ausgerichteten Siedlungs- und Aktionsräume durch die dazwischen liegenden höhenrücken erkennen. Diese Trennung lässt sich zwar noch in den Identifikations-prozessen der Bevölkerung nachvollziehen, aufgrund des hohen Automobilisierungsgrades ist sie aktionsräumlich jedoch weniger relevant.

Zu der naturräumlichen, wirtschaftlichen sowie sied-lungsbezogenen differenziertheit des raumes tritt eine politisch-historische: Bis zur gründung des unter Völker-bundsverwaltung stehenden Saargebietes im Jahre 1920 infolge des Versailler Vertrages gehörten die heutigen Städte Blieskastel, homburg und St. ingbert (mit Ausnahme des heutigen Stadtteils rentrisch) sowie die heutigen gemeinden gersheim, Kirkel und Mandelbachtal zur bayrischen pfalz. die gemeinde Kleinblittersdorf und der St. ingberter orts-teil rentrisch waren dagegen Bestandteile der preußischen rheinprovinz. die historisch-politische differenzierung zog eine bis heute – von der Säkularisierung abgeschwächte – religiöse nach sich: die vor der territorialen Flurbereini-gung infolge der Französischen revolution zu pfalz-Zwei-brücken gehörenden teile des heutigen Bliesgaus waren reformiert. die Bewohner der übrigen teile waren römisch-katholisch. genaueres dazu ist in der von dorda et al. 2006 herausgegebenen Landeskunde zum Bliesgau zu lesen, die in Vorbereitung des Anerkennungsverfahrens als UneSCo Biosphärenreservat entstand. der kurze Abriss hat gezeigt, dass sich eine einheitlichkeit des raumes historisch oder naturräumlich schwerlich konstruieren lässt. die heraus-forderung besteht also darin, Vielfalt als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu begreifen.

Konzeptionelle Überlegungen

weil Biosphärenreservate Modellregionen für nachhaltig-keit sein sollen, erhalten die interessen und Vorstellungen der ansässigen Bevölkerung konstitutive Bedeutung. ein solcher prozess lässt sich nicht (allein) mit dem governan-cemechanismus hierarchischer Steuerung instituieren, der wille der Beteiligten bliebe ausgeklammert. ebenso wenig zielführend wäre eine allein marktförmige organisation, die nur kurzfristige interaktionen bewirkt. Stattdessen ist die Bildung und erhaltung von netzwerken erforderlich (Abb. 3), in denen sich lokale und regionale Akteure aus Verwaltung, Wirtschaft und Verbänden sowie – häufig nicht berücksichtigt – Bürgerinnen und Bürger organisieren (vgl. Brodda 2002; hammer 2002).

die organisation von regionalentwicklungsprozessen in netzwerken bedeutet die Verbreiterung der Akzeptanz-basis in der ansässigen Bevölkerung durch die integration so genannter Schlüsselakteure. eine staatliche-hierarchische Steuerung könnte dies nur schwerlich erreichen. Allerdings bedeutet die Verlagerung von entscheidungskompetenz in netzwerke eine Aushöhlung demokratischer Legitima-tion. Zudem beinhaltet sie infolge der Bevorzugung von Akteuren mit ähnlichem Milieuhintergrund vielfach eine soziale Schließung (Jansen u. wald 2007). So resultiert aus den Bemühungen um die erzeugung „regionaler identität“ und der Ausschöpfung endogener potenziale vielfach eine Ausschließung des Andersartigen (vgl. Kühne 2009). die „inhalte solcher landschaftlich-vaterländisch-heimatlich-ökoidyllischer raumabstraktionen“ (hard 1987a) werden dadurch konstruiert, dass „der Blick von den wesentlicheren sozialen und regionalen disparitäten weg auf vergleichs-

Abb. 2 topographie und Zonierung des Biosphärenreser-vates Bliesgau

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weise belanglose regionale Varietäten“ gelenkt und zur grundlage unter anderem politischen handelns gemacht wird (hard 1987b).

das Verfahren zur errichtung des Biosphärenreservates Bliesgau wurde im Bewusstsein um die gefahren, die sich aus der Bildung, nutzung und erhaltung von netzwerken ergeben, so konzipiert, dass auch „Mindermächtigen“ – ins-besondere nicht in Vereinen und Verbänden organisierten Alt-eingesessenen – Beteiligungsmöglichkeiten eröffnet wurden. das in der Frühphase bis 2004 vorgeschlagene deutungs-muster einer im Zuge der industrialisierung „entmündigten Region“, die sich auf ihre dörflichen Traditionen besinnen und vom Verdichtungsraum abgrenzen müsse (vgl. Zeck u. Bode 2003, S. 208), wurde von Seiten staatlicher und kom-munaler Stellen nicht mehr weiter verfolgt. die entstehung eines modernitätsfeindlichen und sich am Fremden kontu-rierenden „bornierten provinzialismus“ (Beck 1986, S. 87) wäre nur schwer zu vermeiden gewesen. nach 2004 basierte das deutungsmuster auf den Überlegungen eines Übergangs vom exklusivistischen zum inklusivistischen denken (Slo-terdijk 1987). es begreift Fremdes nicht als gefahr, son-dern als Bereicherung und fühlt sich einem konstruktiven Umgang mit der globalisierung im Sinne eines „Bliesgauer Weltbürgertums“ verpflichtet (vgl. Kühne 2006).

Das Beteiligungsverfahren

im Folgenden steht das Beteiligungsverfahren in der drit-ten phase der entwicklung zur Anerkennung als UneSCo-Biosphärenreservat im Mittelpunkt. es basiert auf den dargestellten Überlegungen zur netzwerkbildung und -erhaltung in der regionalentwicklung. Zentraler Akteur in der zweiten, aber zunächst auch in der dritten phase war

das Ministerium für Umwelt im Saarland. das Ministerium hatte deshalb eine so herausragende position inne, weil das MAB-nationalkomitee die Verantwortlichkeit für die Bio-sphärenreservate der obersten naturschutzbehörde zuge-wiesen hatte. diese wiederum untersteht dem Ministerium für Umwelt.

die organisation des prozesses war in der zweiten phase intern noch stark durch die hierarchische Kommunikation innerhalb des Ministeriums für Umwelt und extern durch die information der Akteure geprägt. in der dritten phase nun wurden organisation und Kommunikation neu aus-gerichtet. innerhalb des Ministeriums für Umwelt wurde eine als Stabstelle geführte Arbeitsgruppe gegründet, deren Aufgabe darin lag, das Beteiligungs- und Anerkennungsver-fahrens zu organisieren und durchzuführen. diese Arbeits-gruppe bestand im Kern aus Vertretern zuständiger Stellen des Ministeriums für regionalentwicklung, naturschutz, Landwirtschaft und Forst sowie einer Vertreterin des Vereins „Freunde der Biosphärenregion“. diese Arbeitsgruppe trat in wöchentlichem turnus zusammen, bei Bedarf kamen Ver-treter anderer Bereiche – beispielsweise aus dem tourismus oder der wirtschaftsförderung – innerhalb und außerhalb des Ministeriums für Umwelt hinzu. diese „Ag Biosphäre“ war primär für die formellen Belange des prozesses wie Zonierung, Ausarbeitung des Anerkennungsantrages oder Vorbereitung von Schutzgebietsausweisungen verantwort-lich. der Verein „Freunde der Biosphärenregion“ etab-lierte sich mit hilfe von Förderungen aus programmen wie „regionen aktiv“ oder „LeAder“ als zentrales element der ökonomischen regionalentwicklung und kümmerte sich insbesondere um die regionale Vermarktung (Abb. 4).

die planungen zur einrichtung des Biosphärenreservates erfolgten in einem Beteiligungsprozess auf unterschiedlichen ebenen und mit unterschiedlichen institutionalisierungs-

Abb. 3 idealtypen von gover-nance: Markt, netzwerk und hierarchie (wald u. Jansen 2007)

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31das UneSCo-Biosphärenreservat Bliesgau

graden. grundsatz des Beteiligungsverfahrens war die prinzipielle und vielfach praktizierte revidierbarkeit von planungen und Konzepten durch Anregungen von Bürgerin-nen und Bürgern, Verbänden, Vereinen und Kommunen. Von Kritikern des projektes – insbesondere aus den Bereichen Landwirtschaft und Jagd – wurde diese häufige Anpassung des planungsstandes als mangelnde Konstanz ausgelegt. diese deutung mündete in der Kritik, die Behörden gingen planlos vor und wüssten nicht, was sie wollten.

einen hohen institutionalisierungsgrad wies die „Ag Kommune“ auf, die den Kommunikationsfluss zwischen dem Ministerium für Umwelt, den beteiligten Kommunen und dem Saarpfalzkreis auf Arbeitsebene herstellte. das in rund monatlichem turnus tagende gremium bereitete insbesondere die termine für die Beteiligungen der kom-munalen räte und die Satzung des 2007 gegründeten Bio-sphärenzweckverbandes vor. Außerdem koordinierte es die publikation von informationen über das Biosphärenreservat in den gemeindenachrichtenblättern, insbesondere lancierte sie eine Artikelserie zum thema. die interessierten Verbände wurden über das zweimonatlich tagende Biosphärenforum in den prozess eingebunden. Vor allem der Abstimmung der

Zonierung diente das „offene dialogverfahren Zonierung“. in dessen rahmen wurden die Zonierungsplanungen offen gelegt und Änderungsvorschläge etwa von privatpersonen, Verbänden, gemeinden erfasst und gegebenenfalls über-nommen. das „offene dialogverfahren Zonierung“ hatte das Ziel, vor der Ausweisung der Pflegezonen Unklarheiten bezüglich der Abgrenzung zu beseitigen und die Abgren-zung im detail anzupassen. die termine hierfür wurden im wesentlichen in den gemeindenachrichtenblättern und per Aushang angekündigt. Bestritten wurden die termine des dialogverfahrens in den gemeinden des projektraumes von den Mitgliedern der „Ag Biosphäre“ – je gemeinde in etwa vierzehntäglichem turnus. Sofern es gewünscht war, erläuterten darüber hinaus Bedienstete des Ministeriums für Umwelt den Bürgerinnen und Bürger im privaten Umfeld die wesentlichen Aspekte des projektes. das „offene dia-logverfahren Zonierung“ führte dazu, dass der Flächen-zuschnitt der Kern- und Pflegezonen teilweise deutlich verändert wurde. So entfiel eine Kernzone (Webenheimer Berg, auf dem Stadtgebiet von Blieskastel) auf wunsch der ansässigen Bevölkerung, weil sie dort Brennholz gewinnen wollte. nach dem willen der Stadt homburg wurde die Kernzone „pfänderbachtal“ im homburger Kommunalwald eingerichtet. die bedeutendsten Änderungen der gebietsku-lisse stellten jedoch die erweiterungen des projektraumes um die gemeinde Kleinblittersdorf und um die gesamtstadt St. ingbert dar (vgl. Abb. 4). in der ursprünglichen planung war nur der suburban strukturierte südliche teil des Stadt-gebietes von St. ingbert teil des projektraums. die erwei-terungen erfolgten jeweils auf eigenen wunsch und wurden mit den bereits im Projektraum befindlichen Gemeinden abgestimmt. die Aufnahmen bedeuteten nicht nur eine flächenmäßige Vergrößerung des Projektraumes, sondern implizierten auch eine konzeptionelle Schwerpunktverlage-rung von der ländlichen entwicklung zum themenfeld der Stadt-Landbeziehungen.

den höhepunkt der Beteiligung bildete der prozess der Leitbilderarbeitung zwischen oktober 2005 und Juni 2006 in Zusammenarbeit mit dem tAUrUS-institut in trier. neben experten, politikern, Vereinen und Verbänden wurden die Bür-gerinnen und Bürger der region über drei regionalkonferenzen konstitutiv eingebunden. das ergebnis des Leitbildprozesses wird am titel des Leitbildes „Biosphäre Bliesgau – das Mosaik lebendiger Vielfalt“ deutlich. nicht einheitlichkeit und Aus-schluss insbesondere des Fremden sollen Ziel der entwicklung sein, sondern gerade die wertschätzung des Unterschiedlichen. das Leitbild wurde weitergeführt: einerseits mit dem LeA-der-regionalentwicklungskonzept (reK Bliesgau), anderer-seits mit einem integrierten ländlichen entwicklungskonzept. Bei letzterem handelt es sich um ein regionalentwicklungs-konzept, das durch die gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (gAK) der Bun-desrepublik deutschland gefördert wird.

Abb. 4 Strukturwandel im Bliesgau: der Beckerturm der ehemaligen Becker-Brauerei in St. ingbert. Auf dem 71.000 Quadratmeter großen Brauerei-gelände entstand ende 1997 ein neues gewerbezentrum, der „innovationspark Am Beckerturm“ (Foto © Marco görlich/pixelio)

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die für ein Biosphärenreservat unübliche organisations-form eines Zweckverbandes ist der Umsetzung des Sub-sidiaritätsprinzips geschuldet und soll eine größtmögliche nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen. Mit der gründung des Biosphärenzweckverbandes 2007 aus den beteiligten Städten und gemeinden, dem Saarpfalz-kreis und dem Saarland wurde ein erster Schritt vollzogen, die entscheidungskompetenzen vom Land auf die Kom-munen zu übertragen. Mit der Anerkennung als UneSCo-Biosphärenreservat hat der vom Land verantwortete prozess, die Anerkennungsdokumente zu erarbeiten, seinen Abschluss gefunden. die inhaltliche Verantwortung des Landes beschränkt sich gegenwärtig lediglich darauf, die biosphärenreservatsbezogene Forschung zu organisieren. Sie ist nun im „Forschungsforum“, einem Forschungsver-bund aus Vertretern von saarländischen und rheinland-pfälzischen hochschulen und Forschungseinrichtungen, institutionalisiert.

Fazit und Ausblick

Mit der UneSCo-Anerkennung hat die vierte phase der entwicklung des Biosphärenreservates begonnen. Sie ist gekennzeichnet durch eine weitgehende eigenständig-keit der regionalen Akteure gegenüber dem Land, welches lediglich über die rechtsaufsicht oder als Mitglied des Zweckverbands Einfluss nehmen kann. Infolge des breiten und personalintensiven Beteiligungsprozesses ist es gelun-gen, Vorbehalte gegen das projekt weitgehend abzubauen. Allein Vertreterinnen und Vertreter des Ministeriums für Umwelt – vom Sachbearbeiter bis zum Minister – bestrit-ten in der region rund 250 Beteiligungsveranstaltungen. dennoch muss festgestellt werden, dass die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sich zu beteiligen, begrenzt war. das Angebot zur Beteiligung nahmen jenseits von Vereinen, Verbänden, parteien und räten zumeist nur jene Bürgerinnen und Bürgern wahr, die ihre eigentumsinter-essen eingeschränkt sahen. eine Ausnahme bildeten die zahlenmäßig begrenzten und regional ungleich verteilten Agenda 21-Arbeitsgruppen, die den prozess offensiv und konstruktiv begleiteten. eine konzeptionell intendierte Beteiligung „Mindermächtiger“ erfolgte hingegen nur in Ausnahmefällen.

gegenwärtig werden weitere entwicklungspotenziale des als Zweckverband organisierten Biosphärenreservates deutlich: „Offiziell und verbal unterstützen die Kommu-nen und der Landkreis in ihrem Zweckverband das projekt Biosphäre, zeigen sich in den Versammlungen, kommen zu presseterminen, richten das alljährliche Biosphärenfest aus. Aber so richtig mit dem Zukunftsprojekt etwas anfangen kann kaum einer der Kommunal-Akteure“ (Lattwein 2009, S. 26). der bürgernah konzipierte Zweckverband muss nun

rasch unter Beweis stellen, dass es ihm gelingen kann, par-teipolitische und lokale egoismen zu überwinden, die seine gründungsphase vielfach überschatteten: innerhalb von drei Jahren muss dem MAB-nationalkomitee ein rahmenkon-zept vorgelegt werden, das die hohen Ansprüche einer „ent-wicklung durch Vielfalt“ ernst nimmt und Anreize schafft, die heterogenität der Akteure in netzwerken zu erhöhen (Jansen u. wald 2007).

ein erster Schritt zur nachhaltigen Modellregion ist mit der Anerkennung des Bliesgaus als UneSCo-Biosphären-reservat mit breitem partizipativem Ansatz gemacht, aller-dings mit eingeschränktem erfolg. der begonnene prozess muss nun verstetigt, anspruchsvolle Konzepte müssen umge-setzt und die herausforderungen der globalisierung müssen angenommen werden. das ist jedoch keine Frage von Struk-turen – diese sind geschaffen –, vielmehr ist dies eine Frage von der Bereitschaft, das thema nachhaltigkeit jenseits von Streuobstwiesen (vgl. Abb. 5) ernst zu nehmen.

Literatur

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Abb. 5 Biosphärenreservate sollen eine nachhaltigkeit schaffen, die über die erhaltung von Streuobstwiesen weit hinaus geht (Foto © rai-ner Sturm/pixelio)

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33das UneSCo-Biosphärenreservat Bliesgau

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Dr. phil. habil. Dr. rer. soc. Olaf Kühne, Jg. 1973. Außerplanmä-ßiger professor für geographie an der Universität des Saarlandes, direktor des institutes für Landeskunde im Saarland e. V., Leiter des referates C/2 – Landesplanung im Ministerium für Umwelt des Saar-landes, 2004–2008 Leiter der Arbeitsgruppe „Biosphäre Bliesgau“ im saarländischen Umweltministerium.