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© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 109 (2014), Heft 10 653 Das Urteil Dr.-Ing. LARS MEYER, Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., Berlin Lars Meyer EDITORIAL Weitreichende Folgen werden vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache C-100/13 erwartet. Hinter diesem Aktenzeichen verbirgt sich die Klage der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Bauproduktenrichtlinie (89/106/EWG). Der Vorwurf lautet, dass „die deutschen Behörden die Bauregellisten dazu verwenden, zusätzliche Zulassungen für den wirksamen Marktzugang und die Verwendung von Bauprodukten zu verlangen, statt die erforderlichen Bewertungsmethoden und -krite- rien im Rahmen der harmonisierten europäischen Normen aufzunehmen“. – Stimmt das? In der Tat verlangen die 16 Bundesländer in den jeweiligen Landesbauordnungen einen Nachweis der Verwendbarkeit eines Bauprodukts. Es geht dabei um die vor- beugende Gefahrenabwehr (Schutz von Sicherheit und Ordnung, Leib und Leben sowie Gesundheit und Umwelt), siehe § 3 (1) Musterbauordnung. Einschränkungen des Marktzugangs sind damit aber nicht formuliert. – Wo also liegt das Problem? Bisher gingen die am Bau Beteiligten in Deutschland davon aus, dass ein Bauprodukt ‚in Ordnung‘ ist, wenn es ein Ü-Zeichen trägt. Denn es bedeutet, dass das Bauprodukt eine technische Regel erfüllt („Übereinstimmung“), die im direkten Zusammenhang mit einer dazu passenden (!) Verwendungsregel bauaufsichtlich eingeführt ist. Durch diesen Zusammenhang zwischen Bauprodukt und Verwendungsregel – hergestellt durch den Rechtsakt der bauaufsichtlichen Einführung – gilt das Bauprodukt im bau- ordnungsrechtlichen Sinne als „verwendbar“. Damit ist das Ü-Zeichen nicht nur Übereinstimmungszeichen sondern de facto auch ein Verwendbarkeitszeichen. Und insbesondere auf diese letztgenannte Wirkung verlassen sich derzeit alle am Bau Beteiligten. Durch die Klage der Kommission droht nun dieser verlässliche Zusammenhang weg- zubrechen. Denn sollte der EuGH das Ü-Zeichen neben dem CE-Zeichen verbieten und zukünftig nur noch das CE-Zeichen Bestand haben, muss eine andere Beurtei- lungsmöglichkeit her, um die bauordnungsrechtliche Verwendbarkeit eines Produk- tes zu erkennen. Anderenfalls wäre projektspezifisch jedes einzelne nach europäi- schen (!) Normen angegebene Leistungskriterium jedes Produktes nicht nur mit den vertragsrechtlichen sondern auch mit den in Deutschland (!) geltenden bauordnungs- rechtlichen Anforderungen detailliert abzugleichen. Gegenüber dem gegenwärtig praktizierten einfachen Blick auf das Ü-Zeichen ein volkswirtschaftlicher Unfug! Wie auch immer das Urteil also ausfällt: Es wird für die Organisation der Wertschöp- fungskette weitreichende Folgen haben. Und es ist absehbar, dass es nicht einfacher sondern wesentlich komplizierter und damit aufwendiger werden wird. Und zwar für alle Beteiligten – auch für diejenigen, die die Kommission mit ihren Beschwerden dazu gebracht haben, die Klage gegen die Bundesrepublik einzureichen, um eine wie auch immer geartete Rechtssicherheit zu erlangen. Man erinnert sich an Kaiser Ferdi- nand I. (HRR – 1503 bis 1564) und dessen Wahlspruch: „Fiat iusticia et pereat mun- dus!“ (Es möge Recht ergehen – auch, wenn die Welt daran zugrunde geht.). – Zwar wird die Welt nicht untergehen, aber das Ziel, Europa attraktiver und wettbewerbs- fähiger zu machen, wird in jedem Fall verfehlt – und leider nicht nur knapp.

Das Urteil

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Page 1: Das Urteil

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 109 (2014), Heft 10 653

Das Urteil

Dr.-Ing. LARS MEYER,Deutscher Beton- undBautechnik-Verein E.V.,Berlin

Lars Meyer EDITORIAL

Weitreichende Folgen werden vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) inder Rechts sache C-100/13 erwartet. Hinter diesem Aktenzeichen verbirgt sich dieKlage der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegeneines angeblichen Verstoßes gegen die Bauproduktenrichtlinie (89/106/EWG). DerVorwurf lautet, dass „die deutschen Behörden die Bauregellisten dazu verwenden,zusätzliche Zulassungen für den wirksamen Marktzugang und die Verwendung vonBauprodukten zu verlangen, statt die erforderlichen Bewertungsmethoden und -krite-rien im Rahmen der harmonisierten europäischen Normen aufzunehmen“. – Stimmtdas?

In der Tat verlangen die 16 Bundesländer in den jeweiligen Landesbauordnungeneinen Nachweis der Verwendbarkeit eines Bauprodukts. Es geht dabei um die vor-beugende Gefahrenabwehr (Schutz von Sicherheit und Ordnung, Leib und Lebensowie Gesundheit und Umwelt), siehe § 3 (1) Musterbauordnung. Einschränkungendes Marktzugangs sind damit aber nicht formuliert. – Wo also liegt das Problem?

Bisher gingen die am Bau Beteiligten in Deutschland davon aus, dass ein Bauprodukt‚in Ordnung‘ ist, wenn es ein Ü-Zeichen trägt. Denn es bedeutet, dass das Bauprodukteine technische Regel erfüllt („Übereinstimmung“), die im direkten Zusammenhangmit einer dazu passenden (!) Verwendungsregel bauaufsichtlich eingeführt ist. Durchdiesen Zusammenhang zwischen Bauprodukt und Verwendungsregel – hergestelltdurch den Rechtsakt der bauaufsichtlichen Einführung – gilt das Bauprodukt im bau-ordnungsrechtlichen Sinne als „verwendbar“. Damit ist das Ü-Zeichen nicht nurÜbereinstimmungszeichen sondern de facto auch ein Verwendbarkeitszeichen. Undinsbesondere auf diese letztgenannte Wirkung verlassen sich derzeit alle am Bau Beteiligten.

Durch die Klage der Kommission droht nun dieser verlässliche Zusammenhang weg-zubrechen. Denn sollte der EuGH das Ü-Zeichen neben dem CE-Zeichen verbietenund zukünftig nur noch das CE-Zeichen Bestand haben, muss eine andere Beurtei-lungsmöglichkeit her, um die bauordnungsrechtliche Verwendbarkeit eines Produk-tes zu erkennen. Anderenfalls wäre projektspezifisch jedes einzelne nach europäi-schen (!) Normen angegebene Leistungskriterium jedes Produktes nicht nur mit denvertragsrechtlichen sondern auch mit den in Deutschland (!) geltenden bauordnungs-rechtlichen Anforderungen detailliert abzugleichen. Gegenüber dem gegenwärtigpraktizierten einfachen Blick auf das Ü-Zeichen ein volkswirtschaftlicher Unfug!

Wie auch immer das Urteil also ausfällt: Es wird für die Organisation der Wertschöp-fungskette weitreichende Folgen haben. Und es ist absehbar, dass es nicht einfachersondern wesentlich komplizierter und damit aufwendiger werden wird. Und zwar füralle Beteiligten – auch für diejenigen, die die Kommission mit ihren Beschwerdendazu gebracht haben, die Klage gegen die Bundesrepublik einzureichen, um eine wieauch immer geartete Rechtssicherheit zu erlangen. Man erinnert sich an Kaiser Ferdi-nand I. (HRR – 1503 bis 1564) und dessen Wahlspruch: „Fiat iusticia et pereat mun-dus!“ (Es möge Recht ergehen – auch, wenn die Welt daran zugrunde geht.). – Zwarwird die Welt nicht untergehen, aber das Ziel, Europa attraktiver und wettbewerbs -fähiger zu machen, wird in jedem Fall verfehlt – und leider nicht nur knapp.