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Das Versäumnisverfahren gem. §§ 330ff. ZPO, insbesondere das zweite Versäumnisurteil * Professorin Dr. Astrid Stadler und Richterin Dr. Claudia Jarsumbek, Konstanz Die Säumnis von Kläger oder Beklagten im Zivilprozess wirft eine Reihe prozessualer Fragen auf. In der ersten Folge (JuS 2006, 34) wurden die Grundzüge des Säumnisverfahrens erörtert. Der abschließende Beitrag behandelt nunmehr das häufig Verwirrung stiftende „zweite Versäumnisurteil“. IV. Das zweite Versäumnisurteil nach § 345 ZPO 1. Grundgedanke der gesetzlichen Regelung und Begriff Ist die einspruchsführende Partei im Termin zur Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache erneut säumig, d.h. zum zweiten Mal in ununterbrochener Folge, ergeht gegen sie ein „zweites Versäumnisurteil“ im technischen Sinn, § 345 ZPO. Diese Vorschrift soll die durch die wiederholte Säumnis denkbare Prozessverschleppung verhindern 1 . Das zweite Versäumnisurteil kann nicht mehr mit dem Einspruch angegriffen werden; es ist nur eingeschränkt durch Rechtsmittel (§§ 514 II, 565 ZPO) anfechtbar 2 . In Hinblick darauf sind die Voraussetzungen vor Erlass eines zweiten Versäumnisurteils streng zu prüfen. Das Gesetz verwendet den Begriff des „zweiten Versäumnisurteils“ selbst nicht. Er hat sich jedoch zur Abgrenzung von einem „wiederholten Versäumnisurteil“ 3 eingebürgert, welches gegen eine bereits einmal säumige Partei ergeht, wenn sie zwischenzeitlich einmal verhandelt hat, dann aber erneut säumig ist 4 . 2. Voraussetzungen für ein zweites Versäumnisurteil a) Zulässiger Einspruch Es muss ein zulässiger Einspruch gegen ein erstes Versäumnisurteil vorliegen, andernfalls kommt eine Verwerfung des Einspruchs nach § 341 ZPO in Betracht 5 . Ist das erste Versäumnisurteil, z.B. wegen fehlender Zustellung, nicht existent geworden, kann ebenso wenig ein zweites, sondern allenfalls ein erstes Versäumnisurteil erlassen werden 6 . b) Säumnis im Einspruchstermin Der Einspruchsführer muss im Einspruchstermin säumig sein. Das ist der nach § 341a ZPO bestimmte oder - wenn es dort nicht zur Verhandlung über die Hauptsache gekommen ist - derjenige Termin, auf den vertagt wurde (§§ 227, 335, 337 ZPO) - der unmittelbar auf die erste Säumnis folgende Termin 7 . Entscheidend ist, dass der Einspruchsführer zwischen den beiden Säumnisterminen nicht zur Hauptsache verhandelt hat 8 . In diesem Fall wäre ein zweites Versäumnisurteil unzulässig; es müsste wiederum ein erstes Versäumnisurteil ergehen (oben IV 1) 9 . Der Begriff der Säumnis wird wie beim ersten Versäumnisurteil definiert 10 . Der Einspruchsführer ist nicht nur bei Nichterscheinen, sondern auch bei Nichtverhandeln säumig, § 333 ZPO. Das Verhandeln über den Einspruch oder das Stellen reiner Prozessanträge ist unzureichend, genügend aber etwa ein Verhandeln zur Zulässigkeit der Klage selbst 11 . c) Prozessantrag und keine Hinderungsgründe gemäß §§ 335, 337 ZPO Das zweite Versäumnisurteil wird ebenfalls nur auf Antrag der anwesenden Partei erlassen 12 . Hinderungsgründe nach §§ 335, 337 ZPO dürfen nicht entgegenstehen 13 . d) Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils Ein Hauptstreitpunkt liegt in der Frage, ob der Erlass eines zweiten Versäumnisurteils voraussetzt, dass das erste Versäumnisurteil gesetzmäßig ergangen war 14 . Dann müssten die Voraussetzungen für den Erlass des ersten Versäumnisurteils bei Säumnis des Einspruchsführers im Einspruchstermin nochmals geprüft werden, d.h. bei einem Stadler, Jarsumbek: Das Versäumnisverfahren gem. §§ 330ff. ZPO, insbesondere das zweite Versäumnisurteil JuS 2006 Heft 2 134

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Das Versäumnisverfahren gem. §§ 330ff. ZPO, insbesondere das zweite Versäumnisurteil *

Professorin Dr. Astrid Stadler und Richterin Dr. Claudia Jarsumbek, Konstanz

Die Säumnis von Kläger oder Beklagten im Zivilprozess wirft eine Reihe prozessualer Fragen auf. In der ersten Folge (JuS 2006, 34) wurden die Grundzüge des Säumnisverfahrens erörtert. Der abschließende Beitrag behandelt nunmehr das häufig Verwirrung stiftende „zweite Versäumnisurteil“.

IV. Das zweite Versäumnisurteil nach § 345 ZPO

1. Grundgedanke der gesetzlichen Regelung und Begriff

Ist die einspruchsführende Partei im Termin zur Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache erneut säumig, d.h. zum zweiten Mal in ununterbrochener Folge, ergeht gegen sie ein „zweites Versäumnisurteil“ im technischen Sinn, § 345 ZPO. Diese Vorschrift soll die durch die wiederholte Säumnis denkbareProzessverschleppung verhindern 1. Das zweite Versäumnisurteil kann nicht mehr mit dem Einspruch angegriffen werden; es ist nur eingeschränkt durch Rechtsmittel (§§ 514 II, 565 ZPO) anfechtbar 2. In Hinblick darauf sind die Voraussetzungen vor Erlass eines zweiten Versäumnisurteils streng zu prüfen. Das Gesetz verwendet den Begriff des „zweiten Versäumnisurteils“ selbst nicht. Er hat sich jedoch zur Abgrenzung von einem „wiederholten Versäumnisurteil“ 3 eingebürgert, welches gegen eine bereits einmal säumige Partei ergeht, wenn sie zwischenzeitlich einmal verhandelt hat, dann aber erneut säumig ist 4.

2. Voraussetzungen für ein zweites Versäumnisurteil

a) Zulässiger Einspruch

Es muss ein zulässiger Einspruch gegen ein erstes Versäumnisurteil vorliegen, andernfalls kommt eine Verwerfung des Einspruchs nach § 341 ZPO in Betracht 5. Ist das erste Versäumnisurteil, z.B. wegen fehlender Zustellung, nicht existent geworden, kann ebenso wenig ein zweites, sondern allenfalls ein erstes Versäumnisurteil erlassen werden 6.

b) Säumnis im Einspruchstermin

Der Einspruchsführer muss im Einspruchstermin säumig sein. Das ist der nach § 341a ZPO bestimmte oder - wenn es dort nicht zur Verhandlung über die Hauptsache gekommen ist - derjenige Termin, auf den vertagt wurde (§§ 227, 335, 337 ZPO) - der unmittelbar auf die erste Säumnis folgende Termin 7. Entscheidend ist, dass der Einspruchsführer zwischen den beiden Säumnisterminen nicht zur Hauptsache verhandelt hat 8. In diesem Fall wäre ein zweites Versäumnisurteil unzulässig; es müsste wiederum ein erstes Versäumnisurteil ergehen (oben IV 1) 9.

Der Begriff der Säumnis wird wie beim ersten Versäumnisurteil definiert 10. Der Einspruchsführer ist nicht nur beiNichterscheinen, sondern auch bei Nichtverhandeln säumig, § 333 ZPO. Das Verhandeln über den Einspruch oder das Stellen reiner Prozessanträge ist unzureichend, genügend aber etwa ein Verhandeln zur Zulässigkeit der Klageselbst 11.

c) Prozessantrag und keine Hinderungsgründe gemäß §§ 335, 337 ZPO

Das zweite Versäumnisurteil wird ebenfalls nur auf Antrag der anwesenden Partei erlassen 12. Hinderungsgründe nach §§ 335, 337 ZPO dürfen nicht entgegenstehen 13.

d) Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils

Ein Hauptstreitpunkt liegt in der Frage, ob der Erlass eines zweiten Versäumnisurteils voraussetzt, dass das erste Versäumnisurteil gesetzmäßig ergangen war 14. Dann müssten die Voraussetzungen für den Erlass des ersten Versäumnisurteils bei Säumnis des Einspruchsführers im Einspruchstermin nochmals geprüft werden, d.h. bei einem

Stadler, Jarsumbek: Das Versäumnisverfahren gem. §§ 330ff. ZPO, insbesondere das zweite Versäumnisurteil

JuS 2006 Heft 2 134

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Versäumnisurteil gegen den Kläger die allgemeinen Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteilseinschließlich der Frage der Zulässigkeit der Klage sowie bei einem Versäumnisurteil gegen den Beklagten darüber hinaus erneut die Schlüssigkeit der Klage.

Nach teilweise - etwa vom BAG - vertretener Ansicht soll die wiederholte Prüfung im Interesse einer materiell gerechten Entscheidung erfolgen 15. Die Einhaltung rein formaler Verfahrensvorschriften dürfe nicht dazu führen, dass erkennbar unrichtige Entscheidungen erlassen werden 16. Der Richter dürfe nicht daran gehindert werden, einfalsches Versäumnisurteil zu korrigieren. Ein technisch zweites Versäumnisurteil darf danach nur ergehen, wenn sämtliche Voraussetzungen für den Erlass des ersten Versäumnisurteils vorlagen, insbesondere auch die Zulässigkeit der Klage und bei dem Versäumnisurteil gegen den Beklagten die Schlüssigkeit der Klage nochmals geprüft und bejaht wurden. Meist wird dabei auf

§ 700 VI ZPO verwiesen und eine vom Mahnverfahren abweichende Handhabung im gewöhnlichenSäumnisverfahren als nicht sachgerecht abgelehnt.

Nach anderer Ansicht soll zwar nicht die Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils geprüft werden, wohl aber, ob die Klage im Zeitpunkt des Einspruchs zulässig und schlüssig ist. Zur Begründung wird darauf verwiesen, die Säumnisentscheidung gegen den Beklagten sei nur erlaubt, wo dieser seiner Einlassungsobliegenheit nichtnachkomme. Eine solche bestehe bei jeder mündlichen Verhandlung - also auch im Einspruchstermin - jedoch nur, wenn die Klage zulässig und schlüssig sei 17. Dies wäre damit im Einspruchstermin erneut zu prüfen.

Demgegenüber wird vom BGH 18 und der wohl herrschenden Meinung eine (erneute) Prüfungspflicht der Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils sowie eine weitere Zulässigkeits- oder Schlüssigkeitsprüfung abgelehnt 19. Dem ist zuzustimmen. Während § 700 VI ZPO - für die Säumnis des Beklagten bei vorausgegangenem Vollstreckungsbescheid - eine Schlüssigkeitsprüfung ausdrücklich vorsieht, fehlt eine vergleichbare Regelung bei erneuter Säumnis nach erlassenem erstem Versäumnisurteil. Der Grund liegt darin, dass die Zulässigkeits- und Schlüssigkeitsprüfung bei Erlass des ersten Versäumnisurteils gegen den Beklagten bereits stattgefunden hat unddeshalb nicht wiederholt werden braucht, während sich das Gericht mit dem Inhalt des Vollstreckungsbescheides noch nicht befasst hat. Aus dem Umkehrschluss des § 700 VI ZPO folgt somit, dass eine nochmalige Schlüssigkeitsprüfung vor Erlass des zweiten Versäumnisurteils gem. § 345 ZPO nicht in Betracht kommt. Schließlich wird § 342 ZPO von § 345 ZPO verdrängt: Der säumige Einspruchsführer verzichtet auf die Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache 20. Mit der erneuten Säumnis begibt er sich selbst derMöglichkeit, dass der Prozess in die Lage vor Eintritt der Säumnis zurückversetzt wird 21. Eine Partei ist nach einem gegen sie ergangenen ersten Versäumnisurteil - auch wenn es fehlerhaft ist - angehalten, im Interesse der Verfahrensbeschleunigung den weiteren Prozess besonders sorgfältig zu führen 22. Sinn und Zweck der Vorschrift § 345 ZPO ist gerade die Verhinderung von Prozessverschleppung durch die Säumnis, so dass die Verwerfung des Einspruchs und somit das endgültige Unterliegen im Prozess ohne nochmalige Prüfung der Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils die gewollte Sanktion darstellt 23. Nach hier vertretener Ansicht ist somit dieGesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils vor Erlass des technisch zweiten Versäumnisurteils nicht zu prüfen.

Die unterschiedliche Handhabung des Prüfungsumfangs durch das BAG und den BGH führt - soweit dieInstanzgerichte jeweils folgen - zu einer wenig erfreulichen Divergenz zwischen Zivilprozess und Arbeitsgerichtsverfahren 24. Genau genommen hätte es daher einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat nach § 2RsprEinhG 25 bedurft. Insoweit bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.

3. Entscheidung

Durch das zweite Versäumnisurteil wird der Einspruch gegen das erste Versäumnisurteil verworfen, § 345 ZPO. Das Urteil befasst sich weder mit der Zulässigkeit der Klage noch mit einer Sachentscheidung, so dass es weder Prozess- noch Sachurteil ist, sondern ein Urteil sui generis 26. § 313b I und II ZPO finden Anwendung.

Stadler, Jarsumbek: Das Versäumnisverfahren gem. §§ 330ff. ZPO, insbesondere das zweite Versäumnisurteil

JuS 2006 Heft 2 135

Beispiel 7: In Abwandlung zum Beispielsfall 6 erscheint B im Einspruchstermin trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt wieder nicht.

Es ergeht dann auf Antrag des K ein technisch zweites Versäumnisurteil mit folgendem Tenor:

1.Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil des AG Konstanz vom 17. 3. 2005 wird verworfen. (Beachte: Mangels Sachprüfung wird das erste Versäumnisurteil nicht ausdrücklich aufrechterhalten.) 27

2.Der Beklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits. (§ 97 ZPO analog)

3.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. (§ 708 Nr. 2 ZPO, der auch für das zweite Versäumnisurteil nach § 345 ZPO

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gilt 28.)

Beispiel 8: Wegen Säumnis wurde gegen den B auf Antrag des K vom AG Singen am 3. 3. 2005 ein Versäumnisurteil auf Zahlung von 1000 Euro aus § 433 II BGB erlassen. Die Klage des K war zulässig, aber unschlüssig, da zum Vertragsschluss nicht vorgetragen wurde. B hat form- und fristgerecht Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt. Im Einspruchstermin ist B erneut trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erschienen. Nunmehr hat der Richter Zweifel an der Schlüssigkeit der Klage. K stellt Antrag auf Erlass eines zweiten Versäumnisurteils. Wie ist zu entscheiden?

Nach hier vertretener Ansicht 29 ist der Einspruch gegen das Versäumnisurteil auch dann zu verwerfen, wenn das erste Versäumnisurteil nicht hätte ergehen dürfen, da - wie hier - beispielsweise die Klage unschlüssig war.

Nach anderer Ansicht, wonach vor Erlass des technisch zweiten Versäumnisurteils (erneut) die Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils zu prüfen ist, kommt im vorliegenden Fall ein zweites Versäumnisurteil nicht in Betracht. In Hinblick darauf, dass das erste Versäumnisurteil mangels Schlüssigkeit der Klage zu Unrecht ergangen ist, muss nun das (falsche) Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage durch „unechtes Versäumnisurteil“ abgewiesen werden. Trägt der Kläger auf Hinweis des Gerichts Tatsachen vor, nach denen die Klage schlüssig wird, wird das Gericht auf Antrag - bei hinreichender Einlassungsfrist für den Beklagten nach § 335 I Nr. 3 ZPO - das fehlerhafte erste Versäumnisurteil aufheben und bei nochmaliger Säumnis ein technisch erstes Versäumnisurteil erlassen. § 344ZPO findet keine Anwendung.

4. Klageerweiterung oder -änderung nach Erlass des ersten Versäumnisurteils

Selbstverständlich müssen die Streitgegenstände des ersten und zweiten Versäumnisurteils übereinstimmen 30. Ein zweites Versäumnisurteil kann nur für den durch das erste Versäumnisurteil zugesprochenen Teil der Klage erlassen werden 31. Bei einer Klageerweiterung bzw. Klageänderung nach Erlass des ersten Versäumnisurteils und anschließender erneuter Säumnis wird für den darüber hinausgehenden Teil ein technisch erstes Versäumnisurteilerlassen.

5. Rechtsmittel gegen das zweite Versäumnisurteil

Die Besonderheit und - wenn man so will - besondere Härte des technisch zweiten Versäumnisurteils liegt darin, dass es nur eingeschränkt mit dem Rechtsmittel der Berufung oder Revision angegriffen werden kann (§§ 514 II,565 ZPO). Die Zulässigkeit der Berufung ist demgegenüber nicht vom Wert des Beschwerdegegenstandes oder der Zulassung abhängig, § 514 II IV 2 ZPO i.V. mit § 511 II ZPO. Die Berufung kann jedoch nur darauf gestützt werden, dass bei Erlass des zweiten Versäumnisurteils kein Fall der schuldhaften Versäumung vorgelegen habe 32.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung kann also nicht geltend gemacht werden, dass das erste Versäumnisurteilprozessual mangelhaft ergangen sei 33, vor Erlass des ersten Versäumnisurteils kein Fall schuldhafter Säumnis vorlag, der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils seitens der anwesenden Partei gefehlt habe oder dass das Versäumnisurteil nicht hätte ergehen dürfen, da die Klage unzulässig oder unschlüssig war. § 514 II ZPO stellt ausschließlich auf die Säumnis im Einspruchstermin ab. In Hinblick darauf, dass (nach hier vertretener Ansicht) eine Prüfung der Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils vor Erlass des zweiten Versäumnisurteils ohnehin nicht in Betracht kommt, kann dies auch nicht Gegenstand der Berufung sein. Dies würde dem Berufungsgericht entgegen dem Gleichlaufprinzip eine größere Prüfungskompetenz einräumen als dem Einspruchsrichter und außerdem dem Zweck der Norm widersprechen, die einer Prozessverzögerung durch mehrfache Säumnis entgegenwirken möchte 34. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem zweiten Versäumnisurteil ein Vollstreckungsbescheid vorausgegangen ist, da § 700 VI ZPO die Prüfung auch auf die Zulässigkeit und Schlüssigkeit der Klage nachvorangegangenem Vollstreckungsbescheid erstreckt 35.

Im Hinblick darauf, dass die Prüfungspflichten des Richters, der über den Einspruch entscheidet, und die desBerufungsrichters identisch sein müssen (Gleichlaufprinzip), kann nach Ansicht derer, die schon für eine Prüfung der Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils bzw. eine Zulässigkeits- und Schlüssigkeitsprüfung bezogen aufden Einspruch eintreten, mit der Berufung auch gerügt werden, dass vor dem zweiten Versäumnisurteil ergangene erste Versäumnisurteil sei nicht gesetzmäßig, da etwa kein Fall der verschuldeten Säumnis vorlag oder die Klage unzulässig oder unbegründet war 36.

* Schluss aus JuS 2006, 34. - Frau Professor Dr. Stadler ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Konstanz. Frau Dr. Jarsumbek ist Richterin am AG Donaueschingen und Leiterin einer zivilrechtlichenArbeitsgemeinschaft.

Stadler, Jarsumbek: Das Versäumnisverfahren gem. §§ 330ff. ZPO, insbesondere das zweite Versäumnisurteil

JuS 2006 Heft 2 136

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1 Musielak, Grundkurs ZPO, 7. Aufl. (2004), Rdnr. 173; Musielak/Stadler, ZPO, 4. Aufl. (2005), § 345 Rdnr. 1; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl. (2005), § 345 Rdnr. 1. 2 S. dazu im Folgenden unter IV 5. 3 Dieses ist ein weiteres technisch erstes Versäumnisurteil. 4 Vgl. hierzu Boemke, ZZP 106 (1993), 371 (373f.). 5 S. o. III 1 (JuS 2006, 38), BGH, NJW 1995, 1561; Heinrich, Säumnis im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozeß, 2001, Rdnr. 161. 6 Prütting, in: MünchKomm-ZPO, 2. Aufl. (2002), § 345 Rdnr. 7. 7 Zum Erfordernis ordnungsgemäßer Ladung OLG Köln, NJOZ 2002, 2248 (2250f.). 8 Zöller/Herget (o. Fußn. 1), § 345 Rdnr. 2; Musielak/Stadler (o. Fußn. 1), § 345 Rdnr. 2 9 Möglich ist in diesem Fall auch ein Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten gem. § 331a ZPO. 10 Zum Begriff s.o. II 1b (JuS 2006, 35). 11 Prütting, in: MünchKomm-ZPO (o. Fußn. 6), § 345 Rdnr. 7; Zöller/Herget (o. Fußn. 1), § 345 Rdnr. 2; BGH, NJW-RR 1986, 1252 (1253);vgl. auch OLG Jena, NJOZ 2002, 1747 (1748f.). 12 S. o. II 1c (JuS 2006, 35). 13 S. o. II 1e und f (JuS 2006, 36); LAG Hamm, NZA-RR 2004, 156 (157). 14 Überblick zum Streitstand bei Heinrich (o. Fußn. 5), Rdnrn. 166ff. 15 BAG, NJA 1994, 1102; LAG Frankfurt/M., NZA 1993, 816; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. (2004), § 107 VI; Baur/Grunsky, ZPR, 11. Aufl. (2003), Rdnr. 162; Lüke, ZPR, 8. Aufl. (2003), Rdnr. 376; Zöller/Herget (o. Fußn. 1), § 345 Rdnr. 4; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl (2004), § 345 Rdnr. 7; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 26. Aufl. 2004), § 345 Rdnr. 4. 16 Zöller/Herget (o. Fußn. 1), § 345, Rdnr. 4; Thomas/Putzo/Reichold (o. Fußn. 15), § 345 Rdnr. 4. 17 Braun, ZZP 93 (1980), 443 (459ff.); ders., JZ 1995, 525, und JZ 1999, 1157; Hornick, Der Fall der Versäumnung (§ 513 II 1 ZPO), 1995, S. 88ff. 18 BGH, NJW 1999, 2599; NJW 1986, 2113; KG, MDR 2000, 293. 19 Jauernig, ZPR, 28. Aufl. (2003), § 67 II 3; Greger, ZZP 112 (1999), 495; Boemke, ZZP 106 (1993), 371 (381); Heinrich (o. Fußn. 5), Rdnrn. 172ff (der aber de lege ferenda dafür eintritt, dass das Gericht die Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils prüfen darf, aber nicht muss); Musielak (o. Fußn. 1), Rdnr. 176; Prütting, in: MünchKomm-ZPO (o. Fußn. 6), § 345 Rdnr. 9; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl. (2005), § 345 Rdnr. 6; Musielak/Stadler (o. Fußn. 1), § 345 Rdnr. 4; Zimmermann, ZPO, 6. Aufl. (2002), § 345 Rdnr. 3. 20 Musielak/Stadler (o. Fußn. 1), § 345 Rdnr. 4. 21 Jauernig (o. Fußn. 19), § 67 II 3. 22 BGHZ 97, 341 (344ff.) = NJW 1986, 2113. 23 Musielak/Stadler (o. Fußn. 1), § 345 Rdnr. 4. 24 So auch Heinrich (o. Fußn. 5), Rdnr. 171. 25 Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl I, 66). 26 Musielak/Stadler (o. Fußn. 1), § 345 Rdnr. 6; Heinrich (o. Fußn. 5), Rdnr. 175; für eine Einordnung als Sachurteil treten konsequent diejenigen ein, welche die Prüfung der Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils bzw. der Schlüssigkeit der Klage im Zeitpunkt desEinspruchs befürworten. 27 Das erste Versäumnisurteil bleibt bestehen, vgl. Heinrich (o. Fußn. 5), Rdnr. 177. 28 Musielak/Lackmann (o. Fußn. 1), § 708 Rdnr. 5; Zöller/Herget (o. Fußn. 1), § 708 Rdnr. 4. 29 Vgl. IV 2d. 30 Musielak/Stadler (o. Fußn. 1), § 345 Rdnr. 5. 31 BGHZ 112, 367 (370) = NJW 1991, 43; OLG Köln, NJW-RR 1988, 701; Thomas/Putzo/Reichold (o. Fußn. 15), § 345 Rdnr. 5. 32 Musielak/Ball (o. Fußn. 1), § 514 Rdnr. 8. 33 BGHZ 97, 341 = NJW 1986, 2133; 141, 351 (352ff.) = NJW 1999, 2599 Stein/Jonas/Grunsky (o. Fußn. 15), § 513 Rdnr. 14; Musielak/Ball(o. Fußn. 1), § 514 Rdnrn. 8f. 34 Heinrich (o. Fußn. 5), Rdnrn. 196f. 35 Musielak/Ball (o. Fußn. 1), § 514 Rdnr. 10 m.w. Nachw.; Thomas/Putzo/Reichold (o. Fußn. 15), § 514 Rdnr. 4; OLG Hamm, NJOZ 2002, 1842 (1843). 36 Zöller/Gummer/Heßler (o. Fußn. 1), § 514 Rdnr. 8a, b; anders jedoch das BAG, das im Fall der Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil Zulässigkeit und Begründetheit der Klage nicht prüfen will, s. BAG, NZA 1994, 1102.