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ihr Gesetzesverständnis in folgender Weise präzisiert und sich dabei von den berechtigten Interessen des Inanspruch- nehmers genetischer Untersuchungen leiten lassen. Es wurde festgelegt, dass der Patient der ärztlichen Per- son, die die genetische Untersuchung durchführt, die Ein- willigung erteilen kann, dass ihm das Untersuchungser- gebnis auch durch weitere in gleicher Weise kompetente ärztliche Personen mitgeteilt werden kann, wenn andern- falls eine Verzögerung bei der Ergebnismitteilung eintreten würde, die für den Patienten unzumutbar oder die für ihn mit gesundheitlichen Nachteilen verbunden wäre. Eine daran angelehnte Empfehlung wurde auch für die Ergebnismitteilung durch die beauftragte Person oder Ein- richtung an die auftraggebende ärztliche Person gegeben. Hiernach kann der Patient die Einwilligung erteilen, dass das Labor das Untersuchungsergebnis auch den vertreten- den Ärzten mitteilen darf, wenn andernfalls eine Verzöge- rung bei der Bekanntgabe des Ergebnisses eintreten würde, die für den Patienten unzumutbar oder mit gesundheitli- chen Nachteilen verbunden wäre. Liegt eine Äußerung des Patienten zur Ergebnismittei- lung nicht vor, bleibt es grundsätzlich bei dem gesetzlichen Regelfall. 3. Probleme im Hinblick auf die Aufbewahrung und Vernichtung von genetischen Proben und Ergebnissen (§§ 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 GenDG) Die ausnahmslos unverzügliche Vernichtung zum Schutz vor unbefugtem Zugriff sowie unbefugter Weitergabe und Verwendung kann u. U. in der täglichen Praxis bei familiären Fragestellungen zu Folgeproblemen führen. Daher ist zu empfehlen, dass die zu untersuchende Person einer längeren Aufbewahrungsfrist genetischer Proben im Rahmen der Einwilligung zustimmt, damit ggf. zu einem späteren Zeitpunkt weitergehende genetische Untersu- chungen stattfinden können 23 . Dasselbe gilt auch für die Aufbewahrung der Behandlungsunterlagen, die grund- sätzlich nach zehn Jahren endet. Auch hier kann es im Einzelfall sinnvoll sein, eine längere Aufbewahrungsfrist zu vereinbaren. V. Fazit Die vorliegende Übersicht macht deutlich, dass durch die bislang aufgestellten Richtlinien die Vorgaben des Gendi- agnostikgesetzes konkretisiert werden konnten, um Unsi- cherheiten auszuräumen und hierdurch zu einer sinnvollen und praxisnahen Anwendung des Gesetzes beizutragen. Wesentlich für die Erreichung des Gesetzeszwecks dürfte aber sein, dass Beratung und Aufklärung durch ausreichend qualifizierte Ärzte vorgenommen werden, um für einen verantwortungsvollen Umgang mit genetischen Proben und Daten Sorge zu tragen und das Recht des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung zu wahren 24 . Während der ersten drei Jahre seit Einführung des GenDG ist auch deutlich geworden, dass nicht verhindert werden kann, dass kommerzielle Anbieter den mit dem Gesetz bezweckten Schutz umgehen, indem Patienten über das Internet Gen-Tests angeboten werden, die insbesondere durch Niederlassungen im Ausland die gesetzlichen An- forderungen des GenDG umgehen können. Dies kann nur dadurch beeinflusst werden, dass die Patienten auch über die damit verbundenen persönlichen Gefahren umfassend informiert werden. Ob die Inanspruchnahme derartiger Angebote verhindert werden kann, ist eine andere Frage. DOI: 10.1007/s00350-013-3571-5 Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der Neuregelung Steven Kensy Mit Wirkung zum 26. 2. 2013 ist das Gesetz zur Verbesse- rung der Rechte der Patientinnen und Patienten in Kraft getreten. Im Zuge dieser Reform sind die §§ 630a–630h als neuer Untertitel zur Regelung des Behandlungsvertrages in das BGB eingefügt worden. Darunter findet sich in § 630 g BGB auch eine Bestimmung zur Einsichtnahme des Pati- enten in die ihn betreffende Patientenakte. Die Vorschrift setzt zugleich Art. 6 Abs. 5 der EU-Richtlinie über Patien- tenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversor- gung vom 9. 3. 2011 (ABl. EU 2011 L 88/45) um. Inwieweit die Neuregelung den in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Anspruch des Patienten auf Einsicht in die über seine Person angefertigten Krankenunterlagen modi- fiziert, ist Gegenstand des folgenden Beitrages. I. Einführung Dem Zugriff auf Gesundheitsdaten kommt heute immer mehr Bedeutung zu. Konzentrierte sich das Patientenin- teresse an der Einsicht in die Krankenunterlagen des be- handelnden Arztes oder Krankenhauses noch vor wenigen Jahren auf die Identifizierung von Kunstfehlern, kann sich heutzutage niemand mehr ohne genaue Kenntnis seiner Krankengeschichte zuverlässig versichern. Ob Berufsun- fähigkeits- oder private Krankenversicherung – jede Ins- titution, die ein gesundheitsbezogenes Risiko absichert, verlangt eine umfassende Dokumentation der Pathogenese. Nicht selten interessieren sich zudem Arbeitgeber – nicht nur im öffentlichen Dienst – für die gesundheitliche Ver- fassung eines Bewerbers. Das Bedürfnis, die gesundheit- lichen Beschwerden möglichst umfassend nachvollziehen Wiss. Mitarb. Steven Kensy, JurGrad gGmbH – School of Tax and Business Law, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte (Prof. Dr. Peter Oestmann), Institut für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht, Abt. II (Prof. Dr. Heinz-Dietrich Steinmeyer), Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Universitätsstraße 14–16, 48143 Münster, Deutschland Kensy, Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der Neuregelung MedR (2013) 31: 767–772 767 23) Vgl. Tätigkeitsbericht II.5.1, S. 23. 24) Weitere Literatur: Schillhorn/Heidemann, Gendiagnostikgesetz, 2011; Hübner/Pühler, „Gendiagnostik“ in: Rieger/Dahm/Katzen- meier/Steinhilper (Hrsg), HK-AKM, Nr. 2070.

Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der Neuregelung

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Page 1: Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der Neuregelung

ihr Gesetzesverständnis in folgender Weise präzisiert und sich dabei von den berechtigten Interessen des Inanspruch-nehmers genetischer Untersuchungen leiten lassen.

Es wurde festgelegt, dass der Patient der ärztlichen Per-son, die die genetische Untersuchung durchführt, die Ein-willigung erteilen kann, dass ihm das Untersuchungser-gebnis auch durch weitere in gleicher Weise kompetente ärztliche Personen mitgeteilt werden kann, wenn andern-falls eine Verzögerung bei der Ergebnismitteilung eintreten würde, die für den Patienten unzumutbar oder die für ihn mit gesundheitlichen Nachteilen verbunden wäre.

Eine daran angelehnte Empfehlung wurde auch für die Ergebnismitteilung durch die beauftragte Person oder Ein-richtung an die auftraggebende ärztliche Person gegeben. Hiernach kann der Patient die Einwilligung erteilen, dass das Labor das Untersuchungsergebnis auch den vertreten-den Ärzten mitteilen darf, wenn andernfalls eine Verzöge-rung bei der Bekanntgabe des Ergebnisses eintreten würde, die für den Patienten unzumutbar oder mit gesundheitli-chen Nachteilen verbunden wäre.

Liegt eine Äußerung des Patienten zur Ergebnismittei-lung nicht vor, bleibt es grundsätzlich bei dem gesetzlichen Regelfall.

3. Probleme im Hinblick auf die Aufbewahrung und Vernichtung von genetischen Proben und Ergebnissen (§§ 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 GenDG)

Die ausnahmslos unverzügliche Vernichtung zum Schutz vor unbefugtem Zugriff sowie unbefugter Weitergabe und Verwendung kann u. U. in der täglichen Praxis bei familiären Fragestellungen zu Folgeproblemen führen. Daher ist zu empfehlen, dass die zu untersuchende Person einer längeren Aufbewahrungsfrist genetischer Proben im Rahmen der Einwilligung zustimmt, damit ggf. zu einem späteren Zeitpunkt weitergehende genetische Untersu-

chungen stattfinden können 23. Dasselbe gilt auch für die Aufbewahrung der Behandlungsunterlagen, die grund-sätzlich nach zehn Jahren endet. Auch hier kann es im Einzelfall sinnvoll sein, eine längere Aufbewahrungsfrist zu vereinbaren.

V. Fazit

Die vorliegende Übersicht macht deutlich, dass durch die bislang aufgestellten Richtlinien die Vorgaben des Gendi-agnostikgesetzes konkretisiert werden konnten, um Unsi-cherheiten auszuräumen und hierdurch zu einer sinnvollen und praxisnahen Anwendung des Gesetzes beizutragen. Wesentlich für die Erreichung des Gesetzeszwecks dürfte aber sein, dass Beratung und Aufklärung durch ausreichend qualifizierte Ärzte vorgenommen werden, um für einen verantwortungsvollen Umgang mit genetischen Proben und Daten Sorge zu tragen und das Recht des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung zu wahren 24.

Während der ersten drei Jahre seit Einführung des GenDG ist auch deutlich geworden, dass nicht verhindert werden kann, dass kommerzielle Anbieter den mit dem Gesetz bezweckten Schutz umgehen, indem Patienten über das Internet Gen-Tests angeboten werden, die insbesondere durch Niederlassungen im Ausland die gesetzlichen An-forderungen des GenDG umgehen können. Dies kann nur dadurch beeinflusst werden, dass die Patienten auch über die damit verbundenen persönlichen Gefahren umfassend informiert werden. Ob die Inanspruchnahme derartiger Angebote verhindert werden kann, ist eine andere Frage.

DOI: 10.1007/s00350-013-3571-5

Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der NeuregelungSteven Kensy

Mit Wirkung zum 26. 2. 2013 ist das Gesetz zur Verbesse-rung der Rechte der Patientinnen und Patienten in Kraft getreten. Im Zuge dieser Reform sind die §§ 630a–630h als neuer Untertitel zur Regelung des Behandlungsvertrages in das BGB eingefügt worden. Darunter findet sich in § 630 g BGB auch eine Bestimmung zur Einsichtnahme des Pati-enten in die ihn betreffende Patientenakte. Die Vorschrift setzt zugleich Art. 6 Abs. 5 der EU-Richtlinie über Patien-tenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversor-gung vom 9. 3. 2011 (ABl. EU 2011 L 88/45) um. Inwieweit die Neuregelung den in Rechtsprechung und Schrifttum

entwickelten Anspruch des Patienten auf Einsicht in die über seine Person angefertigten Krankenunterlagen modi-fiziert, ist Gegenstand des folgenden Beitrages.

I. Einführung

Dem Zugriff auf Gesundheitsdaten kommt heute immer mehr Bedeutung zu. Konzentrierte sich das Patientenin-teresse an der Einsicht in die Krankenunterlagen des be-handelnden Arztes oder Krankenhauses noch vor wenigen Jahren auf die Identifizierung von Kunstfehlern, kann sich heutzutage niemand mehr ohne genaue Kenntnis seiner Krankengeschichte zuverlässig versichern. Ob Berufsun-fähigkeits- oder private Krankenversicherung – jede Ins-titution, die ein gesundheitsbezogenes Risiko absichert, verlangt eine umfassende Dokumentation der Pathogenese. Nicht selten interessieren sich zudem Arbeitgeber – nicht nur im öffentlichen Dienst – für die gesundheitliche Ver-fassung eines Bewerbers. Das Bedürfnis, die gesundheit-lichen Beschwerden möglichst umfassend nachvollziehen

Wiss. Mitarb. Steven Kensy, JurGrad gGmbH – School of Tax and Business Law, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte (Prof. Dr. Peter Oestmann), Institut für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht, Abt. II (Prof. Dr. Heinz-Dietrich Steinmeyer), Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Universitätsstraße 14–16, 48143 Münster, Deutschland

Kensy, Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der Neuregelung MedR (2013) 31: 767–772 767

23) Vgl. Tätigkeitsbericht II.5.1, S. 23.24) Weitere Literatur: Schillhorn/Heidemann, Gendiagnostikgesetz,

2011; Hübner/Pühler, „Gendiagnostik“ in: Rieger/Dahm/Katzen­meier/Steinhilper (Hrsg), HK-AKM, Nr. 2070.

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zu können, folgt damit seit langem nicht mehr allein dem Zweck, die bestmögliche medizinische Behandlung zu ge-währleisten. Der Gesetzgeber hat auf diese Verhältnisse re-agiert und dem Patienten ein weites Einsichtsrecht in die ihn betreffenden Unterlagen eingeräumt. Er ist damit ei-ner längst ausgesprochenen Empfehlung des 52. Deutschen Juristentages über die Kodifikation des Einsichtsrechtes nachgekommen 1 und hat dabei zugleich einige 2 umstritte-ne Fragen von Reichweite und Form der Einsichtsgewäh-rung beantwortet. Die bisherige Rechtslage hat sich durch die Einführung des § 630 g BGB jedoch nicht grundlegend geändert. Daher kann mit Ausnahme der nachfolgend dar-gestellten Modifizierungen auf die bisherige Rechtspre-chung zum zivilrechtlichen Einsichtsrecht zurückgegriffen werden.

II. Der Anspruch auf Einsicht in Krankenunterlagen vor der Reform

1. Grund und Reichweite des Einsichtsrechts

a) Grund und Reichweite des Einsichtsrechts in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Am Abend vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbes-serung der Rechte von Patientinnen und Patienten 3 hatte ein Patient gegen den ihn behandelnden Arzt nach der verfassungsgerichtlich gebilligten 4 Rechtsprechung des BGH einen „zusätzliche[n] Vertragsanspruch“ 5 auf Ein-sicht in die in seinem Interesse gefertigten Krankenun-terlagen – jedenfalls soweit diese „Aufzeichnungen über objektive physische Befunde und Berichte über Behand-lungsmaßnahmen“ betrafen 6. Diesen Anspruch sah das Gericht in dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und dessen personaler Würde (Art.  1 Abs.  1 i. V. mit Art.  2 Abs.  1 GG) begründet. In Bezug auf darüber hinausge-hende aktenkundige Erkenntnisse, etwa Aufzeichnungen über persönliche Eindrücke und Bewertungen des Arztes, Geschäftsgeheimnisse 7, Anamnese sowie später aufgege-bene Verdachtsdiagnosen 8 oder Drittdaten 9, bestand ein Prüfungsrecht des Arztes oder Krankenhauses, ob es ei-nen Grund gibt, dem um Einsicht ersuchenden Patienten die Dokumentation vorzuenthalten 10. Demnach erstreckte sich das Einsichtsrecht nicht auf Aspekte, an deren Kennt-nis seitens des Patienten kein schutzwürdiges Interesse vorhanden war (Geschäftsgeheimnisse, Betriebsinterna etc.) 11. Andererseits sah der BGH bei einer rein somati-schen Behandlung für den Arzt grundsätzlich keinen An-lass, die Anamnese zurückzuhalten 12. Im Streitfall hatten letztlich die Gerichte die Grundrechtspositionen von Arzt und Patient abzuwägen und darüber zu befinden, ob dem Patienten auch nicht objektivierbare Befunde zugänglich zu machen waren 13. Sofern die Niederschrift nicht offen-barungspflichtige Passagen enthielt, sollte dem Patienten die Einsicht in der Weise ermöglicht werden, dass die ent-sprechenden Vermerke durch eine erkennbare Abdeckung oder Schwärzung der Kenntnisnahme durch den Patien-ten entzogen wurden 14. Eine pauschale Beschränkung des Akteneinsichtsrechtes auf objektive Befunde wie Labor, EEG, EKG etc. war in jedem Fall unzulässig 15. Beson-dere Zurückhaltung zeigte die Rechtsprechung bei Ein-sichtsrechten zugunsten von Patienten in psychiatrischer Behandlung. Weil die Kenntnisnahme von medizinischen Beurteilungen, die über die objektivierbaren Befunde hi-nausgingen, das Risiko barg, dass der Patient die Infor-mationen fehlerhaft verarbeite und die Therapie scheitere, sollte der ärztlichen Einschätzung in diesen Fällen bei der Entscheidung über die Eröffnung der Unterlagen ein be-sonderes Gewicht zukommen 16. Das BVerfG hatte diesen therapeutischen Vorbehalt 2006 in Frage gestellt und da-rauf hingewiesen, dass die Persönlichkeitsrechte des Pa-tienten aufgrund veränderter Anschauungen womöglich

höher zu gewichten seien, eine Entscheidung der Frage aber ausdrücklich dahinstehen lassen 17. Klarstellend hatten die Richter jedoch darauf hingewiesen, dass ein Patient generell ein geschütztes Interesse an sämtlichen Gesund-heitsinformationen habe und sein Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Unterlagen nur zurücktreten müs-se, wenn gewichtige Belange entgegenstünden 18. In diese Richtung hatte auch der BGH bereits 1983 ausgesprochen, dass ein Patient gegenüber seinem behandelnden Arzt oder Krankenhaus grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in seine Krankenunterlagen habe, ohne ein besonderes rechtliches Interesse darlegen zu müssen 19.

b) Verständnis des Schrifttums

Das Schrifttum stützte den Einsichtsanspruch teilweise auf die §§ 810, 811 BGB 20, schloss sich aber überwiegend (auch) der höchstrichterlichen Rechtsprechung an, wel-che den Anspruch in einer Nebenpflicht aus dem Be-handlungsvertrag begründet sah 21. Dabei fanden die in der Rechtsprechung entwickelten Einschränkungen des Einsichtsrechts nahezu einhellig Zustimmung. Von der Einsicht ausgenommen sein sollten demnach Aufzeich-nungen über subjektive Eindrücke, Verdachtsdiagnosen, persönliche Notizen und Bemerkungen über Dritte eben-so wie Dokumentationen, deren Zurückhaltung zum

Kensy, Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der Neuregelung768 MedR (2013) 31: 767–772

1) Beschluss der V. Abt. Arztrecht, Nr. 4 lit. c), abgedruckt in NJW 1978, 2185, 2194.

2) Keine Klärung bringt die Neuregelung insbesondere in Bezug auf ein „prozessuales Einsichtsrecht“ des Patienten. Zu dieser und weiteren nach wie vor offenen Fragen Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6.  Aufl. 2009, Kap.  IX, Rdnrn. 60 ff.

3) BGBl. I S. 277–279.4) BVerfG, MedR 1999, 180 (1. Leitsatz) = NJW 1999, 1777; offen

gelassen in BVerfG, MedR 2006, 419, 420 (4. Leitsatz) = NJW 2006, 1116; zweifelt daran, dass die Rechtsprechung des BGH „noch verfassungsgemäß“ ist.

5) BGH, MedR 1983, 62 = NJW 1983, 328, 329. BGH, MedR 1984, 24, 25 = NJW 1983, 2627, 2628, spricht von einem „Ne-benanspruch aus dem Behandlungsvertrag“, der sich aus dem entsprechend gestalteten Behandlungsverhältnis zu Patienten, deren Behandlung von einem öffentlichen Krankenversiche-rungsträger übernommen wird, ebenso ergibt.

6) BGH, MedR 1983, 62 (Leitsatz) = NJW 1983, 328.7) BGH, MedR 1983, 62, 64 = NJW 1983, 328, 329.8) BGH, MedR 1983, 62, 64 = NJW 1983, 328, 330.9) BGH, MedR 1989, 145, 146 = NJW 1989, 764, 765.10) BGH, MedR 1989, 145, 146 = NJW 1989, 764, 765.11) BGH, MedR 1983, 62, 64 = NJW 1983, 328, 329.12) BGH, MedR 1983, 62, 65 = NJW 1983, 328, 330.13) BVerfG, MedR 1999, 180 = NJW 1999, 1777.14) BGH, MedR 1983, 62, 65 = NJW 1983, 328, 330.15) BVerfG, MedR 2006, 419, 422 = NJW 2006, 1116, 1119.16) BVerfG, MedR 1999, 180, 181 = NJW 1999, 1777.17) BVerfG, MedR 2006, 419, 421 = NJW 2006, 1116, 1118.18) BVerfG, MedR 2006, 419, 420 = NJW 2006, 1116, 1117 f.19) BGH, MedR 1984, 24 = NJW 1983, 2627, 2628.20) Sprau, in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 810, Rdnr. 5; zurück-

haltend Habersack, in: MüKo/BGB, Bd. 5, 5. Aufl. 2009, § 810, Rdnr. 15; Schulze, in: Hk/BGB, 7. Aufl. 2012, § 810, Rdnr. 2; für Anspruchskonkurrenz Marburger, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, § 810, Rdnr. 20; Gehrlein, NJW 2001, 2773.

21) Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6.  Aufl. 2009, Kap.  IX, Rdnr.  54; Habersack, in: MüKo/BGB, Bd.  5, 5. Aufl. 2009, § 810, Rdnr. 15; Marburger, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, § 810, Rdnr. 20; Gehrlein, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), BGB, Bd. 2, 2. Aufl. 2008, § 810, Rdnr. 6; Terbille, in: Münchener AnwHb. Medizinrecht, 1. Aufl. 2009, § 1, Rdnr. 11; Wilhelmi, in: Erman, BGB, Bd. 2, 13. Aufl. 2011, § 810, Rdnr. 4; Mielke, in: NK/BGB, Bd. 2/2, 2. Aufl. 2012, § 810, Rdnr. 15; Buck=Heeb, in: PWW, BGB, 8. Aufl. 2013, § 810, Rdnr. 7; eine vertragliche Nebenpflicht und § 810 BGB als Anspruchsgrund vermengt Coester, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2006, § 307, Rdnr. 414.

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Schutz des Patienten aus therapeutischer Sicht erforder-lich erschien 22.

2. Form, Kosten und Modalitäten der Einsichtsgewährung

a) Die Einsichtsgewährung in der Rechtspraxis Inhaltlich erstreckte sich der Anspruch nach der Recht-sprechung auch auf eine Ablichtung der Patientenunter-lagen. Die erforderlichen Kosten waren allerdings vom Anspruchsteller zu erstatten 23. Unklar blieb dabei, ob der Patient insoweit vorleistungspflichtig war oder ob dem Arzt ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB oder sogar § 320 BGB zustehen sollte. Da es sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei den Patien-tenunterlagen nicht um Urkunden i. S. des § 810 BGB handelte 24, war § 811 Abs. 2 BGB mit der dort angeord-neten Kostentragungspflicht nicht einschlägig. Die Ins-tanzgerichtsrechtsprechung befürwortete allerdings zum Teil 25 eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf den vertraglichen Nebenanspruch. Eine Kostenerstat-tung durch den Patienten für kopierte Krankenunterla-gen sah auch die Musterberufsordnung für Ärztinnen und Ärzte in § 10 Abs.  2 S.  2 vor 26. Entsprechend vorsichtig formulierten Anwälte den Klageantrag auf Einsichtnah-me: „Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger dadurch Einsicht in die von dem Beklagten gefertigten, den Klä-ger betreffenden Behandlungsunterlagen zu gewähren, dass der Beklagte Fotokopien der gesamten den Kläger betreffenden Behandlungsunterlagen anfertigt und diese Zug um Zug gegen Kostenerstattung von je EUR 0,50 je Fotokopie, an den Kläger herausgibt“ 27. Obwohl die Rechtspraxis der instanzgerichtlichen Rechtsprechung zuwider demnach eine Vorleistungspflicht des Patienten ablehnte, gestand man dem Behandelnden offenbar doch ein Zurückbehaltungsrecht zu. Jenseits der Kostenfrage stand zudem noch immer eine obergerichtliche Entschei-dung zu der Frage aus, ob aus dem Behandlungsvertrag auch die Nebenpflicht des Arztes bzw. Krankenhauses folgte, dem Patienten Kopien seiner Krankenunterlagen gegen Kostenerstattung (bzw. -Vorschuss) zuzuschicken. Die Instanzgerichte haben diesen Anspruch des Patienten aus § 810 BGB mit Hinweis auf den Holschuldcharakter des Einsichtsanspruchs (§ 811 BGB) teilweise verneint 28. Dem folgte die Rechtspraxis, wenn sie die Herausgabe an den Kläger beantragte. Denn diese hatte bis auf weiteres am Erfüllungsort zu erfolgen.

b) Standpunkt des Schrifttums

Auch das Schrifttum sprach sich überwiegend für den An-spruch auf Fotokopien aus 29, wobei gleichermaßen Un-einigkeit über die Modalitäten der Kostenerstattung und eine Versandverpflichtung des Behandelnden herrschte. Obwohl es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellt, dass der Schuldner einer Leistung auch die Kosten der Erfüllung trägt 30, befürwortete das Schrifttum allgemein eine Kostentragung durch den Patienten 31. Zahlreiche Stimmen plädierten sogar für dessen Vorleistungspflicht 32. Das war plausibel, soweit die Anspruchsgrundlage in § 810 BGB (analog) gesehen wurde. Denn diese Vorschrift ver-mittelte nur einen Anspruch auf Einsicht in die Kranken-unterlagen, nicht darauf, Abschriften zu erstellen 33. Auch wenn die Vorlegung nach § 811 Abs. 1 S. 2 BGB im Falle eines wichtigen Grundes an einem anderen Ort als dem Belegenheitsort der Krankenunterlagen verlangt werden konnte, bezog sich diese Verpflichtung immer nur auf die Originalurkunde. Die Anfertigung und ggf. Versendung einer Kopie an den Patienten erfüllte daher nicht den Tat-bestand des § 811 Abs. 1 BGB. Weil es sich in diesem Fall um eine über die Verpflichtung nach § 810 BGB hinausge-hende Leistung des Arztes handelte, schien eine dem § 811 Abs. 2 S. 2 BGB entsprechende Vorschusspflicht erst recht

angezeigt. Diese Beurteilung verlor indes ihre rechtliche Legitimation durch § 811 Abs. 2 BGB schon nach der al-ten Rechtslage, wenn der Anspruch nicht auf die für au-ßervertragliche Rechtsbeziehungen konzipierten §§ 810, 811 BGB 34, sondern auf einen vertraglichen Nebenan-spruch gestützt wurde. Wenn es nämlich eine vertragli-che Verpflichtung des Arztes sein sollte, dem Patienten auf Wunsch eine Ablichtung zu erstellen, blieb fraglich, woher die Kostentragungs-, geschweige denn eine Vor-leistungspflicht stammen sollte. Sie ließ sich formal frei-lich trotzdem auf eine analoge Anwendung des § 811 BGB stützen, mochte der Anspruch aus § 810 BGB auch ein anderes Rechtsverhältnis vor Augen haben. Bewährt war als Grundlage gewünschter Ergebnisse nicht weni-ger § 242 BGB, in der Lesart: vernünftige Parteien hätten eine Kostenerstattungspflicht des Patienten (bzw. dessen Vorleistungspflicht) vereinbart, wenn sie das Bedürfnis für eine Ablichtung bedacht hätten. Leicht ließ sich zudem eine entsprechende Verkehrssitte behaupten. Wenn man

Kensy, Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der Neuregelung MedR (2013) 31: 767–772 769

22) Marburger, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, § 810, Rdnr. 20; Habersack, in: MüKo/BGB, Bd. 5, 5. Aufl. 2009, § 810, Rdnr. 15; Sprau, in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 810, Rdnr. 5; a. A. Hin­ne, NJW 2005, 2270, 2272.

23) BGH, MedR 1983, 62, 63 f. = NJW 1983, 328, 329.24) BGH, MedR 1983, 62, 64 = NJW 1983, 328, 330; ebenso Gehr­

lein, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), BGB, Bd. 2, 2. Aufl. 2008, § 810, Rdnr. 6.

25) LG Göttingen, NJW 1979, 601, 602; AG Hagen, NJW-RR 1998, 262, 263; offen gelassen von AG Arnsberg, NJOZ 2001, 970, 971; LG München I, Urt. v. 19. 11. 2008 – 9 O 5324/08 –; AG Bergheim, NJOZ 2009, 2011, 2013; a. A. AG Freiburg, NJW 1990, 770.

26) (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztin-nen und Ärzte i. d. F. der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärzteta-ges 2011 in Kiel.

27) Teichner, in: Kroiß (Hrsg.), FormularBibliothek Zivilprozess Ver-kehr/Schaden/Versicherung, 2. Aufl. 2010, § 2, Rdnr. 113.

28) LG Dortmund, NJW 2001, 2806; AG Bergheim, NJOZ 2009, 2011, 2013; a. A. AG Freiburg, NJW 1990, 770.

29) Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6.  Aufl. 2009, Kap.  IX, Rdnr. 56; Gehrlein, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), BGB, Bd. 2, 2. Aufl. 2008, § 810, Rdnr. 6; Habersack, in: MüKo/BGB, Bd.  5, 5.  Aufl. 2009, § 810, Rdnr.  15; Mielke, in: NK/BGB, Bd. 2/2, 2. Aufl. 2012, § 810, Rdnr. 17; Hadding, in: Soer­gel, BGB, 13. Aufl. 2012, § 810, Rdnr. 11; Schlund, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2010, § 56, Rdnr. 11 m. w. N.; unklar Buck=Heeb, in: PWW, BGB, 8. Aufl. 2013, § 810, Rdnr. 12: „die Vorlage der vollständigen Kopien“ sei zur Erfül-lung des Anspruchs „ausreichend“; a. A. Gehrlein, NJW 2001, 2773; Wilhelmi, in: Erman, BGB, Bd.  2, 13. Aufl. 2011, § 810, Rdnr. 4. Der historische Gesetzgeber hat in Bezug auf § 775 (E I) = § 810 BGB die Verpflichtung zur Erstellung einer Abschrift abgelehnt und selbst eine allgemeine Befugnis des Berechtigten, eigenständig eine Abschrift anzufertigen, verneint, vgl. Mugdan, Mot. II, S. 498.

30) Gehrlein, NJW 2001, 2773, 2774; Habersack, in: MüKo/BGB, Bd. 5, 5. Aufl. 2009, § 811, Rdnr. 1.

31) Habersack, in: MüKo/BGB, Bd. 5, 5. Aufl. 2009, § 811, Rdnr. 16; Gehrlein, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), BGB, Bd. 2, 2. Aufl. 2008, § 810, Rdnr.  6; Sprau, in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 811, Rdnr.  2; Mielke, in: NK/BGB, Bd.  2/2, 2.  Aufl. 2012, § 810, Rdnr.  15; Hadding, in: Soergel, BGB, 13.  Aufl. 2012, § 810, Rdnr. 11; Terbille, in: Münchener AnwHb. Medizinrecht, 1. Aufl. 2009, § 1, Rdnr. 16 m. w. N.

32) Habersack, in: MüKo/BGB, Bd. 5, 5. Aufl. 2009, § 810, Rdnr. 15; Gehrlein, NJW 2001, 2773; Gehrlein, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), BGB, Bd. 2, 2. Aufl. 2008, § 810, Rdnr. 6; Schlund, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4.  Aufl. 2010, § 56, Rdnr. 11.

33) Gehrlein, NJW 2001, 2773; Coester, in: Staudinger, BGB, Neube-arb. 2006, § 307, Rdnr. 414; Wilhelmi, in: Erman, BGB, Bd. 2, 13. Aufl. 2011, § 810, Rdnr. 4; Terbille, in: Münchener AnwHb. Medizinrecht, 1. Aufl. 2009, § 1, Rdnr. 16.

34) Marburger, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, Vorbem §§ 809–811, Rdnr. 3.

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bedachte, dass die vertragliche Nebenpflicht dem Arzt aufgrund des Selbstbestimmungsrechts und der persona-len Würde des Patienten mehr oder weniger oktroyiert worden war 35, und davon ausging, dass Ärzte und Kran-kenhäuser die in der Masse womöglich nicht unerhebli-chen Mehraufwendungen für Fotokopien und Kopiever-waltung in ihrem Vergütungsmodell nicht berücksichtigt hatten, war eine Kompensation jedenfalls angemessen. Rechtstechnisch konnte die Erstattungspflicht immerhin auf eine richterliche Rechtsfortbildung gestützt werden. Sprach der BGH in der Grundlagenentscheidung 36 davon, die Ablichtungen seien auf Kosten des Patienten zu ferti-gen, mochte man darunter sogar durchaus eine Vorleis-tungspflicht des Patienten verstehen können. Zwingend war dieser Schluss aber nicht. Wenn das Gericht dann aber § 810 BGB als Anspruchsgrundlage aufgrund der anders gelagerten „Zielsetzung des Behandlungsvertrages“ aus-drücklich ablehnte und sich dadurch zugleich von § 811 BGB und der dort enthaltenen Vorleistungspflicht distan-zierte, dürfte man auf den allgemeinen Gedanken zurück-gekommen sein, dass Auslagen zu erstatten waren. Dieser Befund harmonierte zudem eher mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum, dass dem Arzt an den Kran-kenunterlagen kein Zurückbehaltungsrecht zustand. Da der Patient durch die Vorenthaltung womöglich daran gehindert war, höherrangige Rechte wahrzunehmen, etwa eine weitere Behandlung zu veranlassen oder An-sprüche gegen den behandelnden Arzt zu prüfen, schied ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB aufgrund der Natur des Einsichtsanspruchs aus 37. An dieser Stelle muss allerdings erwähnt werden, dass sich das Schrifttum hauptsächlich auf eine Entscheidung des AG Freiburg 38 stützte, das dem Arzt ein Zurückbehaltungsrecht wegen seines Honorars abgesprochen hatte. Die dort vorgetra-gene Argumentation taugte dem Schrifttum für einen Kostenerstattungsanspruch aber offenbar gleichermaßen. War der Patient auf seine Unterlagen für eine Anschluss-behandlung gesundheitlich angewiesen, durfte diese nicht an der verzögerten Einsichtnahme des Patienten und des weiterbehandelnden Arztes scheitern 39. Soweit man eine Zurückbehaltung der Unterlagen für die Prüfung eines etwaigen Schadensersatzanspruches des Patienten noch erwägen mochte, ging die Gesundheit des Patienten bei einer rechtlichen Bewertung der entgegenstehenden In-teressen – Gesundheit des Patienten, Eigentum des Arz-tes  – vor. Ein Zurückbehaltungsrecht hätte also in der Tat ausscheiden müssen. In anderem Kontext war jedoch teilweise zu lesen, dass dem Schuldner wegen der vom Gläubiger zu erstattenden Kosten bestimmter Unterla-gen selbst dann ein Zurückbehaltungsrecht zustehen soll-te, wenn er dem in unmittelbarem Zusammenhang ste-henden Hauptanspruch nichts entgegensetzen konnte 40. Demnach hätte sich der Behandelnde zwar nicht gegen das Einsichtsrecht, wohl aber gegen die Herausgabe von Kopien mit einem Zurückbehaltungsrecht verteidigen können. Aber diese Ausnahme vom Ausschluss des Zu-rückbehaltungsrechts war auf wirtschaftliche Interessen-kollisionen zugeschnitten und musste bei einem Antago-nisten wie der Gesundheit zwangsläufig versagen. Freilich wurde der Patient durch ein Recht des Arztes, die Kopien bis zur Kostenerstattung zurückzuhalten, jedenfalls bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht vor eine unüberwind-bare Hürde gestellt; mochten die Kosten teilweise auch hundert Euro weit übersteigen 41. Bei genauem Hinsehen zeigte sich deshalb auch, dass dem Behandelnden in aller Regel ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB zuste-hen musste. Denn in den meisten Fällen ging es gar nicht darum, höherrangige Rechte, wie die gesundheitliche Versorgung durch einen anderen Arzt, wahrzunehmen, welche den Ausschluss des Verweigerungsrechtes rechtfer-tigen sollten. Vielmehr standen sich mit dem Anspruch des

Patienten, eine Kopie seiner Akte zu erhalten, und dem Erstattungsanspruch des Arztes unmittelbar wirtschaftli-che Interessen gegenüber. Das Problem bestand darin, dass sich der Anspruch auf Einsichtnahme nach seiner Ausge-staltung in Rechtsprechung und Schrifttum inhaltlich auf die Kopien erstreckte. Damit teilte der Anspruch auf eine Kopie der Patientenunterlagen in gewisser Weise dessen nichtvermögensrechtlichen Charakter. Mit dem Begeh-ren, eine Abschrift der Akte herzustellen, richtete sich der Anspruch allerdings nicht mehr nur auf einen immateri-ellen Gegenstand, nämlich die Information, sondern auch auf einen Informationsträger. Dieser hatte aber mit der Gesundheit des Patienten nur mittelbar etwas zu tun. Dass zwischen dem Anspruch auf Information (immaterielles Interesse) und Informationsträger (materielles Interesse) keine rechtliche Identität bestehen konnte, zeigte sich zu-dem daran, dass dem Behandelnden nur ein verhaltener Anspruch auf Kostenerstattung für den Informationsträ-ger eingeräumt war. Unannehmlichkeiten, welche die Einsichtsgewährung unmittelbar mit sich brachte, etwa eine Beaufsichtigung, einen Arbeitsausfall wegen des He-raussuchens der Akte oder ähnliches konnte der Behan-delnde nicht ersetzt verlangen.

3. Einsichtsrecht von Erben und nächsten Angehörigen

Auch den Erben und nächsten Angehörigen stand das Ein-sichtsrecht nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum zu, solange die Einsichtnahme dem aus-drücklichen oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen nicht widersprach 42. Das folgte für den Erben schon aus § 1922 Abs. 1 BGB, soweit vermögensrechtliche Kompo-nenten betroffen waren 43. Für die Angehörigen folger-te der BGH ein entsprechendes Einsichtsrecht aus deren

Kensy, Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der Neuregelung770 MedR (2013) 31: 767–772

35) BGH, MedR 1983, 62, 63 = NJW 1983, 328, 329.36) BGH, MedR 1983, 62, 63 f. = NJW 1983, 328, 330.37) Terbille, in: Münchener AnwHb. Medizinrecht, 1. Aufl. 2009,

§ 1, Rdnr.  17; Kalis, in: Bach/Moser (Hrsg.), Private Kranken-versicherung, 4.  Aufl. 2009, § 1, Rdnrn. 12, 42; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 273, Rdnr. 15; Schulze, in: Hk/BGB, 7. Aufl. 2012, § 273, Rdnr.  12; Krüger, in: MüKo/BGB, Bd.  2, 6.  Aufl. 2012, § 273, Rdnrn. 39, 57; Unberath, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), BGB, Bd.  1, 2. Aufl. 2008, § 273, Rdnr. 30; Bittner, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, § 273, Rdnr. 83; Stadler, in: Jauernig (Hrsg.), BGB, 14. Aufl. 2011, § 273, Rdnr. 15; differenzierend Wolf, in: Soergel, BGB, 12. Aufl. 1990, § 273, Rdnr.  48, und Ebert, in: Erman, BGB, 12. Aufl. 2008, § 273, Rdnr. 21, die dem Arzt ein Zurückbehaltungsrecht we-gen seines Honorars absprechen. Der Ausschluss eines Zurück-behaltungsrechtes aufgrund einer Honorarforderung dürfte sich jedoch schon daraus ergeben, dass dem Behandelnden kein An-spruch aus „demselben rechtlichen Verhältnis“ zusteht. Denn welcher natürliche oder wirtschaftliche Zusammenhang besteht etwa zwischen einer unausgeglichenen Honorarforderung für die Behandlung einer Grippe aufgrund eines in 2011 geschlos-senen Behandlungsvertrages und einem Gesuch des Patienten aus 2013, das sich auf Einsicht in die Dokumentation diverser internistischer Behandlungen erstreckt? Freilich wird man er-wägen müssen, Aufzeichnungen, die sich auf das forderungsbe-gründende Behandlungsverhältnis beziehen oder mit diesem in Zusammenhang stehen, von der Einsicht auszunehmen. Eine solche Beschränkung des Einsichtsrechts erscheint allerdings praktisch wenig sinnvoll.

38) AG Freiburg, NJW 1990, 770.39) Vgl. Terbille, in: Münchener AnwHb. Medizinrecht, 1. Aufl. 2009,

§ 1, Rdnr. 17.40) Schmidt=Kessel, in: NK/BGB, Bd.  2/2, 2.  Aufl. 2012, § 273,

Rdnr. 25; OLG Köln, Beschl. v. 21. 3. 1983 – 2 W 13/83 –.41) Vgl. etwa LG München I, Urt. v. 19. 11. 2008 – 9 O 5324/08 –:

159 €.42) Grundlegend BGH, NJW 1983, 2627–2630 = MedR 1984, 24–

26; Hess, ZEV 2006, 479–484.43) BGH, MedR 1984, 24, 25 = NJW 1983, 2627, 2628.

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„Recht zur Wahrung nachwirkender Persönlichkeitsbe-lange des Verstorbenen“ 44. Grenze des Einsichtsrechts war die ärztliche Schweigepflicht, die sich über den Tod des Patienten hinaus erstreckte und nur durch eine rechtferti-gende Einwilligung seitens des Patienten oder höherran-gige Belange überwunden werden konnte. Erforderlich war auch insoweit eine Abwägung des Arztes, ob gegen die Einsicht Bedenken bestanden oder ob der Verstor-bene mit der Einsicht einverstanden gewesen wäre. Für die Bestimmung dieses mutmaßlichen Willens sollte das Anliegen der Einsicht begehrenden Personen maßgeblich sein. So sollte insbesondere der mutmaßliche Wille für eine Einwilligung sprechen, wenn die Erben oder Ange-hörigen Ansprüche gegen den behandelnden Arzt geltend machen wollten. Die Rechtsprechung verlangte daher von den Anspruchstellern, dass sie ihr Einsichtsinteresse durch konkrete Umstände darlegten und ggf. bewiesen. Der Be-handelnde hatte dann seinerseits zu beweisen, dass er auf-grund eines entgegenstehenden Willens des Verstorbenen die Einsicht verweigern musste 45. Vor diesem Hintergrund formulierte das Schrifttum als Leitlinie, dass sich das Ge-heimhaltungsinteresse des Patienten „im Zweifel“ auf die Lebenszeit begrenzte 46.

III. Die Neuregelung des Einsichtsrechts in § 630 g BGB

Die gesetzliche Kodifizierung des Einsichtsrechts in § 630 g BGB greift nach der Regierungsbegründung die neuere verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ausdrück-lich auf 47. Nach der Neuregelung ist dem Patienten auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Ein-sichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen, § 630 g Abs. 1 S. 1 BGB. In Konkretisierung der bisherigen BGH-Rechtsprechung hat der Gesetzgeber damit Aussagen über die Leistungszeit („auf Verlangen unverzüglich“) und den Umfang des Einsichtsrechts (grundsätzlich die „vollstän-dige Patientenakte“) gemacht und zugleich bestimmt, dass es sich um einen vertraglichen (Neben-)Anspruch handeln soll.

Die Vorschriften des § 630 g Abs. 1 S. 2 und S. 3 BGB geben der bisherigen Gerichtspraxis mit der Pflicht, die Ablehnung der Einsichtnahme zu begründen, und der ent-sprechenden Anwendung des § 811 BGB für die Bestim-mung der näheren Modalitäten Gesetzesform.

1. Vollständige Verweigerung des Einsichtsrechts aufgrund des „Therapievorbehalts“ nur noch in Ausnahmefällen

Mit der Einschränkung „soweit nicht erhebliche therapeu-tische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter ent-gegenstehen“ rekurriert das Gesetz auf die bereits in Recht-sprechung und Schrifttum anerkannten Ausschlussgründe. Indem erhebliche therapeutische Gründe gefordert werden, wird zum Ausdruck gebracht, dass der Behandelnde den Patienten nicht bevormunden und insbesondere dem sta-bilen Patienten die Einsichtnahme nicht verwehren darf 48. Es soll deshalb nach der Regierungsbegründung nicht ausreichen, dass erhebliche therapeutische Gründe gegen die Einsichtnahme sprechen. Vielmehr muss zusätzlich be-gründeter Anlass zur Sorge bestehen, dass sich der Patient infolge der Einsichtnahme gegenüber sich selbst erheblich gesundheitsgefährdend verhält 49. Weil nach den Umstän-den des Falles ggf. auch eine partielle Einsicht (Abdeckung, Schwärzung etc.) oder eine Einsicht unter Betreuung mög-lich ist („soweit“), dürfte eine vollständige Verweigerung des Einsichtsrechts nur noch in absoluten Ausnahmefäl-len in Betracht kommen. Das Bedürfnis eines erheblichen Grundes zeigt in Anknüpfung an die Rechtsprechung des

BVerfG jedenfalls an, dass dem Selbstbestimmungsrecht in aller Regel der Vorrang zukommen soll.

2. Festschreibung der bisherigen Rechtsprechung zur Einsichtsverweigerung aufgrund von Drittrechten

Im Hinblick auf eine verweigerte oder beschränkte Ein-sicht aufgrund erheblicher Rechte Dritter schreibt § 630 g Abs. 1 S. 1 BGB ausweislich der Regierungsbegründung das Erfordernis einer Abwägung des Drittinteresses mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten ausdrücklich fest 50. Die Begründung nennt hier die Situation eines min-derjährigen Kindes, das sich unter Beteiligung der Eltern in Behandlung befindet, in deren Rahmen sensible Informa-tionen über die Eltern des Minderjährigen dokumentiert werden. Sofern die Kenntnis des Kindes von diesen In-formationen zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung des Kindes führen kann, sollte entgegen der Regierungs-begründung 51 bereits ein „therapeutischer Grund“ für die Beschränkung des Einsichtsrechts vorliegen. Im Übrigen wird man an die bisherige Rechtsprechung anknüpfen dür-fen und die Grenze des Einsichtsrechts dort ziehen, wo die Unterlagen sensible Informationen über Dritte enthalten, wie etwa die Beziehung von Angehörigen zum Patienten 52.

3. Keine Einsichtsverweigerung wegen patientenbezogenen persönlichen Beurteilungen des Arztes

Die in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannte Be-schränkung des Einsichtsrechts in Aufzeichnungen von persönlichen Beurteilungen und subjektiven Eindrücken des Behandelnden lässt der Wortlaut des § 630 g Abs. 1 S. 1 BGB vermissen. Die Regierungsbegründung äußert sich zu diesen nicht objektivierbaren Befunden dahingehend, dass sie die Person des Patienten betreffen und ihm aufgrund seines Persönlichkeitsrechts daher grundsätzlich zu offen-baren sind, wobei es aber auch insoweit auf die Umstände des Einzelfalls ankommen soll 53. Wenn man den Normtext ernst nimmt und unter den „erheblichen Rechte[n] Drit-ter“ nicht die Vertragsparteien des Behandlungsverhält-nisses versteht 54, dürfte sich eine Beschränkung des Ein-sichtsrechts bzgl. solcher Aufzeichnungen nur noch über den allgemeinen Ausschlussgrund (§ 242 BGB) begründen lassen. Die generelle Anerkennung dieses Beschränkungs-grundes ist jedenfalls überholt.

4. Der Patient kann eine Kopie seiner Patientenakte verlangen

Mehr Klarheit gegenüber der alten Rechtslage bringt ins-besondere § 630 g Abs. 2 BGB. Mit der Anordnung, dass der Patient auch elektronische Abschriften seiner Patientenakte verlangen kann (§ 630 g Abs.  2 S.  1 BGB), dürfte sich der Streit, ob der Patient einen Anspruch auf eine Fotokopie hat, erledigt haben. Der Wortlaut der Vorschrift ist aller-

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44) BGH, MedR 1984, 24, 25 = NJW 1983, 2627, 2629.45) BGH, MedR 1984, 24, 26 = NJW 1983, 2627, 2630.46) Schlund, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl.

2010, § 56, Rdnr. 12. 47) BT-Dr. 17/10488, S. 26.48) BT-Dr. 17/10488, S. 26 f.49) BT-Dr. 17/10488, S. 42.50) BT-Dr. 17/10488, S. 27.51) BT-Dr. 17/10488, S. 27.52) Vgl. Informiert und Selbstbestimmt. Ratgeber für Patienten-

rechte, herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit, Bundesministerium der Justiz und dem Beauftragten der Bun-desregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten, 1. Aufl. 2013, S. 26 f.

53) BT-Dr. 17/10488, S. 27.54) Denn die Vertragsparteien sind begrifflich nicht Dritte.

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dings zumindest unglücklich. Der Anspruchsgegenstand ei-ner „elektronischen Abschrift“ erinnert stark an die in § 126 a BGB geregelte elektronische Form. Diese setzt zum einen eine elektronische Erklärung in Form von mittels EDV ge-speicherten Daten voraus 55, die ohne technische Hilfsmittel unlesbar sind 56. Zum anderen verlangt § 126 a BGB den Na-men des Ausstellers und eine elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz. Aufgrund der geringen Verbreitung entsprechender Signaturen im Rechtsverkehr und einer unnötigen Verkomplizierung, die eine Abschrift in elekt-ronischer Form bedeuten würde, kann mit der elektroni-schen Abschrift sinnvollerweise nur gemeint sein, dass der Behandelnde oder dessen Angestellte grundsätzlich nicht gezwungen werden können, die Akte handschriftlich zu vervielfältigen. Dass Ärzte und Krankenhäuser verpflichtet sein sollen, elektronische Signaturen zu beantragen, weil der Patient schließlich ein Recht auf eine mit Signatur versehe-ne Abschrift hat, ist weder sinnvoll noch vom Gesetzgeber gewollt. Die Regierungsbegründung wird man jedenfalls so verstehen müssen, wenn es in Bezug auf Abs. 2 heißt: „Die Abschriften können sowohl von einer in Textform erstellten Dokumentation als auch von elektronischen Dokumenten und gegebenenfalls auch in Form maschinenlesbarer Daten-kopien oder Dateien in elektronischer Form angefertigt wer-den. (…) [D]ie Kosten für die Abschriften oder Kopien [hat der Patient] selbst zu tragen“ 57. Dieses Verständnis legen auch das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministeri-um für Gesundheit zugrunde, wenn sie in ihrem „Ratgeber für Patientenrechte“ darauf hinweisen, dass dem Patienten auf Wusch eine Kopie der Unterlagen zu erstellen oder auf einem Datenträger zur Verfügung zu stellen ist 58.

5. Keine Vorleistungspflicht des Patienten zur Kostenerstattung; Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) des Behandelnden

Hinsichtlich der Kostentragung für die Abschrift erteilt das Gesetz der umstrittenen Vorleistungspflicht des Patienten eine Absage. So ordnet § 630 g Abs. 2 S. 2 BGB ausdrücklich an, dass der Patient die „entstandenen Kosten“ zu erstatten habe, was begrifflich voraussetzt, dass die Abschrift bereits erstellt worden ist. Das ergibt sich mit aller Deutlichkeit auch aus der Regierungsbegründung, die hinsichtlich der Kostentragungspflicht ausdrücklich nur auf § 811 Abs.  2 S.  1 BGB verweist 59 und damit die in § 811 Abs.  2 S.  2 BGB vorgesehene Vorleistungspflicht des Patienten nicht übernimmt. Damit ist über ein Zurückbehaltungsrecht des Behandelnden bzgl. der Herausgabe der Abschrift freilich noch nichts gesagt. Man wird jedoch davon ausgehen dür-fen, dass der Gesetzgeber dem Behandelnden ein Zurück-behaltungsrecht nicht verweigern wollte. Verlangt der Pa-tient nach § 630 g Abs. 1 S. 1 BGB Einsicht in seine Akte, kann der Arzt die Einsicht wie bisher nicht mit Hinweis auf sein ausstehendes Honorar verweigern. Insoweit scheidet ein auf § 273 BGB gestütztes Verweigerungsrecht aufgrund des immateriellen Anspruchscharakters aus. Macht der Pa-tient von seinem weitergehenden Recht aus § 630 g Abs. 2 BGB Gebrauch („kann auch … verlangen“), erstreckt sich sein Anspruch über die reine Information hinaus auf ein materielles Interesse. Der Anspruch verliert damit (parti-ell) seinen nichtvermögensrechtlichen Charakter. Deshalb kann ihm gegen das überwiegende Schrifttum mit einem Zurückbehaltungsrecht wegen der durch die Abschrift an-fallenden Kosten begegnet werden. Hätte der Gesetzgeber eine andere Anordnung treffen wollen, wäre systemkon-form eine Regelung im Besonderen Teil erforderlich ge-worden, die das Verweigerungsrecht ausschließt. Weil eine solche gerade nicht erfolgt ist, bleibt es bei der Bestimmung des Allgemeinen Teils.

6. Keine Pflicht des Behandelnden, Abschriften der Patientenakte zu übersenden

Kann der Patient nach § 630 g Abs. 2 BGB eine Abschrift seiner Patientenakte verlangen, ergibt sich hieraus grund-sätzlich keine Verpflichtung des Behandelnden, dem Pati-enten die Abschrift zuzuschicken. Die Regelung des Abs. 2 knüpft systematisch an Abs. 1 an, der eine entsprechende Anwendung des § 811 BGB anordnet. Hiernach hat die Ein-sicht an dem Orte zu erfolgen, an dem sich die Patienten-akte befindet. Das wird in aller Regel der Behandlungsort sein. Durch den systematischen Bezug kann deshalb auch die Abschrift nur am Belegenheitsort der Patientenakte verlangt werden, solange kein wichtiger Grund für eine Verlegung bzw. Versendung vorliegt. Die Regierungsbe-gründung nennt als Beispiel für einen wichtigen Grund die nicht unerhebliche Erkrankung des Patienten oder den Umzug des Behandelnden 60.

7. Das Einsichtsrecht der Erben und nächsten Angehörigen beurteilt sich nach den in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Grundsätzen

Das in § 630 g Abs. 3 BGB vorgesehene Einsichtsrecht der Erben und nahen Angehörigen gießt die bereits vorhan-dene Rechtspraxis in gesetzliche Form. Nach der Regie-rungsbegründung steht die Einräumung des Einsichtsrech-tes auch an nahe Angehörige ausdrücklich im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung und meint begrifflich Ehegatten, Lebenspartner, Kindern, Eltern, Geschwister und Enkel 61. Aufgrund der Textfassung ist zudem davon auszugehen, dass sich für die Beweislastverteilung keine Änderung ergeben hat. Damit muss der Behandelnde wei-terhin in Grundzügen beweisen, dass der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des verstorbe-nen Patienten entgegensteht.

IV. Fazit

Die Neuregelung stärkt das Einsichtsrecht des Patienten in verschiedener Hinsicht. Der Behandelnde wird die Einsicht aufgrund des „Therapievorbehalts“ künftig nur noch bei einer substantiierten Gefahrenprognose für die Gesundheit des Patienten verweigern können. Der Einwand, dass die Krankenunterlagen persönliche Aufzeichnungen enthalten, ist ihm nach der Neufassung in aller Regel abgeschnitten. Zudem kann der Patient nunmehr jederzeit eine Kopie sei-ner Patientenakte verlangen, ohne die anfallenden Kosten vorzuschießen. Zurückbehaltungsrechte wegen der anfal-lenden (Kopier-)Kosten werden bei der Formulierung des Klageantrags jedoch auch nach der Neufassung weiterhin zu berücksichtigen sein. Schließlich steht dem Patienten außerhalb einer vertraglichen Vereinbarung ein klagbarer Anspruch auf Zusendung der Abschrift grundsätzlich nicht zu, kann bei einem wichtigen Grund aber ausnahmsweise geschuldet sein.

Kensy, Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der Neuregelung772 MedR (2013) 31: 767–772

55) Hertel, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2012, § 126 a, Rdnr. 40.56) BT-Dr. 14/4987, S. 25.57) BT-Dr. 17/10488, S. 27.58) Informiert und Selbstbestimmt. Ratgeber für Patientenrechte,

herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit, Bun-desministerium der Justiz und dem Beauftragten der Bundesre-gierung für die Belange der Patientinnen und Patienten, 1. Aufl. 2013, S. 25.

59) BR-Dr. 312/12, S. 39.60) BT-Dr. 17/10488, S. 27.61) BT-Dr. 17/10488, S. 27.