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Denkmalschutz und Denkmalnutzung sind ein span- nendes und vielschichtiges Thema. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, in welchem Maße ein Bau- denkmal zur Anpassung an eine zeitgemäße oder neue Nutzung verändert werden darf oder kann. Die Antwort auf diese Frage erfordert eine differenzierte, immer auf den Einzelfall zugeschnittene Beratung und Betreuung des Denkmaleigentümers durch den Denkmalpfleger mit dem Ziel, die unumgänglich not- wendigen Veränderungen so denkmalverträglich wie möglich zu gestalten. An dieser Stelle soll jedoch nicht vom Spannungsver- hältnis zwischen Denkmalschutz und Denkmalnut- zung die Rede sein, sondern von Ihrer gegenseitigen Abhängigkeit. Denn Baudenkmale, die nicht mehr ausreichend genutzt werden oder die ihre herkömm- liche Nutzung ganz eingebüßt haben, wie dies z.B. bei Klosteranlagen, Keltern, Kapellen, Zehntscheuern oder Schlössern der Fall sein kann, können in der Re- gel in ihrer Existenz, ihrer Schönheit und ihrer die Um- gebung prägenden Eigenart auf Dauer nur erhalten werden, wenn für sie wieder eine adäquate Nutzung gefunden wird. Dies kann jedoch auf große Probleme stoßen, von denen die Finanzierungsprobleme oft nicht die geringsten sind. Bei der Sanierung eines Kulturdenkmals kann das Landesdenkmalamt dem Denkmaleigentümer Zu- schüsse nur für die so genannten denkmalbedingten Mehrkosten gewähren, d.h. nur für die Aufwendun- gen, die den üblichen Aufwand bei vergleichbaren nicht geschützten Bauwerken übersteigen. Der nicht als „denkmalbedingt“ geltende und damit nicht för- derfähige Sanierungsaufwand kann jedoch bei leer stehenden oder unterwertig genutzten und damit meistens „heruntergekommenen“ Baudenkmalen enorm sein und den Eigentümer überfordern. Hinzu kommen die oft ebenso beträchtlichen nutzungsbe- dingten Kosten, die speziell dafür notwendig wer- den, das Denkmal wieder für eine konkrete eventuell neue Nutzung herzurichten und auszustatten. Kein Wunder also, dass es in unserem Lande trotz der staatlichen Denkmalförderung eine ganze Reihe schwieriger Denkmalobjekte gibt, deren Zukunft als sehr problematisch bezeichnet werden muss. Nicht hoch genug kann man deshalb eine Entschei- dung einschätzen, die der Aufsichtsrat der Landes- stiftung Baden-Württemberg gGmbH in seiner Sit- zung am 7. Mai dieses Jahres getroffen hat. Die Lan- desstiftung wurde am 1. 1.2000 gegründet. Ihr wich- tigster Vermögensgegenstand war ein 25%iger An- teil an der durch die Fusion der badischen und würt- tembergischen Energieversorger entstandenen Ener- gie Baden-Württemberg (EnBW). Im Jahr 2001 wur- de dieser Anteil für 4,7 Mrd. DM an die Electricité de France verkauft. Nach Abzug von 1,1 Mrd. DM, die an das Land Baden-Württemberg für eine neue Zu- kunftsoffensive gingen, und nach Abzug weiterer Verbindlichkeiten und Kosten, verfügt die Landesstif- tung nunmehr über ein Kapital von knapp 3 Mrd. DM. Den Ertrag aus diesem Kapital sowie weiteren Vermögensgegenständen (abzüglich einer Inflations- rücklage) kann die Landesstiftung Baden-Württem- berg entsprechend ihrem Gesellschaftsvertrag für ge- meinnützige Zwecke einsetzen. Die geförderten Pro- jekte müssen außerdem der Zukunftssicherung Ba- den-Württembergs dienen. Die oben erwähnte Entscheidung vom 7. Mai ist des- halb für die Denkmalpflege von so großer Bedeu- tung, weil der Aufsichtsrat der Landesstiftung an die- sem Tag zum ersten Mal beschlossen hat, auch Denk- malprojekte in seine Förderung aufzunehmen. Aller- dings müssen dafür bestimmte Kriterien erfüllt sein. Es muss sich um Kulturdenkmale von besonderer Be- deutung handeln, die in das Denkmalbuch von Ba- den-Württemberg eingetragen sind (zurzeit ca. 1700 Baudenkmale). Eigentümer des Kulturdenkmals muss eine gemeinnützige oder öffentlich-rechtliche Kör- perschaft sein. Wichtig für die Förderung durch die Landesstiftung ist auch, dass das Denkmal einer Nut- zung im öffentlichen Interesse zugeführt, also der All- gemeinheit zugänglich gemacht werden soll. Bezu- schusst werden (mit einem Fördersatz von in der Re- gel 50%) die nicht denkmalbedingten Erhaltungsauf- wendungen sowie die Aufwendungen für die ge- plante Nutzung, wenn diese gemeinnützig ist. Nach diesen Kriterien kann die Landesstiftung be- sonders in den oben beschriebenen Fallkategorien, in denen ein Kulturdenkmal seine bisherige Nutzung verloren hat und wie Strandgut einem ungewissen Schicksal entgegensieht, unterstützend und helfend tätig werden. Welche große Bedeutung dem Förder- beschluss der Landesstiftung für die gesamte Denk- mallandschaft in Baden-Württemberg zukommt, kann man unschwer an den Denkmalprojekten er- kennen, die bereits in diesem Jahr in das Förderpro- gramm der Landesstiftung aufgenommen wurden. Den mit 2,12 Millionen Euro höchsten Zuschuss er- hielt der Main-Tauber-Kreis für die Klosteranlage in Wertheim-Bronnbach. Das ehemalige Zisterzienser- kloster Bronnbach ist unter den vielen hochrangigen Kulturdenkmälern in Baden-Württemberg ein Klein- od, das noch viel zu wenig bekannt ist. Trotz gewis- ser Umbaumaßnahmen im 15. und 17. bis 18. Jahr- hundert ist die mittelalterliche Struktur der Kloster- anlage noch weitgehend erhalten. Nach der Säkula- risation fiel das Kloster 1803 an des Fürstenhaus Lö- wenstein-Wertheim-Rosenberg. Im Jahre 1986 über- nahm der Main-Tauber-Kreis die dem Niedergang ge- weihte Klosteranlage in einer Art „Rettungskauf“. Seit dieser Zeit bemüht sich der Landkreis mit Tatkraft und dem Einsatz großer finanzieller Mittel, unter- stützt von der Denkmalförderung des Landes, darum, die weitläufige Anlage schrittweise zu sanieren und mit neuem Leben zu füllen. Unter den noch nicht res- taurierten Gebäuden stechen das so genannte Bursa- riat, ein ehemaliges Wirtschaftsgebäude des Klosters, und die ehemalige Orangerie des Klosters hervor. Beide Gebäude stehen noch leer und bedürfen drin- 61 Editorial Heinz Sieche

Denkmalpflege 2002-2

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Zeitschrift für Denkmalpflege in Baden-Württemberg

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Denkmalschutz und Denkmalnutzung sind ein span-nendes und vielschichtiges Thema. Im Mittelpunktsteht dabei die Frage, in welchem Maße ein Bau-denkmal zur Anpassung an eine zeitgemäße oderneue Nutzung verändert werden darf oder kann. DieAntwort auf diese Frage erfordert eine differenzierte,immer auf den Einzelfall zugeschnittene Beratungund Betreuung des Denkmaleigentümers durch denDenkmalpfleger mit dem Ziel, die unumgänglich not-wendigen Veränderungen so denkmalverträglich wiemöglich zu gestalten.An dieser Stelle soll jedoch nicht vom Spannungsver-hältnis zwischen Denkmalschutz und Denkmalnut-zung die Rede sein, sondern von Ihrer gegenseitigenAbhängigkeit. Denn Baudenkmale, die nicht mehrausreichend genutzt werden oder die ihre herkömm-liche Nutzung ganz eingebüßt haben, wie dies z.B.bei Klosteranlagen, Keltern, Kapellen, Zehntscheuernoder Schlössern der Fall sein kann, können in der Re-gel in ihrer Existenz, ihrer Schönheit und ihrer die Um-gebung prägenden Eigenart auf Dauer nur erhaltenwerden, wenn für sie wieder eine adäquate Nutzunggefunden wird. Dies kann jedoch auf große Problemestoßen, von denen die Finanzierungsprobleme oftnicht die geringsten sind. Bei der Sanierung eines Kulturdenkmals kann dasLandesdenkmalamt dem Denkmaleigentümer Zu-schüsse nur für die so genannten denkmalbedingtenMehrkosten gewähren, d.h. nur für die Aufwendun-gen, die den üblichen Aufwand bei vergleichbarennicht geschützten Bauwerken übersteigen. Der nichtals „denkmalbedingt“ geltende und damit nicht för-derfähige Sanierungsaufwand kann jedoch bei leerstehenden oder unterwertig genutzten und damitmeistens „heruntergekommenen“ Baudenkmalenenorm sein und den Eigentümer überfordern. Hinzukommen die oft ebenso beträchtlichen nutzungsbe-dingten Kosten, die speziell dafür notwendig wer-den, das Denkmal wieder für eine konkrete eventuellneue Nutzung herzurichten und auszustatten. KeinWunder also, dass es in unserem Lande trotz derstaatlichen Denkmalförderung eine ganze Reiheschwieriger Denkmalobjekte gibt, deren Zukunft alssehr problematisch bezeichnet werden muss.Nicht hoch genug kann man deshalb eine Entschei-dung einschätzen, die der Aufsichtsrat der Landes-stiftung Baden-Württemberg gGmbH in seiner Sit-zung am 7. Mai dieses Jahres getroffen hat. Die Lan-desstiftung wurde am 1. 1. 2000 gegründet. Ihr wich-tigster Vermögensgegenstand war ein 25%iger An-teil an der durch die Fusion der badischen und würt-tembergischen Energieversorger entstandenen Ener-gie Baden-Württemberg (EnBW). Im Jahr 2001 wur-de dieser Anteil für 4,7 Mrd. DM an die Electricité deFrance verkauft. Nach Abzug von 1,1 Mrd. DM, diean das Land Baden-Württemberg für eine neue Zu-kunftsoffensive gingen, und nach Abzug weitererVerbindlichkeiten und Kosten, verfügt die Landesstif-tung nunmehr über ein Kapital von knapp 3 Mrd.

DM. Den Ertrag aus diesem Kapital sowie weiterenVermögensgegenständen (abzüglich einer Inflations-rücklage) kann die Landesstiftung Baden-Württem-berg entsprechend ihrem Gesellschaftsvertrag für ge-meinnützige Zwecke einsetzen. Die geförderten Pro-jekte müssen außerdem der Zukunftssicherung Ba-den-Württembergs dienen.Die oben erwähnte Entscheidung vom 7. Mai ist des-halb für die Denkmalpflege von so großer Bedeu-tung, weil der Aufsichtsrat der Landesstiftung an die-sem Tag zum ersten Mal beschlossen hat, auch Denk-malprojekte in seine Förderung aufzunehmen. Aller-dings müssen dafür bestimmte Kriterien erfüllt sein.Es muss sich um Kulturdenkmale von besonderer Be-deutung handeln, die in das Denkmalbuch von Ba-den-Württemberg eingetragen sind (zurzeit ca. 1700Baudenkmale). Eigentümer des Kulturdenkmals musseine gemeinnützige oder öffentlich-rechtliche Kör-perschaft sein. Wichtig für die Förderung durch dieLandesstiftung ist auch, dass das Denkmal einer Nut-zung im öffentlichen Interesse zugeführt, also der All-gemeinheit zugänglich gemacht werden soll. Bezu-schusst werden (mit einem Fördersatz von in der Re-gel 50%) die nicht denkmalbedingten Erhaltungsauf-wendungen sowie die Aufwendungen für die ge-plante Nutzung, wenn diese gemeinnützig ist.Nach diesen Kriterien kann die Landesstiftung be-sonders in den oben beschriebenen Fallkategorien, indenen ein Kulturdenkmal seine bisherige Nutzungverloren hat und wie Strandgut einem ungewissenSchicksal entgegensieht, unterstützend und helfendtätig werden. Welche große Bedeutung dem Förder-beschluss der Landesstiftung für die gesamte Denk-mallandschaft in Baden-Württemberg zukommt,kann man unschwer an den Denkmalprojekten er-kennen, die bereits in diesem Jahr in das Förderpro-gramm der Landesstiftung aufgenommen wurden.Den mit 2,12 Millionen Euro höchsten Zuschuss er-hielt der Main-Tauber-Kreis für die Klosteranlage inWertheim-Bronnbach. Das ehemalige Zisterzienser-kloster Bronnbach ist unter den vielen hochrangigenKulturdenkmälern in Baden-Württemberg ein Klein-od, das noch viel zu wenig bekannt ist. Trotz gewis-ser Umbaumaßnahmen im 15. und 17. bis 18. Jahr-hundert ist die mittelalterliche Struktur der Kloster-anlage noch weitgehend erhalten. Nach der Säkula-risation fiel das Kloster 1803 an des Fürstenhaus Lö-wenstein-Wertheim-Rosenberg. Im Jahre 1986 über-nahm der Main-Tauber-Kreis die dem Niedergang ge-weihte Klosteranlage in einer Art „Rettungskauf“.Seit dieser Zeit bemüht sich der Landkreis mit Tatkraftund dem Einsatz großer finanzieller Mittel, unter-stützt von der Denkmalförderung des Landes, darum,die weitläufige Anlage schrittweise zu sanieren undmit neuem Leben zu füllen. Unter den noch nicht res-taurierten Gebäuden stechen das so genannte Bursa-riat, ein ehemaliges Wirtschaftsgebäude des Klosters,und die ehemalige Orangerie des Klosters hervor.Beide Gebäude stehen noch leer und bedürfen drin-

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EditorialHeinz Sieche

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gend der Sanierung. Der Main-Tauber-Kreis plant, imBursariat Unterbringungs- und Schulungsräume undin der Orangerie eine Mensa für Studenten, Dokto-randen und Professoren einzubauen. In einem ande-ren ehemaligen Wirtschaftsgebäude des KlostersBronnbach ist bereits eine Außenstelle des Institutesfür Silikatforschung der Universität Würzburg unter-gebracht. Außerdem steht der Abschluss eines Ko-operationsvertrages mit der Universität Mannheimzur Durchführung von Doktorandenkolloquien, Ta-gungen und Seminaren bevor. Weitere Aktivitäten indieser Richtung sind geplant. Sie können jedoch nurdann Erfolg haben, wenn es gelingt, entsprechendeRäumlichkeiten für die Studenten und Professoren inBronnbach zu schaffen. Der Landkreis kann die dafürerforderlichen Gesamtkosten in Höhe von 5,24 Mil-lionen Euro nicht alleine schultern. Durch den nun-mehr beschlossenen Zuschuss der Landesstiftung istder Grundstein gelegt, um zwei weitere bedeutsameGebäude der Klosteranlage Bronnbach auf Dauer zuerhalten und sie gleichzeitig einer adäquaten und imSinne der Zukunftsfähigkeit Baden-Württembergswichtigen Nutzung zuzuführen.Technische Kulturdenkmale spielen im Bewusstseinselbst der denkmalinteressierten Bevölkerung oft nureine untergeordnete Rolle. Dass ihnen auch ein be-sonderer ästhetischer Reiz zukommen kann, beweistdie Linachtalsperre in Vöhrenbach. Sie ist das letzte er-haltene Beispiel des Material sparenden Typs einerSchrägzylinder-Sperrmauer in Europa. In den wirt-schaftlich schlechten Jahren 1922 bis 1925 wurde sievon der Stadt Vöhrenbach im Schwarzwald unter gro-ßen Opfern erbaut, um eine sichere Stromversorgungzu erhalten. Infolge der Veränderungen am Ener-giemarkt musste sie aus technischen und wirtschaftli-chen Gründen im Jahre 1988 endgültig stillgelegt wer-den. Sie kann nur dann als eines der bedeutendstentechnischen Kulturdenkmale Baden-Württembergs fürdie Zukunft erhalten werden, wenn der fortschreiten-de Verfall aufgehalten und das Bauwerk wieder als Tal-sperre zum Aufstau der Linach und zur Stromerzeu-gung genutzt wird. Die kleine Schwarzwaldstadt Vöh-renbach sowie der 1999 gegründete Förderverein„Rettet die Linachtalsperre“ bemühen sich mit gro-ßem Engagement darum. Bei Gesamtkosten von rund3,5 Millionen Euro sind die Stadt und der Fördervereinjedoch auf starke Unterstützung von außen angewie-sen. Durch den von der Landesstiftung beschlossenenZuschuss in Höhe von 1,53 Millionen Euro ist nunmehreine Grundlage geschaffen, auf der die Stadt eine Fi-nanzierung dieses für die gesamte Region bedeutsa-men Projektes aufbauen kann. Mit dem Strom, derdurch die Wiederinbetriebnahme der Linachtalsperreauf regenerative Weise erzeugt werden kann, wird dergesamte Bedarf der Stadt Vöhrenbach gedeckt wer-den. Talsperre und Stausee werden einen einzigartigentouristischen Anziehungspunkt in der Kulturland-schaft des Naturparks Südschwarzwald bilden.Das ehemalige Spital zum Heiligen Geist in Ehingenwurde um 1340 als bürgerliche Stiftung gegründetund im 15. und 16. Jahrhundert zu einer umfängli-chen Hofanlage umgebaut. Es beherbergt heute dasHeimatmuseum der Stadt Ehingen. Die aus dem 15.Jahrhundert stammende Spitalkapelle erfuhr im 18.und 19. Jahrhundert zahlreiche Umnutzungen und

Umbauten. Trotz allem stellt sie auch heute noch einKulturdenkmal von besonderer Bedeutung dar, dasein unverzichtbarer Bestandteil der gesamten Spital-anlage ist. Um dieses Denkmal wieder für die Öffent-lichkeit erfahrbar und nutzbar zu machen, hat sichein „Förderverein zum Heiligen Geist Ehingen“ ge-gründet, der zwischenzeitlich ca. 200 Mitgliederzählt. In einem ersten Bauabschluss ist der Rückbauder Zwischendecken einschließlich der Wiederher-stellung der Maßwerkfenster und die Außeninstand-setzung der Kapelle geplant. Anschließend sollen diebesonders bedeutenden Wandmalereien, die meh-rere Stilepochen von der Gotik bis zum Barock reprä-sentieren, fachgerecht freigelegt und restauriert wer-den. Nach Fertigstellung der Restaurierung und Sa-nierung soll das Bauwerk der Öffentlichkeit zugäng-lich gemacht und als Raum zur Ausstellung von Groß-plastiken genutzt werden. Ohne einen wesentlichenZuschuss zu den Gesamtkosten in Höhe von rund 1,5Millionen Euro wäre der Förderverein nicht in derLage, dieses Vorhaben durchzuführen. Mit dem vonder Landesstiftung gewährten Zuschuss in Höhe von528 000 Euro können die Sanierungsarbeiten nun-mehr begonnen werden.Der Festsaal im über 200 Jahre alten ehemaligenGasthaus „Salmen“ in Offenburg spielt in der badi-schen Geschichte eine bedeutende Rolle. In diesemSaal versammelten sich 1847 die badischen „Verfas-sungsfreunde“ und erhoben jene politischen Forde-rungen nach bürgerlicher Freiheit, die ein Jahr späterInhalt der bürgerlichen Revolution von 1848 wurdenund bis in unsere heutige Verfassungswirklichkeitfortwirken. Ab 1875 diente der Saal der jüdischenGemeinde von Offenburg als Synagoge. Dazu wurdeder Raum entsprechend ausgemalt und die von anti-kisierenden Säulenreihen getragene Empore zu einergeschlossenen Frauenempore verändert. Nach derSchändung im November 1938 wurde der Saal alsWarenlager benutzt. 1997 hat die Stadt Offenburgden Salmen erworben und inzwischen weitgehendals Fest- und Versammlungssaal für die OffenburgerBevölkerung saniert. Um auch seine ursprünglicheNutzung zu dokumentieren, sollen auf der Emporedes Saales die beiden entscheidenden Epochen seinerGeschichte, die badische Revolution und die Erinne-rung an die jüdische Gemeinde, repräsentiert wer-den. Zu den dafür erforderlichen Aufwendungen gewährt die Landesstiftung einen Zuschuss von150 000 Euro.Die Denkmalförderung in Baden-Württemberg ruhtebisher im Wesentlichen auf zwei Säulen, nämlich inerster Linie auf der staatlichen Denkmalförderung,deren Zuschüsse durch das Landesdenkmalamt ge-währt werden, und auf der Denkmalstiftung Baden-Württemberg, die im Jahre 1986 als Stiftung des bür-gerlichen Rechts gegründet wurde und seit ihrerGründung hauptsächlich das private und bürger-schaftliche Engagement in der Denkmalpflege unter-stützt. Mit der hier gewürdigten, zukunftsweisendenEntscheidung der Landesstiftung Baden-Württem-berg gGmbH ist der Denkmalpflege eine dritte Säuleerstanden. Mit ihr wird für eine bestimmte Kategoriegefährdeter Kulturdenkmale, die man als Sorgen-kinder der Denkmalpflege bezeichnen kann, eineGrundlage für die Zukunft geschaffen.

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Ltd. Ministerialrat Dr. Heinz SiecheWirtschaftsministeriumBaden-WürttembergTheodor-Heuß-Straße 470174 Stuttgart

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1995 wurde das Gebäude von seiner letzten Be-wohnerin aus Altersgründen veräußert. Sie hattebis zu diesem Zeitpunkt nur noch einen Bruchteildes Wohnteils bewohnt. Die Landwirtschaft warbereits in den 1960er Jahren aufgegeben wor-den. 1998 machten sich 13 Architekturstuden-ten der TH Karlsruhe daran, ein verformungsge-rechtes Aufmaß dieses Gebäudes zu erstellen.Die dreiwöchige Arbeit förderte eine Reihe vonErkenntnissen zutage, die für die Erstellung desSanierungskonzeptes von großer Wichtigkeit wa-ren. Begleitend zur Untersuchung am Objektwurden die Kirchenbücher und verschiedene Ak-ten (Grundbuch, Brandkasse, Erbverträge) ausge-wertet.Das Gebäude steht hangparallel auf einem sehrflachen Baugrundstück. Es vereinigt Wohn- und

Wirtschaftsteil unter einem Dach. Der östlich ge-legene Wohnteil ist teilweise unterkellert und im Erdgeschoss massiv ausgeführt. Das Oberge-schoss des Wohnteiles entstand in Ständer-Boh-lenbauweise. Der Wirtschaftsteil besteht aus ei-ner reinen Holzständerkonstruktion. Im Wohnteilwurden die Geschosse konstruktiv getrennt von-einander behandelt. Massives Erdgeschoss, höl-zernes Obergeschoss und Dachtragewerk bildenjeweils eine eigene Einheit. Im Bereich des Holz-baus spricht man hier von „kistenweisem Ab-bund“. Der Wirtschaftsteil dagegen ist aus einemGuss; Hoch- und Firstsäulen fassen ihn zu einerEinheit zusammen. Das Gefüge lässt an verschie-denen Stellen deutlich erkennen, dass die mas-siven Wohnteilwände nicht anstelle von ehe-mals hölzernen Ständer-Bohlenwänden einge-

1 Mittelheubronn, Ge-meinde Neuenweg,„Brehhuus“, 1809 erbaut.Massives Erdgeschoss des Wohnteils und Ober-geschoss in Holz. Die ge-alterte Oberfläche desAußenputzes mit dem historischen Farbbefundsoll erhalten bleiben. Lediglich schadhafte Stel-len wurden repariert.

Rauchküche mit schwebendem BadÜber die Nutzbarmachung eines Schwarz-waldhofes

Das „Brehhuus“ im Weiler Mittelheubronn,Gemeinde Neuenweg, LandkreisLörrach, wurde in den vergangenen Jahren saniert und wieder nutzbar ge-macht. Aus den Erkenntnissen einer Bauaufnahme und begleitenden bau-historischen Forschungen wurde das Sanierungskonzept erstellt. Dieses er-laubte, ein Maximum der vorgefundenen Substanz zu erhalten und zugleichdas Gebäude in seinen architektonischen Qualitäten zu stärken. Der Autor ist gleichzeitig Miteigentümer des Schwarzwaldhauses, Planer und ausführen-der Zimmermann bzw. Schreiner.

Florian Rauch

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baut worden sind. Es handelt sich also nicht umein ursprünglich komplett aus Holz konstruier-tes Schwarzwaldhaus, bei dem nachträglich Teiledurch massives Mauerwerk ersetzt wurden. Beim„Brehhuus“ muss vielmehr diese Art der Misch-konstruktion schon bei seiner Erbauung gewähltworden sein. Ende des 18., Anfang des 19. Jahr-hunderts setzte eine Entwicklung ein, die als „Ver-steinerung“ der Schwarzwaldhäuser bezeichnetwerden könnte. Vor allem Brandschutzerlasse,aber auch Holzknappheit und schließlich der da-mals herrschende Zeitgeist forcierten den Massiv-

bau auf dem Lande. Dieser Sachverhalt lässt Rück-schlüsse auf die Entstehungszeit zu, nämlich 1809,wie ein Türsturz datiert ist. Eine ergänzende den-drochronologische Untersuchung bestätigte die-se Jahreszahl als Baujahr.Die Wahl der Mischkonstruktion hat in den ver-gangenen fast 200 Jahren zu statischen Verfor-mungen geführt. Während die Außenwände desWohnteils keine nennenswerten Setzungen er-fuhren, sanken die Innenwände und der Wirt-schaftsteil um ein beträchtliches Maß ab. DieseSetzungen schädigten vor allem im Bereich desDachtragewerkes den Kraftschluss des Bauge-füges. Neben einer Vielzahl von kleineren Um-bauten und Modernisierungsmaßnahmen erfuhr das Haus um die Wende vom 19. zum 20. Jahr-hundert zwei markante Eingriffe: Das Gebäudewurde um eine Stallachse verlängert. Ursprüng-lich hatte der Wohnteil im Verhältnis zum Öko-nomieteil ein bedeutenderes Volumen einge-nommen, was auf die gemischte Erwerbsstrukturim Südschwarzwald hinweist. Neben der Land-wirtschaft waren Hausindustrie und Kleinge-werbe wichtige Grundlagen der Existenz. Der Ein-bau eines Schornsteins markierte das Ende desBetriebs der Rauchküche. Der zweigeschossigeKüchenraum wurde durch eine Zwischendeckegeteilt. Im Erdgeschoss der Rauchküche wurdeein weiterer Raum abgetrennt.Trotz der geschilderten Eingriffe waren vom Trag-werk von 1809 noch ca. 90% erhalten. BaulicheMaßnahmen waren in den meisten Fällen ohne

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4 Die reparierten Stellender Bohlenwände werdensich mit der Zeit farblichan den Altbestand an-gleichen. Die horizontalüber dem Holzgeschossherausstehenden Dielenwerden „Schübe“ ge-nannt. Sie sind Teil derDecke des Wohnteils undbesitzen eine konischeForm. Entstehen durchdas Trocknen des HolzesFugen in der Decke, werden diese Schübe wie Keile eingetrieben.Dadurch werden die benachbarten Dielen wieder zusammenge-schoben und die Klüfteschließen sich.

2 Nach der Herausnahme der Zwischendecke inder ehemaligen Rauchküche ist die ursprünglicheDimension des Raumes wieder erlebbar. Links befindet sich die bisherige alte Befeuerungstellevon „Kunst“ und Kachelofen, auf der rechten Bild-seite der neue Herd für die Holzzentralheizung.

3 Die Sanitärzelle und der Erschließungssteg sindmit Gewindestangen an Überzügen über derWohnteildecke aufgehängt. Durch die Nutzung des Luftraumes der Rauchküche musste keine der Kammern und Stuben zum Bad umfunktioniertwerden.

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Substanzschädigung durchgeführt worden. An„Gebäudetechnik“ gab es zur Zeit der Bauauf-nahme lediglich die „Kunst“ (beheizte Ofenbank)und den Kachelofen als Heizquelle für die Stu-ben, in der Küche eine Wasserstelle. Die elektri-sche Anlage war desolat, das Plumpsklo lag beiden Ställen.Als denkmalpflegerische Zielsetzung für die an-stehende Sanierung wurden folgende Grundsät-ze formuliert:Zum einen die Erhaltung des fast noch komplettvorhandenen Tragwerks als Zeugnis eines um1800 neuartigen Umgangs mit der überliefertenBauaufgabe „Schwarzwaldhaus“. Am Objektsollte weiterhin ablesbar bleiben, dass Teile einesseit jeher als Holzhaus konzipierten Gebäudetypsnun bei seiner Erstellung massiv ausgeführt wor-den waren. Während also im Wohnteil neue Bau-gedanken umgesetzt wurden, hielt man gleich-zeitig im Bereich des Wirtschaftsteiles an derBautradition fest.Zum anderen die Erhaltung des ursprünglichenGrundrisses. Beide Grundsätze erschienen ausdokumentarischen Gründen besonders wichtig,da die Entwicklung des Schwarzwaldhauses im19. und 20. Jahrhundert und seine Verbreitungbisher wissenschaftlich nicht genügend aufgear-beitet worden ist. Die einschlägige Literatur überdie Schwarzwaldhäuser behandelt zum Großteildie ältesten uns bekannten Gebäude, währendjüngere Bauten nur vereinzelt Gegenstand derForschung sind. Weiteres wichtiges Ziel der In-standsetzung war die Erhaltung, Reparatur undErgänzung der historischen Ausstattungsdetails,

wie Kachelofen, Dielenböden und Lamperien so-wie Türen und Fenster.Die Sanierung wurde zunächst in zwei Bauab-schnitte unterteilt. Im ersten Bauabschnitt sollteein kostengünstiger Sofortmaßnahmenkatalogumgesetzt werden, um so schnell wie möglichdie Bewohnbarkeit des Hauses wieder herzustel-len. Nur so würde seine Erhaltung als Gesamtheitweiterhin gewährleistet werden können. In die-sem ersten Teil der Sanierung sollten weiter an-gemessene Lösungen gefunden werden, um dasbeträchtliche Maß an bisher nicht vorhandenerzeitgemäßer Haustechnik und Wärmeschutz in-telligent in die Substanz einzupassen. Der zweiteBauabschnitt wird zukünftig den Ökonomieteilund das Dachtragewerk umfassen. Langfristig istan eine landwirtschaftliche Nutzung und eineWerkstatt gedacht, aber auch andere Nutzungensind weiterhin denkbar.Wichtig war deshalb die erste grundsätzliche Sa-nierungsentscheidung: Die Wohnfunktionen soll-ten auch in Zukunft nur im ehemaligen Wohnteiluntergebracht werden. Im Wirtschaftstrakt bleibtso ein größtmögliches Nutzungspotential erhal-ten. Das Erdgeschoss bot aufgrund seiner hohenund hellen Räume Platz für Nutzungen mit „er-höhtem Verkehrsaufkommen“, für Erschließung,Wohnen, Kochen, Büro. Im dämmrigen und nie-deren Obergeschoss dagegen sollten die Schlaf-räume entstehen.Durch die Herausnahme der mittlerweile baufäl-lig gewordenen Zwischendecke in der ehemali-gen Rauchküche wurden die ursprünglichenRaumdimensionen wieder erlebbar. In den ent-standenen zweigeschossigen Raum konnte imObergeschoss ein Erschließungssteg eingehängt

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5 Die isolierten Bohlen-wände des Obergeschos-ses sind auf der Innen-seite mit Dielen verklei-det. Im Türbereich isteine Innentüre in derEbene der neuen Wand-verkleidung eingefügtworden. Zur Verbesse-rung der Belichtung wur-de die jeweils obersteDiele eines Bohlenge-faches herausgenommenund durch eine Isolier-glasscheibe ersetzt.

6 Die Kammerwände mit dem durchlaufendenBelichtungsband.

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7 Das Tragwerk von1809, axonometrischeDarstellung ohne Spar-renlage und ohne Hoch-einfahrt. Deutlich zu erkennen ist die unter-schiedliche konstruktiveDurchbildung von Wohn-und Wirtschaftsteil.Während die Stockwerkeim Wohnteil getrennteEinheiten bilden, werdensie im Wirtschaftsteil von den Hochsäulen zueiner Einheit zusammen-gefasst.

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werden, der die völlige Neuorganisation des Ober-geschosses ermöglichte. Aus drei Durchgangs-kammern wurden drei separat benutzbare Schlaf-räume. Ebenfalls eingehängt wurde eine vorge-fertigte Sanitärzelle. Dadurch musste keine derKammern zum Bad umfunktioniert werden. Diese„Implantate“ ermöglichten es, alle neuen Funk-tionen gänzlich im historischen Wohnteil unter-zubringen. Eingriffe in die historische Substanzkonnten auf diese Art und Weise gering gehaltenwerden. Gleichzeitig wurden die Einbauten alsarchitektonische Elemente der Gegenwart kennt-lich gemacht.Nach intensiver Auseinandersetzung mit derStänder-Bohlen-Bauweise wurden für die Wär-medämmung und die Belichtung der Kammernangemessene Sanierungsdetails entwickelt. Dienach innen aufgedoppelten, mit Flachs isoliertenBohlenwände erzielen jetzt, was ihre Wärme-dämmung anbelangt, den Standard eines Niedrig-energiehauses! Die historischen Drehzapfentürenerhielten in der Ebene der neuen inneren Wand-verkleidung eine zweite Bohlentüre. Diese Innen-türe besitzt eingenutete Gummidichtungen, umIsolierung und Winddichtigkeit zu optimieren.Über die Türen wird der Raum auch in Zukunftbelüftet werden. Ein Umstand, der sich positivauf die Konstruktion der neuen Kammerfensterauswirkt, denn diese können als Festverglasun-gen ohne starke Profile und Beschläge ausgebil-det werden. Deshalb wurde einfach die jeweilsoberste Diele eines Bohlenfeldes durch eine Iso-lierglasscheibe ersetzt – eine transparente Bohlesozusagen. Zu diesem Zweck musste das Trag-werk nicht geschädigt werden, da die fast 200Jahre alten Einfädelstellen der Dielen wieder be-nutzt werden konnten. Auf diese Weise entstan-den große Lichtschlitze, die die Maßstäblichkeitder Wand aufnehmen und sich von außen kaumvon den dunklen Bohlen unterscheiden.Diese historischen „Einfädelstellen der Dielen“wurden ebenfalls dazu herangezogen, die neuen

Zugänge von dem Erschließungssteg zu denKammern herzustellen. Aus den herausgenom-menen Dielen wurden Schiebetüren gefertigt, dienun die neuen Zugänge verschließen.Bei der Materialwahl orientierte man sich stark anden bereits im Haus verwendeten historischenBaustoffen. Diese besitzen eine gute Alterungs-fähigkeit und werden durch Gebrauch und Be-witterung nicht unansehnlich, sondern ent-wickeln ganz eigene ästhetische Qualitäten.Heutzutage werden sie in der Werbung als „öko-logische Baustoffe“ angepriesen. Verformungenund Gebrauchsspuren wurden nicht wegretu-schiert, sondern als „Ästhetik des Alters und desAlterns“ bewusst belassen und respektiert.Neues wird nicht verborgen, so z. B. die Sanitär-zelle oder die thermische Solaranlage: Diesewurde nicht in die einheitliche große Dachflächeintegriert, sondern aufgeständert vor den Öko-nomieteil gestellt. So wahrt das Haus auch vonder Ferne seine harmonische Einbindung in dieLandschaft des Belchens.Insgesamt stehen die Sanierungseingriffe in derTradition der Anpassung und Umgestaltung derBausubstanz auf die Nutzungsbedürfnisse der je-weiligen Generation. Die Instandsetzung des„Brehhuus“ stellt einen bedenkenswerten An-satz in der notwendigen Diskussion um die Bau-kultur im „Naturpark Südschwarzwald“ dar.

Literatur:

Hermann Schilli: Das Schwarzwaldhaus, Stuttgart1953.Ulrich Schnitzer: Schwarzwaldhäuser von gestern fürdie Landwirtschaft von morgen. Arbeitsheft des Lan-desdenkmalamtes Baden-Württemberg 2, Stuttgart1989.

Florian Rauch Brauerstraße 3a76137 Karlsruhe

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Steinzeitliche Landnutzung und Kulturlandschaft

Denkmäler sind materielle menschliche Hinterlas-senschaften von historischer Bedeutung, die übereinen möglichen, aber nicht notwendigen ästhe-tischen Stellenwert hinaus historische Quellen zurKenntnis früheren menschlichen Lebens sind.

Diese Definition verleiht nicht nur Bauwerken,Geräten, Kunstwerken, nicht nur Knochen oderPflanzenresten Denkmalcharakter, sondern auchLandschaftsteilen oder ganzen Landschaften, dienicht nur Kulisse vergangenen Lebens waren,sondern als Stätte der Nahrungs- und Rohstoff-gewinnung durch diese wirtschaftliche Nutzungerst geformt wurden. Zugleich waren diese Ört-lichkeiten die essentielle Grundlage menschlicherKultur, denn Nahrungsproduktion ist essentiell.Bei solcher aus wirtschaftlicher Notwendigkeit er-wachsener Kulturlandschaft denkt man beispiels-weise an Streuobstwiesen, an alte Weinberge mitihren von vielen Generationen in mühseliger Ar-beit aufgeschichteten Trockenmauern, an alteAckerterrassen und Wölbäcker, an Heiden undMagerrasen als Relikte jahrhunderterlanger ex-tensiver Weidewirtschaft, an Nieder-, Mittel-, Hu-dewälder sowie Kohlplätze als Zeugen früherervielfältiger Waldnutzung oder – besser – Wald-ausbeutung.Die Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen.Alle diese Objekte haben eine gemeinsame Ver-gangenheit, können aus heutigem Blickwinkelbei etwas großzügiger Sicht als kontemporär an-

1 Forchtenberg (Hohen-lohekreis), Versuchs-fläche beim Büschelhof.Die überbrannte Flächekurz vor Abschluss desBrandes; auf der Flächewerden bereits Probenentnommen und Mes-sungen vorgenommen.

Eine steinzeitliche Miniatur-Kulturlandschaftin HohenloheDenkmal früherer Landnutzung ausder Retorte

Was bringt durchaus ernsthafte Wissenschaftler unterschiedlichster Fachrich-tungen – Landwirte, Geographen, Biologen, Bodenkundler, Forstwirte, Archä-ologen, alle im Berufsalltag vorwiegend Schreibtischtäter – dazu, in einem abgelegenen Wald in Hohenlohe mit Steinbeilen Bäume abzuschlagen, ein-gehüllt in Qualm und Lohe brennende Holzhaufen mit langen Haken über den Boden zu ziehen oder ein Getreidefeld mühselig Ähre für Ähre mit blo-ßen Händen abzuernten? Nein, es ist nicht die Suche nach neuen Heraus-forderungen der besonderen Art, keine neue Methode zur Bewältigung post-moderner Midlife-Crisis, sondern wissenschaftlich-historisches Interesse aufden Spuren einer längst vergangen Kulturlandschaft. Und da diese Spurenlängst verwischt sind, werden sie gewissermaßen neu gelegt. Zum besserenVerständnis muss diese Geschichte jedoch von Anfang an erzählt werden.Dann wird auch klar, warum ein Bericht darüber im Nachrichtenblatt des Lan-desdenkmalamts erscheint und warum die Landesforstverwaltung solcheDinge nicht als groben Forstfrevel ahndet, sondern ihren Wald dafür hergibt,und sich sogar aktiv an dem Projekt beteiligt.

Manfred Rösch

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gesehen werden, zumindest was den Verlust ih-rer wirtschaftlichen Funktion betrifft. Mit Beginndes Industriezeitalters wurden sie überflüssig undzu Fossilien, die durch Nutzungsaufgabe oderNutzungsänderung zunehmend verschwinden.Ihr Ende ist also klar, synchron und vorgezeichnetund, ob und wie es partiell von Denkmal- und Na-turschutz verhindert werden kann, nicht unserThema.Ihr Beginn führt unterschiedlich weit zurück in dieVergangenheit, bei den zentralen, – da fürmenschliche Nahrungswirtschaft essenziellen –Ackerfluren und Heiden/Magerrasen/Hudewäl-dern keineswegs jedoch weiter als höchstens4000 Jahre, nämlich bis in die Bronzezeit. Bis dalassen sich die noch in der frühen Neuzeit gülti-gen ausgeklügelten Landnutzungssysteme zu-rückverfolgen, die auf einer Kombination vonAckerbau auf kleiner und Viehhaltung auf großerFläche beruhen. Dabei kam dem Vieh die Rolledes Vehikels zu, auf den großen Flächen – Hude-wälder, Heiden – Nährstoffe einzusammeln, diedann als Dünger auf den Äckern die Produktionvon menschlicher Nahrung ermöglichten, ein Sys-tem, das vor Erfindung der künstlichen Düngungüber einige Jahrtausende funktionierte, wenn-gleich mühsam, nicht ohne Krisen und keines-wegs üppig. Ob es heute auch funktionierenwürde oder ob das Industriezeitalter gerade nochrechtzeitig kam, ist eine andere Frage.Uns interessiert jedoch hier, was eigentlich in denmehr als drei Jahrtausenden davor war, denn dieGeschichte bäuerlicher Landnutzung in Mitteleu-ropa beginnt spätestens mit der Linearbandkera-mik, also Mitte des 6. Jahrtausends v. Chr. Spurendieser Landnutzung sind in der Landschaft nichtmehr erhalten, sieht man von alten Kolluvien ab.Kolluvien sind Oberböden, die in der Folge vonRodung und Ackerbau in Hanglagen erodiert undam Hangfuß wieder abgelagert wurden. Da esaus dieser Zeit keine schriftlichen Quellen gibt,beruhen unsere Vorstellungen zur jungsteinzeitli-chen Landnutzung und Kulturlandschaft alleinauf archäologischen Funden: Geräten zur Ernteoder Feldbestellung, Gefäßen zur Vorratshaltung,auf Resten von Nutzpflanzen und Unkräutern ausSiedlungen sowie auf Pollenanalysen.Aus diesen Indizien kann geschlossen werden,dass die jungsteinzeitliche Landnutzung und Kul-turlandschaft keineswegs eine Frühform, ein Vor-läufer der metallzeitlichen war, sondern etwas Ei-genständiges, völlig Andersartiges. Das steinzeit-liche Getreidefeld hat mit dem mittelalterlichenWölbacker so wenig gemein wie dieser mit demMaisfeld des 20. Jahrhunderts. Die Gründe sindnicht quantitativer Natur, also beispielsweise ge-ringere Besiedlungsdichte und Nutzungsinten-sität, sondern qualitativer. Der steinzeitlichen

Landnutzung lagen andere wirtschaftliche Kon-zepte zugrunde, die sich die Gunst eines nochnicht durch jahrtausendelange Ausbeutung ver-armten Naturraums zunutze machten. Wie diese im Einzelnen funktionierten und sichim Laufe der Geschichte veränderten, ist Gegen-stand aktueller Forschung und kontroverser wis-senschaftlicher Diskussion. Dabei kommt der ex-perimentellen Überprüfung besondere Bedeu-tung zu.

Die Anbauversuche in Hohenlohe

Im Jahre 1994 wurde auf Initiative des Landes-denkmalamtes im Hohenloher FreilandmuseumSchwäbisch Hall-Wackershofen mit Anbauversu-chen zur mittelalterlichen und prähistorischenLandwirtschaft begonnen. Ziel war, die im Zugeder siedlungsarchäologischen Untersuchungenim Alpenvorland erarbeiteten Modellvorstellun-gen zum spätneolithischen Wald-Feldbau experi-mentell zu überprüfen und in Aufwand und Er-trag mit mittelalterlicher Dreifelderwirtschaft zuvergleichen. Wald-Feldbau mit Feuereinsatz –auch unter den englischen Begriffen „shiftingcultivation“ bzw. „slash-and-burn culture“ be-kannt – ist möglich, wenn ackerfähiges, bewal-detes Gelände ausreichend verfügbar ist. NachEinschlag des Waldes wird das trockene Holz vorOrt verbrannt und auf dieser Fläche für ein oderwenige Jahre Ackerbau betrieben. Danach wech-selt man in ein anderes Waldstück, die alte Flächefällt brach, und aus den Stockausschlägen derLaubhölzer entsteht binnen ein bis zwei Jahr-zehnten ein Niederwald. Dann hat sich der Bodeneinigermaßen erholt, und es haben sich wiederNährstoffe in der lebenden Biomasse angesam-melt, sodass ein erneuter Anbauzyklus ablaufen

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2 Veränderungen derStickstoffversorgung derÄcker vom Altneolithi-kum bis zum Hochmittel-alter (durchschnittlicheStickstoff-Zeigerwertenach Ellenberg der Acker-unkraut-Flora archäologi-scher Getreide-Vorrats-funde) und Vergleich mitrezenten Testflächen. Aus dem Diagramm gehthervor, dass die Frucht-barkeit der Äcker in derJungsteinzeit deutlichgrößer war als in denMetallzeiten und dass sie von der Bronzezeit bis ins Hochmittelalterweiter zurückging. ImVergleich dazu zeigen die heutigen Versuchs-flächen in Wackershofenund Forchtenberg eben-so wie moderne, nichtkünstlich gedüngte Äckerauf Torfböden ähnlichgute Nährstoffversorgungwie in der Jungsteinzeit.

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4 Die Zusammenset-zung und Organisationder Arbeitsgruppe „Anbauversuche Forch-tenberg“.

3 Blockdiagramm des Kochertals bei Forchten-berg. Das Keuper-Schicht-stufenland ist mit Wein-bergen an den Südhän-gen besetzt, die Versuchs-anlage beim Büschel-hof liegt am Südrand der Hochfläche (Kreis).Nach Schulz (1999).

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5 Brennen einer Schlag-fläche im Herbst zur Vor-bereitung des Getreide-baus.

6 Frisch aufgelaufenerWinterweizen auf demBrandfeld im Dezember.

kann. Solche als primitiv, archaisch und wenignachhaltig geltenden Nutzungsformen sind nichtnur aktuell in den Entwicklungsländern verbrei-tet, sondern waren bis vor wenig mehr als 100Jahren noch in abgelegenen und wirtschaftlichrückständigen Gebirgsgegenden Mitteleuropasbekannt.Nach einigen Jahren des Experimentierens inWackershofen war klar, dass dort geeigneteWaldflächen nicht in ausreichender Größe zurVerfügung stehen, zumal die Rekonstruktionsteinzeitlicher Landnutzung nicht unbedingt indas Konzept eines Museums passt, das die Dar-stellung regionaler ländlicher Volkskultur derfrühen Neuzeit zum Thema hat. Daher verblieb inWackershofen nur die Dreifelderwirtschaft, die,was die geringen Erträge und die Verunkrautunganbetrifft, mittlerweile ein gutes und wirklich-keitsnahes Bild mittelalterlicher Landwirtschaftbietet. So haben sich, die Gunst der Stunde nut-zend, bereits drei in den Roten Listen bedrohterPflanzen geführte Unkräuter, spontan und ohnefremdes Zutun, vermutlich aus der Samenbankdes Bodens wieder eingefunden.Der Wald-Feldbau wurde in einen Wald nördlichForchtenberg am Kocher (Hohenlohekreis) verla-gert, den die Landesforstverwaltung für mindes-tens zwanzig Jahre zur Verfügung gestellt hat.Hier ist seit 1997 eine interdisziplinäre Arbeits-gruppe tätig, an der neben dem Landesdenkmal-amt und der Landesforstverwaltung die Univer-sitäten Freiburg, Hohenheim und Würzburg so-wie das Max-Planck-Institut für FeuerökologieFreiburg beteiligt sind. Hier wird nun, mit finanzi-eller Unterstützung durch die Stoll-VITA Stiftung,Waldshut, und die Stiftung Würth, Künzelsau,ein schöner und – was den möglichen künftigenHolzertrag betrifft – hoffnungsvoller Wald syste-matisch und scheibchenweise mit Feuer und Axtverwüstet und nach einer kurzen Ackerbauphasedem Chaos aus Disteln und Gestrüpp überlassen,und das alles nach einem ausgeklügelten, ge-nauen Versuchsplan, mit List und Tücke. Dochdamit nicht genug. Zusätzlich werden aus Wa-ckershofen Ziegen herangekarrt, die sich nun inder Waldeinsamkeit vom Publikumsverkehr undfetten Gras ihres Museums erholen und an Dis-teln und Dornen laben dürfen, was sie auch mitBegeisterung tun.Wie bereits angedeutet, ist das Ganze kein Frei-zeitvergnügen spleeniger Wissenschaftler, son-dern hat einen ernsten Hintergrund, der in denfolgenden Fragen zum Ausdruck kommt:Wie hat es der jungsteinzeitliche Mensch mit sei-nen begrenzten technischen Möglichkeiten in ei-ner völlig vom Wald überwucherten Landschaftgeschafft, erfolgreich Landwirtschaft zu treibenund dabei zu überleben, eine Kunst, die in der

heutigen Landwirtschaft trotz Entwaldung undEU-Subventionen nicht leichter geworden ist?Wie hat er dabei den Naturraum verändert undwie haben diese Umweltveränderungen wie-derum seine Wirtschaftsweise beeinflusst?In den nächsten zwanzig Jahren sollen in Forch-tenberg befriedigende Antworten auf diese Fra-gen gefunden werden. Nebenbei entsteht dabeidas Modell einer jungsteinzeitlichen Kulturland-schaft, der zur Vollständigkeit und musealen Ver-wertbarkeit nur noch entsprechende Baulichkei-ten und Infrastruktur fehlen.Gegenwärtig werden jedoch auf Teilflächen vonjeweils 30 × 30 m – davon stehen insgesamt 34zur Verfügung – verschiedene wissenschaftlicheFragen verfolgt. Es geht dabei um kurzfristigenAnbau und anschließende Waldbrache im Ver-gleich zum Daueranbau, um die Auswirkung vonBeweidung, um die Vor- und Nachteile von Som-mer- und Wintergetreide und vieles mehr. Unter-sucht werden nicht nur die Ertragsmengen, dieVegetation, die Struktur, der Nährstoffgehalt unddie Biologie des Bodens, der Pollen- und Holz-kohleniederschlag aus der Luft, die Klimabedin-

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gungen, sondern auch der Arbeitsaufwand beimHolzfällen, Brennen, bei der Bodenbearbeitungund Ernte unter Anwendung von Geräten undVerfahren, wie sie in der Jungsteinzeit möglichund wahrscheinlich waren.

Erste Ergebnisse – kurz und stichwort-artig skizziert:

1. Der Anbau mit Herbstbrand nach Einschlag imVorjahr ist unproblematisch und liefert guten undsicheren Ertrag bei recht geringem Arbeitsauf-wand. Die Aussaat erfolgt wenige Tage nach demBrand in Saatlöcher, die mit einem Stock in denBoden gedrückt und nach Ablage der Körner mit

dem Fuß verschlossen werden. Unkraut ist im ers-ten Jahr kein Thema, weil die Wald- und Schlag-pflanzen, durch den Brand geschädigt, den Ent-wicklungsvorsprung des Getreides nie mehr auf-holen können. Begünstigt durch die durch dasFeuer mobilisierten Nährstoffe liefert der WeizenErträge von 25 Doppelzentnern pro Hektar imMittel, das sind 250 g pro m2 oder etwa das 23-fache der Saatmenge. Das ist immerhin ein Vier-tel der Durchschnittserträge in der modernenHigh-tech-Industrie-Landwirtschaft und eineAusbeute, von der mittelalterliche Landwirte nurträumen konnten.2. Es sei allerdings nicht verschwiegen, dass dieseErträge errechnet sind und nur teilweise tatsäch-lich eingefahren wurden. Ein beträchtlicher Teildes Getreides wird nämlich von den Waldmäusengeerntet, und an adäquaten und dem jungstein-zeitlichen Landwirt möglichen Verfahren, dies zuverhindern, wird noch gearbeitet.3. Der Brand im Frühjahr und der nachfolgendeAnbau von Sommergetreide ist ebenfalls mög-lich. Eine Kombination beider Anbauarten zur Ri-sikominderung und um Arbeitsspitzen zu entzer-ren, war vielleicht schon in der Steinzeit üblichund wird als Arbeitshypothese weiter verfolgt.4. Fortgesetzter Anbau auf der gleichen Flächewirft dagegen erhebliche Probleme auf. Bereitsim zweiten Anbaujahr drohen die Unkräuter –Disteln, Weidenröschen, Himbeeren und Gräser,durchweg Pflanzen von Waldlichtungen – dasGetreide zu ersticken. Trotz fleißigen Jätens wares bisher kaum möglich, mehr zu ernten, als aus-gesät wurde. Hilfreich wäre erneutes Brennen,doch scheitert das aus Mangel an Brennmaterial,es ei denn, man schafft trockenes Holz aus größe-rer Entfernung herbei. Versuche zur Unkrautre-gulierung durch Beweidung mit Ziegen sind inder Anlaufphase und werden fortgesetzt. Überden Einsatz von Rindern, Schafen und Schweinenwird nachgedacht.5. Als Fazit bleibt festzuhalten: Ackerbau auffrisch eingeschlagenen und überbranntenFlächen ist ein besonders effektives Verfahren zurErzeugung von Getreide. Für seine alleinige undständige Anwendung ist die ständige Verlage-rung der Anbauflächen innerhalb einer Wald-landschaft nötig.6. Der Untersuchung der gesamten ökologischenKausalzusammenhänge und der Evaluierung ab-geleiteter oder andersartiger für die Jungsteinzeitmöglicher und funktionsfähiger Anbauverfahrengilt das künftige Augenmerk des Projekts.

Literatur:

Bauer, U. (1998): Die Entwicklung von Anbauverfah-ren im Ackerbau. In: Fansa, M. (Hg.): Experimentelle

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8 Rand des Getreidefeldsim Mai. Auf dem ge-brannten, aber nicht be-bauten Boden entwickeltsich eine Unkrautvegeta-tion, während das bereitsweiterentwickelte Ge-treide weitgehend un-krautfrei ist.

7 Getreideerträge undMäusefraßschaden beim Wald-Feldbau undin der Dreifelderwirt-schaft – verschiedeneVersuchsanordnungen.

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Archäologie – Bilanz 1997. Archäologische Mittei-lungen aus Nordwestdeutschland, Beiheft 19, 1998,21–33.Lüning, J. (1980a): Getreideanbau ohne Düngung.Archäologisches Korrespondenzblatt 10, 1980,117–122.Lüning, J. (1980b): Steinzeitlicher Ackerbau im Ham-bacher Forst. Mitteilungen der Universität Köln1980, 29–30.Lüning, J. (2000): Steinzeitliche Bauern in Deutsch-land – Die Landwirtschaft im Neolithikum. Univer-sitätsforschungen zur Prähistorischen ArchäologieBand 58, Bonn 2000.Lüning, J. u. Meurers-Balke, J. (1980): Experimen-teller Getreidebau im Forst, Gemeinde Elsdorf,Kr. Bergheim / Rheinland. Bonner Jahrbücher 180,1980, 305–344.Meurers-Balke, J., Lüning, J. (1990): Experimente zurfrühen Landwirtschaft. Experimentelle Archäologiein Deutschland. Archäologische Mitteilungen ausNordwestdeutschland, Beiheft 4, 1990, 82–92.Reynolds, P. (1977): Slash and Burn experiment fromthe Butser Ancient Farm project in Hampshire. TheArcheological Journal 134, 1977, 307–318.Rösch, M. (1990): Veränderungen von Wirtschaftund Umwelt während Neolithikum und Bronzezeitam Bodensee. Berichte der Römisch-GermanischenKommission 71, 1990, 161–186.Rösch, M. (1998): Anbauversuche zur (prä-)histori-schen Landwirtschaft im Hohenloher Freilandmu-seum Schwäbisch Hall-Wackershofen. In: Fansa, M.(Hg.), Experimentelle Archäologie in Deutschland –Bilanz 1997. Archäologische Mitteilungen aus Nord-westdeutschland, Beiheft 19, 1998, 35–43.Rösch, M. (2000): Anthropogener Landschaftswan-

del in Mitteleuropa während des Neolithikums – Be-obachtungen und Überlegungen zum Verlauf undmöglichen Ursachen. Germania 78, 2000, 293–318.Schulz, E. (1999): Zur Entstehung mitteleuropäischerKulturlandschaft – Beobachtungen und Experimentein Hohenlohe. Würzburger Geographische Manu-skripte 50, 1999, 275–296.Steensberg, A. (1979) Draved: an experiment inStone Age agriculture: burning, sowing and harves-ting. Kopenhagen 1979.

Univ.-Doz. Dr. Manfred RöschLDA · Archäologische DenkmalpflegeFischersteig 978343 Gaienhofen-Hemmenhofen

9 Auch das reife Ge-treidefeld ist kurz vor der Ernte Mitte Juli fastunkrautfrei, während sich in der Umgebungeine typische Schlagflurentwickelt hat, die abergerade erst zur Blütekommt.

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Eine Bauanfrage und ihre Folgen

Im Rahmen eines Ortstermines in Endingen amKaiserstuhl, Landkreis Emmendingen, wurde diezuständige Gebietskonservatorin mit der Bau-voranfrage „Abbruch des Wohngebäudes mitScheune und Neubau von zwei Häusern mitStellplätzen“ konfrontiert. Das in sich geschlos-sene Anwesen liegt hinter der WallfahrtskircheSt. Martin im so genannten Martinskirchgässli(Abb. 1). Das Grundstück ist mit Wohnhaus,Scheune und einem kleinen Schopf bebaut undvon der Gasse durch einen Torbogen, datiert1570, zu erreichen. Während des Ortsterminswurde deutlich, dass die Erben das Anwesen, das

als Kulturdenkmal eingestuft ist, verkaufen woll-ten. Wegen angeblicher Baufälligkeit fanden sichjedoch zunächst keine Kaufinteressenten. Dahersollte an einen Investor verkauft werden, dernach Abbruch der bestehenden Gebäude dasGrundstück mit einem Eigentumswohnkomplexbebauen wollte.Nach einer ersten Objektbegehung wurde ein Listentext entworfen, der die Sachgesamtheitnach §2 DSchG als aussagekräftiges Dokumentfür das vorwiegend ländlich bestimmte Endingenim 16. und 17. Jahrhundert beschrieb und auch –basierend auf der dendrochronologischen Unter-suchung – von einem spätmittelalterlichen Kerndes Wohnhauses des 15. Jahrhunderts ausgeht.

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1 Stadtzentrum von Endingen. Das Haus Mar-tinskirchgässli 4 ist mit einem Pfeil markiert.

Martinskirchgässli 4 in Endingen am KaiserstuhlEin geretteter Abbruchkandidat und seine Aussagen zur Stadtgeschichte

Das gut funktionierende Zusammenspiel aller Beteiligten – Bauherr, Stadt, Architekt, Bau- und Bodendenkmalpflege – sicherte den Fortbestand einesGebäudes. Während der Restaurierungsarbeiten wurde ein reicher Schatz an historischen Quellen geborgen, der im folgenden Beitrag aus dem Blick-winkel der Denkmalpflege und des Architekten dokumentiert wird.

Rolf Brinkmann / Bertram Jenisch / Susanna Schönecker

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Die Bauvoranfrage wurde von Seiten der Denk-malpflege abgelehnt. Mehrere Gespräche mit denEigentümern, der Erbengemeinschaft, folgten. Zielder Denkmalpflege war es, zu diesem Zeitpunkteinen Käufer für den Gebäudekomplex zu finden,der ihn erhalten wollte. Die denkmalgeschützteSachgesamtheit erhielt schließlich von seinenEigentümern eine bedingte Chance: Binnen einerFrist von acht Wochen sollte ein Käufer gefundenwerden. Mit der Unterstützung der Stadt Endin-gen fanden sich im allerletzten Augenblick mit ei-ner ortsansässigen Familie Kaufinteressenten, diebereit waren, die historischen Gebäude zu er-werben, um sie behutsam zu sanieren. Im Rah-men eines Vermittlungsgespräches zwischen denEigentümern, den potentiellen Käufern, dem Bür-germeister und der Denkmalpflege wurde einefür alle Beteiligten einvernehmliche Lösung ge-funden.Die neue Bauherrschaft beauftragte einen mitAltbausanierungen erfahrenen Architekten mitder Planung. Grundlage für das Sanierungs- undNutzungskonzept, das die denkmalpflegerischenBelange berücksichtigte, war zunächst eine Bau-aufnahme (Genauigkeitsstufe III) mit Schadens-bildkartierung. Nutzungsüberlegungen wurdenvon Seiten der Bauherren angestellt, die sich inGesprächen mit der Denkmalpflege zu einemdenkmalverträglichen Konzept entwickelten.Anhand gelungener Beispiele restaurierter histo-rischer Gebäude konnte durch den Architektendas Vorurteil widerlegt werden, dass gewisseAbstriche an moderne Wohnkultur das Leben inalten Häusern unzumutbar mache. Für den Ei-gentümer bedeutete dies Flexibilität bei der Erar-beitung des Nutzungkonzepts, Kompromissfä-higkeit und die Bereitschaft, ein höheres finanzi-elles Engagement zu wagen, das durch eine För-derung seitens der Denkmalpflege abgefedert

wurde. Die Lösungsvorschläge des Architekten,die sich eng am Bestand orientierten, waren dieGrundlage einer Planung, bei der denkmalpfle-gerische Belange weitgehend berücksichtigt wer-den konnten. Am 18.11. 1998 konnte die denk-malschutzrechtliche Genehmigung für die Siche-rungs – und Erhaltungsarbeiten an dem Objekterteilt werden, welche die Grundlage der Pla-nung und des Zuschussantrages bildete. Das An-wesen erhielt somit eine Chance, „weiter zu le-ben“. Durch die umsichtige Vorgehensweise beiPlanung und Durchführung der Baumaßnahme,in enger Abstimmung mit dem Landesdenkmal-amt, ergaben sich über die Erhaltung des Gebäu-des hinaus tiefe Einblicke in die Siedlungsge-schichte des Platzes. In 14-monatiger Bauzeitwurden die Gebäude in ihrer Gesamtheit untergrößtmöglicher Erhaltung der historischen Sub-

stanz stabilisiert, repariert und saniert. Bemer-kenswert ist dabei, dass der Architekt zugleichdie Bauforschung übernahm. Er stand nicht nurin ständigem Kontakt mit der Bau- und Kunst-denkmalpflege und der Archäologie des Mittel-alters, sondern beteiligte sich am Erforschen undErkunden der historischen Substanz durch Beob-achtungen, dokumentierte diese baubegleitendund setzte sie in einen geschichtlichen Zusam-menhang.Ein weiterer glücklicher Umstand war ab 1999die Bestandserhebung zur Erstellung des Archäo-logischen Stadtkatasters der Stadt Endingen amKaiserstuhl. Dadurch konnte eine ganzheitlicheBetrachtungsweise des Objektes auch innerhalbder Denkmalpflege ins Auge gefasst werden.Funde, die der Architekt sicherstellte, und solche,die bei einer erforderlichen Sondagegrabung ge-borgen wurden, erweiterten die Erkenntnisse,

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2 Vom Martinskirchgässlibetritt man durch einenTorbogen das Anwesen.Aufnahme von 1968 mitursprünglicher Erschlie-ßung der Nachbarbebau-ung.

3 Martinskirchgässli 4.Hofseitige Fassade vorder Renovierung.

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welche im Rahmen der Arbeit des Archäologi-schen Stadtkatasters durch Aktenstudium zuTage kamen. Die Siedlungsgeschichte der StadtEndingen bzw. der Region kann dadurch, in meh-rere Zeitphasen gegliedert, am Objekt Martins-kirchgässli 4 abgelesen werden.

Statt Abriss und Neubebauung mit Eigentumswohnungen Erhaltung eines Ackerbürgerhauses aus dem 16. Jahrhundert

Bestandsbeschreibung aus der Sicht des Architek-ten, Stand Januar 1998Vom Martinskirchgässli her betritt man durch ei-nen Torbogen, zwischen zwei Nachbargebäudenhindurch, den nordöstlichen Hofraum des Anwe-sens, der auf den Seiten durch eine hohe Mauerund eine neuzeitliche Garage abgeschlossen ist(Abb. 2). Im Südwesten wird der Hofraum durchdas Wohngebäude mit der rechtwinklig zu sei-ner Traufe angeordneten Scheune begrenzt. Daszweigeschossige Wohnhaus mit Satteldach isttraufständig, die Scheune zeigt über massivemUntergeschoss im Ober-und Dachgeschoss gie-belständiges Sichtfachwerk und ein Krüppelwalm-dach. Unmittelbar an den südöstlichen Wohn-hausgiebel ist ein Nachbargebäude angebaut. ImKeller- und Erdgeschoss erstrecken sich Teile desWohnhauses in dieses Gebäude hinein, Folge derimmer wieder erfolgten Erbteilungen, die auch zu der heute vorherrschenden Kleinteiligkeit derParzellen geführt haben. Die nordwestliche Scheu-nenwand ist durch einen schmalen Schlupf vom

Nachbargebäude getrennt. Während sich an dieRückseite der Scheune ein mauerumschlossenerkleiner Hof anschließt, ist die südwestliche Rück-seite des Wohnhauses bis dicht an die Nachbar-grenze gerückt.Die Fenster- und Türöffnungen in den Trauffassa-den sind unregelmäßig in Form und Verteilung(Abb. 3). Dies und der Grundriss des Hauses deu-ten auf bauliche Veränderungen in der Vergan-genheit hin. Eine der beiden unmittelbar neben-einander liegenden Haustüren führt in der Nord-ostecke des Hauses in das Erdgeschoss, währendman durch die andere Tür über eine Treppe di-rekt in das Obergeschoss gelangt. Vom Hausflurim Erdgeschoss führt eine mit einer Falltür ab-gedeckte Holztreppe in den balkenüberdeckten,hohen, winkelförmigen Keller. Wo die Winkel-teile des Kellers aneinander grenzen, trägt einUnterzug einen Teil der Kellerdeckenbalken. DerUnterzug ist gebrochen und hat sich mehr als ei-nen halben Meter gesenkt. Notstützen halten ihnund die Deckenbalken. In der Ostecke des Kellersfällt eine rundbogige Tür mit einer Rahmung ausBasaltbuckelquadern auf, die einfache, winkel-förmige Steinmetzzeichen aufweisen (Abb. 4). Ei-ne nischenförmige Abmauerung, die in den Kel-ler des Nachbargebäudes hineinreicht, begrenztdiesen ehemaligen Kellerausgang. Form und Ge-staltung der Rundbogentür verweisen das zu-gehörige Kellermauerwerk in das Mittelalter. ImKeller fanden sich als Unterbau eines FasslagersBasis, Kämpfer und Schlussstein eines gefastenSandsteingewändes, das zur alten Stalltür von1570 gehörte.Der Grundriss des Erdgeschosses weist zum Hofhin Stube und Kammer auf. Beide Räume bilde-ten ursprünglich eine große Stube mit einheitli-cher Bohlenbalkendecke. Vom Hausflur führt einabknickender Gang auf die Küche in der Südeckedes Hauses zu und erschließt auch eine neben derKüche liegende Kammer. Die Küchentür ist anihrer heutigen Stelle nicht ursprünglich. Hier, imZentrum des Hauses, befand sich ehemals dieHerdstelle mit offenem Rauchabzug. Der derzei-tige Küchenzugang entstand erst während einerjüngeren Umbauphase. Ursprünglich befand ersich in der südöstlichen Giebelwand des Hauses,die seit 1763 durch das angebaute Nachbarge-bäude verstellt ist. Der Rauch vom Küchenherd,vom Kachelofen in der Stube und vom außen an-gebauten Backofen zieht aber nach wie vor inden alten Rauchabzug.Eine Haustür führt unmittelbar vom Hof in dasObergeschoss. Beim Umbau des ursprünglich von nur einer Großfamilie bewohnten Hauses zueinem Zweifamilienhaus (abgetrennte Altenteil-wohnung?) wurde Anfang des 19. Jahrhundersdieser neue Zugang eingebaut. Die Wohnung im

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4 Rundbogige Tür in der Ostecke des Kellers.

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Obergeschoss besteht zur Hofseite aus Stube undTreppenflur, in dem eine kleine Küche eingerich-tet ist. Von dieser führt eine steile Treppe in denDachspeicher. Rückseitig liegen eine weitereKammer und ein Speicherraum.Das Dachgeschoss ist, entsprechend der Zweitei-lung des Hauses, durch lehmverputzte Fachwerk-zwischenwände aufgeteilt. Tür- und Fensteröff-nungen im Südostgiebel weisen auch hier auf die frühere Erschließung des Hauses von diesemehemals freistehenden Giebel aus hin. Die imSpeicherraum abgestellten großen Truhen undMehlkästen, die wegen ihrer Größe nicht überdie heutige, schmale Speichertreppe transportiertwerden konnten, bestätigen diese Beobachtungzusätzlich. Der Dachstuhl ist mit stehendem Stuhlabgezimmert mit teilweise verblatteten Verbin-dungen.An das traufständige Wohnhaus ist auf der Nord-westseite die giebelständige Scheune angebaut(Abb. 5). Das massive Erdgeschoss der quer etwamittig geteilten Scheune enthält Einfahrt, Tenneund Stall, darüber im Ober- und Dachgeschossliegen die Bergeräume für Heu und Stroh. DerDachstuhl mit beidseitigem Krüppelwalm ist alsstehender Stuhl abgezimmert. Am Gefüge derHolzkonstruktion des Ober- und Dachgeschosseslässt sich erkennen, dass das Gebäude in seinerLängsausdehnung ursprünglich nur etwa dieHälfte der heutigen Größe besaß.Im Hof, angelehnt an die nordwestliche Hof-mauer, steht ein kleiner sehr baufälliger Schopf

mit Kniestock und Pultdach, der 1867 errichtetwurde. Schweineställe und der Trockenabort sindhier eingebaut. Ein weiterer, 1883 an die süd-westliche Giebelwand der Scheune angebauterSchopf ist abgebrochen.

Die Erhaltung und Revitalisierung desAnwesens – das neue Nutzungskonzept

Ein zentrales Problem war die neue Erschließungder Gebäude. Die getrennte Zugänglichkeit derbeiden Geschosse des Wohnhauses, die sich her-ausgebildet hatte, verlangte nach einer Ände-rung. Die Wiederherstellung des ursprünglichenZugangs von der Südostseite schied aus, weil die-ser heute zugebaut ist. Der Einbau eines den Bau-vorschriften entsprechenden, neuen Treppen-hauses im Bereich der vorhandenen engen Flureund schmalen Treppen, das alle Geschosse glei-chermaßen erschließen konnte, hätte einen er-heblichen Eingriff in die Substanz bedeutet unddie vorhandene Raumaufteilung verändert. Esbot sich daher an, den angrenzenden Tennenbe-reich mit dem Scheunentor als neuen Eingangdes Hauses zu nutzen und die Treppenanlage hiereinzubauen. Diese Lösung konnte die Eingriffe indie vorhandene Bausubstanz von Wohnhaus undScheune gering halten. Es war lediglich notwen-dig die bereits gestörte Balkenlage über derTenne zu entfernen sowie je einen Wanddurch-bruch im Bereich des Ober- und Dachgeschossesdes Wohnhauses herzustellen.Die unveränderte Nutzung des Haupthauses zuWohnzwecken stand von Anfang an fest, wäh-rend sich die Suche nach einer sinnvollen Ver-wendung für die Scheune als schwierig erwies.Ihren ursprünglichen Zweck als Ökonomiege-bäude hatte sie verloren. Ungenutzt konnte sieaus wirtschaftlichen Erwägungen nicht bleiben.Die nach dem Einbau des Treppenhauses ver-bliebenen Restflächen in der Scheune erstrecktensich über drei Ebenen. Zu ihrer Erschließung wur-de im ehemaligen Stall in der Nordecke ein klei-nes Treppenhaus eingefügt, das man durch diealte Stallaußentür betritt. Im Erdgeschoss ist jetzteine kleine Einliegerwohnung eingebaut, die sichnach Südosten mit einem kleinen Wintergartenzum Garten öffnet. Im Ober- und Dachgeschossder Scheune, erreichbar auch aus der Wohnungim alten Wohnhaus über den neuen Treppenein-bau, sind unter Beibehaltung des alten Scheunen-gerüstes die Räume für eine Theateragentur ein-gebaut.Durch den Einbau eines neuen, vom Treppenhauserschlossenen Kellerraumes unter die Scheunen-tenne, der ohne Eingriff in das Baugefüge mög-lich war, konnte die Heizungsanlage außerhalbdes Wohnhauses eingebaut werden. Die gesamte

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5 Scheune vor der Renovierung.

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historische Kellerdecke mit ihren Verformungenkonnte so vollständig unverändert bleiben. ImWohnhaus wurden die Einbauten des 19. und 20. Jahrhunderts, die einem zeitgemäßen Raum-konzept entgegenstanden, entfernt. Dabei istu.a. die große Stube im Erdgeschoss in ihren ur-sprünglichen Ausmaßen wieder entstanden, mitBohlenbalkendecke und mit den Wandtäfern.Auch das kleine Wandschränkchen, das zur Aus-stattung dieser Stube gehört hatte, fand hier wie-der seinen Platz, ebenso der Kachelofen vom An-fang des 20. Jahrhunders (Abb. 6).Im Obergeschoss zeichnet sich durch den Ausbauder nicht mehr notwendigen Treppe und derKücheneinrichtung – beides Einbauten des frü-hen 19. Jahrhunderts – die ursprüngliche Stubewieder ab. Dort haben sich Reste einer Innenbe-malung der Gefache erhalten. Im Obergeschosswaren nur wenige Eingriffe in die historische Sub-stanz erforderlich: Die Raumschalen von Deckenund Wänden und die Holzfußböden wurden aus-gebessert und nach Farbbefund gefasst, die altenZimmertüren und die Lamperien wurden repa-riert und konnten weitgehend erhalten werden.Der Sanitärbereich im Ober- bzw. Dachgeschosskonnte so in den Bestand eingefügt werden, dasskeine originale Bausubstanz aufgegeben werdenmusste. Der restauratorische Farbbefund am Gie-belfachwerk der Scheune war bestimmend fürdie farbliche Gestaltung des Gebäudekomplexes.Die größten Schwierigkeiten bei den Sanierungs-arbeiten bereitete das Wohnhausdach. Die Dach-konstruktion im Westteil des Hauses wies stärks-te Schäden auf. Durch frühere unsachgemäßeEingriffe in das konstruktive Gefüge des Dach-verbandes waren starke Senkungen und Ver-schiebungen aufgetreten, durch die die Verbin-dungen zwischen Sparren, Pfetten und Kehlge-bälk gelöst waren. Unter anderem war, um Platzzu gewinnen, beim Einbau der Treppe zum Ober-geschoss im frühen 19. Jahrhundert die halbeGiebelwand des Wohnhauses ausgebaut wor-den. Undichtigkeiten der vielfach geflicktenDachdeckung hatten zu Zerstörungen mehrererKnotenpunkte zwischen Pfetten und Pfosten ge-führt. Überall waren Notabstützungen vorge-nommen worden, die zu unkontrollierten Lastab-tragungen geführt hatten, mit erheblicher Beein-

trächtigung der Standfestigkeit. Der akut ein-sturzgefährdete, mit Zugankern provisorisch ge-sicherte, südwestliche Scheunengiebel aus Bruch-steinmauerwerk musste abgetragen und wiederaufgebaut werden. Eine Ursache für die starkeAußenneigung des Giebels waren Setzungen derWand, die in einem verfüllten Keller eines Vor-gängerbaus gegründet war (s.u.). Bei der In-standsetzung der Dächer konnten die Dachver-bandshölzer vorwiegend erhalten werden. Nurgänzlich zerstörte Teile wurden ersetzt. Die alteBiberschwanzdeckung konnte wieder verwendetwerden.In etwas mehr als einem Jahr wurden die bereitsaufgegebenen Gebäude in ihrer Gesamtheit alsZeugnis ackerbürgerlicher Kultur unter weitest-gehender Wahrung der historischen Substanz er-halten. Grundlage des Revitalisierungprozesses,der die denkmalpflegerischen Belange berück-sichtigte, waren eine verformungsgerechte Bau-aufnahme mit Schadenserfassung, baubegleiten-de archäologische und bauhistorische Beobach-tungen und eine dendrochronologische Alters-bestimmung einzelner Gebäudebereiche. DieseErgebnisse lassen sich miteinander verknüpfenund ermöglichen einen siedlungsgeschichtlichenAbriss des Hauses Martinskirchgässli 4 sowie sei-ner Parzelle im Kontext mit der Stadtgeschichte.

Chronologischer Abriss der Besiedlungs-und Baugeschichte

Lage innerhalb der StadtDas Anwesen Martinskirchgässli 4 liegt im Süd-westen der Endinger Altstadt am südlichen Randeines sanft vom Gewann Burg zum Marktplatzvon Endingen abfallenden Lössrückens. DasQuartier wird im Norden von einer Geländekantebegrenzt, an der sich die Parzellengrenzen orien-tieren, und fällt nach Süden zum Ostal stark ab.Offenbar handelt es sich bei dem im Osten vomMartinskirchgässli und im Westen von einer wei-teren Gasse begrenzten Baublock um eine ehe-malige Großparzelle.

Erste Besiedlungsspuren in der späten Merowin-gerzeitDas Gebiet liegt inmitten eines Areals, das durcheine Schenkung Kaiser Ottos I. im Jahr 969 an dasKloster Einsiedeln gelangte. Diese Schenkungschloss auch die Martinskirche mit ein, von derdas uns interessierende Grundstück nur etwa40 m entfernt liegt. Ein nur 120 m westlich derKirche lokalisiertes merowingerzeitliches Gräber-feld des 7. Jahrhunderts legt allerdings ein höhe-res Alter dieser frühmittelalterlichen Siedlungnahe. Bei der Sondage im Hofbereich des Grund-stücks wurde der Rand einer Schale der „Rau-

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6 Sekundär vermauer-tes Schränkchen in derStube.

7 Schale der späten Merowingerzeit.

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wandigen Ware“ geborgen, der mit einem Wel-lenband verziert ist. Das ohne Befundzusammen-hang geborgene Keramikfragment des 7. Jahr-hunderts ist der erste archäologische Beleg fürdiese aus Schriftzeugnissen nachgewiesene Sied-lung (Abb. 7).

Im 12. Jahrhundert erste BaubefundeEtwa 6 m von der nördlichen Gebäudeecke desWohnhauses wurde bei der archäologischen Son-dage eine etwa quadratische Latrinengrube 2mit einer Seitenlänge von ca. 2,5 m freigelegt(Abb. 8). Sie enthielt Tierknochen, die als Speise-abfälle zu werten sind, und Keramikbruchstü-cke der „Nachgedrehten Ware“ des 12. Jahrhun-derts. In diese Besiedlungsphase gehört vermut-lich auch die fundleere Grube 3 im Bereich derspäteren Parzellenmauer. Die Anlage von Latri-nengruben ist ein Indiz für die Urbanisierung, dadiese Entsorgungseinrichtungen in ländlichenSiedlungen nicht üblich waren. Dennoch ist nichtklar, ob die Befunde mit dem ersten erfasstenWohnbau zu verknüpfen sind, sie könnten auchzu einem noch nicht erkannten älteren Gebäudegehört haben.

Mittelalterlicher SteinbauDas älteste nachweisbare Gebäude auf der Par-zelle wurde im Zuge der Bauarbeiten im Bereichder Scheune erkannt (Abb. 8 u. 9). Der südöstli-che Teil der Scheune überlagerte einen mit Bau-schutt verfüllten, 1,8 bis 2 m tiefen Keller. Seinelagig vermörtelte, 0,65 m starke Bruchstein-mauer war gegen den anstehenden Löss gesetzt.Er bildete offenbar ursprünglich eine Einheit mitdem nordwestlichen Teil des bestehenden Kel-lers, der erkennbar in mehreren Bauphasen ent-stand und den gleichen Mauerverband aufweist.An der Nordostecke des ursprünglichen Kellerszeichnet sich in der heutigen Kellerwand durcheine Baunaht und einen Rundbogenansatz derehemalige ca. 1,4 m breite Zugang ab. Er ent-spricht in seiner Größe der im heutigen Keller be-stehenden Kellertür an der Nordostecke. Der vollunterkellerte Bau, der sich darüber erhob, warannähernd quadratisch mit einer Seitenlänge vonetwa 6,5 m. Über das Aufgehende lassen sichkeine gesicherten Aussagen treffen, außer dassdas stattliche Gebäude wahrscheinlich eineDachdeckung aus Mönch- und Nonnen-Ziegelnbesaß. Dies ist aus Funden in der Kellerverfüllungzu schließen (s.u.). Die Bauzeit dieses im rück-wärtigen Teil einer Großparzelle errichteten, vonSüdosten erschlossenen Hauses ist nicht zu er-mitteln, es bestand wohl schon im 13. Jahrhun-dert. Zu dieser Phase gehört vermutlich die imHofbereich erfasste Grube 1, die durch Keramik-bruchstücke in das 14. Jahrhundert datiert. Die

Grube enthält ferner ein Firstziegelfragment, dasdenen aus der Kellerverfüllung (s.u.) entspricht.

Neubau um 1432 (d)Im frühen 15. Jahrhundert wurde das Anwesennachhaltig umstrukturiert. Der erste Bau wurdeohne ersichtlichen Grund systematisch abgetra-gen und an seiner Stelle entstand nach einem Ni-veauausgleich ein kleiner dimensioniertes, recht-eckiges Gebäude (Abb. 9). Der asymmetrischeGrundriss setzt im Südwesten und Südosten aufder Wand des zum Teil weiter genutzten Kellersauf, während die Nordwestwand den alten Kellerteilte. Das nun außen liegende Drittel des altenKellers wurde mit Bauschutt, in erster Linie Bruch-stücken von Mönch- und Nonnen-Ziegeln sowieMörtelbrocken verfüllt. Offenbar wurden ledig-

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8 Archäologisch erfass-te Baustrukturen des 12. bis 14. Jahrhundertsinnerhalb einer Groß-parzelle.

9 Isometrische Rekon-struktion des erstenSteinkellers und des Neubaus von 1432 (d).

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lich schadhafte Ziegel in dieser Weise entsorgt,komplette Stücke fehlen und wurden wohl wie-derverwendet. Die Füllschichten wiesen einedeutliche Schrägschichtung auf, die eine Verfül-lung vom nordwestlichen Hofraum her nahe legt.Der nunmehr ca. 9 m lange und 4,5 m breite Bauragte im Nordosten etwa 3 m in den vorherigenHofraum. Dieser Gebäudeteil wurde unterkellert,indem man den verbleibenden Keller, unter Bei-behaltung des alten Zugangs, um diese 3 m ver-

längerte. Der Aushub wurde zur Abdeckung derVerfüllung des alten Kellerteils verwendet. Vondem eingeschossigen Haus hat sich im bestehen-den Obergeschoss ein Teil der ursprünglichenDachkonstruktion und die südöstliche Giebel-wand erhalten. In der lehmverputzten Fachwerk-zwischenwand zeichnet sich der ehemalige Süd-ostgiebel ab, der noch zwei kleine Fensteröffnun-gen aufweist. Die Befunde erlauben eine Rekon-struktion als eingeschossiges, voll unterkellertesFirstständerhaus, wobei konstruktive Details of-fen bleiben müssen.Möglicherweise wurde über dem verfüllten Kellerbereits eine erste kleine Scheune erbaut. In das15. Jahrhundert gehört ebenfalls die im Hofbe-reich angelegte Grube 4. Sie enthielt neben Ke-ramikfragmenten und Knochen auch Bruchstü-cke von Hohlziegeln.Die Bauentwicklung unseres Hauses spiegelt dieUmstrukturierung der gesamten Parzelle wider(Abb. 10). Entlang des Martinskirchgässli wurdevon der Großparzelle ein etwa 7,5 m breiter Strei-fen abgetrennt und bebaut. Dies war ohne wei-teres möglich, weil unser Haus von Südosten,vom „Ostal“ her, erschlossen war. Im Bereich derheutigen Hofeinfahrt fand sich ein Katzenkopf-pflaster aus unbearbeiteten Wacken, das in einerPlanierschicht verlegt war. Es endet an der Parzel-lengrenze und gehörte zum Hofbereich des An-wesens Martinskirchgässli 6. Im Hofbereich die-ses Hauses wurde eine rechteckige Grube miteiner Seitenlänge von 2,5 m freigelegt, die Kera-mikfragmente des 15. Jahrhunderts enthielt.Später wurde auf der in Nord-Süd-Richtung ver-laufenden Parzellengrenze eine Mauer errichtet,deren Fundament das ältere Hofpflaster überla-gert. Zum Gebäude Martinskirchgässli 4 hin ent-stand, nachdem das Gelände um etwa 20 cmaufplaniert worden war, ein an die Parzellenmau-er angelehnter Schuppen. Dessen Fundament-graben zeichnet sich im Abstand von etwa 2,5 mim Profil ab.

Erweiterung von 1537/38 (d)Der Firstständerbau von 1432 erhielt in der erstenHälfte des 16. Jahrhunderts im Südosten einenAnbau, der teilunterkellert war (Abb. 11). Der be-stehende Keller erhielt im Nordosten eine fastquadratische Erweiterung mit einer Seitenlängevon 4,3 x 4 m. Diese Baumaßnahme machte eineVerlegung des ehemaligen Kellereingangs not-wendig. Der neue, gleich große Eingang befandsich wiederum an der Nordostecke des erweiter-ten Kellers. Möglicherweise wurde das alte, ausBasalt gearbeitete, rundbogige Gewände mitBuckelquadern wiederverwendet (Abb. 4).Das Kellergebälk der Erweiterung sowie einschräg liegender Unterzug anstelle der abgetra-

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10 Nach dem Erwerbdurch die Stadt beginntdie Aufteilung der Groß-parzelle. Archäologischund bauhistorisch er-fasste Baustrukturen des 15. Jahrhunderts.

11 Isometrische Rekon-struktion des BaukörpersMartinskirchgässli

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genen Zwischenwand überliefern uns das Bau-jahr 1537/38 (d). Im Erdgeschoss gibt es keineweiteren datierten Hölzer, es liegt aber nahe, dasses ebenso wie die einseitige Aufstockung des An-baues an der Südwestseite in diese Zeit gehört.Die Erschließung erfolgte wie bisher von Süd-osten her über den nicht unterkellerten Küchen-trakt, von dem möglicherweise ein kleiner Flurabgetrennt war. Von hier gelangte man in diezum Hof orientierte, heute wieder hergestellteStube mit einer Bohlenbalkendecke und die Kam-mer. Zentral im Haus lag die Herdstelle, die mitdem Kachelofen in der Stube gekoppelt war.Spätestens mit diesem Umbau entstand einenördlich an das Wohnhaus angelehnte Scheune(Abb. 12). Am Gefüge der Holzkonstruktion desOber- und Dachgeschosses des bestehenden

Baus zeigt sich, dass sie ursprünglich ca. 8 m langund 5,4 m tief war, etwa halb so groß wie die be-stehende Scheune. Die Scheune füllte den Raumzwischen dem neuen Wohnhaus und der nord-westlichen Parzellenmauer in voller Breite aus.

Umfassender Umbau im Jahre 1574/75 (d)Die fortschreitende Parzellierung entlang der süd-lich gelegenen Straße „Im Ostal“ in der 2. Hälftedes 16. Jahrhunderts machte eine nachhaltigeUmstrukturierung der verkleinerten Parzelle Mar-tinskirchgässli 4 notwendig (Abb. 13). Die Er-schließung erfolgte nun zusätzlich von Nordostenher durch eine Tordurchfahrt vom Martinskirch-gässli, deren Bogen durch eine Bauinschrift in dasJahr 1570 datiert ist (Abb. 13).Der bestehende Bau wurde an der Nordostseite,zum Innenhof hin einseitig aufgestockt, damitwar eine Veränderung des Dachstuhls notwendig(Abb. 14). Er ist in die Jahre 1574/75 (d) datiertund weist teilweise überblattete Verbindungenauf. Damit hat das Wohnhaus die heute vorhan-dene Struktur erhalten.An der Nordwestseite des Wohnhauses wurdedie giebelständige Scheune in der heute erhalte-nen Form erweitert. Das massive Erdgeschoss derlängs etwa mittig geteilten Scheune enthält Ein-

fahrt, Tenne und Stall. Das Ober- und Dachge-schoss bot Bergeräume für Heu, Stroh und an-dere Vorräte. Der Dachstuhl mit beidseitigemKrüppelwalm ist als stehender Stuhl abgezim-mert. Die dort verbauten Hölzer datieren eben-falls 1574/75 (d).

Deponierungen im Keller – Aberglaube des 17. Jahrhunderts?Beim Fundamentaushub für einen Pfeiler wurdenin der Südecke des Kellers, etwa 40 cm unter dem

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12 Die Teilung der Par-zelle macht eine verän-derte Erschließung not-wendig. Archäologischund bauhistorisch er-fasste Baustrukturen des 16. Jahrhunderts.

14 Isometrische Rekon-struktion des BaukörpersMartinskirchgässli 4 nachdem Umbau von 1575.13 Schlussstein mit der Jahreszahl 1570 über der

Tordurchfahrt zum Gebäude Martinskirchgässli 4.

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Kellerboden, mehrere zerscherbte Gefäße ge-borgen, die dort offensichtlich deponiert waren.Es handelt sich um Dreibeintöpfe mit Henkel ausgelber Irdenware mit grüner Innenglasur des Ran-des, die vermutlich mit Hohldeckeln verschlossenwaren (Abb. 15). Aufgrund der Machart handeltes sich um lokale Produkte des 17. Jahrhunderts.Die charakteristische Deponierung in einer Keller-ecke legt nahe, dass es sich dabei um so genann-te Nachgeburtstöpfe handelt. In diesen Gefäßen,die sich von Gebrauchskeramik nicht unterschei-den, verbarg man aus Angst vor Hexen die Pla-zenta an Stellen, „wo weder Sonne noch Mondhinscheint“.

Umbauten im 19. JahrhundertDas ursprünglich von einer Familie bewohnteHaus wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts inzwei Wohneinheiten geteilt. Die Teilung ist erst-mals 1833 anhand von Akten des StadtarchivsEndingen am Kaiserstuhl zu belegen. In diesemJahr erwarb Michael Fleig die halbe Behausung(gemeint war das Erdgeschoss). Der obere Stockwurde von der Familie des Michael Schwer be-wohnt. Nicht nur diese Hausteilung, sondern auchdie Siedlungsverdichtung im Umfeld machteneine erneute Umstrukturierung des Anwesensnotwendig. Durch die Errichtung des ca. 1763 er-richteten Neubaus „Im Ostal 6“ war eine Erschlie-ßung unseres Hauses von Südosten her nichtmehr möglich. Der neue Zugang erfolgte nunvom Martinskirchgässli über den Innenhof durcheine Tür in der Nordostwand, die in den Treppen-flur – einen Teil der ehemaligen Kammer – führte.In dem so neu entstandenen Flur gab es nun denneuen Kellerzugang über eine durch eine Falltürverschließbare Holztreppe. Ein abknickenderGang erschloss die Küche und eine rückwärtigeKammer. Durch diesen neuen Küchenzugang an-stelle des alten Herdes musste dieser verlegt wer-

den, wobei der zentrale Hausschornstein weiterbenutzt werden konnte. Von der ursprünglichengroßen Stube wurde durch eine Trennwand eineKammer abgetrennt, die in das Nachbargebäudehinein um 1 m erweitert wurde. Auf die Bohlen-balkendecke der ehemaligen Stube wurde zu-nächst eine Kalkschlämmschicht aufgetragen undspäter ein Spalierlattenverputz angebracht.Bei diesem Umbau entstand der Zugang vom Hofin das Obergeschoss durch eine zweite Außentür.Die neue Wohnung im Obergeschoss besteht ausStube, Kammer und Speicherraum. Im Treppen-flur, von dem eine steile Treppe in den Speicherführt, ist die hier eingerichtete Küche mit dazu-gehörigem Schornstein deutlich als nachträgli-cher Einbau zu erkennen.

Zusammenfassung

Bei der Auswertung der zahlreichen beobachte-ten Befunde im Hausgefüge und im archäologi-schen Umfeld wirkte sich die parallele Bearbei-tung des Archäologischen Stadtkatasters Endin-gen positiv aus. Durch diese, ebenfalls von derStadt personell und finanziell unterstützte Er-hebung, konnten die Befunde des Martinskirch-gässli 4 in einem siedlungsgeschichtlichen Kon-text betrachtet werden. An dem Anwesen istexemplarisch die Siedlungsentwicklung der StadtEndingen am Kaiserstuhl vom späten 7. Jahrhun-dert bis in die Gegenwart nachzuvollziehen.Gleichwohl bleiben viele Fragen offen: Wie wardie merowingerzeitliche Siedlung strukturiert?Wann setzte die planmäßige städtische Bebau-ung ein? Weshalb wurde das imposante Stein-haus des 12./13. Jahrhunderts abgebrochen?Zeichnen sich hier Umstrukturierungen nach demVerkauf des Kloster Einsiedeln gehörenden Gü-terkomplexes im frühen 14. Jahrhundert an dieStadt ab, was veränderte Nutzungsanforderun-gen durch Ackerbürger nach sich zog?Diese Details sind aufgrund unserer Erhebungennoch nicht zu beantworten. Es bleibt aber zu hof-fen, dass diese für die Stadtgeschichte Endingenswichtigen Fragen durch sachkundige Beobach-tung und die Forschung an weiteren Objektenmit einer vergleichbaren Befundsituation geklärtwerden können. Für das Martinskirchgässli 4bleibt festzuhalten, dass durch eine kooperativeZusammenarbeit nicht nur ein ortsbildprägen-des Geschichtszeugnis erhalten werden konnte,sondern auch ein wichtiges Stück der Stadtge-schichte erhellt wurde.Die besondere Konstellation, die sich hier im Zu-sammenwirken von Gemeinde, Bauherr, Archi-tekt und verschiedener Referate des Landesdenk-malamtes Baden-Württemberg herauskristalli-sierte, liegt im außerordentlich positiven Span-

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15 Nachgeburtstopf des 17. Jahrhunderts.

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nungsfeld, geprägt von großem Engagement derMitwirkenden und der Kompromissfähigkeit allerBeteiligten. Ein glücklicher Umstand war die Be-teiligung seitens der Stadt, die bereits in einemfrühen Sondierungsgespräch mit der Bauherr-schaft den Weg für eine denkmalgerechte Pla-nung bereitete. Neue Einbauten wurden in be-reits gestörten Bereichen installiert, wodurch dieunversehrte historische Substanz erhalten wurde.Die originale Grundrissdisposition des ehemali-gen Gehöfts ist trotz teilweiser Nutzungsände-rung ablesbar, das Erscheinungsbild als Ensembleblieb bestehen.

Literatur:

Burghard Lohrum, Endingen, Martinskirchgässli 4.Dendrochronologische Datierung. Typoskript (Etten-heimmünster 1998).Bertram Jenisch / Mechthild Michels. Endingen am

Kaiserstuhl. Archäologischer Stadtkataster Baden-Württemberg, Band 19 (Stuttgart 2002).Bernhard Oeschger (Hrsg.), Endingen am Kaiser-stuhl. Die Geschichte der Stadt (Endingen am Kai-serstuhl 1988).

Rolf BrinkmannFreier ArchitektAm Rossläger 3279353 Bahlingen

Dr. Bertram JenischLDA · Dokumentation und InventarisationSternwaldstraße 1479102 Freiburg/Breisgau

Dipl. Ing. Susanna SchöneckerLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeSternwaldstraße 1479102 Freiburg/Breisgau

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16 Das Gebäude Endin-gen, Martinskirchgässli 4,nach Abschluss der Re-novierung im Juni 2000.

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In dem Faltblatt „Steinerne Zeugen am Weges-rand – Kleindenkmale in Baden-Württemberg“,das im Jahr 1990 vom Innenministerium in Zu-sammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt her-ausgegeben wurde, wird ausdrücklich daraufhingewiesen, dass das Denkmalschutzgesetzauch Kleindenkmale umfasst.

Die Dokumentation von Kleindenkmalen ist aberkeine Erfindung der 1990er Jahre. Für die Volks-kunde waren und sind Kleindenkmale For-schungsgegenstand. Kleindenkmale wurden undwerden als Bestandteil der Landschaft, der Re-gion und der Kultur gesehen. Von Seiten derVolkskunde gibt es neben regionalen Studien For-schungen zu einzelnen Kleindenkmalen oder be-stimmten Kleindenkmaltypen sowie Umfragenoder Aufrufe zur Erfassungen von Kleindenkma-len. Die Ergebnisse älterer Dokumentationen sol-len in das Projekt einfließen.Dieser Vertrag zwischen den Verbänden und demLandesdenkmalamt war das konkrete Ergebnisvieler Initiativen und intensiver Gespräche. Bera-tend waren dabei die Badische Heimat und dieGesellschaft zur Erhaltung und Erforschung derKleindenkmale in Baden-Württemberg e.V.(GEEK) den Vertragspartnern zur Seite gestan-den. Auch die Erfahrungen einer Pilotstudie ausdem Alb-Donau-Kreis unter der Leitung von WilliSiehler vom Schwäbischen Albverein flossen indie Projektplanung ein.Hinter der Verbindung von Landesdenkmalamtund den Vereinen steht der Gedanke, dass sichdie Partner bei einem so komplexen Projekt er-gänzen. Zum einen sind es die Erfahrungen unddas Know-how des Amtes bei der Erfassung undInventarisierung von Objekten und die dazunötige Infrastruktur (Datenbank), zum anderen

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1 Titelblatt der Broschüre„Kleindenkmale in Ba-den-Württemberg. Anlei-tung zur Erfassung undDokumentation“. Vor dasErligheimer Radkreuz(Lkr. Ludwigsburg) sinddie Initiatoren des Projek-tes Kleindenkmale ge-stellt. Das Radkreuz isteine besondere Form ei-nes Steinkreuzes, es wird1588 als „löcherigesCreütz“ urkundlich er-wähnt (Losch 1981,34).

„Ortsfeste, freistehende, kleine, von Menschenhand geschaffene Gebilde“Das Projekt zur Erfassung von Kleindenkmalen in Baden-Württemberg

Am 15. November 2000 wurde zwischen dem Schwäbischen Heimatbund,dem Schwäbischen Albverein, dem Schwarzwaldverein und dem Landes-denkmalamt ein Vertrag geschlossen mit dem Ziel, in einer Gemeinschafts-aktion eine Dokumentation über Kleindenkmale im Land Baden-Württemberg zu erarbeiten. „Ziel ist es“, laut den Vorbemerkungen zum Vertrag, „Klein-denkmale verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Damit soll ein bes-serer Schutz, eine verstärkte Beachtung und die notwendige Sicherung undPflege der Kleindenkmale erreicht werden. Des Weiteren soll die Erfassung die Grundlage für eine wissenschaftliche Bearbeitung und Bewertung derDenkmaleigenschaft im Sinne des Denkmalschutzgesetzes sein. Zur Umset-zung dieser Aktion führen die o.g. Vereine und das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg ein gemeinsames Modellprojekt durch ...“

Martina Blaschka

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die Kenntnisse und das Wissen der Mitarbeiterund Mitarbeiterinnen der Vereine.Die ehrenamtlichen Erfasserinnen und Erfassersind eine wichtige Säule des Projektes. Sie sindoder werden zu den eigentlichen Fachleuten. Sieleben im Erfassungsgebiet, sie kennen sich in ih-rer Region aus. Sie wissen, wo sie weitere Infor-mationen erhalten und wen sie vor Ort fragenkönnen. Ohne die engagierte Mitarbeit der eh-renamtlichen Erfasserinnen und Erfasser wäre dieRealisierung des Projektes nicht möglich.Im Landesdenkmalamt wurde zum 1. April 2001die so genannte „Leitstelle“ eingerichtet, die dasProjekt wissenschaftlich betreut und die Aktivitä-ten im Land koordiniert. Die Vereine beteiligensich mit einem nicht unerheblichen Anteil an derFinanzierung der für das Projekt eingerichtetenStelle einer wissenschaftlichen Angestellten. Im„Lenkungsausschuss“ sind die Vertragspartnervertreten. Dieser begleitet und steuert den Ver-lauf des Projektes.Da nicht das ganze Land, also 35 Land- und neunStadtkreise, gleichzeitig und möglichst flächen-deckend erfasst werden können, haben sich dieVertragspartner darauf verständigt, einige Pro-jektkreise auszuwählen, die vorrangig bearbeitetwerden. Die Landkreise Ludwigsburg und Sigma-ringen und der Stadtkreis Baden-Baden wurdenzu Pilotkreisen der ersten Phase bestimmt. In denKreisen Ludwigsburg und Sigmaringen wurde imHerbst 2001 mit der Erfassung begonnen, derStadtkreis Baden-Baden begann im Frühjahr2002. Für den Stadtkreis Baden-Baden hat derSchwarzwaldverein die Regie übernommen, fürden Kreis Ludwigsburg der Schwäbische Heimat-bund und für den Kreis Sigmaringen der Schwä-

bische Albverein. In der zweiten Projektphase, dieim Herbst 2002 beginnt, sollen vier weitere Kreisedazukommen: die Landkreise Heidenheim undTuttlingen sowie der Enz- und der Ortenaukreis.Die Daten zu den Kleindenkmalen, die in Gebie-ten außerhalb der Projektkreise erfasst werden,sollen zu einem späteren Zeitpunkt in die Daten-bank eingegeben werden.

Was ist ein Kleindenkmal?

Die Frage nach der Definition des Begriffes„Kleindenkmal“ nahm in den Vorüberlegungenzum Projekt viel Raum ein. Schließlich wurde indie Broschüre „Kleindenkmale in Baden-Würt-temberg“ die Formulierung aufgenommen, nachder unter Kleindenkmalen „ortsfeste, freiste-hende, kleine, von Menschenhand geschaffeneGebilde aus Stein, Metall oder Holz zu verstehensind, die einem bestimmten Zweck dienen oderdienten oder an eine Begebenheit oder eine Per-son erinnern“. Das Projekt legt auf Wunsch derbeteiligten Vereine einen weiten Kleindenkmal-begriff für die Erfassungsarbeit zu Grunde. DieBeispiele, an denen sich die ehrenamtlichen Er-fasserinnen und Erfasser orientieren können, sindin drei große Kategorien zusammengefasst:– „Kleindenkmale im eigentlichen Sinn“,

z.B. Steinkreuze, Grenzsteine, Gedenksteine,Bildstöcke, Flurkreuze;

– „Gelände- und Bodendenkmale“, z.B. Wolfs-gruben, Trockenmauern, Hülben;

– „unselbständige Kleindenkmale“, z.B. In-schriftentafeln, Hochwassermarken an Ge-bäuden.

Mit dem Kleindenkmal wird „Geschichte“ in der

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2 Waldgrenzstein im Wald„Frauenhölzle“. Der Wald„Frauenhölzle“ gehörteehemals zu Korntal, ging1819 an die neu gegrün-dete BrüdergemeindeKorntal über und wurde1830 durch die königliche Finanzkammer gekauft.Heute befindet er sich aufder Gemarkung Stuttgart-Weilimdorf. Das Zeichenauf dem WaldgrenzsteinNo. 2 stellt ein Maulgatterdar. Es war das Zeichen des Allodialguts Korntalund wurde von der Korn-taler Brüdergemeindeübernommen. Bis 1956war es noch in das Ge-meindewappen integriert.1830 wurde die senkrech-te Hirschstange als Besitz-zeichen zugefügt.Foto: Winfried Schweikart,Korntal.

3 Feldkreuz oberhalbvon Otterswang bei Pful-lendorf, Lkr. Sigmaringen.Das Flurkreuz im land-schaftlichen Kontext. Unten auf dem Sockel:„Errichtet von PhilippLänger / dessen EhefrauA. Maria Länger / 1891.Foto: Ottmar Kreutle, Sigmaringen-Gutenstein.

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Landschaft sichtbar, es ist Träger von (Geschichts-)Informationen. Wie sich die Zeit und mit ihr derBlick auf die Geschichte wandeln, so ist auch dasKleindenkmal in seinem Kontext Teil eines dyna-mischen Prozesses. Das kann das Aussehen unddie Erscheinungsform des Kleindenkmals verän-dern, bis zur extremsten Form, nämlich dass dasKleindenkmal verschwindet, d.h. abgängig ist.Diese Veränderungen nachzuzeichnen und zu do-kumentieren, ist auch Aufgabe der Erfassungsar-beit.Im folgenden Beispiel erzählt ein Kleindenkmalanhand der Inschriften seine Geschichte selbst. Eshandelt sich um ein Denkmal für einen Felsenbeim Bahnhof Hörden-Ottenau, Stadt Gaggen-au. Vor dem Bau der Murgtalstraße (1785–90)mussten hier die Fuhrwerke einen steilen Felsrie-gel überqueren, den gefürchteten „Hördelstein“.Beim Bau der Murgtalbahn und bei der letztenStraßenverbreiterung der B 462 wurde die Fels-wand jeweils weiter zurückgesprengt und derStein versetzt (Metz 1977, S. 5).Die erste Inschrift auf dem Gedenkstein, die auchin Latein angegeben ist, stammt aus dem ausge-henden 18. Jahrhundert und lautet:„Ex rupe fracta / Haec via facta / MDCCLXXXVI /Diesen Felsen sprengte man / Und legte einenFahrweg an / 1786“.

Runde 70 Jahre später wurde der Fels weiterzurückgesprengt und die Schneise vergrößert. Eswurde hinzugefügt:„Aetate percata / Haec Ferrea Tracta / 1869 /Doch später ging man wieder dran / Und bauteeine Eisenbahn / 1869“.Und schließlich blieb vom Felsen nur noch der Ge-denkstein übrig, als nach Fahrweg und Eisenbahndie Straße Mitte der 1950er Jahre dem wachsen-den Verkehr angepasst wurde:„Die Straßenbreit‘ wollt nimmer reichen / Drummußt ich dem Verkehr jetzt weichen / 1955“.Die Inschriften belegen den Wandel bedingtdurch die Entwicklung der Technik. Nicht immersind die Denkmale und ihre Versetzungsge-schichte so gut dokumentiert, jedoch sind in Ar-chivalien manche nützliche Hinweise auf ihre Ge-schichte(n) zu finden.Die Kleindenkmale, die wir vorfinden, haben vie-len Widrigkeiten getrotzt: Wetterunbilden, Krie-gen, Flurbereinigungen, der modernen Land-und Forstwirtschaft, Bauarbeiten, der Sammel-wut mancher Zeitgenossen, der Umweltver-schmutzung... Heutzutage werden nach wie vorbeispielsweise Denksteine, Erinnerungssteine,Flurkreuze und Kreuze am Ort eines Unfalls fürdie Verkehrstoten aufgestellt. Neben den „histo-rischen“ Kleindenkmalen entstehen so „neue“,moderne Kleindenkmale.

Die Vorgehensweise

Ziel des Projektes ist eine einheitliche Erfassungder Daten. Für die Aufnahme eines Kleindenk-mals sollten mindestens die Minimalanforderun-gen erfüllt sein, die sich mit Hilfe der W-Fragenzusammenfassen lassen: „Was ist es? Wo stehtes? Wie sieht es aus?“Bereits die Antworten auf diese Fragen verleihendem Kleindenkmal Kontur. Doch ist die Erfassungder Kleindenkmale auf der Basis von einheitli-chen Erfassungsbögen vorgesehen. Die Erfas-

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4 Malefizsteine in undum Mengen, Lkr. Sigma-ringen. Malefizsteine sindGrenzsteine, die den Be-zirk der Hochgerichtsbar-keit abgrenzen. W. Haller,ehrenamtlicher Erfasseraus Mengen, gelang es,die 19 großen erratischenSteinblöcke, die ehemalsum Mengen die Gerichts-grenze markierten, aufzu-finden und ihre einstigenStandorte zu bestimmen.Ein Stein befindet sichnoch am originalen Stand-ort, die anderen wurdenumgelagert, nachdem dieGrenzen keine Funktionmehr hatten, und manch-mal auch umfunktioniert.Der abgebildete Malefiz-stein ist auf den Missions-berg bei Mengen trans-portiert worden. In denimposanten Granitsteinwurden für die StadtMengen wichtige Dateneingemeiselt. Foto: Wer-ner Haller, Mengen.

5 Der achte Längengrad, ein topographischesKleindenkmal bei Zell-Weierbach im Ortenaukreis.Drei Abgüsse der abstrakten Plastik (1982) markie-ren den Verlauf des achten Längengrades auf derGemarkung von Zell-Weierbach an den drei Stand-orten: „Auf der Kreuzebene“, „Am Sternenberg-weg“, „Am Talweg im Riedle“. Die Tafel erklärt das Objekt: Auf diesem Längengrad ist mittags derhöchste Sonnenstand um 12.28 Uhr mitteleuro-päischer Zeit, gleichbedeutend mit 12 Uhr Ortszeit.Exakt auf dem gleichen Grad liegen im NordenKristiansand an der Südküste Norwegens sowieOsnabrück, Siegen und Bad Bergzabern. Im Südenist zur gleichen Zeit Mittag am Kandel, auf demFeldberg sowie auf Eiger, Mönch und Jungfrau imBerner Oberland. Foto: Gernot Kreutz, Offenburg.

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sungsbögen sind über die Broschüre „Kleindenk-male in Baden-Württemberg. Anleitung zur Er-fassung und Dokumentation“ allgemein zugäng-lich. Ebenso können sie über die Homepage des Landesdenkmalamtes abgerufen werden:„http://www.landesdenkmalamt-bw.de/projekt/kleindenkmal/formulare.html“. In der Broschüresind Informationen so zusammengefasst, dasssich jeder einen Überblick über das Projekt ver-schaffen kann. Hier wird erläutert, was ein Klein-denkmal sein kann und wie es am besten erfasstwerden soll.Die Broschüre enthält ein Muster (auch als Ko-piervorlage verwendbar) für einen einfachen undeinen etwas aufwändigeren Erfassungsbogen,ebenso einen Bogen speziell für Grenzsteine. DieBögen sind von der Gesellschaft zur Erhaltungund Erforschung der Kleindenkmale in Baden-Württemberg e.V. (GEEK) entwickelt und lang-jährig erprobt worden. Neben den Lagedaten, ei-ner Lageskizze, der Beschreibung sowie den Ma-ßen des Kleindenkmals, den Informationen zumErhaltungszustand, einer Skizze und/oder einemFoto des Objektes wird auch nach dem ge-schichtlichen Hintergrund gefragt. Neben allentechnischen Daten ist genügend Raum für zu-sätzliche Informationen, wie Geschichte(n), Sa-gen, archivalische Quellen und mündlich Tradier-tes. Die Standorte der Kleindenkmale werden aufder Topographischen Karte (TK 1:25.000) ge-kennzeichnet und mit Bild, das dem Datensatzbeigefügt wird, in die Datenbank aufgenommen.

Damit die Erfassungsarbeit in einem Landkreisflächendeckend durchgeführt werden kann, wirddie Arbeit der ehrenamtlichen Erfasserinnen undErfasser auf Kreisebene von einem ehrenamtli-chen Koordinator betreut. Er sammelt die Ergeb-nisse und gibt sie an die Leitstelle weiter. Dieseprüft die Daten und überträgt sie in die Daten-bank. Für jedes Kleindenkmal wird ein Datensatzangelegt: mit der Beschreibung, der Inschrift, derBenennung, dem Material, mit geschichtlichenund volkskundlichen Hintergründen, einer Abbil-dung, also Foto oder Skizze, sowie Karteneintragund/oder einer Lageskizze.Nach den Kleindenkmalen kann später auf dieserDatenbasis nach verschiedenen Kriterien recher-chiert werden, etwa für weitere Forschungs-zwecke, Publikationen oder als Grundlage zur Be-nennung als Kulturdenkmal.

Bedeutung der Kleindenkmale in unserer Zeit

Im „Projektalltag“ zeigt sich, welche BedeutungKleindenkmale sowohl für den Einzelnen als auchdie Gemeinschaft haben. Nicht jedes Kleindenk-

mal ist Kulturdenkmal im Sinne des Denkmal-schutzgesetzes – auch wenn sich unter den Klein-denkmalen viele Kulturdenkmale befinden. Den-noch leisten die Kleindenkmale einen nicht un-erheblichen Beitrag zur regionalen Identität.Kleindenkmale sind Bestandteil der Landschaft,des Alltags und der realen Umwelt der Men-schen. Kleindenkmale sind wichtig für das per-sönliche Erinnern und für das allgemeine Erin-nern.Kleindenkmale sind für alle zugänglich und vonwissenschaftlicher Seite noch nicht erschöpfendbearbeitet worden. Jeder findet ein Kleindenkmalin seiner Nähe, Kleindenkmale können in der Na-tur „en passant“ im Wortsinn wahrgenommenwerden. Sie sind für jedermann da, sie habenkeine Öffnungszeiten, es muss für ihre Besichti-gung kein Eintritt bezahlt werden: Sie stehen zu-meist im öffentlichen Raum und jeder hat einegewisse Verantwortung für ihren Erhalt. Zu denIntentionen des Projektes gehört die Sensibilisie-rung der Öffentlichkeit für die Kleindenkmale, dievom Vergessen und Verschwinden bedroht sind.Diese oft unscheinbaren Denkmale sollen mehrins Blickfeld der Menschen gerückt werden, siekönnen so besser „im Auge behalten“ werden.Eines hat das erste Projektjahr ganz deutlich ge-

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6 Quellfassung der Ma-rienquelle bei Zell-Weier-bach im WaldgewannSommerhalde, Ortenau-kreis. Allianzwappen: Der Löwe stützt seinePranken auf ein Ehe-wappen, das die Sym-bole der Familien vonFranckenstein (Breitbeiloder Mattenhaue) undvon Oettingen-Waller-stein (Andreaskreuz)zeigt. Die Inschrift lautet:„Vereint – den 18. Mai1857“. Halbrelief ein-gelassen in eine massi-ve Wand. Foto: GernotKreutz, Offenburg.

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zeigt: Die Erfassung der Kleindenkmale ist einVorhaben, das auf große Resonanz stößt, beson-ders in der Bereitschaft zur Mitarbeit. Das Projektist zeitgemäß, trifft auf ein gesellschaftliches Be-dürfnis, ist sinnvoll und notwendig, weil es hilft,Denkmale zu sichern.Der Umgang mit den Kleindenkmalen ist ein Ge-genentwurf zur zunehmenden Virtualität unsererZeit: Man muss zum Kleindenkmal hingehen (aufoft unbequemen Wegen), sich Zeit dafür neh-men, man kann Kleindenkmale anfassen und be-greifen. Das Lesen der Sprache und das Deutender Bilder der Kleindenkmale können erlernt wer-den. Kleindenkmale tragen ihren Teil zur „Les-barkeit der Welt“ (Blumenberg 1981) bei.

Erfassen und Dokumentieren lassen das Klein-denkmal sichtbar werden, dadurch gewinnt es anBedeutung. Das Kleindenkmal wird von einemKleindenkmal zu einem bestimmten Kleindenk-mal. Das Registrieren der Kleindenkmale – imzweifachen Wortsinn: das Wahrnehmen und dasAufnehmen in „Register“ – ist die Vorrausset-zung für einen nachhaltigen und effektiven Denk-malschutz.

Literaturhinweise:

Die Literatur zum Thema Kleindenkmale ist eben-so vielfältig wie die Kleindenkmale selbst. Einzelfor-schungen und sorgfältige Dokumentationen sind vorallem in der regionalen Geschichts- und Heimatlite-ratur zu finden. Veröffentlichungen der GEEK undderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben fun-diert Auskunft zu Kleindenkmalen.Das Internet enthält Beiträge zum Thema auf derHomepage des Landesdenkmalamtes: www.landes-denkmalamt-bw.deDie Publikationsorgane der Vereine und Verbände in-formieren laufend über das Thema Kleindenkmaleund das von ihnen mitgetragene Projekt.

Aus den Augen, aus dem Sinn? Kleine Kulturdenk-male am Wegesrand. Sonderdruck aus „Schwäbi-sche Heimat“, Heft 1996/4 – 1998/3. Beiträge vonInge Schöck und Reinhard Wolf.Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt. Frank-furt/Main 1981.Dieter Kapff / Reinhard Wolf: Steinkreuze, Grenz-steine, Wegweiser... Kleindenkmale in Baden-Würt-temberg. Schwäbischer Heimatbund (Hg.), Stuttgart2000.Bernhard Losch: Sühne und Gedenken. Steinkreuzein Baden-Württemberg. Ein Inventar. Forschungenund Berichte zur Volkskunde in Baden-Württem-berg, Band 4, Stuttgart 1981.Rudolf Metz: Mineralogisch-landeskundliche Wan-derungen im Nordschwarzwald besonders in dessenalten Bergbaurevieren. 2. Aufl. Lahr 1977.

Martina Blaschka M. A.LDA · Inventarisation und DokumentationProjekt Erfassung von Kleindenkmalen in Baden-WürttembergMörikestraße 1270178 Stuttgart

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7 Wegweiser: alt undneu bei Frickingen, öst-liches Härtsfeld, Lkr. Hei-denheim. Foto: DieterEberth, Königsbronn.

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Das Gebäude Alexanderstraße 48 stellt kein Kul-turdenkmal im Sinne des baden-württembergi-schen Denkmalschutzgesetzes dar, dennoch do-kumentiert es Geschichte. Der dreigeschossigelang gestreckte Walmdachbau wurde 1934 amFuße des Galgenbergs als „NationalsozialistischeKraftfahrkorps-Motorsportschule“ (NSKK) errich-tet und zählte zu den ersten größeren Bauprojek-ten der Nationalsozialisten in Tübingen. Nachdem 2. Weltkrieg zog französisches Militär einund veränderte das Gebäude. An der Fensteran-ordnung und der Dachform des westlichen Kopf-baus wird die Formauffassung der Fünfziger Jahredeutlich erkennbar. Ab 1992 diente das Anwesen,

dessen Haupteingang übrigens nicht der Straße,sondern dem rückseitigen Hof und den sich dortanschließenden Garagen zugewandt war, mehre-ren Nutzern, so auch der Archäologischen Denk-malpflege in Tübingen.Heute bietet der zwar nüchterne, aber funktio-nale Bau in der Alexanderstraße ausreichend Platzfür die gesamte Tübinger Außenstelle. Das ver-wirklichte Raumkonzept berücksichtigt so weit alsmöglich die fachlichen Bedürfnisse der verschie-denen Referate einerseits und die Anforderungenan ein zentral organisiertes Amtsgebäude ande-rerseits. Zu den zentralen Einrichtungen zählenvor allem die aus allen Fachreferaten gebildete ge-

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1 Gesamtansicht der Außenstelle Tübingenvon Nordosten.

Landesdenkmalamt Baden-Württemberg,Außenstelle TübingenDas neue Dienstgebäude

Im Herbst des vergangenen Jahres konnte die Tübinger Außenstelle des Lan-desdenkmalamtes Baden-Württemberg ihren neuen Dienstsitz endgültig beziehen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bau- und Kunstdenkmal-pflege, der Inventarisation und der Verwaltung verließen ihre vertraut ge-wordenen Räume in der Gartenstraße nahe des Neckars und zogen zu ih-ren Kolleginnen und Kollegen der Archäologie in die Südstadt. Das Dienst-gebäude Alexanderstraße 48 stand nun – nach einer zweijähriger Gesamt-sanierung durch das Staatliche Vermögens- und Hochbauamt Tübingen – erstmals der gesamten Außenstelle mit ihren fast 50 Mitarbeiterinnen undMitarbeitern zur Verfügung. Die feierliche Übergabe des Dienstgebäudes erfolgte am 26. Oktober 2001.

Michael Goer

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meinsame Amtsbibliothek und Flurkartensamm-lung im Erdgeschoss, die gemeinsame Registraturim 1. Obergeschoss sowie der große Bespre-chungsraum im 2. Obergeschoss. Das Geschäfts-zimmer der Außenstelle – im einstigen Eingangs-bereich angeordnet – konnte aufgrund der jetztgrößeren personellen Flexibilität erstmals ganz-tags besetzt werden. Die vor- und frühgeschicht-liche archäologische Denkmalpflege (Referat 24)bezog mit ihren Büroräumen das Erdgeschoss, mitihren Werkstätten und Depots das erhöht gele-gene Sockelgeschoss. Die Referate 34 (Inventari-sation und Dokumentation) sowie 26 (Mittelalter-archäologie und Bauforschung) sind im 1. Ober-geschoss untergebracht. Das 2. Obergeschossschließlich beherbergt die Bau- und Kunstdenk-malpflege (Referat 14) und die Verwaltung, derenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Referaten31 bzw. 33 angehören.Mit der gemeinsamen Unterbringung sämtlicherFachreferate in einem Hause wird in Tübingeneine Tradition wieder aufgenommen, die nachdem Ende des 2. Weltkrieges ihren Anfang ge-nommen hatte. Im Oktober 1945 musste für dasfranzösisch besetzte Gebiet Württembergs undHohenzollern im Rahmen der „Landesdirektionfür Kultus, Erziehung und Unterricht“ auch einneues „Landesamt für Denkmalpflege“ geschaf-fen werden.Nach einem Bericht des Prähistorikers Adolf Rieth,der das Tübinger Amt damals aufbaute und bis1967 leitete, waren die Anfänge äußerst beschei-den „...ein Raum im Tübinger Schloss, ohne Ak-ten und ohne Bibliothek, mit einer beschlag-nahmten Schreibmaschine und einer Sekretärin.An eine Überführung früherer Aktenvorgänge ausdem amerikanischen Stuttgart war nicht zu den-ken.“ Immerhin stand das Stuttgarter Amt, wie zulesen war, „in freundschaftlicher Beziehung“ zumneu geschaffenen Tübinger Landesamt.

Die Tätigkeit der staatlichen Denkmalpflege imehemaligen Land (Süd)-Württemberg-Hohenzol-lern sah in den ersten Nachkriegsjahren, vor allembis zur Währungsreform, doch deutlich andersaus als heute. Zunächst bestanden drei Schwer-punkte: die Rückführung der in Südwürttemberg,vor allem in oberschwäbischen Pfarrhäusern undSchlössern, eingelagerten Kunstwerke, die ersteSichtung kriegsbeschädigter Baudenkmale, an de-ren Aufbau man anfangs noch nicht denken konn-te, und beachtenswerterweise die Veranstaltungvon Kunstausstellungen, auf welche die franzö-sische Besatzungsmacht großen Wert legte. Unge-wöhnlich war auch der Beginn der Tübinger Bo-dendenkmalpflege, die sich im Vergleich zu Nord-württemberg ungleich schwierigeren Arbeitsbe-dingungen gegenübersah. Das gesamte Karten-material und die Fundakten, ohne die eine archä-ologische Tätigkeit nahezu unmöglich erscheint,lag in Stuttgart; erst 1957 erfolgte die Rückgabe.

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3 Ehemaliger Hauptein-gang an der Südfront,heute Geschäftszimmer.

2 Ansicht von 1934 von Südosten mit Haupt-gebäude und Garagen.Vorlage: Postkarten-sammlung, Stadtarchiv Stadt Tübingen.

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Die Tübinger Bodendenkmalpflege, für die zu-nächst Adolf Rieth alleine verantwortlich war,musste sich daher zwangsläufig auf die Bergungund Bearbeitung von Neufunden beschränken.Anders als in Nordwürttemberg hatte der Krieg imSüden des Landes keine so großen Zerstörungenzur Folge. Schwer getroffen waren allerdings beiuns die Städte Friedrichshafen, Reutlingen unddas mittlerweile von Karlsruhe aus betreute Freu-denstadt. Wer in dieser Aufzählung die Stadt Ulmvermisst, sei an die damalige Zuständigkeit des

Stuttgarter Landesamtes erinnert. Nach der Wäh-rungsreform im Sommer 1948 machte der Wie-deraufbau kriegsbeschädigter Bauten rasche Fort-schritte. Die ersten großen Kircheninstandsetzun-gen wurden in enger Zusammenarbeit mit derStaatlichen Oberfinanzdirektion und zwar in denehemaligen Klosteranlagen Weißenau und Wein-garten unternommen. Auf dem Gebiet der Bo-dendenkmalpflege stellten sich in den erstenNachkriegsjahren zahlreiche, auch spektakuläreNeufunde ein, so beispielsweise die Aufdeckungeines frühkeltischen Herrensitzes auf der Heu-neburg. Wer hätte damals gedacht, dass die Aus-sage von Adolf Rieth, „im Jahre 1950 gingen wiran eine Aufgabe, die uns noch lange beschäftigenwird: an die Großgrabung auf der Heuneburg“,dass diese Aussage fünfzig Jahre später noch im-mer Gültigkeit besitzen würde.Überraschend aktuell liest sich angesichts derheutigen Dominanz von Wirtschaftlichkeits- undIndividualinteresse auch die folgende Feststellungvon Oscar Heck, der im Tübinger Landesamt ab1947 für die Baudenkmalpflege verantwortlichzeichnete: „In der Denkmalpflege zeigt sich mehrals anderswo, wie fruchtlos oder gar falsch die Be-urteilung eines wenn auch noch so einfach gela-gerten Falles vom grünen Tisch aus sein kann... ImZeichen des wirtschaftlichen Aufstieges, der viel-fache, teilweise überraschende Bedürfnisse mitsich bringt, ist es doppelt wichtig, Auge in Augemit dem Bauherrn zu prüfen, was von seinen For-derungen wichtig, dringlich unabwendbar oderauch übertrieben ist.“ Es verwundert daher nicht,wenn sich „die Bewahrung des schwäbischenStadt- und Dorfbildes“ bereits in den 1950-er Jah-ren zu einem der Sorgenkinder des Denkmalpfle-gers entwickelt hatte.Von den nahezu 2000 Baubetreuungen der Bau-denkmalpflege in den Jahren von 1946 bis 1958können an dieser Stelle natürlich nur ganz wenigenamentlich genannt werden. Erinnert sei an denWiederaufbau von Freudenstadt und Friedrichs-hafen, an die Wiederherstellung bzw. Instandset-zung von romanischen Bauwerken etwa der Au-reliuskirche in Hirsau oder der Michaelskirche inBurgfelden samt Restaurierung der dortigenWandmalereien, an die Sicherung der barockenHauptfassade des Zwiefalter Münsters und denumstrittenen Einbau einer neuen Orgel auf derdortigen Westempore. Erinnert sei an die Einrich-tung eines Landschulheims in das renovierungs-bedürftige Benediktinerinnenkloster Urspringoder etwa an die für die damalige Zeit noch unüb-liche substanzschonende, d. h. ergänzungsfreieKonservierung gotischer Wandmalereien imKreuzgang des ehemaligen Zisterzienserinnen-klosters Heiligkreuztal. Erinnert sei schließlich anzwei wichtige Maßnahmen in der Tübinger Alt-

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4 Blick in das Treppen-haus.

5 Mittelflur im Erd-geschoss, links: Glasfrontdes Geschäftszimmers.

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stadt, an die Instandsetzung der spätgotischenKapelle im Bebenhäuser Pfleghof und an die Frei-legung der Fassadenmalereien am Rathaus.Die Bodendenkmalpflege in Tübingen, auf derenschwierige Arbeitsbedingungen bereits eingangshingewiesen worden ist, wurde seit 1951 zusätz-lich von Siegwalt Schiek betreut. Sie widmete sichanfangs in nicht unerheblichem Umfang der Neu-ordnung und Inventarisation von Heimatmuseenund Privatsammlungen mit wichtigen vorge-schichtlichen Beständen. Schon bald wurde auchdie Vermessung vorgeschichtlicher Ringwälle wie-der aufgenommen. Mit dem nach der Währungs-reform möglich gewordenen Ausbau eines Netzesvon örtlichen, ehrenamtlichen Pflegern und Be-richterstattern wuchs die Kenntnis von Fundstel-len erheblich. Zu den Neufundmeldungen gehör-ten auch etliche alamannische Friedhöfe. Bei denwissenschaftlichen Untersuchungen von Fund-stellen entwickelte sich damals eine sehr frucht-bare Zusammenarbeit des Landesamts mit demInstitut für Vor- und Frühgeschichte der Univer-sität Tübingen. Allein schon dessen Bibliothekwurde für die staatliche Bodendenkmalpflege unentbehrlich. Neben den Ausgrabungen auf derHeuneburg stellte von 1953 bis 1956 die voll-ständige Ausgrabung von über 800 Alamannen-gräbern in Weingarten mit etwa 7000 Grabbei-gaben einen Arbeitsschwerpunkt dar. Über dieNeufunde unterrichtete die damals vom Würt-tembergischen Geschichts- und Altertumsvereinherausgegebene Zeitschrift „Fundberichte ausSchwaben“.Das Tübinger Landesamt für Denkmalpflege hattein seinen Anfängen außer der Bau- und Boden-denkmalpflege noch weitere Arbeitsbereiche. DieKunstdenkmalpflege, also im Wesentlichen derSchutz und die Pflege von Werken der Malerei,Plastik, des Kunsthandwerks sowie von Glocken,war noch eigenständig organisiert. Beachtlich,dass damals sogar schon die Restaurierung vonWandmalereien des Jugendstils, namentlich inden Pfullinger Hallen, seitens unseres Amtes be-treut wurde. Die Museumspflege kümmerte sichum die nichtstaatlichen Museen, meist Heimat-museen, darunter ganz wesentlich um den Wie-deraufbau des Bodenseemuseums in Friedrichs-hafen. Die fachliche Betreuung von Gefallenen-denkmalen wurde ab 1948 zum festen Bestand-teil des konservatorischen Bemühens. Dabei standdie konkrete künstlerische Entwurfsberatung zurAbwendung von „neuem Denkmalkitsch“ imVordergrund. Eine eigenständige Inventarisationvon Kulturdenkmalen fand dagegen im TübingerLandesamt nicht statt. Sie lag ausschließlich inStuttgarter Händen und wurde – wie zu lesen war – „zu allen Zeiten fortgesetzt“. 1954 erschiender Inventarband zum ehemaligen Kreis Wangen,

dessen Bearbeitung von Adolf Schahl und Wernervon Matthey vor dem Kriege begonnen wordenwar und schließlich von Georg Sigmund GrafAdelmann von Adelsmannsfelden, dem späte-ren ersten Leiter des baden-württembergischenLandesdenkmalamtes, abgeschlossen wurde. DieDenkmale im preußischen Hohenzollern schließ-lich, das sei noch erwähnt, wurden eigenständigdurch einen Provinzialkonservator betreut unddies sogar noch bis zum Inkrafttreten der ba-den-württembergischen Verwaltungsreform zum1. 1. 1973.So weit ein kleiner inhaltlicher Rückblick auf dieAnfänge des Tübinger Landesamtes für Denkmal-pflege. Nach dem bescheidenen Auftakt von1945 erfolgte im Jahre 1955 – mittlerweile unterder Bezeichnung „Staatliches Amt für Denkmal-pflege Tübingen“ – die Unterbringung im Fünf-eckturm des Tübinger Schlosses, von der nochheute ältere Kolleginnen und Kollegen mit Begeis-terung und auch Wehmut berichten. Im zeitlichenZusammenhang mit der Neugründung des zentralgeführten Landesdenkmalamts Baden-Württem-berg zog die Bau- und Kunstdenkmalpflege 1972nach Bebenhausen. Das ehemalige Schulhaus botder dortigen Kollegenschaft, zu der mittlerweileauch Inventarisatorinnen und Inventarisatoren gehörten, bis zu einem erneuten Wechsel imJahre 1989, diesmal in die Tübinger Gartenstraße,Raum für ihre verantwortungsvollen Aufgabenund Tätigkeiten.In der Tübinger Dienststelle des Landesdenkmal-amtes spiegelt sich baden-württembergische Lan-desgeschichte und Landesverwaltungsgeschichteim Kleinen wider. Mit dem jetzt zur Verfügung

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6 Keramikrestaurierung(Untergeschoss).

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stehenden „neuen“ Dienstgebäude schließt sichder Kreis. Nun können sich die unterschiedlichenDisziplinen der Archäologie und der Bau- undKunstdenkmalpflege wieder in einem Gebäudeauch informell und unbürokratisch näher kom-men. Erhofft werden dadurch nicht nur Syner-gieeffekte, wie sie sich etwa im Bereich der Pla-nungsberatung am frühesten einstellen dürften,sondern ganz generell mehr gegenseitiges Ver-stehen der jeweiligen Fachauffassungen.

Literatur:

Bericht des staatlichen Amts für Denkmalpflege Tü-bingen. In: Staatliche Denkmalpflege in Württemberg1858–1958, Stuttgart und Tübingen, 1960, 75–123.

Dr. Michael GoerLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeAlexanderstraße 4872072 Tübingen

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7 Büroraum (2. Ober-geschoss).

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Die Eichelspitze ist eine markante Erhöhung desKaiserstuhlmassivs, die sich zwischen Eichstettenund Vogtsburg (Landkreis Breisgau-Hochschwarz-wald) auf eine Höhe von 520 m ü.NN erhebt. Aufdem Gipfelplateau soll ein Aussichtsturm erstelltwerden, damit Wanderer die schöne Aussichtüber den Kaiserstuhl und die Freiburger Bucht ge-nießen können. Bei der Erstellung eines proviso-rischen Turmes kam es zu Geländeveränderun-gen, bei denen zahlreiches Fundmaterial zutagegefördert wurde, das ein ehrenamtlicher Mitar-beiter des Landesdenkmalamtes barg. Diese Neu-funde waren der Anlass für eine Beschäftigungmit dem weitgehend in Vergessenheit geratenenSt. Peterskloster auf dem Kaiserstuhl. Eine Fund-auswahl wird zwischen Juni und August im Mu-seum für Ur- und Frühgeschichte in Freiburg aus-gestellt.Unweit des geplanten Turmes lag das so ge-nannte „Bruderhäusle“, eine Einsiedelei mit einerSt. Erhardskapelle. Das Kirchlein wurde am Endedes 14. Jahrhunderts erwähnt, als der EichstetterPfarrer einen Anteil von deren Einnahmen bean-spruchte. Von dem mit einem Graben umgebe-

nem Gebäudekomplex ist nur ein ca. 4 m langesund 2,5 m hohes Mauersegment im Aufgehen-den erhalten. An dessen nördlichem Abschlussbefindet sich eine Gebäudeecke, am südlichenEnde ist eine mit Backsteinen ausgekleidete Ni-sche erkennbar, die aufgrund der Anziegelung als Reste einer Feuerstelle anzusprechen ist. DieKrone der Mauer wurde sekundär aufgemauertund trägt eine Aussichtsplattform.Durch die jüngste Baumaßnahme wurden nord-östlich der Ruine Funde des 14. bis 16. Jahrhun-derts freigelegt. Zu den ältesten Objekten zählenBruchstücke von Geschirrkeramik, ein Pilgerzei-chen sowie eine Ringfibel aus Bronze. Eine ei-serne Schere, ein Bohrer und weitere Geräte be-legen, dass der oder die Bewohner der Einsiede-lei in bescheidenem Umfang Landwirtschaft undhandwerklichen Tätigkeiten, wohl zur Eigenver-sorgung, nachgegangen sind. Die meisten Fundesind in das 15. Jahrhundert zu datieren. NebenKeramikbruchstücken und Baukeramik wurdenzahlreiche Bruchstücke reliefierter Ofenkachelngeborgen. Zum einen gibt es einige grün glasierteKacheln, die sowohl nach links, als auch nach

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Das vergessene St. Peterskloster auf dem Kaiserstuhl und sein Bruderhäusleauf der Eichelspitze

Denkmalporträt

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rechts reitende Turnierritter mit eingelegter Lanzezeigen. Häufig vertreten sind ferner so genannteKacheln mit Waffeldekor, die lediglich engobiertwaren und unglasiert blieben. Diese Kachelngehörten zu einem Ofen, der um die Mitte des15. Jahrhunderts gesetzt worden ist. Durch dieMischung der beschriebenen Kacheln ergab sichein ansprechender Kontrast zwischen grün gla-sierten und hellgelb engobierten Kacheln. Dieseraufwändig gestaltete Ofen passt insbesonderewegen des Bildprogramms nicht recht zum Le-bensstil eines Eremiten – man hätte eher religiöseMotive erwartet. Im frühen 16. Jahrhundert fieldie Einsiedelei offenbar aufgrund der Reforma-tion wüst. Das „Bruderhäusle“ auf der Eichel-spitze stand jedoch nicht allein, sondern war viel-mehr Teil des historisch überlieferten St. Peters-klosters auf dem Kaiserstuhl.

1387 übertrug Hesso von Hachberg-Höhingenden Pauliner-Ordensbrüdern das in seiner Herr-schaft Höhingen gelegene Gotteshaus, Haus undHofstatt zu St. Peter auf dem Kaiserstuhl sowiedie Kirche und den Kirchensatz zu Vogtsburg. DieEinsiedler lebten ursprünglich in Obernimburg,wo ihr Kloster zerstört worden sein soll. In ver-streuten Einträgen in Freiburger und BreisacherZinsbüchern sowie im Urbar des Reuerinnenklos-ters zu Freiburg aus den Jahren 1450–1567 fin-den sich Hinweise auf das Kloster St. Peter. DasKollektenverzeichnis im Erzbischöflichen ArchivFreiburg (Registrum subsidii charitativi) führt inden Jahren 1469–1508 mehrmals das Haus derBrüder vom Orden des Hl. Paul als einziges Klos-ter des Dekanates Endingen auf (domus fratrumsancti Pauli dictum Kaiserstul). Das vermutlich mitnur wenigen Mönchen besetzte Kloster gelangtezu keiner großen Bedeutung und ging vermutlichwährend der Reformation ein. Dies deckt sich mitden Beobachtungen auf der Eichelspitze.Zur Lokalisierung dieses Klosters ist anzumerken,dass die Bezeichnung Kaiserstuhl ursprünglichnicht das gesamte Vulkanmassiv bezeichnete,sondern lediglich den heute als Neunlindenbuckbekannten Berg nördlich von Ihringen – nur200 m südwestlich der oben beschriebenenFundstelle. Dort fanden sich noch am Ende des19. Jahrhunderts Ruinen des Klosters, die derehemalige Freiburger Stadtarchivar Adolf Poin-signon beschrieben hat. Die Lage von Kirche,Haus und Hofstatt St. Peter lässt sich auf derKuppe „Neun Linden“ lokalisieren. Am höchstenPunkt wurde dort um 1900 der Neunlindenturmerrichtet, wobei die aufgehenden Baureste ver-mutlich beseitigt worden sind. Scherben und re-liefierte Ofenkacheln entsprechen denen von derEichelspitze. Bei Planierungen östlich des Turmeswurden 1993/94 beim Anlegen einer TerrasseNord-Süd verlaufende Fundamente beobachtet,die als Teile der Klosterbauten anzusprechen sind.Auf dem Totenkopf, dem unmittelbar westlichbenachbarten Berg, soll man im 19. Jahrhundertbeim Setzen des Marksteines auf ein Gewölbegestoßen sein, in dem sich Reste von menschli-chen Skeletten fanden, die von Poinsignon alsGruft der Ordensgeistlichen gedeutet wurden.

Dr. Bertram JenischLDA · Inventarisation und DokumentationSternwaldstraße 1479102 Freiburg

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Die Universitätsstadt Tübingen zeichnet sich bisheute durch eine Reihe stattlicher Verbindungs-häuser aus der Wende vom 19. zum 20. Jahr-hundert aus. Eines der bekanntesten Verbin-dungshäuser ist, nicht zuletzt wegen seiner Lageunmittelbar vor dem Schlossportal, das 1904 vonden Architekten Paul Schmohl und Georg Stähe-lin errichtete Roigelhaus. Es gehört der „Königs-gesellschaft“, einer 1838 von Studenten des Tü-binger Stifts gegründeten, nicht schlagendenVerbindung, deren Name auf ihr ursprünglichesVersammlungslokal, das „Gasthaus zum König“,hinweist.An der Stelle des Neubaus hatte seit dem ausge-henden Mittelalter die „Schlossküferei“ gestan-den, deren weithin sichtbares, mächtiges Krüp-pelwalmdach das Tübinger Stadtbild mit präg-te und auf den berühmten Stadtansichten des 17. Jahrhunderts von Pfister, Ramsler und Meriandeutlich zu sehen ist. Für die Architektur des Roi-gelhauses orientierten sich Schmohl und Stähelinan diesem für das Stadtbild so wichtigen Vorgän-gerbau. Damit folgten sie anscheinend einem Rat

des bedeutenden Stuttgarter Architekturprofes-sors Theodor Fischer, dessen Gedanken zum be-hutsamen Bauen in alter Umgebung damals ge-rade Schule machten.Im Sinne der „Heimatkunstbewegung“ wähltendie Architekten sowohl eine der Tübinger Orts-bautradition folgende künstlerische Formenspra-che als auch die im Neckartal heimischen Bauma-terialien. Zitathafte Anklänge an die „Schlosskü-ferei“ sind etwa das Krüppelwalmdach, derZwerchgiebel und die asymmetrische Aufteilungdes Baukörpers, dessen leicht aus der Mittelachsegerücktes Rundbogenportal an die ehemaligeEinfahrt zum Scheuenteil der „Schlossküferei“erinnert. Das Rundbogenfenster im Zwerchgiebelnimmt das Motiv der breiten Aufzugsluke wiederauf. Auch die Ausführung der Giebel in Fachwerklässt sich auf den Vorgängerbau zurückführen,wenngleich hier, besonders in den dekorativ ge-stalteten Brüstungsfeldern, auch Einzelformenverarbeitet wurden, die bezeichnend für dieFachwerkarchitektur anderer Kunstlandschaftensind. Sie finden ihre Erklärung in der Wiederent-

Sitz einer königlichen GesellschaftDas Roigelhaus in Tübingen

Denkmalporträt

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deckung, Weiterentwicklung und nicht mehrortsgebundenen Verwendung von Zierfachwerkim letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts.Bei aller Anlehnung an Bautraditionen handelt essich jedoch um einen künstlerisch selbständigenEntwurf, der die Eigenarten der zeitgenössischenArchitekturentwicklung widerspiegelt und dabeibis ins Kleinste an der Zweckbestimmung des Ge-bäudes als Wohn- und vor allem Versammlungs-haus einer studentischen Verbindung orientiertist. So lässt sich die innere Einteilung schon am Au-ßenbau in großen Zügen ablesen: Die durch zahl-reiche kleine Fensteröffnungen imtim-wohnhaus-haft gestaltete Osthälfte beherbergt Wohn- undWirtschaftsräume, während die durch übergrei-fende Großformen ruhiger gegliederte West-hälfte und das Dach die Gesellschafts- und Reprä-sentationsräume enthalten. Hinter dem Zwerch-giebel liegt als wichtigster Raum des Verbin-dungshauses der Kneipsaal. Er ist tonnengewölbtund reicht über die ganze Haustiefe. Von beson-derem Reiz ist seine im Wesentlichen noch wohl-erhaltene Ausstattung mit der hohen, geschnitz-ten und beziehungsreich bemalten Wandvertäfe-lung, mit farbiger Verglasung von Fenstern undTüren, mit den gemalten Supraporten, auf denen

die „Schlossküferei“ und das „Gasthaus zum Kö-nig“ abgebildet sind. Als herausragende Teile derAusstattung haben sich alte Kronleuchter sowieein großer Kachelofen und die als Pendant auf ihnbezogene Kredenz erhalten. Hier und im an-schließenden Erkerzimmer sowie in der Eingangs-halle mit ihrem repräsentativen, von bunten Glas-fenstern erhellten Treppenaufgang wird der Le-bensstil studentischer Verbindungen um dieJahrhundertwende noch immer sehr anschaulich.Besonders lebendig ist der Geist der „Roigel“darüber hinaus durch die so genannten Bierga-zetten („Gazettes du Roi“) überliefert. Das sindKneip- und Verbindungszeitungen mit Gedichtenund Zeichnungen, deren Tradition auch heutenoch, mehr als 160 Jahre nach den ersten hand-schriftlichen Exemplaren, fortgeführt wird. Siesind, zusammen mit anderen Teilen des Archivs,als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung indas Denkmalbuch eingetragen.

Dr. Michael RuhlandLDA · Inventarisation und DokumentationAlexanderstraße 4872072 Tübingen

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Bei dem 1926 für den Oberzollinspektor a.D.Theodor Mörike erstellten, zweigeschossigen Ein-familienhaus in Holzfachwerk mit Korksteinausfa-chung und äußerer Brettervertäferung handelt essich um einen Holzfertigbau des Systems Schnei-der der Firma Georg Schneider Holzbau, Zimme-rei, Säge- und Hobelwerk, Lindau-Aeschach.Waren Ende des 19. Jahrhunderts nur noch 10Prozent aller Bauten aus Holz, stieg um 1900 dasInteresse am Holzbau wieder an. Die altdeutscheBauweise und ihre besondere Schönheit erfuhreine ideelle Aufwertung und lebte im so genann-ten Heimatstil und der Heimatschutzbewegungwieder auf, sodass die Zahl der im Fachwerk-Stil erbauten Landhäuser und Villen deutlich zu-nahm. Parallel dazu kam es durch die Industriali-sierung sowie durch das Streben nach Rationali-sierung und technischer Modernisierung in sämt-lichen Bereichen, auch im Bereich des Wohnbaus,zu einschneidenden Entwicklungen. Im Wohn-bau versuchte man sich von den traditionellen

Hausbautechniken zu lösen und sich neuen Bau-weisen zuzuwenden. Mit technisch-wirtschaftli-chen Ideen wollte man eine Industrialisierung desWohnbaus erreichen. Namhafte Architekten be-mühten sich um den Entwurf von vergleichswei-se anspruchsvollen, aber schnell und preiswert zu errichtenden Häusern mit praktischem Grund-riss und zweckmäßiger Einrichtung. In den erstenJahren des 20. Jahrhunderts gab es immer wiederWettbewerbe für Kleinwohnungen sowie Aus-stellungen von Musterhäusern.Vor diesem Hintergrund entwickelte sich das vor-gefertigte Holzhaus. Nach den ersten Erfahrun-gen im Bereich der Holzfertigbauweise vor demErsten Weltkrieg erfuhr der Holzfertigbau danacheinen Aufschwung. Es kam zu einer kontinuier-lichen Weiterentwicklung in Bezug auf die Ty-penvielfalt und die Erprobung von Fertigungs-verfahren. Wurde die Möglichkeit, ganze Häuseraus vorgefertigten Teilen zusammenzusetzen, inDeutschland vor dem Ersten Weltkrieg haupt-

Denkmalporträt

Wohnhaus in HolzfertigbauweiseFriedrichshafen, Alter Friedhofweg 2

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sächlich für militärische Einrichtungen, Kranken-häuser oder Schulen genutzt, so veranlasste dieriesige Wohnungsnot danach viele Unternehmenin der Holzindustrie, die Herstellung von Wohn-häusern aufzunehmen. Zusätzlich schien unterden schwierigen Nachkriegsbedingungen alleindas vorgefertigte Holzhaus eine Chance zu ha-ben. Holz war der einzige gängige Baustoff, dervon der Materialknappheit und der Kohlenkriseunberührt war.So wandte sich auch Georg Schneider 1912 nachÜbernahme des seit 1801 zunächst als Zimmerei,später als Schreinerei in Familienbesitz befindli-chen Betriebs den montagefertigen und zerleg-baren Holzbauten zu. Nach dem Ersten Weltkriegerreichte die Firma Schneider eine führende Stel-lung auf diesem Gebiet in Süddeutschland. Siebot eine größere Auswahl an verschiedenenHaustypen, die sich in Bezug auf die Grundfläche,die Geschossigkeit und die Raumaufteilung un-terschieden.

Bei dem Wohnhaus handelt es sich um einenzweigeschossigen Haustypus mit vergleichsweisegroßer Grundfläche und großzügiger Raumauf-teilung. Vor allem der Flur mit der Treppenanlageüberrascht mit seinen Dimensionen. Neben derGroßzügigkeit der Raumaufteilung bestechender Grundriss wie auch die äußere Erscheinungdurch die Ausgewogenheit der Proportionen.Überaus bemerkenswert ist die Qualität der Aus-führung, beispielsweise der Bretterverkleidungvon Wänden und Decken im FIurbereich oder der stilistisch in der Formensprache der 20er-Jah-re gestalteten Türen, Fenster und Fensterumrah-mungen.Das Gebäude stellt ein bis in die Details besondersgut überliefertes Produkt der Schneiderschen Fer-tigung dar. Es belegt die Schneidersche Kon-struktionsweise und dokumentiert den techni-schen Standard von Holzfertigbauten dieser Zeit.Darüber hinaus stellt das Einfamilienwohnhausein anschauliches Beispiel für den gehobenenbürgerlichen Wohnungsbau zwischen den Welt-kriegen dar.

Cornelia Lindenberg M. A.Obere Paulusstraße 11070197 Stuttgart

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Im Bodenseeraum führt die fortschreitende bau-liche Verdichtung zu erheblichen Veränderungenbis hin zum Verlust jahrhundertealter Siedlungs-strukturen. Die Bauvoranfrage für einen Neubauim Ortskern von Bettnang stellte die GemeindeMoos (Lkr. Konstanz) vor die Frage, welche Ent-wicklung hier längerfristig sinnvoll sei. Um dies zubeurteilen, wollte man zunächst klären, welcheBedeutung dem Weiler zukommt, und zwar nichtnur den einzelnen Höfen – einige sind schon seitlängerem als Kulturdenkmale bekannt –, sonderndem Ortsteil in seiner Gesamtheit, als einer histo-rischen Siedlungseinheit. Eine gemeinsame Orts-begehung sollte darüber Aufschluss geben.Der Literatur war zu entnehmen, dass Bettnang,1385 erstmals urkundlich erwähnt, zur Herr-schaft Bohlingen gehörte. Diese war von 1497 bis1802 in bischöflich-konstanzischem Besitz. 1701bestand Bettnang aus vier, 1808 aus sechs Häu-sern. Auf dem Gemarkungsplan von 1872 sindzehn Höfe dargestellt. Wir finden sie – zum Teilverändert – heute noch im Ort vor. Die Begehungzeigte, dass fünf davon aufgrund ihrer Bauweiseder Zeit vor 1808 zuzuordnen sind (BettnangerStraße 32, 34, 36, 37 und 41). Es handelt sich um

stattliche quer geteilte Einhäuser mit zweige-schossigem Wohnteil, Stall und Scheune unter ei-nem steilen Dach. Bei einigen Anwesen ist dasFachwerk sichtbar belassen, bei anderen ver-putzt.Die Höfe sind locker um eine platzartige Frei-fläche gruppiert, die von der Bettnanger Straßegequert wird. Auf der Nordseite besteht sie ausbaumbestandenen Gärten, die den Häusern vor-gelagert sind. Die Höfe Bettnanger Straße 41 und29 schließen den Platzbereich nach Westen undOsten ab; Nr. 41 und 36 liegen einander gegenü-ber und bilden an der Stelle, an der die Bettnan-ger Straße in den Platz einbiegt, eine Torsituation.Der Brunnen zwischen den Höfen BettnangerStraße 37 und 41 trägt die Jahreszahl 1807. Derweite Abstand zwischen den Höfen erlaubtDurchblicke in die rückwärtigen Obstgärten undin die freie Landschaft.Die Begehung ergab, dass Bettnang nach den Ka-tegorien des Baugesetzbuches (§ 1(5) 5. BauGB)ein „erhaltenswerter Ortsteil von geschichtlicherund städtebaulicher Bedeutung“ ist. Die ländli-che Siedlungsform des 18. bzw. frühen 19. Jahr-hunderts ist hier besonders gut überliefert; der

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1 Quer geteiltes EinhausBettnanger Straße 34, im Türsturz datiert 1804.

Ortstermin

Bettnang, Gemeinde MoosEin „erhaltenswerter Ortsteil von geschichtlicher Bedeutung“

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räumliche und funktionale Zusammenhang vonGebäuden und Freiflächen ist bis auf wenige Ver-änderungen erhalten geblieben. Auch in einemsolchen Ort muss eine bauliche Fortentwicklungmöglich sein. Dabei sollte aber darauf geachtetwerden, dass die überlieferte Siedlungsstrukturund damit die Eigenart des Ortsbildes gewahrtbleibt.Die ortsbildprägenden, aus fachlicher Sicht erhal-tenswerten Bestandteile des Siedlungsgefügeswurden in einen Plan eingetragen. Die Gemeindebeauftragte eine Planerin, auf dieser Grundlageein Konzept für eine moderate Nachverdichtungzu entwickeln. Nach Abstimmung mit den Be-wohnern von Bettnang und dem Gemeinderatsetzte sie dieses in einen Bebauungsplan um.Darin ist im Einzelnen geregelt, welche Flächenfür eine Neubebauung zur Verfügung stehen undwelche freizuhalten sind. Die ortsbildprägendenGärten in der Ortsmitte und am südlichen Orts-rand sind als private Grünflächen festgesetzt, dieStreuobstwiese im Norden des Weilers mit den

über 100 Jahre alten Birnbäumen ist auf Dauer zuerhalten und zu pflegen. Um die charakteristi-schen großen Vorzonen zwischen den Haupt-gebäuden und der Straße freizuhalten, sind Ne-bengebäude, Garagen und Carports hier nichtzulässig.Bei den Kulturdenkmalen folgen die Baugrenzendem Bestand. Bei vier der fünf denkmalgeschütz-ten Höfe ist eine Erweiterungsmöglichkeit inForm eines separaten neuen Baukörpers vorge-sehen.Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nut-zung orientieren sich am Bestand. Um ortsunty-pische Wohnformen zu vermeiden, wurde diezulässige Zahl von Wohneinheiten pro Gebäudebegrenzt. Es besteht aber die Möglichkeit, Öko-nomieteile bestehender Höfe, die durch denStrukturwandel in der Landwirtschaft frei wer-den, zu Wohnzwecken umzunutzen.Solche Umbaumaßnahmen sollten behutsamdurchgeführt werden, damit das überlieferte Er-scheinungsbild der Gebäude gewahrt bleibt. Diesgilt nicht nur für die Kulturdenkmale, sondernauch für die übrigen Höfe, da auch sie von Be-deutung für das erhaltenswerte Ortsbild sind.Neubauten sollten die wesentlichen Merkmaleder ortstypischen Bauweise aufnehmen.Um dies zu gewährleisten, wurden dem Bebau-ungsplan Örtliche Bauvorschriften beigefügt. Sieregeln u.a. die Grundform der Gebäude, dieForm, Neigung und Deckung der Dächer, die Aus-bildung von Dachgaupen und Fenstern. Bei denEinhäusern sind die Öffnungen der Scheunentorezu erhalten. Weitere Hinweise zum regionalenBauen mit erläuternden Zeichnungen sind demBebauungsplan als Anhang beigefügt.Der Bebauungsplan und die Örtlichen Bauvor-schriften bilden die rechtliche Grundlage, um denWeiler Bettnang in seiner besonderen, von derGeschichte geprägten Eigenart auf Dauer zu erhalten und bei Bedarf behutsam fortzuent-wickeln. Die Planung hat gute Chancen, in die-sem Sinne wirksam zu werden, da sie nicht nurfachlichen Zielvorstellungen, sondern vor allemdem Wunsch der Bewohner von Bettnang ent-spricht.

Dr.-Ing. Erik RothLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeSternwaldstraße 1479102 Freiburg im Breisgau

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2 Die platzartige Freif-läche im Ortskern.

3 Der Ortskern von Bett-nang mit den wesent-lichen Bestandteilen deserhaltenswerten Sied-lungsgefüges: den Kultur-denkmalen (rot), weiterenhistorischen Gebäuden(orange) und den orts-bildprägenden Gärten,Hof- und Straßenflächen.

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BesprechungScheunen ungenutzt – umgenutzt.

In: Denkmalpflege im Thurgau. Jahrbuch 2, 2001.Hrsg. vom Amt für Denkmalpflege des KantonsThurgau. 88 Seiten mit 167 Abildungen. VerlagHuber u. Co. Frauenfeld, Stuttgart, Wien. ISBN3–7193–1249–6.

Besondere Probleme der Erhaltung bereiten derDenkmalpflege schon lange die zahlreichen leerstehenden Scheunen, Strandgut eines extremenStrukturwandels in der europäischen Landwirt-schaft. Mit diesem Problem beschäftigt sich dasJahrbuch Band 2 (2001) des Amtes für Denkmal-pflege des Kantons Thurgau (Schweiz).Auch in den ehemals landwirtschaftlich gepräg-ten Gebieten Deutschlands sind zahlreicheScheunen nutzlos geworden. Und das Höfester-ben geht weiter. 32% der landwirtschaftlichenBetriebe wurden zwischen 1991 und 2001 auf-gegeben. Und damit steigt die Zahl der leer ste-henden Scheunen weiter. Diese Ökonomiege-bäude sind für das Bild des ländlichen Raums vonBedeutung. Ihre Erhaltung ist damit auch einThema der Denkmalpflege. Ihr längerer Leer-stand und die damit einhergehende Vernachläs-sigung der Bauunterhaltung machen aber die Er-haltung problematisch. Die Thurgauer Publika-tion zielt damit auf ein auch hier akutes Problemund findet daher auch hierzulande ihre Adressa-ten. In dem durch zahlreiche Farbabbildungen in-

formativ aufbereiteten Heft sind verschiedeneBeiträge versammelt, die das Problem des Wan-dels der Landwirtschaft umreißen, die Arbeit derInventarisation würdigen, die Charakteristika derThurgauer Scheunen darstellen und Lösungs-ansätze im Falle ihrer Umnutzung aufzeigen.Beatrice Sendner-Rieger, Leiterin des ThurgauerAmts für Denkmalpflege, umreißt in der Einlei-tung das Szenarium. Von 80 000 Gebäuden imThurgau sind 10 000 Ökonomiegebäude. Diese,insbesondere die großvolumigen Scheunen, prä-gen also auf Grund ihrer großen Zahl die Thur-gauer Landschaft. Ihr Verlust bedeutete eine Ver-armung des Kantons Thurgau.Hermine Hascher vom Thurgauer Bauernverbandergänzt die Aussagen zum Strukturwandel in derLandwirtschaft des Thurgaus durch die Statistik.Die Zahlen spiegeln eine gewaltige Veränderung.Mitte des 19. Jahrhunderts waren 50% derSchweizer in der Landwirtschaft tätig, heute ar-beiten nur noch 8% der Beschäftigten im Thur-gau in der Landwirtschaft, obwohl der Thurgauim Unterschied zu anderen Kantonen vorwie-gend landwirtschaftlich geprägt geblieben ist.Die Geografin Erika Tanner beschreibt in ihremBeitrag „Historische Scheunenbauten im KantonThurgau im Spiegel der landwirtschaftlichen Ent-wicklung“ die Raumfunktionen der ThurgauerScheune und deren nutzungsbedingte Anord-nung. Leider fehlen ein beispielhafter Grundrissund Längsschnitt mit der Darstellung von Tenne,Garbenraum, Stall und Futterbergeraum, die si-cherlich dem Laien bzw. Städter das Verständniserleichtern würden. Ferner geht sie summarisch

1 Ausschnitt von S. 13der besprochenen Publi-kation.

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auf Konstruktionen und Materialien der Thur-gauer Scheunen und schließlich auf eine Beson-derheit ein, auf die dekorativen Scheunentore.Alfons Raimann, Inventarisator des ThurgauerAmts, erläutert in seinem Beitrag „Inventare stel-len Weichen“ die Arbeit der Inventarisation amThurgauer Amt für Denkmalpflege. Seit 25 Jah-ren, so berichtet er, wird ein Gebäudeinventar ge-führt, in dem – im Unterschied zu den nur Kul-turdenkmale umfassenden Inventarlisten derdeutschen Landesämter – alle vor dem 2. Welt-krieg errichteten Hochbauten verzeichnet sind,also von ca. 80 000 Hochbauten des Kantons30 000 Gebäude. Wirtschaftsgebäude machendavon ein Drittel aus. Die Inventarblätter halten,wie anhand eines abgebildeten Beispiels zu erse-hen ist, zu jedem Gebäude genaue Lage, Funk-tion, Bauzeit und Charakteristika fest; ergänztwird das Blatt durch ein Foto.Anhand des Inventars werden die einzelnen Bau-ten – wie Raimann weiter ausführt – nach einervierteiligen Skala bewertet, und zwar:– besonders wertvoll = hervorragendes zu

schützendes Baudenkmal,– wertvoll = zu schützendes Baudenkmal,– Gesamtform erhaltenswert = bemerkens-

wertes Gebäude,– keine Einstufung.Ein solches, die gesamte Baukultur des Kantonsspiegelndes Inventar ist sicher zu begrüßen, da esein fundiertes Bewerten der Einzelbauten ermög-licht, anders als es die vorläufigen Inventare derdeutschen Ämter erlauben, die bereits eine Vor-auswahl darstellen. Noch professioneller würdedie Bewertung erfolgen können, wenn Skizzenzu Grundriss und Innenstruktur mit Kennzeich-nung der Funktionseinheiten die Angaben er-gänzen würden. Ergebnis der Bewertung desThurgauer Inventars durch das Amt für Denkmal-pflege ist, wie Raimann in seinem Beitrag weiterausführt, dass zwei Drittel der Gebäude in Ge-samtform als erhaltenswert und ein Sechstel alswertvoll und besonders wertvoll eingestuft wur-den. Die Gebäude mit der Qualität eines Bau-denkmals werden im Thurgau dann in der Regelin einem Rechtsakt durch die Gemeinde gemäßNatur- und Heimatschutzgesetz unter Schutz ge-stellt. Bei der Mehrzahl der Gebäude, den be-merkenswerten Bauten, ergeht an die Gemeindeund Eigentümer die Empfehlung, diese Gebäudezu erhalten.Raimann stellt insgesamt überzeugend dar, dassdie Inventare Grundlage für die Denkmalauswei-sung und damit die Erhaltung des baulichen Er-bes sind. Ihre Publikation hilft, die Öffentlichkeitin die Erhaltungspflicht zu nehmen.Georg Mörsch, Leiter des Instituts für Denkmal-pflege an der ETH Zürich, hebt in seinem Beitrag

„Eine Chance für die Scheunen“ auf die Speziali-sierung der Scheunen als „Aufbewahrungs-geräte“ einer hoch entwickelten bäuerlichenWirtschaft ab und bezeichnet eben diese Spezia-lisierung als die Herausforderung bei einer Neu-nutzung, die ein vorsichtiges Herangehen erfor-dert. Mörsch appelliert an jede Schweizer Ge-meinde, eine besonders bedeutende Scheune inPatenschaft zu übernehmen und vorbildhaft ver-träglich zu nutzen. Er schlägt Umnutzungen zuLagerräumen für Sportgeräte und Spielzeuge so-wie zu Versammlungsstätten vor. Er warnt vor derausschließlichen Umnutzung zu Wohnraum.Wenn dies die einzige Erhaltungschance bleibt,plädiert er für die Erhaltung des Kaltdachs undder offenen Großräume.Marco Sacchetti, Departement für Bau und Um-welt des Kantons Thurgau, und Willi Metzler,Amt für Raumplanung des Kantons Thurgau, zei-gen in ihrem Beitrag „Welche Grenzen setzt dasBaurecht?“ auf, dass die vollständige Zweckän-derung einer Scheune innerhalb eines ausgewie-senen Nichtbaugebietes – wie auch im deutschenRecht – dann ermöglicht wird, wenn der Bau alsschützenswert im Sinne der Denkmalpflege aner-kannt und von der zuständigen Behörde unterSchutz gestellt wurde und eine dauerhafte Erhal-

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2 Ausschnitt von S. 65der besprochenen Publi-kation mit Grundriss undSchnitt des Hauses zurSonne.

Holzver-schalungverschieb-bar

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tung des Baus nur durch eine Umnutzung sicher-gestellt erscheint.Denkmalpfleger Marcus Casutt lenkt in seinemBeitrag „Umnutzung von Scheunen – kein neuesThema“ den Blick in’s europäische Umland undbewertet den Umgang der verschiedenen Natio-nen mit dem „Scheunenerbe“. Sein Lob erntendie Briten wegen ihrer vorsichtigen, pfleglichenUmnutzungen. In Deutschland stellt er zwar zahl-reiche Umnutzungen fest, und zwar vorwiegendzu Wohnbauten, sieht darin aber die Angemes-senheit hinter die wirtschaftlichen Erwägungenzurücktreten. Er bedauert die zahlreichen radika-len Veränderungen an hiesigen Scheunen, insbe-sondere die Eingriffe in das äußere Erscheinungs-bild bis hin zu Dachaufbauten.Sendner-Rieger analysiert in ihrem Beitrag „Wel-che Merkmale prägen die Scheunen?“ die Scheu-nenbauten des Thurgau. Sie umschreibt die typi-sche Scheune als einen mit geringem Material-aufwand erstellten großvolumigen Ständerbau,dessen Gefache durch Holz-, Stein- oder Lehm-füllungen geschlossen oder offen und dannaußen durch eine Holzschalung verkleidet sind.Sie stellt die Thurgauer Scheune zudem als vor-wiegend traufständig erschlossen dar. Die Tenne,der vielfältig genutzte Arbeitsraum, übergreift –wie auch hierzulande – die Geschossebenen. Sieweist hin auf die charakteristische geringe Zahlvon Außenhautöffnungen und das geschlosseneDach, beides bedingt durch den Hauptzweck derScheune als Bergeraum für Vorräte und Vieh.Im anschließenden Hauptbeitrag des Jahrbuchs,verfasst von Sendner-Rieger und den Denkmal-pflegern Urs Fankhauser und Doris Stadelmann,mit dem Titel „Rahmenbedingungen und geeig-nete Nutzungen“ wird bei der Formulierung vongrundsätzlichen Rahmenbedingungen und demAufzeigen verschiedener Umnutzungsmöglich-keiten für Scheunen nicht zwischen Baudenkma-len und erhaltenswerten Altbauten unterschie-den. Die denkmalpflegerischen Grundsätze: Ana-lyse des Objekts und Anpassung der Nutzung andas Objekt – und nicht umgekehrt – werden zuRecht dem Beitrag vorangestellt. Den Autorensind bei einer Umnutzung die Erhaltung folgen-der Qualitäten wichtig: Geschlossenheit des Da-ches und der Dachfläche, Erhaltung der Groß-räumlichkeit, weil die Scheune auf Großraum-nutzung angelegt ist, und der sorgfältige Um-gang mit Konstruktionselementen.Leider fehlen zu den vorgestellten Umnutzungs-beispielen nach Bestand und Planung differen-zierte Grundrisse und Schnitte, aus denen klar ab-zulesen ist, wie mit dem Gefüge der Scheune um-gegangen wurde. Der abgebildete schematischeGrundriss eines Scheunenteils lässt vielmehr sogarannehmen, dass im Zuge der Umnutzung in die

Bundkonstruktionen, und damit in wesentlicheGefüge-, also Konstruktionselemente, eingegrif-fen wurde. Bei den vorgestellten umgenutztenScheunen sind die Dachflächen weitgehend ohneEingriffe geblieben, wohingegen in den Außen-wänden z.T. zahlreiche große Fenster- und Fens-tertüröffnungen eingesägt wurden. Leider fehltim Beitrag das Ergebnis der denkmalpflegerischenAnalyse dieser Scheunenbauten, um nachvollzie-hen zu können, warum die Denkmalpflege dieseLösungen mitgetragen hat, die eine Höherwer-tung von geschlossener Dachhaut, also Erschei-nungsbild, vor Substanz annehmen lassen.Stadelmann erläutert im anschließenden Beitrag„Zum Vorgehen: eine Modellstudie“ ausführlichdie Planungsschritte bei der Umnutzung einerkonkreten geschützten Scheune im Ensemble desMühlenanwesens Mühletobel bei Neukirch ander Thur, und zwar von der Analyse des Bausdurch die Denkmalpflege über die Formulierungdes denkmalpflegerischen Konzepts bis zur Um-setzung der Umnutzungsplanung. Auch hier wirdwieder Wert gelegt auf Dachflächen ohne Auf-bauten, aber auch auf die großflächig verschaltenFassaden zumindest auf drei besonders außen-wirksamen Seiten. Leider fehlen auch hier nachBestand und Planung differenzierte Grundrisseund Schnitte, die Aufschluss geben über den Um-gang mit den in der Analyse als wichtig bezeich-neten drei Binderkonstruktionen. Und leider feh-len auch Abbildungen, die das Ergebnis diesesUmbaus zum Wohnhaus wiedergeben.Das Jahrbuch bringt im anschließenden Beitragvon Fankhauser und Stadelmann dann zahlreicheBeispiele für mehr oder weniger denkmalge-rechte neue Detaillösungen an Scheunenumbau-ten, angefangen von sachlich zurückhaltendenüber dekorative Scheunentorelemente bis hinzum befremdlichen verglasten Erker über Massiv-sockel vor einer ehemaligen Scheunentoröff-nung.Einen durchaus diskutablen Lösungsfall stellt dieFassadengestaltung des zum Wohnbau umge-nutzten Scheunenteils beim Haus zur Sonne(S. 65; 76; 78) dar. Wenn anzunehmen ist, dassdie Gefache des Holzständerbaus nicht ausge-facht waren, sondern eine Deckelschalung auf-wiesen, ist deren Ersatz durch senkrecht struktu-rierte Holzschiebeelemente, die in geöffnetemZustand die Belichtung des Wohnteils ermögli-chen, eine durchaus von der Denkmalpflege trag-bare Lösung.Die vorgestellten Dachbelichtungslösungen mit-tels Glasziegeln, Glasbändern und eines verglas-ten Grabens sind nur dann sinnvoll, wenn derDachraum Kaltdach bleibt bzw. der Dachbereichkeine separate zu beheizende Aufenthaltsebenewird. Problematisch für Erscheinungsbild und Bau-

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technik ist sicherlich der verglaste Graben. Wärenhier nicht sogar einzelne Gauben oder ein Dach-flächenfenster weniger störend und auch bau-technisch weniger problematisch gewesen?Tendenziell vertreten alle Beiträge das Ziel bei ei-ner Scheunenumnutzung, auf Eingriffe in dieDachfläche zu verzichten. Die Abwägung zwi-schen der Wertigkeit von Substanz und Strukturgegenüber Erscheinungsbild ist hier nicht Thema.Damit ist die Publikation für die baden-württem-

bergische Denkmalpflege nur bedingt brauchbar.In Baden-Württemberg sind ebenfalls zahlreiche,auch denkmalgeschützte Scheunen nicht mehrgenutzt. Die Scheunen hier sind in der Mehrzahlbescheidener, insbesondere in der Traufhöhe, di-mensioniert. Eine Chance auf Erhaltung bestehtdaher häufig nur dann, wenn die Hauptnut-zungsebene in das erste Dachgeschoss gelegtwerden kann. Dies ist aber nur möglich, wenn dieDenkmalpflege Dachbelichtungselemente, die zu-

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3 Ausschnitt von S. 76der besprochenen Publi-kation mit Abbildungendes Hauses zur Sonne.

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dem die erforderliche Fluchtöffnungsgröße haben,zulässt. Die baden-württembergische Denkmal-pflege hat sich, um ihre Denkmalscheunen zu tra-dieren, daher auch in dieser Frage einer mehrsubstanzerhaltenden und weniger erscheinungs-bildbezogenen Denkmalpflege verschrieben. Beiden Scheunen wird hier demnach das Ziel ver-folgt, vorwiegend Strukturen und Substanz zutradieren, unter Erhaltung der Großräumlichkeit,jedoch mit dem Zugeständnis von Dachbelich-tungselementen. Dass diese das Erscheinungsbildder Scheune beeinträchtigen, verfälschen, ist auchder hiesigen Denkmalpflege bewusst, daher wirdder zuständige Denkmalpfleger auch immer ver-suchen, diese auf ein Minimum zu reduzieren undauf die für die Anschaulichkeit des Gebäudes we-niger bedeutende Dachfläche zu beschränken.Die Erhaltung von Scheunen durch Weiternut-zung ist – nicht nur im Schweizer Kanton Thur-gau – ein brisantes Thema. Verdienst der Publika-tion des Thurgauer Amts für Denkmalpflege istes, erneut auf das noch nicht gelöste Problem derleer stehenden Scheunen hingewiesen zu habenund durch die aufgezeigten Umnutzungsmög-lichkeiten, insbesondere durch die aufgezeigtenAlternativen zur Umwidmung in Wohnraum, dieDiskussion in der Denkmalpflege wieder ange-facht zu haben. Die Publikation ist ein hilfreicherIdeenlieferant für die Umwidmung von erhal-tenswerten Scheunen. Desiderat bleiben aberspezielle Publikationen, die Umnutzungen vonDenkmalscheunen, auch zu Wohnzwecken, vor-

stellen, bei denen das wesentliche Gefüge undder Charakter der Scheune und damit auch derDenkmalwert erhalten geblieben sind. Sendner-Rieger appelliert zu Recht in ihrem Schlusswortan die ganze Gesellschaft, sich der Erhaltung derScheunen zu widmen durch eine angemesseneWeiternutzung.

Alte Scheune

Überall, wohin ich streune,find ich eine alte Scheune,aber find sie nirgendwovoller Heu und voller Stroh.Find sie meistens voller Gauben,die dem Dach die Ruhe rauben,voller Fenster, voller Türenund garniert mit Nippfigüren,Wagenrädern, Blumenkarren.Jeder hat so seinen Sparren,der vor allem eins bewirkt:dass man sieht, die Scheune birgt– Hafer? Gerste? Keine Spur! –Eine neue Wohnkultur.

(Unbekannte/r Autor/in)

Dr. Judith BreuerLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeMörikestraße 1270178 Stuttgart

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Dr. Hans Jakob Wörner †

Am 13. Februar 2002 starb Dr. Hans Jakob Wör-ner nach kurzer Krankheit, deren Gefährlichkeitwohl niemand geahnt hatte. Die überwältigendgroße Trauergemeinde bei seiner Beerdigung warein Zeichen für die Beliebtheit, derer sich derlangjährige Mitarbeiter des Landesdenkmalamteserfreute.Hans Jakob Wörner wurde am 20. Juni 1941 inWaldshut geboren. Die Schulzeit absolvierte er inWaldshut und von 1952 bis 1960 am humanisti-schen Gymnasium des Jesuitenkollegs St. Blasien,wo er die Abiturprüfung ablegte. Studiert hat erKunstgeschichte, Klassische Archäologie und Zei-tungswissenschaft an der Universität Zürich. Sei-ne Lehrer waren vor allem Gotthard Jedlicka, Pe-ter Meyer – dessen gesammelte Aufsätze er 1984herausgab – und Richard Zürcher. Seine Disserta-tion von 1966 untersuchte Architekturdarstellun-gen in Werken französischer Malerei des 17. Jahr-hunderts.Die 1979 als Buch erschienene Arbeit „Architek-tur des Frühklassizismus in Süddeutschland“hätte vielleicht der Einstieg in eine akademischeLaufbahn sein können, aber Hans Jakob Wörnerentschied sich für die Tätigkeit in der Denkmal-pflege. Nach einigen Jahren in der Inventarisationbeim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflegekam er im Oktober 1973 zur Außenstelle Freiburgunseres Landesdenkmalamtes. Vorher war er be-reits ehrenamtlicher Mitarbeiter in seinem Hei-matort Waldshut. In seiner engeren Heimat be-gann auch seine Tätigkeit als „Gebietskonserva-tor“, später auch in den Kreisen Lörrach undTuttlingen, zuletzt über lange Jahre im Ortenau-kreis, dem größten in Baden- Württemberg.Fast dreißig Jahre Tätigkeit in der Denkmalpflegemachten ihn zu einer weithin bekannten und ge-schätzten Persönlichkeit. Sein Wirken für dieseAufgabe ging weit über den amtlichen Rahmenhinaus. Nahezu ein zweites Arbeitsleben in der„Frei“-Zeit widmete der Verstorbene einer schierunübersehbaren Fülle von Vorträgen, Führungen,Beiträgen, die stets die Vermittlung der Schönheitund der historischen Wichtigkeit der Kulturdenk-mäler für alle Menschen zum Thema hatten. Erhat nahezu alle Länder Europas und des NahenOstens bereist und deren Kunstdenkmäler in Vor-trägen dargestellt. Seine erstaunliche Sprachbe-gabung kam ihm dabei zu Hilfe. Dass er Gastge-ber und Teilnehmer einer Reise von Landtagsab-geordneten durch die Dankesrede in dem inwenigen Wochen erlernten polnischen Vokabular

erfreute, konnte nur den in Erstaunen versetzen,der H. J. Wörner nicht kannte. Dabei war er vongroßer Bescheidenheit, gepaart mit einer nahezuunerschütterlichen Freundlichkeit und großerHilfsbereitschaft. Er wusste, dass manche seineHilfsbereitschaft ausnutzten. Er wusste auch, dasser seine Kräfte über die Maßen strapazierte. Aberdas schien ihm wohl nicht so wichtig im Vergleichmit seiner dienstlichen und selbst gewähltenaußerdienstlichen Aufgabe. Von Veranlagung herkein Teamarbeiter, war er gerade wegen seinersteten Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, we-gen seines großen, gerne mitgeteilten Wissensund seiner hohen Arbeitsleistung ein in seinemAmt hoch geschätzter Kollege. Draußen, im Um-gang mit Denkmalbesitzern und Behörden, mitder Denkmalpflege Geneigten oder weniger Ge-neigten, konnte er seine große Begabung des Er-klärens und Überzeugens einsetzen. Mit freund-licher Hartnäckigkeit, Geduld und menschlicherZuwendung hat er viel erreicht – Erhaltung stattAbriss, Restaurierung statt Verunstaltung in un-gezählten Fällen.Enge Verbindungen unterhielt er zu Gleichge-sinnten in der Regio, in der Schweiz und beson-ders in Frankreich. Sein Engagement in vielendeutsch-französischen Gremien, seine Tätigkeitfür den Kulturaustausch mit Frankreich brachtenihm die ehrenvolle Mitgliedschaft in der Akade-mie der Wissenschaften und der Künste von Be-sançon und die Verleihung des Ritterordens fürKunst und Wissenschaft der Französischen Repu-blik.Hans Jakob Wörner hinterließ viel Gutes; vielesblieb leider unvollendet. Für die Anerkennung derDenkmalpflege als einer notwendigen Aufgabein der Öffentlichkeit hat er durch begeisterndesReden und selbstloses Wirken sehr viel getan.Wer ihn gekannt hat, muss sich seiner in Dank-barkeit erinnern. R. I. P.

Wolfgang E. Stopfel

Abbildungsnachweis

Jean Jeras, Breisach: Titelbild, 112;Börje Müller, Bielefeld: 62, 63, 64;Tübingen, Kulturamt der Stadt: 95 oben;Privat: 112,113:110; LDA, Freiburg: 75-83, 99,100,105,106;LDA, Hemmenhofen (M. Rösch): 67 - 72;LDA, Stuttgart: 91 rechts; LDA, Stuttgart (O. Braasch): Nr. L 7912/070-01vom 18.8.1993: S.74;LDA, Tübingen: 94, 95 unten - 98, 101, 102, 103,104 (Joachim Fest).

Personalia