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Hinter uns liegt ein ereignisreiches Jahr, An- lass, allen Kolleginnen und Kollegen für ih- re umsichtige und erfolgreiche Tätigkeit im Dienste der Denkmalpflege sehr herzlich zu danken. Im Jahr 2002 blickten wir, anlässlich des Landesdenkmaltages in Biberach, auf 50 Jah- re Denkmalpflege im Lande Baden-Würt- temberg zurück und erinnerten uns an den 30. Jahrestag der Gründung des Landes- denkmalamtes im Jahre 1972. Die 2001 vollzogene Novellierung des Denk- malschutzgesetzes hat nach einem Jahr nicht den befürchteten Einbruch gebracht. Es hat sich gezeigt, dass die Unteren Denk- malschutzbehörden unseres Landes den fachlichen Rat und die fachliche Stellung- nahme des Landesdenkmalamtes auch wei- terhin gebührend berücksichtigen. Die mehr als 30 Abweichungsfälle lassen jedoch be- fürchten, dass sich diese Novellierung unter Umständen langfristig auf eine landesein- heitliche Denkmalpflege negativ auswirken wird. Wir waren alle einer Meinung, dass man zunächst einen noch längeren Zeit- raum abwarten muss, um hier genauere Analysen anstellen zu können. Im vergangenen Jahr ergab sich kein Fall, in dem wir unser Vorlagerecht ausüben muss- ten. Dennoch zeigen die Abweichungsfälle deutlich, dass in denkmalschutzrechtlichen Verfahren, insbesondere im Bereich der Bau- und Kunstdenkmalpflege, nach unter- schiedlichen Kriterien entschieden wird – was einer landeseinheitlichen Denkmalpfle- ge langfristig abträglich sein muss. Die finanziellen Rahmenbedingungen bo- ten trotz der zurückgehenden Fördermittel für den Bereich der Bau- und Kunstdenk- malpflege und für die Durchführung archä- ologischer Rettungsgrabungen im letzten Jahr eine tragbare Grundlage. Wir können nur hoffen und wünschen, dass diese Situ- ation auch 2003 so bleibt, denn die jüngs- ten Aussagen zur Finanzsituation lassen we- nig Positives erwarten, auch wenn die der- zeitigen Entscheidungen der Landesregie- rung sich auf die Finanzen der Denkmal- pflege noch nicht auswirken. Wie alle Men- schen unseres Landes werden auch wir in den nächsten Jahren davon ausgehen müs- sen, dass sich die Rahmenbedingungen eher verschlechtern. In dieser schwierigen Haushaltssituation ist die Entscheidung der Landesregierung, in jedem Jahr mehrere Großprojekte im öf- fentlichen Eigentum über die Landesstif- tung Baden-Württemberg zu fördern, nicht hoch genug einzuschätzen. Diese Förde- rung kommt dem jeweiligen Objekt zu- sätzlich zu unseren Fördermöglichkeiten zugute. In vielen Fällen werden die Maß- nahmen dadurch erst umsetzbar. Insofern können wir durch diese Förderung große, besonders bedeutende und schwer nutz- bare Denkmäler erhalten und in Ruhe einer neuen sinnvollen Nutzung zuführen. Ein Fi- nanzvolumen von ca. 4. Mio. Euro pro Jahr ist eine gute Vorgabe für die nächste Zeit. Im Rahmen dieser Förderung gelang es 2002 für noch erhaltene und zu nutzende Gebäude im Bereich des Klosters Bronn- bach bei Wertheim (Main-Tauber-Kreis), für den „Salmen“ in Offenburg, für die Linach- Talsperre bei Vöhrenbach (Schwarzwald- Baar-Kreis) und schließlich für die Spitalka- pelle in Ehingen an der Donau, Finanzie- rungsgrundlagen zu erhalten. Dieser Silberstreif am Horizont sollte uns je- doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die finanziellen Mittel der Denkmalpflege in den nächsten Jahren rückläufig sein wer- den. Alle sind aufgefordert, Vorschläge zu machen, wie trotz dieser sich verschlech- ternden Rahmenbedingungen wichtige Auf- gaben, wie insbesondere die Vermittlung unserer Anliegen und Ziele in der breiten Öffentlichkeit, fortgeführt werden können. Auch im Personalbereich werden wir in den nächsten Jahren damit rechnen müssen, dass weitergehende Kürzungen auf uns zu- kommen. Auch hier gilt es zu hinterfragen, ob im einen oder anderen Bereich Aufga- 1 Editorial Dieter Planck

Denkmalpflege 2003-1

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Zeitschrift für Denkmalpflege in Baden-Württemberg

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Hinter uns liegt ein ereignisreiches Jahr, An-lass, allen Kolleginnen und Kollegen für ih-re umsichtige und erfolgreiche Tätigkeit imDienste der Denkmalpflege sehr herzlich zudanken.Im Jahr 2002 blickten wir, anlässlich desLandesdenkmaltages in Biberach, auf 50 Jah-re Denkmalpflege im Lande Baden-Würt-temberg zurück und erinnerten uns an den30. Jahrestag der Gründung des Landes-denkmalamtes im Jahre 1972.

Die 2001 vollzogene Novellierung des Denk-malschutzgesetzes hat nach einem Jahrnicht den befürchteten Einbruch gebracht.Es hat sich gezeigt, dass die Unteren Denk-malschutzbehörden unseres Landes denfachlichen Rat und die fachliche Stellung-nahme des Landesdenkmalamtes auch wei-terhin gebührend berücksichtigen. Die mehrals 30 Abweichungsfälle lassen jedoch be-fürchten, dass sich diese Novellierung unterUmständen langfristig auf eine landesein-heitliche Denkmalpflege negativ auswirkenwird. Wir waren alle einer Meinung, dassman zunächst einen noch längeren Zeit-raum abwarten muss, um hier genauereAnalysen anstellen zu können.Im vergangenen Jahr ergab sich kein Fall, indem wir unser Vorlagerecht ausüben muss-ten. Dennoch zeigen die Abweichungsfälledeutlich, dass in denkmalschutzrechtlichenVerfahren, insbesondere im Bereich derBau- und Kunstdenkmalpflege, nach unter-schiedlichen Kriterien entschieden wird –was einer landeseinheitlichen Denkmalpfle-ge langfristig abträglich sein muss.Die finanziellen Rahmenbedingungen bo-ten trotz der zurückgehenden Fördermittelfür den Bereich der Bau- und Kunstdenk-malpflege und für die Durchführung archä-ologischer Rettungsgrabungen im letztenJahr eine tragbare Grundlage. Wir könnennur hoffen und wünschen, dass diese Situ-ation auch 2003 so bleibt, denn die jüngs-ten Aussagen zur Finanzsituation lassen we-nig Positives erwarten, auch wenn die der-

zeitigen Entscheidungen der Landesregie-rung sich auf die Finanzen der Denkmal-pflege noch nicht auswirken. Wie alle Men-schen unseres Landes werden auch wir inden nächsten Jahren davon ausgehen müs-sen, dass sich die Rahmenbedingungen eherverschlechtern.In dieser schwierigen Haushaltssituation istdie Entscheidung der Landesregierung, injedem Jahr mehrere Großprojekte im öf-fentlichen Eigentum über die Landesstif-tung Baden-Württemberg zu fördern, nichthoch genug einzuschätzen. Diese Förde-rung kommt dem jeweiligen Objekt zu-sätzlich zu unseren Fördermöglichkeitenzugute. In vielen Fällen werden die Maß-nahmen dadurch erst umsetzbar. Insofernkönnen wir durch diese Förderung große,besonders bedeutende und schwer nutz-bare Denkmäler erhalten und in Ruhe einerneuen sinnvollen Nutzung zuführen. Ein Fi-nanzvolumen von ca. 4. Mio. Euro pro Jahrist eine gute Vorgabe für die nächste Zeit.Im Rahmen dieser Förderung gelang es2002 für noch erhaltene und zu nutzendeGebäude im Bereich des Klosters Bronn-bach bei Wertheim (Main-Tauber-Kreis), fürden „Salmen“ in Offenburg, für die Linach-Talsperre bei Vöhrenbach (Schwarzwald-Baar-Kreis) und schließlich für die Spitalka-pelle in Ehingen an der Donau, Finanzie-rungsgrundlagen zu erhalten.Dieser Silberstreif am Horizont sollte uns je-doch nicht darüber hinwegtäuschen, dassdie finanziellen Mittel der Denkmalpflege in den nächsten Jahren rückläufig sein wer-den. Alle sind aufgefordert, Vorschläge zumachen, wie trotz dieser sich verschlech-ternden Rahmenbedingungen wichtige Auf-gaben, wie insbesondere die Vermittlungunserer Anliegen und Ziele in der breitenÖffentlichkeit, fortgeführt werden können.Auch im Personalbereich werden wir in dennächsten Jahren damit rechnen müssen,dass weitergehende Kürzungen auf uns zu-kommen. Auch hier gilt es zu hinterfragen,ob im einen oder anderen Bereich Aufga-

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EditorialDieter Planck

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benreduzierungen wahrgenommen werdenmüssen, um unsere Kernaufgaben auch inZukunft bewältigen zu können.

Das Jahr 2002 brachte einen weiteren Ge-nerationenwechsel in unserem Hause. Nach11⁄2-jähriger Krankheit trat Herr Landes-konservator Franz Meckes, der Leiter unsererAbteilung Bau- und Kunstdenkmalpflege,mit Wirkung vom 31. Oktober in den vor-zeitigen Ruhestand. Der Wechsel an dieserentscheidenden Position ist für unser Hausein besonders bedeutsamer Einschnitt. MitFranz Meckes verlässt uns ein hochkarätigerFachmann und allseits beliebter Kollege. BeiHerrn Meckes habe ich bewundert, wie erimmer wieder, gerade in schwierigen undkomplexen Fällen, tragfähige und für denDenkmaleigentümer realisierbare Lösungengefunden hat. Seine reiche Erfahrung wirduns fehlen.Ebenfalls zum 31. Oktober 2002 schiednach 40-jähriger Tätigkeit im Bereich der Ar-chäologischen Denkmalpflege unseres Hau-ses Herr Prof. Dr. Gerhard Fingerlin nachErreichen seines 65. Lebensjahres aus denDiensten des Landesdenkmalamtes aus.Mit Gerhard Fingerlin geht einer der pro-filiertesten Vertreter der ArchäologischenDenkmalpflege. Er hat sich in ganz beson-derer Weise um die Erforschung und Er-haltung der vor- und frühgeschichtlichenDenkmale im südbadischen Landesteil ver-dient gemacht. Viele herausragende Ent-deckungen sind ihm zu verdanken. In ganzbesonderer Weise hat Gerhard Fingerlindurch vielerlei Publikationen und Veröffent-lichungen einen entscheidenden Beitragzum größeren Verständnis gegenüber derArchäologie geleistet. Sein Rat war auch in Gremien außerhalb unseres Landes, so im Verband der Landesarchäologen inDeutschland oder bei vielen wissenschaft-lichen Tagungen, stets gefragt und hochgeschätzt. Aus Anerkennung seiner wissen-schaftlichen Arbeit wurde ihm der 25. Bandder „Fundberichte aus Baden-Württemberg“gewidmet.Der dritte Kollege, der Ende Oktober al-tershalber unser Amt verließ, ist HelmutF. Reichwald. Seit 1978 leitete er innerhalbdes Landesdenkmalamtes den von ihm be-gründeten und aufgebauten Bereich Res-

taurierung. Mit Helmut F. Reichwald gehtein Vertreter der „Pioniergeneration“ inden Ruhestand. Helmut F. Reichwald gehörtzu jenen, die durch hervorragendes Könnenund Wissen dazu beigetragen haben, dassder Restauratorenberuf heute hohe Quali-fikation und umfassende Ausbildung erfor-dert, um die notwendigen Standards er-füllen zu können. Am 1. März 2003 wird alsNachfolger von Helmut F. Reichwald Dipl.-Restaurator Andreas Menrad die Leitungdes Referates 15 in unserem Hause über-nehmen. Herr Menrad ist vielen von unsnoch bekannt von seiner früheren Tätigkeitim Landesdenkmalamt. Er wurde 1994 vomBrandenburgischen Landesamt für Denk-malpflege zum Leiter der Restaurierung imLande Brandenburg berufen und hat dortumfassende Erfahrungen sammeln können.

2001 und 2002 wurde im Rahmen einer für alle Bedienstete durchgeführten Fort-bildung das Thema „Kommunikation inner-halb des Amtes“ vermittelt. Ein Ergebnisdieser Überlegungen war die Erarbeitungunseres Leitbildes. Mit seiner Vorstellung,anlässlich des Landesdenkmaltages in Bibe-rach, wurde ein erster Schritt vollzogen.Aus diesem Leitbild ergeben sich weitereAufgaben, deren Umsetzung in den nächs-ten Wochen angegangen wird. Einzelne be-sonders wichtige Punkte aus dem Leitbildsollen durch Arbeit in Projektgruppen ver-tieft werden.Nach jahrelangen Bemühungen und nachvielerlei Rückschlägen ist es gelungen, seitDezember 2002 die EDV-Ausstattung imLandesdenkmalamt flächendeckend ein-zurichten. Vor allem im Haushaltsbereichbrachte die Einführung der „Neuen Steue-rungsinstrumente“ (NSI) eine zusätzlicheNeuorientierung. Ein Thema, das uns auchim neuen Jahr intensiv begleiten wird.

Besonders erfreulich war wieder das enor-me Interesse am „Tag des offenen Denk-mals“, einer Veranstaltung, die von Jahr zuJahr mehr Freunde für die Denkmalpflegegewinnt. Wir sollten darüber nachdenken,wie diese denkmalpflegerische Großveran-staltung noch besser auch für die Vermitt-lung unserer Aufgaben und Ziele eingesetztwerden kann.

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Der Schwäbische Heimatbund, die Baden-Württembergische Bank und die Denkmal-stiftung Baden-Württemberg haben in die-sem Jahr weitere fünf Preisträger mit demDenkmalschutzpreis gewürdigt, die mitgroßem Engagement Baudenkmale erhal-ten haben. Der Ende November 2002 verliehene baden-württembergische Archäologiepreis würdig-te vor allen Dingen den ehrenamtlichen Ein-satz im Dienste der archäologischen Denk-malpflege. Ausgezeichnet wurden Dr. HorstStöckl aus Eichstetten am Kaiserstuhl sowiedie Arbeitsgemeinschaft Stadtarchäologiedes Grimmelshausen-Gymnasiums in Offen-burg unter Leitung von Oberstudienrat Dr.Manfred Merker.

Das neue Jahr wird uns wieder erheblicheVeränderungen bringen. Vor allen Dingenwird der Umzug der Stuttgarter Dienststel-len in das ehemalige Schelztorgymnasiumnach Esslingen im Frühjahr, und im Sommerder Umzug der Karlsruher Außenstelle indie ehemalige Grenadierkaserne eine zusätz-liche Belastung bedeuten. Dennoch sind wirder Überzeugung, dass die Zusammenfüh-rung der jeweiligen Dienststellen eine deut-liche Verbesserung der Infrastruktur undder Kommunikation bringen wird. Insofernhoffe und wünsche ich, dass diese zusätz-liche Belastung für alle im erträglichen Rah-men bleibt.

Wie Sie der Presse entnehmen konnten, hatdie Haushaltsstrukturkommission im Staats-ministerium eine umfangreiche Liste vonPrüfaufträgen an die Ressorts verabschie-det, darunter auch die Prüfung der Einglie-derung des Landesdenkmalamtes mit seinendrei Außenstellen in die Regierungspräsi-dien. Wir werden entsprechenden Über-legungen, die eine Zerschlagung des Lan-desdenkmalamtes und das Ende einer lan-deseinheitlichen Denkmalpflege bedeutenwürden, mit aller Entschiedenheit entge-gentreten. Ich darf in diesem Zusammen-hang daran erinnern, dass die Landesregie-rung bzw. das Wirtschaftsministerium ähn-liche Überlegungen in den vergangenenJahren bereits abgelehnt haben.

Trotz der aufgezeigten Problembereiche, dieuns im neuen Jahr erwarten, hoffe ich, dassin Baden-Württemberg die Arbeit der Denk-malpflege auf dem gewohnten Niveau fort-geführt werden kann, um dieser wichti-gen kulturpolitischen Aufgabe gerecht zuwerden. Gerade Baden-Württemberg be-sitzt mit seiner reichen Denkmallandschafteine besondere Qualität, die es auch trotzschwieriger Rahmenbedingungen zu erhal-ten gilt. Das in diesem Jahr verabschiedeteLeitbild macht nach innen wie nach außendeutlich, welche Ziele wir uns gesetzt ha-ben.

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Meine sehr verehrten Damen und Herren,es ist mir eine besondere Ehre und Freude, heutein Biberach den neunten Landesdenkmaltag Ba-den-Württemberg zu eröffnen.Ihnen, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Fett-back, danke ich für Ihre freundlichen Worte derBegrüßung, vor allem aber für Ihre Bereitschaft,den diesjährigen Landesdenkmaltag in Ihrer schönen und geschichtsträchtigen Stadt Biberachdurchzuführen und zusammen mit dem Landes-denkmalamt zu organisieren.Geschichtsträchtig ist diese Stadt allemal. Im Jahr1083 werden die Herren von Biberach zum ers-ten Mal urkundlich erwähnt. 1282 wird BiberachReichsstadt.Eine wirtschaftliche Blütezeit erfuhr die Stadt inder 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts durch die Bar-chentweberei und durch den Fernhandel bis Va-lencia und London.Zwischen 1750 und 1850 erreichte die Stadt denHöhepunkt der kulturellen Blüte.Es entstanden hier die reifsten Werke des deut-schen Rokoko. Die Werke Shakespeares wurdenhier erstmals auf deutschem Boden aufgeführt.Nach dem Frieden von Lunéville verliert Biberach1802 die reichsstädtische Selbständigkeit undwird badisch. 1806 wird Biberach gegen Villingenan Württemberg ausgetauscht und wird würt-tembergische Oberamtsstadt.Biberach ist damit in dem wahrsten Sinne desWortes eine baden-württembergische Stadt.Das denkmalpflegerische Engagement der Stadthat Tradition; es ist in dem Stadtbild deutlichsichtbar und verdient hervorgehoben zu werden.So wurde die Altstadt in den letzten Jahrzehntensehr behutsam saniert und restauriert.Die Verbesserung der Lebensverhältnisse in Biber-ach hat das Wirtschaftsministerium mit ca. 26 Mio.Euro aus Mitteln der Städtebauförderung unter-stützt. Hinzu kamen ca. 320 000 Euro aus Mit-teln der Denkmalpflege in den Jahren 1996 bis2001.Biberach besitzt heute einen der schönsten Markt-plätze Süddeutschlands.Insgesamt weist die Altstadt von Biberach „Ge-samtanlagenqualität“ auf: Schützenswert ist nichtnur die Vielzahl der hier vorhandenen einzelnenKulturdenkmale, sondern das Bild der Altstadtinsgesamt.Historische Straßen- und Platzgefüge, besonderswenn sie substanzschonend erhalten wurden und

gleichzeitig Raum bieten für das Leben im Hierund Heute, stellen ganz hervorragende und sub-tile Quellen einer lokalen Identität dar.In Biberach ist erfahrbar, wie die Belange des Be-wahrens baukultureller Werte und moderne An-forderungen an eine zeitgemäß funktionierendeund lebende Stadt in Einklang gebracht werdenkönnen.Auch deshalb hat sich die Wahl Biberachs als Ta-gungsort für den Landesdenkmaltag schlichtwegaufgedrängt.Die Veranstaltung an dem heutigen Tag stehtunter dem Motto „50 Jahre Denkmalpflege inBaden-Württemberg“. Daher ist es angebracht,Rückschau zu halten und die Entwicklung desDenkmalschutzes seit der Entstehung des LandesBaden-Württemberg in Erinnerung zu rufen.Vorreiter der Entwicklung zu einem einheitlichenDenkmalschutzgesetz war das Land Baden, dasnach dem 2. Weltkrieg im Jahr 1949 ein um-fassendes Denkmalschutzgesetz erlassen hat, das für andere Bundesländer und für das späterebaden-württembergische Gesetz beispielgebendwurde. Über die Einzelheiten dieses Gesetzesmöchte ich nicht referieren. Dies könnte eine zutrockene Angelegenheit werden. Ein Umstand er-scheint mir aber doch bemerkenswert: Das badi-sche Gesetz von 1949 enthielt die aus heutigerSicht erstaunliche und von vielen möglicherweisewieder herbeigesehnte Regelung, dass in Zwei-felsfällen die Denkmalschutzbehörde mit binden-der Wirkung auch für die Gerichte bestimmt, obein Gegenstand als Kulturdenkmal anzusehen ist.Solche Regelungen sind aus heutiger Sicht unddem geltenden Rechtsstaatsverständnis wohlnicht mehr vorstellbar.Nach dem furiosen Auftakt von 1949 setzten in dem 1952 neu gebildeten Bundesland Baden-Württemberg die Vorarbeiten für ein einheitli-ches Denkmalschutzgesetz zwar früh ein. Insbe-sondere der Schutz kirchlicher Kulturdenkmaleführte aber – ähnlich wie heute – zu großen Kon-troversen und letztendlich zu dem vorüberge-henden Stillstand des Gesetzgebungsverfahrens.So konnte das Denkmalschutzgesetz für Baden-Württemberg erst am 01. 01. 1972 – also vor 30 Jahren – in Kraft treten.Gleichzeitig wurde das Landesdenkmalamt Ba-den-Württemberg geschaffen, das die vier ehe-maligen Staatlichen Ämter für Denkmalpflege ineiner Behörde zusammenfasste.

EröffnungsanspracheWalter Döring

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Die Resonanz auf dieses für das ganze LandBaden-Württemberg geltende Denkmalschutz-gesetz war zunächst sehr verhalten. Man konntesich nicht recht vorstellen, dem Verfall eines Kul-turdenkmals mit Paragraphen und nicht – wie gewohnt – mit zäher Überzeugungsarbeit ent-gegenzutreten. Dessen ungeachtet erfuhr aberdie Denkmalpflege speziell seit der zweiten Hälfteder Siebzigerjahre in der Öffentlichkeit steigendeAnerkennung.Dafür gab es mehrere Gründe:Zum einen sind zu nennen die als schmerzlichempfundenen Denkmalverluste der Kriegs- undNachkriegszeit.Zum anderen ist es ein bekannter Erfahrungs-wert, dass in Zeiten sich immer rascher verän-dernder Lebensbedingungen die Sehnsucht derMenschen nach Kontinuität, nach Anknüpfungs-punkten besteht.Die Trendwende zu einem positiven Bedeutungs-wandel in der Öffentlichkeit brachte eindeutigdas europäische Denkmalschutzjahr 1975.Seitdem rangiert die Denkmalpflege in der Werte-skala weit oben.Auch wenn sich in der Folgezeit einiges in unse-rer Verwaltungskultur geändert hat, die Eckpfei-ler des Denkmalschutzgesetzes sind im Wesent-lichen unangetastet geblieben.Allerdings wurde das Denkmalschutzgesetz von1972 doch von einigen Änderungen betroffen.Die strukturellen Veränderungen heißen:Verlagerung der Zuständigkeiten auf die unterenDenkmalschutzbehörden sowie Stärkung der Ei-genverantwortlichkeit der entscheidenden, orts-nahen Behörden.Dies führte schon 1983 zu einer Novelle, die dasDenkmalschutzgesetz in seinen Grundzügen zwarunangetastet ließ, aber Zuständigkeiten auf dieGemeinden bzw. die unteren Denkmalschutzbe-hörden delegierte.So wurden z.B. die Zuständigkeiten der unte-ren Denkmalschutzbehörden, die früher auf dieLandratsämter und Stadtkreise konzentriert wa-ren, auf sämtliche untere Baurechtsbehörden aus-gedehnt.Die Anzahl der unteren Denkmalschutzbehördenstieg damit von 44 auf 191.Außerdem wurden die kommunalen Zuständig-keiten bei dem Schutz von Gesamtanlagen erwei-tert und die Zuständigkeit bei der Ausweisungvon Grabungsschutzgebieten auf die unterenDenkmalschutzbehörden verlagert.Bei dieser Gesetzeslage blieb es ungefähr dienächsten zwanzig Jahre.Die Diskussion über die Kommunalisierung derDenkmalpflege war aber noch nicht zu Ende.Als Ausfluss der langjährigen Bemühungen umVerwaltungsvereinfachung, Deregulierung und De-

zentralisierung hat der Landtag von Baden-Würt-temberg am Ende seiner 12. Legislaturperiodeden sog. Devolutiveffekt abgeschafft; d. h. dieHochzonung auf die nächsthöhere Behörde beieinem Dissens zwischen unterer Denkmalschutz-behörde und Fachbehörde.Seit dem 01. 07. 2001 entscheidet nun die un-tere Denkmalschutzbehörde nicht mehr im Ein-vernehmen, sondern allein nach Anhörung desLandesdenkmalamtes.Parallel dazu wurde dem Präsidenten des Landes-denkmalamtes das Recht eingeräumt, bei einerdrohenden schwer wiegenden Beeinträchtigungdes Kulturdenkmals die Angelegenheit dem Re-gierungspräsidium zur Entscheidung vorzulegen.

Sehr geehrter Herr Präsident Professor Planck,von diesem Vorlagerecht haben Sie innerhalb ei-nes Jahres insgesamt dreimal Gebrauch gemacht.Allein diese geringe Zahl der Vorlagefälle belegtaus meiner Sicht, dass die von einigen befürch-tete strukturelle Schwächung des Denkmal-schutzes nicht eingetreten ist.Resümierend stelle ich fest, dass in der Zeit seitGründung des Bundeslandes Baden-Württem-berg der Denkmalschutz zu einem integriertenBestandteil des öffentlichen Verwaltungswesensgeworden ist, dem in der Öffentlichkeit und Poli-tik ein hoher Stellenwert eingeräumt wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,in Baden Württemberg gibt es ca. 80 000 Bau-und Kunstdenkmale und ca. 60 000 archäologi-sche Denkmale.Hierunter fallen nicht nur die als Weltkulturerbeausgezeichneten Anlagen in Maulbronn und aufder Klosterinsel Reichenau, sondern auch klei-nere und mittlere Kulturdenkmale.An der Gesamtzahl von Kulturdenkmalen inDeutschland haben die Kirchen auch heute nochden größten Anteil. Gerade sie zählen zu den be-ständigsten, anspruchsvollsten und wohl auchkostspieligsten Kulturdenkmalen.Aber auch diese Kulturdenkmale unterliegen na-türlich den gleichen Gesetzen der Veränderungund der Ökonomie wie andere Kulturdenkmale.Verringerte Steuereinnahmen schränken die fi-nanziellen Möglichkeiten der Kirchen zu der Bau-unterhaltung des umfangreichen und oft hoch-wertigen Baubestandes deutlich ein. Der vorhan-dene Kirchenraum ist immer weniger ausgelastet.Es gibt eine Reihe von Gotteshäusern, die leerstehen und nicht mehr genutzt werden.Gebäude ohne Nutzung können aber auf Dauernicht erhalten werden.Ein dauerhafter Erhalt eines Gebäudes ist nur dannmöglich, wenn es einen Sinn erfüllt oder einembestimmten Zweck dient.

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Baudenkmale, die nicht mehr ausreichend ge-nutzt werden, können in aller Regel in ihrer Exis-tenz, ihrer Schönheit und ihrer die Umgebungprägenden Eigenart auf Dauer nur erhalten wer-den, wenn für sie wieder eine adäquate Nutzunggefunden wird.Dies gilt allgemein für Gebäude mit Denkmal-eigenschaft, aber namentlich auch für Kirchen.Deshalb müssen Wege gesucht werden, wie die-se Kirchenräume trotz einer zunehmend säkulari-sierten und ökonomisch orientierten Lebenswei-se für die nachfolgenden Generationen erhaltenbleiben können.Nicht oder nicht sinnvoll genutzte Kirchenbau-werke einfach dem Verfall preiszugeben, ist keinebefriedigende Lösung.Zu Recht befasst sich dieser Landesdenkmaltagmit dieser Thematik und mit anderen mit der Nut-zung von Kirchenräumen zusammenhängendenThemen.Die Problematik um Kulturdenkmale, die ihreeinstige Nutzung verloren haben, belegt einmalmehr die Tatsache, dass der Erhalt unserer Kul-turlandschaft mit den Vorschriften des Denkmal-schutzgesetzes allein nicht sicherzustellen ist. Einwirksamer Schutz der Kulturdenkmale ist nurmöglich, wenn weitere Voraussetzungen erfülltsind.Dabei ist zunächst einmal von grundlegenderBedeutung die Kenntnis von der Existenz einesKulturdenkmals. Die Erfassung aller im Land be-findlichen Kulturdenkmale – die Inventarisation –findet in dem Denkmalschutzgesetz von Baden-Württemberg zwar nur einen kursorischen Nie-derschlag. Sie ist aber eine grundlegende Auf-gabe des Landesdenkmalamtes mit einer altenTradition.Die Erfassung aller Kulturdenkmale im Lande istfür jede staatliche und kommunale Planung un-verzichtbar.Eigentümer, Investoren und berührte Stellen müs-sen schon vor der Durchführung genehmigungs-pflichtiger Maßnahmen Klarheit über die ge-schützten Objekte erlangen, um eine effektivePlanung betreiben zu können.Mittlerweile beläuft sich die Gesamtzahl der Ge-meinden, die in Denkmallisten erfasste Kultur-denkmale vorweisen können, auf insgesamt 910.Dies sind 82% der insgesamt 1111 Gemeinden inBaden-Württemberg.Planungssicherheit und Investitionssicherheit ma-chen es erforderlich, sobald wie möglich einenumfassenden Überblick über die Kulturdenkmalezu erlangen.Darüber hinaus ist natürlich für einen wirksamenSchutz unserer Denkmallandschaft die fachlichkompetente Beratung der Denkmaleigentümeroder Investoren durch die Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter des Landesdenkmalamtes von wesent-licher Bedeutung.Ein für die Belange der Denkmalpflege positiveingestelltes Bewusstsein der Öffentlichkeit musshinzukommen.Hiervon kann ich mich immer wieder bei Veran-staltungen wie dieser überzeugen.Der Erhalt von Kulturdenkmalen kostet aber auchsehr viel Geld. Dabei kommt nicht nur den steuer-lichen Abschreibungsmöglichkeiten, sondern ge-rade auch der Landesförderung eine maßgebli-che Rolle zu.So hat das Land von 1990 bis 2001 Zuschüssevon insgesamt ca. 280 Mio. Euro gewährt, diebekanntermaßen öffentliche und private Folge-investitionen in vielfacher Höhe auslösen.Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass dasVolumen der bewilligten Zuschüsse seit Mitte der 90er-Jahre bis heute von ca. 30 Mio. Euro proJahr um ungefähr ein Drittel zurückgegangen ist.Der Bewilligungsrahmen der Fördermittel für dieBau- und Kunstdenkmale liegt für dieses Jahr beica. 18 Mio. Euro. Für Maßnahmen der Landes-archäologie können ca. 6 Mio. Euro eingesetztwerden.Der Grund für die Reduzierung der Fördervolu-mina liegt in der Selbstverpflichtung der Landes-regierung, die Neuverschuldung auf null zurück-zuführen. Die Verfolgung dieses Ziels ist nachmeiner Überzeugung unumgänglich.Es wäre den nachfolgenden Generationen ge-genüber unverantwortlich, sie mit Zins und Zin-seszins für den vergangenen und den heutigenVerbrauch geradestehen zu lassen.Die Reduzierung des Bewilligungsvolumens mussdazu führen, dass wir mit unseren Partnern – diesist in erster Linie, aber nicht ausschließlich dieDenkmalstiftung Baden-Württemberg – eng zu-sammenarbeiten und uns auf das Wesentlichekonzentrieren.In vielen Fällen war das unermüdliche Engage-ment der Bürgerinnen und Bürger entscheidendfür den Erhalt bedeutender Denkmale. Ich denkehier beispielhaft an den Erhalt des ehemaligenFranziskanerinnenklosters in Horb, einem Mus-terbeispiel für erfolgreiches bürgerschaftlichesEngagement.Mit großer Zufriedenheit kann ich aber auch fest-stellen, dass es nach beharrlichem Bemühen ge-lungen ist, Baudenkmalprojekte in den Förderzie-len der Landesstiftung zu verankern. Die erstenProjekte – die Klosteranlage in Wertheim-Bronn-bach, die Linachtalsperre in Vöhrenbach, das Spi-tal zum Heiligen Geist in Ehingen und das Gast-haus Salmen in Offenburg – konnten bereits indiesem Jahr mit einer Gesamtfördersumme vonca. 4 Mio. Euro in das Programm der Landesstif-tung aufgenommen werden.

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Nun gilt es, auch in den Folgejahren Denkmalpfle-geobjekte in dem Förderprogramm der Landesstif-tung zu etablieren.Auch wenn sich die Denkmallandschaft in Baden-Württemberg in gutem Zustand befindet, schwie-rige Patienten der Denkmalpflege, denen mit denMitteln der allgemeinen Denkmalförderung nichtgeholfen werden kann, gibt es wahrlich nochviele.Ich hoffe, dass es auch in der Zukunft gelingenwird, durch eine Förderung der LandesstiftungBaudenkmalen, die ihre Nutzung eingebüßt ha-ben, zu einer neuen öffentlichen Nutzung zu ver-helfen und damit ihr Überleben zu sichern.Mit der Förderung durch die Landesstiftungkann, ähnlich wie 1979 bis 1983 durch dasSchwerpunktprogramm und 1987 durch dasDenkmalnutzungsprogramm, über die allgemei-ne Denkmalförderung hinaus eine Möglichkeitgefunden werden, leer stehende und dem Verfallpreisgegebene Kulturdenkmale wieder mit Lebenzu erfüllen und der Öffentlichkeit zugänglich zumachen.in den vergangenen 50 Jahren ist nicht nur in der Bau- und Kunstdenkmalpflege vieles bewegtworden. In diesem Zeitraum sind in der Boden-denkmalpflege viele sensationelle Funde gelun-gen, die internationales Aufsehen erregt haben.Die ältesten Nachweise menschlicher Aktivitätenwurden in Stuttgart-Bad Cannstatt gefunden.Um 300 000 v. Chr. bestand hier ein Jagdlagerdes homo erectus, von dem uns zahlreiche Stein-werkzeuge, ein Holzspeer und viele Tier- undPflanzenreste erhalten sind. Die Funde, Pflanzenund Knochen waren in die Kalksedimente einge-bettet und sind so hervorragend erhalten. Dasanschauliche Fundmaterial befindet sich heute indem Württembergischen Landesmuseum sowiein dem Naturkundemuseum in Stuttgart.Von internationaler Bedeutung sind die Elfen-beinschnitzereien aus den Höhlen des Lone- undAchtals im Alb-Donau-Kreis. Vor allem die Gra-bungen in der Höhle Geißenklösterle seit 1973haben das hohe Alter der dort gefundenen El-fenbeinschnitzereien mit Plastiken von Wildpfer-den, Löwen und anderen eiszeitlichen Tieren be-stätigt. Diese Kunstwerke wurden vor 35 000Jahren geschaffen.Von größter wissenschaftlicher Bedeutung sinddie 1979 wieder aufgenommenen Forschungenan den Ufern des Bodensees und in den MoorenOberschwabens. Hier wurden vor allem Siedlun-gen der Jungsteinzeit sowie der Bronzezeit auf-gedeckt und untersucht.Durch die Feuchtbodenerhaltung sind Fundeüberliefert, die bei anderer Zusammensetzungdes Bodens verloren gegangen wären, wie Klei-dungsstücke, Hut, Mantel, Schuhe und Haus-

haltsgeräte. Vor allem konnten in dem Federsee-gebiet die ältesten bisher nachgewiesenen Holz-räder der Menschheit gefunden werden. Sie datie-ren um 3000 v. Chr. Eindrucksvolle Bohlenwege,die vor einigen Jahren bei Bad Buchau aufge-deckt wurden, lassen Rückschlüsse auf die Ver-kehrsverbindungen der Bronzezeit zu.Internationales Aufsehen haben Funde aus derfrühen Keltenzeit, vor allem aus dem 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. erregt. Beispielsweise diefrühkeltischen Fürstensitze auf der Heuneburgund auf dem Münsterberg in Breisach. 1978 ge-lang die Aufdeckung eines außerordentlich reichausgestatteten und unversehrten Grabes beiHochdorf, das einen Höhepunkt in der archäolo-gischen Forschung unseres Landes darstellt.Ein Schwerpunkt der Landesforschung war im-mer der römische Limes. Uns haben vor allem dieumfangreichen Grabungen am obergermanisch-rätischen Limes mit seinen zahlreichen Kastellenbewogen, diese insgesamt 550 km lange Befesti-gungslinie zur Eintragung als UNESCO-Weltkul-turerbe zu beantragen. Dies soll schon Anfangdes nächsten Jahres erfolgen.Durch Untersuchungen, Grabungen und Fund-stellenbeobachtungen in den römischen Stadt-gründen Ladenburg oder Rottweil wird – wie beieinem Mosaik – langsam und Zug um Zug die rö-mische Stadt wieder entdeckt und zusammenge-fügt.Eine außerordentlich glanzvolle Periode war dasfrühe Mittelalter in Südwestdeutschland.Die Gräber der Alamannen und der Franken wa-ren zum Teil außerordentlich reich mit Waffenund Tracht ausgestattet, sodass die Sammlungendes Landes mit zu den glanzvollsten zählen, diewir überhaupt kennen. Einzelne Friedhöfe, wieetwa das Gräberfeld von Lauchheim, dessen zu-gehörige Siedlung ebenfalls fast vollständig aus-gegraben werden konnte, haben internationaleBedeutung erlangt.Durch lang dauernde Schwerpunktgrabungen inverschiedenen Städten des Landes konnten neueEinblicke in die früheste Gründung und Stadt-werdung gewonnen werden.So läuft zurzeit in Ulm die archäologische Gra-bung in der Neuen Straße.Diese ist von ihrem Volumen und dem Personal-einsatz die größte Grabung, die bisher in Baden-Württemberg durchgeführt wurde.Die Grabung ist auf etwa drei Jahre angesetzt; bis zu 80 Personen sind dort beschäftigt. Das Fi-nanzvolumen beläuft sich auf insgesamt 5 Mio.Euro.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,die Denkmalpflege befriedigt ein Grundbedürfnisder Gesellschaft.

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Ich möchte an das Wort Golo Manns erinnern,der gesagt hat:„Wer nicht um seine Herkunft weiß, hat auchkeine Zukunft.“Daher ist die Denkmalpflege als Teil der Kultur-politik unseres Landes, als Teil der Identitätspflegeund damit auch als Vorsorge für die Zukunft un-entbehrlich.Denkmalpflege ist Investition in die Lebensquali-tät der uns nachfolgenden Generationen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,zum neunten Mal findet heute und an den fol-genden zwei Tagen der Landesdenkmaltag statt.Ich verstehe diese regelmäßige Veranstaltung als wichtigen Informationstermin für die in derDenkmalpflege Tätigen sowie für ihre Partner.Das sind die Architekten, die Ingenieure, die Res-

tauratoren, die Denkmaleigentümer und die Ver-treter der Kommunen und der Kirchen.Diese Partnerschaft zu festigen und zu stärkensollte unser aller Ziel sein. Ich bin davon über-zeugt, dass wir trotz der nachhaltigen Sparzwän-ge bei den öffentlichen Haushalten stolz seinkönnen auf die Leistungen und Erfolge der Denk-malpflege in unserem Lande.In diesem Sinne möchte ich hiermit den Landes-denkmaltag 2002 eröffnen und ihm einen erfolg-reichen Verlauf wünschen.

Dr. Walter Döring MdLWirtschaftsminister des Landes Baden-WürttembergTheodor-Heuss-Straße 470174 Stuttgart

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Haben Sie nun aber bitte keine Angst, dass ich Ih-nen alle diese 58 Namen vortrage; in der Zeit, diemir zugemessen ist, möchte ich mich auf einenkurzen Abriss der Stadtgeschichte und einenebenso kurzen Überblick über die Künstler wiedie Kunstgeschichte Biberachs beschränken.Biberach war zunächst eine ganz normale ober-schwäbische Stadt: Erstmals 1083 genannt, wur-de die Siedlung wohl noch vor 1190 durch Kai-

ser Friedrich Barbarossa zur Stadt erhoben; nachdem Aussterben der Staufer beanspruchte Kö-nig Rudolf von Habsburg sie für das Reich. Im 14. und 15. Jahrhundert durch den Handel mitBarchent, einem Mischgewebe von Flachs undBaumwolle, reich geworden, erwarb sich dieReichsstadt über ihren bereits vor 1239 ge-gründeten Heilig-Geist-Spital ein Territorium, dasnoch 1802 24 Dörfer und Weiler umfasste. Zei-

1 Biberach an der Riss.Altstadt mit der Stadt-kirche und Marktplatz.Foto: O. Braasch, LDA.L 7924/037–01, 31.7.2001.

BiberachGeschichte und Kunstgeschichte einer alten Reichsstadt

Zu Ihrem Entschluss, den baden-württembergischen Landesdenkmaltag in Biberach zu veranstalten, kann ich Sie nur beglückwünschen. Durch ihrepolitische wie kirchliche Geschichte ist diese Stadt einmalig in der Bundes-republik, und es dürfte auch in ganz Deutschland kein Gemeinwesen von der Größe Biberachs geben, das eine derartige Fülle an Begabungen auf-zuweisen hat; unsere Kreisbeschreibung bringt in der Rubrik „BedeutendePersönlichkeiten“ gezählte 58 Namen von Propst Burchard von Ursberg,einem der wichtigsten Geschichtsschreiber der Stauferzeit, bis zu dem be-deutenden Architekten Hugo Häring.

Kurt Diemer

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chen der Prosperität des Gemeinwesens warender Bau der Stadtpfarrkirche St. Maria und Mar-tin zwischen etwa 1330 und 1370 und die Stadt-erweiterung nach 1373.Die Sonderrolle Biberachs begann dann mit derReformation, die in Biberach schon verhältnismä-ßig früh Eingang fand, sich aber erst unter demSchutz des Schmalkaldischen Bundes im Jahre1531 mit dem Verbot der Messe endgültig durch-setzte. Dem Bildersturm des 29. Juni 1531 fiel mitder gesamten Ausstattung der Kirche wie der derzahlreichen Kapellen auch der Hochaltar von Nik-laus Weckmann und – wohl doch – von MartinSchongauer zum Opfer. Für die Zukunft entschei-dend sollte werden, dass sich in der Stadt einigekatholische Familien halten konnten und die Pfar-rei der Zisterzienserabtei Eberbach im Rheingauinkorporiert war. Im Zuge des Interims konnte soam 13. August 1548, nach über 17 Jahren, in derPfarrkirche erstmals wieder eine Messe gelesenwerden; seitdem gehört die Pfarrkirche beidenKonfessionen. In seiner Art – gemeinsame Nut-zung des Schiffes durch Evangelische und Katho-liken – ist das Biberacher Simultaneum heute dasälteste Deutschlands.Auch in die Besetzung des Rates und der städti-schen Ämter griff Karl V. ein: seit der Ratsneu-ordnung des Jahres 1551 dominierte ein katholi-scher Rat die evangelische Reichsstadt. Nachdemes in der Notzeit des Dreißigjährigen Krieges be-reits zu einer gemeinsamen Regierung beiderKonfessionen gekommen war, dekretierte aufAntrag des Biberacher Vertreters beim Friedens-kongress der Westfälische Friede des Jahres 1648für die Städte Augsburg, Biberach, Dinkelsbühlund Ravensburg die Parität, d.h. die zahlen-mäßige Gleichheit der beiden Konfessionen beider Besetzung der Ratsstellen und Ämter. Die Be-

sitzergreifung der Reichsstadt durch Baden imJahre 1802 und durch Württemberg im Jahre1806 führte zwar 1819 zur Aufhebung der letz-ten Reste der verfassungsmäßig gesicherten Pa-rität; doch als freiwillige Selbstverpflichtung bliebsie noch lange Jahrzehnte in Übung.Den Anschluss an die große Welt brachte für Bi-berach dann der Bau der Südbahn im Jahre 1850.Doch hielt sich die Industrialisierung lange nochin Grenzen; Biberach blieb in erster Linie weiterMarkt- und Einkaufsstadt für die nähere Umge-bung. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es dannzu einem ungeahnten Aufschwung: durch dieAnsiedlung von Firmen wie des Pharma- und Bio-technologie-Unternehmens Boehringer-Ingelheim,der Kranfabrik des Liebherr-Konzerns und desDentaltechnik-Unternehmens Kaltenbach & Voigt,aber auch die hervorragende Entwicklung heimi-scher Betriebe wie der Metallgießerei und Ma-schinenfabrik Handtmann, des Gardinen- undPosamentenwerks Gerster und der Maschinenfa-brik Vollmer wurde Biberach zu einer Industrie-stadt, die neue Entwicklungen mit altüberliefer-ter reichsstädtischer Tradition verbindet. Und bisheute ist Biberach auch eine Stadt der Künste, inder so namhafte Künstler und Künstlerinnen wieJakob Bräckle und Romane Holderried Kaesdorflebten und leben.Apropos Kunst- und Kulturstadt. Ich könnte Ih-nen natürlich viel berichten über die erste Auf-führung eines Shakespearestückes in deutscherSprache durch Christoph Martin Wieland hier inBiberach im Jahre 1761 oder über den Komponis-ten Justin Heinrich Knecht, dessen 250. Geburts-tages wir in diesem Jahr gedenken und der einerder bedeutendsten schwäbischen Komponistenwar und ist, und ihnen ebenso erzählen, was Cle-mens von Brentano und Prinz Charles mit Biber-

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2 Blumenkorb. JohannMelchior Dinglinger(1664–1731). Braith-Mali-Museum, Biberach. Foto: H. Zwietasch, WLM.

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ach verbindet. Ich möchte mich aber, um denZeitplan nicht ganz durcheinander zu bringen,auf den Beitrag Biberachs zur Kunst Schwabensund Deutschlands beschränken. Nicht viele wer-den ja wissen, dass der älteste bekannte mit Na-men bezeichnete Einblattholzschnitt aus der Zeitum 1440 von dem Biberacher Jerg Haspel stammt,das älteste deutsche Exlibris um 1480 für den Biberacher Kleriker Hiltprant Brandenburg ge-schaffen wurde und die Durchsetzung des so genannten Parallelfaltenstils in Oberdeutschlandzu Beginn des 16. Jahrhunderts eng mit dem Biberacher Maler Jerg Kändel – von dem sich dreiAltäre in Graubünden erhalten haben – verbun-den ist. Es sind vor allem aber vier aus Biberachstammende Künstler, die den Ruhm Biberachs als Kunststadt begründet haben: Johann HeinrichSchönfeld, Johann Melchior Dinglinger, Georg Ignaz Baur und Johann Baptist Pflug.Wie viele Biberacher – das Augsburger Schaezler-Palais verdankt seinen Bau dem aus Biberach ge-bürtigen Bankier Johann Adam Liebert – ließ sichauch Johann Heinrich Schönfeld (1609–1684),eine der großen Malerpersönlichkeiten des deut-schen 17. Jahrhunderts, nach seiner Rückkehr ausItalien in Augsburg nieder. Schönfelds Kunst hat-te sich inmitten des römischen und neapolitani-schen Hochbarocks in differenzierter Vielfältig-keit zu ungemeiner Grazie und poetischer Ent-rücktheit entwickelt und erreichte dann in denspäten Sechzigerjahren noch einmal einen neuenHöhepunkt. Eine Auswahl seiner Bilder finden Sieübrigens im nahen Biberacher Braith-Mali-Muse-um.

Johann Melchior Dinglinger (1664–1731), „denGoldschmied des deutschen Barock“, zu lobenhieße Pretiosen nach Dresden zu tragen. Ge-rühmt wird vor allem seine in feinsten Reizenschwelgende Lust an edlem Werkstoff und dieZusammenfassung zu einer strahlenden Klang-schönheit, aber ebenso seine Beziehung zu denFormen, die er zu überschwänglichem Reichtumbei letztmöglicher Differenzierung auch aller-kleinster Gebilde – wie beispielsweise in seinemHauptwerk, dem „Hofhalt des Großmoguls“ –entwickelte. Seit zwei Jahren besitzt nun auchdas Biberacher Museum dank der Munifizienz ei-nes Biberacher Bürgers einen Blumenkorb Ding-lingers, den dieser bei der Übergabe des Golde-

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3 Schachspiel. GeorgIgnaz Baur (1727–1790).Braith-Mali-Museum,Biberach. Foto: H. Zwie-tasch, WLM.

4 Christoph Martin Wie-land (1733–1813). Braith-Mali-Museum, Biberach.Foto: Studio Möck, Biber-ach.

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nen Kaffeezeuges im Jahre 1701 August demStarken geschenkt hatte und der am Ende desKrieges bei Schloss Moritzburg vergraben wor-den war.Mit einem von den Oberschwäbischen Elektrizi-tätswerken (OEW) als Leihgabe überlassenenHauptwerk, dem für den Kaiserlichen Prinzipal-kommissar beim Regensburger Reichstag FürstKarl Anselm von Thurn und Taxis geschaffenenDame- und Schachspiel, ist der zweite große ausBiberach stammende Goldschmied, der Rotger-bersohn Georg Ignaz Baur (1727–1790), eben-falls im Biberacher Museum zu erleben. Baur, dersich auf dem Mittelweg zwischen individuellerSchöpfung und serieller Produktion bemerkens-wert sicher bewegte, vertrat in der zweiten Hälftedes 18. Jahrhunderts maßgebend die kirchlicheGoldschmiedekunst Augsburgs, die durch ihnnochmals zu überzeugenden Lösungen und über-ragenden Leistungen gelangte.

Der wohl populärste Biberacher Maler ist JohannBaptist Pflug (1785–1866), der in seinen Bildernvor allem oberschwäbisches Volksleben – be-kannt geworden sind besonders auch seine Räu-berszenen – und die Geschehnisse der napoleo-nischen Kriege lebendig werden lässt. Allzu langehat man ihn, der seine Bilder sehr sorgfältig kom-ponierte, als einen Chronisten mit dem Malerpin-sel missverstanden. Dank ihm besaß Biberachaber auch als einzige Stadt Württembergs außerStuttgart eine eigenständige Kunstszene; die her-vorragendsten seiner vielen Schüler sind Eber-hard Emminger und Anton Braith.Neben diesen vier Großen sind noch manch an-dere Künstler von Rang zu nennen, so für das 18.Jahrhundert der Edelsteinschneider und Medail-leur Lorenz Natter und im 19. Jahrhundert dieMaler Johann Friedrich Dieterich und Karl JosephBernhard von Neher. Zwar nicht in Biberach ge-boren, dort aber wichtige Werke geschaffen ha-ben der Bildhauer Michael Zeynsler, der wohl mitdem „Meister der Biberacher Sippe“ gleichzuset-zen ist, Hans Dürner, als Schöpfer der Heiligen-berger Kapellendecke einer der führenden Meisterder schwäbischen Renaissanceplastik, und JohannEucharius Hermann, der Meister der BiberacherHochaltars und Lehrmeister Joseph Christians,ebenso die beiden Maler Josef Esperlin und Jo-hann Zick. Ihre Werke finden Sie in unserer Stadt-pfarrkirche und wieder im Braith-Mali-Museum.Es würde mich freuen, wenn es mir gelungenwäre, Ihnen in diesem kurzen Abriss die Ge-schichte und die Kultur meiner Heimatstadt einwenig näher zu bringen, die, um mit der Bibel zusprechen, „keineswegs die unbedeutendste un-ter den führenden Städten von Juda“ – sprich Ba-den-Württemberg – ist.

Kreisarchivdirektor Dr. Kurt DiemerLandratsamt BiberachRollinstraße 988400 Biberach an der Riss

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5 Damespiel. GeorgIgnaz Baur (1727–1790).Braith-Mali-Museum,Biberach. Foto: H. Zwie-tasch, WLM.

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Nachdem schon im 17. und 18. Jahrhundert ers-te Hinweise und Verordnungen zum Erhalt vonDenkmalen vorliegen, führt zu Beginn des 19.Jahrhunderts das stetig wachsende Interesse anjüngeren historischen Altertümern zur festen Or-ganisation einer staatlichen Denkmalpflege. Vornunmehr knapp 150 Jahren wurde 1853 im Groß-herzogtum Baden mit der Ernennung des Archi-tekten und Hofmalers August von Bayer zumKonservator der Kunstdenkmale ein Anfang ge-macht. Er war gleichzeitig Gründer und Direktordes Badischen Altertumsvereins, der sich schonfrüher mit Denkmalpflege beschäftigt hat. 1857wurde im Königreich Württemberg Konrad Hass-ler als erster Konservator für die Denkmalpflegeeingesetzt. Das bedeutet, dass wir 2003 bzw.2007 an 150 Jahre staatliche Denkmalpflege inden beiden Landesteilen erinnern können. VonBayer und Hassler wurden für ihre neuen Auf-gaben durch zahlreiche Aktivitäten auf den ver-schiedensten Gebieten der Denkmalpflege emp-fohlen: August von Bayer als Direktor der Groß-herzoglichen Altertümersammlung und KonradHassler nicht zuletzt als Abgeordneter der Frank-furter Paulskirche, was sein Amt mit politischemGewicht ausstattete. In Baden bildete die Perso-nalunion zwischen dem Amt des Direktors der his-torischen Sammlungen, dem späteren BadischenLandesmuseum, und dem des obersten Leitersder Denkmalpflege eine organisatorische Einheit,die bis zum Jahre 1939 beibehalten wurde. Kon-rad Hassler hatte sich in Württemberg schon ab1844 für die Vollendung des Ulmer Münstertur-mes eingesetzt – ein Vorhaben, das er zeitlebensverfolgte. In Baden müssen die Bemühungen umdas Heidelberger Schloss und seinen geplantenWiederaufbau als zentrale Überlegungen undAktionen der Denkmalpflege betrachtet werden.Die Diskussion hierüber gipfelte im Dezember1901 in einer von 112 Dozenten und Professo-ren der Heidelberger Universität unterzeichnetenProtesterklärung gegen den Wiederaufbau des

Schlosses. Das Heidelberger Schloss gilt bis heuteals ein denkmalpflegerisches Lehrstück und do-kumentiert in vorbildlicher Weise eine auf Erhal-tung abzielende Denkmalpflege.Meine sehr verehrten Damen und Herren,wenn in diesen Tagen die Diskussion um einenTeilausbau des Heidelberger Schlosses erneutentbrennt, so sollten sich alle Verantwortlichenan diese vor nunmehr 100 Jahren verfassten Aus-führungen erinnern. Auch die im Jahre 2001 mitder Klosterinsel Reichenau in die Liste des Welt-kulturerbes eingetragenen Kirchen der Reichenaumarkieren Anfänge denkmalpflegerischer Arbeitin unserem Lande. 1880 wurden in St. Georg inOberzell die inzwischen berühmten ReichenauerWandmalereien entdeckt. Die Begeisterung dar-über führte zur vollständigen Freilegung dieseshochbedeutenden mittelalterlichen Bilderzyklus.Das Bedürfnis, Denkmale der Geschichte unver-fälscht und nach Möglichkeit in ihrer originalenSubstanz zu erhalten, bildet damals – wie heute– die Grundlage unserer Arbeit.Diese Denkmale sind nicht nur Zeugnis herausra-gender Handwerkskunst, sondern Zeitdoku-mente für die jeweilige Epoche und ihre geistigenStrömungen. Sie vermitteln Geschichte in ganzbesonders objektiver Weise.Die weitere Entwicklung der Denkmalpflegemuss vor dem Hintergrund der politischen Situa-tion unseres Landes vor dem Zweiten Weltkriegbetrachtet werden. Baden, Württemberg undHohenzollern waren drei unabhängige Länder,die auch auf dem Gebiet des Denkmalschutzesihre jeweils eigene Entwicklung hatten.In Baden wurde nach August von Bayer (1875)Ernst Wagner Chef der Denkmalpflege. Er warKonservator an den Großherzoglichen Sammlun-gen und einer der herausragenden Archäologender Frühzeit im Großherzogtum Baden. Ihm warals Konservator der Altertümer der Architekt Gus-tav Kachel, gleichzeitig Direktor der Baugewerke-schule in Karlsruhe, zugeordnet. Schon 1882

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50 Jahre Denkmalpflege in Baden-WürttembergZur Geschichte der Denkmalpflege

Die Entwicklung der Denkmalpflege in Baden-Württemberg nach dem Zwei-ten Weltkrieg ist kaum zu verstehen, ohne einen Blick auf die Geschichte der Denkmalpflege in Südwestdeutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundertzu werfen.

Dieter Planck

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wurde ein staatlicher Konservator für die kirchli-chen Denkmäler der Kunst und der Altertümerernannt. Die Inventarisation der Denkmäler, ins-besondere der kirchlichen, durch den FreiburgerProfessor für Kirchengeschichte, Franz XaverKraus, und die 1908 und 1911 veröffentlichten„Fundstätten und Funde aus vorgeschichtlicher,römischer und alamannisch-fränkischer Zeit imGroßherzogtum Baden“ bilden beispielhafte In-ventare und sind bis heute unentbehrliche Nach-schlagewerke für alle, die in der Denkmalpflegetätig sind.In Württemberg begann unter Eduard Paulus,dem Jüngeren, und Eugen Gradmann eine inten-sive Erforschung der Denkmäler. Auch hier standdie Inventarisation mit der Erarbeitung der Inven-tare der Kunst- und Altertumsdenkmale im Mit-telpunkt der weiteren Entwicklung der Denkmal-pflege. Die herausragenden Veröffentlichungendieser Reihen sollen hier nur am Rande erwähntwerden.Schon im Jahre 1883 wurden in Baden erste Über-legungen zur Vorlage eines Denkmalschutzgeset-zes angestellt. Verschiedene Versuche, dieses Ge-setz politisch durchzusetzen, scheiterten schließ-lich 1913 am Einspruch der Kirchen. Im Jahre1914 konnte wenigstens ein Verbot ungeneh-migter archäologischer Ausgrabungen, in Verbin-dung mit den entsprechenden Paragraphen desPolizeistrafgesetzbuches durchgesetzt werden.Vor allem die badische Landesbauordnung von1907, die durch ortspolizeiliche Vorschriften nä-here Bestimmungen enthielt, wurde für denSchutz der äußeren Gestaltung von Bauten so-wie künstlerisch bedeutungsvoller Bauten, Stra-ßen- und Ortsbilder wichtig. Die Beauftragungder Bezirksbauämter mit der Denkmalpflege imJahre 1920, und besonders die Gründung einesBadischen Amtes für Denkmalpflege im Jahre1934, bildeten wichtige Stationen der weiterenEntwicklung der Denkmalpflege in diesem Lan-desteil. Die Personalunion zwischen Landesdenk-malamt und Badischem Landesmuseum blieb wei-terhin erhalten. Der Architekt Otto Linde wurdedem Landesamt vom Finanzministerium als Ge-schäftsführer zugeordnet, bis man im Jahre 1939schließlich die Personalunion auflöste.Die Besetzung Badens und Württembergs durchdie Alliierten und die Neugliederung des Landesführten zu einer starken dezentralen Gliederungder Denkmalpflege. Im südlichen, französisch be-setzten Landesteil Badens, dem späteren Land Ba-den, hatte es kein Denkmalamt gegeben. In Frei-burg wurde im Dezember 1946 Leo Wohleb, einefür die Belange der Denkmalpflege aufgeschlos-sene Persönlichkeit, Staatspräsident. Noch imJahr 1945 wurde die bisherige Freiburger Außen-stelle als „Badisches Landesamt für Ur- und Früh-

geschichte“ zur selbständigen Behörde erhoben,mit deren Betreuung zunächst August Eckerle be-auftragt wurde. Ihm folgte 1946 bis 1955 Wolf-gang Kimmig als Amtsleiter, zugleich auch Muse-umsleiter und Ordinarius an der Universität Frei-burg. In Nordbaden wurde 1946 der ArchitektProf. Dr. Otto Haupt Leiter des Staatlichen Amtesfür Denkmalpflege Karlsruhe.In diesen Jahren war die Denkmalpflege geprägtvon Einzelpersönlichkeiten, die sehr schnell inden kriegszerstörten Städten die Sicherung desKulturgutes so gut als möglich einleiteten. Imheutigen Württemberg entstanden unter derfranzösischen Militärregierung von Südwürttem-berg-Hohenzollern in Tübingen-Bebenhausenund von Nordwürttemberg in Stuttgart zwei ge-trennte Ämter. In Südwürttemberg wurden AdolfRieth und Walter Genzmer, in NordwürttembergWalter Schmid und Oskar Paret eingesetzt. InKarlsruhe, Stuttgart und Tübingen wurden inAbänderung der früheren Organisation sowohldie Archäologie wie auch die Bau- und Kunst-denkmalpflege in einer organisatorischen Einheitzusammengeführt. In Südbaden dagegen richte-te man zwei getrennte Ämter ein. Die früher inWürttemberg bestehende Personalunion mit demWürttembergischen Landesmuseum wurde durchdie Neuorganisation im Jahre 1948 aufgegeben.Bis dahin war Oskar Paret als Konservator imWürttembergischen Landesmuseum gleichzeitigKonservator am Landesamt für Denkmalpflege.In Baden wurde durch die Gründung des Badi-schen Landeskulturamtes unter Prof. Karl Asal imDezember 1947 eine organisatorische Zusam-menführung der beiden Denkmalämter angeord-net. Unter seiner Aufsicht und Leitung entstan-den das Landesamt für Ur- und Frühgeschichtesowie das Denkmalamt. Sie wurden am 1. Sep-tember 1948 unter der „Bezeichnung Landesamtfür Denkmalpflege und Heimatschutz“ zusam-mengefasst. Eine besondere Bedeutung erhieltschließlich das am 17. August 1949 verabschie-dete Landesgesetz zum Schutze der Kulturdenk-male, das so genannte Badische Denkmalschutz-gesetz, das beispielhaft für alle modernen Denk-malschutzgesetze in der Bundesrepublik Deutsch-land wurde und natürlich auch die Grundlage fürdie Gesetzesüberlegungen für das ganze LandBaden-Württemberg bildete.Aus den drei Landesteilen wurde im Jahre 1952das Land Baden-Württemberg. Das Denkmal-schutzgesetz vom 12. Juli 1949, das erste mo-derne Denkmalschutzgesetz in der Bundesrepu-blik Deutschland, blieb allerdings nur für den ba-dischen Landesteil Grundlage der denkmalpfle-gerischen Arbeit. Es hatte jedoch wesentlichenAnteil am Zustandekommen des neuen Gesetzes,das schließlich im Sommer 1971, nach zehnjähri-

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gem Bemühen, verabschiedet werden konnte.Von Anfang an war das denkmalpflegerische Be-mühen, die Fachbereiche innerhalb eines Amteszusammenzuführen. Die Voraussetzung für diearchäologische Denkmalpflege in der nördlichenHälfte von Baden war zunächst ungünstig. Erstseit 1953 wird die Abteilung Ur- und Frühge-schichte des damaligen Staatlichen Amtes fürDenkmalpflege in Karlsruhe aktiv. Bis in die 60er-Jahre wurde dieser Aufgabenbereich allein vonAlbrecht Dauber vertreten. Von 1952 bis Ende1971 war die Denkmalpflege dem Regierungs-präsidium als Fachbehörde nachgeordnet. Dievier Regierungspräsidenten waren damit auchgleichzeitig Repräsentanten der Denkmalpflegein den vier Regierungsbezirken (Nordwürttem-berg, Südwürttemberg-Hohenzollern, Nordba-den und Südbaden) und Vorsitzende des Denk-malrats. Die Denkmalpflege war in die Fachbe-reiche Baudenkmalpflege und Bodendenkmal-pflege aufgeteilt. Ab Mitte der 60er-Jahre wurdeder neue Fachbereich „Archäologie des Mittelal-ters“ in Stuttgart der Baudenkmalpflege zuge-ordnet. Die Grenze zwischen Bau- und Boden-denkmalpflege wurde in der Regel dort gezogen,wo Geschichtsforschung mit archäologischenMethoden betrieben werden musste. Die zeitli-che Grenze um 800 n. Chr. war über Jahre hin-weg maßgeblich. Die jüngeren Epochen wurdendas Aufgabenfeld des nun gegründeten und abder zweiten Hälfte der 60er-Jahre vergrößertenBereiches Archäologie des Mittelalters. In jenenJahren waren die großen Kirchengrabungen inder Stadtkirche von St. Dionys in Esslingen dieGeburtsstunde dieses Fachbereiches. Der damalsfür das Land zuständige MittelalterarchäologeGünther Fehring hat hier Pionierarbeit geleistet.Die Mittelalterarchäologie hat sich in der Denk-malpflege seit dieser Zeit zu einem eigenständi-gen Fachbereich entwickelt. Nach einer erstenOrganisationsuntersuchung durch das Innenmi-nisterium im Jahre 1982 wurde der Bereich Mit-telalterarchäologie der Bodendenkmalpflege zu-geordnet und die Abteilung ArchäologischeDenkmalpflege neu gebildet.In den Jahren von 1952 bis Ende 1971 entwickel-te sich in den jeweiligen Regierungsbezirken einekleine, aber aktive Denkmalpflege. Blicken wir indie im Jahre 1960 erschienene Festschrift „Staat-liche Denkmalpflege in Württemberg 1858–1958“, so ergeben sich verschiedene Schwer-punkte der denkmalpflegerischen Praxis in denersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Esgalt, die kriegszerstörten Städte wieder aufzu-bauen und vor allen Dingen die letzten noch er-haltenen und wiederherstellbaren Baudenkmälerzu sichern. Die städtebaulichen Maßnahmen inStuttgart, Ulm und Freiburg zeigen mit aller Deut-

lichkeit die Situation dieser Jahre. Für moder-ne Bedürfnisse, so etwa den fließenden Verkehrdurch unsere mittelalterlichen Städte, wurdenwichtige Baulichkeiten geopfert. Von 1952 bis1958 erfolgten umfangreiche Instandsetzungs-und Restaurierungsmaßnahmen. Stellvertretendseien Kirchenbauten und deren Ausstattungen,so etwa Schöntal, Neckartailfingen oder Schwä-bisch Hall erwähnt. Damals spielte die Baubera-tung eine wichtige Rolle, aber auch Maßnahmenan der Gestaltung moderner Friedhöfe und Erin-nerungsmale wurden in das Aufgabenfeld derDenkmalpflege mit einbezogen. Neben der Bau-und Kunstdenkmalpflege und der Bodendenk-malpflege bildete die württembergische Landes-stelle für Volkskunde und Museumsbetreuung ei-nen weiteren Fachbereich der Denkmalpflege.Die Museumspflege hatte die Aufgabe, neue Mu-seumskonzeptionen und Museumseinrichtungenzu realisieren. Viele unserer Heimatmuseen ha-ben in jenen Jahren ihre erste Neuausstattungnach dem Zweiten Weltkrieg erfahren. Die würt-tembergische Landesstelle für Volkskunde hattedie wichtige Aufgabe, Material der jüngeren Ge-schichte zu sammeln und für die Forschung zurVerfügung zu stellen. Sie wurde für beide würt-tembergische Landesteile schon im Jahre 1946zuständig. Das Sammeln von Volksliedern, Flur-namen und vielerlei anderer volkskundlicherArchivalien war von nun an eine der zentralenAufgaben dieses Fachbereiches. Dabei war eineenge Zusammenarbeit mit dem SchwäbischenHeimatbund, dem Württembergischen Ge-schichts- und Altertumsverein, aber auch mit ört-lichen Geschichts- und Heimatvereinen im Landeeine wichtige Aufgabe für die Denkmalpflege –eine Zusammenarbeit, die wir bis heute pflegenund hoffentlich noch ausbauen können. Nurdurch gemeinsame Bemühungen konnten in je-nen Jahren viele denkmalpflegerische Maßnah-men durchgesetzt werden.Für die Baudenkmalpflege in Württemberg war injenen Jahren Richard Schmidt verantwortlicherLandeskonservator. 1954 übernahm Helmut Döl-ker die Leitung des Amtes. Er war gleichzeitig Lei-ter der Volkskunde. Für die Baudenkmalpflegeverantwortlich war Georg Sigmund Graf Adel-mann von Adelmannsfelden. Er wurde nach demAusscheiden von H. Dölker 1969 zum Leiter desStaatlichen Amtes für Denkmalpflege in Stuttgartbestellt. Im damaligen Regierungsbezirk Süd-württemberg-Hohenzollern wurde das StaatlicheAmt für Denkmalpflege von 1946 bis 1967 vonAdolf Rieth geleitet. Im Staatlichen Amt fürDenkmalpflege in Freiburg waren ab 1956 HansReinhold und Joseph Schlippe, danach bis 1972Martin Hesselbacher zuständig. Das für den Re-gierungsbezirk Nordbaden zuständige Staatliche

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Amt für Denkmalpflege in Karlsruhe wurde 1950von Emil Lacroix geleitet. Nach dessen tragischemTod 1966 übernahm Heinrich Niester diese Auf-gabe. Im Jahre 1967 löste Wolfgang NoeskeAdolf Rieth in der Leitung der Außenstelle Tübin-gen ab.Die Leiter der fünf Ämter waren zusammen mitden damals in Stuttgart tätigen AbteilungsleiternBodo Cichy und dem für Nordwürttemberg zu-ständigen Archäologen Hartwig Zürn für die Neu-struktur der Denkmalpflege im Lande verant-wortlich.In der Zeit von 1952 bis 1971 stand die wissen-schaftliche Erfassung der Bau- und Kunstdenk-mäler, als Grundlage für die praktische Bau- undKunstdenkmalpflege, im Vordergrund der prak-tischen Arbeit. Ebenso hatte Vorrang die Erfas-sung und Auswertung archäologischer Ausgra-bungen und ihre Publikation in den „Fundberich-ten aus Schwaben“, die seit 1891 erschienen,und in den seit 1925 veröffentlichten „BadischenFundberichten“. Das am 1. Januar 1972 neu ge-bildete Landesdenkmalamt Baden-Württembergstand, so wie es der damalige erste Präsident Dr. Georg Sigmund Graf Adelmann zum Aus-druck brachte, in der Tradition vieler Denkmal-pfleger, die ihre reiche Erfahrung an die jüngerenweitergegeben haben.Ziel und Aufgabe der Denkmalpflege sind im § 1des DSchG klar zum Ausdruck gebracht. Die Ge-genstände des Denkmalschutzes benennt § 2„Kulturdenkmale, an deren Erhaltung aus wis-senschaftlichen, künstlerischen oder heimatge-schichtlichen Gründen ein öffentliches Interessebesteht“. Dieser Satz wurde zur Grundmaximefür die Aufgabe der Denkmalpflege in den letz-ten 30 Jahren. Ab 1. Januar 1972 wurde mit die-sen rechtlichen Instrumentarien die Arbeits-grundlage für die denkmalpflegerische Arbeit ge-legt. Bis dahin waren in der alten württember-gischen und badischen Bauordnung nur Gebäu-de als Kulturdenkmale bezeichnet. Es gibt dane-ben seit 1920 das Verzeichnis der beweglichenKunstgegenstände aus privatem Eigentum undBesitz. Neben dem Schutz dieser Denkmale wares von Anfang an eine zentrale Aufgabe der Ab-teilung I, die durch Bodo Cichy geleitet wurde,die Erfassung umfassend und flächendeckendvoranzutreiben. Dafür wurde ein eigenständigesReferat innerhalb dieser Abteilung gebildet. EineArbeit, die wir demnächst zu einem erfolgreichenAbschluss bringen werden. Die Abteilung Bau-und Kunstdenkmalpflege wurde zunächst in Bau-und Planungsberatung gegliedert, vor allen Din-gen vor dem Hintergrund der anstehenden Alt-stadtsanierungen. Orts- und Straßenbilder warendamals zu einer zentralen Aufgabe der Denk-malpflege geworden. Die Gesamtanlagen (§ 19)

haben deshalb im neuen Denkmalschutzgesetzeinen besonderen Akzent erhalten. In dieser Ab-teilung ressortierten auch die Archäologie desMittelalters, ebenso die beiden Landesstellen fürVolkskunde als eigenständiges Referat in Stuttgartund Freiburg. Die Heimatforschung und Heimat-pflege wurde bereits Mitte der 20er-Jahre durchPeter Goessler, den damaligen Leiter des Landes-amtes für Denkmalpflege in Württemberg, in dasStuttgarter Landesamt für Denkmalpflege alseine eigene Abteilung „Volkskunde“ eingeglie-dert. August Lämmle war ihr erster Leiter.Die Abteilung II, Bodendenkmalpflege, bildete ab1972 den zweiten großen Fachbereich innerhalbdes Amtes. Die vier voneinander unabhängigenÄmter bzw. Abteilungen wurden am 1. Januar1972 zu einer Fachabteilung zusammengefügt.Damals hatte Hartwig Zürn, als Leiter der Abtei-lung, wichtige zentrale Aufgaben aufgebaut.Dazu gehörten nicht nur die organisatorischeZusammenführung der einzelnen Fachbereiche,sondern vor allem die Angliederung neuer Refe-rate, die landesweit tätig wurden sowie das zent-rale Publikationswesen.Ich erinnere mich noch sehr gut an diese Jahre,die ich vom 1. Januar 1972, als Referent für dieBodendenkmalpflege im Regierungsbezirk Stutt-gart, hautnah miterleben durfte. Die grundlegen-den Überlegungen zur Neuorganisation des Lan-desdenkmalamtes sind mir von Anfang an ver-traut. Bei einer gemeinsamen Dienstbesprechungmit allen Kollegen der Stuttgarter Dienststelle inder Eugenstraße 3 saßen zwei Archäologen undvier Baudenkmalpfleger am Tisch. Dies war damalsder personelle Ausgangspunkt. Von heute aus be-trachtet wird deutlich, dass mit der Neubildungdes Landesdenkmalamtes 1972 zunächst zwareine neue Organisationsform geschaffen wurde,dass aber damals leider verzichtet wurde, gleich-zeitig auch eine Neustruktur des Personalberei-ches durchzuführen. Im Grunde änderte sich zu-nächst im Personalbestand von 1971 und 1972wenig. Erst im folgenden Jahr wurde der ersteVerwaltungsbeamte eingestellt. Wieder vergingZeit, bis im technischen und Verwaltungsbereichweitere personelle Verstärkung erfolgte. Im Jahre1976 ging Graf Adelmann krankheitshalber vorzei-tig in den Ruhestand. An seiner Stelle übernahmHartwig Zürn kommissarisch die Amtsgeschäfte.Hartwig Zürn leitete umgehend eine internestrukturelle Neugliederung und Verbesserung ein.Die endgültige Nachfolgefrage hatte sich unge-wöhnlich lange hinausgezögert, bis 1977 AugustGebeßler, vom Bayerischen Landesamt für Denk-malpflege in München kommend, als zweiterPräsident des Landesdenkmalamtes Baden-Würt-temberg nach Stuttgart berufen wurde. Ihm ge-lang es, im Rahmen seiner Verhandlungen mit

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dem damaligen Kultusministerium, weitere Refe-rentenstellen einzurichten. Sein besonderes Ge-wicht legte er auf die Verbesserung der Neustruk-turierung der Bau- und Kunstdenkmalpflege, Res-taurierungsberatung, der Öffentlichkeitsarbeitund der Verwaltung. Schon in den Jahren zuvorkonnte nach der Verabschiedung des Denkmal-schutzgesetzes der Aufgabenbereich der Inventa-risation fest eingerichtet werden, ebenso der not-wendige personelle Ausbau der Mittelalterarchä-ologie in allen vier Regierungsbezirken.Das baden-württembergische Denkmalschutzge-setz von 1972 wurde vom damals für die Denk-malpflege zuständigen Kultusministerium erar-beitet. Anfang 1978 fand eine Umressortierungzum Innenministerium statt. Damals erfolgte einesehr konsequente Neustruktur des Landesdenk-malamtes mit der Einrichtung einer dritten Abtei-lung für Verwaltung, Inventarisation und ZentraleDienste. Als Vertreter des Präsidenten wurde einVerwaltungsjurist eingesetzt, der gleichzeitig Lei-ter dieser Abteilung III wurde.Die Zuordnung zum Innenministerium stieß in je-nen Jahren auf sehr negative Resonanz. Viele be-fürchteten eine Schwächung der Denkmalpflege.Wenn wir heute zurückblicken, dann darf die Zeitder Zuordnung zum Innenministerium, d. h. dieJahre 1978–1992, als überaus positiv bewertetwerden. Im Innenministerium wurde die Denk-malpflege der Abteilung für Städtebau und Stadt-sanierung eingegliedert und in ihrer landespoliti-schen Bedeutung deutlich aufgewertet.In den Jahren ab 1978 stand die Verbesserungder Infrastruktur im Mittelpunkt der Maßnah-men, die schließlich zu einer Organisationsunter-suchung Anfang der 80er-Jahre führte. Der Aus-bau der fachlichen Bereiche wie auch der Ver-waltungsbereiche setzte sich kontinuierlich fort.Es verging kaum ein Jahr, ohne dass die Denk-malpflege nicht neue Stellen erhielt, um die not-wendigen Aufgaben durchführen zu können. Zuerwähnen wäre der Ausbau der Konservatoren-stellen in allen Fachdisziplinen unseres Hauses,aber auch der deutliche Ausbau der technischenBereiche wie Restaurierung, Fotogrammetrie, Fo-tografie.Auch im finanziellen Bereich können diese Jahreals besonders gut bezeichnet werden. Neben derSteigerung der allgemeinen Fördergelder für dieErhaltung der Denkmale und der Durchführungarchäologischer Rettungsgrabungen sowie derenwissenschaftlicher Aufarbeitung konnten zweiSonderprogramme und eine intensive Öffentlich-keitsarbeit erreicht werden. Das im Jahr 1980verabschiedete „Schwerpunktprogramm für dieDenkmalpflege“, das 1983 aufgestockt wurde,gab der Denkmalpflege unseres Landes einendeutlichen Aufschwung. Durch dieses Schwer-

punktprogramm konnten große, langwierige undauch finanziell sonst nicht durchführbare Projektein der Baudenkmalpflege wie in der Archäologi-schen Denkmalpflege realisiert werden.Das „Denkmalnutzungsprogramm“, das wenigeJahre später folgte, erbrachte für die Baudenk-malpflege eine weitere starke Unterstützung.Daneben wurde der jährliche Haushalt für Zu-schüsse und wissenschaftliche Arbeiten deutlicherhöht. Der politische Stellenwert der Denkmal-pflege hat sich in jenen Jahren erheblich gestei-gert, nicht zuletzt dank des besonderen Interes-ses, das der damalige Ministerpräsident LotharSpäth dem Thema Denkmalpflege und Stadter-neuerung entgegenbrachte.Auf Anregung verschiedener Persönlichkeiten,vor allem SKH Carl Herzog von Württemberg,gründete Lothar Späth im Jahre 1985 die Denk-malstiftung Baden-Württemberg, eine Einrich-tung, die damals in der Bundesrepublik Deutsch-land beispielhaft war. Diese Institution leistet bisheute einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung derDenkmallandschaft in Baden-Württemberg. DieDenkmalstiftung Baden-Württemberg war vor-bildlich für ähnliche Landesstiftungen in anderenBundesländern. Der Grundgedanke der Denkmal-stiftung, ehrenamtliches bürgerschaftliches Enga-gement besonders zu fördern und der Denkmal-pflege eine Lobby zu schaffen, waren die zentra-len Beweggründe und Anliegen für ihre Gründung.Das hat Lothar Späth 1985 bei der Gründungs-versammlung der Denkmalstiftung in der Biblio-thek der Villa Reitzenstein deutlich gemacht.Im Bereich der Archäologischen Denkmalpflegekonnten vor allem die 1979 begründete Pfahl-bauarchäologie und das von 1983 bis 1993 durch-geführte Schwerpunktprogramm der DeutschenForschungsgemeinschaft „Siedlungsarchäologi-sche Untersuchungen im Alpenvorland“, ein bis-her vernachlässigter Bereich der Landesarchäolo-gie, stark gefördert werden. Dieses Forschungs-projekt wurde 1995 zu einem eigenständigenReferat weiterentwickelt. Herausragende archäo-logische Rettungsgrabungen, insbesondere dieAufdeckung des keltischen Fürstengrabes vonHochdorf, Kreis Ludwigsburg, im Jahre 1978 unddie damit verbundene Landesausstellung „DerKeltenfürst von Hochdorf, Methoden und Ergeb-nisse der Landesarchäologie“, bei der an 50 Aus-stellungstagen über 300 000 Besucher gezähltwurden, waren ein deutliches Signal für eine sehrbreite Resonanz gegenüber den Aufgaben derLandesarchäologie in Baden-Württemberg. Schonab 1973 konnte diese Fachabteilung kontinuier-lich ausgebaut und vor allen Dingen auch mitSpezialdisziplinen ausgestattet werden.Zu nennen sind hier die Konservatoren für ver-schiedene Fachaufgaben, die Naturwissenschaf-

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ten wie Botanik, Osteologie oder Geophysik oderdie Topographie. Die Gründung des Archäolo-gischen Landesmuseums Baden-Württemberg imJahre 1989 und die Eröffnung der KonstanzerAußenstelle des Archäologischen Landesmuse-ums im Jahre 1992 sowie des Zentralen Fundar-chivs im Jahre 1999 sind weitere Meilensteine inder Entwicklung der Landesarchäologie.Im Jahre 1992 erfolgte, nach der Landtagswahl,eine Umressortierung der für uns zuständigenAbteilung des Innenministeriums zum Wirtschafts-ministerium.Das deutliche Nachlassen der wirtschaftlichenund vor allen Dingen finanziellen Kräfte unseresLandes Anfang bis Mitte der 90er-Jahre führteschließlich 1997 zu einem finanziellen Einbruch,der bis heute noch nicht wieder aufgefangenwurde. Mit den finanziellen Engpässen ging ab1993 ein deutlicher Personalabbau einher. Vor al-lem die Archäologische Denkmalpflege sowie dieVerwaltung und die Inventarisation mussten auf-grund der Personalfluktuation bis 2002 viele Per-sonalstellen abgeben.Die Öffentlichkeitsarbeit wurde erheblich intensi-viert, u.a. durch den Ausbau der Publikationsrei-hen und Informationsveranstaltungen, wie etwaden Tag des offenen Denkmals, an dem wir unsseit 1994 beteiligen. Die Landesdenkmaltage –der erste fand im Jahre 1984 in Ravensburg statt– werden seit dieser Zeit mit großem Erfolgdurchgeführt. In der breiten Palette der Ver-öffentlichungen unseres Amtes ist u.a. die mithoher Auflage publizierte Zeitschrift „Denkmal-pflege in Baden-Württemberg“ ein viel beachte-ter Informationsträger für die Aufgaben und Be-lange der Denkmalpflege im Lande.Zusammenfassend möchte ich deutlich machen,die Entwicklung der Denkmalpflege in den letz-ten 50 Jahren bildet keine kontinuierliche Kurve

nach oben. Sie erlebte Aufschwünge, aber auchSituationen, in denen deutliche Rückschläge zuverzeichnen sind. Ein Land wie Baden-Württem-berg, das eine Vielzahl bedeutender Kulturdenk-male besitzt, wird sich auch in Zukunft ein solcheszentrales Fachamt leisten müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,bevor ich zum Schluss komme, möchte ich nocheinmal betonen, dass ich der festen Überzeugungbin, dass eine zukunftsorientierte, mit landesein-heitlichen Maßstäben arbeitende und fachlichkompetente, sich ständig weiterzuentwickelnderMethoden bedienende staatliche Denkmalpflegeauch in Zukunft ihre zentrale Funktion in einemso denkmalreichen Lande wie Baden-Württem-berg einnehmen wird. Denkmalpflege in allenDisziplinen bedarf meines Erachtens einer hohenfachlichen Kompetenz und einer überzeugendenArbeit am Denkmal vor Ort und mit seinem Part-nerfeld.Deshalb freue ich mich, Ihnen heute das ersteLeitbild unseres Hauses überreichen zu können,in dem die Kolleginnen und Kollegen unseresHauses formuliert haben, wie wir unsere Aufga-be ansehen und welchen Standort wir im ers-ten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts anstreben. Ichdenke, dieses Leitbild formuliert in knappen Sät-zen das, was Denkmalpflege in Baden-Württem-berg bedeutet und wie wir uns im Rahmen derKultur- und Landespolitik sehen. Ich würde michfreuen, wenn dieses Leitbild Ihr Interesse findet.

Prof. Dr. Dieter PlanckPräsident des Landesdenkmalamtes Baden-WürttembergMörikestraße 1270178 Stuttgart

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I. Einleitung

Wenn wir im Jubeljahr des Landes Baden-Würt-temberg den Landesdenkmaltag im Württember-gischen abhalten, so ist es nicht unbillig, als erstesBild ein Motiv aus Baden zu zeigen, besonderswenn es die Thematik dieses Vortrags über die In-ventarisation in Baden-Württemberg in den letz-ten 50 Jahren so trefflich einleitet (Abb. 1). Es istdas Siegel des „Alterthumsvereins für das Groß-herzogthum Baden“, einer um die Denkmalpfle-ge sehr verdienten Institution, der seit 1850 dererste badische Konservator August von Bayer vor-stand. Von einem Dreipass gerahmt sehen wir diePersonifikation Badens, wie sie zwei Schilde hält,in ihrer Rechten den Schild mit einer Laterne undder Devise „ich fursch“, in ihrer Linken den Schildmit einer Maurerkelle und der Devise „und er-halt“. Forschen und erhalten, Inventarisation undpraktische Denkmalpflege – anschaulicher kannman die Hauptaufgaben der Denkmalpflege da-mals und heute nicht darstellen.

Forschen für die Denkmalpflege wurde seit demEnde des 19. Jahrhunderts mit dem Erarbeitenvon Denkmal-Inventaren gleichgesetzt. In ihnenwurde das Wissen um die Denkmale niederge-legt. Beginnend mit dem 1887 von Franz XaverKraus bearbeiteten Inventar des Kreises Konstanzerschienen bis 1943 im Bereich des heutigen Ba-den-Württemberg 39 Inventarbände einschließ-lich der drei großformatigen württembergischenTafelbände (Lit.14. Übersicht).Von großer Wichtigkeit war der Erfahrungsaus-tausch der Denkmalpfleger der Länder des Deut-schen Reiches anlässlich der Tage für Denkmal-pflege. Auf dem ersten Tag für Denkmalpflege1900 in Dresden trug Cornelius Gurlitt seine 14„Thesen zur Inventarisirung“ vor (Lit. 2). Unteranderem forderte er die Aufnahme des „Typi-schen“ und „Schlichten (die Volkskunst)“und ein„Archiv für die Kunstgeschichte“, um die jeweili-gen Änderungen an den Denkmalen festhaltenzu können. Seine Ausführungen schloss er mitder Feststellung: „So endet die Inventarisation

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50 Jahre Denkmalpflege in Baden-WürttembergInventarisation

„Die behördliche Pflege der Denkmäler kann ... nur auf einer wissenschaft-lichen Grundlage erfolgen, da es Aufgabe der Wissenschaft ist, festzustellen,was Denkmal ist.“ Ernst Gall 1921.

Volker Osteneck

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nie, weil sie dazu bestimmt ist, das Kunstvermö-gen des Landes festzustellen und dessen Verwal-tung zu überwachen.“1921 war es Ernst Gall auf dem 14. Tag für Denk-malpflege in Münster (Lit. 3), der seine Vorstel-lung eines Inventars darlegte als ein „übersicht-lich geordneter, kritischer Katalog, dessen Basisein reichhaltiges Abbildungsmaterial liefert, zudem eine gründliche, aber so knapp wie möglichgefasste stilistische Charakterisierung jedes ein-zelnen Werkes gehört.“ Ein weiterer Impuls kamvom Denkmaltag 1933 in Kassel, auf dem neueRichtlinien verabschiedet wurden, nach denenjunge Kunsthistoriker im Rahmen der „Akademi-kerhilfe“ zur Abfassung von Inventaren geschultwerden sollten (Lit. 4). In der Folge entstand eineReihe von Inventaren besonders in preußischenProvinzen.Der Zweite Weltkrieg brachte zwangsläufig an-dere Prioritäten. Durch die große Zahl zerstörteroder stark beschädigter Kulturdenkmale rücktennaturgemäß Fragen von Instandsetzung undWiederaufbau in den Vordergrund. Doch schon1948 machte Georg Lill, Direktor des BayerischenLandesamtes für Denkmalpflege, nach einer ge-samtdeutschen Konferenz der Denkmalpfleger ineinem Brief an „die Herren Finanz- und Kultusmi-nister“ auf die Notwendigkeit einer kontinuier-lichen Fortführung der Kunstdenkmäler-Inventa-risation aufmerksam (Brief im Staatsarchiv Frei-burg). Er schrieb u.a.: “Es genügt dabei nicht,dass in den nächsten Jahren Material gesammeltwird, die Veröffentlichung der einzelnen Bändefür den jeweiligen Stadt- und Landkreis mussfortgesetzt werden, nicht zuletzt aus Gründeneiner gewissen Werbung, um in der Öffentlich-keit wieder Interesse und Verständnis für diesegroße Kulturleistung des Staates zu wecken.“

II. Die Denkmalschutzgesetze von Baden1949 und Baden-Württemberg 1972

Ein neues Kapitel für die Denkmalpflege im Süd-westen der Bundesrepublik begann 1949 mitdem Inkrafttreten des Badischen Denkmalschutz-gesetzes. Von einer Inventarisation war im Gesetznicht die Rede. Das Wissen um die Kulturdenk-male galt damals als selbstverständliche Grund-lage für Schutz und Pflege, und über das, was alsKulturdenkmal anzusehen sei, schien in weitenKreisen Einigkeit zu herrschen. Im Übrigen hießes in § 2 Abs. 3 des Denkmalschutzgesetzes:„In Zweifelsfällen bestimmt die Denkmalschutz-behörde mit bindender Wirkung für Gerichte undVerwaltungsbehörden, ob ein Gegenstand alsKulturdenkmal anzusehen ist.“Denkmalschutzbehörden waren laut § 4 des Ge-setzes:

„a) für die ur- und frühgeschichtlichen Denkmaledas Landesamt für Ur- und Frühgeschichte,b) für die Sammlungen von Werken der Kunst,des Kunsthandwerks oder der Technik, von ge-schichtlichen und kulturgeschichtlichen Erinne-rungsstücken – ... das Landesamt für Museen,Sammlungen und Ausstellungen;c) für die Archivalien das Landesarchivamt;d) für die Bibliotheken das Landesamt für Biblio-theken;e) für die gesamten übrigen Kulturdenkmale dasLandesamt für Denkmalpflege und Heimat-schutz“; also Fachbehörden, keine reine Verwal-tungsinstanzen.Folgende Bestimmungen des Gesetzes waren fürdie Inventarisation besonders wichtig:1. Es gab keine zeitliche Grenze. So konnten auchGegenstände aus jüngster Zeit Kulturdenkmalsein.2. Ein Denkmalbuch für Kulturdenkmale von be-sonderer Bedeutung mit einer Eintragung als Ver-waltungsakt wurde eingeführt.Dazu aus der amtlichen Begründung für den Ent-wurf (Staatsarchiv Freiburg): „Um einen Kreis vonDenkmalen auszusondern, denen ein weiterge-hender Schutz zuteil werden soll, verwendet derEntwurf die Klassierung, d.h. die Eintragung derDenkmäler in einer Liste durch staatlichen Ho-heitsakt.“ Als Vorbild wurde in der Begründungzum Gesetz das „Classement“ in Frankreich ge-nannt, allerdings mit dem bewusst herausgestell-ten Unterschied, dass es in Baden Denkmalschutzauch für die nicht eingetragenen Denkmale ge-ben sollte.Aus den 1960er-Jahren datieren in Südbaden dieersten Denkmallisten, die damals meist von Stu-denten der Kunstgeschichte unter Anleitung desDenkmalamtes erstellt wurden. Vorbild für dieArt der Erfassung waren die 1950 erlassenenRichtlinien für die Aufnahme von Kulturdenkma-len in das Denkmalbuch. Die Listen waren dem-nach Ergebnisse einer gründlichen Untersuchungmit Innenbesichtigungen und der Hereinnahmevon beweglichem Kunstgut; eine so genannte„Schnellerfassung“ fand nicht statt.Trotz schwieriger Zeiten wurden Inventare erar-beitet und herausgegeben. Graf Adelmann, seit1946 beim Württembergischen Landesamt fürDenkmalpflege und ab 1969 dessen Leiter, über-arbeitete und beendete das Manuskript zum In-ventar des Kreises Wangen, das 1954 erschien.Außer diesem erschienen im südwestdeutschenRaum bis zum Jahre 1972 noch sechs weitere In-ventarbände (Lit. 14, Übersicht).1956 trafen sich in Wien Inventarisatoren undDenkmalamtsleiter aus Deutschland, den Nieder-landen, Österreich und der Schweiz, um über Pro-bleme und Fragen der Inventarisation und der

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Veröffentlichung von Inventaren zu sprechen undErfahrungen auszutauschen. Das hektografierteProtokoll dieser Tagung, ebenso wie das derNachfolgetagung 1960 in München (im LDA.,vgl. auch Lit. 8) ist noch heute ein sehr lesens-wertes Dokument mit einer Fülle von Anregun-gen, das eindrücklich den Ernst und das Engage-ment aufzeigt, mit dem um das Inventar gerun-gen wurde.Das baden-württembergische Denkmalschutzge-setz von 1972 und die damit verbundene Umor-ganisation des Denkmalschutzes in Baden-Würt-temberg brachten auch für die Inventarisationeine Reihe von Änderungen. Stichwortartig dazu:1. Die Bestimmung des badischen Denkmal-schutzgesetzes von 1949, wonach die Fachäm-ter bindend die Denkmaleigenschaft bestimmenkonnten, entfiel. Der Begriff „Kulturdenkmal“wurde zu einem unbestimmten Rechtsbegriff,der gerichtlich nachprüfbar ist.2. Das Denkmalschutzgesetz definiert in § 2 dasKulturdenkmal so:„Kulturdenkmale im Sinne dieses Gesetzes sindSachen, Sachgesamtheiten und Teile von Sachen,an deren Erhaltung aus wissenschaftlichen,künstlerischen oder heimatgeschichtlichen Grün-den ein öffentliches Interesse besteht.“Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat in seiner bisherigen Rechtsprechung diese wis-senschaftlichen, künstlerischen und heimatge-schichtlichen Gründe als Voraussetzungen einer„Denkmalfähigkeit“ bezeichnet und für das öf-fentliche Erhaltungsinteresse den Begriff „Denk-malwürdigkeit“ als eigenständiges Bedeutungs-merkmal geprägt. Für alle Begriffe setzte er Kri-terien fest. Es ist Aufgabe der Inventarisation,diese Kriterien fachlich auszufüllen, um die Denk-maleigenschaft eines Gegenstandes gerichtsfestbegründen zu können.3. In § 10 Abs. 2 heißt es:„Die Denkmalschutzbehörden oder ihre Beauf-tragten sind berechtigt, Grundstücke und zurVerhütung dringender Gefahr für Kulturdenk-male Wohnungen zu betreten und Kulturdenk-male zu besichtigen, soweit es zur Erfüllung derAufgaben des Denkmalschutzes erforderlich ist.Sie sind zu den erforderlichen wissenschaftlichenErfassungsmaßnahmen – wie der Inventarisation –berechtigt ...“Dazu aus der amtlichen Begründung von 1969(ein Exemplar im LDA): „... (Es) muss jedoch auchmöglich sein, sie (die Kulturdenkmale) in demSinne zu ›erfassen‹, dass sie in ihrer wissenschaft-lichen Bedeutung registriert werden. Das Mittelhierfür ist ein wissenschaftliches Inventar, wel-ches nicht nur die Existenz vermerkt, sonderndurch textliche oder bildliche Beschreibung undZuordnung wissenschaftlichen Aussagewert be-

sitzt. Eine solche ›Erfassung‹ ist in § 10 Abs. 2 desEntwurfs vorgesehen.“4. Wie im früheren Badischen Denkmalschutz-gesetz gibt es die Kulturdenkmale von besonde-rer Bedeutung, die bei Eintragung in das Denk-malbuch einen zusätzlichen Schutz genießen.Neu ist der § 28 (früher § 34): Objekte, die infrüheren amtlichen Verzeichnissen, etwa im Denk-malbuch nach dem Badischen Denkmalschutz-gesetz oder im 1930 fertig gestellten württem-bergischen Denkmalverzeichnis, aufgeführt sind,gelten als Kulturdenkmale von besonderer Be-deutung und sollen in das Denkmalbuch übertra-gen werden.

III. Zur Arbeit der Inventarisation heute

Der Bereich Inventarisation wurde bei der Neu-gliederung des Denkmalamts 1978/79 anlässlichseiner Umressortierung zum Innenministerium zueinem Zentralreferat innerhalb der neu geschaf-fenen Abteilung III, dem Mitarbeiter an allen Au-ßenstellen angehören. Dieses Referat deckt einbreites Aufgabenfeld ab. Dazu gehören:1. Die Erfassung der Kulturdenkmale des Landesin Listenform und die Begründung des Denkmal-wertes mit den sich daraus ergebenden Arbeiten.2. Das Denkmalinventar.3. Topographische Arbeiten.4. Die Erfassung und Bewertung von Denkmalender Technikgeschichte.5. Die Erfassung und Bewertung von Zubehörund beweglichen Denkmalen.6. Verschiedene weitere Projekte.Dies gilt es zu erläutern.

1. Die Listen-Inventarisation und die Begründungdes DenkmalwertesDie Erarbeitung von Denkmallisten als Übersichtüber den Denkmalbestand hat in WürttembergTradition. Schon die von dem statistisch-topogra-

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phischen Bureau herausgegebene Liste (Lit. 1)wurde trotz einiger fachlicher Vorbehalte des Bu-reaus 1843 veröffentlicht mit der Begründung,„... indem die Abfassung eines streng wissen-schaftlichen und folgerechten Werkes über denganzen Kreis unserer Kunst- und Alterthums-werke, welches bildlicher Darstellung nicht er-mangeln sollte, von der nächsten Zukunft viel-leicht nicht zu erwarten steht, vorliegenderÜberblick aber zum zweckmäßigen Vorläufer ei-nes solchen dienen könnte.“ Hinzuweisen istauch auf die in § 28 DSchG genannten amtlichenDenkmallisten (s.o.).Anfang der 1970er-Jahre begann in der ganzenBundesrepublik die große Zeit der Denkmallisten.In Baden-Württemberg war zwar das neue Ge-setz der Auslöser, aber der Hauptgrund lag in derEntdeckung der Zeit zwischen 1870 und 1914,oftmals ungenau Gründerzeit bezeichnet, alsEpoche für den Denkmalschutz. Diese Entde-ckung ging einher mit einer auch qualitativen Er-weiterung des Denkmalbegriffs, wodurch der bis-her angenommene Konsens über das, was Denk-mal sein kann, erschüttert wurde. Es war die Zeitdes Unbehagens über das Bauen der Nachkriegs-zeit in den kriegszerstörten Zentren großer Städ-te, in den neu errichteten Satellitenstädten undauch auf dem Lande. Der Titel des Buchs „Die Un-wirtlichkeit der Städte“ von Alexander Mitscher-lich wurde zum Schlagwort. Symptomatisch fürdie damalige Zeit ist der Umschlag einer Broschü-re der Aktion Gemeinsinn, erschienen anlässlichdes Europäischen Jahres für Denkmalschutz 1975,dessen Motiv als Plakat überall Aufsehen erregte(Abb. 2). Das Plakat zeigt deutlich: Der Blick rich-tete sich auf die Ende des 19. Jahrhunderts ent-standenen Vorstädte, die vom Krieg verschontgebliebenen waren und nun in den Sog der Bau-spekulation gerieten. Was noch kurz vorher alsBaukitsch abgewertet wurde, gewann jetzt anDenkmalwert. Man kann von einer „Demokrati-sierung“ des Denkmalbegriffs sprechen, Demo-kratisierung in dem Sinne, dass jetzt auch eine Er-haltung für Zeugnisse der bürgerlichen, der pro-letarischen und der bäuerlichen Vergangenheitgefordert wurde. Ganze Straßenzüge, ganzeViertel mussten untersucht und aufgenommenwerden und erzwangen neue Methoden von Er-fassung und Bewertung. Vieles blieb im Ober-flächlichen stecken. Noch 2002 gab es zu diesemThema auf der Denkmalpflegertagung in Wies-baden einen Vortrag unter dem Titel „Die Geister,die wir riefen ... Überfordern uns die Denkmal-massen?“.Zurück zu Baden-Württemberg. Um Denkmal-listen zu erstellen, wurden 20 zunächst zeitlichbefristete Stellen für die Inventarisation einge-richtet. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissen-

schaftler aus Kunstgeschichte, Archäologie, Ar-chitektur und Volkskunde wurden von den dreifest angestellten Inventarisatoren unter ihre Fitti-che genommen. Die Arbeit ging schnell voran –und wurde 1977 jäh gestoppt durch ein Urteil desVerwaltungsgerichts Sigmaringen, wonach dieEintragung in eine Denkmalliste ein Verwaltungs-akt sein sollte. Dieses Urteil hatte zur Folge, dassfür die einzelnen Denkmale jetzt Begründungengeschrieben werden mussten. Hierzu wurde vondem damals zuständigen Innenministerium eineentsprechende Verwaltungsvorschrift erarbeitet,die in Kraft blieb, auch als der Verwaltungsge-richtshof in Mannheim 1982 den nachrichtlichenCharakter der Denkmallisten bestätigte.Mit der Notwendigkeit, den Denkmalwert jedesObjektes zu begründen, neigte sich die Waagezwischen Schnelligkeit und Gründlichkeit mehrauf die Seite der Gründlichkeit. Das ergab zwarein langsameres Fortschreiten in der Fertigstel-lung der Listen als zunächst gedacht, jedoch eindeutliches Mehr an wissenschaftlichen Erkennt-nissen gerade für Gattungen von Denkmalen, dienoch nicht im Bewusstsein der Öffentlichkeit wa-ren. Die Zeitschrift „Denkmalpflege in Baden-Württemberg“ weist eine große Zahl von Aufsät-zen auf, die diese Forschungsergebnisse präsen-tieren. So, um fast willkürlich einige Beispiele zunennen, Eberhard Grunskys Arbeit über das Hausauf der Alb aus den Zwanziger Jahren (Lit. 13)und seine Überlegungen zur „Entdeckung“ his-toristischer Architektur (Lit. 16), Leo SchmidtsAufsatz über „Konstanz von innen“, in dem erdas Ergebnis einer Reihenuntersuchung der meistmittelalterlichen Innenstadthäuser in Konstanzaufzeigt (Lit. 22), oder Gabriele Howaldts Ab-handlung über die Arbeitersiedlung Reutlingen-Gmindersdorf aus dem frühen 20. Jahrhundert(Lit. 11). In dieselbe Richtung zielt die Reihe„Denkmalportrait“, die seit 2000 regelmäßig inunserer Zeitschrift zu finden ist und die aufObjekte hinweist, deren Denkmalwert nicht je-dem vertraut ist. Um möglichst kurzfristig eineflächendeckende Übersicht über den Denkmal-bestand zu erreichen, wird seit 1999 die Be-tonung wieder mehr auf Schnelligkeit gelegt. Daszeigen Listen nach dem „ersten Erfassungs-schritt“, die schon in ihrem Namen darauf ver-weisen, dass noch weitere Schritte beabsichtigtund notwendig sind.Neben den Listen werden noch Einzelbegrün-dungen, Gutachten zu Denkmalbuch-Eintragun-gen usw. erarbeitet. Die Eintragung von kirchli-chen Objekten in das Denkmalbuch ist uns zur-zeit verwehrt, denn derzeit versucht die Erz-diözese Freiburg gerichtlich zu klären, ob solcheEintragungen in das Denkmalbuch überhauptverfassungsgemäß sind.

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2. Das InventarDie Arbeit an Inventaren wurde durch die Lis-teninventarisation stark zurückgedrängt. Nachden Inventarbänden Oberamt Ulm 1978, Mann-heim 1982 und Rems-Murr-Kreis 1983 schien dieTradition des Inventarschreibens zu einem Endegekommen zu sein. Ab 1988 konnte jedochdurch Richard Strobel das Inventar über Schwä-bisch Gmünd in Angriff genommen werden. Dieletzten beiden der vier Teilbände stehen kurz vor der Fertigstellung. Danach wird es für die Er-arbeitung von Inventaren wieder zu einer Unter-brechung kommen müssen, da Personalmangeldie Setzung anderer Prioritäten erzwingt. Wer diebeiden schon erschienenen Bände kennt, weiß,welch ein Verlust an wissenschaftlicher Methodikund an Forschungsergebnissen in Zukunft zu be-klagen sein wird. Wir hoffen, dass die Zwangs-pause klein genug bleibt, um an die große Tra-dition der Inventarschreibung im südwestdeut-schen Raum wieder anknüpfen zu können.

3. Topographische ArbeitenDie Erkenntnis, dass die Erarbeitung von Inven-taren bundesweit in absehbarer Zeit nicht ab-geschlossen sein würde, brachten Hartwig Bese-ler und Dietrich Ellger schon 1971 dazu, für dasganze Bundesgebiet eine Kunsttopographie wiedie in Schleswig-Holstein vorzuschlagen, ein be-bilderter Denkmalkatalog mit Kartenanhang aufder Grundlage von Denkmallisten (Lit. 9). Darausentwickelte sich das Projekt „Denkmaltopogra-phie Bundesrepublik Deutschland“, dessen Richt-linien 1980 verabschiedet wurden (Lit. 21, 28).Beseler und Ellger rechneten 1971 mit etwa 35Bänden für rund 140 000 Baudenkmäler in derganzen damaligen Bundesrepublik, eine Zahl, diedamals „erschreckend hoch“ bezeichnet wurde,heute aber als viel zu niedrig angesehen werdenmuss, werden doch allein für Baden-Württem-berg ca. 80 000 Baudenkmale und ca. 60 000 ar-chäologische Denkmale angenommen.In Baden-Württemberg ging man zunächst einenanderen Weg. Hier konzentrierte man sich auf die Beschäftigung mit den besonders bedeuten-den Ortskernen, den Gesamtanlagen nach § 19DSchG. Daraus erwuchs als baden-württember-gischer Sonderbeitrag zu den Topographien derOrtskernatlas, konzipiert von Wolf Deiseroth, derauch die Redaktion übernommen hatte (Lit. 17).Weiter sind noch die 1991–1995 erschienenenOrts-Charakteristiken zu nennen, die aufgrundder oben genannten Verwaltungsvorschrift imRahmen der Listenerfassung entstanden und zumTeil auch gedruckt wurden (Lit. 25). Die Reihekonnte jedoch nicht weitergeführt werden, alsdie Listeninventarisation nach dem ersten Er-fassungsschritt begann.

Die bei Ortskernatlas und Orts-Charakteristik ge-machten Erfahrungen führten zur Entwicklungder „Denkmaltopographie Baden-Württemberg“,wobei auch das von Felicitas Buch und RichardStrobel erstellte Arbeitsheft über die Ortsanalysehilfreich war (Lit. 18). Wieder lag die Hauptarbeitan Konzeption und Redaktion des ersten Bandes,der Anfang dieses Jahres herauskam, bei WolfDeiseroth (Lit. 31, 32). In dieser neuen Reihe se-hen wir die große Chance, Kulturdenkmale derBau- und Kunstgeschichte, der Vor- und Früh-geschichte und der Archäologie des Mittelaltersgemeinsam in ihrem topographischen Zusam-menhang darzustellen und damit noch stärker zu Verständnis für den Wert der Denkmale unddie Notwendigkeit ihrer Erhaltung beitragen zukönnen.Die Denkmaltopographie Baden-Württemberg isteine ehrgeizige Aufgabe, die über den Tag hinausweist. Doch ist hierfür eine deutliche Verstärkungvon Personal und Mitteln notwendig, soll sie nichtzu einem „Jahrhundertwerk“ werden.

4. Die Erfassung und Bewertung von Denkmalender TechnikgeschichteDie Erfassung technischer Denkmale ist eigentlichein Bereich, der von der Inventarisation der Bau-und Kunstdenkmale allgemein abgedeckt seinsollte. Doch der Landesdenkmaltag 1986 inMannheim führte zu dem Ergebnis, dass für ei-nen verantwortungsvollen Umgang mit solchenObjekten vertiefte technikhistorische Kenntnissenotwendig sind (Lit. 19). Die bald darauf einge-richtete Fachreferentenstelle wurde dann auchmit einem promovierten Technikhistoriker besetzt(Lit. 24).

5. Die Erfassung und Bewertung von Zubehörund beweglichen DenkmalenBewegliche Kulturdenkmale sind ebenso wie dasZubehör Gegenstände, mit denen sich die Denk-malpflege seit ihren Anfängen zu beschäftigenhat. Der Wiederaufbau der Nachkriegszeit unddie Arbeit an Denkmallisten haben die Beschäfti-gung mit diesem Thema auch bei der Inventari-sation zurückgedrängt, ein Defizit, das in denletzten Jahren besonders deutlich wurde und An-fang des Jahres 2002 nach fünfjähriger Vorlauf-zeit zu einer Fachreferentenstelle für diesen Be-reich führte (Lit. 26, 27; vgl. auch den BeitragBüchner in diesem Heft).

6. Weitere ProjekteUm die Beschreibung des Aufgabenbereichs derInventarisation in Baden-Württemberg abzurun-den, sollte wenigstens kurz auf den „Denk-malthesaurus Baden-Württemberg (BWThes)“hingewiesen werden, mit dem ein einheitlicher

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Wortschatz zur Denkmalpflege erstellt wird. Wei-ter sind noch zwei zeitlich befristete Projekte zunennen, nämlich die Erfassung der Grabsteineauf jüdischen Friedhöfen in Baden-Württemberg(Lit. 29) und die Erfassung von Kleindenkmalen,ein Projekt, das zusammen mit dem Schwäbi-schen Heimatbund, dem Schwarzwaldverein unddem Schwäbischen Albverein betrieben wird (Lit.30).

IV. Schlussbemerkungen

Kehren wir nochmals zum Siegel des Altertums-vereins zurück, das, wie wir feststellen konnten,ein Abbild der Hauptaufgaben der Denkmal-pflege ist. Wer einen Schild mit dem Spaten (alsofür die Archäologie) vermisst, sei daran erinnert,dass der Altertumsverein sich auch sehr ausführ-lich mit archäologischen Denkmalen beschäftig-te. Forschen und Erhalten beziehen die Archäolo-gie selbstverständlich mit ein.Mit gleich großen Schilden steht sie da, die Ba-denia. Forschen und Erhalten sind ihr gleich wert.In der Realität der Denkmalämter wird der prak-tischen Denkmalpflege ein deutlich größeres Ge-wicht beigemessen. Das ist grundsätzlich richtig:Die praktische Arbeit, wozu auch Grabungengezählt werden können, ist von oft im Wortsinnsubstanzieller Bedeutung für die Kulturdenk-male. Dennoch: Mit mehr Wissen über die Kul-turdenkmale können diese umsichtiger und ef-fektiver gepflegt werden. Mehr Wissen über Kul-turdenkmale in der Öffentlichkeit, insbesonde-re bei Eigentümern von Kulturdenkmalen, fördertdas Bewusstsein für ihren Wert. Dies wieder-um führt zu einem behutsameren Umgang mitden Denkmalen sowie zu einem frühzeitigenEinschalten der Denkmalpflege mit dem Ergeb-nis, dass bei notwendigen Instandsetzungen Sub-stanz und Finanzen stärker geschont werdenkönnen. Eine auch personell besser ausgestatteteInventarisation könnte mit ihren Instrumentariennoch viel stärker unterstützend tätig sein. DennInventarisation, wie die praktische Denkmalpfle-ge eine Daueraufgabe, ist letztlich nichts anderesals Forschen, um zu erhalten.

Literatur:

1. Statistisch-topographisches Bureau: Denkmale derKunst und des Althertums im Königreich Württem-berg. Württembergisches Jahrbuch 1841 (1843).2. Cornelius Gurlitt: Die Inventarisierung der Denk-mäler. Erster Tag für Denkmalpflege Dresden, Berlin1900, 22–39.3. Ernst Gall: Inventarisation der Kunstdenkmäler.Vierzehnter Tag für Denkmalpflege, Münster 1921,stenographischer Bericht, 114–128.

4. Dr. Busley: Bestandsaufnahme der Denkmale.Denkmalpflege und Heimatschutz im Wiederaufbauder Nation. Tag für Denkmalpflege und Heimat-schutz ... Kassel 1933, Berlin 1934, 185–188.5. Paul Ortwin Rave: Anfänge und Wege der deut-schen Inventarisation. Deutsche Kunst und Denk-malpflege 11, 1953, 73–90.6. Emil Lacroix: Hundert Jahre Staatliche Denkmal-pflege in Baden. Erhalten und Gestalten. 100 JahreDenkmalpflege in Baden. Badische Werkkunst 1/2,1954, 3–8.7. Georg Himmelheber: Staatliche Denkmalpflege inWürttemberg 1858–1958. Staatliche Denkmalpfle-ge in Württemberg 1858–1958, Stuttgart und Tü-bingen 1960, S. 9–24.8. Theodor Müller: Was erwartet die Wissenschaftvon der Kunstdenkmälerinventarisation? DeutscheKunst und Denkmalpflege 1960, 66–71.9.Hartwig Beseler/Dietrich Ellger: Das Denkmal zwi-schen Inventar und Liste. Bestandsaufnahme einerBestandsaufnahme. Deutsche Kunst und Denkmal-pflege 29, 1971, 150–155.10. Georg Sigmund Graf Adelmann: Zum neuenLandesdenkmalamt. Denkmalpflege in Baden-Würt-temberg 1, 1972, Heft 1, 3–4.11. Gabriele Howaldt: Die ArbeiterwohnkolonieGmindersdorf in Reutlingen. Denkmalpflege in Ba-den-Württemberg 2, 1973, 26–33.12. Richard Strobel: Denkmalverzeichnis und In-ventarisation in Baden-Württemberg. Zeitschrift für

Württembergische Landesgeschichte 39, 1980, 220–279.13. Eberhard Grunsky: Adolf G. Schnecks „Haus aufder Alb“ bei Urach. Denkmalpflege in Baden-Würt-temberg 11,1982, 79–87.14. Adolf Schahl: Die Kunstdenkmäler des Rems-Murr-Kreises. Die Kunstdenkmäler in Baden-Würt-temberg. München-Berlin 1983.15. Richard Strobel: Zur Inventarisationsgeschichtedes 19. Jahrhunderts in Baden-Württemberg. Denk-malpflege in Baden-Württemberg12,1983,59–65.16. Eberhard Grunsky: Zur „Entdeckung“ historisti-scher Architektur als Problem der Denkmalpflege.Denkmalpflege in Baden-Württemberg 12, 1983,96–10317. Wolf Deiseroth: Der Ortskernatlas Baden-Würt-temberg. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 15,1986, 121–124.18. Felicitas Buch/Richard Strobel: Ortsanalyse. Lan-desdenkmalamt Baden-Württemberg, Arbeitsheft 1,Stuttgart 1986.19. Volker Osteneck: Fragen zum Denkmalwert tech-nischer Anlagen. Denkmalpflege in Baden-Württem-berg 16, 1987, 24–36.20. Richard Strobel: Das Große Inventar – cui bono?Deutsche Kunst und Denkmalpflege 45, 1987, 98–105.21. Volker Osteneck: Denkmaltopographie Bundes-

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republik Deutschland. Deutsche Kunst und Denk-malpflege 45, 1987, 86–92.22. Leo Schmidt: Konstanz von innen. Methodenund Ergebnisse der Denkmalinventarisation. Denk-malpflege in Baden-Württemberg 16, 1987, 183–190.23. Anita Gaubatz: Erfassen von archäologischenDenkmalen der Vor- und Frühgeschichte Baden-Württembergs. Denkmalpflege in Baden-Württem-berg 17, 1988, 53–60 (im selben Heft weitere allge-meine Beiträge speziell zum Denkmalinventar).24. Hans-Peter Münzenmayer: Erfassung und Be-wertung von Objekten der Technikgeschichte –Wege zu einer technikhistorischen Quellenkunde.Denkmalpflege in Baden-Württemberg 19, 1990,156–161.25. Orts-Charakteristik. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 21, 1992, 34.26. Anja Stangl: Die beweglichen Kulturdenkmale in Baden-Württemberg. Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 25, 1996, 120–125.27. Volker Osteneck: Bewegliche Denkmale und Zu-behör – Zu Definition und Anwendung zweier Be-griffe. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 28,

1999, 124–128 (im selben Heft weitere Beiträge zuZubehör und beweglichen Denkmalen).28. Hans-Herbert Möller: Kunsttopographie – Denk-maltopographie. Die Entwicklung einer Idee. DieDenkmalpflege 59, 201, 5–9.29. Martina Strehlen: Erfassung jüdischer Friedhö-fe in Baden-Württemberg. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 31, 2002, 33–70.30. Martina Blaschka: „Ortsfeste, freistehende,kleine, von Menschenhand geschaffene Gebilde“.Denkmalpflege in Baden-Württemberg 31, 2002,84–88.31. Wolf Deiseroth/Volker Osteneck: Editorial. Denk-malpflege in Baden-Württemberg 31, 2002, 198–199.32. Gitta Reinhardt-Fehrenbach: Denkmaltopogra-phie Baden-Württemberg. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 31, 2002, 199–206.

Dr. Volker OsteneckLDA · Inventarisation und DokumentationMörikestraße 12

70178 Stuttgart

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Mit dieser eingängigen Metapher umschrieb vorkurzem in einem Interview der bayerische Gene-ralkonservator Dr. Egon Greipl jenes Denkmalver-ständnis, das bereits um 1900 auf dem Forum derDeutschen Denkmaltage formuliert wurde: Kul-turdenkmale sind stets in erster Linie Geschichts-zeugnisse, die möglichst unverkürzt der Zukunftüberliefert werden sollten in der Einsicht, dass dieunmittelbare Information nur durch den materiel-len Beleg, an dem sich Geschichte vollzogen hat,zu erhalten ist.Diese Einsicht ist heute Grundlage für die konser-vatorische Praxis in der Bau- und Kunstdenkmal-pflege in Baden-Württemberg wie auch grund-sätzlicher Konsens der Denkmalpflege insgesamt.Wir können unsere Arbeit heute auf Rahmenbe-dingungen abstützen, von denen die Denkmal-pflege der 50er- bis 70er-Jahre mit einem oderzwei Baudenkmalpflegern in jedem der fünf Äm-ter weit entfernt war, obwohl bereits in dem neugebildeten Bundesland Baden-Württemberg derDenkmalschutz Verfassungsrang hatte.Die staatliche Denkmalpflege in Baden, Würt-temberg und Südwürttemberg-Hohenzollern –später in Baden-Württemberg – sah sich nachdem Kriege in einer eigentlich hoffnungslosenpersonellen und organisatorischen Unterlegen-heit gegenüber dem Druck, der von den immen-sen Aufgaben des Wiederaufbaus und dem wirt-schaftlichen Aufschwung ausging. Ihre Einfluss-nahme auf die Wiederaufbaupläne der Städ-te beschränkte sich in der Regel auf die Vertei-digung erhaltungsfähiger Baudenkmale gegenVerkehrs- und Neustrukturierungsmaßnahmen.Die staatliche Denkmalpflege richtete damals ihrHauptaugenmerk auf die Erhaltung und Instand-setzung der bedeutenden Baudenkmale – in ers-ter Linie Kirchen, Schlösser und öffentliche Ge-bäude – in Zusammenarbeit mit den staatlichenund kirchlichen Bauämtern.In den Bereichen der Restaurierung, der Orgel-und Glockendenkmalpflege und bei geringer be-

schädigten Denkmalgebäuden knüpfte man andie denkmalpflegerischen Konzepte und Instand-setzungsmethoden der Vorkriegszeit traditionellreparierend und auch im Detail am Bestand ori-entiert an. Beim Wiederaufbau schwer beschä-digter Denkmalgebäude wurden die zerstörtenTeile auch als Verlust von unwiederbringbaremGeschichtsbestand aufgefasst, sodass die Denk-malpflege die neugestalterischen Konzepte derArchitekten dann vielfach positiv begleitete,wenn sie in verantwortungsvoller Auseinander-setzung mit dem noch vorhandenen Denkmalbe-stand entwickelt wurden. Die gemeinsam von Ar-chitekten und Denkmalpflegern verantwortetenNeuinterpretationen wurden, wie in der gesam-ten BRD damals, unter dem Schlagwort „Schöp-ferische Denkmalpflege“ noch bis in die 70er-Jahre auch auf bis dahin intakte Denkmalzusam-menhänge übertragen und führten zu nunmehrvermeidbaren Verlusten an unwiederbringlicherDenkmalsubstanz.In den 60er- und den frühen 70er-Jahren kam alsneue und konfliktträchtige Aufgabe der staatli-chen Denkmalpflege die Verteidigung erhal-tungsfähiger Baudenkmale gegen großmaßstäb-liche Neubauvorhaben und Verkehrsplanungenauch in den Städten und Ortschaften, die keineKriegseinbußen gehabt hatten, hinzu. Die erstenErgebnisse der städtebaulichen Erneuerungsstra-tegien in den geschichtlich überlieferten Stadt-und Dorfkernen, die Konzepte der Stadtsanie-rung mit großflächiger Totalerneuerung ganzergewachsener Quartiere rief die Kritik der betrof-fenen Öffentlichkeit hervor. Die Eingriffe in dasgewohnte bauliche Umfeld wurden als Identi-fikationsverlust empfunden. Aber auch in denReihen der Stadtplaner selbst wurde Kritik laut.Schon 1966 wurden in einer Resolution des Deut-schen Städtetages deshalb die Stärkung derDenkmalpflege und der Erlass wirksamer Denk-malschutzgesetze gefordert.Die bereits 1970 eingerichtete Planungsberatung

50 Jahre Denkmalpflege in Baden-WürttembergBau- und Kunstdenkmalpflege

„Die Substanz des Baudenkmals zu erhalten ist das Entscheidende, nicht nurdie Fassade. Es ist, wie wenn man aus einem Buch die Textseiten herausreißtund mit Hinweis auf den noch vorhandenen Einband behauptet, das Buch sei ja noch da!“

Gertrud Clostermann

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in der Bau- und Kunstdenkmalpflege war diekonstruktive Antwort auf die vielfältigen Kon-flikte zwischen Denkmalpflege und Stadtent-wicklung in den 60er-Jahren. Die Planungsbera-tung wirkt mittlerweile im Sinne einer vorsorgen-den Denkmalpflege im Vorfeld konkreter Maß-nahmen. Sie nimmt in allen Stufen der Bauleit-planverfahren als Träger öffentlicher Belange fürden Denkmalschutz, der informellen Planungensowie allen flächenhaften Vorhaben die wichtigeAufgabe wahr, durch Benennung und Beschrei-bung aller kulturgeschichtlichen Qualitäten desPlanungsraumes Denkmal bedrohende Verände-rungen zu verhindern oder notwendige Entwick-lungen jedenfalls in denkmalverträgliche Bahnenzu lenken. Damit werden zwar nicht alle Kon-flikte und Denkmaleinbußen verhindert. Die öf-fentlichen und privaten Planungsträger erhaltendadurch aber die Grundlage für eine denkmal-verträgliche Planung und die politischen Ent-scheidungsgremien für eine verantwortliche Ab-wägung der öffentlichen Belange.Mit dem Erlass des Denkmalschutzgesetzes Ba-den-Württemberg 1971, in das auch die Er-fahrungen aus dem vorbildlichen südbadischenDenkmalschutzgesetz von 1949 eingebrachtwurden, wurde nun der rechtliche Rahmen fürdie Aufgabe der Denkmalpflege gesetzt. Insbe-sondere die gerichtliche Überprüfung des § 2über den Denkmalbegriff und des § 6 über dieZumutbarkeit der Erhaltung und Pflege von Kul-turdenkmalen hat die Praxis der Baudenkmalpfle-ge immer wieder erheblich beeinflusst. Die Ein-richtung des Landesdenkmalamtes Baden-Würt-temberg erfolgte 1972. Nach und nach wurde dieZahl der Konservatoren und Konservatorinnen er-höht, die in den Gebietsreferaten die Denkmal-maßnahmen fachlich betreuen.Mit der Ausdehnung des Denkmalverständnissesauf die Fülle des einfacheren Hausbestandes inden historischen Orts- und Stadtbereichen warenfür die Bau- und Kunstdenkmalpflege wiederumneue Aufgaben hinzugekommen. Von der einfa-chen Bauinstandsetzung über die im Rahmen derStädtebauförderung notwendigen durchgreifen-den Modernisierungen dieser Denkmalgebäudebis hin zu Neu- und Umnutzungen mussten denk-malpflegerische Konzepte entwickelt werden.Dem breiten öffentlichen Interesse an einer Erleb-barkeit der neu entdeckten Denkmalwerte wur-de damals vielfach mit Fachwerkfreilegungen undTeilrekonstruktionen des „ursprünglichen Erschei-nungsbildes“ der Denkmalgebäude Rechnunggetragen. Die bis dahin aus dem Neubau über-nommenen Baukonzepte für die Renovierung derBaudenkmale mit der Folge übermäßiger Sub-stanzverluste konnten erst allmählich durch hand-werkliche Reparaturkonzepte ersetzt werden.

Die öffentliche und politische Aufwertung derDenkmalpflege in dieser Zeit, die Zusammen-fassung der Denkmalpflege und Stadtsanierungin einer Abteilung beim Innenministerium und dieÜbernahme der Amtsleitung 1977 durch Prof.August Gebeßler markieren den Anfang einerweiteren Phase in der Entwicklung der Bau- undKunstdenkmalpflege des Landesdenkmalamtes.Er stellte als Richtschnur konservatorischen Han-delns deutlich die eingangs erwähnten Grund-sätze „Konservieren nicht Restaurieren“ in denVordergrund. Für das Ziel einer substanzorientier-ten und vorsorgenden Denkmalpflege wurden in dieser Zeit Grundlagen geschaffen; zum einendurch kontinuierliche Erhöhung der allgemeinenDenkmalförderung und zum anderen mit der Ein-richtung der Restaurierungsberatung und Photo-grammetrie.Aus heutiger Sicht ist schwer verständlich, warumin Baden-Württemberg erst 1978 eine amtlicheRestaurierungsberatung der Bau- und Kunst-denkmalpflege eingerichtet wurde. Ihre wichtigs-te Funktion ist noch heute die Beratung, Vorbe-reitung und wissenschaftliche Begleitung restau-ratorischer und konservatorischer Aufgaben.Bis dahin war die Restaurierungspraxis an Bau-denkmalen und Kunstgut in Baden-Württembergabhängig vom Wollen und Können der freiberuf-lichen Restauratoren. Die Methoden und Techni-ken der Konservierung und Restaurierung habensich in den letzten Jahrzehnten auf internatio-naler Ebene immer mehr verfeinert. Das Referat Restaurierung entwickelt für exemplarische Res-taurierungsprobleme Lösungen mit modernstentechnischen, restauratorischen und naturwissen-schaftlichen Methoden, wo angezeigt in Koope-ration mit Hochschulen und Fachinstituten. DieErgebnisse werden für die Praxis der freien Res-tauratoren zugänglich gemacht. Es werden damitStandards für die Qualität des restauratorischenUmgangs mit Kulturdenkmalen gesetzt. DieDurchführung der Restaurierungen am Objekt er-folgt auf dieser Grundlage durch die mittlerweilein wachsender Zahl heute hoch qualifizierten frei-en Restauratoren.Das Referat Photogrammetrie schließlich hat fürdie Bau- und Kunstdenkmalpflege Standards inder Bauaufnahme und messtechnischen Bestands-erfassung entwickelt, die für Voruntersuchungenan Denkmalgebäuden und die schadensfreie Ana-lyse von statischen Bauproblemen heute unver-zichtbar sind. Auch in diesem Bereich werden dieerarbeiteten Ergebnisse für die freien Fachkolle-gen zugänglich gemacht.Im Vorfeld von Maßnahmen an Denkmalgebäu-den mit substanziell und geschichtlich kompli-ziertem Baubestand hat sich der gemeinsameEinsatz der Fotogrammetrie, Bauforschung (bei

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der Mittealterarchäologie) und Restaurierung desLandesdenkmalamtes vielfach bewährt.Die Zusammenarbeit der Bau- und Kunstdenk-malpflege des Landesdenkmalamtes mit Univer-sitäten und Fachinstitutionen und die Einbindungexterner Spezialisten zu jeweils aktuellen Fragenin der Denkmalerhaltung hat sich etabliert.Während für die Gebiete Glocken- und Orgel-denkmalpflege Referenten zur Verfügung stehen,können bis heute die wichtigen Aufgaben in derGartendenkmalpflege nur mithilfe externer Gut-achter in Einzelfällen wahrgenommen werden.Insbesondere bei den großen Instandsetzungsmaß-nahmen an hochwertigen Denkmalgebäuden im Zuge der Sonderförderprogramme – Schwer-punktprogramm Denkmalpflege von 1980–1991,Denkmalnutzungsprogramm von 1987–1991 undUmweltschadensprogramm – war es in der Bau-und Kunstdenkmalpflege in vergleichsweise kur-zem Zeitraum möglich, substanzorientierte Er-haltungskonzepte an ca. 200 bestandsbedrohtenBau- und Kunstdenkmalen umzusetzen. Hierzugehörten beispielsweise die restauratorische Si-cherung der bedeutenden hochmittelalterlichenFresken in Reichenau-Oberzell oder das mittel-alterliche Kloster Bronnbach, das Kloster Heilig-kreuztal oder die restauratorische Sicherung derPortalskulpturen am Heilig-Kreuz-Münster inSchwäbisch Gmünd.Die Bau- und Kunstdenkmalpflege bekam denRückgang der staatlichen Förderung in den 90er-Jahren deutlich zu spüren. Zwar wurde versucht,die erreichten Standards in der Umsetzung denk-malpflegerischer Konzepte zu halten. Jedoch istes gerade den privaten Bauherren nur schwer zuvermitteln, dass die Zuschüsse deutlich geringerausfallen. Wie sich die 2001 erlassene Novelle desDenkmalschutzgesetzes auf die Umsetzung derfachlichen Konzepte auswirken wird, ist nochnicht abzusehen.Die Fachkonzepte des Landesdenkmalamtes sindnur ein Kriterium für das letztendlich erreichbareErgebnis der Denkmalerhaltung, die Entschei-dungen der Denkmalschutzbehörden ein ande-res. Von elementarer Bedeutung ist aber, dass dieüberwiegende Zahl der Eigentümer bereit ist,Baudenkmäler und Kunstgut in ihrem Eigentumzu erhalten, konservatorische Beratung anzuneh-men und denkmalpflegerische Konzepte bei ih-ren Bauvorhaben umzusetzen. Qualifizierte Prak-tiker und Spezialisten – Architekten, Statiker,Fachingenieure, Handwerker, Bauforscher undRestauratoren – sind dafür verantwortlich, dassdie Maßnahmen in fachlich qualifizierter Weisedurchgeführt werden.Wir stehen heute nicht mehr nur bei den be-kannten Denkmalkategorien wie bäuerliche An-

wesen, Fabrikanlagen der Gründerzeit oderSchlössern vor gravierenden Erhaltungsproble-men, die durch fehlende oder zu intensive Nut-zung hervorgerufen sind. Angesichts der Finanz-lage der großen Kirchen gibt es zum Beispiel so-gar in diesem bisher ungefährdeten Bereich neueProbleme, die es gemeinsam zu lösen gilt.Das VGH-Urteil zum Rebmannhaus in Gerlingenführte 1999 zusätzlich einen neuen Maßstab ein:In Verschärfung der bisherigen Entscheidungenwurde festgelegt, dass die Zumutbarkeit derErhaltung eines Kulturdenkmales nur dann ge-währleistet ist, wenn sich die finanzielle Unter-haltung des Denkmals selbst trägt. Bei der Be-rechnung sind der aktuelle Zinssatz und der indi-viduelle Jahressteuernachweis des Eigentümersmaßgebliche Kriterien neben der staatlichen För-derung. Zu Ende gedacht führt diese Betrach-tungsweise zum theoretischen Verlust nahezu al-ler Denkmalkategorien.Erfreulicherweise ist aber festzustellen, dass trotzder erteilten Abbruchgenehmigung das Reb-mannhaus erhalten wird. Ein Förderverein hatsich des Rebmannhauses angenommen und wirdes mit Zuschüssen der Gemeinde, der Denkmal-stiftung Baden-Württemberg und des Landes-denkmalamtes denkmalgerecht instand setzenund nutzen.Vielerorts übernehmen Heimatvereine, Bürgeri-nitiativen und Fördervereine die verantwortlicheBauunterhaltung, Instandsetzung und Nutzungsolcher gering nutzbarer Abbruchkandidaten undbeweisen damit das Interesse der Öffentlichkeitan deren Erhaltung.Nicht nur im Falle des Rebmannhauses wird aufdiese Weise ein medienwirksamer Konfliktfall derBaudenkmalpflege zu einem positiven Vorzeige-fall, der allgemein Beifall findet. Die Kritik an derBau- und Kunstdenkmalpflege, sie lasse das rech-te Augenmaß vermissen, begleitet die Arbeit derBau- und Kunstdenkmalpflege seit ihren Anfän-gen. Deswegen ist es von entscheidender Bedeu-tung, dass es uns gelingt, der Öffentlichkeit, derBevölkerung und den Entscheidungsträgern un-sere fachlichen Schwerpunkte und Anliegen bes-ser zu vermitteln, damit wir der zukünftigen Öffentlichkeit den reichen Denkmalbestand inBaden-Württemberg möglichst unverkürzt über-liefern können.

Dipl.-Ing. Gertrud ClostermannLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeMörikestraße 1270178 Stuttgart

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Ob Goethes Text aus dem Jahre 1771 unter demTitel „Von deutscher Baukunst“ tatsächlich denBeginn der deutschen Denkmalpflege markiert,sei dahingestellt. Zweierlei ist jedoch offenkundig:1. Das Wort Denkmal meint hier nicht mehr denbewusst gesetzten Gedenkstein oder das be-wusst gesetzte Standbild, nein, es meint ein Bau-werk als Ganzes, das ohne des Künstlers Wissenzum Denkmal geworden.

2. Für Goethe offenbart sich das Wesen einesDenkmals an der Denkmalgattung „Kirche“,konkret am gotischen Straßburger Münster, dasdamals als alleiniges Werk des Baumeisters Erwinmit dem späteren Beinamen ‚von Steinbach‘ galt.Und heute? Der Sakralbau als Denkmalgattungzählt noch immer zu den zentralen Aufgabenstaatlicher Denkmalpflege, und dies kontinuier-lich seit ihrer Entstehung im frühen 19. Jahrhun-

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1 Staig (Alb-Donau-Kreis), ehemalige katholi-sche Pfarrkirche zur Hl.Maria. 1869 nach Plänendes Architekten Georgvon Morlok errichtet. Zu-stand von 1976.

Denkmalpflege und KircheSakralbauten als denkmalpflegerische Aufgabe

Meinen Einführungsvortrag zum Tagungsthema „Denkmalpflege und Kirche“beginne ich mit einem Zitat aus dem späteren 18. Jahrhundert: „Was braucht’sdir Denkmal! … Als ich das erstemal nach dem Münster ging, hatt’ ich denKopf voll allgemeiner Erkenntnis guten Geschmacks. Auf Hörensagen ehrt ichdie Harmonie der Massen, die Reinheit der Formen, war ein abgesagter Feind der verworrenen Willkürlichkeiten gotischer Verzierungen ... Mit welcherunerwarteten Empfindung überraschte mich der Anblick, als ich davor trat!Ein ganzer großer Eindruck füllte meine Seele, den, weil er aus tausendharmonierenden Einzelnheiten bestand, ich wohl schmecken und genießen,keineswegs aber erkennen und erklären konnte. Sie sagen, dass es also mitden Freuden des Himmels sei, und wie oft bin ich zurückgekehrt, diese himm-lisch-irdische Freude zu genießen, den Riesengeist unsrer ältern Brüder inihren Werken zu umfassen ... Da offenbarte sich mir, in leisen Ahndungen der Genius des großen Werkmeisters. Was staunst du, lispelt er mir entgegen.Alle diese Massen waren notwendig, und siehst du sie nicht an allen älterenKirchen meiner Stadt?“

Michael Goer

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dert. Die mit der damaligen Säkularisation einher-gehende Zerstörung unzähliger Kirchen, Klösterund Kapellen war geradezu Impulsgeber für ei-nen organisierten Schutz- und Rettungsgedan-ken als notwendige gesellschaftliche Gegenbe-wegung. Dabei darf nicht übersehen werden,dass es die Kirchen selber waren, die schon seitder Renaissance Vorschriften mit dem Ziel der Er-haltung ihres eigenen kulturellen Erbes erlassenhatten, deren Wirksamkeit nunmehr gesamt-gesellschaftlich außer Kraft gesetzt wurde. DerErlass Papst Leos X. von 1516 zum Schutz der an-tiken Monumente und die verschiedenen päpst-lichen Erlasse gegen die Veräußerung kirchli-cher Kunstschätze gelten in der historischen For-schung als frühe Denkmalschutzgesetzgebun-gen.Heute, zwei Jahrhunderte nach der Säkularisa-tion, befinden wir uns in einem neuen Stadiumder gesellschaftlichen Profanierung. Die mit demaktuellen dynamisierten Wertewandel verknüpf-te Tendenz zur Individualisierung fördert im-manent die Abkehr von traditionellen Gemein-schaften und damit auch eine Entfremdung der Menschen von der Kirche. Der Mythos von derWirtschaftlichkeit der Dinge überformt sämtlicheLebensbereiche und gefährdet unseren histori-schen Bestand an Sakralbauten. Mit Blick auf die Zerstörungen und Umnutzungen der erstenSäkularisation und den Umfang des heute ver-bliebenen sakralen Schutzgutes erscheint die si-cherlich zunächst überraschende Feststellung vonBernd Mathias Kremer erwähnenswert, die er alsAutor und Mitherausgeber der jüngst erschienenPublikation „Wo Gott die Mitte ist, Ordensge-

meinschaften in der Erzdiözese Freiburg“ formu-lierte. Er schreibt: „Staatlicher Oktroy hat (der Kir-che, und ich ergänze: auch der Denkmalpflege)200 Jahre später die Dimensionen des ohnehinschwierigen Umstellungsprozesses auf ein vielgeringer werdendes christliches Gesellschaftspo-tential erleichtert.“Glücklicherweise ist der deutsche Südwestennoch weit entfernt von Verlust und Gefährdungan Sakralbauten, wie es in den östlichen Bundes-ländern zu beklagen ist, oder auch von der Um-nutzungsintensität, wie sie in den Niederlanden,in Großbritannien oder den früheren kommunis-tischen Ländern schon seit Jahren zu beobach-ten ist. Dennoch befinden sich auch die Kirchenin Baden-Württemberg in Bedrängnis. Kirchen-austritte schränken die finanziellen Möglichkei-ten zur Bauunterhaltung des umfangreichen undoft hochwertigen Denkmalbestandes spürbarein. Nach Angaben des Haushaltsreferenten derDiözese Rottenburg-Stuttgart Gerold Gutmann,so ein Zeitungsartikel des „Tübinger Tagblatts“vom 10. August diesen Jahres, liege der Kirchen-steuereingang im ersten Halbjahr bereits 2,5 Pro-zent hinter dem Planansatz. Und wenige Tagespäter, am 15. August 2002, berichtete die „Stutt-garter Zeitung“ unter dem Titel „Sanierungskos-ten wachsen Kirchen über den Kopf“ über denRenovierungsbedarf an 22 von 29 protestanti-schen Gotteshäusern in den Innenstadtbezirkender Landeshauptstadt.Der vorhandene Kirchenraum im deutschen Süd-westen wird immer weniger ausgelastet. ErsteBeispiele umgenutzter Kirchenbauten in unseremLande mussten zur Kenntnis genommen werden.

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2 Staig, ehemalige ka-tholische Pfarrkirche zurHl. Maria. Blick gegenOsten mit vollständigerhaltener neugotischerAusstattung. Zustand von 1976.

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Abgesehen von der evangelischen Dreifaltigkeits-kirche in Ulm, die nach ihrer Kriegszerstörung1982–84 unter Wiederherstellung des äußerenErscheinungsbildes zu einem „Haus der Begeg-nung“ wurde, zählt die Kirche im Dorf Staig – 11 Kilometer südlich von Ulm – zu den bisher we-nigen Beispielen umgenutzter Gotteshäuser imRegierungsbezirk Tübingen. Die katholische Pfarr-kirche zur Hl. Maria, erst 1869 mit großem An-spruch in diesem kleinen Pfarrweiler nach Plänendes bedeutenden Architekten Georg von Morlokerrichtet, verlor 1974 durch den Bau einer neuenPfarrkirche ihre historische Funktion. Das Landes-denkmalamt konnte damals nach langjährigemBemühen und mit Unterstützung des TübingerDenkmalrates den von der Pfarrgemeinde ge-wünschten Abbruch abwenden. Ein Restauratorkaufte 1988 den leer stehenden und vernachläs-sigten Kirchenbau und zog schließlich 1993 dortmit seiner Werkstatt ein. Der Umnutzung kamentgegen, dass die historische Fensteranordnungtrotz des Einbaus einer zweiten Ebene für dasObergeschoss einen weiterhin hohen und wür-devollen Raum für Ausstellungen und Vorträgeermöglichte.Die Institution Kirche, also die Diözesen und Lan-deskirchen, versuchen der säkularisierten Lebens-weise der Menschen mit Reformen der Liturgieentgegenzutreten. Das berühmte Eisenacher Re-gulativ von 1861 für den evangelischen Kirchen-bau, das in der Wirkung den neugotischen Stil för-derte und eine auffällige Normierung der Grund-risse nach sich zog, zählt zu den historischenLeitsätzen von besonders hoher Akzeptanz. Im-mer noch ausgehend vom Rummelsberger Pro-gramm von 1951 gelten für die evangelischen Ge-meinden gegenwärtig die Wolfenbütteler Emp-fehlungen von 1991. In Letzteren – so BerndMathias Kremer – wird über die Ortsgemeindehinaus das berechtigte Interesse der Allgemein-heit an der Erhaltung und Pflege historischer Bau-werke anerkannt. Historische Räume sollen –wenn erforderlich – unter Respekt vor den his-torischen Zusammenhängen neu geordnet wer-den. Generell gilt, dass sich „der protestantischeKirchenraum durch seine besondere Würde, überalle Zweckfunktionen hinaus, auszeichnet. Er sollZeugnis von dem geben, „was sich unter dergottesdienstlich versammelten Gemeinde begibt:nämlich die Begegnung mit dem gnadenhaft in Wort und Sakrament gegenwärtigen heiligenGott“.Die Grundsätze des Zweiten Vatikanischen Kon-zils, die ihren Niederschlag in der Liturgiekonsti-tution von 1962 fanden, führten zu einem er-neuerten Gottesdienstverständnis in der katholi-schen Kirche, und zwar mit nachhaltigem Einflussauf neue und bestehende Gottesdiensträume.

Das für den Kirchenbau entscheidende Doku-ment ist und bleibt dabei das 5. Kapitel der „All-gemeinen Einführung in das Römische Mess-buch“ von 1969. Die dortigen Bestimmungenfanden Eingang in die derzeit maßgeblichen undumfassenden „Leitlinien für den Bau und dieAusgestaltung von gottesdienstlichen Räumen“.Sie wurden 1988 von der Liturgiekommission derdeutschen Bischöfe herausgegeben. Aus konser-vatorischer Sicht beachtens- und ausgesprochenbegrüßenswert ist der hohe Stellenwert, der dortdem historischen Bestand trotz eindeutigem li-turgischen Reformwillen zugewiesen wird. „DieErneuerung der Liturgie nach dem Zweiten Vati-kanischen Konzil hat die Umgestaltung vielerälterer Kirchen notwendig gemacht. Das erfor-dert theologische, geistige und künstlerischeAuseinandersetzung in Verantwortung gegen-über der ursprünglichen Bauidee ... LiturgischeNeuordnung darf nicht gegen den Raum er-zwungen werden, künstlerische Zusammenhän-ge, die in der Regel ja auch ikonografische Ein-heiten darstellen, sollten nicht auseinander geris-sen und zerstört werden.“Dennoch:Die baulichen Umsetzungen der Liturgiereformengleich welcher Konfession und auch die man-cherorts hohen, teilweise „außergottesdienstli-chen“ Nutzungserwartungen an Kirchenbautenziehen häufig genug Änderungen und Verlusteam historischen Bestand kirchlicher Kulturdenk-male nach sich.Kirchen sind ihrer Zweckbestimmung nach Got-teshäuser. Der liturgische Raum war und ist je-doch zugleich auratischer Ort des Kunstschaf-fens. Als Kulturdenkmale sind Sakralbauten Teildes universellen Erbes der Menschheit. Kirchensind keine Museen, sondern lebendige Orte desGlaubens. Von daher ist es verständlich, dass siezu allen Zeiten immer wieder Veränderungen, Er-weiterungen und Modernisierungen erfahren ha-ben. Dahinter verbirgt sich freilich die Gefahr ei-

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3 Staig, ehemalige ka-tholische Pfarrkirche zur Hl. Maria. Blick gegenOsten nach dem Umbau zu einer Restauratoren-werkstatt im Erdgeschossund einem Veranstal-tungsraum im heutigenObergeschoss. Zustandvon 2002.

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ner manchmal allzu sorglosen Anpassung des Be-standes an die jeweiligen Bedürfnisse. Dennochgilt auch aus heutiger Sicht der Bau- und Kunst-denkmalpflege die Maxime, dass die uneinge-schränkte Nutzung einer Kirche als Gotteshausnoch immer die beste Lösung darstellt.Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch-land garantiert die Freiheit des Glaubens, des Ge-wissens, die Freiheit des religiösen Bekenntnissesund die ungestörte Religionsausübung. Das sogenannte Kirchenprivileg fand mit dem § 11 Ein-

gang in das baden-württembergische Denkmal-schutzgesetz. Danach haben die Denkmalschutz-behörden bei Kulturdenkmalen, die dem Gottes-dienst dienen, die gottesdienstlichen Belange, dievon der oberen Kirchenbehörde oder der ent-sprechenden Stelle der betroffenen Religionsge-meinschaft festzustellen sind, vorrangig zu be-achten (§ 11.1). Eine denkmalrechtliche Abwä-gung mit anderen Belangen erfolgt nicht, jedochmuss die gottesdienstliche Relevanz einer Maß-nahme begründet werden. Die Schlüssigkeit der

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4 Stuttgart, Stiftskirche,Blick gegen Osten, Zu-stand vor der Zerstörungvon 1944.

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Behauptung, nicht jedoch ihre theologisch-dog-matische bzw. liturgische Richtigkeit, ist gegebe-nenfalls gerichtlich überprüfbar.Den Diözesen und Landeskirchen kommt dem-nach eine außerordentlich hohe Verantwortungim Umgang mit der Substanz und dem Erschei-nungsbild des überlieferten sakralen Denkmalbe-standes zu. Ihrer doppelten Aufgabe, sowohl denformulierten liturgischen Belangen als auch derErhaltung und Pflege der Kulturdenkmale ge-recht zu werden, kommen sie in aller Regel mitSorgfalt nach. Angesichts aktueller Umbaumaß-nahmen, beispielsweise an der Stuttgarter Stifts-kirche und am Rottenburger Dom, sieht dieDenkmalpflege dennoch dringende Notwendig-keit, sich über das Spannungsfeld zwischen kon-servatorischen und gottesdienstlichen Belangenintensiv auszutauschen. Während die Domreno-vation in Rottenburg, auf die ich in meinem zwei-ten Vortrag eingehen werde, ausschließlich inTeilaspekten strittig ist, fehlt für den fundamen-talen Umbau der Stuttgarter Stiftskirche inner-halb der Denkmalpflege auch fünf Jahre nachden entscheidenden Auseinandersetzungen diefachliche Akzeptanz.Die Stiftskirche der heutigen Landeshauptstadthat zweifelsohne eine ausgesprochen facetten-reiche Baugeschichte aufzuweisen. Aus derSicht der kunsthistorischen Forschung zählenallerdings gerade deren mittelalterliche Baupha-sen – im Unterschied etwa zu Sakralbauten freierReichsstädte oder namhafter Klöster – nicht zuden überregional stilbildenden oder epochema-chenden Schöpfungen. Vielmehr entsprechen dieeinzelnen Bauabschnitte jeweils den damals üb-lichen Konstruktionen und Formvorstellungen.Ungeachtet dieser nüchternen Feststellung zeich-net sich die Stuttgarter Stiftskirche durch hoch-rangige Einzelkunstwerke aus und trägt einenherausragenden Geschichtswert in sich. Erst derKirchenkonzeption des 19. Jahrhunderts und der1950er-Jahre kann meines Erachtens ein überre-gionaler Bedeutungswert zugemessen werden.Die bei zwei Luftangriffen im Jahr 1944 zu gro-ßen Teilen zerstörte Stiftskirche wurde in drei Ab-schnitten wieder aufgebaut. Die ersten Phasenumfassten die Sicherungsarbeiten an der Ruineund den Wiederaufbau weniger zerstörter Bau-werksteile, wie die beiden Türme, den Chor, dieSakristei und die Stifterkapelle. Die von 1945 bis1953 unter Leitung des Stuttgarter ArchitektenHans Seytter durchgeführten Arbeiten verfolgtendie Idee eines am historischen Bestand orientier-ten, allerdings etwas vereinfachenden Wieder-aufbaus. Sie waren in Konzeption und Aus-führung – anders als der 3. Bauabschnitt – wederbei Fachleuten noch Laien umstritten. Die im„Ausschuss für den Wiederaufbau der Stiftskir-

che“ entwickelte Konzeption für den Wiederauf-bau des Langhauses zwischen 1955 und 1958hatte das Ziel, das historische Erscheinungsbilddes Außenbaus als Wahrzeichen der Stadt in sei-nen Grundzügen zu rekonstruieren, hierbei je-doch im Detail die gotischen Formen behutsam inmoderne Strukturen umzusetzen.Im Inneren sollte ein moderner Predigtsaal ent-stehen, der den liturgischen Belangen des evan-gelischen Wortgottesdienst entgegenkam undzugleich seinen Neubaucharakter offen zur Schauträgt. Heftig umstritten war damals vor allem derVerzicht auf die Wiederherstellung der Dreischif-figkeit und die des Aposteltores. Während dasLandesamt für Denkmalpflege einen basilikalenKirchenraum mit schlanken Säulen favorisierte,versuchten die Skizzen Gustav Leonhards – alsGegenentwürfe zur Tonnendecke des beauftrag-ten Architekten Seytter – durch ihre spezifischeGliederung Erinnerungen an vergangene Raum-strukturen zu wecken. Den neu konzipiertenHauptraum umgrenzte Seytter durch die westli-che Musikempore und die bis zum Südturm vor-gezogene Südempore. Hinzutraten die Einbezie-

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5 Stuttgart, Stiftskirche,Blick gegen Osten, Zustand seit 1957 nachder Konzeption und Realisierung durch denStuttgarter ArchitektenHans Seytter.

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hung historischer Ausstattungsstücke und diemoderne künstlerische Ausgestaltung, an der dieintensive Auseinandersetzung der Künstler mittheologischen Inhalten besonders spürbar wird.Wesentlich zur Gesamtwirkung des Inneren tra-gen die Farbfenster bei. Die ruhigen und dezen-ten Grau- und Brauntöne der Langhausvergla-sung verstärken die Wirkung der farbintensivenChorfenster. Den oberen Raumabschluss bildetdie fein strukturierte, hoch ansetzende Segment-bogendecke aus Holz in lasierten Naturtönen. Sieverleiht dem Sakralraum Richtung und Weitezugleich. Sechs durch Gurtbögen begrenzte De-ckenfelder greifen die Jochbreiten des altenLanghauses auf und gliedern die Tonne, die imMittelteil bis zur Chorwand weitergeführt ist.Eine hohe raumgestaltende Kraft ist dem Kanzel-pfeiler zuzuweisen, der einen überzeugendenGegenpart zum markant im Schiff stehendenSüdturm darstellt. Nach Auffassung kirchlicherGutachter gelang es dem Architekten, mit demstützenlosen einheitlichen Raum, bei dem imÜbrigen die traditionelle Längsausrichtung Orgel-Altar-Chor nicht aufgegeben wurde, eine ange-messene Lösung für ein Gotteshaus zu finden,das auch landeskirchlichen Gottesdienstansprü-chen gerecht werden müsste. Hans Seytter schufeine architektonische, künstlerische und pro-grammatische Geschlossenheit, die auf einerüberzeugenden Sonderlösung im Sinne der Fünf-ziger Jahre basiert.Der Wiederaufbau stellte – bis zu den 1998 be-gonnenen Umbaumaßnahmen – substanziell dieumfänglichste Schicht und die bestimmendekonzeptionelle Klammer zwischen überliefer-ten und neu geschaffenen Teilen der damaligen

Stiftskirche dar. Die staatliche Denkmalpflegebemühte sich leider ohne Erfolg um die Erhaltungdieser exemplarischen Denkmalschicht. In derPressemitteilung des Landesdenkmalamts vom21.10. 1997 heißt es: „Der von der EvangelischenKirchenpflege Stuttgart vorgelegte Bauantragbeinhaltet eine durchgängige Neukonzeptionund gestalterische Neuinterpretation der Kirche.Dieses Gesamtkonzept bedingt nicht nur die Be-seitigung wesentlicher raumwirksamer und ge-staltbestimmender Elemente der 50er-Jahre-Kon-zeption, sondern greift auch in historische undarchäologische Bereiche substantiell ein.“ Hier-gegen trug der Evangelische Oberkirchenrat imWesentlichen folgende gottesdienstliche Belangevor: „Im Selbstverständnis der evangelischen Kir-che ist Kirchenmusik Teil des Gottesdienstes unddes Verkündigungsgeschehens. Auch die Auffüh-rung von Kantaten, Oratorien, Passionen etc. hatnach dem Selbstverständnis unserer Kirche got-tesdienstlichen Charakter. Zur Kirchenmusik imDienste der Verkündigung gehört das sinnlich er-fahrene und gemeinschaftsbildende Raumerleb-nis, das über das nur akustische Hören hinaus-geht.“

Aufgrund dieser vorgetragenen gottesdienstli-chen Belange musste das Landesdenkmalamt da-mals auf die Geltendmachung wesentlicher fach-licher Bedenken verzichten. Es bleibt abzuwar-ten, wie sich die Ausblendung des konserva-torischen Korrektivs in der weiteren Praxis aus-wirken wird. Was wäre, wenn etwa die Seitenal-täre aus der barocken Wallfahrtskirche zu Birnauaus gottesdienstlichen Gründen entfernt werdensollten, was wäre, wenn etwa die romanische Au-reliuskirche in Hirsau mehr Licht bekommen sollte,oder was wäre, wenn etwa die einzigartige mit-telalterliche Glasmalerei der Esslinger Dionysius-kirche liturgisch unvertretbar würden? Die staat-liche Denkmalpflege jedenfalls hätte formal-ge-setzlich einen schweren Stand.Denkmalpflege an Kirchen ist also eine konser-vatorisch vielschichtige, zuweilen kontrovers dis-kutierte und zugleich kostenintensive Dauer-aufgabe. Das Landesdenkmalamt unterstütztmit seiner zentralen und regionalen Fachkompe-tenz in vielfältiger Weise notwendige Instandset-zungs- und Restaurierungsarbeiten. Darüber hin-aus fördert das Land Baden-Württemberg inerheblichem Umfang Einzelmaßnahmen im Rah-men zur Verfügung stehender Haushaltsmittelund entsprechend denkmalpflegerischen Prio-ritäten. In den Jahren von 1998 bis 2001 flossenaus Mitteln der Denkmalpflege landesweit 30%sämtlicher Zuschüsse oder mehr als 42 MillionenDM an kirchliche Antragsteller. Oder anders: Ininsgesamt 542 Fällen konnte eine Instandsetzung

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6 Stuttgart, Stiftskirche,Blick gegen Osten,Entwurf des HamburgerArchitekten BernhardHirche von 1994/1997.

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oder Restaurierung von Objekten in kirchlichemBesitz staatlich gefördert werden. Im ländlichstrukturierten und konfessionell vorwiegend ka-tholischen Landkreis Biberach fielen sogar 60%der Zuschüsse auf Maßnahmen an Kirchen, Ka-pellen, Kloster- und Kirchhofmauern sowie anFriedhöfen und Pfarrhöfen.An der Gesamtzahl von Kulturdenkmalen inDeutschland haben die Kirchen auch heute nochden größten Anteil. Die Not der Kirche ist zu-gleich die Not des Denkmals Kirche. Meine Bot-schaften lauten daher:1. ganz konkret:Das Landesdenkmalamt wird souverän genugsein, die jetzige Neugestaltung der StuttgarterStiftskirche anzunehmen, sie auf den Prüfstandder Geschichte stellen zu lassen. Ich möchte kei-neswegs ausschließen, dass die Entscheidung derKirche gegen uns dennoch letztlich die richtigewar. Vielleicht wird sich das Denkmalamt in eini-gen Jahrzehnten genötigt sehen, erneut eineRaumkonzeption zu verteidigen, die sie dereinstbekämpft hatte.2. ganz allgemein:Wir brauchen mehr als bisher eine neue Qualitätder Denkmalpartnerschaft. Die gemeinsame Ver-antwortung für unser großartiges kulturelles Erbemüsste in Zukunft selbstverständlicher werden.Künstlerischer Entwurf, liturgischer Anspruchund Erhaltungsauftrag sollten sich in konstrukti-vem Diskurs zu einer neuen Stufe der Verständi-gung entwickeln.

Literatur:

Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung vongottesdienstlichen Räumen. Handreichungen der Li-turgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz,25. Oktober 1988, Bonn 2. Aufl.1989.Denkmalpflege und Kirche. Arbeitshefte des Bayeri-schen Landesamtes für Denkmalpflege 46, München1991.Liturgie und Denkmalpflege. Über den verträglichenUmgang mit katholischen und protestantischen Kir-chenräumen. Veröffentlichungen des Instituts fürDenkmalpflege an der ETH Zürich Bd. 14, Zürich1994.Bernd Mathias Kremer: Denkmalschutz und Denk-malpflege im Bereich der Kirchen, in: Handbuch desStaatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutsch-land, Berlin 2. Aufl. 1994/95.Gerhard Matzig: Kirchen in Not. Über den profanenUmgang mit sakralen Denkmälern. Schriftenreihedes Deutschen Nationalkomitees für DenkmalschutzBd. 56, Wolfenbüttel 1997.Nichts für die Ewigkeit? Kirchengebäude zwischenWertschätzung und Altlast. Schriftenreihe des Deut-schen Nationalkomitees für Denkmalschutz Bd. 63,Bühl/Baden 2001.

Dr. Michael GoerLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeAlexanderstraße 4872072 Tübingen

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„Selbstverpflichtung der Kirchen zur Erhaltungund Erforschung ihres weltweiten Kulturgutes“,so umschreibt die jüngste Auflage des repräsen-tativen „Lexikons für Theologie und Kirche“ diekirchliche Denkmalpflege. Wer aus katholischerSicht über Kirche und Denkmalpflege nachdenkt,wird von den Anfängen der kirchlichen Denkmal-pflege ausgehen und sich dann vor allem der Denk-malpflege im Licht der Liturgischen Erneuerungdes Zweiten Vatikanischen Konzils zuwenden.

Anfänge der kirchlichen Denkmalpflege

Als Leitsatz ein Zitat von Kardinal Karl Lehmann:„Denkmalpflege und Kirche gehören auch histo-risch eng zusammen. Der Denkmalschutz ist alsstaatliche Einrichtung eine relativ junge Schöp-fung. Man kann vielleicht die Behauptung aus-sprechen, dass die Art des Verhaltens des Chris-tentums zu den von ihm errichteten Bauten eineneue Qualität in der Beurteilung des Bewahrens-werten eingeleitet hat.“Der Schutz der Kulturdenkmäler begann mit demAuftreten des geschichtlichen Bewusstseins im16. Jahrhundert. Seit der Renaissance erließ dieKirche Vorschriften zur Erhaltung ihres eigenenkulturellen Erbes. Das Dekret Papst Leos X. von1516 zum Schutz der antiken Monumente sowiedie verschiedenen kanonischen Veräußerungs-verbote und die weiteren päpstlichen Verordnun-gen können als frühe Denkmalschutzgesetzge-bung gelten. Raffaelo Santi, einer der Hauptmeis-ter der Hochrenaissance, erhielt den päpstlichenAuftrag, die antiken Ruinen Roms zu schützen.Im Bereich Denkmalpflege ist in der Diözese Rot-tenburg-Stuttgart in erster Linie Bischof Paul Wil-helm von Keppler zu nennen, ihm kommt mit gu-ten Gründen die ehrenvolle Kennzeichnung „För-derer der Denkmalpflege“ zu. Er veröffentlichte1888 ein Denkmalverzeichnis mit dem Titel: „Würt-temberg’s kirchliche Kunstalterthümer. Als Vereins-gabe für den Kunstverein der Diözese Rottenburgbearbeitet von Dr. Paul Keppler, Professor derTheologie, Vorstand des Diöcesan-Kunstvereins“.Kirchlicherseits war man dem Staat etwas zuvor-gekommen, freilich beschränkt auf die kirchli-chen Denkmale. Keppler handelte nicht in kirch-lichem Auftrag und ohne ausdrückliche Unter-

stützung der Diözesanleitung. Aber ein kirch-liches Wohlwollen darf man voraussetzen, vor al-lem seitens des Bischofs Carl Joseph von Hefele,der über Jahrzehnte hin Professor für Kirchenge-schichte und christliche Archäologie an der Uni-versität Tübingen gewesen war.Keppler hat auf Wanderungen durch Württem-berg in seiner Ferienzeit, unterstützt vor allemdurch Theologiestudenten, die nötigen Informa-tionen gesammelt. In den Vorbemerkungen sei-nes erstaunlichen Werkes verweist er auf dasDichterwort, das er als Motto auf die Titelseitedrucken ließ: „Was du ererbt von Deinen Vätern,erwirb es, um es zu besitzen.“ Der Autor fügt hin-zu: „Das von den Vätern überkommene Kunst-erbe – hier ist es inventarisiert; unsere Sache istnun, durch sorgsame Pflege, durch Studium undForschung das Ererbte zu erwerben und es erstzum wahren selbsteigenen Besitz zu machen, zueinem Kapital, das nicht todt daliegt, sondern rei-che Zinsen trägt.“

Denkmalpflege als Forderung der Liturgiereform

Kirche und Denkmalpflege im beginnenden 21.Jahrhundert stehen im Licht der Liturgischen Er-neuerung, die das Zweite Vatikanische Konzil indie Wege geleitet hat.

1. Liturgie-KonstitutionDie Konstitution über die heilige Liturgie, das ers-te konziliare Dokument (1963), beginnt mit dergrundsätzlichen Feststellung: „Das Heilige Konzilhat sich zum Ziel gesetzt, das christliche Lebenunter den Gläubigen mehr und mehr zu vertie-fen, die dem Wechsel unterworfenen Einrichtun-gen den Notwendigkeiten unseres Zeitalters bes-ser anzupassen ... Darum hält es das Konzil auchin besonderer Weise für seine Aufgabe, sich umErneuerung und Pflege der Liturgie zu sorgen“(SC 1). Schon der Liturgischen Bewegung des 20.Jahrhunderts ging es um die Erneuerung deschristlichen Denkens und Lebens aus den Quel-len, die zur Liturgie gehören. Das Konzil geht inseiner Zielsetzung weiter: Die Quellen selbst sol-len durch gezielte Anpassung an gegenwärtigeZeitbedürfnisse zu reicherem Fließen gebracht

Kirche und Denkmalpflege Die Erneuerung der Liturgie durch das Zweite Vatikanische KonzilWerner Gross

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werden. Liturgiereform heißt: Zurück zu den Quel-len! Zurück zu den Wurzeln!In diesem Zusammenhang finden sich im Kapi-tel 7 „Die sakrale Kunst“ folgende Hinweise:„Die Kirche hat niemals einen Stil als ihren eige-nen Stil betrachtet, sondern hat je nach Eigenartund Lebensbedingungen der Völker und nachden Erfordernissen der verschiedenen Riten dieSonderart eines jeden Zeitalters zugelassen undso im Laufe der Jahrhunderte einen Schatz zu-sammengetragen, der mit aller Sorge zu hütenist“ (SC 123).Was für den Bau von Kirchen gilt, findet auch inentsprechender Weise auf ihre Renovation An-wendung: „Beim Bau von Kirchen ist sorgfältigdarauf zu achten, dass sie für die liturgischen Fei-ern und für die tätige Teilnahme der Gläubigengeeignet sind“ (SC 124).Die Neuordnung der Liturgie im Sinn und Auftragdes Konzils betrifft (was unseren Zusammenhanganbelangt) in erster Linie den Altarraum:– Die Verkündigung der Lesungen und des Evan-

geliums sowie die Predigt erfolgen wiederumvon dem bereits in der Liturgie des ersten Jahr-tausends bekannten Ambo, dem als „Tisch desWortes“ ein hoher Rang zukommt.

– Die Eucharistie kann gemäß einem Desideratder Liturgischen Bewegung wiederum versuspopulum gefeiert werden. Dafür ist ein freiste-hender, umschreitbarer Altar notwendig.

– Der Priestersitz bringt nunmehr die Aufgabeund den Dienst der Leitung zum Ausdruck undist ein wichtiger Orientierungspunkt im Gottes-dienstraum.

– Von der Kommunionbank ist in den liturgi-schen Dokumenten nicht mehr die Rede, dader Altar zugleich Tisch des Opfers und desösterlichen Mahles ist; von ihm empfangen dieGläubigen die eucharistische Speise und deneucharistischen Trank.

2. Dokumente im Anschluss an die Liturgie-KonstitutionEine Reihe von gesamtkirchlichen und partikular-rechtlichen Bestimmungen ergänzen in der Fol-gezeit die Liturgie-Konstitution. Als Beispiel seiendie Richtlinien der deutschen Bischöfe vom 20. Ja-nuar 1965 genannt. Dort heißt es: „Die Anpassungder Raumordnung unserer Kirchen an die Erfor-dernisse der erneuerten Liturgie wird indes im-mer wieder räumlichen Gegebenheiten, die nichtgeändert werden können, Rechnung tragen müs-sen.“ Aber es werden auch Veränderungen ange-sprochen: „Wenn der Hochaltar sehr weit vom Volkentfernt und ein langer Chor vorhanden ist, kannes sich empfehlen, in der Nähe der Gemeinde,d.h. am Anfang des Chores oder gar im Schiff zu-sätzlich einen würdigen Tischaltar aufzustellen“.

Das Rundschreiben „über die Sorge um diekunstgeschichtlichen Werte der Kirche“, heraus-gegeben von der römischen Kongregation fürden Klerus am 11. April 1971, ruft eindringlichzur Denkmalpflege auf: „Die alten kirchlichenKunstwerke müssen immer und überall bewahrtwerden, damit sie dem Gottesdienst in höhe-rer Weise dienen und zur aktiven Teilnahme derGläubigen bei der heiligen Liturgie mithelfen.“Die aufgrund der Liturgiereform in den Gottes-häusern notwendigen Veränderungen müssen„mit aller Behutsamkeit und immer gemäß denRegeln der erneuerten Liturgie“ erfolgen.

3. Nachkonziliare LiturgiebücherDie „Allgemeine Einführung in das RömischeMessbuch“ (1969/1975) berücksichtigt im Kapi-tel „Gestaltung und Ausstattung des Kirchenrau-mes für die Messfeier“ auch die denkmalpflege-rische Komponente, die der Beschäftigung mitsakraler Kunst notwendigerweise zukommenmuss. Sie betont, dass die Kirche den „Dienst derKunst“ sucht, und fügt hinzu: „Wie sie bedachtist, die Kunstschätze früherer Zeiten zu bewahrenund, wenn nötig, den Erfordernissen der jeweili-gen Zeit anzupassen, so geht ihr besonderes Stre-ben auch dahin, Neues als Ausdruck seiner Zeit zufördern“ (AEM 254). Die Bewahrung alter Kunst-schätze kann nicht rein musealer Natur sein, son-dern ist eine lebendige Anpassung an neue Ver-hältnisse und Bedürfnisse.Das „Caeremoniale Episcoporum“ (1984) gehtgleichfalls auf das Spannungsverhältnis zwischenDenkmalpflege und erneuerter Liturgie ein:Wenn ein alter Altar nicht mehr der erneuertenLiturgie entspricht, aber auch nicht ohne Wert-minderung an einem anderen Platz aufgestelltwerden kann, soll ein zweiter Altar, allerdingsnicht als Provisorium, sondern in angemessenerkünstlerischer Gestaltung errichtet werden.

4. Leitlinien der deutschen BischofskonferenzDie Liturgiekommission der Deutschen Bischofs-konferenz veröffentlichte 1988 Leitlinien für denBau und die Ausgestaltung von gottesdienstlichenRäumen, in denen die konziliaren Grundsätzeund ihre praktische Realisierung sowie die nach-konziliaren Erfahrungen zusammengefasst wer-den. Im dritten Kapitel, das sich mit den Umge-staltungen von Kirchenbauten beschäftigt, fälltdie eindrucksvolle ganzheitliche Schau auf, derBlick auf die Gesamtheit von Theologie, Kunstund Liturgie. Vier beachtens- und bedenkens-werte Hinweise seien herausgegriffen.

– Raumdispositionen. Die Liturgie gibt allen Raum-dispositionen die innere Logik vor:„Die Idee des Weges hält den Ruf zur Erwartung

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des wiederkommenden Herrn wach, das versuspopulum entspricht der dialogischen Struktur desGottesdienstes, das circumstantes ist von der Fei-ergestaltung des Herrenmahls her nahe gelegt.Die Aufgabe wäre also, die Offenheit der altenWegkirche mit dem Bild des um den Altar ver-sammelten Gottesvolkes zu verbinden.“

– Altarraum: „Der ‚Altarraum‘ (mit seinen unter-schiedlichen Handlungsorten) rückt mehr in dieMitte der Gemeindeversammlung. In einem sol-chen Raum wird das, was in der Feier der Liturgiegeschenkt wird, auch räumlich als Zentrum er-fahrbar. Wenn in diesem Bereich die verschiede-nen Orte, vor allem Altar und Ambo, ihren akzen-tuierten Platz erhalten, können die unterschiedli-chen Weisen der Kommunikation im Gottesdienstwirkungsvoller zur Geltung kommen.“

– Die Interessen der Denkmalpflege und die ur-sprüngliche Bauidee: „Die Umgestaltung histo-risch wertvoller Räume darf nicht gegen die be-rechtigten Interessen der Denkmalpflege und dieursprüngliche Bauidee vorgenommen werden.Doch ist zu bedenken, dass die Erhaltung gottes-dienstlicher Räume und ihrer Ausstattung durchdie Jahrhunderte hindurch nicht das Produkt mu-sealer Konservierung darstellt, sondern der Kon-tinuität des Glaubenszeugnisses zu verdanken ist,die Veränderungen einer sich wandelnden Kircheund einer sich erneuernden Liturgie nie ausge-schlossen hat.“

– Der genius loci und die ursprüngliche Bauidee:„Sind Ergänzungen und Veränderungen in solchenRäumen erforderlich, gilt es gerade hier darauf zu achten, dass zu den alten gewohnten qualität-vollen Ordnungen und Bildern, dem ‚genius loci‘,künstlerische Leistungen der Gegenwart hinzuge-fügt werden. Kirchenräume, die in dieser Weiseergänzt werden, nehmen Geschichte und Tradi-tion, Architektur und historische Bildwerke in dieGegenwart hinein, ein Aggiornamento (ein Heu-tigwerden) des Kirchenraumes wird spürbar.“

Man kann die „Denkmalpflege als Postulat der Li-turgiereform“ (Andreas Odenthal) bezeichnen,wenn man die Feststellungen von Kardinal Leh-mann beachtet und berücksichtigt:– „Kirchen sind, wenn sie sich selbst verstehen,nicht nur historische Erinnerungsstücke oder garMuseen, sondern sie sind unbeschadet ihrer Bin-dung an die Geschichte auf den lebendigen Voll-zug des Glaubens in der jeweiligen Gegenwartverwiesen. Nur so lässt sich verstehen, warumkirchliche Bauten in allen Zeiten immer wiederVeränderungen und Erweiterungen, Anpassun-

gen und Modernisierungen erfahren haben. Sieleben nur, wenn sie in ein aktuelles liturgischesLeben einbezogen bleiben.“– „Die Denkmalpflege und der Denkmalschutzhaben gewiss, wenn Wertvolles geopfert zu wer-den in Gefahr ist, die Pflicht zum Einspruch undWiderstand, aber sie müssen auch die lebendigeZielsetzung der Kirchenbauten in Rechnung stel-len... Tradition ist nicht einfach kultureller Ballast.Sie darf aber auch nicht als ästhetisches Erbebetrachtet werden, sondern muss als lebendigeÜberlieferung im Gesamtgeflecht der Lebensäu-ßerungen der Kirche begriffen werden.“

Literatur:

1. DokumenteKonstitution über die heilige Liturgie (Constitutio desacra Liturgia) „Sacrosanctum Concilium“ (= SC).Abgedruckt: Das Zweite Vatikanische Konzil. Konsti-tutionen, Dekrete und Erläuterungen. Teil I. Frei-burg, Basel, Wien 1966.Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch(= AEM). Abgedruckt: Die Messfeier – Dokumenten-sammlung. Herausgeber: Sekretariat der DeutschenBischofskonferenz, Bonn 1995, 5. Auflage.Zeremoniale für die Bischöfe in den katholischen Bis-tümern des deutschen Sprachgebietes. Solothurnund Düsseldorf u.a. 1998.Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung vongottesdienstlichen Räumen. Handreichung der Litur-giekommission der Deutschen Bischofskonferenz.Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofs-konferenz, Bonn 2000, 5. Auflage.

2. Weiterführende LiteraturH. Hummel, Paul Wilhelm Keppler – Ein Wegbereiterder Denkmalpflege. Manuskript 2002. Veröffentli-chung in: Heilige Kunst. Mitgliedergabe des Kunst-vereins der Diözese Rottenburg-Stuttgart 2003.

B. M. Kremer/A. M. Odenthal, Denkmalpflege, kirch-liche: Lexikon für Theologie und Kirche. Band III. Frei-burg, Basel, Rom, Wien, 3. Auflage 1995, 97–98 (Li-teratur!).K. Lehmann, Geschichte zwischen Bauen und Be-wahren – vom Geist kirchlicher Denkmalpflege: In-ventarisation von Denkmälern und Kunstgütern alskirchliche Aufgabe. Herausgeber: Sekretariat derDeutschen Bischofskonferenz, Bonn 1991, 7–17.Andreas Odenthal, Denkmalpflege als Postulat derLiturgiereform: Liturgisches Jahrbuch 42 (1992),249–259.

Prälat Dr. Werner GrossBischöfliches OrdinariatPostfach 972101 Rottenburg am Neckar

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I. Denkmalpflege und theologische Hermeneutik

Jede Theologin und jeder Theologe ist bei jederSchriftauslegung gewissermaßen denkmalpfle-gerisch tätig.Lassen Sie mich dies an einem Beispiel aufzeigen.Sie kennen die theologische Aussage, dass derMensch nicht durch Werke, sondern durch denGlauben gerecht werde. Wenn ich diese theolo-gische Aussage an der Heiligen Schrift festmache,begegnen mir Überlieferungsschichten vom 6.Jahrhundert vor Christus bis heute. In Gen. 15,6wird beschrieben, wie Abraham zum Vater Israelserwählt wird nicht wegen seiner Leistung, son-dern um des Glaubens willen. Der Prophet Ha-bakuk verallgemeinert etwa 50 Jahre später dieseAussage auf ganz Israel.Wenige Jahre nach Jesu Tod wird in Antiochia ge-stritten, ob man Heiden, die zur juden-christli-chen Gemeinde gehören wollen, vor ihrem Ein-tritt – entsprechend dem jüdischen Ritus – be-schneiden müsse. Antwort: Sie werden nichtdurch diesen Brauch, sondern durch den Glaubengerecht.Paulus greift dies auf, verallgemeinert es zurGrundlage seiner ganzen Theologie für alle Glau-benden: Allein durch den Glauben, ohne des Ge-setzes Werke.Der Jakobusbrief und das Matthäusevangeliumsehen einige Zeit später die Gefahr einer ethi-schen Vergleichgültigung. Deshalb weisen siedarauf hin, dass zum lebendigen Glauben ent-sprechend gute Werke dazugehörten.In den Auseinandersetzungen der Reformations-zeit begegnet uns dieses Thema wieder intensiv.Die jüngste Schicht dieses Themas finden wir inder gemeinsamen ökumenischen Erklärung derbeiden Kirchen von 1999.Dieses Beispiel sollte zeigen: Jeder Predigt liegenviele hermeneutische Entscheidungen zugrunde,welche Schicht in einer Kette von Zeugnissendurch die Jahrhunderte hindurch heute sichtbargemacht werden soll.Wir stehen vor der Frage: Was sind die theolo-gisch verantwortbaren Kriterien, wie wir mit derVielfalt unserer Überlieferung umgehen?

II. „Was Christum treibet“ (M. Luther)Grundkriterium für hermeneutische Ent-scheidungen

Für die Kirche nenne ich als Grundkriterium allerhermeneutischer Entscheidungen den Satz „Je-sus Christus, gestern und heute und derselbeauch in Ewigkeit“ (Hebr. 13,8).Drei Ebenen werden genannt.– „Derselbe auch in Ewigkeit“: In Christus begeg-

net uns eine ewige, allem zugrunde liegende,allem vorausgehende und nach allem Verge-hen immer noch wirkliche Wirklichkeit.

– „Jesus Christus gestern“: Diese Wahrheit undWirklichkeit begegnet uns aber in geschichtli-chen, historisch vergangenen und menschlichgestalteten Zeugnissen. Wir müssen diese Zeug-nisse philologisch, historisch, sprachlich, psycho-logisch verstehen und deuten können.

– „Und heute“: Inkarnation, MenschwerdungGottes heißt zugleich, dass Christus in jeder Zeitneu, also „heute“ in den Menschen lebendigwird. Die Kirche hat nicht nur die Aufgabe, dashistorische Zeugnis der Vergangenheit histo-risch zu verwalten. Sie hat die Aufgabe, in die-sem Zeugnis das jetzt und hier begegnende Heilaufzuspüren, hörbar, spürbar, erlebbar werdenzu lassen; und zwar so, dass dieses wieder alsewige Wahrheit erkennbar wird. Diese Zeug-nisse werden verfälscht, wenn sie nur als histo-risch vergangene Zeugnisse tradiert werden.

III. Das Kirchengebäude dient dem Gottesdienst

Wer über die Gestaltung von Kirchengebäudenmitreden will, kann diese nicht nur historisch kon-servieren wollen. Er muss zunächst theologischüber den Gottesdienst, seine Liturgie und Funk-tion reflektieren und dabei zugleich die Herausfor-derungen einbeziehen, die sich durch die jewei-lige geschichtliche Situation ergeben. Das ewigeWort kommt ins Heute.Zunächst einige Bemerkungen zum Wesen desGottesdienstes: Der neutestamentliche Gottes-dienstbegriff, nach dem wir uns richten, enthälteine interessante Spannung. Einerseits wird imNeuen Testament alles, was Christen tun und wie

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Kirche und Denkmalpflege Der Sakralraum zwischen gottesdienst-licher Nutzung und DenkmalpflegeMartin Klumpp

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sie leben, als Gottesdienst bezeichnet (Römer 15,10, Phil. 2,12). Gleichzeitig wird jene besondere Feier als Gottes-dienst bezeichnet, in der wir den Tod Jesu als dasdie Menschen von Sünde und Tod befreiendeSühnopfer verkündigen, bedenken, besingen,verstehen, ins Leben bringen, feiern. Jeder Got-tesdienst hat eine lebendige Dynamik, in der ereinerseits das weltliche Leben unterbricht undgleichzeitig in der Unterbrechung wieder zumweltlichen Leben befreit. Gerade, indem er vomWeltlichen befreit, macht er fähig für die Welt. Der Gottesdienst hat in Wort und Sakrament sa-kramentalen Charakter. Die in ihm ausgelöste Be-freiung, Vergebung, Erneuerung wird nicht nurgesagt. Sie ereignet sich durch die Kraft des Geis-tes Christi. In der Unterbrechung des eigenen Ichs kommtChristus in uns selbst zum Zug, im Sinne des pau-linischen „Nicht Ich, sondern Christus in mir“(Gal. 2,12); wir als „eine neue Kreatur in Chris-tus“ (2. Kor. 5,17). Die gottesdienstliche Feier ist nicht nur Informa-tionsveranstaltung, auch nicht nur kommunika-tiver Gemeindetreff, sondern ganzheitliches Er-eignis, in dem der Mensch mit Verstand, Gefühl,Geist und Körper angesprochen und verwandeltwird. Die Sakralität des Raumes durch Kunst, Akus-tik, Lichtgestaltung, Raumführung, Einrichtungverhilft zu dieser Unterbrechung. Sie soll abernicht so sakral sein, dass der Raum in einen völligabgehobenen Spiritualismus entführt, in dem einBedenken der Welt nicht mehr möglich ist.Diese Balance im neutestamentlichen Gottes-dienstverständnis spiegelt sich in der Gestaltungdes Raumes wider. Der Raum befreit durch seine Sakralität von derWelt und er erneuert für die Welt. Das bedeutet:Der Gottesdienstraum ist nicht einfach nur„Denkmal“. Er wird nicht nur historisch konser-viert. Er muss seine Funktion in der jeweiligen Zeitwahrnehmen können. Deshalb gehört zur Gestaltung von Gottesdiens-ten und von Gottesdiensträumen die hermeneu-tische Frage, welche Aspekte heute für die Ver-mittlung der ewigen Wahrheit besonders berück-sichtigt werden müssen.– In einer religiös entleerten Welt, in der die

Zeugnisse des Glaubens häufig unbekanntsind, steigt das Bedürfnis nach einem erzählen-den Raum, in dem Symbole des Glaubens be-sonders sichtbar gemacht werden. Dies bedeu-tet einen bewussteren Umgang mit Kunstwer-ken, Bildern und Symbolen.

– In einer hochindividualisierten, anonymisieren-den Gesellschaft wird der Aspekt von Gemein-schaft und Kommunikation auch für die Ge-staltung des Raumes wichtiger.

– In einer Gesellschaft, die völlig säkularisiert ist,in der fast nur ökonomisch-rationalistischesDenken im Vordergrund steht, wird der AspektKontemplation, Meditation, Sakralität nochmehr betont. D. h. auch, dass die Musik als Me-dium der Verkündigung und damit auch dieFrage der Akustik einen anderen Stellenwertbekommt.

– In einer Zeit pluralistischer Lebensstile und un-terschiedlicher Frömmigkeitstypen müssen Got-tesdiensträume so gestaltet werden, dass ver-schiedene Formen von Gottesdiensten möglichwerden.

Zur theologischen Kompetenz der Kirche gehörtes, bei solchen Entscheidungen zwischen theolo-gisch verantwortlicher Hermeneutik und schnellwechselnder Mode zu unterscheiden. Das ist derGrund, warum bei der jetzt anstehenden Re-novierung der Stuttgarter Stiftskirche die Sa-kralität des Raumes erhöht wird und warum dieAnbringung der Kunst- und Bildwerke theo-logisch bewusster geschieht. Sie sind nicht nurvorhandene Dekoration, sondern sollen die Got-tesdienstbesucher theologisch qualifiziert anspre-chen.

IV. Denkmalschutz und Religionsfreiheit

Das Grundgesetz garantiert die ungestörte Religi-onsausübung und gibt den Glaubensgemein-schaften das Recht, ihre eigenen Angelegenhei-ten selbst zu verwalten. Darüber hinaus verbietetdas Grundgesetz dem Staat Eingriffe in das reli-giöse Leben der Kirche. Da die kirchlichen Bautenund ihre Kunstwerke Zeugnisse des Glaubens sindund im Dienst der Verkündigung und des gottes-dienstlichen Gebrauchs stehen, steht staatlichenBehörden in allen Fragen mit gottesdienstlicher,liturgischer und theologischer Relevanz – gemäßGrundgesetz – letztlich kein Eingriffsrecht zu. Diesschlägt sich auch in den verschiedenen Denkmal-schutzgesetzen der Länder nieder. Es wird von unsjedoch ausdrücklich bejaht, dass denkmalschutzre-levante Entscheidungen nicht von jedem Kirchen-gemeinderat oder Pfarrer getroffen werden dür-fen, sondern dass in Streitfragen nur die obersteKirchenbehörde, auch mit ihrer ganzen Fachkom-petenz, zu entscheiden hat. D.h. wo die Kirche imBlick auf ihre Liturgie einen Kruzifixus aufstellt,wie sie ihn beleuchtet oder wie sie im Blick aufdas gottesdienstliche Singen die Akustik will, wiesie den Altar und die Bänke anordnet, wie sie dasRaumgefühl im Blick auf Sakralität und gottes-dienstliches Geschehen entwickelt; das alles ge-hört zu ihrer liturgischen Zuständigkeit und zuihrer theologischen Kompetenz. Eine derartige Kompetenz, in der theologische,liturgische, denkmalpflegerische und kunsthisto-

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rische Aspekte zusammenfließen, wird also vonder Kirchenleitung erwartet. Da es sich bei derReligionsfreiheit um ein grundgesetzlich gewähr-tes Grundrecht handelt, ist es nicht angemessen,hier von einem „Privileg“ zu sprechen.

V. Zusammenarbeit von Denkmalpflegeund Kirche

Trotz dieser grundgesetzlichen Vorgaben plädiereich für eine intensive und positive Zusammenarbeitzwischen staatlicher Denkmalpflege und Kirche. Wenn man über eine institutionelle Zusammenar-beit zwischen staatlichen und kirchlichen Stellennachdenkt, muss man wissen, dass sich im ver-gangenen Jahrhundert in der Kirche ein teilweiserichtiges, teilweise problematisches Abgrenzungs-bedürfnis entwickelt hat. Die dialektische Theolo-gie (Karl Barth) hat im Gefolge der Katastrophedes Ersten Weltkriegs dargelegt, dass die Kirche ineinem unreflektierten Bündnis Thron und Altarihre Kraft als Salz der Erde verliert. Die ideologische Unterwanderung der Kirche imDritten Reich und die Übergriffe im real existie-renden Sozialismus haben diese Tendenz, sich vorder Welt zu schützen, noch verstärkt.Deshalb muss man Verständnis haben, wenn esauf kirchlicher Seite eine hohe Sensibilität gegenjeden Versuch des Staates gibt, sich in liturgischeoder theologische Belange einzumischen. Trotz dieser Sensibilität trete ich für die Zusammen-arbeit zwischen Denkmalpflege und Kirche ein.Dafür nenne ich zwei Gründe: Zum einen: Die Kirchengebäude sind zwar Zeug-nisse des Glaubens. Sie sind aber zugleich Zeug-nisse einer Kultur, die zur Geschichte der ganzenBevölkerung gehört. Sie sind Identifikationsorteeiner Stadt. Sie sind Vermittler von Werten auchüber die Gemeinschaft ihrer Mitglieder hinaus. Dieser Sachverhalt hat seine Ursache wieder inder kirchlichen Botschaft, die öffentlich, kultur-prägend und einladend ist.Unsere Religion gibt über ihren Inhalt, über theo-logische Entscheidungen und über die Beeinflus-sung der Menschen immer öffentlich Auskunftund stellt sich dem öffentlichen Diskurs.Deshalb würde eine Abschottung dem Evange-lium nicht entsprechen. Zweiter Grund: Mit dem Begriff vom „Priestertumaller Gläubigen“ meinen wir auch, dass theologi-sche Entscheidungen nicht allein einer Kaste vonKlerikern vorbehalten werden sollen. In diesemSinne leisten auch Künstlerinnen und Künstler,Architektinnen und Architekten in der Freiheit ih-rer künstlerischen Arbeit, auch Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter der staatlichen Denkmalpflegeeinen eigenständigen, theologisch relevanten Bei-trag zur Gottesdienstgestaltung.

Es entspricht weder meiner Theologie noch mei-nem Kulturverständnis, wenn sich die Kirche mitihren Gottesdiensten, ihrer Verkündigung und ih-rer Lehrentwicklung in eine ghettoisierte Sonder-welt zurückzieht. Ganz im Gegenteil. An theolo-gischen Überlegungen und Entscheidungen sol-len sich auch Gemeindeglieder beteiligen kön-nen; sie sind also öffentlich. Das bedeutet: Wirbejahen die Freiheit der Kunst, weil wir daraufvertrauen, dass Künstlerinnen und Künstler vonsich aus angemessene Symbole von Glauben undchristlicher Existenzerfahrung entwickeln.Dementsprechend entstehen die Gesamtkonzep-tion des Raumes und die Einbringung der Kunst-werke in einem Dialog, an dem die Vertreter derGemeinde sowie Fachleute aus Theologie, Kunst,Technik, Architektur und Denkmalpflege beteiligtsind.In Streitfragen steht der Kirchenleitung eine Ent-scheidung zu. Das bedeutet, dass ich eine inten-sive Zusammenarbeit mit den staatlichen Denk-malschutzbehörden – auch aus theologischenGründen – ausdrücklich bejahe und für richtighalte.

VI. Kritischer Dialog zwischen Denkmalpflege und Kirche

Vorgeschlagen wird also, dass Denkmalpflegeund Kirche bei jedem Projekt in einen kritischenDialog eintreten, bei dem die liturgischen, theo-logischen und denkmalpflegerischen Aspekte zu-sammenfließen. Dieser Dialog soll – unabhängigvon dem Recht der Kirche, ihre liturgischen undtheologischen Angelegenheiten selbst zu verwal-ten – in jedem Fall ausführlich und offen durch-geführt werden.Dabei bringt die Kirche z.B. fol-gende Gesichtspunkte ein, in denen wir vermut-lich übereinstimmen: Kunstwerke der Kirchen-räume dürfen nicht durch Denkmalschutzbestim-mungen ihrer geistlichen Funktion beraubt unddamit zweckentfremdet werden. Damit würdedas Kunstwerk geistlich zerstört. Aus einem le-bendigen Werk würde ein toter Gegenstand. Esist unhistorisch und ungeistlich, wenn an wert-vollen Kirchen definitiv keine neuen Bauschichtenentstehen können.An unseren Kirchen und ihrer Baugeschichte se-hen wir, dass sie als Gebäude so lebendig sind wiedie Geschichte des Glaubens durch die Jahrhun-derte hindurch. Gleichzeitig soll sich die Kirche aber auch kritischfragen lassen, ob sie mit ihrem baulichen, künst-lerischen und geistlichen Erbe genügend sorg-fältig und kompetent umgeht. Sie muss sichfragen lassen, ob sie ihren Gemeinden vor Ort genügend Fachkompetenz zumutet, auch wenndies manchmal unbequem ist. Sie muss sich

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außerdem fragen lassen, ob sie der öffentlichenWirkung des Evangeliums und ob sie ihrer Auf-gabe, Symbole für die ganze Gesellschaft zu set-zen, genügend gerecht wird; oder ob sie Gefahrläuft, sich ängstlich in eine kirchliche Binnenweltzurückzuziehen und eine kirchliche Sonderkulturzu entwickeln. Selbstkritisch füge ich an, dass in manchen FällenKunst durch Kunstgewerbe ersetzt wurde. Wirbrauchen also Beratung, Kritik und Auseinander-setzung. Wir können gemeinsam feststellen, dass in denvergehenden, finanziell „fetten Jahren“ an man-chen Orten überrestauriert und vorschnell,manchmal modisch, renoviert wurde. Wenn wirbedenken, wie sehr sich die Bewertung des 19.Jahrhunderts in den letzten vierzig Jahren verän-dert hat, müssen wir gleichzeitig zugeben, dassauch der Denkmalschutz geschichtlichen Verän-derungen unterworfen ist. Eine derartige Verän-derung der Meinung der Denkmalpflege stellenwir auch im Zusammenhang mit der Renovierungder Stuttgarter Stiftskirche fest. Bei der jetzt an-stehenden Renovierung werden nämlich vieleForderungen erfüllt, die vor fast fünfzig Jahrenvon der Denkmalpflege erhoben wurden. Heutestreitet die Denkmalpflege für eine Lösung, diesie vor vier Jahrzehnten abgelehnt hat. Wir sinduns einig, dass sich dieser Vorgang bei künftigenUmgestaltungen wiederholen kann. Mit einem derartigen institutionalisierten Dialogmeine ich ein festgelegtes Verfahren, in demtheologische, liturgische, gemeindebezogene, his-torische, künstlerische und konservatorische As-pekte diskutiert werden, bevor entschieden wird. Denkmalschutz in der Kirche gelingt nicht alsobrigkeitsstaatliche Anordnung. Je weniger die-ser Eindruck entsteht, desto fruchtbarer wird der kritische Dialog. Umso weniger wird die Kir-che von ihrem Recht Gebrauch machen, theolo-gische Entscheidungen unabhängig zu treffen.Denkmalschutz gelingt eher durch Diskurs, Über-zeugungsarbeit und gewonnene Einsicht, weni-ger durch Anordnung von oben. „Non vi sed ver-bo“, das verbindet Kirche und Denkmalschutz.Das Gelingen der Zusammenarbeit hängt auchvom Stil eines partnerschaftlichen Umgangs ab. Der von mir geäußerte Aspekt des „Priestertumsaller Gläubigen“ räumt den Mitarbeitern/innender Denkmalpflege auch eine Beteiligung amtheologischen Dialog ein. Dies setzt natürlich voraus, dass diese Mitarbeiter/innen theologischinteressiert, gebildet, möglichst sogar engagiertsind. Sie müssen sich dafür auch über die unterschied-lichen theologischen Konzeptionen der jeweili-gen Konfession informieren. Im Grunde wäre esangemessen, eine gemeinsame Tagung zu pla-

nen über Theologie des Gottesdienstes und derLiturgie.

VII. Gemeinsame Anliegen Denkmal-schutz und Kirche

Gerne formuliere ich zwei Anliegen, für die wirgemeinsam eintreten sollten.

1. In der Gesellschaft muss insgesamt das Be-wusstsein gestärkt werden, dass Denkmalschutznichts mit dickköpfiger Rückwärtsgewandtheitzu tun hat, kein Selbstzweck ist und nicht als ob-rigkeitsstaatliche Schikane empfunden werdensollte. Vielmehr gehört es zur Lebensqualität und zurBefähigung, eine persönliche Identität auszubil-den, wenn Menschen die Beziehung zur eigenenGeschichte und zur Geschichte ihrer Religionpflegen. Dazu gehört, dass sie die künstlerischeund geistliche Bedeutsamkeit unserer Kirchen-räume verstehen, diese gewissermaßen „lesen“können. Durch die Sensibilisierung für Kunst, Kunstge-schichte, Kirchengeschichte und Glaubensge-schichte werden Menschen befähigt, sich mit denWerten und mit dem Lebensgefühl früherer Ge-nerationen zu beschäftigen. Dies hilft gegen ge-schichtslose Entwurzelung. Es fördert die Fähig-keit, auch ethisch und glaubensmäßig eine ei-gene Identität zu entwickeln. Dies verstehe ichebenfalls als ein gemeinsames Anliegen vonDenkmalschutz und Kirche.

2. Unser Land hat den Denkmalschutz und dieErhaltung der überlieferten Kunstwerke finanziellso benachteiligt, dass die Kirchen und viele enga-gierte Bürgerinnen und Bürger in den kommen-den Jahrzehnten restlos überfordert sein werden. Auch aus diesem Grund fürchten viele Eigentü-mer die Zusammenarbeit mit dem Denkmal-schutz. Wenn unser Land die Beträge für Denkmalschutzin den kommenden Jahren nicht erhöht, werdenviele wertvolle Gebäude verwahrlosen oder ver-fallen. Es wäre äußerst schade, wenn der Bestand anKunst- und Bauwerken reduziert würde, auf we-nige – touristisch vermarktete – Luxusobjekte: Auch dieses bedeutet im Grunde eine Zweckent-fremdung, weil dann das isolierte Kunstwerk nurnoch als toter Gegenstand bestaunt wird.Ein Dialog über die Jahrhunderte hinweg überKunst, Religion, Lebensgefühl und gesellschaftli-ches Leben ist dann nicht mehr möglich.Wer über Denkmalpflege Kulturförderung betrei-ben will – zum Wohl und für die Lebensqualität derMenschen – bekommt dies nicht zum Nulltarif.

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Prälat Martin KlumppEvangelische Landes-kirche in WürttembergEvang. Prälatur StuttgartGerokstraße 4970184 Stuttgart

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Oberflächlich betrachtet scheint die Auflösungdes Spannungsfelds Denkmalpflege und Liturgiein rechtlicher Hinsicht – zumindest in Baden-Württemberg – keine größeren Probleme zu be-reiten. § 11 des Denkmalschutzgesetzes enthälteine ausführliche und scheinbar klare Bestim-mung, nach der1. die Denkmalschutzbehörden bei Denkmalen,die dem Gottesdienst dienen, gottesdienstlicheBelange, die von den oberen Kirchenbehördenoder ihnen entsprechenden Stellen der betrof-fenen Religionsgemeinschaft festzustellen sind,vorrangig zu beachten und sich vor der Durch-führung der Maßnahme mit dieser Behörde insBenehmen zu setzen haben.2. eröffnet § 11 Abs. 2 den Kirchen die Möglich-keit, sich durch den Erlass eigener Denkmal-schutzvorschriften – wenn auch nur bei Denkma-len, die dem Gottesdienst dienen – von der Gel-tung der denkmalrechtlichen Genehmigungs-erfordernisse und der Generalklausel, die dieDenkmalschutzbehörden zur Vornahme aller er-forderlichen Schutzmaßnahmen ermächtigt, zubefreien (§ 11 Abs. 2 i.V.m. §§ 7 Abs. 1, 8, 15Abs. 1 und 2 DSchG). Hiervon hat bislang jedochnoch keine Religionsgemeinschaft Gebrauch ge-macht. 3. findet nach § 11 Abs. 3 der 8. Abschnitt desGesetzes, der als Ultima Ratio die Enteignung vonDenkmalen ermöglicht, auf kircheneigene Denk-male keine Anwendung.Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass sich dasDenkmalrecht mit einer kulturell höchst sensiblenMaterie befassen muss, was nicht ohne Aus-wirkungen auch auf die juristische Ebene bleibenkann, so liefern die genannten Bestimmungendes Denkmalschutzgesetzes doch recht genaueAnhaltspunkte, die sich mit den herkömmlichenMitteln juristischer Auslegungstechnik in einiger-maßen klare und unkomplizierte Entscheidungenumsetzen lassen. Dass die Sache nur scheinbar soeinfach ist, liegt daran, dass dieses Gebiet vomVerfassungsrecht und seinen Wertungen intensivdurchdrungen ist. Als mit dem öffentlichen Rechtbefasster Jurist denkt man dabei natürlich an denStoßseufzer der Verwaltungsjuristen, dass dasVerfassungsrecht dazu ansetze, das gesamte Ver-waltungsrecht zu unterwandern und hier fast al-les zum Verfassungsrechtsfall werden lasse. Dochlässt nicht nur das Bundesverfassungsgericht, das

in seiner Rechtsprechung alle Äußerungen ho-heitlicher Gewalt unter Entwicklung laufend ver-feinerter Maßstäbe am Verfassungsrecht zu mes-sen pflegt, sondern auch das Grundgesetz selbstkeine andere Entscheidung zu. Denn Art. 20 Abs.3 GG und Art. 25 Abs. 1 der Verfassung von Ba-den-Württemberg ordnen an, dass nicht nur dieGesetzgebung an die verfassungsmäßige Ord-nung, sondern auch die vollziehende Gewalt – zuder unter anderem die Denkmalverwaltung ge-hört – an Gesetz und Recht gebunden ist undwollen mit diesem Begriffspaar nichts anderes alseine unmittelbare Verfassungsgeltung erreichen.Sodann hat Art. 1 Abs. 3 GG die Grundrechte zudie vollziehende Gewalt unmittelbar bindendemRecht erklärt, Art. 2 LVerf hat diese Entscheidungfür Baden-Württemberg wiederholt.Auch wenn es im Einzelfall kompliziert sein undaufwändige juristische Überlegungen erfordernmag, ist es also nicht allein juristisch redlicher,sondern einfach notwendig, alle wichtigeren ver-waltungsrechtlichen Fragen im Lichte der ihnenzugeordneten verfassungsrechtlichen Wertungenzu beantworten und die Gesetzesauslegung im-mer mit Blick auf die Grundentscheidungen vonGrundgesetz und Landesverfassung zu treffen,auch wenn der reine Gesetzeswortlaut einen sogroß angelegten Rückgriff nicht nahe legen wür-de. Dies gilt insbesondere für das Spannungsver-hältnis von denkmalgerechter Erhaltung und an-gemessener Berücksichtigung liturgischer Forde-rungen bei sakralen Denkmalen, das sehr intensivvon Wertungen des Verfassungsrechts geprägtwird, wobei – wie die Untersuchung der ein-schlägigen verfassungsrechtlichen Normen zeigenwird – diese Fragestellung zu kurz greift und aufalle religiös bedingten Nutzungswünsche – liturgi-scher und nichtliturgischer Natur – auszudehnenist.Größte Bedeutung für die Frage nach dem Vor-rang denkmalpflegerischer oder liturgisch-religi-öser Interessen hat zunächst das Grundrecht derGlaubens- und Religionsfreiheit. Dieses wird inArt. 4 Abs. 1 und 2 GG garantiert, wobei es je-denfalls für den Bereich des Denkmalschutzesnicht auf eine Abgrenzung zwischen Glaubens-,Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, die Art 4 Abs.1 GG schützt, und eigentlicher Religionsfreiheit,die Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistet, ankommt, so-fern sich diese sinnvoll überhaupt durchführen

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Kirche und Denkmalpflege Rechts- und VerfassungsfragenFelix Hammer

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lässt. Viel wichtiger ist, dass das Bundesverfas-sungsgericht zum einen festgestellt hat, dass Art.4 Abs. 2 weit auszulegen ist und bei religiös mo-tiviertem Handeln die Freiheit zur Entfaltung undWirksamkeit in der Welt schützt und zudem nichtnur Religionsgemeinschaften zusteht, sondernauch Vereinigungen, die sich nur partiell der Pfle-ge des religiösen und weltanschaulichen Lebenswidmen (BVerfGE Bd. 24, S. 236 ff. [246 f.]). Da-mit können sich Religionsgemeinschaften auchbei Umgestaltungsprojekten für Gemeindezen-tren, Seminar- und Vortragsgebäude, ja selbst für Krankenhäuser und Sozialstationen auf Art. 4Abs. 2 GG berufen, außerdem können etwa Ver-einigungen, die zwar nicht die Qualität einerReligionsgemeinschaft besitzen, aber religiös mo-tiviert wirken, das Grundrecht für sich in An-spruch nehmen – und zwar unabhängig von ih-rer Rechtsfähigkeit. Nicht eigens erwähnt werdenmuss wohl, dass auch nichtkirchlich organisierteReligionsgemeinschaften – wie etwa der Islam,dessen Moscheen spätestens in etwa zwanzigJahren Denkmaleigenschaft zukommen dürfte –unabhängig vom Wortlaut des § 11 DSchG denchristlichen Kirchen entsprechend zu behandelnsind.Nicht weniger bedeutsam ist eine Überlegung,die das Bundesverfassungsgericht in seinerRechtsprechung ständig zur Anwendung bringt.Sie geht dahin, dass Grundrechte wie die Reli-gionsfreiheit, die vom Grundgesetz ohne aus-drückliche Schranken garantiert werden, nurdurch Werte eingeschränkt werden können, dieunmittelbar in der Verfassung selbst wurzeln undzudem ein Konflikt zwischen verschiedenen,gleichermaßen verfassungsrechtlich geschütztenWerten unter angemessener Beachtung beiderWerte zu einem möglichst schonenden Ausgleichgebracht werden muss, wobei insbesondere derGrundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt zu be-achten ist (vgl. nur BVerfGE Bd. 93, S. 1 ff.[21 ff.]; Bd. 30, S. 173 ff. [193]). Dies hat zum ei-nen die Folge, dass ein religiös – im weitestenSinne – motivierter Veränderungswunsch einesDenkmals nur dann unter Berufung auf denDenkmalschutz abgelehnt werden kann, wennsich der Denkmalschutz seinerseits auf eine in derVerfassung selbst wurzelnde Wertentscheidungberufen kann. Zum anderen ist auch in diesemFall unter genauer Berücksichtigung aller Um-stände der konkreten Situation sorgfältig zu un-tersuchen, ob dem grundrechtlich, nämlich demdurch die Religionsfreiheit geschützten BereichVorrang einzuräumen ist, oder dem Wert, der ihneinschränkt, und zwar gerade auch angesichtsder Bedeutung, die das Grundgesetz der Frei-heitsgewährleistung zumisst.Bezüglich der ersten Bedingung ist der Denkmal-

schutz – im Gegensatz zu inzwischen nur nochwenigen deutschen Ländern – in Baden-Würt-temberg in einer günstigen Position. Denn Art. 3 c der Landesverfassung erklärt, dass der Staatund die Gemeinden das kulturelle Leben fördernund die Landschaft sowie die Denkmale derKunst, der Geschichte und der Natur öffentlichenSchutz und die Pflege des Staates und der Ge-meinden genießen. Damit kommt dem Denkmal-schutz unmittelbarer Verfassungsrang zu, derauch nicht durch die Überlegung relativiert wer-den kann, dass das Grundgesetz als Bundesver-fassung nicht durch Vorschriften einer Landesver-fassung eingeschränkt werden könne. Zwar dür-fen die Verfassungen der Länder bundesver-fassungsrechtliche Garantien nicht einengenoder aushöhlen, doch verlangt die Doktrin desBundesverfassungsgerichts, die bei unbeschränktgarantierten Grundrechten nur verfassungsun-mittelbare Werte als Grundlage für Einschrän-kungen akzeptiert, nach einer folgerichtigen De-finition der Grundrechtsgrenzen: Da nach derKonzeption des Grundgesetzes der Bereich derKultur den Ländern zur Regelung überlassen blei-ben sollte, sah es selbst keine kulturverfassungs-rechtlichen Regelungen vor (etwa im Gegensatzzur Weimarer Reichsverfassung von 1919, die inArt. 150 eine Denkmalschutzgarantie enthaltenhatte), sondern überließ dies den Länderverfas-sungen. Ginge man nun davon aus, dass Landes-verfassungsbestimmungen die Religions- oderKunstfreiheit nicht beschränken können, weildies nur dem Grundgesetz selbst möglich sei,würde man die grundgesetzliche Wertentschei-dung zugunsten einer Regelungsbefugnis derLänder auf dem Sektor der Kultur – die notwen-digerweise auch grundrechtseinschränkendeWirkungen entfalten muss – unterlaufen. Damitkann das Denkmalschutzgesetz von Baden-Würt-temberg auf der Grundlage des Art. 3 c der Lan-desverfassung wirksam die Religionsfreiheit ein-schränken und grundsätzlich religiös genutzteDenkmale auch dann unter Schutz nehmen,wenn dadurch die Freiheit der Religionsausübungbegrenzt wird. Deshalb erübrigt sich eine auf-wändige und umständliche Untersuchung, obdem Grundgesetz ein Kulturstaatsgebot oder -prinzip entnommen werden kann und ob diesesgegebenenfalls geeignet ist, grundrechtlich ge-währter Freiheit Schranken zu setzen.Rechtmäßig ist eine auf der Grundlage von Art. 3 c LVerf beruhende Freiheitsbeschränkung frei-lich nur, wenn unter Abwägung aller Umständedes konkreten Falles dem von der Verfassung alswichtiges Staatsziel definierten DenkmalschutzVorrang gebührt vor der von der Verfassung ga-rantierten Religionsfreiheit. Dabei ist insbeson-dere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wah-

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ren. Er lässt sich in drei Aspekte aufgliedern: EinEingriff in grundrechtlich garantierte Freiheitenmuss erstens geeignet und zweitens erforderlichsein und er muss drittens dem Übermaßverbotgenügen. Geeignet ist er, wenn er tauglich ist,das intendierte Ziel zu erreichen, was etwa beimGebot, einen bereits verlorenen Zustand zu re-konstruieren, regelmäßig nicht der Fall ist. Denneiner Rekonstruktion fehlt der Charakter eines his-torischen Zeugnisses, sodass ihre Verwirklichungkeine Maßnahme des Denkmalschutzes bildet.Ausnahmsweise kann aber anderes gelten, wennes darum geht, etwa nach einer Brandkatastro-phe ein historisch überliefertes Erscheinungsbildzu bewahren. Erforderlich ist eine Maßnahme,wenn kein milderes, ebenso wirksames Mittel zurVerfügung steht, um ein Ziel zu erreichen. Inso-weit stellt sich die Frage, ob bei den großenchristlichen Kirchen bei Denkmalveränderungenjeweils einzeln ein Genehmigungsverfahren not-wendig ist, wenn eine Kirche selbst eine hoch-qualifizierte Bau- und Denkmalverwaltung be-sitzt, bei der sichergestellt ist, dass ihre Tätigkeitden staatlichen Standards entspricht oder siesogar übertrifft. Hier dürfte es als genügend er-scheinen, generell die Einhaltung der staatlichendenkmalrechtlichen Standards zu überprüfen,der Kirche selbst aber die Verantwortung über ih-ren Denkmalbestand zu belassen. Dies gilt umsomehr als – historisch gesehen – die Denkmal-schutzgesetzgebung wie auch die tatsächlich ver-wirklichten Denkmalschutzmaßnahmen der Kir-chen sehr bedeutende Traditionen aufweisenkönnen.Schwierigkeiten bereitet vor allem die Anwen-dung des Übermaßverbotes, in dessen Rahmenalle oben aufgezeigten Bewertungs- und Ab-wägungsfragen zu entscheiden sind. Hier mussuntersucht und entschieden werden, wie weitund tiefgehend eine Denkmalschutzmaßnahmein die Religionsfreiheit eingreift, wie hoch derDenkmalwert eines religiös genutzten Denkmalseinzuschätzen ist, wie sehr eine von einer Religi-onsgemeinschaft begehrte Denkmalveränderungden Denkmalwert schmälert, wie weit Alterna-tiven entwickelt werden können, die das Denk-mal weniger beeinträchtigen, den religiösen Be-dürfnissen aber weitgehend zu entsprechen ver-mögen. Patentrezepte und Checklisten lassen sichhier nicht entwickeln, dies wäre unehrlich odergefährlich simplifizierend. Der mit Praxisfragenbefasste Denkmalschützer, Kirchengemeinderatoder Rechtsanwalt mag dies bedauern, diesändert aber nichts daran, dass jeder Fall völliganders gelagert ist. Zu vielgestaltig sind die Denk-male, ihr historischer Zeugnischarakter, ihr künst-lerischer Wert, die mit ihnen verbundenen Emp-findungen einer örtlichen oder regionalen Ge-

meinschaft, der sie historische Identität stiften.Auch auf der religiösen Seite lässt sich nicht inwenigen knappen Worten definieren, wie Reich-weite und Gewicht eines Eingriffs in die Reli-gionsfreiheit zu bewerten sind. Denn religiösesErleben, insbesondere in einer liturgischen Feier,bedarf eines angemessenen Rahmens. Und mitder Notwendigkeit der gebührenden Gestaltung,der künstlerischen Form, streitet für die Religions-freiheit außerdem auch noch die – vom Grund-gesetz in Art. 5 Abs. 3 S. 1ebenfalls unbeschränktgarantierte – Kunstfreiheit, die auch die enga-gierte, die Tendenzkunst und damit die religiöseKunst in Schutz nimmt.Wenn hier auch keine einfache Rechnung aufge-macht werden darf, dass zugunsten der religiösmotivierten, künstlerisch geprägten Veränderungeines Denkmals zwei Verfassungsartikel, zuguns-ten der Denkmalerhaltung nur einer streitet – hiergilt die Regel „iudex non calculat“, der Richterzählt nicht ab –, so muss doch festgehalten wer-den, dass seitens der Verfassung ganz gewichti-ge Gründe für die Zulässigkeit einer religiös mo-tivierten Denkmalveränderung sprechen. Dies giltumso mehr als das Bundesverfassungsgericht erstvor kurzem selbst für ein Grundrecht, das vomGrundgesetz mit weitgehenden Schranken verse-hen ist, nämlich für die durch Art. 14 garantierteEigentumsfreiheit, entschieden hat, dass der Ge-setzgeber die schutzwürdigen Interessen des Ei-gentümers und die Belange des Gemeinwohls ineinen gerechten Ausgleich und ein ausgewoge-nes Verhältnis bringen muss (BVerfGE Bd. 100,S. 226 ff. [240 ff.]). Deshalb erklärte es das Denk-malschutzgesetz von Rheinland-Pfalz teilweisefür verfassungswidrig. Doch sollte diese zugege-benermaßen lange, ja gewaltige Reihe von Ein-schränkungen die Denkmalpfleger nicht zu Mut-losigkeit und Resignation verführen. Denn eskommt auf alle Umstände eines Falles an, wobeinicht übersehen werden darf, dass Art. 3 c derVerfassung von Baden-Württemberg Ausdruckdes Kulturstaatsprinzips ist und dieses ein denmodernen Staat zutiefst prägendes Charakteristi-kum bildet. Der Denkmalschutz als Ausformunghiervon hat im Laufe einer – in Deutschland mitt-lerweile über zweihundertjährigen – historischenEntwicklung feste Formen und anerkannte Stan-dards gefunden, von denen das im demokrati-schen Staat vereinigte Volk – oder wenigstens derTeil des Volkes, den man als Bildungsbürgertumzu bezeichnen pflegt – berechtigterweise anneh-men darf, dass sie zugunsten des historischen Er-bes, das man ja zunehmend als das historischeErbe der ganzen Menschheit begreift, sorgsameingehalten werden. Dabei darf nicht übersehenwerden, dass der Teil des Erbes, der einmal zer-stört, vernichtet ist, unwiederbringlich verloren

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ist, und dass nicht allein diejenigen, die das Denk-mal tagtäglich nutzen, über dessen Erhaltungentscheiden dürfen. Dies bringt die Idee des kul-turellen Erbes der Menschheit plastisch zum Aus-druck.Es muss also eine Abwägung stattfinden, die dieBelange beider Seiten sieht, angemessen gewich-tet und lege artis einander gegenüber stellt. DerPraktiker kann sich damit behelfen – und die Ge-richte werden ihm in Streitfällen dafür dankbarsein –, dass er auflistet, welcher historische Zeug-nis- und Seltenheitswert einem Denkmal zu-kommt, welche kunsthistorische Bedeutung esbesitzt, ob es Gegenstand literarischer oderkünstlerischer Darstellungen war, ob es in derVolkssage oder anderer Überlieferung eine Rollespielt, und andere Überlegungen mehr, die sichaus der spezifischen Situation ergeben. Sodannist zu fragen, wie weit eine Denkmalveränderungüberhaupt die bislang festgestellten Werte be-einträchtigen kann. So wird etwa ein ins Zentrumder feiernden Gemeinde gerückter Zelebrations-altar einen Wehrkirchencharakter, der vorwiegendoder allein am Äußeren abzulesen ist, nicht tan-gieren. Auch einer Kirche, die im Laufe der Jahr-hunderte dauernd umgestaltet wurde, an der –wie bei der Stadtkirche in Weil der Stadt – alleoder so ziemlich alle Stilepochen von der Roma-nik bis zur Gegenwart abzulesen sind, wird eineweitere Veränderung, die den bisherigen Bestandunberührt lässt und sich diesem einfügt, nichtschaden können. Andererseits wird der Denkmal-pfleger auch fragen dürfen, ob eine Denkmal-veränderung liturgisch oder religiös tatsächlichgeboten ist, wobei ihm insofern aber im frei-heitlichen, weltanschaulich neutralen Staat desGrundgesetzes sehr enge Grenzen auferlegt sind.Ist eine betroffene Gemeinde nicht selbst zur Dis-kussion bereit, wird nur die Möglichkeit bleiben,die obere Kirchenbehörde um Hilfe anzurufen, sie kann und darf diese Fragen entscheiden.Ähnliches gilt für Fragen der künstlerischen Qua-lität einer Umgestaltung.Steht fest, dass eine Denkmalveränderung denDenkmalwert berührt, so ist zu fragen, ob hier diereligiösen oder die denkmalpflegerischen Belan-ge den Vorrang genießen, wofür wiederum ent-scheidend ist, in welcher Weise beide betroffensind. Bei gottesdienstlichen Belangen hat § 11Abs. 2 DSchG mit Gesetzeskraft festgelegt, dasssie vorrangig (allerdings nicht ausschließlich) zubeachten sind. Da sich diese Lösung im Rahmender Vorgaben der Verfassung hält, besitzt sie Ver-bindlichkeit. Sind gottesdienstliche Belange nichtbetroffen, hängt fast alles vom Einzelfall ab, dochgibt es immer wieder feste Richtwerte. Ein engesund unbequemes Gestühl, das die Feier des Got-tesdienstes zum Martyrium werden lässt und die

Aufmerksamkeit der Gottesdienstbesucher zer-stört, dürfte selbst bei sehr hohem Kunstwertnicht unantastbar sein. Allerdings darf es nichtvernichtet werden, vielmehr müssen die Gestühls-wangen erhalten bleiben, vielleicht teilweise ananderem Ort, die Sitzflächen, -lehnen und -ab-stände aber müssen modernen Standards ange-passt werden. Dies sind nur einige Andeutungenfür mögliche Kriterienkataloge und Abwägungs-abläufe, sie sind jeweils aus der konkreten Situa-tion heraus und ihr angemessen zu entwickeln.Dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwi-schen Denkmalpflege und Kirchengemeinde oderReligionsgemeinschaft hier die beste Lösung ist,ist zwar eine Binsenweisheit, ändert aber nichtsdaran, dass ohne sie fast nichts möglich ist. Unddass Denkmalpfleger durch diplomatisches Ge-schick und zähes Insistieren oft mehr erreichenkönnen als durch hoheitliche Anordnungen, istangesichts der geschilderten komplizierten Situa-tion und der religiösen Veränderungswünschensehr stark entgegenkommenden Rechtslage kei-neswegs verwunderlich.Abschließend sei noch kurz erwähnt, dass für re-ligiös bedingte Veränderungswünsche noch wei-tere Rechts- und Verfassungsnormen ins Feld ge-führt werden können. So garantieren Grundge-setz und Landesverfassung unter Bezugnahmeauf die Weimarer Verfassung von 1919 den Re-ligionsgemeinschaften ein weitgehendes Selbst-bestimmungsrecht und den Bestand sowie dieFreiheit des kirchlichen Eigentums (Art. 140 GG/Art. 4, 5 LVerf i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 und 138Abs. 2 WRV). Die Kirchengutsgarantie wird inKonkordaten und Kirchenverträgen aufgegriffenund feierlich bestätigt. Doch kommt diesen Vor-schriften hier deswegen nur ergänzende Bedeu-tung zu, weil es einerseits – wie erwähnt – nichtauf die Zahl der für ein Interesse streitendenRechte ankommt, sondern auf deren Gewicht,und weil andererseits die in ihnen garantiertenRechte in der Religionsfreiheitsgarantie, in derweiten Form, die sie durch die Rechtsprechungdes Bundesverfassungsgerichts gefunden hat, in-begriffen sind. Unmittelbare Bedeutung gewin-nen sie, wenn kirchliche Veränderungswünscheausnahmsweise nicht religiös begründet sind,doch kann hierauf an dieser Stelle nicht einge-gangen werden.Zusammenfassend kann festgehalten werden,dass die Verfassungen von Bund und Land religiösbegründete Veränderungswünsche an Denkma-len sehr weitgehend in Schutz nehmen, die Lan-desverfassung gewährt aber auch den Denkma-len Schutz. Wer konkret den Vorrang genießt, istunter Berücksichtigung aller Umstände des Ein-zelfalls zu beantworten oder darf bei einer ver-trauensvollen Zusammenarbeit von Denkmalpfle-

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ge und Kirchen dahingestellt bleiben. Das Letz-tere dürfte die bessere Lösung sein, bislang wares auch die regelmäßige Lösung – hoffentlichbleibt dies so.

Weiterführende Literatur:

[DÖV = Die öffentliche Verwaltung]

Wolfgang Eberl, Mitwirkung der Kirchen und Ge-meinden beim Schutz von Baudenkmälern, DÖV1983, S. 455 ff.Felix Hammer, Die geschichtliche Entwicklung desDenkmalrechts in Deutschland, 1995.ders., Der Denkmal- und Kulturgutschutz in Verfas-sungen der Gegenwart, DÖV 1999, S. 1037–1045.ders., Das Schutzsystem der deutschen Denkmal-schutzgesetze, in: Juristische Schulung [JuS] 1997,S. 971–976.Martin Heckel, Der Denkmalschutz an den Sakral-bauten in der Bundesrepublik Deutschland, in: ders.,Gesammelte Schriften, Bd. II, 1989, S. 1075–1098 =DKD 48 (1990), S. 3–13.ders., Staat Kirche Kunst. Rechtsfragen kirchlicherKulturdenkmäler, 1968.ders., Religionsbedingte Spannungen im Kulturver-fassungsrecht, in: Festschr. f. Hartmut Maurer z. 70.Geburtstag, 2001, S. 351ff.Alexander Hollerbach, Kunst- und Denkmalpflege,in: Joseph Listl/Heribert Schmitz (Hg.), Handbuch deskatholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. 1999, S. 1109–1114.Josef Isensee, Res Sacrae unter kircheneigenemDenkmalschutz, in: Kirche und Recht [KuR], 5(1999), S. 117–125 (= Glied.-Nr. 525, S. 1–9).

Bernd Mathias Kremer, Denkmalschutz und Denk-malpflege im Bereich der Kirchen, in: JosephListl/Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskir-chenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2.Aufl./2. Bd. 1995, S. 77–103.ders., Rechtsverhältnisse in der kirchlichen Denkmal-pflege, in: Nichts für die Ewigkeit? Kirchengebäudezwischen Wertschätzung und Altlast, Schriftenreihed. Deutschen Nationalkomitees für DenkmalschutzBd. 63, 2001, S. 81–87.ders., Denkmalpflege und kirchliche Belange, in:Konservatorenauftrag und heutige Denkmalver-antwortung, LDA Bad.-Württ. Arbeitsheft 4, 1995,S. 89–91.Wolfgang Loschelder, Staatliche und kirchliche Kul-turverantwortung auf dem Gebiet des Denkmal-schutzes, in: Festschr. z. 65. Gebtg. von Paul Mikat,1989, S. 611ff.Hartmut Maurer, Denkmalschutz im kirchlichen Be-reich, in: ders., Abhandlungen z. Kirchenrecht u.Staatskirchenrecht, 1998, S. 203–221.Winfried Schulz, Denkmalschutz und Denkmal-pflege in der neuen kirchlichen Rechtsordnung, in:Theologie und Glaube 73 (1983), S. 351–367.Heinz Strobl/Ulrich Majocco/Heinz Sieche, Denkmal-schutzgesetz für Baden-Württemberg. Kommentarmit ergänzenden Rechts- und Verwaltungsvorschrif-ten, 2. Aufl., Stuttgart 2001.

Privatdozent Dr. Felix HammerLeitender Direktor im KirchendienstBischöfliches OrdinariatPostfach 972101 Rottenburg am Neckar

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Page 48: Denkmalpflege 2003-1

1. Denkmalschutzgesetz [DSchG] Baden-Württemberg

In d. Fassung v. 6. 12. 1983 (GBl. S. 797); zuletzt ge-ändert am 14. 3. 2001 (GBl. S. 189)

§ 11: Kulturdenkmale, die dem Gottesdienst dienen(1) Die Denkmalschutzbehörden haben bei Kultur-denkmalen, die dem Gottesdienst dienen, die got-tesdienstlichen Belange, die von der oberen Kirchen-behörde oder der entsprechenden Stelle der be-troffenen Religionsgemeinschaft festzustellen sind,vorrangig zu beachten. Vor der Durchführung vonMaßnahmen setzen sich die Denkmalschutzbehör-den mit der oberen Kirchenbehörde oder der ent-sprechenden Stelle der betroffenen Religionsgemein-schaften ins Benehmen.

(2) § 7 Abs. 1, § 8 sowie § 15 Abs. 1 und 2 findenkeine Anwendung auf Kulturdenkmale, die im kirch-lichen Eigentum stehen, soweit sie dem Gottesdienstdienen und die Kirchen im Einvernehmen mit derobersten Denkmalschutzbehörde eigene Vorschrif-ten zum Schutz dieser Kulturdenkmale erlassen. Vorder Durchführung von Vorhaben im Sinne der er-wähnten Bestimmungen ist das Landesdenkmalamtzu hören. Ergibt sich weder mit ihm noch mit derhöheren Denkmalschutzbehörde eine Einigung, soentscheidet die obere Kirchenbehörde im Benehmenmit der obersten Denkmalschutzbehörde.

(3) Der 8. Abschnitt dieses Gesetzes ist auf kirchen-eigene Kulturdenkmale nicht anwendbar.

2. Verfassung des Landes Baden-Württemberg

Vom 11. 11. 1953 (GBl. S. 173); zuletzt geändert am23. 5. 2000 (GBl. S. 449)

Art. 3 c: [Förderung von Kultur, Sport, Landschaftund Denkmalschutz](1) Der Staat und die Gemeinden fördern das kultu-relle Leben und den Sport unter Wahrung der Auto-nomie der Träger.

(2) Die Landschaft sowie die Denkmale der Kunst,der Geschichte und der Natur genießen öffentlichenSchutz und die Pflege des Staates und der Gemein-den.

Art. 4: Freie Religionsausübung(1) Die Kirchen und die anerkannten Religions- undWeltanschauungsgemeinschaften entfalten sich inder Erfüllung ihrer religiösen Aufgaben frei vonstaatlichen Eingriffen.

(2) Ihre Bedeutung für die Bewahrung und Festigung

der religiösen und sittlichen Grundlagen des mensch-lichen Lebens wird anerkannt.

Art. 5: Weimarer Verfassung als LandesrechtFür das Verhältnis des Staates zu den Kirchen undden anerkannten Religions- und Weltanschauungs-gemeinschaften gilt Artikel 140 des Grundgesetzesfür die Bundesrepublik Deutschland. Er ist Bestand-teil dieser Verfassung.

3. Grundgesetz für die BundesrepublikDeutschland [GG]

Vom 23. 5. 1949 (BGBl. I S. 1); zuletzt geändertdurch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Ar-tikel 108) vom 26. 11. 2001 (BGBl. I S. 3219); BGBl.III /FNA 100–1

Art. 4: [Glaubens-, Bekenntnis- und Religionsfreiheit](1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und dieFreiheit des religiösen und weltanschaulichen Be-kenntnisses sind unverletzlich.(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewähr-leistet.(3) [...]

Art. 140: [Fortgeltung staatskirchenrechtlicher Be-stimmungen der Weimarer Verfassung – WV]Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

Weimarer Verfassung, Art. 137: [Verbot der Staats-kirche, kirchliches Selbstbestimmungsrecht](1) Es besteht keine Staatskirche.(2) [...].(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltetihre Angelegenheiten selbständig innerhalb derSchranken des für alle geltenden Gesetzes. [...](4) [...](5) – (8) [...].

Weimarer Verfassung, Art. 138: [Freiheitsgarantienbezüglich des Kirchenguts](1) [...](2) Das Eigentum und andere Rechte der Religions-gesellschaften und religiösen Vereine an ihren fürKultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke be-stimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Ver-mögen werden gewährleistet.

4. Konkordat zwischen dem HeiligenStuhle und dem Freistaate Baden

(Acta Apostolicae Sedis 25 [1933], 177ff.; BadischesGesetz- und Verordnungsblatt 1933, 20 ff. [in deut-scher und italienischer Fassung])

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Rechts- und Verfassungsgrundlagen für den Ausgleich kirchlicher und denkmalpflegerischer Belange und Interessenim Denkmalschutzrecht

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Seine Heiligkeit Papst Pius XI. und das BadischeStaatsministerium, die in dem Wunsche einig sind,die Beziehungen zwischen der Katholischen Kirchein Baden und dem Badischen Staat den verändertenVerhältnissen anzupassen, haben beschlossen, sie ineinem förmlichen Vertrage (Konkordat) dauernd zuordnen.

Art. V: [Freiheitsgarantien bezüglich des Kirchenguts]1. Das Eigentum und andere Vermögensrechte derKatholischen Kirche in Baden, ihrer öffentlich-recht-lichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen so-wie der Orden und religiösen Kongregationen, wel-che gegründet werden dürfen und die Rechte eineröffentlich-rechtlichen Körperschaft oder einer juristi-schen Person des privaten Rechts nach den für alleBürger geltenden Bestimmungen besitzen oder er-langen können, werden nach Maßgabe der Verfas-sung des Deutschen Reiches gewährleistet.

2. Wenn staatliche Gebäude oder GrundstückeZwecken der Kirche gewidmet sind, bleiben sie die-sen, unbeschadet etwa bestehender Verträge, nachwie vor zum Genuss überlassen. Dem BadischenStaat bleibt aber das Recht vorbehalten, solche Ge-bäude oder Grundstücke durch andere gleichwer-tige Grundstücke im Benehmen mit dem Erzbischofauszutauschen. Ein Recht an diesen Grundstücken,soweit es nicht auf anderweitigen Rechtstiteln be-ruht, wird durch dieses Konkordat nicht erworben.

3. Die bestehenden kirchlichen Eigentums- und Nut-zungsrechte werden, soweit noch nicht geschehen,auf Verlangen der Kirche durch Eintragung in dasGrundbuch gesichert werden.

5. Konkordat zwischen dem HeiligenStuhl und dem Deutschen Reich

Unterzeichnet am 20. Juli 1933 (Acta ApostolicaeSedis 25 [1933], 389 ff.; RGBl. II 1933, S. 679 [Deut-scher und italienischer Text]).

Art. 2: [Fortgeltung des badischen Konkordats]Die mit Bayern (1924), Preußen (1929) und Baden(1932) abgeschlossenen Konkordate bleiben beste-hen und die in ihnen anerkannten Rechte und Frei-heiten der katholischen Kirche innerhalb der betref-fenden Staatsgebiete unverändert gewahrt. Für dieübrigen Länder greifen die in dem vorliegenden Kon-kordat getroffenen Vereinbarungen in ihrer Gesamt-heit Platze. Letztere sind auch für die oben genann-ten drei Länder verpflichtend, soweit sie Gegenstän-de betreffen, die in den Länderkonkordaten nichtgeregelt wurden oder soweit sie die früher getrof-fene Regelung ergänzen.

Art. 17: [Freiheitsgarantien bezüglich des Kirchen-guts]Das Eigentum und andere Rechte der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, der Anstalten, Stiftun-gen und Verbände der katholischen Kirche an ihremVermögen werden nach Maßgabe der allgemeinenStaatsgesetze gewährleistet. Aus keinem irgend-wie gearteten Grunde darf ein Abbruch von gottes-dienstlichen Gebäuden erfolgen, es sei denn nachvorherigem Einvernehmen mit der zuständigen kirch-lichen Behörde.

Anmerkung: Normüberschriften in eckigen Klammernsind nicht amtlich

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1 Trochtelfingen(Kr. Reutlingen), St. Martinskirche.

Gonschor: Die St. Martinskirche ist die genutzteStadtkirche (Abb. 1) der katholischen GemeindeTrochtelfingen und ein Kulturdenkmal nach § 12DSchG.Da Reparaturen und Veränderungen an der Kir-che gleichermaßen die Gemeinde, die ErzdiözeseFreiburg wie die Denkmalpflege betreffen, unddie anstehenden Aufgaben nur im Dialog und ge-meinsam zu lösen sind, haben wir uns entschlos-sen das Fallbeispiel Trochtelfingen als Arbeitspro-jekt gemeinsam vorzustellen.

Bertels: Die gebaute Kirche ist das Haus der anChristus als ihren Herrn glaubenden und um ihnversammelten Gemeinde. Darum ist sie auchGotteshaus, denn „Wo zwei oder drei in meinemNamen versammelt sind, da bin ich mitten unterihnen.“ (Matthäus 18,20). Ein Kirchengebäudehat daher Doppelcharakter: Es ist Zweckbau undSymbol in einem. Der Zweckbau ist Versamm-lungsstätte. Das Symbol ist gebautes und ge-staltetes Glaubenszeugnis, Zeichen überirdischerWirklichkeit.

In der gebauten Kirche wird die Liturgie gefeiert,die normierte Form des Gottesdienstes. Dieservon Menschen festgelegte Ritus ist zwar von alterTradition, gleichwohl unterliegt die Liturgie Ver-änderungen in Folge gesellschaftlicher und religiö-ser Entwicklungen. Diese Veränderungen spiegelnsich in der Gestalt der Kirchenbauten und ihrerAusstattung wieder. Die größten diesbezüglichenVeränderungen der jüngeren Geschichte brachtedas 2. vatikanische Konzil, das von 1962 bis 1965stattfand.

Gonschor: Die meisten, vor allem die älteren Kir-chen – so auch unser Beispiel in Trochtelfingen –sind in besonderer Weise „Urkunden“ der Ge-schichte, gleichermaßen der Religion, der Gesell-schaft, der Bautechnik und der Kunst. An dem Erhalt besteht daher aus wissenschaftlichen, hei-matgeschichtlichen und künstlerischen Gründenein öffentliches Interesse (§2 DSchG), d.h., dievorhandenen Geschichtsdokumente in Substanzund Erscheinungsbild unterliegen denkmalpflege-risch dem Erhaltungsgebot.

Die St. Martins-Kirche in TrochtelfingenGottesdienstliche Anforderung und denkmalpflegerischer Anspruch

Gottesdienstliche Belange und Nutzungsanforderungen der Gemeinde zurUmgestaltung der Kirche stehen nicht grundsätzlich den denkmalpflegeri-schen Interessen entgegen. Eine erfolgreiche Lösung, die beiden AnliegenRechnung trägt, ist durchaus möglich, wenn Kirche und Denkmalpflege vor-urteilsfrei und früh in ein vertrauensvolles, konstruktives Gespräch treten und sich als Partner um die „richtige“ Lösung bemühen. Ein solches positivesVorgehen zeigt das vorgestellte Beispiel.

Stefan Bertels / Lothar Gonschor

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3 Thumba der Grafenvon Werdenberg.

Veränderungswünsche, die sich aus der Liturgieund den besonderen Anforderungen der Ge-meinde ergeben, sind daher von Seiten der Denk-malpflege auf Denkmalverträglichkeit zu prüfen.

Bertels: Lieber Herr Gonschor, das mag eine Sichtder Denkmalpflege sein. Diese ist aber nicht durch§ 11 DSchG BW gedeckt, nach der die gottes-dienstlichen Belange vorrangig zu beachten sind.In Verbindung mit der grundgesetzlich garantier-ten Religionsfreiheit heißt das für die staatlicheDenkmalpflege: Hände weg von der Prüfung derDenkmalverträglichkeit bei liturgiebedingten Än-derungen!Aber, lassen Sie uns doch zunächst gemeinsamden anwesenden Damen und Herren das Bau-werk vorstellen.Beginnen Sie mit der Baugeschichte?

Gonschor: Schon das Patrozinium St. Martinweist auf ein hohes Alter der Kirche, zumindestseiner Vorgängerbauten hin. Ältester, sichtbar er-haltener Bauteil ist der Turm, dessen unterer Teilmit Bossenquadern wohl aus dem 12. Jahrhun-dert stammt. Von der Größe des dazugehören-den Kirchenschiffes ist (fast) nichts bekannt.Nach dem Stadtbrand von 1320 entsteht derChor (Abb. 2) mit Kreuzgratgewölbe über zweiquer-oblongen Jochen und flachem Chorschluss.Das heute bestehende Langhaus wurde 1451(unter Graf Eberhard von Werdenberg) erbautund diente seinem Haus als Grablege (Abb. 3).Die Familiengruft befindet sich unterhalb dessüdlichen Seitenaltars.Das Langhaus ist einheitlich mit einem überblatte-ten Dachabbund (Abb. 4) mit Hängesäulen verse-hen und trug eine fünffach gebrochene Holz-decke, die vermutlich bemalt war wie die Kehlbal-ken und Kopfbügen der Bünde, die sich jetzt hinterder Tonne befinden. Weiter wurden bemalte Teile

(Abb. 5) des Spannriegels mit den Ansätzen derDeckenleisten von der spätmittelalterlichen Holz-decke beobachtet.Aus barocker Zeit, um 1700, sind die doppel-stöckige Westempore und drei hier nicht sicht-bare Rundfenster erhalten (Abb. 6).Eine wesentliche und heute noch Raum bestim-mende Umgestaltung erfolgte 1823. Der Chorwurde gegenüber dem einspringenden Turmdurch Einbau einer weiteren Sakristei im Südenmit darüber liegendem „Chörle“ nach Westenverlängert, und ein weiterer Chorbogen im An-schluss an die Westwand des Turmes eingezogen.Es entstand ein Vorchor mit einem Kreuzgrat-gewölbe. Das Schiff erhielt ein Tonnengewölbeaus Stuck, das auf einem ebensolchen, kräftigprofilierten Kranzgesims aufsitzt (Abb. 7). Ausstattungsveränderungen erfolgten 1879 durchdas Aufstellen reich verzierter Altarschreine, denEinbau einer Kanzel und einer Orgel im Stile derNeugotik (Abb. 7).1894 vollzog man eine Ausmalung in dunklenTönen, die 1931 wieder beseitigt wurde. In die-ser Zeit wurden die Malereien im Chorgewölbeaus der Zeit nach 1320 mit Sternen, Sonne undMond, Evangelistensymbolen, Majestas Dominiund dem Lamm Gottes freigelegt (Abb. 9), ebenso

2 Grundriss der Kirche.

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ein Wandbild an der Nordwand des Langhausesaus der Zeit um 1480, auf dem das „Jüngste Ge-richt“ dargestellt ist (Abb. 8) sowie das 1823 ent-standene Wandbild in der Lünette über demChorbogen mit der Darstellung des Heiligen Mar-tin (Abb. 7).Eine „Kreuzigungsgruppe“ (Abb. 10), die auseinem Kruzifix aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhun-derts und drei trauernden Frauen (Abb. 11) aus der Zeit des „weichen Stils“ besteht, wurdeum 1930 zusammengestellt und an der Turm-wand angebracht. Die Frauenfiguren – ursprüng-lich wohl vier – stammen aus der St. Michaels-kapelle aus einem Heiligen Grab. Diese Kapellestand neben der Martinskirche und wurde 1823abgerissen.Bereits 30 Jahre später folgte auch Trochtelfingendem allgemein einsetzenden Modernisierungs-bestreben der Nachkriegszeit.

Bertels: 1962/63 entfernte man die neugotischeAusstattung bis auf den Orgelprospekt (Abb. 6).Die bauzeitlichen und darüber liegenden Fußbo-denplatten aus Sandstein wurden herausgenom-

men, eine Heizung mit Heizungskanal und einedie Grundfläche der Kirche einnehmende Beton-platte eingebracht, der Fußboden im Schiff umetwa 20 cm angehoben und mit Kalksteinplattenbelegt. Die Altäre erhielten gleichfalls eine Um-kleidung aus Kalkstein.Anstelle des neugotischen Hochaltars fand die„Kreuzigungsgruppe“ an der Ostwand des Cho-res eine neue und wesentlich verbesserte Auf-stellung. Die beiden seitlich gelegenen und nichtursprünglichen Fenster wurden geschlossen.Weiterhin stattete man die Kirche im Stile der1960er-Jahre mit neuen Bänken, Chorgestühlund Beichtstühlen aus sowie mit einer neuenkünstlerisch gestalteten Kanzel, Kommunionbank

und weiteren plastischen Werken von Hilde Broer,einer in der Zeit nicht unbedeutenden Künstlerin. Hier die Kanzel (Abb. 12) mit einer Drahtplastik,die die Evangelistensymbole darstellt und mitMosaiken hinterlegt ist. Dann die Eingangstür imWesten mit einigen Details und ein Relief, Josephmit dem Christuskind darstellend (Abb. 13–14).

Gonschor: Hier stellt sich die Frage, ob die Aus-stattung der 1960er-Jahre als Zeugnis einer „Auf-bruchzeit“ mit neuen künstlerischen Vorstellun-gen erhaltungswürdig und -fähig gewesen wäre,unabhängig davon, dass sich dieses Thema in-zwischen durch die von der Gemeinde ungeneh-migt vollzogenen Abbrüche einiger Ausstattungs-teile erübrigt hat.Denn schon nach wenigen Jahren gefiel diesemoderne, von Walter Genzmer, dem damaligenLandeskonservator Hohenzollerns, sehr gelobteneue Ausstattung nicht mehr und wurde von derGemeinde sukzessive entfernt; 1976 die Kom-munionbank, Mitte der 1990er-Jahre die Kanzelund später das Joseph-Relief. Man wollte damitgrößtmögliche Freizügigkeit für eine Neugestal-tung des Altarraumes mit einem nahe an die Ge-meinde herangerückten und gut sichtbaren Volks-altar schaffen.

Bertels: Waren die Veränderungen durch geän-dertes Geschmacksempfinden motiviert oder gabes auch andere Gründe? Im Jahre 1963 wurde alsein Ergebnis des II. Vaticanum eine Konstitutionüber die Liturgiereform veröffentlicht. Der Priesterzelebriert nun am Altar versus populum seiner Ge-meinde zugewandt. Die Verkündigung des Wor-

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4 Schnitt durch das Kirchendach.

5 Bemalter Balken ausdem Dachstuhl.

6 Blick auf Westempore,Zustand ca. 1990.

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tes geschieht vom erhöhten Pult aus, dem Ambo,die Kanzel verliert ihre praktische Bedeutung. Daviele Kirchenräume in ihrer perspektivischen Wir-kung auf den Hochaltar hin komponiert und ge-staltet sind, bereitet die Liturgiereform des II. Vati-canum in vielen bestehenden Kirchenbauten Pro-bleme, so auch in Trochtelfingen.Das Besondere an der dort 1962/63 durchgeführ-ten Renovation ist das in sich widersprüchliche,zwiespältige Ergebnis. Die von Hilde Broer ge-schaffenen Objekte sprechen die Sprache ihrerZeit. Aber das liturgische Konzept mit Hochaltar,Kanzel und Kommunionbank ist im Geburtsjahrder Liturgiereform bereits überholt, vorkonziliar.Vielleicht ist das der Grund für die relative Kurz-lebigkeit dieser Renovation. Stilistisch zeitgemäßmit Gefühl für den vorhandenen Raum gestaltet,

7 Martinskirche mit neugotischer Aus-stattung von 1879.

8 Jüngstes Gericht, um 1480.

9 Sternenhimmel, nach 1320.

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durchaus klar und schön, aber nicht funktionsge-recht im Sinne des II. Vaticanum, also liturgischrückwärts gewandt.

Gonschor: Ihre Beschreibung der „Broer-Fassung“,Herr Bertels, ist eigentlich ein Plädoyer für die ab-solute Denkmalschutzwürdigkeit dieser Ausstat-tung. Künstlerisch wertvoll und ein Zeitzeuge derletzten tief greifenden Veränderung in der liturgi-schen Raumauffassung Ihrer katholischen Kirche.Das hätte man erhalten müssen!

Bertels: Aus Sicht der Denkmalpflege – und zwarder staatlichen wie der kirchlichen – muss ich Ih-nen schweren Herzens Recht geben, Herr Gon-schor. Aber eine Kirche ist eben kein Museum.Diese Einsicht lässt ja sogar Ihr § 11 durchschim-mern, nach dem die gottesdienstlichen Belangevon Herrn Prof. Planck und Ihnen, ja sogar vomMinister Döring vorrangig beachtet werden müs-sen! Aber zurück nach Trochtelfingen.

Nach der geräuschlosen Entfernung von Kom-munionbank und Kanzel wollte die Kirchenge-meinde nun eine Altarraumgestaltung mit deut-lich zum Langhaus vorgezogenem Altar versuspopulum. (Abb. 15). Man baute einen provisori-schen Holzboden in den Chorraum, mit dem dashöhere Fußbodenniveau bis vor den Chorbogenverlängert wurde.

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10 Kreuzigungsgruppe.

11 Drei trauernde Frauen.

12 Zustand nach 1963.

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Von dem vorn platziertem Altar aus wurde eineZeit lang zelebriert und experimentiert. Das erz-bischöfliche Bauamt erhielt den Auftrag, einen Al-tarraum zu gestalten, der dem Wunsch der Kir-chengemeinde nach Nähe und guter Sicht ebensogerecht werden sollte wie dem tradierten Raum.Die Erfüllung des ersten Teils der Aufgabe machtees erforderlich, den Fußboden im Chor um eineStufe, im Vorchor um zwei Stufen zu erhöhen. Ausder größeren Anzahl entwickelter und diskutierterLösungen seien hier exemplarisch zwei vorgestellt:Die erste ist eine Insellösung (Abb. 16), die ein all-seitig freistehendes Altarpodest im Bereich desChorbogens vorsieht. Die Altarinsel bildet die li-turgische Mitte zwischen Langhaus und Chor-raum. Der zur Verfügung stehende Raum mit jeeiner Tür im Vorchor an jeder Seite und den sichdaraus ergebenden Bewegungslinien, in derenVerlauf zwischen Sakristei, Altar und Sedilien wie-derholt Stufen zu überwinden sind, ließ die Lö-sung unpraktisch, evtl. gefahrenträchtig erschei-nen. Gestalterisch hat sie Qualitäten, nicht zuletztwegen des respektvollen Umganges mit dem vor-handenen Raum.Die zweite hier gezeigte Lösung (Abb. 17) ist dasweiterentwickelte Provisorium. Ein neuer, um zweiStufen gegenüber dem Langhaus höherer Fußbo-den erstreckt sich vom Chor durch den Vorchor biszum Langhaus. Dabei wird die neue Fußboden-ebene in scarpaesker Manier nicht bis an die Wandgeführt, sondern eine breite umlaufende Schat-tenfuge hält das neue Material auf respektvollemAbstand zum alten Gemäuer. Der Chorraum wirdFreiraum für gottesdienstliche und gemeindlicheAktivitäten sowie künstlerische Entfaltung. DieseLösung war der Favorit der Kirchengemeinde.

Gonschor: Untersuchungen hatten ergeben, dassdie Wände der Kirche teilweise über 1,5 m Höhedurchfeuchtet und salzbelastet sind und schonunterhalb dieser Höhe Malereibefunde vorliegen.Das Landesdenkmalamt musste daher die Vari-ante 2 der Chorraumgestaltung ablehnen, da mitder Erhöhung des Fußbodens der Austrock-nungshorizont der Wände und damit die Gefähr-dung verdeckter Malereien erhöht worden wäre.Nach langen Erwägungen und intensiven Ge-sprächen kam man überein, den gesamten 1963eingebrachten und abdichtenden Fußboden her-auszunehmen und die Oberfläche im Langhausauf die alte Höhe abzusenken (Abb. 18). Im Som-mer dieses Jahres begannen die Arbeiten.Der Vorchor erhält nun in Angleichung an das Ni-veau des Chores wieder eine Stufe (wie sie wohl1823 eingefügt und 1963 entfernt wurde) undliegt mit dem Fußboden – durch die Absenkungim Schiff – um die zwei geforderten Stufen höherals das Schiff.

Die Erhöhung im Vorchor kann in Kauf genom-men werden, da der neue Fußboden auf einemdiffusionsoffenen Unterbau aus Splittschüttungverlegt wird. Damit werden denkmalpflegerischeForderung und liturgisches Anliegen weitestge-hend in Einklang gebracht.

Bertels: Aus liturgischen und architektonischenGründen sollten der Hochaltar mit seiner Stufen-anlage und die beiden Seitenaltäre entfernt wer-den. Sie waren in den 60er-Jahren, so wie derFußboden, aus Riedlinger Kalkstein eingebautworden. Der Entwurf der neuen Prinzipalstücke(Altar, Ambo, Sedilien) sowie die Gestaltung destiefen Chorraumes sollten einem Künstlerwettbe-werb vorbehalten bleiben. Beim Abbau des Riedlinger Kalksteines zeigte sich,dass es lediglich Verkleidungen älterer Altäre waren.

Gonschor: Der Hauptaltar (Abb. 19) ist bauzeit-lich (oder älter) und besteht aus einem verputz-ten in Stein gemauerten Stipes mit einer mono-lithischen Mensaplatte aus Sandstein. Der Altarwar bauzeitlich grau überfasst.Die Seitenaltäre sind, dem Putz an den Stipesnach, wohl im 19. Jahrhundert erstellt worden,die Mensen gehören in die Zeit des 14. oder 15.Jahrhunderts.Das Landesdenkmalamt hatte die Seitenaltäre zurDisposition gestellt, wenn nachweislich die litur-gischen Anforderungen die Wegnahme zwin-gend erforderlich gemacht hätten. Gegen dieWegnahme des mindestens seit 1320 bestehen-den Hauptaltars hat sich die Denkmalpflege aberentschieden ausgesprochen.An dieser Stelle sei der Denkmalpflege erlaubt,zu der aufgrund konziliarer Forderung immerhäufiger auftretenden Praxis, die oft mehrerehundert Jahre alten Altarblöcke zu beseitigen,grundsätzlich Stellung zu nehmen. Nach christ-lichem Verständnis ist der Altar ideeller undlokaler Mittelpunkt des Presbyteriums und so-mit wichtigstes Zeichen kirchlichen Seins. (DazuJohannes H. Emminghaus: Die Gestaltung desAltarraumes. Pastoral-katechetische Hefte 57.Leipzig 1977.)Wenn das für die Gegenwart gilt – Sie hatten es,lieber Herr Bertels, ja anfangs dargelegt – dannmuss das auch für die Vergangenheit gelten.Somit sind historische Altäre, vor allem die Haupt-altäre, in besonderem Maße erhaltenswerte Aus-stattungsteile einer Kirche. Folglich muss ein sol-cher Altar dort verbleiben!

Bertels: Nein, Herr Gonschor, muss er nicht! Na-türlich dürfen wir es uns mit dem Wegnehmennicht leicht machen. Gerade aus kirchlicher Sichthaben Altäre sehr hohen symbolischen und denk-

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14 Joseph mit Kind.

13 Westportal von Broer und Details.

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15 Martinskirche, Zu-stand der 1990er Jahre.

16 Modell I.

17 Modell II.

18 Blick zum Chor imBauzustand. Fußbodenund Betonplatte sind bis auf Höhe Boden-platten der Thumbaentfernt.

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malpflegerischen Wert. Aber im Falle eines ech-ten Zielkonfliktes entscheide ich mich für die Be-lange meiner lebendigen Kirchengemeinde.

Gonschor: Wenn aber die praktischen Anforde-rungen an den Volksaltar erfüllt sind, können diehistorischen Altäre erhalten und ggf. durch Um-nutzungen in das neue Konzept der Choraus-stattung mit einbezogen werden. Im Übrigenherrscht in den katholischen Kirchen meistensnicht ein solcher Andrang, dass der zur Verfü-gung stehende Raum nicht ausreicht.

Bertels: In Trochtelfingen wurden die historischenBefunde letztlich auch von der Kirchengemeindeanders beurteilt als die etwas zu klobig wirken-den Kalksteinblöcke aus den 60er-Jahren. DerJahrhunderte alte Hauptaltar und die zwei goti-schen Sandstein-Mensen der Seitenaltäre sindphysische Zeugen der christlichen Tradition derSt. Martins-Gemeinde. Sie werden in situ verblei-ben und gehören zu den neuen, alten Rahmen-bedingungen für den Künstlerwettbewerb. Derhistorisch typischen Situation von Haupt- und Ne-benaltären wird nun räumlich durch eine ent-

sprechende Variation der FußbodengestaltungRechnung getragen. Die obere Chorstufe bildetden Abschluss mit der Front der östlichen Lang-hauswand. Die untere, erste Stufe wird wie einseparater Block davor gelegt (Abb. 20).

Gonschor: Mit der Absenkung des Fußbodensund der Neuverlegung von Sandsteinplatten aufkapillarbrechendem Unterbau wird dem denk-malpflegerischen Anliegen, die bauphysikalischenBedingungen zu verbessern, entsprochen, gleich-wohl auch eine Annäherung an das historischeErscheinungsbild hinsichtlich verbesserter Pro-portionen des Raumes und seiner historischenAusstattung.Die Thumba des Werdenbergschen Grabmalswird wieder auf dem Fußboden stehen und nicht,wie bis jetzt, in ihm versinken, und die Altäre ihrewürdevolle Größe zurückerhalten.

Bertels: Mit dieser Maßnahme sind erheblicheMehrkosten verbunden, zu dem ohnehin ho-hen finanziellen Aufwand für die anstehendenReparaturen am Dach, dem historischen Dach-tragwerk, der Restaurierung der Malereien undder Abnahme der Dispersionsfarbe von denWänden.

Gonschor: Man wäre aber auf halbem Wege ste-hen geblieben, hätte man sich nicht zu diesemSchritt gemeinsam entschlossen und ein tragfähi-ges Finanzierungs-Konzept erarbeitet. Sie sehen,Herr Bertels, gottesdienstliche und denkmalpfle-gerische Anforderungen müssen nicht kontroversausgehen.Dennoch sieht die Denkmalpflege mit Sorge, dassdie Zeitabstände der Renovierungen und Umge-staltungen immer kürzer werden. Insofern mussich als Denkmalpfleger fast schon neue Ängstehaben vor einem denkbaren nächsten Konzil.

Bertels: Ich nicht, Herr Gonschor. Als Christ undArchitekt sehe ich dem in freudiger Erwartungentgegen. Wie unser Beispiel zeigt, steckt in derAuseinandersetzung eben auch die Chance einerguten Konsenslösung.Noch Fragen, Herr Gonschor?

Gonschor: Ja, Herr Bertels. Wann müssen wireigentlich wieder gegeneinander zusammen-arbeiten?

Bertels: Bereits nächste Woche, Herr Gonschor.Dort werden wir beide beim Künstlerwettbewerbfür die Altarraumgestaltung in Bisingen-Steinho-fen gemeinsam in der Jury sitzen. Ich freu’ michdrauf!

Gonschor: Ich gleichermaßen.

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Erzbischöflicher Baudirektor Stefan BertelsErzbischöfliches BauamtKonstanzKonzilstraße 778462 Konstanz

Dipl.-Ing. Lothar GonschorLDA · Bau- und Kunst-denkmalpflegeAlexanderstraße 4872072 Tübingen

19 Der mittelalterliche Altar.

20 Blick zum Chor. Simulation des zukünf-tigen Zustandes.

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1 Rottenburger Marktplatz um 1890

Thesen

Die Wahl einer Methode entscheidet mehr als dieHöhe eines Baubudgets über Erfolg oder Misser-folg von Maßnahmen, die dem Erhalt von kultur-historisch bedeutsamen Bauwerken dienen. Be-sonders die Auseinandersetzung mit Methodenkann nicht nur zu einer Linderung der derzeitigenFinanzmisere führen, sondern alle Maßnahmenin ihrer Nachhaltigkeit und Qualität optimieren.

Anlass

Der konkrete Anlass und Handlungsimpuls für dieDomrenovation war fast beiläufig aufgetreten.Ein Ende der Betriebszulassung für die bestehen-de Heizung bzw. des Kamins drohten den Ge-brauch der Kirche erheblich einzuschränken, wennkeine Ersatzmaßnahmen vorgenommen werdenwürden. Bauliche Verschränkungen machten tie-fer greifende Maßnahmen notwendig. Techni-sche Mängel und höhere Standards bei der Ver-

ringerung der Schadstoffemission der Heizung erforderten einen neuen Kamin. Zudem stelltenSicherheitsmängel im Dachbereich eine akuteBrand- und Absturzgefahr dar.

Ziele

Wie fast jedes Bauvorhaben begann auch die Re-novation des Domes sich mit kleinen, aber raschausweitenden Anforderungen zu entwickeln. Hilf-reich war es, dass nahezu alle Ziele formuliertwerden konnten, bevor die Suche nach Lösungenbegann. So war es möglich, die Vielzahl der Nut-zungen synoptisch in den Blick zu nehmen undsie in der Aufgabenstellung zu erwähnen.Zunächst stand die Beseitigung aller Missständeder Arbeitssicherheit, der Mängel der Baukon-struktion und der Haustechnik im Vordergrund.Bei der Erörterung der Schadensbehebung wur-den umgehend die Wünsche der Bauherrn nachVerbesserungen der liturgischen Vollzüge als Bi-schofskirche, vor allem bei Priesterweihen und

Renovation der Domkirche St. Martinus in Rottenburg Methode der Konzeptfindung

Qualitäts- und Budgetoptimierung durch Methoden der Konzeptfindung istdas Thema, das am Beispiel der Domkirche in Rottenburg gezeigt werden soll.Es ist eine Methode, die ihr Konzept über Wettbewerbsverfahren ermittelt.

Heiner Giese

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Konzelebration, benannt. Auch die Verbesserungvon liturgischen Handlungsräumen der gleich-zeitigen Gemeindekirche für 5000 Katholiken zurEntfaltung gemeindeliturgischer Vollzüge und pri-vater Frömmigkeit sollten ihren Niederschlag fin-den. Zudem wurde die Qualität der Kirchenraum-akustik für den Domchor mit 600 Mitgliedernund für die Domorgel als Instrument der Dom-liturgie und der Universität für Kirchenmusik an-gemahnt.Gleichzeitig ging man davon aus, dass eine durch-gängige partizipatorische Beteiligung aller Bau-herrn an den Entscheidungen im Planungspro-zess selbstverständlich sein würde.Angesichts der zahlreichen grundlegenden Reno-vationen in geringem Abstand von nur 25 Jahrenwünschte sich die Bauherrschaft eine größereNachhaltigkeit der anstehenden Maßnahme alsdie der vorausgegangenen Renovationen.Die Eignung des vorhandenen Kirchengebäudesals Bischofskirche war immer wieder in Zweifel ge-zogen worden, sodass sogar mehrere Versuche,den derzeitigen Dom durch einen Neubau zu er-setzen, nur knapp gescheitert waren.Diese Renovation sollte den Dom in seiner Eigen-art würdigen und ihn gleichzeitig als Bischofs-kathedrale erscheinen lassen.Ein starkes gestalterisches Konzept, dem es ge-länge, alle Anforderungen zu integrieren und nichtnur zu addieren und dabei zudem den ästheti-schen Rang einer Bischofskirche entspräche, sollterealisiert werden.Selbstverständlich wurde eine hohe Effizienz derBaumaßnahme bei limitiertem Kostenbudget er-wartet.Eine Dokumentation sollte die Transparenz allerSchritte letztendlich sicherstellen.

Vorgehensweise

Die Entscheidung für die Durchführung eines ko-operativen Verfahrens erfolgte durch den Bischofselbst, nachdem eine sukzessive Vorgehensweisein nur wenigen Besprechungen gescheitert war.Zwei Grundvoraussetzungen sollten die erfolgrei-che Durchführung des Planungsvorhabens sicher-stellen: 1. Die konsequente Nutzung von spezifi-schen Rollenkompetenzen und die Einhaltungder Rollenklarheit sollten der hohen fachlichenErörterung von Sachverhalten und der Eindeutig-keit von Entscheidungen dienen. 2. Die stufen-weise verfeinerte, planungsanaloge Behandlungder Entscheidungsgegenstände sollte notwendi-ge Festlegungen jeweils zum sachgerechten Zeit-punkt treffen lassen.

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4 Ausgangspunkt der Renovation: Sakristeimit defektem Kamin

2 und 3 Geplante Ersatz-neubauten um 1835 von Heinrich Hübsch und1904 von Josef Cades.

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Eine Arbeit nach diesen für Planer selbstver-ständlichen Grundsätzen schien, wie sich imVerlaufe der Renovation zeigte, jedoch Gebiets-konservatoren des LDA weitgehend fremd zusein. Möglicherweise kann der häufig anzutref-fende Konflikt zwischen Planern und Konserva-toren in der gegensätzlichen Methodik von Ge-bäudeplanung und archäologischer Forschungzu finden sein. Während Planer bereits vor Be-ginn der Realisierung alle notwendigen Fest-legungen getroffen haben, entdecken Archäo-logen erst in der Freilegung richtungsweisendeFakten. Im Fall der Renovation des Domes inRottenburg versuchte man diesen Konflikt da-durch zu entschärfen, dass alle relevant erschei-nenden und möglichen Untersuchungen vor der

Konzeptfindungsphase durchgeführt wurden.Auf diese Weise sollte ermöglicht werden, dassbeide Arbeitsweisen besonders gut zur Geltungkommen.

Voruntersuchungen

Das Bischöfliche Bauamt übernahm die Projekt-steuerung und Moderation des Verfahrens. Esveranlasste Untersuchungen der konstruktivenund haustechnischen Mängel durch einen freienArchitekten und Haustechnik-Ingenieur sowiedie Untersuchung von Feuchtigkeitsschäden imMauerwerk durch die FMPA. In Absprache mitder Denkmalpflege wurde eine Bauhistorikerinmit der Recherche und Darstellung der Renovati-

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5–8 Innenansichten des Rottenburger Domesum 1900, 1928, 1955und 1978.

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onsgeschichte beauftragt und im Anschluss eineVerifikation der Befunde / Hypothesen durch Den-drochronologie vorgenommen.Mit den Bauherren – dem Bischof, dem Domkapi-tel, der Kirchengemeinde und den weiteren Nut-zern – erfolgte eine erste Aufstellung der Nutzer-anforderungen. Ein Wettbewerbsbetreuer waranschließend mit Zusammenfassung aller Resul-tate betraut worden.

Aufgabenstellung

Im weiteren Schritt wurde gemeinsam mit Bau-herrn, Preisrichtern, sachverständigen Beraternund Wettbewerbsteilnehmern aus den Mängel-berichten, den geringen Überlieferungen vor-ausgegangener Baumaßnahmen, den vielfältigenund zum Teil gegensätzlichen Wünschen vonBauherrn und Nutzern und den Ergebnissen derBauforschung eine hypothetische Entwurfsauf-gabe formuliert. Im Anschluss wurden hierdurchweitere ergänzende Untersuchungen angeregtund durchgeführt.Im dritten Schritt wurde in einem Kolloquium dieendgültige Fassung der Entwurfsaufgabe festge-legt. Zu den geforderten Leistungen wurde diemodellhafte Darstellung des Konzepts im Maß-stab 1:100 zusätzlich aufgenommen.Im vierten Schritt sprach ein Preisgericht, dasnach den Grundsätzen und Richtlinien für Wett-bewerbe organisiert worden war, unter Wür-digung aller synoptisch dargestellten und ge-wichteten Anforderungen, eine einstimmige Emp-fehlung zur Weiterbeauftragung aus. Indem ein

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10 Ergebnis der Bau-forschung: Querschnitteiner Stütze im Dom, der die Entwicklung dieses Bauteils darstellt.

11a–c Analyse derGrundrissgeometrie der einzelnen Bau-körper und Darstellungder liturgischen Wege.

9 Grundriss der ehemaligen Liebfrauenkapelle im Dom

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Konzept gefunden worden war, das die gestellteAufgabe umfassend erkannte und in ihren we-sentlichen Teilen gelöst hatte, war der qualitäts-bestimmende Schritt größtenteils vollzogen.Die empfohlene Arbeit des ArchitektenbürosHahn-Helten, Aachen, zeichnete sich vor allemdurch eine feinsinnige Analyse des Grundpro-blems der Domkirche, die Achsverschiebung zwi-schen Kirchenschiff und Chor, sowie durch ihrenmutigen Lösungsvorschlag aus. Diese Achsver-schiebung hatte in der Vergangenheit immer wie-der zu wenig geglückten Lösungsversuchen durchInnenrenovationen geführt. Die Entdeckung desTurms als Sakramentshaus war wie ein Geschenk.Wie selbstverständlich ließen sich dadurch liturgi-sche Vollzüge im Kirchenraum anordnen. Das Ge-bäude kam mit seinen Teilen ins lang gesuchteGleichgewicht.

Beauftragung

Im fünften Schritt beschlossen alle drei Bauher-ren, auf Grundlage des im Wettbewerb ermit-telten Vorentwurfs einstimmig der Empfehlungdes Preisgerichts zu folgen. Damit waren nun allegrundsätzlichen Festlegungen der Aufgabe, wieFunktionsorte und konzeptuelle Absichten, allge-mein akzeptiert und wurden von keiner Seite miteinem Veto belegt. Diese Voraussetzung war dieconditio sine qua non.

Durchführung

In gemeinsamen Entscheidungssitzungen wur-den anschließend jede weitere Planungsstufe imGesamten wie im Detail mit zunehmender Kon-kretion und Genauigkeit weiter beraten und Stu-fe für Stufe, von der konzeptuellen Absicht biszur Materialwahl, festgelegt. Dabei erfuhr dasWettbewerbskonzept schrittweise Präzisierungen,

ohne seine Kontur und sein Budget verlassen zumüssen. Alle Entscheider, wie auch die Gebiets-konservatoren des Landesdenkmalamtes, vollzo-gen jede vorgeschlagene architektonische Gestal-tung und Festlegung kritisch, gemeinsam undzeitgleich mit, ohne in allen Punkten durchge-hend Einstimmigkeit erreicht zu haben. Durchdiese Vorgehensweise konnte jedoch ein Höchst-maß an fachlicher Präzision, an Mitbestimmungund Budgettreue erzielt werden.

Fazit

Die Methode der Konzeptfindung für die Reno-vation des Domes in Rottenburg kann als exem-plarische Arbeitsweise in der Bestandserhaltungangesehen werden, weil sie Gebäudenutzung,Denkmalpflege und Planungsprozess ganzheit-lich auffasst, und dabei die spezifischen Arbeits-weisen jeder Disziplin zur Geltung kommen lässt.Die planungsgerechte Staffelung der Konzept-entwicklung führte zu überschaubaren und prä-zisen Entscheidungen im jeweiligen Planungs-maßstab. Die breite Erörterung von Anforderun-gen, Budget und Optionen in maßstabsorien-tierten Phasen ließ fachgerechte Optimierungenzu. Die erforderliche Durchsetzung der Gesamt-sicht konnte zwangsläufig nicht immer die Ma-xima einzelner Aspekte erfüllen.Eine gleichzeitige Dokumentation aller Schrittemachte Entscheidungsabläufe transparent undnachvollziehbar. Trotz des außerordentlichenGrades an Bauherrn-Beteiligung entstand einweitgehend von Einzelpersonen unabhängigesVerfahren, dessen Kontinuität auch durch Per-sonalveränderungen bei den Bauherrn nicht be-einträchtigt wurde. Konzept- und Budgettreueerzeugte nachhaltige Wirksamkeit der Maßnah-me, weil alle Ressourcen zielgerichtet, reflektiertund ökonomisch eingesetzt werden konnten. DieNutzung des Gebäudes ist vielschichtig verdich-tet und damit langfristig gesichert. Die Eingriffein die Substanz sind auf Unverzichtbares redu-ziert worden.

Grundlagen der Methode

Noch heute sind für die Architekturauffassung imUmgang mit bestehenden Gebäuden zwei „Er-rungenschaften“ der Aufklärung aktuell. 1. Seitdieser Zeit wurden Bauwerke nicht mehr nur alskonstruktive Hüllen, sondern verstärkt als ge-schichtliche Zeugnisse angesehen. Bauliche Ge-staltungen wurden zunehmend in Beziehungzum Vorausgeschaffenen verstanden. Die eigeneErfindung fußte auf den Innovationen der Ver-gangenheit. Und dieses nicht mehr allein im Sinnvon tradiertem, persönlichem Handwerkswissen,

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12 Inhalt der Auf-gabenstellung des Wettbewerbs.

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sondern als abstraktes, gesellschaftlich verfügba-res Funktions- und Formwissen. Der Beginn derBaugeschichtsschreibung vollzog sich analog mitdem Bewusstwerden der eigenen Relativität, desBezogenseins in einen gestalterischen und tech-nischen Entwicklungsprozess.2. Die Bezogenheit des Einzelnen aufs Ganzewurde in der Aufklärung zum Thema. Damit be-schäftigte sich das Denken mit ganzheitlichenSystemen. Mit dem Ansatz eines ganzheitlichen Zusammenhangs fokussierte sich die Aufmerk-samkeit sowohl auf die Gesamtheit von gleichenObjekten als auch auf Zusammenhänge undWechselbeziehungen des Details zum Ganzen. Das daraus hervorgehende systemhafte Denkenwurde Voraussetzung für den enormen Produkti-vitätssprung der industriellen Revolution. DasDenken in Systemen ließ Funktionen trennen und

sie in ihrer spezifischen Wirkung untersuchen.Der Schritt durch Funktionstrennung zur Arbeits-teilung und extrem gesteigerten Arbeitseffizienzwar nicht mehr weit.Für die Methode zur Konzeptfindung warensowohl das Verständnis des Bauwerks als ge-schichtliches Zeugnis wie auch die Sicht seinerganzheitlichen Zusammenhänge grundlegend.Wir erwähnen dieses, weil das Wissen um diehieraus abgeleiteten Potentiale Grundlagen seinkönnten, um allgemeine Methoden zu diskutie-ren, mit denen Gebäude im Bestand entwickeltwerden.Die Vielzahl der Gebäude der Kirchengemeinden,ca. 5000 Einheiten in der Diözese, aber nur einebegrenzte Menge an Gebäudetypen, wie Kir-chen, Pfarrhäuser, Gemeindehäuser und Kinder-gärten, erlauben dem Bischöflichen Bauamt eineArbeit an der „Methode der Bestandspflege“. Sieerlauben sowohl eine permanente Präzisierungder Methoden als auch die Konzentration auf diequalitätsbestimmenden Schritte eines Planungs-verfahrens.

Aktuelle Rahmenbedingungen

Es ist unter optimalen Bedingungen bereits einegroße Herausforderung vielfältige aktuelle Nut-zungsanforderungen, architektonische Qualität,verantwortlichen Umgang mit historischer Bau-substanz, Partizipation, Ökologie und Ökonomiein einem Konzept zu vereinen. Innerhalb der letz-ten Jahre haben sich die Parameter der Ökono-mie im Unterschied zu allen anderen besondersdeutlich verändert. Die Bewältigung der hierauserwachsenen Anforderung ohne Verzicht aufQualität und Quantität ist zurzeit die größte Her-ausforderung.Die Übersicht „Entwicklung des Investitionsvolu-mens der Kirchengemeinden in der Diözese Rot-tenburg-Stuttgart in den letzten sieben Jahren“(Abb. 13) zeigt den drastischen Rückgang der In-vestitionsmittel um mehr als dreißig Prozent beigleichzeitig steigender Tendenz der Menge derVorhaben. Daraus folgt, dass jedes Projekt heuteum fast 40% leistungsfähiger sein muss als vorsieben Jahren.Eine Steigerung der Effizienz und gleichzeitig ei-ne „Verringerung der Baukosten“ (Abb.14) konn-

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15 Bogendachkon-struktion von Philibert de l‘Orme, die eineMaterialeinsparung von 75% bei gleicherSpannweite ermög-licht. Aus: Rainer Gräfe in: Geschichte des Kon-struierens II, KonzepteSFB 230 Heft 15, April 1985.

16 EntscheidendePhasen für den Pro-jekterfolg. Nach Wie-gand, Jürgen, Leit-faden für das Planen und Bauen mit Hilfe der Wertanalyse.

100%

50%

0%

MöglichesAusmaß vonOptimierungs-maßnahmen

BaulicheInvestitions-kosten

Gru

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Ab

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KostenNutzen

13 Entwicklung des Investitionsvolumens der Kirchengemeinden in der Diözese Rotten-burg-Stuttgart.

14 Einfluss des Wett-bewerbsverfahrens aufdie Baukosten. Beispiel-hafte Auswertung von 20 Wettbewerbsver-fahren. Grau: Kubaturwenig reflektierter Entwürfe. Weiß: durch-schnittliche Kubatur aller Entwürfe. Schwarz:Kubatur des beauftrag-ten Entwurfs.

0 %

100 %

80 %

60 %

40 %

20 %

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te durch Wettbewerbsverfahren erzielt werden.Die dadurch gewonnenen Spielräume können als real eingespartes Investitionsvolumen oderals Steigerung der Menge realisierter Projekteum den genannten Betrag angesehen werden.Die Wahl von reflektierenden und erörterndenMethoden führt aber nicht nur zur dringend ge-wünschten Senkung von Baukosten um ca. 30%,sondern gleichzeitig zur Steigerung der Nachhal-tigkeit.

Resümee

Die Methode der Konzeptfindung für die Reno-vation des Domes in Rottenburg kann als exem-plarische Arbeitsweise in der Bestandserhaltungangesehen werden, weil sie die Planung ganz-heitlich auffasst und dabei sich prozesshaft ver-hält. Sie bietet die Möglichkeit, durchgängig dieGesamtsicht zu halten und alle Ebenen mit Fach-und Sachverständigen zeitgleich Phase um Phasezu vertiefen. Sie setzt am entscheidenden Punktder Aufgabenstellung an und erhält dadurch einegrößtmögliche Wirkung.Neben architektonischen und denkmalpflegeri-schen kann sie auch auf andere spezifische Auf-gabenstellungen übertragen werden; z.B. auf einBeleuchtungskonzept, auf Einfügungen von neuenOrgeln oder auf „Ökologische Bestandsentwick-lungen“.Denn letztlich entscheidet die Wahl einer Metho-de über Erfolg der Maßnahme.

Diözesanbaumeister BDA Heiner GieseBischöfliches BauamtPostfach 972101 Rottenburg am Neckar

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17 Grundriss des beauftragtenEntwurfes vom ArchitekturbüroHahn-Helten, Aachen.

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Den damaligen Neubauwünschen begegnete der„Königlich (natürlich württembergische) Katholi-sche Kirchenrath“ schroff: „...auch trägt eingroßartiger Tempel zu Rottenburg nichts dazubey, dass die Katholiken Württembergs zu geisti-gen Tempeln Gottes werden“. Namhafte Archi-tekten wurden von der Diözese mit Neubaupla-nungen beauftragt. So der Karlsruher Residenz-

baumeister Heinrich Hübsch 1834, der durch sei-ne berühmte Streitschrift aus dem Jahre 1828 „Inwelchem Style sollen wir bauen?“ in aller Mundewar, und auch der um 1900 meist beschäftigteKirchenarchitekt der Diözese, der Stuttgarter Jo-sef Cades. Zu einer Neubaurealisierung kam es je-doch nicht.Der Unzufriedenheit der neuen Nutzer zum Trotz

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1 Rottenburg, Dom St. Martin, Blick in Langhaus undChor, Aufnahme nach 1897, um 1900.

Der Dom zu RottenburgAspekte der Umbaugeschichte

Der Reichsdeputationshauptschluss, der sich Ende Februar dieses Jahres zum 200. Mal jährt, bedeutete auch für das vorderösterreichische Oberamts-städtchen Rottenburg tief greifende Veränderungen. Nach der Errichtung des Bistums Rottenburg im Jahre 1821 – die Stadt war mittlerweile in würt-tembergischem Besitz – wurde die Stadtpfarrkirche St. Martin mit der In-thronisierung des ersten Bischofs Johann Baptist von Keller 1828 zur Dom-kirche erhoben. Der anstelle eines romanischen Vorgängers und der früh-gotischen Liebfrauenkapelle nach 1424 errichtete Kirchenbau St. Martin warnun allerdings alles andere als eine Bischofskirche. Bereits 1821 urteilte derspätere Rottenburger Bischof von Keller: „Stößt sie nicht gegen die Regeln der Symmetrie? Verdüstert sie darum schon das Gemüt beim Eintritte? Ja, siesteht der gemeinsten Dorfkirche wenigst darin nach, dass ihr Vorderhaus –der Chor – völlig schief steht in der Richtung mit dem Langhause!“

Michael Goer

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handelt es sich bei der Martinskirche heute umein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung.Im Herzen der Stadt auf dem Marktplatz errich-tet, stellt sie ein wichtiges und vielschichtigesBaudokument dar. Die dreischiffige und sechs-jochige Basilika der Spätgotik mit ihrem nachNordosten asymmetrisch versetzt anschließen-dem Polygonalchor ist in ihrem Äußeren bis heuteweitgehend erhalten geblieben. Der von der Sa-kristei umbaute Chorflankenturm stammt in sei-nen unteren Geschossen noch aus der Zeit um1280. Sein unterer Turmraum mit frühgotischemKreuzrippengewölbe wird uns an anderer Stellenochmals beschäftigen. Nach dem Vorbild derReutlinger Marienkirche wurde nach 1486 dasTurmquadrat im Glockengeschoss in einen okto-gonalen Steinhelm überführt. Kunstvoll ist derTurmhelm von runden Maßwerkeinsätzen mitteils figürlichen Füllungen durchbrochen und auf-wändig mit Krabben besetzt.Der Innenraum mit seinen Rundbogenarkadenauf Pfeilern mit jüngeren halbrunden Vorlagengeht im Wesentlichen auf einen Umbau nachdem großen Stadtbrand von 1644 zurück. Einerspäteren Phase der Barockisierung sind dieStichtonnengewölbe des Mittelschiffs und dieKreuzgratwölbungen der Seitenschiffe zuzuord-nen; mit Ausnahme der beiden östlichen Seiten-schiffjoche allesamt in Holzkonstruktionen und inweiß getünchtem Putz. Durchaus vergleichbarmit zahlreichen anderen Kirchenbauten erfuhrdie Domkirche St. Martin eine neugotische Um-gestaltung. Unter dem württembergischen Ober-baurat Josef von Egle erfolgten zunächst 1867/68die Neueinwölbung des Chores und dort auch der

Einbau feingliedriger Maßwerkfenster. 1895–97wurde dann der gesamte Innenraum historisie-rend ausgemalt und ausgestattet. Schon eherdem individuellen Ringen nach einer angemesse-nen und sich von den sonstigen Pfarrkirchen derDiözese abgrenzenden Innenraumgestaltung sinddie beiden neobarocken Fassungen von 1927/28 und zuletzt sogar noch von 1977/78 zuzu-rechnen. Die dennoch bleibende Unzufriedenheitdreier Nutzer, nämlich Diözesanbischof, Domka-pitel und Dompfarrgemeinde, sowie gravierendebautechnische Mängel mündeten 1999 in einenWettbewerb zur Domrenovation. „Denn nur eineRenovation des Innenraums nach einem in sichstimmigen Gesamtkonzept – für die Architekturder Raumschale sowie der Präzisierung der litur-gischen Orte – könne Charakter und Würde derKathedralkirche St. Martin heute angemessenund langfristig zur Geltung bringen.“Das Landesdenkmalamt Baden-Württembergstand einer Neufassung des Innenraums grund-sätzlich positiv gegenüber. Der entsprechendePassus in der Auslobung lautete: „Die Domkirche

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2 Rottenburg, DomSt. Martin, Ansicht von Südwesten, Aqua-rellierte Zeichnung von F. Entreß um 1890.

3 Rottenburg, DomSt. Martin, Grundriss der ehem. Liebfrauen-kapelle (schwarz) und Erweiterung zur St. Mar-tinskirche (heutiger Zu-stand): nach: Der Sülch-gau. Jahresgabe desSülchgauer Alterumsver-eins e.V.; Rottenburg1966 sowie Architektur-büro Hahn u. Helten.

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ist ein Baudenkmal. Der Innenraum kann sich we-gen der versetzten Mittelachse zwischen Chorund Schiff und wegen der kräftig verstärktenArkadenpfeiler nach dem Brand von 1644 nichtin der ihm gemäßen Weise entfalten. MehrfacheRenovierungen haben weitere Spuren hinterlas-sen“. Schon im März 1955 wurde in einem Gut-achten des Denkmalamtes angemerkt: „Das Gan-ze aber lässt jene anderswo oft bewunderte Ge-schmeidigkeit vermissen, die auch aus der Vielfalteine Harmonie zu erzeugen weiß. Dieses Ein-drucks kann man sich im Inneren des Doms nichterwehren. Und leider beruhigt sich das Auge des kritischen Betrachters nicht, auch wenn er öf-ters und länger in dem Bauwerk weilt. Unwilligdrängt sich einem der Wunsch auf, es möge Ent-scheidenderes zur Verbesserung des Raumes ge-schehen“. Dieses Zitat von 1955 trifft im Grundeimmer noch zu, obwohl seitdem zwei weitere Re-novierungen stattgefunden haben! Aus der Sichtder staatlichen Denkmalpflege weisen nur weni-ge Elemente der Innenraumgestaltung und Aus-stattung eine Qualität auf, die deren Beibehal-tung zwingend erscheinen lässt (Kruzifix im Chor-bogen, Apostelfiguren, Grabplatte, Farbverglasungim Chor und in der Westwand). Für den Wettbe-werb ergibt sich daher ein weit gesteckter Spiel-raum für Veränderungen.“Den 1. Preis gewann das Architekturbüro Hahnund Helten aus Aachen. Zu deren zentralen An-liegen zählen die Schaffung einer zum Langhaushin geöffneten Sakramentskapelle im kreuzrippen-gewölbten Turmraum und die Aufhängung vonkreissegmentförmigen Deckenschalen im Mittel-

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4 Rottenburg, DomSt. Martin, Blick in Lang-haus und Chor, Auf-nahme nach 1928, um1935.

5 Rottenburg, DomSt. Martin, Architektur-modell zur Innenrenova-tion, ArchitekturbüroHahn und Helten, 1999.

6 Rottenburg, DomSt. Martin, Grundriss-Disposition, Architektur-büro Hahn u. Helten,1999.

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schiff. Ich zitiere aus der Beurteilung des Preis-gerichts: „Der Verfasser erreicht durch seinenVorschlag, den Turm, der den Dom äußerlich aus-zeichnet und der dem Grundriss der Kirche seineindividuelle Prägung gibt, als Ort des Allerheiligs-ten auszuweisen, (so) dass die Problematik derAchsenverschiebung zwischen Chor und Schiff in eine sinnerfüllte Spannung gewandelt wird.“Und an anderer Stelle: „In konsequenter Wei-terführung dieses konzeptionellen Ansatzes istdie Gewölbezone des Kirchenschiffs durch ‚Ein-hängen‘ einer Sekundärarchitektur in ein neuesSpannungsverhältnis zum Chorgewölbe gesetzt.Damit wird einmal dem Kirchenschiff die augen-blickliche Zufälligkeit genommen, zum anderenwird das Miteinander von Turm-Chor-Schiff arti-kuliert.“Aus denkmalpflegerischer Sicht wurden grund-sätzlich sämtliche beabsichtigten Substanzein-griffe kritisch gesehen. Dennoch, und das ist hiersehr wichtig, erfolgte damals angesichts der er-kennbaren liturgischen Belange kein Einwandgegen die Durchbrüche durch die Turmwand.„Schwere und Aufwand eines solchen Unterfan-gens müssen jedoch durch einen konzeptionellenGewinn ausgeglichen werden. Eine reine Türver-legung, wie im Beitrag (des Architekten X) vorge-schlagen, wird zur Begründung keinesfalls aus-reichen, eher dagegen die Einrichtung des Turm-raums zur Sakramentskapelle wie im Entwurf vonHahn und Helten. Die Detaillierung bedarf jedoch... einer weiteren intensiven denkmalpflegeri-schen Auseinandersetzung ... Die ... vorgeschla-genen Deckenschalen bieten als reversible Zutatgrundsätzlich eine diskussionsfähige Möglichkeitfür die Gestaltung des Mittelschiffs an, bergenallerdings die Gefahr modischer Verfremdung,wenn sie nicht mit gebotener künstlerischer Sen-sibilität und Sorgfalt umgesetzt werden.“Das Verhältnis zwischen der Bauherrschaft undder staatlichen Denkmalpflege blieb jedoch nichtungetrübt. Im Rahmen der Baudurchführungkonnten mehrere Aspekte trotz vielfachen Be-mühens von der Sache her nicht einvernehmlich

und partnerschaftlich gelöst werden. Zu den strit-tigen Punkten zählen:– die spezifische Ausbildung der Deckenschalen

im Langhaus, deren Rhythmus die Gewölbe-joche unterschiedlich anschneidet;

– die konkrete Ausführung der Baueingriffe inden mittelalterlichen Turm;

– die Neuanlage eines Nordportals trotz einesnahe gelegenen Altbestandes;

– die Entfernung des neugotischen Türblattes amSüdportal zugunsten einer teilverglasten Türeanalog zu den Formauffassungen am Haupt-portal;

und schließlich:– die Anlage einer lediglich zweiläufigen Außen-

treppe vor diesem Südportal statt der von unsfavorisierten dreiläufigen Anlage.

Versucht man die Differenzen zu systematisieren,fallen mir zweierlei Dinge auf:1. Notwendige Detailabstimmungen wurdenmangels zunächst vereinbarter Entscheidungs-grundlagen erschwert. Die mehrfach erwünschteModellsimulation einer Deckenschale im Maß-stab 1:1 beispielsweise fand aus Kostengründennicht statt.2. Für Einzelmaßnahmen wurden gottesdienstli-che Belange vorgetragen, deren Schlüssigkeit dieFachbehörde nicht gänzlich überzeugt. Sind diedurchgeführte Form der Seitenportale und derenAnordnung – Stichwort: liturgische Wege – tat-sächlich uneingeschränkt privilegiert, zumal siewegen der benachbarten Pfeiler in ihrem Ach-

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7 Rottenburg, DomSt. Martin, Altarbereichund Sakramentskapelle,Entwurfsskizze Architek-turbüro Hahn u. Helten,1999.

8 Rottenburg, DomSt. Martin, Zugang zur Sakramentskapelle,Aufnahme September2002.

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senbezug im Innenraum kaum wahrgenommenwerden?Ziehen wir ein Resümee: Über die Notwendigkeitoder zumindest Möglichkeit einer umfassendenNeugestaltung des Innenraums der RottenburgerBischofskirche St. Martin bestand und bestehtzwischen den Kirchenvertretern und der Denk-malpflege Einigkeit. Das Faszinosum einer zumLanghaus hin geöffneten Sakramentskapelle imunteren Turmraum als Allerheiligstes wurde ent-sprechend den gottesdienstlichen Belangen undder damit eng verbundenen Architekturidee mitgetragen, wenn auch der Preis des Substanzver-lustes hoch anzusetzen ist. Für einen uneinge-schränkten Schulterschluss fehlte allerdings nochdas hohe Maß gegenseitigen Verständnisses.Im Jahre 2021 wird sich die Entstehung der Diö-zese Rottenburg zum 200. Mal jähren. Die Zu-kunft wird zeigen, ob die Idee der jetzigen In-nenrenovation bei den Menschen ankam, oderob Kirche und Denkmalpflege erneut um Lösun-gen werden ringen müssen.

Quellen und Literatur:

Ortsakten des Landesdenkmalamtes Baden-Würt-temberg, Außenstelle Tübingen.Dieter Manz: Die Dom- und Pfarrkirche St. Martin zuRottenburg am Neckar. Das Bauwerk und seine Ge-schichte. Rottenburg 3. Aufl. 1997.Der Dom St. Martin in Rottenburg am Neckar. Dom-renovation. Bauforschung und Gutachterverfahren,Rottenburg 2001.

Dr. Michael GoerLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeAlexanderstraße 4872072 Tübingen

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10 Rottenburg, DomSt. Martin, Blick auf die Decke im Lang-haus mit eingehängtenDeckenschalen, Aufnahme September2002.

9 Rottenburg, Dom St. Martin, Blick in Langhaus und Chor, Aufnahme September 2002.

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1 Evangelische Alexan-derkirche in Marbach am Neckar. Bauinschriftam Turm.

Die Aspekte der Innenerneuerung waren Teileines umfassenden Gesamtkonzepts für die Sa-nierung und Restaurierung der Alexanderkirche.Deshalb soll hier auch kurz auf die Baugeschichteder Alexanderkirche und auf den baulichen Zu-stand vor den durchgeführten Maßnahmen ein-gegangen werden.In den Zielvorstellungen und Nutzungsüberlegun-gen werden sowohl die denkmalpflegerischenGrundsätze, die auch im kirchlichen Bauen beider Erhaltung und Erneuerung unserer Kirchengelten, als auch die Überlegungen zur zukünfti-gen Nutzung dargestellt.Auf der Grundlage des Gesamtkonzepts gehe ichauf einige der wichtigsten Aspekte bei der durch-geführten Innenerneuerung ein.Den Abschluss bildet ein Resümee der mehr alsfünf Jahre währenden Arbeiten an und in derAlexanderkirche.

Zur Baugeschichte der Alexanderkirche

Die spätgotische Alexanderkirche ist eine dergroßen und bedeutenden Staffelhallenkirchen in der ehemaligen Grafschaft Württemberg. Sieentstand in mehreren Bauphasen: „anfang deskors 1450 / anfang der kirchen 1463 / anfang desturms 1481“. Diese Inschrift findet sich am Turmüber dem Westportal (Abb. 1). Der bekanntewürttembergische Baumeister Aberlin Jörg hatsein Wappen, einen schwarzen Sparren und dreirote Sterne auf goldenem Grund, als östlichs-ten Schlussstein im Chor hinterlassen, ebenso als

Schlussstein in der Sakristei und in den Hän-den eines kleinen Engels, am Gesims über demChorgestühl an der nördlichen Chorwand an-gebracht. Aberlin Jörg hat das Langschiff 1453(Jahreszahl an der Südwestecke) noch begon-nen, dann aber wegen wechselnder Besitzver-hältnisse in Marbach nicht vollendet. In der kur-pfälzischen Zeit, ab 1463, haben andere Meister,deren Namen wir nicht kennen, weitergebautund die Kirche im jetzigen Zustand vollendet(Abb. 2).Von diesem Meister-Wechsel rühren offensicht-lich auch die zugemauerten Fenster in den Ober-gaden her, die den Schluss nahe legen, dass ur-sprünglich eine Basilika geplant, aber infolge desWechsels der Baumeister nicht ausgeführt wur-de. Dadurch ergab sich eine Staffelhalle, die dieHöhe des Mittelschiffes und der Seitenschiffe biszum einheitlichen Dach begrenzt und im Innen-raum ein harmonisches Verhältnis ergibt. Nach-teil dieser Innenraumgestaltung ist das knappeLichtangebot im Mittelschiff.Das fein gegliederte Netzgewölbe von Mittel-und Seitenschiff macht die Unverwechselbarkeitdes Innenraumes aus. Bedeutende Ausstattungs-kunstwerke wie etwa die Kanzel und Reste desChorgestühls stammen aus dem 15. Jahrhundert.Besonders hervorzuheben sind auch die Viel-zahl von Schlusssteinen und Gewölbeplastiken inSchiff und Chor, der Wendeltreppenturm und dieSakristeitüre mit kunstvoll geschmiedeten Eisen-beschlägen. Die Reste von Wandmalereien unddie 1926 /27 neu gefassten Deckenmalereienzeugen von der ehemals reichen Ausstattung derKirche.Der hohe Turm mit seinem spitz zulaufenden,schiefergedeckten gotischen Turmhelm be-herrscht auch heute noch das Stadtbild von Mar-bach, wenn man vom Neckar her in die Stadtfährt. Der hohe Chor mit schlanken Fenstern und

Evangelische Alexanderkirche MarbachIm Spannungsfeld zwischen Nutzung und Erhaltung

Zur Konzeption der Erneuerungsarbeiten in der Alexanderkirche Marbach am Neckar aus der Sicht der Bauberatung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Am Beispiel der evangelischen Alexanderkirche in Marbach am Neckar stelle ich Aspekte einer Innenerneuerung vor. Liturgische Fragenund denkmalpflegerische Forderungen waren dabei begleitende Diskussions-anlässe.

Ulrich Gräf

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spätgotischem Maßwerk ist durch Strebepfeilerabgesichert. An der Südseite des Chors bestandein Ölberg, dessen Reste gesichert werden müs-sen.Offensichtlich sollte mit dem Neubau der Alexan-derkirche auf dem Platz der alten großen Urkirchedie damalige Residenzstadt der Grafen von Würt-temberg mit einer angemessenen Kirche in ihrerBedeutung gestärkt werden. Bis heute dokumen-tiert die Alexanderkirche mit ihrer Lage im altenDorf Marbach die Entwicklung der Stadt Mar-bach und veranschaulicht die Tradition des über-lieferten und gewachsenen Standorts einer Kir-che.

Innenerneuerung 1926–1928Die letzte große Innenerneuerung erfolgte in denJahren 1926–1928 und ist gut dokumentiert. DieInnenaufnahme zeigt den baulichen Zustand un-mittelbar vor den Erneuerungsmaßnahmen 1926(Abb. 3). Aspekte, die auch wieder für die Innen-erneuerung 1999 von Bedeutung waren, sindhier erkennbar:– Die Ausrichtung des Schiffs auf Altar, Kruzifix

und Taufstein in der Mitte.

– Der Mittelgang wurde begleitet von quer ge-stellten Bänken.

– Die Altarstufenanlage zeigt noch den Zustandaus dem 18. Jahrhundert.

– Es ist deutlich zu sehen, dass der Chor in hellesLicht getaucht ist, während das Kirchenschiffdurch die verschlossenen Obergadenöffnun-gen wesentlich dunkler ist.

Was hat die Innenerneuerung von 1926 bis 1928verändert?Die Bänke wurden nach dem Vorbild des 18. Jahr-hunderts erneuert und wieder so gut es ging aufdie Kanzel ausgerichtet. Wichtigstes Ziel war,möglichst viele Sitzplätze zu schaffen.Die Stellung des Altars, der für den von der West-seite Eintretenden wichtig ist, blieb unverändert.Das Kruzifix wurde hinter den Hochaltar im Chorversetzt (Abb. 4).Es wurde eine neue Orgelempore für den Orgel-neubau von 1931 eingebaut.Die barocken Fensterverglasungen im Chor wur-den in Butzenglas erneuert (in den 1970er-Jahrennochmals, allerdings nicht mehr sehr qualitäts-voll).

Zum baulichen Zustand vor der Renovierung 1996–2001

In den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts wurdender Turm und die Fassaden und Fenster erneuert,aus dieser Zeit stammt wohl auch die Schiefer-deckung des Turms. Die letzte größere Außener-

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3 Alexanderkirche. Ausgeräumte Staffel-halle, Zustand 1926.Foto: LDA.

2 Alexanderkirche,Grundriss. Bestand vor Erneuerung, 1931. Vorlage: Architektur-büro M. Weccard, Marbach.

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neuerung erfolgte 1926–1927; vor allem die Zie-gel der Dächer wurden in dieser Zeit erneuert. Bisheute erfolgten mehrere kleinere Reparaturenam Dach und an den Fassaden, zuletzt 1992 dieVersetzung der Epitaphien an der Südseite undderen Unterbringung in der Durchfahrt des Tor-hauses und wieder im Inneren der Kirche.Der bauliche Erhaltungszustand des Äußerenlässt sich am besten so charakterisieren, dass dieKirche in einem schlechteren Zustand war, als es,oberflächlich betrachtet, den Anschein hatte. DerPutz an den Fassadenteilen mit Bruchsteinmauer-werk war in großen Teilen abgewittert und hat-te bereits zu Schäden am Bruchsteinmauerwerk (vor allem in den Fugen) geführt. Die Gesimse anTurm, Schiff und Chor waren in großen Teilen soschadhaft, dass die Wasser abführende Wirkungweitgehend gestört oder nicht mehr gegebenwar, was vor allem Schäden am Mauerwerk ver-ursachte. Die Quadersteine und Profilsteine imChor waren in Teilen an den Oberflächen geschä-digt (absandende und abschalende Oberflächen)und die Fugen großenteils nicht mehr intakt. Abgewitterte und ausgebrochene Steine sowiedie Ausbruchstellen der versetzten Epitaphien aufder Südseite ergaben weitere Schadensbilder.(Dokumentation und Maßnahmenkonzept wur-den durch den Steinrestaurator auf der Basis derphotogrammetrischen Auswertung vorgenom-men.)

Die Fensterkonstruktion im Maßwerk sowie derBleiverglasung waren labil und gefährdet. Aucheine Erneuerung des Biberschwanzdachs konntenach ersten Untersuchungen nicht unterbleiben,wobei die Instandsetzung der Blechverwahrungenentscheidend zu diesem Schritt beigetragen hatte.Der Turmhelm war in der Holzkonstruktion undseiner Dachdeckung mit Schiefer in desolatemZustand. Mit einer kompletten Erneuerung derSchieferdeckung und Teilsanierung der Holzkon-struktion musste sehr bald ebenfalls gerechnetwerden. Der Wetterhahn hing seit vielen Jahrenschief, was auf Verformungen des Holzwerksschließen ließ. Aus den Unterlagen war bekannt,dass der Turmhelm bereits 1927 erneuert werdensollte, was aber damals wegen fehlender Mittelzurückgestellt wurde. Deshalb war schnell klar,dass auch hier die einfachere Reparatur einzelnerTeile nicht mehr ausreichte.Die Innenaufnahme von 1928 (vgl. S. 84, Abb. 2)zeigt den frisch renovierten Zustand, noch ohneOrgel, die erst 1931 eingebaut wurde (vgl. S. 86,Abb. 7). Augenfällig wurde ein neues Gestühl ein-gestellt, das eine größere Zahl von Sitzplätzen zurVerfügung stellte, das aber in der Ausführung undAnordnung nicht der Qualität des Raumes mitseiner künstlerisch und handwerklich hochwerti-gen Gestaltung entsprach und eine vielfältigereNutzung der Kirche von Anfang an erschwerte.Da die Fenster im Obergaden des Mittelschiffesaufgrund der veränderten Bauausführung zuge-mauert sind, ist die Lichtführung stark auf denChor ausgerichtet, dessen einstmals gestalteteFenster durch eine helle, unpassende Butzen-verglasung ersetzt wurden, die zudem in den1970er-Jahren wenig qualitätvoll erneuert wur-de. Der Chor ist dadurch gegenüber dem Schiffstark aufgehellt. Dies gilt bis heute und wird erstmit einer neuen künstlerischen Verglasung derChorfenster wieder in angemessener Weise zukorrigieren sein. Die Reste der Wandmalereienund die 1926–27 erneuerten Deckenbemalun-gen sind in ordentlichem Zustand. Nicht uner-heblich haben dazu die eingeschränkte Benut-zung des Raumes und der Verzicht auf eine Be-heizung beigetragen.Vor allem der schadhafte Bodenbelag der 20er-Jahre aus Solnhofer Platten mit den damals vor-bereitend eingebauten Heizungsschächten undeine defekte elektrische Installation zwangenzum Handeln. Der Zustand der elektrischen Lei-tungen ließ eine Reparatur nicht mehr zu.Hätte man über eine Reihe von Mängeln – wieschadhafte Stellen im Bodenbelag, starke Ver-schmutzung einzelner Bauteile – noch einige Jahrehinwegsehen können, so gaben doch die tech-nischen Unzulänglichkeiten den Ausschlag fürein neues Innenraumkonzept.

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4 Blick auf den Chor der Alexanderkirche.Zustand um 1930. Foto: LDA.

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Denkmalpflegerische Zielvorstellungenund Nutzungsüberlegungen

Denkmalpflegerische Belange der Substanzerhal-tung und ihrer langfristigen Sicherung müssengegen die Belange einer angemessenen Nutzbar-keit und ästhetischen Wirkung der Kirche abge-wogen werden und im Restaurierungskonzeptberücksichtigt werden.Die Diskussion über die Neukonzeption für denInnenraum zog sich über einen längeren Zeit-raum hin. Denkmalpflegerische Belange und For-derungen nach einer angemessenen Nutzbarkeitwurden eingehend erörtert. Ich beschränke michim Weiteren auf die Ziele und die Nutzungsüber-legungen für das Innere.

Denkmalpflegerische ZielvorstellungenZielvorstellung für die künftige Nutzung der Kir-che war die liturgische Ausstattung im Inneren,die für Gottesdienste, auch an hohen Festtagen,eine angemessene Umgebung schafft. Gleichzei-tig sollten auch die Notwendigkeiten einer Aus-stattung für kirchenmusikalische Aufführungenvorgesehen werden. Hierzu war es vor allem not-wendig, die Gestaltung der Bänke und ihre An-ordnung, den Ort des Altars und seine Platzie-rung neu zu überdenken. DenkmalpflegerischeZielsetzung war dabei eine weit gehende Erhal-tung der wertvollen historischen Substanz. Res-taurierende Maßnahmen zur Substanzsicherunghatten Vorrang vor Erneuerungsmaßnahmen, wonicht durch gottesdienstliche Belange erneu-ernde Maßnahmen notwendig wurden.

Die Oberflächen der Wände und Decken im In-neren sollten nach Voruntersuchungen nur gerei-nigt und soweit erforderlich in geringem Umfangrestauratorisch gesichert werden.Für die langfristige Sicherung und Erhaltung desoriginalen Bestandes ist der Verzicht auf eineBeheizung des Raumes unumgänglich. Diese Ziel-vorstellung, die von uns sehr früh in die Diskus-sion um die zukünftige Nutzung der Alexander-kirche eingebracht wurde, wurde sehr ausführ-lich und kontrovers diskutiert und hat zu ei-nem für alle Seiten tragbaren Kompromiss einerTemperierung in der Übergangszeit geführt. Inden Wintermonaten bleibt die Kirche ungenutzt, außer die Temperaturverhältnisse erlauben eineNutzung.

NutzungsüberlegungenZur sinnvollen Nutzung des Raumes war die Neu-konzeption für die Bestuhlung mit Bänken odereiner losen Bestuhlung und die Lage und Stellungdes Altars erforderlich. Der Chorraum ist durchErneuerung und künstlerische Gestaltung der ab-

gängigen Fenster aufzuwerten und damit als sa-kraler Ort neu zu definieren. Dabei musste dieStellung des Altartisches (ohne den verloren ge-gangenen Hochaltar) neu bedacht werden. Diegeplanten Veränderungen im Chorraum hattenzur Folge, dass die Lichtführung im Schiff neukonzipiert werden musste. Vor allem die Infra-struktur für Veranstaltungen war sehr verbesse-rungsbedürftig.Das zur ehemaligen Wehranlage gehörende Tor-haus wurde in das Nutzungskonzept mit integriert.Die notwendigen Nebenräume (wie WC, Umklei-deräume usw.) konnten hier verwirklicht werden.Auf zusätzliche sanitäre Anlagen in der Alexander-kirche konnte deshalb verzichtet werden.Dass das längerfristig angelegte Nutzungskon-zept von der Kirchengemeinde nicht allein zuschultern war, war nach der ersten Kostenschät-zung von über 3 Mio. Euro klar.Nur durch die gemeinsamen Anstrengungen,ausgehend von der Förderung durch die Wüsten-rot-Stiftung, den Förderverein Alexanderkirche,

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5 Alexanderkirche, Choransicht. 2002.

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dem Landesdenkmalamt, der Stadt Marbach undder Evangelischen Landeskirche, gelang es, die Fi-nanzierung der Maßnahmen zu sichern. Dieseshohe partnerschaftliche Engagement von Bürger-schaft und Institutionen hat ganz wesentlich zumGelingen beigetragen.

Zum Gesamtkonzept der Erneuerungsmaßnahmen

Die gesamten Erneuerungsmaßnahmen außenwie innen waren von unterschiedlicher Wertig-keit und Dringlichkeit. Sie ließen sich nicht allesofort verwirklichen und mussten deshalb in Bau-abschnitte aufgeteilt werden. Als sinnvolle undfinanzierbare Aufteilung ergaben sich mehrereBauabschnitte, die von 1996 bis 2001 zu ver-wirklichen waren.Die Außenerneuerung war aufgrund der Scha-densbilder notwendig und erhielt den Vorrangvor der Innenerneuerung. Dies zeigt sich nicht zu-letzt daran, dass die Sanierung und Restaurierungdes Äußeren auch zweieinhalbmal teurer war alsdie Arbeiten im Inneren.Dass es bei der Beurteilung von Wertigkeiten undDringlichkeiten bei Maßnahmen im Inneren einerKirche zwischen Kirchengemeinde und Denkmal-pflege Unterschiede gibt, liegt auf der Hand. Sie

begründen sich hauptsächlich durch Nutzungs-ansprüche, die von der Denkmalpflege zwargrundsätzlich akzeptierbar waren, deren Konse-quenzen aber zu unterschiedlichen Bewertungenvon geplanten Maßnahmen führten.Ich gehe hier nicht weiter auf die Maßnahmen amÄußeren und in Teilen auch im Inneren ein undstelle nur die Maßnahmen in den Vordergrund, dieim Zusammenhang von liturgisch-gottesdienstli-chen Belangen und architektonisch-ästhetischenBelangen stehen.

Altar mit AltarstufenEiner der Streitpunkte in der Planungsphase wardie Erneuerung der Altarstufenanlage vor demChorbogen. Die liturgische Forderung lautete:Die Stellung des Altars ist so zu wählen, dass beiAbendmahlsfeiern eine gute Zugangsmöglichkeitbesteht. Im Altarbereich ist ausreichend Platz fürdas Austeilen des Abendmahls an die Gemein-deglieder vorzusehen.Die jetzige Lösung geht auf die Überlegungenzurück, den bestehenden Altar wieder nach heu-tigen liturgischen Formen nutzbar zu machen.Die Erweiterung der Altarstufenanlage wurde sogelöst, dass die vorhandenen Stufen in die neue

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6 Alexanderkirche, Blick vom Altar durch die Staffelhalle auf die zukünftige Orgel-empore. Zustand 2002.

7 Alexanderkirche,Grundriss mit Verlegeplander Bodenplatten, 1999.Vorlage: ArchitekturbüroM. Weccard, Marbach.

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Anlage integriert und eingebunden sind. Die al-ten Stufen stecken im Unterbau der neuen Stu-fenanlage. Mit dieser Erweiterung konnte auchein sinnvoller Platz für einen Ambo seitlich vomAltar gefunden werden.

Künstlerische Ausgestaltung des AltarraumesSeit der Versetzung des Kruzifixus hinter denHochaltar im Chor hatte der Altar bei der Ge-meinde kein eigenes Kreuz mehr. Deshalb hat dieKirchengemeinde im Zuge der Neuausrichtungdes Altarraums einen Kunstwettbewerb für einneues Altarkreuz, einen Ambo und einen Ker-zenständer für die Jahreskerze ausgeschrieben(Abb. 5 u. 8).

Erneuerung der Bleiverglasungen im ChorraumDurch Fragmente einer mittelalterlichen, figür-lichen Verglasung der Chorfenster wissen wir von einer künstlerischen Glasgestaltung, die lei-der verloren gegangen ist. Seit dem 18. Jahrhun-dert ist der Chorraum mit einer Butzenscheiben-verglasung befenstert. Die drei Chorhauptfensterwurden in den 1970er-Jahren durch eine einfa-che Butzenblankverglasung erneuert. Die mittel-alterlichen figürlichen Fragmente und drei baro-cke Chorfenster mit Eichenholzrahmen und But-zenscheiben sind dokumentiert und zur späterenVerwendung eingelagert.Die durch die Blankverglasung entstandene zuhelle Belichtung des Chores soll durch eine neuezeitgenössische künstlerische Gestaltung ge-dämpft werden. Im Zuge der Außenrenovierungwurde deshalb eine Schutzverglasung eingebaut,vor welche die neue künstlerische Innenvergla-sung angebracht werden kann (Abb. 5).Im Vordergrund einer neuen künstlerischen Ge-staltung der Chorfenster werden theologischeAussagen stehen. Leider konnte bis heute nochkeine Finanzierung für die neue Gestaltung ge-funden werden.

Erneuerung des Bodenbelags im KirchenschiffDer Boden aus Solnhofer Platten von 1928 muss-te erneuert werden. Viele Platten waren brüchigund durch unschöne Abdeckungen von Heiz-kanälen, die nie zur Verwendung kamen, unter-brochen. Zudem waren unter den bestehendenBänken keine Platten. Die Bänke standen in einerHolzunterkonstruktion auf dem Lehmboden auf.Die Erneuerung des Fußbodens erfolgte im loka-len Sandstein als großflächiger Bahnenbelag, waszum Erscheinungsbild der gotischen Kirche sicherbesser passte als der Solnhofer Plattenbelag von1928. Solnhofer Platten sind heute ein relativ teu-res Material, das aufgrund des Farbspiels und derMusterung der Platten auch kaum zu reparierenist (Abb. 7).

Bei den Überlegungen zur Erneuerung des Fuß-bodens mit einem Sandsteinplattenbelag kamauch die Forderung nach einer Fußbodenhei-zung. Der Kirchengemeinderat hat auf Drängendes Oberkirchenrats beschlossen, die Kirche nichtzu beheizen. Sie war nie beheizt, obwohl bei derletzten großen Renovierung 1926–1928 mit derAnlage von Heizkanälen eine Heizung geplantwar, die aber aus Kostengründen damals nicht

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8 Blick von der Kanzel in den Altarraum. Zustand 2002.

9 Spätgotische Kanzel in der Alexanderkirche.

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fertig gestellt wurde. Als Kompromiss wurde nuneine elektrische Fußbodenheizung mit eingebaut,die aber in der Leistung so dimensioniert wurde,dass eine Temperierung für die Übergangszeit er-folgen kann, eine Beheizung für die Wintermo-nate aber nicht möglich ist.Zusammen mit der Denkmalpflege waren wir unseinig, dass diese Form der Temperierung keinegravierenden Schäden an der historischen Aus-stattung der Kirche erwarten lässt und die Nut-zung als Sommerkirche auch langfristig den Er-haltungsaufwand für das Innere im Hinblick aufMaler und Restauratoren niedrig hält. Für dieneue Orgel ist dieses Konzept ebenso wichtigund sinnvoll.

BeleuchtungDie Alexanderkirche wurde seit vielen Jahren inder Lichtführung im Inneren vor allem im Schiffals unbefriedigend empfunden. Durch eine mit-telalterliche Planänderung während des Bauenserhielt das Schiff keine Licht führenden Oberga-denöffnungen, sondern eine durchgängige Über-dachung von Schiff und Seitenschiffen. Hier wur-den zuletzt 1928 barocke Fensterläden neu ge-richtet und vor die blinden Obergadenöffnungengesetzt.Die jetzt ausgeführte Form der indirekten Beleuch-tung in den Obergadenöffnungen ergab sich ausfolgenden Gründen (Abb. 6 und 10):1. Die ursprünglich vorgesehene direkte Belich-

tung des Raumes über Dachgauben hinter denObergadenöffnungen hätte zu großen Eingrif-fen in die ruhige Dachlandschaft geführt.

2. Die Dachgaubenlösung hätte trotzdem einespezielle Form der Lichtlenkung erfordert, dader Abstand von Obergadenöffnung und Dach-fläche ziemlich groß ist.

3. Die Form der indirekten Belichtung über einespezielle Lichtlenkung ist wesentlich kosten-günstiger.

4. Den Kirchenraum mit unterschiedlichen Licht-qualitäten zu beleuchten, vom Tageslicht biszur festlichen Beleuchtung zum Gottesdienstund am Abend zum Konzert, ist ein wesent-liches Ziel für die zukünftige Nutzung des Rau-mes.

Die Öffnung der blinden Obergadenfenster undderen Nutzung als indirekte Lichtquelle war einerder heftigsten Streitpunkte mit der Denkmal-pflege.

BestuhlungDie Kirche besaß seit dem 17. /18. JahrhundertBänke. Bei der Erneuerung 1926–1928 wurdedie bestehende Bankanlage durch einfache Bän-ke ersetzt. Die Anordnung der Bankreihen unddie Stellung der Bänke zur Kanzel und zum Altar

folgten offensichtlich weitgehend dem histori-schen Vorbild. Durch die große Geldknappheitwaren die neuen Bänke in einfachster Form aus-geführt worden und entsprachen nicht mehrheutigen Sitzbedürfnissen.Die geplante Innenrenovierung hat die bestehen-den Bänke aus mehreren Gründen zur Disposi-tion gestellt:1. Der Boden musste erneuert werden.2. Der Einbau einer Temperierung unter dem

durchgehenden Sandsteinbelag sollte nichtwieder durch Bänke unterbrochen werden.

3. Die Kirche sollte außer für Gottesdienste auchfür Konzerte, Vorträge und Ausstellungennutzbar sein. Von Anfang an bestand die For-derung nach einer flexiblen Bestuhlbarkeit fürdie neuen Nutzungen.

4. Bankreihen längs und quer gestellt sind inmehrschiffigen Kirchen mit enger Pfeilerstel-lung zu den Seitenschiffen nur bedingt sinn-voll, wenn auch von den Seitenschiffen einfreier Blick vor allem zum Altar gewährleistetwerden soll.

Wir sind uns der Probleme einer unordentlichenBestuhlung an Werktagen und der sich daraus er-gebenden Unordnung und Störung des Gesamt-eindrucks bewusst. Wir hätten uns gewünscht,dass zumindest im Kirchenschiff eine festere Be-stuhlung erfolgt wäre (Abb. 10).Der namhafte Zuschuss der Wüstenrot-Stiftungzur Sanierung der Kirche war an die Bedingunggeknüpft, die Kirche auch kulturellen Zwecken zuöffnen. Dies geschah nicht zuletzt in der Erkennt-nis, dass die Kirchengemeinde mit der Stadtkircheals der sonntäglichen Hauptkirche und der Alexan-derkirche zwei Kirchen besitzt, die zu unterhaltensie auf Dauer nicht in der Lage ist, ohne dass einezusätzliche Nutzung, getragen vom FördervereinAlexanderkirche und bürgerschaftlichem Engage-ment, hinzukommt. Nur so ist die Bauunterhaltungder Alexanderkirche langfristig zu sichern.

Kanzel und TaufsteinDie Stellung und Lage der Kanzel wurde bei derAnlage der Bankneugestaltung 1928 etwas stief-mütterlich behandelt, sodass auch hier Überle-gungen angestellt wurden, die Kanzel in das litur-gische Geschehen wieder stärker mit einzubezie-hen (Abb. 9).Eine Forderung der Kirchengemeinde, Lesungenim Bereich des Altarraumes vornehmen zu kön-nen, wurde mit der Platzierung eines Ambos ne-ben dem Altar erfüllt.Die Kanzel wird nur bei besonderen Gottesdiens-ten benutzt. Die Lage der Kanzel in der Mitte desKirchenschiffs verhindert wegen der Dreischiffig-keit der Alexanderkirche eine günstige Sicht-beziehung von allen Plätzen. Altar, Kanzel und

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Taufstein stehen in neuer Beziehung zueinander(Abb. 10).Die freie Bestuhlung ermöglicht bei Gottesdiens-ten eine bessere Zuordnung auf die Kanzel undden seitlich platzierten Taufstein.

OrgelDie Innenraumaufnahme der Empore zeigt heutenoch den Zustand von 1928, als die Empore neugestaltet wurde. Der Platz der Orgel ist vorgege-ben und wurde auch für die neue Orgel nicht inFrage gestellt (Abb. 6 und 11).Die Kirchengemeinde freut sich darauf, dass ihrekirchenmusikalische Tradition weitergeführt wer-den kann und auch für Orgelkonzerte wieder ein

musikalisch und technisch hochwertiges Instru-ment zur Verfügung stehen wird.Leider war die Orgel von 1931 mit wirtschaftlichvertretbarem Aufwand nicht mehr zu reparieren.Die technische und klangliche Qualität war zuschlecht. Durch den Kauf einer bedeutenden his-torischen Orgel von 1868 mit neogotischem Pro-spekt hat die Kirchengemeinde einen mutigenSchritt getan. Mit der renovierten Voith-Orgelsteht für den Kirchenraum ein klanglich undräumlich passendes Instrument zur Verfügung,das auch konzertanten Ansprüchen genügenwird (Abb. 11).Die Empore von 1928 muss dazu erneuert wer-den. Die Gestaltung soll auf die Maße der Orgel

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10 Alexanderkirche, Blick durch die Staffel-halle gegen den Chor. Zustand 2002.

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und den neogotischen Prospekt abgestimmt wer-den.

Ergebnis der Renovierung

In einem zukünftigen Bauabschnitt ist noch dierestauratorische Reinigung der Decken mit ih-ren Malereien durchzuführen. Die künstlerischeGestaltung der Chorfenster ist zwar konzeptio-nell angedacht, konnte aber aus Kostengründenebenfalls noch nicht durchgeführt werden.Die Innenraumaufnahme von 2002 (Abb. 10) zeigtdas neue Erscheinungsbild. Die Kirchengemeindehat wieder einen schönen und funktional gutenGottesdienstraum.

Es ist erstaunlich, wie viele Besucher in die tagsübergeöffnete Kirche kommen. Inzwischen wird dieKirche für vielfältige Veranstaltungen genutzt, fürKonzerte über Ausstellungen bis hin zu Vorträgen.

Die Nutzung der Kirche findet ab Oktober nurnoch sporadisch statt, wenn es die Außentempe-raturen erlauben. Mit dem Ergebnis der Renovie-rung sind die Kirchengemeinde wie auch die Bür-gerschaft von Marbach hoch zufrieden.

Schlussbemerkung

In wenigen Punkten habe ich versucht, das Span-nungsfeld zwischen Denkmalpflege und Liturgieaufzuzeigen. Es geht dabei vor allem um den Un-terschied zwischen kirchlichem Selbstverständnisim Umgang mit historischen Kirchenräumen unddenkmalpflegerischen Erhaltungsforderungen, dieeine Weiterentwicklung der Nutzung von Kirchen-räumen erschweren oder gar verhindern.Grundbedingung für eine gedeihliche Zusam-menarbeit zwischen Kirche und Denkmalpflegeist der gegenseitige Respekt vor den jeweiligenAnliegen. Wichtig dabei ist die Akzeptanz, dassdie gottesdienstliche Nutzung eines Kirchenrau-mes die grundlegende Nutzung ist, für die dieKirche gebaut ist. Um deren Tradierung geht esuns vorrangig, auch wenn die NutzungsformenWandlungen unterliegen.Dass es bei den hohen finanziellen Aufwendun-gen für den Unterhalt und die Erneuerung un-serer historisch bedeutsamen Kirchen immerwichtiger wird, engagierte Partner zu finden,zeigt das Beispiel Alexanderkirche Marbach ein-drucksvoll.

Kirchenoberbaudirektor Ulrich GräfEvangelischer OberkirchenratGänsheidestraße 470 184 Stuttgart

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11 Planung für die West-empore mit der ein-zubauenden Voith-Orgelvon 1868. Vorlage:Architekturbüro M. Weccard, Marbach.

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Laienaltar

Denkmalpflegerischen Konfliktstoff barg das 1995vorgelegte Konzept des für den Innenausbau zu-ständigen Stutttgarter Architekten Martin Stock-burger. Problematisch war u. a. der darin geplanteUmgang mit dem Laienaltar. Es war nämlich seineVersetzung und Absenkung vorgesehen. Dies wardeshalb denkmalpflegerisch problematisch, weildieser Kastenaltar, als er noch aus der Zeit vor derReformation stammt und ursprünglich im Kernseines Sandsteinquaderwerks eine Reliquie barg,einen besonderen Alters- und Originalitätswerthat.Dieser Altar vor dem Triumphbogen und seineStufenanlage waren auch bei der letzten großenRenovierung unter Fiechter nicht angetastet wor-den. Damals hatte man lediglich das für den Lai-enaltar bestimmte Kreuz aus dem 16. Jahrhundertnach hinten auf den Hochaltar versetzt. DasStockburgersche Konzept war anfangs noch vomevangelischen Oberkirchenrat unterstützt wor-den, weil man glaubte, dass nur so die als liturgi-scher Belang reklamierte „bessere Begehbarkeit“des Altars (s. Stellungnahme des evangelischenOberkirchenrats vom 3. 3. 1997) zu erreichen sei.Indem die Denkmalpflege den Alters- und Selten-heitswert dieses Laienaltars vermitteln konnte,gelang es dem Architekten schließlich, eine Lö-sung zu entwickeln, die sowohl dem liturgischenBelang der Umgehbarkeit des Altars als auch derDenkmalpflege gerecht wird. Die für den Geistli-chen gewünschte größere Plattform um den Altarwurde schließlich durch die Addition von Block-stufen über dem alten, also darunter erhaltenenStufenaufbau erzielt. Beseitigt wurde lediglich diegerundete Stufe von der Ostseite, die 1928 zuge-fügt worden war. Durch die Erhaltung des Altars

an seinem angestammten Platz behielt ein we-sentliches Element und Zeugnis der Liturgie-geschichte seinen Stellenwert im Kirchenraum.Leider wird die klare archaische Form des Altarsheute durch die Dekoration einer übereifrigenMesnerin verunklärt, die ich mir erlaubt habe, fürdie hier abgebildeten Aufnahmen abzuräumen.

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1 Staffelhalle der Ale-xanderkirche Marbachgegen den Chor (1984)vor der jüngsten Reno-vierung. Foto: LDA.

Die Marbacher Alexanderkirche Nutzerinteresse und denkmalpflegerisches Anliegen

Die Position der Denkmalpflege bei der jüngsten Renovierung der MarbacherAlexanderkirche sei im Folgenden anhand der allerwichtigsten vom Vor-redner schon angesprochenen Konflikte dargestellt. DenkmalpflegerischesKonzept bei dieser Maßnahme war die Erhaltung und Sicherung des Be-standes einschließlich der erhaltensfähigen Zutaten der letzten Überformungvon 1926/28, an der der Architekt Ernst Fiechter, Mitarbeiter des Württem-bergischen Landesamts für Denkmalpflege, wesentlichen Anteil hatte.

Judith Breuer

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Chorfensterverglasung

Im Erneuerungsvorschlag des für die Innenraum-gestaltung zuständigen Architekten Stockburgervon 1995 war noch die komplette Neuverglasungder sechs Chorfenster vorgesehen. Auch diesesPlanungsziel führte zu Konflikten mit der Denk-malpflege.Bei den Fenstern in Chor, Schiff und Sakristeihandelt es sich nämlich um bleigesprosste Blank-verglasungen, vorwiegend in gesteckten Eichen-holzrahmen mit dekorativen Beschlägen, also um qualitätvolle Fenster überwiegend aus dem 18. Jahrhundert. Im Maßwerk der Chorfensterfanden sich sogar noch mittelalterliche Farbglas-fensterfragmente mit figürlichen Darstellungen.Die ursprünglichen Fenster waren, bis auf dieFragmente im Chormaßwerk, wahrscheinlich wäh-rend der Reformation, spätestens im 18. Jahrhun-dert, beseitigt worden. Die mittelalterliche, mys-tisch anmutende dunkelfarbige Verglasung wurdealso während oder nach der Reformation gegeneine der evangelischen Theologie angemessenereBlankverglasung ausgetauscht.

Die Forderung nach Erhaltung der mittelalterli-chen Fensterfragmente fand sofort Konsens beider Kirchengemeinde. Einiger Überzeugungsarbeitbedurfte es dagegen, die Wertigkeit der Fensteraus dem 18. Jahrhundert zu vermitteln und schließ-lich Architekten und die Partner auf der Nutzersei-te für die Erhaltung zu gewinnen. Die Langhaus-und Sakristeifenster wurden schließlich fachge-recht, z.T. durch Sprungbleie, restauriert und ihreHolzrahmen in Anlehnung an den restauratori-schen Befund grau gefasst.Evangelischer Oberkirchenrat, Kirchengemeindeund Architekt hielten weiter – auch ohne Aussichtauf baldige Finanzierung – am Ziel des Ersatzesder Chorfenster durch künstlerisch gestalteteFenster zur Aufwertung des Chorraums fest. Weildie drei Chorhauptfenster mit ihren Butzenblank-verglasungen komplette Nachbauten aus den1970er-Jahren waren, konnte die Denkmalpflegeihre Bedenken gegen die Beseitigung dieser dreimodernen Fenster zurückstellen. Bei der zukünfti-gen Neuverglasung geht die Denkmalpflege aber

weiter von der Erhaltung der mittelalterlichen Fens-terfragmente und der übrigen barocken Chor-fenster aus. Diese wurden 1997 zwar auch ausge-baut; sie warten aber seitdem, in Kisten verpackt,auf ihren Wiedereinbau zusammen mit den nochzu beauftragenden neuen Chorfenstern.Die Chorfensteröffnungen sind seit 1997 ledig-lich mit Schutzverglasungen geschlossen, die denChor in ein noch helleres Licht als bisher tau-chen. Anliegen der Denkmalpflege bei der aus-stehenden künstlerischen Neuverglasung ist da-bei nicht ein Wiederherstellen der vorreformatori-schen Lichtverhältnisse mit abgedunkeltem Chor,vielmehr die Erhaltung der nachreformatorischenLichtführung im Chor durch den Einsatz von nurdezent abgetönten Gläsern in den zukünftigenFenstern.

Obergadenöffnungen

Im Stockburgerschen Vorschlag zur Erneuerungder Alexanderkirche von 1995 waren auf jederDachfläche sechs hohe Dachaufbauten geplant,mittels derer das Kirchenschiff über die Ober-

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2 Staffelhalle der Alexan-derkirche Marbach gegenWesten mit dem Gestühlvon 1928 kurz vor demEinbau der Orgel, im Vor-dergrund der mittelalter-liche Laienaltar. Foto: LDA.

3 Laienaltar der Alexan-derkirche Marbach von Osten, Zustand 2002.Foto: LDA.

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gadenöffnungen weiter belichtet werden sollte.Vom Verzicht auf diese Aufbauten und damit aufdie Beeinträchtigung des Daches konnte dieDenkmalpflege schließlich überzeugen. Die Dach-flächen blieben somit ruhig und tragen weiterhinnur die Gauben aus dem 19. Jahrhundert, die nieder Belichtung des Obergadens, sondern der Be-lüftung des Dachstuhls dienten und dienen.Mit dem Verzicht auf neue Gauben konnte auchein Charakteristikum der Marbacher Alexander-kirche, die vom Typus eine Pseudobasilika bzw.Staffelhalle darstellt, erhalten werden, nämlichdie zum Dachraum blinden Obergadenöffnungen,die Ergebnis einer mittelalterlichen Planänderungvor bzw. während der Einwölbung der Seiten-schiffe sind.

Diese Obergadenöffnungen waren bis zum letz-ten Umbau durch bemalte Brettläden geschlossen,die bei der 1928 abgeschlossenen Renovierungdurch den Umbau älterer Läden erstellt wordenwaren. Heute allerdings vermittelt das Mittelschiffnur bei Tage weiterhin den ursprünglichen Raum-und Lichtführungseindruck. Nachdem neue Gau-ben und damit die Möglichkeit, erstmals Tages-licht über die Obergadenöffnungen in das Schiffzu leiten, aus denkmalpflegerischen Gründen ver-worfen waren, verfolgten Architekt und Kirchen-gemeinde die Idee, die Obergadenöffnungen füreine künstliche Belichtung zu benützen. Den Ein-bau von Leuchtkörpern hinter den Obergadenöff-nungen akzeptierte die Denkmalpflege ange-sichts der nur zeitweisen Veränderung des Raums.Die alten Läden der Obergadenöffnungen sind alsunsichtbare Abdeckelungen der neuen Beleuch-tungskästen hinter dem Obergaden der gänzlichenBeseitigung entgangen. Sobald die künstliche Be-leuchtung in den Obergadenöffnungen eingeschal-tet ist, erlebt man die Suggestion von nach außengeöffneten Obergadenfenstern. Damit wird diebaulich nie umgesetzte Basilika-Idee, wiewohlschon längst vor Einwölbung des Mittelschiffs ver-worfen, abends virtuell erlebbar.Bei genauerem Betrachten wirken die hell ausge-legten Beleuchtungskästen hinter den Obergaden-öffnungen etwas unfertig. Dem Tagesbesucherder Alexanderkirche, der die neueste Umbaukon-zeption nicht kennt, werden diese Kästen wohlunverständlich, ja merkwürdig erscheinen. Im In-teresse eines stimmigeren Obergadenbildes amTage wäre es wünschenswert gewesen, wenn dieÖffnungen durch Läden verschließbar geblieben

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5 Schrägsicht auf Hoch-wandpfeiler und Oberga-den der AlexanderkircheMarbach kurz nach derRenovierung von 1928.Foto: LDA.

6 Obergadenöffnung der Alexanderkirche Marbach, Zustand 2002.Foto: LDA.

4 Alexanderkirche, Querschnitt nachH. Keim, 1952. Plan-archiv LDA.

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7 Staffelhalle der Ale-xanderkirche gegen die Westempore mit der Walcker-Orgel, bald nach 1931. Foto: Landesmedien-zentrum Baden-Würt-temberg.

wären, z. B. mittels eines Mechanismus, der es er-möglichte, die Läden tagsüber gegen die Oberga-denöffnungen zu klappen.

Orgel

Von denkmalpflegerischem und liturgischem Be-lang war und ist auch die Orgel der Alexander-kirche. Seit 1931 stand auf der 1928 weitgehenderneuerten Westempore eine pneumatische Ke-gelladen-Orgel der Ludwigsburger Firma E. F. Wal-cker & Co. Ihre Gestaltung ging auf den mit der damaligen Renovierung betrauten bereits er-wähnten Fiechter zurück. Die beiden Prospektflü-gel trugen die gemalten Darstellungen je einesmusizierenden Engels und je zweier Evangelisten-symbole. Die Orgel war – wie die Prüfung durchdas Landesdenkmalamt ergeben hatte – keinKlangdenkmal, aber als Teil der letzten relevantenRenovierungsphase von 1926/28 durchaus erhal-tenswert. Da die Orgel verbraucht war, wäre eineReparatur notwendig gewesen, die seitens desLandesdenkmalamtes empfohlen wurde. Durchden Ausbau der Orgel tat die Kirchengemeindeuns dann ihre Entscheidung für eine neue bzw.andere Orgel kund.Auf die Westempore soll, so hat sich 1999 dieKirchengemeinde, ermuntert durch Orgelsach-verständige, entschieden, eine der wenigen er-haltenen Großorgeln der Hochromantik treten,und zwar eine Orgel der Durlacher Firma Voithvon 1868 aus der Ladenburger St. Galluskirche.Dafür wird die Westempore erneut vergrößertwerden müssen, was das Landesdenkmalamt ausInteresse an der Voith-Orgel bereits akzeptierthat. Mit dem Einbau dieser Orgel wird ein Klang-denkmal, wenn auch leider nicht an seinem Be-stimmungsort, erhalten, das demnächst zur Auf-wertung der Alexanderkirche als Konzert- undDenkmalort beitragen wird.

Bodentemperierung

Auch konnte die Denkmalpflege dem aus heuti-gen Nutzererwartungen entsprungenen Wunschder Kirchengemeinde nach einer Temperierung,nicht Heizung, der Kirche zustimmen, da in Ab-stimmung mit dem Landesdenkmalamt ein scho-nendes System gewählt wurde. Da die KircheVorgängerbauten hat und jahrhundertelang alsBegräbniskirche diente, waren beim Einbau – wieschon Grabungen im Jahre 1926 erbrachten –Mauerreste und Grablegen im Boden zu berück-sichtigen. Für den neuen Bodenaufbau wurdedaher nur eine Auskofferung von 35 cm vorge-nommen. Die Temperierung legte man über einerdiffusionsfähigen Schicht so aus, dass an der Bo-denoberfläche eine Temperatur von max. 22 Graderreicht wird, dadurch eine von Mai bis Okto-ber durchgängige Nutzung. Damit sind die Ge-schichtsquellen im Boden erhalten und wird dieRaumschale nicht strapaziert. Verloren ging dabeider schadhafte Solnhofer Plattenboden von derletzten Renovierung im Jahre 1928. Ersetzt wur-den diese Platten durch einen Sandsteinplatten-boden, wie er auch vor dem Umbau ab 1926 inder Kirche gelegen hatte.

Gestühl

Bis 1926 wies die Alexanderkirche ein schlichtesGestühl, etwa des 17. Jahrhunderts, auf. Es war im Schiff in drei Hauptblöcken angeordnet. DieBänke waren auf die Altäre ausgerichtet, dabei aneinem Mittelgang aufgereiht und gaben Raum füreinen auf das Südportal orientierten Quergangsowie je einen seitlichen entlang der Hochwand-pfeiler vorbeiführenden Gang. Einzelne Bänke wa-ren durch dekorative Türchen ausgezeichnet. Inden Seitenkapellen standen weitere Bankblöcke,die quer auf die Mittelachse orientiert waren. Ob-wohl die Alexanderkirche seit der Reformation denStatus als Hauptkirche Marbachs verloren hat, be-weist das Vorhandensein dieses Gestühls, dass dieAlexanderkirche, nun hauptsächlich für Begräbnis-gottesdienste genutzt, weiterhin regen Gläubigen-besuch erhielt.Dieses altertümliche Gestühl wurde leider bei derletzten großen Renovierung 1926/28 beseitigt.Die Kirche erhielt damals ein neues schlichtes, da-bei breiteres Gestühl nach Entwurf des bereits ge-nannten Architekten Fiechter. Es handelte sichwieder um ein Bankgestühl. Nunmehr war es imSchiff in vier Hauptblöcken angeordnet. Die bei-den Bankblöcke östlich des Quergangs warennicht mehr auf den Altar, sondern auf den Mittel-gang und damit mehr auf die Kanzel orientiert.Beibehalten bei der Neubestuhlung blieb der we-sentliche auf den Chor bzw. Altar bezogene Mit-

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tel- und der auf den südlichen Nebeneingang ge-richtete Quergang sowie die beiden Seitengängeentlang der Hochwandpfeiler.Bei der jüngsten Renovierung des Innenraums be-stand Konsens, dass auf jeden Fall die sechs ältes-ten Gestühlselemente des 15. bis 17. Jahrhundertsaus Chor und östlichem Schiff erhalten werden.Sie wurden denn auch durch Holzrestauratorenim Sinne der Denkmalpflege instand gesetzt.Bei der Bestuhlung des Schiffes konnte die Denk-malpflege allerdings ihr Anliegen nicht umsetzen.Das Gestühl von 1928 wurde, als ich 1996 zu ei-nem Ortstermin die Kirche betrat, gerade zersägt.Diese Aktion erstreckte sich auch auf die Bänke in den Seitenkapellen, in denen Fiechter 1928 diesieben vom Vorgängergestühl geretteten dekorati-ven Türchen hatte einbauen lassen. Dieser „Bänke-Sturm“ war insbesondere deswegen ärgerlich, alsdas Gestühl noch gut seinen Zweck erfüllt hätteund ein Konzept für eine Neubestuhlung nochnicht abgestimmt war.Während der Umbauarbeiten versuchte ich mehr-fach, als sich abzeichnete dass die Kirchenge-meinde zum Einzelstuhl tendierte, diese davon zuüberzeugen, dass die Alexanderkirche zur Grund-bestuhlung wieder ein blockhaftes, den Kirchen-raum ordnendes Bankgestühl braucht, wie es seitdem 16. Jahrhundert Bestandteil des nordeuropä-ischen Kirchenraums ist. In einem Diavortrag vorsechs Mitgliedern des Bauausschusses der Mar-bacher Alexanderkirche machte ich Anfang 1998einen letzten Überzeugungsversuch, konnte abernur eine Person und damit zu wenig davon über-zeugen, dass in der denkmalgeschützten Kirche

die von den Bänken mitgetragene Raumwirkungeinen zu erhaltenden Wert darstellt. Die anderenBauausschussmitglieder blieben bei der offensicht-lich schon vorher gefällten Entscheidung für denEinzelstuhl, dies, obwohl ich einige aktuelle Bei-spiele für die Erhaltung, ja sogar den Wiederein-bau ausgelagerter Bänke, zugleich auch wenigermunternde Beispiele von durch moderne Einzel-stühle zu Mehrzweckhallen verfremdete Kirchen-räume vorgestellt hatte, wie die evangelische Stadt-kirche in Ellwangen.Leider wurde mit dieser Entscheidung auch dievon Architekt Stockburger anfänglich vorgesehe-ne und von ihm 1995 skizzierte tragbare Kurz-bank verworfen. Diese variablen Kurzbänke hät-ten mit ihren einheitlichen Rücken- bzw. Buch-brettern, zu beiden Seiten eines auf den Altarbezogenen Mittelgangs aufgestellt, dem Raum imWesentlichen wieder seine traditionelle Strukturverschafft.Von der Kirchengemeinde als neue Sitzgelegen-heiten angeschafft wurden schließlich Stühle, diedurch ihre Einzelaufstellung den Mittelgang kaum

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7 Staffelhalle der Ale-xanderkirche mit dem bis 1926 vorhandenenGestühl. Foto: LDA.

8 Eines der sieben aus-gebauten Gestühlstür-chen, Relikt des Gestühlsder Alexanderkirche ausdem 17. Jh. Foto: Keimund Weccard, Marbach.

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definieren, die ehemaligen Seitengänge ignorierenund durch das zwangsläufige Fehlen der durch-gängigen Buch- und Rückenbretter der Alexan-derkirche einen ungeordneten, weniger einemGotteshaus als einer Mehrzweckhalle würdigenRaumeindruck geben. Bedauerlich ist auch, dassmittlerweile drei unterschiedliche Typen von Stüh-len in der Kirche stehen und die rückwärtigen Sei-tenkapellen als Stuhllager dienen.Noch werden die dekorativen Türchen des Altge-stühls aus dem 17. Jahrhundert von der Kirchen-gemeinde aufbewahrt. Doch für den Innenraumscheinen sie verloren.Mit ihrer Entscheidung für Stühle ist die Kirchen-gemeinde Marbach kein Einzelfall. Leider wird dasLandesdenkmalamt immer wieder mit dem Anlie-gen evangelischer Gemeinden konfrontiert, in ih-rer denkmalgeschützten Kirche die traditionellenBänke beseitigen und Stühle aufstellen zu wollen.Gegen zusätzliche Einzelstühle, weil diese in Addi-tion zu den traditionellen Bänken erscheinungs-bild- und raumstrukturverträglich sind, stellt dieDenkmalpflege in der Regel ihre Bedenken zu-rück. Doch bleibt denkmalpflegerisches Anliegen,als Kerngestühl das für unseren deutschen Kul-turkreis charakteristische Bankgestühl mit Mittel-gang in den Kirchen zu erhalten. Hier besteht al-so noch erheblicher Bedarf an Informationsaus-tausch und Diskussion zwischen evangelischerKirche und Landesdenkmalamt.

Ergebnis

Ergebnis der 1999 vorläufig abgeschlossenen In-nenrenovierung der Alexanderkirche ist: Die Zuta-

ten der Renovierung durch Fiechter von 1926/28sind entsprechend dem Konzept des ArchitektenStockburger, weil zum Teil verbraucht, aber auchweil zu jung und daher noch von zu wenig Ak-zeptanz, weitgehend entfernt worden mit Aus-nahme der Türblätter, der Pendelleuchten und derWestemporenbrüstung.Entgegen dem ursprünglichen Konzept des Archi-tekten konnte die Denkmalpflege dagegen imWesentlichen die Erhaltung des mittelalterlichenund barocken Fensterbestands und insbesonderedes mittelalterlichen Laienaltars am alten Ort be-wirken.Die Kirche wird heute vor allem als Festkirche fürTaufen und Hochzeiten genutzt. Sie wird aberauch als reines Baudenkmal aufgesucht. Es warüberraschend, wie viele Besucher innerhalb derStunde in die Kirche kamen, in der wir kürzlichfotografierten. Da noch mehrere Maßnahmen inder Kirche anstehen, bleibt den Denkmalpflegernnoch die Hoffnung, dass die Einzelstühle auch vonder Kirchengemeinde mehr und mehr als eine Be-einträchtigung der spätgotischen Staffelhalle ver-standen werden und man bei der Kernbestuhlungzu Bänken zurückkehrt.

Literatur:

Judith Breuer: Zur Lichtführung in der Alexander-kirche zu Marbach am Neckar, in: Denkmalpflege inBaden-Württemberg; Nachrichtenblatt des Landes-denkmalamtes 1/26 (1997), S. 23–28.Festschrift zur Wiedereinweihung der Alexander-kirche zu Marbach am Neckar, Marbach 1999.

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10 Marbach, Alexander-kirche mit moderner Be-stuhlung, Zustand 2002.Foto: LDA.

Dr. Judith BreuerLDA · Bau- und Kunst-denkmalpflegeMörikestraße 1270178 Stuttgart

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Ich will kurz mit einer Geschichte beginnen: Vorbeinahe 20 Jahren haben wir im Zusammenhangmit dem Abschluss der Sanierungsmaßnahmenim Kloster Ochsenhausen eine sehr beachtlicheAusstellung von – vor allem – mittelalterlichenKunstschätzen aus der vorbarocken Klosterkirchegemacht. Bei der Eröffnung hielt der NeresheimerAbt Norbert Stoffels die Festansprache und hat inbitteren Worten die historische Ungerechtigkeitder Säkularisation und ihre auch wirtschaftlichenFolgen beklagt. Zwei Tage später wurde die Wie-derweihe der Kirche gefeiert; in der Festpredigtsagte der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Dr. Mo-ser, welch ein Glück es aus heutiger Sicht war,dass der Staat in die Verantwortung für diese Ein-richtungen eingetreten ist.Ich will das nun gar nicht vertiefen, denn ichglaube, dass beide Ansichten von uns richtig ver-standen und gewertet werden können.Die Übernahme des Klostergutes bedeutetenatürlich zunächst für den Staat eine Vergröße-rung und Arrondierung seines Hoheitsgebietesund damit auch einen Machtzuwachs und eineStärkung der Wirtschaftskraft.Sie bedeutete aber auch ganz direkt einen wichti-gen Zuwachs an liegenschaftlichem Grundvermö-gen – überwiegend in hochwertigen, land- undforstwirtschaftlich genutzten Flächen.Und es wurden bauliche Anlagen übernommen,die einen großen Wert darstellten. Wir müssenuns das vorstellen, dass die überwiegend baro-cken Anlagen damals erst so um die 50 bis 100Jahre alt waren, dass es Massivbauten von er-heblicher technischer und konstruktiver Qualitätwaren und dass sie – vor allem – räumliche Struk-turen boten, die, wie sonst nur Schlossbauten,zur Unterbringung von Einrichtungen nutzbarwaren, die in den sich im frühen 19. Jahrhundertentwickelnden Staatswesen unverzichtbar waren:

Das waren Schulen aller Art, das waren Kranken-anstalten und das waren auch Kasernen!An wenigen Beispielen soll dies im Folgenden er-läutert werden.

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Umnutzung von KlosterbautenAus der Sicht der staatlichen Bauverwaltung

Eigentümer von Klöstern wurde der Staat – oder besser das Herzogtum Würt-temberg – in der Folge von Säkularisierungen – nach der Reformation odernach dem Reichsdeputationshauptschluss 1803. Auf die politischen, kirchen-geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergründe will ich jetzt, wenige Monate vor den großen 200-Jahr-Ausstellungen zur Säkularisation, gar nichteingehen.

Dieter Hauffe

1 Kloster Ochsenhausen.

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Kloster Ochsenhausen

Das Kloster Ochsenhausen (Kreis Biberach) (Abb.1) wurde 1825 von den Fürsten Metternich er-worben, war dann Waisenheim, Ackerbauschule,Lehrerseminar, Aufbaugymnasium und ist nun

seit gut zehn Jahren Landesakademie für die Mu-sizierende Jugend.Der Lageplan bestätigt natürlich das Motto desTags des offenen Denkmals 2002 „Ein Denkmalsteht selten allein: Straßen, Plätze und Ensem-bles“. Und wenn auch die ursprüngliche Nutzungder Klosterdomäne inzwischen aufgegeben wur-de – die landwirtschaftlichen Nutzflächen wur-den im Übrigen gegen Bauflächen für die UlmerUniversität auf dem Eselsberg getauscht –, so ha-ben wir uns doch mit Erfolg bemüht, die Ge-bäude in angemessener Weise zu nutzen – wasauch für die Freianlagen uneingeschränkt gilt.Ein Blick auf den Grundriss (Abb. 2) zeigt, dassdie räumlichen Dispositionen seit der Klosterzeitim Grunde nicht verändert wurde – und das si-cher nicht aus Ehrfurcht vor dem Gebäude, dennim 19. Jahrhundert war der Barock ja nun nichtsonderlich geachtet, sondern weil die Struktureneinfach stimmten und für die neuen Nutzungenauch nicht besser gemacht werden konnten.Natürlich waren dann nach fast 200 Jahren in-tensiver Nutzung bei immer knappen Mitteln undvielleicht auch nicht allgemein verbreitetem Ver-ständnis für den architektonischen und künstle-rischen Wert dieser Anlage viele Dinge nachzu-holen, das war zunächst die Substanzerhaltung,

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2 Grundriss der Kloster-anlage Ochsenhausen.

3 Bibliothekssaal im Kloster Schussenried.

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das waren technische Verbesserungen, das wa-ren aber auch restauratorische Maßnahmen, wiedie Sanierung im Konventbereich, wie die Siche-rung der Refektoriumsdecke oder die Instandset-zung der Kirche, für die ja der Staat die uneinge-schränkte Baulast übernommen hat.

Kloster Schussenried

Das Prämonstratenserkloster Schussenried (KreisBiberach) (Abb. 3 und 4) wurde bald nach derÜbernahme durch Württemberg zur „Irrenan-stalt“ – wie das damals noch hieß – umgewan-delt. Dagegen wurde schon im frühen 19. Jahr-hundert ein königliches Hüttenwerk auf demsüdlichen Gelände errichtet und im Norden kurzvor der Jahrhundertwende ein beachtliches Kon-zept für die erweiterte Heilanstalt realisiert.Leider wurden viele dieser Gebäude nach demletzten Krieg abgebrochen, obwohl sie nicht nurDenkmalcharakter haben, sondern auch durch-aus wirtschaftlich umgenutzt werden konnten.Wir haben damals dann vor allem Gemein-schaftseinrichtungen in den noch erhaltenenBauten untergebracht.Mit der Umwandlung der Psychiatrischen Lan-deskrankenhäuser in Anstalten des ÖffentlichenRechts wurden auch Grundstücke und Gebäudeübertragen – das tat uns nicht nur weh, wir sa-hen auch eine gewissen Gefahr für die besonderswertvollen Räume, und das sicher nicht zu Un-recht. Inzwischen wurde der barocke Konvent-bau wieder an uns zurückgegeben.

Kloster Wiblingen

Das Kloster Wiblingen (Stadt Ulm) (Abb. 5) warnach der Säkularisation 1807 zunächst fürstlicheWohnung, dann bis zum Ende des letzten Welt-krieges Artilleriekaserne. Was die wenigsten wis-sen, wurde erst im Jahre 1916 der südliche Kon-ventflügel, zwar mit anderer innerer Struktur, vonder Heeresbauverwaltung aufgebaut, und so diebarocke Anlage komplettiert.Dieser Flügel dient heute als städtische Alters-heim, der nördliche Flügel wird von der Univer-sität Ulm intensiv genutzt – auch hier konnten dieverschiedenen Programmforderungen, natürlichmanchmal mit wenigen Abstrichen, dafür abermit mehr Fantasie in den vorgegebenen Struk-turen erfüllt werden. Das erfordert natürlich vie-le Verständnis und Kooperationsbereitschaft beiden Nutzern, bei den Genehmigungsbehördenund bei den Partnern vom Landesdenkmalamt,die wir immer finden! Vor allem erfordert es vielZuneigung zu den Häusern!In meiner Ulmer Amtszeit bedrängte mich der da-malige Hauptgeschäftsführer der Handwerks-

kammer mit der Begründung, das 19. Jahrhun-dert hätte es doch geschafft, den Münsterturmaufzusetzen, nun solle ich doch alles tun, um dieWiblinger Türme nach den Spechtschen Plänenaufzubauen – so weit, meine Damen und Herren,ging aber die Zuneigung nicht, sie wäre ja wohlauch fehlgeleitet.Aber auch im Zeitraum knapper Kassen – wassich sicher auch nicht so rasch ändern wird – ste-hen der Staat und seine Vermögens- und Hoch-bauverwaltung uneingeschränkt zu seinen Bau-denkmalen und zur Verpflichtung, sie zu erhal-ten. Ein schönes Beispiel werden Sie morgenerleben, wenn das Sanierungsprojekt Gabler-Or-gel in Ochsenhausen vorgestellt wird.

Finanzpräsident Prof. Dr. Dieter HauffeOberfinanzdirektion StuttgartLandesvermögens- und BauabteilungRotebühlplatz 3070173 Stuttgart

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4 Idealplan des 18. Jhs.von Kloster Schussenried.

5 Klosterkirche Wiblingen.

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1 Figur der Heiligen Barbara, FriedhofskapelleNusplingen (Zollern-Alb-Kreis).

In der denkmalpflegerischen Praxis wird man mitvielseitigen Ansinnen zu Eingriffen in die überlie-ferte Bau- und Ausstattungssubstanz konfron-tiert, die in direktem Zusammenhang mit gottes-dienstlichen oder aber mit Fremdveranstaltungenstehen.Während bei gottesdienstlichen Nutzungen zu-meist längerfristige Veränderungen zur Diskus-sion stehen, so sind bei kulturellen Mehrzweck-veranstaltungen doch die temporär begrenztenAnforderungen zu beurteilen. Aufwand, Zweckund Nutzen einer Veranstaltung und Schädigungdes Bauwerkes und seiner Ausstattung stehenhäufig in einem krassen Missverhältnis.Der Nutzungsdruck auf Kirchenbauten ist enorm.Verschiedene Faktoren können hierfür geltend

gemacht werden. Gottesdienstliche Angebotewerden nicht mehr nur nach inhaltlicher Qualitätbeurteilt, die Rahmenbedingungen müssen denStandard öffentlicher kultureller Veranstaltungenerreichen.Die Behaglichkeit der gut beheizten Wohnung,die Lightshow und Akustik des Konzertsaales sol-len auf die Kirchenbauten im Maßstab 1:1 über-tragen werden. Auch der ausgeprägte Wunschnach Reinlichkeit und Verkehrssicherheit führt inden deutschen Kirchenräumen immer noch zuVerlusten an historischen, aber leider unebenenNatursteinböden.Kurz erwähnt seien auch die unsachgemäßen Ka-belführungen, im Zusammenhang mit Veranstal-tungen jedweder Art, die häufig substanzielleSchäden an Ecken und Kanten des Bauwerkesoder seiner Ausstattung verursachen.Neben der Temperierungsproblematik im Zusam-menhang mit Veranstaltungen ist aber auch zubeklagen, dass für die Erhebung zum Multifunk-tionsraum, oder wegen liturgischer Belange, ausSicht der Denkmalpflege immer noch wertvolleAusstattung aufgegeben werden muss, damitden zeitgenössischen kirchlichen Events kurzfris-tig Rechnung getragen werden kann.Historisches Kirchengestühl wird ausgebaut, umgrößere Aktionsflächen für Gesprächskreise undGospelchor zu erhalten. Selbst Altäre werdenhierfür von ihren angestammten Standorten ge-nommen oder als Klapptisch der totalen Mobilitätunterworfen. Strukturelle Eingriffe als Folge vonGroßveranstaltungen sind besonders im Bereichvon Chorstufenanlagen zu beklagen.Zu Ratlosigkeit unter Konservatoren führte in denvergangen Jahren der mehrfach vorgetrageneWunsch von Kirchengemeinderäten, schallge-dämmte Kinderecken in Kirchenräumen einzu-richten. Dies in Gestalt von Glaseinbauten unterEmporen, in denen die Kinder toben und die je-

Nutzungserwartungen an KirchenbautenSt. Dionys in Esslingen und St. Michael in Schwäbisch Hall

Das Vortragsthema „Nutzungserwartungen an Kirchenbauten“ trifft einenwichtigen Punkt denkmalpflegerischen Handelns. Es ist eine derart komplexeProblematik, dass sie im Rahmen dieses zeitlich begrenzten Vortrages höchs-tens angerissen werden kann. Vielleicht sind aber bereits Stichworte oderwenige konkrete Fallbeispiele hilfreich und führen in akuten Fällen bei denVerantwortlichen zu einem Erinnerungseffekt.

Ulrike Roggenbuck-Azad

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weiligen Elternteile per Lautsprecherübertragungdem Gottesdienst folgen können sollten. Nebender problematischen Beeinträchtigung des Er-scheinungsbildes der betroffenen Kircheninnen-räume, bleibt es Ihnen überlassen, über den Stel-lenwert von unruhigen, aber fröhlichen Kindernin unseren Gemeinschaften nachzudenken.Die angestammte Nutzung von Kirchen, die got-tesdienstlichen Veranstaltungen treten in der mo-dernen Gesellschaft oftmals in den Hintergrund.Gleichzeitig sehen sich die Gebäudeeigentümeraber immensen Bauunterhaltungsverpflichtungenfür unausgelastete Bauwerke gegenüber. Des-halb werden Kirchenräume über ihren eigentli-chen Bestimmungszweck hinaus professionell ver-marktet.Sie stellen seit längerer Zeit ein Alternativangebotzu Mehrzweckräumen und so genannten Mu-sentempeln dar. Kirchenräume bieten für musi-kalische Veranstaltungen einen unvergleichlichenatmosphärischen Rahmen, der schwerlich durchKonzertsäle oder Mehrzweckräume zu erlangenist. Musik und Bauwerk können zur Einheit wer-den.Im Einklang mit allgemeinen Entwicklungen inder Gesellschaft, mit erhöhten Angebotsansprü-chen auch an kulturelle Erlebnisangebote, sehensich die kirchlichen und staatlichen Eigentümervon Kirchenbauten zunehmend unter dem Druckder Öffentlichkeit, ein so genanntes „Eventange-bot“ zu unterbreiten, auch um den Leerstand,bzw. die spärliche Nutzung der großzügigen Bau-werke zu kompensieren.Historische Kirchenräume, ausschließlich errichtetfür den Dienst an Gott, auskommend mit natür-licher Belichtung und Belüftung, den natürlichenKlimaschwankungen der Jahreszeiten unterwor-fen, sollen nun verstärkt all die technischen An-forderungen erfüllen, die wir an moderne Zweck-bauten stellen.Technische Ein- und Umbauten wirken jedoch inunterschiedlichster Form auf die Bauwerke undihre Ausstattung. Während sich die nachfolgen-den Beispiele ausschließlich mit dem Verlust bzw.mit Schädigung der Substanz beschäftigen, wäregewiss auch die Reflexion über das Thema desIdentitätsverlustes eines historischen Bauwerkesdurch die Technisierung interessant.Wie bereits erwähnt, scheint bei der Projektie-rung von Veranstaltungen in Kirchen seitens derVeranstalter von hoch technisierten Veranstal-tungsräumen ausgegangen zu werden, welcheeigens für diese komplexen Nutzungen geschaf-fen wurden. Diese laienhafte Denkweise ist fürden Bau- und Denkmalbestand ebenso tödlich,wie die strikte Erfüllung von DIN-Normen undBauvorschriften im Zuge eines Bauvorhabens amhistorischen Gebäude.

Das sensible bauliche und bauphysikalische Gleich-gewicht, in welchem sich Kirchenbau und Aus-stattung befinden, wird dabei erfahrungsgemäßzumeist völlig außer Acht gelassen. Es wird ver-kannt, dass auch bereits eine Einzelveranstaltungzu erheblichen Schädigungen an Ausstattung undBauwerk führen kann.Ein Kollege formulierte ein wenig überspitzt unddoch zutreffend: Was Kriege und Bilderstürmeüberstanden hat, droht zunehmend dem Nutzer-verhalten und den Nutzeransprüchen zum Opferzu fallen.Sofern im Vorfeld von Veranstaltungen der Dia-log im „Partnerumfeld“ gesucht würde, könntegemeinsam festgestellt und festgelegt werden,welchem Grad des technischen Eingriffes bzw.der bauphysikalischen Manipulation das jeweiligeBau- und Kunstwerk ohne Beschädigung stand-hält.Als ein wesentlicher Problemschwerpunkt im Zu-sammenhang mit Nutzungserwartung ist dasThema der Beheizung von Kirchenräumen an-zusprechen. Zumeist erfolgt diese unkontrolliertund sporadisch.

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2 u. 3 Tafelbild in derSt.Veit-Kirche in Murr-hardt (Rems-Murr-Kreis).Sicherung der Mal-schichten.

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4 u 5 St. Dionys in Ess-lingen, evangelischerHochaltar, dat. 1604, ge-schlossen und geöffnet.

Allgemein ist festzuhalten, dass Kirchenräumenicht geheizt, sondern kontinuierlich temperiertwerden sollten. Dies ist gleichbedeutend mit einerErwärmung der Lufttemperatur auf 12–14o C.Diese konservatorische Forderung kann mit denheutigen Mitteln der Technik ohne Problemedurch eine Heizungsregelung ermöglicht werden.Zahlreiche Ausstattungen in Kirchenräumen sindbekanntlich aus Holz gefertigt und weisen Fas-sungen in unterschiedlichsten Techniken auf.Ebenfalls üblich ist ein hölzerner Unterbau, füraus Stuck gefertigte Skulpturen und Altaraufbau-ten sowie Architekturgliederungen. Holz weist im Idealfall eine Feuchte von 16–17% auf. Beieinem Feuchteabfall von 3–4% bezogen aufdiesen idealen Feuchtegehalt, etwa bei einer Er-höhung der Raumtemperatur von 16 auf 20o C,beginnt Holz zu schwinden, Hölzer zeigenSchwundrisse, Malschichten platzen auf, Gips-stuck wird abgesprengt. Die kunstvolle Ober-flächengestaltung fällt im schlimmsten Falle ab.Dieses Schadensbild ist sehr häufig anzutreffen.Um solchen Schädigungen entgegenzuwirken,wurde zwischenzeitlich vom evangelischen Ober-kirchenrat eine maximale Temperatur für Kirchen-räume von 16o C festgeschrieben. Die Einhaltungdieses Richtwertes kann jedoch nur schwer kon-tinuierlich überprüft werden.Grundsätzlich gilt es, das direkte Abhängigkeits-

verhältnis von Raumtemperatur zu Luftfeuchte zuerkennen und dies sowohl bei regelmäßigen wietemporären Veranstaltungen in der Technikkon-zeption zu berücksichtigen.Anhand von zwei Fallbeispielen, die sich mit un-sachgemäßer Raumbeheizung befassen, möchteich nun die Auswirkung von Anforderungen anden Raumkomfort im Zusammenhang mit Veran-staltungen in Kirchenräumen verdeutlichen.Es werden konkrete Objekte vorgestellt, die Stell-vertreter für viele andere Fallbeispiele sind. Hierwerden ausschließlich substanzielle, keine struk-turellen Schadensbilder vorgestellt. (Die Anwendung moderner Technikstandards,z. B. Heizung, birgt nicht nur in historischen Kir-chenräumen eine erhebliche Gefahr für Gebäu-de und Ausstattung in sich. Siehe auch: Nach-richtenblatt 27/3 (1998), S. 168ff. mit Textbei-trag über das Ludwigsburger Schlosstheater unddie schädigende Aufheizung anlässlich des Besu-ches des spanischen Königs.)

Esslingen, St. Dionys

Im Jahre 1980 wurde der 1604 geschaffeneHochaltar grundlegend restauriert. Um zukünf-tige Beschädigungen am Kunstwerk zu ver-meiden und unnötige finanzielle Aufwendungenauszuschließen, wurde auf Veranlassung der Res-

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taurierungswerkstatt des Landesdenkmalamtesin die Heizungssteuerung eingegriffen. Die Hei-zung konnte fortan, ausgehend von einer Grund-temperatur im Raum von 12o C, nur noch lang-sam an- und maximal auf eine Leistung von 14o Chochgefahren werden. Hinzu kam ein Wartungs-vertrag mit der Kirchengemeinde, der einen War-tungsturnus von zwei Jahren vorsieht.Das Ergebnis lässt sich ohne Zweifel sehen: In 18Jahren mussten keinerlei Folgeinvestitionen vor-gesehen werden, sieht man einmal von dem zwei-maligen Abstauben der Oberflächen ab.Am 7. Januar 1998 fand eine kirchenmusikalischeVeranstaltung unter höchst prominenter Leitungstatt. Das städtische Energieversorgungsunter-nehmen Esslingen war Mitveranstalter des Kon-zertes. Die Musiker und ihr Dirigent fühlten sichin der winterlichen Kirche unwohl und veran-lassten über den besagten und energiekompe-tenten Mitveranstalter eine Erhöhung der vorge-schriebenen und nachweislich bewährten Raum-temperatur.Da jedoch die bestehende Heizungsanlage vorFremdzugriff und unkontrollierter Steuerung ab-gesichert war, wurde eine Fremdheizung direktan das eigene städtische Stromnetz, direkt vorder Kirche im Boden verlaufend, angeschlossenund mit einem unbeschreiblichen Spannungspo-tenzial die Überheizung der Kirche verursacht.Innerhalb kürzester Zeit wurde eine Raumtempe-ratur zwischen 35 und 40o C erreicht und gehal-ten. Augenzeugen berichteten hinterher, dassBesucher begannen, sich ihrer Jacken und Män-tel zu entledigen. Die Kirche hatte die Standardsheimischer Wohnzimmer längst übertroffen.Der folgende Sonntagsgottesdienst machte dasunverantwortliche Fehlverhalten der Konzert-veranstalter augenscheinlich und akustisch deut-lich.Am restaurierten und gewarteten Hochaltar stan-den innerhalb einer Woche Malschichten auf undmussten vor dem Abfallen bewahrt werden. Eineerneute restauratorische Sicherung und Restau-rierung der Fassung und Kittungen am hölzernenTräger in Höhe von 85 000 DM war unumgäng-lich.Die hölzerne Armaturen- und Spieltechnik sowiedie hölzernen Pfeifen der großen Orgel wiesenerhebliche Schwundrisse auf. Dies kommt derUnbespielbarkeit des Instrumentes gleich.Das Orgelgehäuse sowie die im Kirchenschiff be-findliche hölzerne Kanzel von 1609 hatten be-dingt durch Schwinden des Holzes große Teile ih-rer Farbfassung verloren. Die Fassung des Orgel-gehäuses war bereits in Teilen abgeblättert undfand sich auf dem Boden der Empore wieder. Ander Orgel entstand ein Schaden in Höhe von ca.1 Mio. DM.

Schwäbisch Hall, St. Michael

Die Michaelskirche in Schwäbisch Hall bietetebenso wie St. Dionys in Esslingen regelmäßigRaum für konzertante Aufführungen und Vor-träge. Auch hier wurde in großem Umfang derKirchenraum beheizt, um den Besuchern ein Ge-fühl von Behaglichkeit zu verschaffen.In den Jahren 1996–2000 musste infolge un-sachgemäßer Beheizung die gesamte hölzerneund aus Naturstein gearbeitete Ausstattung übereinen Zeitraum von zwei Jahren durch das Lan-desdenkmalamt notgesichert und dann Stück umStück von freischaffenden Restauratoren restau-riert werden. Die notwendige Investition beliefsich auf 1,5 Mio. DM.Mit der Bezuschussung einer fachgerechten Res-taurierung aus öffentlichen Mitteln wurde dieVerpflichtung ausgesprochen, dass die Heizungs-anlage überholt werden müsse und eine Grund-temperierung des Kirchenraumes von 15o C nichtüberschritten werden dürfe.Zudem ist zukünftig eine relative Luftfeuchte vonmindestens 50% einzuhalten, um die Holzspan-nungen durch Schwinden und Quellen weitest-gehend zu unterbinden.An dem abgebildeten Wandepitaph aus St. Mi-chael kann verdeutlicht werden, dass sich nebenden substanziellen Beschädigungen auch in er-heblichem Maße das Erscheinungsbild ändernkann.Wie bereits erläutert, treten durch Schwankun-gen der Luftfeuchte Spannungsrisse in den Fas-sungsträgern und damit in den Fassungen selberauf. Steht die Malschicht oder ein farbloser Über-zug einmal offen, so ist es möglich, dass Feuch-tigkeit zwischen die Fassungsschichten gelangtund großflächig kondensiert. Dies führte in demHaller Beispiel zu einer völligen Entstellung desKunstwerkes.Neben dem veränderten Erscheinungsbild sind al-lerdings auch erhebliche Substanzverluste zu ver-zeichnen, die im Zusammenhang mit Abspren-gungen von Gipsstuckschalen durch massivenWechsel der Luftfeuchtigkeit stehen.Im ganzen Land werden in Kirchenräumen, gleichob groß oder klein, Veranstaltungen durchge-führt. Trotz wechselnder Vorstellungsorte bleibtdie angesprochene Problematik immer ähnlich,die Schadensbilder sind jedoch durchaus vielfäl-tig, wie es am nachfolgenden Beispiel deutlichgemacht werden kann.Die profanierte Kirche in Oberstenfeld, Kreis Lud-wigsburg, weist über ihrem Mittelschiff noch ei-nen mittelalterlichen Dachstuhl auf der um 1200errichtet wurde. Es handelt sich um einen bedeu-tenden Baubefund, da Dachwerke dieser Zeitdurchaus selten sind.

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Der Kontinuität der historischen Nutzung unddem Bestand der natürlichen Klimaschwankun-gen ist der Erhalt dieses Holzgefüges zu verdan-ken. Nunmehr werden aber zunehmend Scha-densbilder offenkundig, die im Zusammenhangmit Schädlingsbefall stehen. Mangelhafte Belüf-tung in Kombination mit temporärer Beheizungvor, bei und nach Veranstaltungen führten in denletzten Jahren zu so erheblicher Kondensatbil-dung im Kircheninnenraum, dass eine regelrech-te „Wiederbelebung“ der ausgetrockneten mit-telalterlichen Konstruktionshölzer stattfand, diefortan wieder Anziehungspunkt und Nahrung fürAnobien waren.Um die Problempalette ein wenig zu erweitern,möchte ich stichwortartig weitere „Events“ an-sprechen, die nicht minder problematisch für denAusstattungsbestand sind, und sowohl weltlicherals auch geistlicher Natur sein können.Da sollte beispielsweise in einer Gemeinde ein ro-manisches Lesepult zur Jahrtausendwende in sei-ner angestammten Kirche auf- und ausgestelltwerden. Es sollte temporär den Klimaschwankun-gen des vielseitig genutzten Kirchenraumes aus-gesetzt werden. Dies alles war beabsichtigt, ob-wohl man gerade wegen der nutzungsbedingtenKlimaschwankungen einst dieses Pult unzugäng-lich in einem konstant klimatisierten Raum unter-brachte, um es vor Schädigung zu bewahren.

Gedenkfeiern sind, bei allem aufrichtigen Res-pekt für den einzelnen Anlass der Handlungen,ebenfalls anzusprechen. Bis zu 2000 Kerzen wur-den an einem Ort konzentriert im Schiff des Ul-mer Münsters aufgestellt, um den Opfern von Er-furt zu gedenken. Diese Kerzen wurden in eineneigens eingebrachten Sandhügel gesteckt. DieProblematik ist vielschichtig. Die enorme Wärme-entwicklung durch die Kerzen ist dabei nur einPunkt, schlimmer aber ist das unkontrollierte Ein-bringen von Feuchtigkeit und Salzen. Staub, derdurch das Abladen des Sandes im Kircheninnerenentstand, setzte sich unmittelbar auf den Ober-flächen der Ausstattungsstücke ab.Gegen den Kirchenbesuch durch Touristen undTouristengruppen ist nichts einzuwenden. Völligunnötig ist jedoch das Serviceangebot vieler Kir-chenpfleger, die den Besuchern durch weit geöff-nete Portale den bequemen und ungehindertenZutritt gewähren. Dieses besucherfreundlicheVerhalten birgt erhebliche raumklimatische Ge-fahren und Risiken.Im Sommer kann dann warme, feuchte Luft in dieSchiffe einströmen. Diese verdrängt die kühleLuft an die Außenwände. Kondenswasserbildungan den Oberflächen mit allen Folgeerscheinun-gen für Fassungen, Putze, Hölzer und Ausstat-tungsstücke an den Außenwänden wird unaus-weichlich zum Problem.

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6 u 7 St. Michael in Schwäbisch Hall. Wandepitaph vor und nach seiner Res-taurierung.

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Es können aber auch unkontrollierte Luftströmeentstehen, die in erheblichem Maße zu den Ver-schmutzungen an den Wandoberflächen beitra-gen.Die Staubablagerung wird dabei, das sei neben-bei erwähnt, auch durch die oft kunststoffhalti-gen Anstriche vergangener Jahre begünstigt, dadurch die Luftströme eine elektrostatische Aufla-dung an den Oberflächen erfolgt.Die Luftstrombildung durch Lüftung ist ein wich-tiges Thema, das hier nicht vertieft werden kann.Begünstigt durch Einbauten in den Kirchenräu-men und die Gliederung der Baukörper entste-hen verschiedene interne Klimazonen. Dies kannzu völlig ungleichmäßigen raumklimatischen Be-dingungen im Innenraum mit allen schädlichenFolgeerscheinungen für Gebäude und Ausstat-tung führen.Beschließen möchte ich den Vortrag mit einempositiven Beispiel. In der ehemaligen Klosterkir-che Zwiefalten werden in der Vorweihnachtszeitregelmäßig Konzerte für das Fernsehen aufge-nommen.Nach vielen Jahren konventioneller Heizversucheund unablässiger Ermahnung durch Herrn Reich-wald werden hierfür nun Heizplattenbausteineauf eine Gesamtfläche von 14 × 18 m im Vie-rungsbereich ausgelegt. Die Oberfläche dieser

Platten ist auf max. 28o C regelbar. Diese Tempe-ratureinstellung führt noch nicht zur Bildung vonLuftturbulenzen. Die Gesamtinvestition für dieseFläche von 252 m2 beträgt ca. 16 000 Euro. DasSystem trägt 2 cm auf, ermöglicht also im abge-bauten Zustand eine Platz sparende Lagerungund auch einen leichten Transport in jede andereKirche.Zusammenfassend möchte ich abschließen, dassdie Kirchenbauten und ihre Ausstattung demNutzer die vertretbare Nutzungsintensität vorge-ben. Die Veranstaltung hat sich den Möglichkei-ten des Bestandes anzupassen – nicht umge-kehrt.Aus Respekt vor dem bestehenden Kulturgutsollte mehr Vorsicht walten und Kompetenz ein-gefordert werden. Es besteht sicher Einigkeitüber den Reiz und die Notwendigkeit, zeitgenös-sische kulturelle Veranstaltungen auch in Kir-chenräumen zu pflegen – wir sind jedoch nurGäste in großartigen Bauwerken und sollten unsauch entsprechend benehmen.

Dipl.-Ing. Ulrike Roggenbuck-AzadLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeMörikestraße 1270178 Stuttgart

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8 St. Michael in Schwä-bisch Hall. Holzcorpus,Malschichten platzen ab(vgl. auch Abb. S. 92)

9 Stuckabsprengungenan einem Wandepitaph,St. Michael in SchwäbischHall.

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Von allen denkmalpflegerischen Sachthemen imUmfeld des Kirchengebäudes gibt es kaum einenBereich, der Kirche und Denkmalpflege auf in-tensivere Art verbindet, als das Thema Orgel bzw.Orgeldenkmalpflege. Dies hat eine Vielzahl vonGründen. Zum einen können wir generell fest-stellen, dass die Orgel insbesondere auch unterdem Blickwinkel der Denkmalpflege eine äußerstvielschichtige Thematik darstellt, die – wie beikeinem anderen Ausstattungsstück im Kirchen-raum – eine besonders differenzierte Betrach-tungsweise erfordert. Neben ihrer optisch-ästhe-tischen Wirkung innerhalb des kirchlichen Aus-stattungsensembles und ihrem architektonischenEingebundensein im Kirchenraum spielt natürlichdie klanglich-musikalische Dimension die zentraleRolle. Vergegenwärtigen wir uns dabei aber, dassder materiell nicht fassbare Klang einer Orgelnatürlich Produkt einer substanziell klar definier-baren, höchst komplexen technischen Anlage istund dass die Orgel – rein materiell betrachtet –zunächst einmal als technisches Gerät zu be-trachten ist. Die äußere optische Gestaltung, dietechnische Realisierung und die daraus resultie-rende klanglich-akustische Dimension sind somitdie drei wesentlichen Aspekte, die das Orgelwerkprägen und die sich teilweise aufs Engste bedin-gen. So können bereits kleinste technische Verän-derungen enorme Auswirkungen auf die klangli-che Aussage des Instruments und auf die spiel-technische Charakteristik besitzen. Zweifellos liegthierin eine der Eigenheiten des Kulturguts Orgelund eine der besonderen konservatorischen Her-ausforderungen im Umgang mit ihr: Die beson-dere Empfindlichkeit des Schutzgutes gegenüberVeränderungen und äußeren Einflüssen in einemMaße, wie es bei kaum einem anderen Gegen-stand der Denkmalpflege anzutreffen ist.

Denken wir z.B. an rein intonatorische Maßnah-men am Pfeifenwerk, die noch gar keinen Sub-stanzeingriff im herkömmlichen Sinne der Denk-malpflege bedeuten, die aber sehr wohl durchÄnderung der klangbildenden Parameter an derPfeife (z.B. der Änderung der Kernspaltenbreitebzw. der Abänderung der Luftmenge durch Öff-nen oder Zukulpen der Fußspitzen am Pfeifen-werk) das klangliche Erscheinungsbild der Orgelmaßgeblich beeinflussen können. Oder denkenwir an das sensible Thema historischer Stim-mungsarten, die durch das Verwischen der Be-funde im Rahmen der zumeist schon in der erstenHälfte des 19. Jahrhunderts erfolgten gleichstufi-gen Temperierung oder anderer Manipulationenam Pfeifenwerk fast immer verloren sind.Es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt,der die Sonderstellung der Orgel auch in denk-malpflegerischer Hinsicht verdeutlicht, nämlichihre Funktion als Gegenstand des praktischen Ge-brauchs. Kein Ausstattungsteil im Umfeld des Kir-chengebäudes ist in Art und Qualität einer ver-gleichbar intensiven Nutzung ausgesetzt. Dies istnicht allein eine Frage des Substanzverschleißes.Vielmehr ist in diesem Zusammenhang auch derAspekt der Funktionsfähigkeit von wesentlicherBedeutung. Denn zumindest bei den im prakti-schen Gebrauch stehenden Instrumenten ist aufdie Funktionssicherheit besonderes Augenmerkzu richten. Dies bedarf hier der ausdrücklichenErwähnung, zumal die komplexe und aus einerVielzahl von einzelnen Konstruktionselementenbestehende technische Anlage einer Orgel –mehr oder weniger gleich welchen Systems – einhohes Maß an Störungspotenzial in sich birgt. Be-reits bei Versagen eines einzigen Bauelementskann die Gesamtfunktion der Orgel in Frage ge-stellt sein. Die Gewährleistung der Funktionssi-

Die Orgel als Klang-, Technik- und Kunst-denkmalEine besondere Herausforderung in der konservatorischen Praxis

Als eines der empfindlichsten Schutzgüter in der Denkmalpflege ist die Orgelin besonderer Weise spezifischen Zeitströmungen, d. h. einem sich stetig wandelnden Klangideal, ausgesetzt. Fragen der Akzeptanz bei bestimmten Instrumententypen wie auch die Einlösung grundlegender konservatorischerZiele im Maßnahmenfall sind wesentliche Themen im Umgang mit dieser speziellen Denkmalgattung.

Klaus Könner

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cherheit ist natürlich meistens auch eine denk-malpflegerische Frage, bei der die Möglichkeitendes Einsatzes moderner Restaurierungstechnolo-gien zur Erhaltung des historischen Bauteils unddie unumgängliche Notwendigkeit des Substanz-austausches im Falle von irreparablen Verschleiß-teilen (zu denken ist hier z.B. an die spröde ge-wordenen Ledergarnituren eines pneumatischenSystems) sorgfältig zu prüfen sind.Wie in anderen Bereichen der Denkmalpflege istdas Nutzungsthema bei der Orgel immer aucheine Frage von Nutzungsansprüchen und Nut-zungswünschen. Dies betrifft hier vor allem dieKlangästhetik und stilistische Ausrichtung, aberauch das technische Konzept. Bereits unabhän-gig vom historischen Bestand können wir die Be-obachtung machen, dass das Klangideal und dieKlangästhetik einem stetigen Wandel unterwor-fen sind. Hatten wir noch vor 30 Jahren den ex-trem oberton- und aliquotreichen Orgeltyp derspäten Orgelbewegung vor uns, so ist das gegen-wärtige Ideal eine der Frühromantik angenäherteKlangästhetik mit einem reichen Grundstimmen-fundus und romantischen Klangfarben, wie siewenige Jahre zuvor noch völlig verpönt waren.Dies hat zur Folge, dass die orgelbewegten Ins-trumente der 60er- und 70er-Jahre wie z. B. auchdie avantgardistischen Konzepte eines HelmutBornefeld heute bereits wieder einem massivenVeränderungsdruck ausgesetzt sind.Dieser Umstand eines sich ständig wandelndenKlangideals wirkt sich natürlich in vielfältiger Wei-se auch auf den historischen Orgelbestand unddie Klangdenkmale aus. Hier sind es nicht nur diegenerellen musikalischen Zeitströmungen mit ih-ren jeweiligen Präferenzen, die zu Konflikten mitdem denkmalpflegerischen Erhaltungsanliegenführen können, sondern auch die Vorliebe deseinzelnen Kirchenmusikers für bestimmte Litera-tur oder ein bestimmtes Orgelkonzept. Welchekolossalen Verluste die einseitige Präferierung ei-nes bestimmten Orgeltyps hervorrufen kann, wiees durch die Orgelbewegung in geradezu ideolo-gischer Weise geschehen ist, zeigt der Umgangder Nachkriegszeit bis hinein in die frühen 80er-Jahre mit den Orgeln der Hoch- und Spätroman-tik. Aus Gründen des Ortes sei hier nur an den Fallder Biberacher Stadtpfarrkirche St. Martin erin-nert (Abb. 1), wo im Jahre 1966 die aus der re-nommierten Stuttgarter Werkstätte Weigle stam-mende, 1878/81 errichtete Orgel, eines derPrachtstücke der Hochromantik in Oberschwa-ben, abgebrochen und durch einen Neubau er-setzt wurde. Das Instrument war keineswegs ma-rode. Das aufwändig gestaltete Gehäuse wurdedem Deutschen Museum in München angebo-ten, jedoch aus Platzmangel nicht angenommen.Einige Teile davon zieren heute ein Wohnzimmer

in Bayern, der Rest ist verfeuert. Das Pfeifenwerkwanderte zum großen Teil in ein Neubauprojektnach Afrika.Ähnliches Schicksal widerfuhr noch im Jahr 1983der ebenfalls aus der Werkstätte Carl GottlobWeigle in Stuttgart stammenden großen Orgel imHeilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch Gmünd. ImJahre 1877/78 erbaut, wurde sie ebenfalls nichtaus Gründen mangelnder Erhaltungsfähigkeitoder mangelnder Qualität, sondern ausschließlichaus klanglich-musikalischen Akzeptanzgründeneinem Neubau geopfert. Beide Instrumente, so-wohl in Biberach als auch in Schwäbisch Gmünd,wären nach heutiger fachlicher Einschätzunghochkarätige Klangdenkmale von besonderer Be-deutung.Wenn wir heute die baden-württembergischeOrgellandschaft überblicken, so stellen wir fest,dass die nachkriegszeitliche, aus der damaligenmusikalischen Praxis resultierende Ablehnung derOrgelromantik einen beispiellosen Kahlschlag amOrgeltyp einer ganzen Epoche hinterlassen hat.Keine der großen romantischen Stadtkirchenor-geln, nicht in Biberach, nicht in Ravensburg, Ried-lingen, Wangen, Überlingen oder anderswo, hatüberlebt. Man kann diesen Prozess durchausvergleichen mit dem seinerzeitigen Verhältnis zurKunstproduktion des Historismus im sakralenUmfeld allgemein, nur dürfte die zerstörerischeWirkung im Orgelbereich eine größere Entfal-tung gehabt haben. Glücklicherweise hat sich dasVerhältnis zur Orgelromantik durch Rehabilitie-rung des romantischen Orgeltyps in den maßgeb-lichen Fachkreisen gründlich geändert, allerdingssehr spät, denn für die authentische Wiedergabeder romantischen Literatur stehen heute nurnoch wenige zeitgenössische Instrumente insbe-sondere größeren Werkumfangs zur Verfügung.Wünsche und Forderungen von Seiten der kir-chenmusikalischen Praxis führten und führen

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1 Biberach, simultaneStadtpfarrkirche St. Mar-tin, Hauptorgel: DasWerk wurde 1878/81 von der StuttgarterWerkstätte Carl GottlobWeigle errichtet. 1966Abbruch des im Wesent-lichen intakten Instru-ments und Ersatz durcheinen Neubau.

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nicht immer zum Totalverlust eines historischenOrgelwerkes. Gerade im Bereich romantischer In-strumente haben wir eine große Anzahl von Bei-spielen, wo aus finanziellen Gründen ein voll-kommener Neubau nicht realisierbar war. Hierwurde das historische Werk – meist unter er-heblichem Eingriff in die historische Substanz –im klanglichen oder auch im technischen Bereichumgearbeitet. Die Aufhellung der romantischenDisposition mit dem Ziel der Annäherung an ba-rocke Vorbilder, wie sie von der Orgelbewegungproklamiert wurden, oder auch die Elektrifizie-rung pneumatischer Trakturen waren hier diegängigen Maßnahmen. Das erwünschte klangli-che und technische Ergebnis ist dabei eigentlichnirgends erreicht worden. Genau hier hat dieDenkmalpflege heute eines ihrer großen Aufga-benfelder. Es geht um die Frage des Umgangs mitjenen in den letzten Jahrzehnten umgearbeitetenInstrumenten, die sich in der Praxis nicht bewährthaben und die von kirchenmusikalischer Seiteheute erneut in Frage gestellt werden (Abb. 2 u.3). Natürlich stellt sich die Frage für die Denkmal-pflege überhaupt nur noch dort, wo sich eindenkmalrelevanter historischer Bestand überlie-fert hat.Bestandseingriffe an historischen Instrumenten insolch massiver Form, dass man sie zurecht als Ver-stümmelung bezeichnen kann und wie sie rei-henweise in den 50er- bis 70er-Jahren vor alleman romantischen Orgelwerken erfolgt sind, gehö-ren heute glücklicherweise eher zur Ausnahme.Die Bestandsgefährdungen im Orgelthema liegenheute in anderen Bereichen und sind von subti-lerer, weniger deutlich zu Tage tretender Art,auch wenn die Ursachen und Wirkungszusam-menhänge sich grundsätzlich nicht wesentlichvon denen der Vergangenheit unterscheiden.Natürlich sind es auch heute zuweilen Forderun-gen von Seiten der kirchenmusikalischen Praxis,

die an den historischen Bestand herangetragenwerden. Dies ist vor allem und verstärkt dort zubeobachten, wo es um spezifische und von heu-tigen Normen abweichende Eigenheiten in derhistorischen Bauweise und dem technischen bzw.klanglichen Konzept geht und wo der Respektund das Verständnis für diese historische Aus-führung nicht hinreichend gegeben sind.Ein weiteres Problem stellt das fachhandwerk-liche bzw. restaurierungstechnologische Know-how dar, das heute zwar in einem erfreulichenMaße durch diverse Fachfirmen repräsentiertwird, das jedoch auftragsbedingt nicht immerausreichend am Denkmalobjekt zur Verfügungsteht.Am wenigsten bewusst, denkmalpflegerisch des-halb aber nicht weniger beunruhigend, ist eineErscheinung im gegenwärtigen Restaurierungs-geschehen. Hier beobachten wir – und das trifftvor allem für vermeintlich anspruchsvolle Res-taurierungsprojekte zu –, dass die Denkmalorgelnach Restaurierung zwar in einen tadellosentechnischen Zustand versetzt ist und dass dietechnische Ausführung aus rein handwerklicherSicht nichts zu wünschen übrig lässt. Nur hat das Instrument von seinem authentischen histori-schen Charakter viel verloren, es wirkt „glatter“,handwerklich perfekter als es je war und hat da-durch von seinem Dokumentwert als historischeQuelle der Orgelbaugeschichte vieles verloren.Die Orgel ist „verrestauriert“, vergleichbar demberühmt-berüchtigten Beispiel des „in neuemGlanz erstrahlenden“ Baudenkmals.Wir müssen uns deshalb an dieser Stelle noch-mals die Ziele der Denkmalpflege vergegenwärti-gen, die – und das ist hier ausdrücklich zu beto-nen, zumal gelegentlich auch andere Auffassun-gen vertreten werden – exakt die gleichen sindwie bei jedem anderen denkmalpflegerischenGegenstand. Ziel ist es nämlich, das Klangdenk-mal als aussagekräftiges historisches Dokumentund authentische Quelle der Orgelbaugeschich-te in seiner sprechenden historischen Substanzmöglichst unverfälscht zu erhalten und sein Er-scheinungsbild zu bewahren. Dies bedeutet hiernatürlich nicht nur das üblicherweise gemeinteoptische Erscheinungsbild, sondern gerade auchdie klangliche Seite und die spezifische spieltech-nische Eigenart, wie sie aus der Perspektive desOrganisten markant spürbar wahrgenommenwird. Sowohl der klangliche Charakter wie auchdie spieltechnische Beschaffenheit einer Orgelsind natürlich, wie bereits dargelegt, Produkteiner spezifischen technischen Gesamtkonstruk-tion, die aus einer Vielzahl einzelner Bauelementebesteht. Diese zeigen zeit- und bauartbedingt un-terschiedlichste Konstruktionsformen und -para-meter wie auch unterschiedlichsten Materialein-

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2 Kernen-Rommelshau-sen (Rems-Murr-Kreis),evangelische Mauritius-kirche, Johann VictorGruol-Orgel (1844/45),I/15. Das Instrumentwurde 1937 einemmodernisierenden Um-bau unterzogen und mit elektropneumatischerTraktur ausgestattet.1954 fiel der neugoti-sche Prospektoberteildem geänderten Zeit-geschmack zum Opfer,gleichzeitig wurde diePfeifenstellung in derMittelachse völlig ver-ändert. Trotz eines um-fangreich erhaltenen his-torischen Bestandes von1844/45 sollte die Orgelnach der ursprünglichenPlanung – wie in zahl-reichen anderen Fällen –einem kompletten Neu-bau weichen.

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satz. Da der Klangcharakter einer Orgel bekann-termaßen keineswegs nur vom Pfeifenwerk alleinabhängt, sondern von einer Vielzahl sonstigertechnischer Parameter beeinflusst wird, wie auchdie spieltechnische Eigenart natürlich ganz un-mittelbar mit der technischen Konstruktion derOrgel zusammenhängt, geht es in der Orgel-

denkmalpflege immer um die Erhaltung ihrertechnischen Gesamtkonstruktion in der jeweili-gen spezifischen Ausprägung. Je mehr von denwesentlichen bauhistorischen Informationen überdie jeweilige orgelbautechnische Konstruktionund damit auch der klanglichen und spieltech-nischen Charakteristik im Rahmen der Instand-

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3 Kernen-Rommelshau-sen, evangelische Mauri-tiuskirche: Johann VictorGruol-Orgel nach Gesamt-restaurierung 1993/94.Konservatorisches Ziel warder konsequente Rück-bau auf den Bauzustand1844/45 unter Reorgani-sation der historischenSubstanz sowie die Er-gänzung der 1954 be-seitigten Prospektab-schlüsse. Die bauzeitlichmit dem früh-neugoti-schen Kirchenraum errich-tete Gruol-Orgel ist un-verzichtbarer Bestandteil des weitgehend geschlos-sen überlieferten Raum-ensembles. Sie stellt dasklangliche Pendant zuArchitektur und ausstat-tenden Künsten im Sinneeines Gesamtkunstwerksdar.

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5 Johann Georg Schäfer-Orgel (1832) im Umbau-zustand von 1974: In denGehäusesockel wurdeseinerzeit ein neuer zwei-manualiger Spielschrankaus normierten Standard-bauteilen serieller Ferti-gung eingebaut.

setzung erhalten geblieben sind, umso besser istdie denkmalpflegerische Maßnahmenbilanz. ImUmkehrschluss heißt das: Je mehr an historischaussagekräftigen Elementen der Gesamtkonstruk-tion unwiederbringlich verloren gegangen oderauch wichtige Befunde verwischt worden sind,umso weniger ist das denkmalpflegerische Zielerreicht.In welcher Weise diesem denkmalpflegerischenGrundanliegen im Orgelbereich Rechnung getra-gen werden kann und welchen Stand die Or-geldenkmalpflege unter Anwendung moderner Restaurierungstechnologien und perfektionierterhandwerklicher Reparaturmethoden heute er-reicht hat, soll abschließend anhand eines kon-kreten Maßnahmenfalles verdeutlicht werden. Esgeht um den Orgelfall in der katholischen Pfarr-kirche St. Martinus in Ailringen und damit um ei-nen jener Problemfälle, die für die heutige orgel-denkmalpflegerische Praxis besonders kennzeich-nend sind.

Im Jahre 1832 durch den Göppinger Orgelma-cher Johann Georg Schäfer mit 13 Registern aufeinem Manual und Pedal errichtet, stellt die Ail-ringer Orgel ein anschauliches Beispiel für denOrgelbau des frühen 19. Jahrhunderts dar, eineEpoche, die einerseits von barocken Bauprinzi-pien geprägt ist, andererseits aber bereits deutli-che frühromantische Züge trägt (Abb. 4). Als sel-tenes Dokument für diese interessante Umbruch-phase im Orgelbau der ersten Jahrzehnte des 19.Jahrhunderts kommt der Schäfer-Orgel über dieRegion hinaus besondere organologische unddenkmalpflegerische Bedeutung zu.Die in den Jahren 2000/2001 durchgeführte Ge-samtrestaurierung der Orgel hatte eine besondersschwierige Ausgangssituation: Die Schäfer'scheOrgelanlage war durch einen Umbau im Jahr1974 massiv verändert und in ihrem wertvollenhistorischen Bestand dezimiert worden. Forderun-gen aus der damaligen kirchenmusikalischen Pra-xis und die seinerzeit empfundenen Einschrän-kungen hinsichtlich einmanualiger Orgeln hattenzur Erweiterung um ein zweites Manualwerk ge-führt. Dabei wurde der historische Spieltisch ent-fernt und ein neuer, der Konzeption Schäfers wi-dersprechender Spielschrank im Gehäusesockeleingebaut (Abb. 5). Gleichzeitig erfolgte einetiefgreifende Dispositionsänderung und Uminto-nation im Stil der Zeit, sodass das klangliche Kon-zept Schäfers völlig entstellt wurde.Bereits zwei Jahrzehnte später erwies sich dieserOrgelumbau jedoch im technischen und klang-lichen Bereich mit solch gravierenden Mängeln behaftet, dass ein erneuter Handlungsbedarf ge-geben war. Die Denkmalpflege wurde einge-schaltet. Eine in diesem Zusammenhang erfolgteBestandsaufnahme erbrachte das eindeutige Er-gebnis, dass der Umbau von 1974 nicht nur alsdenkmalpflegerisch völlig belanglos zu bezeich-nen ist, sondern dass darüber hinaus eine reineReparatur der bestehenden Orgelanlage auf-grund eklatanter konzeptioneller wie auch tech-nisch-handwerklicher Schwächen nicht sinnvollsein konnte. Die Lösung der Ailringer Orgelfragekonnte daher nur in einer grundlegenden Neu-ordnung des Werkes gesehen werden. Wichtigesdenkmalpflegerisches Ergebnis der Bestandsun-

4 Mulfingen-Ailringen(Hohenlohekreis), katho-lische Pfarrkirche St. Mar-tinus: Orgel von JohannGeorg Schäfer/Göppin-gen (1832) nach Restau-rierung 2000/2001.

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tersuchungen war jedoch auch, dass von der his-torischen Orgelanlage Schäfers trotz des Umbausvon 1974 ein wesentlicher Kernbestand erhaltengeblieben ist: Das komplette Gehäuse mit demLagerwerk, die Windladen von Manual- und Pe-dalwerk, die Balganlage samt den Kanalführun-gen sowie zwei Drittel des historischen Pfeifen-werks. Es war somit trotz der bedauerlichen Ver-luste von Spieltisch und Mechanik noch so viel anverpflichtender historischer Substanz vorhanden,dass eine Wiederherstellung der Schäfer‘schenOrgelanlage als das angemessenste denkmal-pflegerische Konzept bezeichnet werden konnte.Das Landesdenkmalamt hatte daher im Interesseeiner in sich stimmigen Gesamtlösung einen kon-sequenten Rückbau der Orgel auf den Zustandvor 1974 angeregt. Dies bedeutete hier, dass einerseits der durcheinandergewürfelte histori-sche Schäfer-Bestand reorganisiert und wiederdem historischen Standort zugeordnet wird unddass andererseits die verlorenen Bauteile nachden historischen Befunden in der Bauweise Schä-fers ergänzt werden (Abb. 6–10).Wesentliche Hinweise für abgegangene Bereichekonnte die bis in die Details bautypgleiche Schä-fer-Orgel in der evangelischen Kirche in Beimbach(1836/37) liefern, die hier fast komplett erhaltengeblieben ist. Dieses denkmalpflegerische Konzept der kon-sequenten Wiederherstellung der Schäfer‘schenAnlage wurde schließlich seitens der Kirchenge-meinde der ursprünglichen Planung eines zwei-manualigen Neubaus mit einem Unter- bzw. Hin-

terwerk sowie einem Spielschrank im Gehäuse-unterbau vorgezogen und zur Ausführung be-schlossen.Einziges Problem stellte die von der Kirchenge-meinde gewünschte Zweimanualigkeit dar, dieden historischen Rahmen der Orgel und dasSchäfer‘sche Konzept sprengte, die jedoch als Er-rungenschaft von 1974 für die Kirchengemeindeunverzichtbar erschien. Hier wurde durch einenvöllig neuen, innovativen Konzeptansatz eine Lö-sung entwickelt, die sowohl den denkmalpflege-rischen Belangen wie auch den Nutzungswün-schen in gleichem Maße Rechnung trägt: DasII. Manualwerk wurde als mobile Truhe ohne je-de feste Verbindung vor den freistehenden Schä-fer-Spieltisch positioniert und ragt mit seinerverlängerten Klaviatur über den Spieltischdeckel(Abb. 11 u. 12). Es handelt sich somit um ein völ-lig eigenständiges und auch andernorts flexibeleinsetzbares Continuo-Instrument, das hier aus-schließlich ergänzende Funktion hat und die his-torische Orgelanlage nicht tangiert, eine auch an-dernorts einsetzbare Lösung, die in der Orgel-denkmalpflege bundesweit hier zum ersten Malin dieser Form realisiert wurde (Abb. 13 u. 14).

Das hier gewählte konservatorische Konzept be-inhaltet natürlich eine ganze Reihe von denkmal-pflegerischen Teilaspekten. Im geschilderten FallAilringen ging es um die denkmalpflegerisch an-gemessene Behandlung eines durch unqualifi-zierte Umbaumaßnahmen verstümmelten histo-rischen Bestandes. Das primäre Anliegen hier wie

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8 Rückbau der 1974durch Umstellung desPfeifenwerkes veränder-ten historischen Pfeifen-stöcke der Manuallade.Die alten Verführungenund Bohrungen wurdenin Vierungstechnik wie-derhergestellt.

9 Restaurierter Pfeifen-stock mit in alter Anord-nung wieder aufgepass-ten Holzpfeifen des Re-gisters Großgedeckt 8’.

6 Johann Georg Schäfer-Orgel (1832): Zerschnitte-ner Sockelrahmen deshistorischen Orgelgehäu-ses, bedingt durch denUmbau von 1974.

7 Hochwertige schrei-nerische Reparatur desOrgelgehäuses mit Er-gänzung von Fehlstellen.

10 Historisches Pedal-pfeifenwerk nach schrei-nerischer Reparatur. Aufgrößtmögliche Schonungder historischen Substanzwurde besonderer Wertgelegt.

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auch andernorts bestand natürlich zunächst inder umfassenden Sicherung der wertvollen his-torischen Substanz. Darüber hinaus konnte aberauch durch Rückbau und Wiedereinrichtung derhistorischen Parameter ein Ergebnis erzielt wer-den, das die besonderen Klangvorstellungen Schä-fers und dessen technisches Leistungsvermögenwieder eindrucksvoll erlebbar macht.Das Entscheidendste an dem Konzept ist jedoch,dass alle Teile der technischen Konstruktion ingleichem Maße nach konservatorischen Grund-sätzen behandelt wurden. Dies im Wissen darum,dass nicht allein das Pfeifenwerk oder auch dieWindladen, sondern die gesamte technische An-lage in jeweils unterschiedlichem Maße Einflussauf die klangliche und spieltechnische Physio-gnomie eines Orgelwerkes hat. Nur ein solcher

gesamtheitlicher Konzeptansatz kann den unter-schiedlichen Facetten des vielschichtigen Schutz-gutes Orgel gerecht werden und gewährleisten,dass dieses außerordentlich wertvolle Kulturgutunbeschadet nachfolgenden Generationen über-liefert wird. In diesem Sinne konsequent weiter-zuarbeiten und innovative Konzeptlösungen imInteresse einer optimalen denkmalpflegerischenBehandlung zu entwickeln, bleibt die Aufgabefür die Zukunft.

Dr. Klaus KönnerLDA · Bau und KunstdenkmalpflegeMörikestraße 1270178 Stuttgart

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11 Historische Schäfer-Orgel mit einmanuali-gem Spieltisch „zum Vor-wärtsspielen“.

12 Frei vor den Spiel-tisch gesetztes mobilesTruhenpositiv. Die Truhebesitzt keinerlei kons-truktive Verbindung zum Spieltisch und ist jederzeit entfernbar.

13 EinmanualigerSchäfer-Spieltisch vonvorne.

14 Spieltisch mit rück-wändig angeschobenemTruhenpositiv.

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Umnutzungen von Kirchenräumen gab es durchdie Geschichte immer und wird es auch immergeben. Eines der bekanntesten Beispiele ist dieSt. Aurelius-Kirche in Calw-Hirsau, die nach derGründung des Klosters Peter und Paul zunächstnoch als Kirche der Propstei wie auf dem Altarbilddes 15. Jahrhunderts dargestellt fungierte. Nachder Reformation, als der Herzog von Württem-berg mit seiner Verwaltung während der Resti-tutionszeit im 17. Jahrhundert das Kloster räu-men musste, wurde in der Propstei der herzog-liche Forsthof eingerichtet, welcher die Kirche alsScheuer nutzte. Als Bergebau und Autowerkstattdiente das Gebäude bis in die Sechzigerjahre des20. Jahrhunderts und erhielt erst durch die Ein-richtung des Kirchenraumes für die katholischeGemeinde seine ehemalige Würde zurück. Als An-merkung sei erwähnt, dass hier durch die langeGeschichte der Umnutzung und deren landesge-schichtlichen Ursprung das denkmalpflegerischeZiel darin besteht, die Gestalt des Baues so zu be-wahren, wie sie im 17. Jahrhundert geprägt wur-de. So konnte auch dem Wunsch der Kirchen-gemeinde nach einem eigenen Kirchturm nichtentsprochen werden. Neben diesem Beispiel, wel-ches den Wandel der Nutzungen über einen Zeit-raum von fünf Jahrhunderten aufzeigt, kennt manauch die unzähligen profanierten Sakralbauten,die nach der Säkularisation 1803 eine neue meistunangepasste Nutzung erhielten.Selbst bekannte Denkmäler des Landes wie dieKlosterkirche in Alpirsbach, die meist als unver-fälschtes Dokument bei den Festveranstaltungengelobt wird, erfuhren mehrere Umgestaltungen,welche dem heutigen Besucher kaum vorstellbarsind. Bis 1860 hatte sich die Kirche so erhalten,wie sie bereits vor der Auflösung des Klosteram-tes 1803 eingerichtet worden war. Ein quer aufdie Kanzel ausgerichteter Predigtraum, der durchallerlei Ausstattung, die größtenteils noch aus derKlosterzeit stammt, geprägt war. Bereits 1869 fandeine Purifizierung statt, die großzügig ausräumte

und die sich durch eine klare kalte Farbgebung so-wie die Präsentation im Stil der Materialgerech-tigkeit auszeichnete. In den Jahren 1879/1880wurde die nüchterne Fassung durch eine durch-greifende historistische Umgestaltung aufgeho-ben. Die Wände erhielten eine farbige Gliede-rung, eine bemalte Holzdecke wurde eingezogenund ein reichhaltiges Interieur hergestellt, wel-ches sowohl Altar, Kanzel als auch die sich an den romanischen Sitzbänken orientierenden Kir-chenbänke umfasste. Bereits 1903 erfolgte eineReduzierung der zu aufdringlich empfundenenFarbigkeit und 1956 bis 1960 wurde erneut einePurifizierung durchgeführt, welche alle Ausstat-tungsteile des 19. Jahrhunderts beseitigte. Die his-

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1 Alpirsbach, Kloster-kirche, Zeichnung desRenovierungsergebnissesdes Jahres 1870.

Umnutzungen von KirchenbautenEvangelische Kirche in Bretten-Gölshausenund evangelische Christuskirche in HeidelbergBesonders zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden nach der Säkularisationzahlreiche Kirchen umgenutzt. Den Umgang mit Sakralbauten im denkmal-pflegerischen Alltag schildern die beiden folgenden Beispiele.

Johannes Wilhelm

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torisierenden Kirchenbänke wurden billig ver-kauft, ein nicht unbeträchtlicher unverkäuflicherRest verbrannt. Der heutige Zustand ist jedochebenfalls eine durch ihre Zeit geprägte Interpre-tation des Denkmals. Hier zeigt sich, dass nebender Nutzung, die auch im Falle der Klosterkircheeine Rolle, wenngleich eine untergeordnete, ge-spielt hat, auch gestalterische, ja auch interpre-tierende denkmalpflegerische Gründe Anstoß zudurchgreifenden Veränderungen sein können.Aber nicht diese historischen Änderungen sinddie Problematik. Die Wandlung durch die Nut-zungsänderung bzw. durch die Änderung derAnforderung der Funktionalität der Sakralräume

durch die sich weiterentwickelnden Belange derKirchengemeinden soll an zwei Beispielen vorge-stellt werden. Die beiden evangelischen Gottes-häuser aus dem Regierungsbezirk Karlsruhe ste-hen für die Situation der Gegenwart. Wenn auchdie Anlässe zu den Maßnahmen nicht ganz ver-gleichbar sind, so zeigen sie Tendenzen auf, dieaus konservatorischer Sicht notwendigerweisevorzustellen sind.Dabei wird über Beispiele zu berichten sein, beidenen die Interessenlage der kirchlichen Bauseitevon dem denkmalpflegerischen Anliegen so weitentfernt scheint, dass eine Vermittlung nuraußerhalb des Bereichs des Möglichen vermutetwerden kann. Fälle dieser Art erfordern eigentlicheine Offenheit beider Seiten, damit ein fruchtba-rer Dialog zu entstehen vermag. Die dabei oft-mals entstehende Blockadehaltung verhindertkonstruktive Planung, die einerseits behutsammit dem Bestand umgeht, damit auch unnötigeKosten vermeidet, und die andererseits auch einbefriedigendes Ergebnis für die Kirchengemeindeerzielt, um einen vielgestaltigen und funktionaloffenen Gottesdienst zu gestalten.Die dabei notwendige objektive Darstellung derGrundfakten ist sicherlich für den Berichtendeneine nicht zu unterschätzende Problematik. Je nachStandpunkt und Engagement werden die Fälleunzweifelhaft unterschiedlich bewertet.

Für die evangelische Kirche des Brettener Stadt-teils Gölshausen stand seit längerem eine In-standsetzung mit Außen- und Innenrenovierungan. Seit mehreren Jahren wurde über eine grund-legende Instandsetzung der Orgel nachgedacht.Letztendlich wurden die Anforderungen der Sa-

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2 Alpirsbach, Kloster-kirche, Innenraum der Klosterkirche nachder Ausführung derhistoristischen Farb-fassung. Aquarell von E. H. Platz aus dem Jahr 1889.

3 Alpirsbach, Kloster-kirche, Innenraum gegenWesten, heutiger Zustandnach der Renovierung der Jahre 1956 bis 1960.

4 Bretten-Gölshausen,evangelische Kirche.

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nierung und Umstrukturierung des Kirchenbauesjedoch durch das als Folge der Stadtbahner-schließung erhebliche Anwachsen der Kirchenge-meinde notwendig. Der Katalog der ursprüngli-chen Maßnahmen, der 1999 dem Landesdenk-malamt bekannt wurde, umfasste damit folgendePunkte:– Nutzung der Empore als Gruppenraum mit fle-

xibler Abtrennung vom Kirchensaal– Renovierung und Verlegung der Orgel in den

Chorraum– Schaffung eines Foyers mittels Abtrennung des

Bereiches unter der Empore vom Kirchensaal– Abbruch der vorhandenen Treppe zur Empore

und Einbau einer neuen im Foyerbereich– Einbau einer Küche im linken und eines Grup-

penraumes im rechten Eingangsbereich– Einbau zweier Toiletten im Eingangsbereich– Ausbau des Kirchengestühls– Abbruch der Deckenverkleidung im Kirchen-

raum und eventuelle Höherlegung der Kirchen-saaldecke.

Dass der Katalog der geplanten Maßnahmen eineerhebliche Umwandlung des sehr nüchternenKirchenraumes bedeutete, dessen Erscheinungs-bild seit den letzten Reparaturarbeiten der Sech-zigerjahre sich eher lieblos darstellte, wird an-hand des Umfanges deutlich. Keinerlei Unter-suchung oder Reflexion über den Bestand war zu Beginn der Planungsüberlegungen vorgenom-men worden. Dass mit dem Kirchengestühl, demAltar, der Kanzel und der Taufe sowie mit der Or-gel gleichsam noch die gesamte ursprünglicheAusstattung aus der Mitte des 19. Jahrhundertsvorhanden war, wurde unterdrückt. Sicher, so wiesich die Ausstattung und der Raum darboten,

schien alles von untergeordneter Qualität, sodassder Ansatz einer grundlegenden Neugestaltungsich scheinbar anbot.Die Eingriffe in die Anlage der Empore und derEingänge sowie die völlige Neuschöpfung desRaumschlusses des Kirchensaales stießen jedochbei den Denkmalpflegern auf eine grundlegendeAblehnung. So hätte die Abänderung der Deckenicht nur den Innenraum, sondern auch das Äu-ßere betroffen, indem Glasziegel in Bändern oderFlächen die Dachhaut bestimmt hätten. Im Inne-ren wäre der Charakter der ehemaligen ländli-chen Predigtkirche gänzlich verloren gegangen.Der Aufwand dieses Eingriffes führte in diesemPunkt dazu, dass den Bedenken der Denkmal-pflege stattgegeben wurde und dass die histori-sche unter der Verkleidung noch zum größten Teilvorhandene Deckenkonstruktion wieder instandgesetzt wurde.

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5 Bretten-Gölshausen,evangelische Kirche, Blick auf die Empore vor der Renovierung.

6 Bretten-Gölshausen,evangelische Kirche, Blick in den Altarraumvor der Renovierung.

7 Bretten-Gölshausen,evangelische Kirche, Blick durch den Kirchen-raum auf die umgebauteEmpore.

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Die Umbauten im Emporenbereich wurden sei-tens der Kirchenverwaltung aus gottesdienstli-chen Gründen für unerlässlich eingestuft. In Dis-kussionen, in denen die Belange der Denkmal-pflege, der Funktionalität und der architektoni-schen Gestaltung abgewogen und hinsichtlichder technischen Durchführbarkeit geprüft wur-den, wurde ein Kompromiss gefunden, dessenErgebnis für den Bereich des Kirchenraums hierdargestellt werden soll. Die starken statischenEingriffe bei dem Einbau der Toilettenanlage imErdgeschoss des Turmes, die einen erheblichenEingriff in die Bausubstanz darstellen, werden inder Folge nicht weiter thematisiert.

Da eine der Grundforderungen war, dass dieEmporenfläche für die künftige Gruppenraum-nutzung zu vergrößern ist, stellte sich das Pro-blem um die Veränderung der steinernen Arkade.Diese sollte – so auch eine durch die höhereDenkmalschutzbehörde des Regierungspräsidi-ums Karlsruhe vorgetragene Forderung – als denRaum prägendes Element unbedingt erhaltenbleiben. Da jedoch bei einem Versetzen innerhalbdes Rasters der Pfeilervorlagen die Ansicht derArkade zu kurz gewesen wäre, kam das mit derPlanung beauftragte Karlsruher ArchitekturbüroRuser + Partner zu dem Vorschlag, die gesamteneue Konstruktion gleichsam als Zutat auf derEmporenbrüstung aufsitzen zu lassen, ein Vorge-hen, welches auch einer vermeintlichen Reversi-bilität Raum gab. Die Bedenken gegen einen ne-gativen Raumeindruck für das sehr hoch sitzendeneue Saalelement wurden in Kauf genommen,um die erforderliche Nutzung unterzubringen.Als Erschließungselement, welches die problem-lose Einbindung der Emporennutzer auch für die Gottesdienste sicherstellte, entstand der hoheTreppenturm, dessen Wendelung Absatzpodestewegen der Bauvorschriften ausbilden musste.Zur Abtrennung des Gruppenraumes gegen denKirchensaal wurde eine Glaswand eingerichtet,die geöffnet werden kann, um wie herkömmlichdie Empore für Gottesdienste zu nutzen. Deutlichragt der Gruppenraum über die ehemalige Em-porenbrüstung hinaus. Nur durch die doch sehrfiligran gelungene Konstruktion der Front wieauch der Bodenplatte kann jedoch die Emporen-arkade noch als raumbildendes Element ihre Rollefür den Kirchensaal übernehmen. Entgegen derursprünglich hellen Farbgebung der Neubauteilewurde ein Anthrazitgrau gewählt, was diesen eine zurückhaltendere Rolle für den Raum zu-weist. Vermieden werden konnte die Einrichtungeines zweiten Fluchtweges, der zunächst bau-rechtlich gefordert worden war. Dieser hätte sichüber ein Fenster und eine davor stehende, dasÄußere der Kirche erheblich beeinträchtigendefreistehende Außentreppe realisieren lassen, wä-re aber sowohl bei der Bevölkerung wie auch beiden Denkmalpflegern auf nicht geringe Beden-ken gestoßen.Die Umgestaltung im Altarbereich betrifft einmaldas Niveau, das auf die neuen variableren Formendes Gemeindegottesdienstes sowie auch für dieverschiedenen Formen der Kirchenmusik Rück-sicht nimmt. Der Altar wurde mit den flankieren-den Gittern restauriert und ohne das ursprüngli-che Holzpodest aufgestellt, damit er leichter hin-sichtlich seines Standorts verändert werden kann.Die Kanzel wurde auf den Boden gestellt und prä-sentiert sich ohne die steilen Zugangstreppenquasi als Ambo. Die Taufe wurde ebenfalls beibe-

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8 Bretten-Gölshausen,evangelische Kirche, die neue Wendeltreppe,die den Gemeindesaalauf der Empore mit dem Kirchenraum ver-bindet.

9 Bretten-Gölshausen,evangelische Kirche,Ansicht des neu geord-neten Altarraumes.

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halten und repräsentativ aufgestellt. Die grund-legendste Änderung ist der neue Standort derOrgel, die nun den Chor ausfüllt. Das in seinerOberfläche völlig überarbeitete Instrument, eineMaßnahme, die durch die Orgeldenkmalpflegerbereits in den Achtzigerjahren empfohlen wor-den war, gewinnt raumbestimmenden Charak-ter. Diese übernommenen Ausstattungsstückebestimmen zusammen mit der intensiveren Farb-gebung, die sich an die Befundsituation anlehnt,hauptsächlich den Eindruck des Kirchenraumes,der damit die Tradition als wesentliches Gestal-tungsmerkmal aufgreift.Daneben treten die absolut neuen Elemente wieder schwarze Steinfußboden, der durch Holz-streifen gegliedert ist. Diese Gliederung tritt auchbei den Stellstufen des Chores auf, was die Kör-perlichkeit des Belages reduziert. Ein ähnlich mo-disches Design erhielt die Differenzstufe aus Me-tall am Sakristeieingang. Das bauzeitliche Ge-stühl, das sich durch schlichte Ausformung wenigin der Raumgestaltung bemerkbar machte, wur-de durch eine Einzelstuhl-Aufstellung ersetzt, dieden gewünschten variablen Charakter gewährleis-tet. Ebenfalls Neuzutaten sind die Wandbänke,die in ihren überhöhten dorsalähnlichen Lehnendie Tische bergen, welche die Multifunktionali-tät der Bestuhlung abrunden. Ebenso wurde dieehemalige Verglasung des Kirchensaales, die wohlaus den Fünfziger- und Sechzigerjahren stammte,gegen eine neue großteiligere Fensterkonstruk-tion ausgetauscht.Der gesamte Charakter des Raumes tritt nach derNeuorganisation stimmig auf. Die aus der Bauzeitstammenden Ausstattungsteile wie Altar, Kanzel-

korb, Taufe und ehemalige Emporenorgel wur-den als Versatzstücke mit in das neue Konzepteingepasst. Durch die Verwendung dieser prä-genden Teile wird auch seitens der Gemeindekein Zweifel daran gelassen, dass hier dem Denk-malschutz so weit wie irgend möglich Rechnunggetragen wurde. Die vermeintliche Reversibilitätdient in gleicher Weise als Argument, wenn dieUmgestaltung von dritter Seite kritisch gewürdigtwird. Wobei diese nur die Situation der Emporebetreffen kann. Die starken Eingriffe im Erdge-schoss des Turmes, welche für vorliegende kurzeBetrachtung ausgeklammert blieben, wären auchbei einem Rückbau immer als erhebliche Eingriffespürbar.Die evangelische Kirche von Bretten-Gölshausensteht nun nach der Durchführung der Baumaß-nahme beispielhaft für die angestrebte Qualität

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10 Heidelberg, evange-lische Christuskirche,Außenansicht der Stadt-bild prägenden Anlagemit dem Kirchengarten.

11 Heidelberg, evange-lische Christuskirche, An-sicht des bestehendenAltarraumes.

12 Heidelberg, evange-lische Christuskirche, An-sicht der Orgelempore.

13 Heidelberg, evan-gelische Christuskirche, Plan der Anlage desGemeindesaals mit derAnsicht der Kirche.

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und die Veränderungsbereitschaft anlässlich sol-cher Nutzungsverdichtungen in historischen Kir-chengebäuden und Kirchenräumen.

Das zweite Beispiel, welches hier vorgestellt wer-den soll, befindet sich noch im Zustand der Pla-nung. Es ist dies die evangelische Christuskirchein der Weststadt Heidelbergs. Der Bau, der mit seiner dominanten Platzstellung im Grün desPfarrgartens mit der noch intakten historischenUmfassung auch einen städtebaulichen Schwer-punkt darstellt, ist eines der wichtigen Werke imŒuvre des damaligen Vorstandes der evangeli-schen Kirchenbauinspektion Baurat Hermann Be-haghel. Der Bau besitzt zusammen mit dem Pfarr-haus als Sachgesamtheit die Wertigkeit eines Kul-turdenkmals von besonderer Bedeutung, dessenEintragung in das Denkmalbuch jedoch zurzeitdurch einen Widerspruch der Kirchengemeindeausgesetzt ist. Neben der reich ausgestattetenäußeren Gestaltung ist der Bau jedoch auchdurch seine geschlossene Innenausstattung her-ausgehoben. Diese, die mit ihrer Vollständigkeiteine besondere Stellung unter den Kirchenräu-men dieser Zeit in der Region Nordbaden ein-nimmt, stellt aus der Sicht der Denkmalpflege ei-nen nicht zu unterschätzenden Schwerpunkt dar.Die Kirche bedarf einer Steinsanierung, für derenDurchführung ein nicht unbedeutender Betragerrechnet wurde. Art und Umfang dieser Arbei-ten bedürfen noch der fachrestauratorischen Ab-klärung und sollen nicht Gegenstand unserer Be-trachtung sein, obwohl sie unter anderem mit zurBegründung der beabsichtigten Umnutzung bzw.

Nutzungsverdichtung herangezogen worden sind,deren Finanzierung durch den Verkauf des Ge-meindehauses erbracht werden soll. Dieses Un-ternehmen dient als Pilotprojekt der Evangeli-schen Landeskirche Badens, bei welchem durchdie Reduktion von Liegenschaft im kirchlichen Be-sitz und der Verlagerung der Funktionen undNutzungen in die Orts- und Stadtbild prägendenKirchenbauten die finanziellen Ressourcen derKirche effektiver genutzt und der eigentlichenGemeindearbeit zugeführt werden sollen.Zu diesem Zweck wurde ein beschränkter Wett-bewerb durchgeführt, welcher die Realisationdes folgenden Raumprogrammes erarbeitensollte:– ein Gottesdienstraum ist gleich das Haupt-

schiff der Kirche– ein kleiner sakraler Raum– zwei kleine Gemeindesäle bzw. ein großer Ge-

meindesaal– ein Raum für Kleinkindergruppen– ein Raum für Jungscharen– eine Küche– diverse Nebenräume.Am 8. Juni 2001 tagte das Preisgericht und lobteeinen Entwurf des Karlsruher ArchitekturbürosGrünenwald + Heyl aus, welches bereit öfters sichmit der Umstrukturierung von historischen Ge-bäuden und Kulturdenkmalen befasst hatte. Dieamtliche Denkmalpflege sowohl des Landes alsauch der Stadt Heidelberg war bis zu diesem Zeit-punkt weder um eine Benennung der denkmal-pflegerischen Wertigkeit des Objektes noch umeine Beteiligung bei dem Verfahren gebeten wor-den, sodass die nun vorliegende Planung als freivon denkmalpflegerischer Einmischung zu sehenist. In einem kurzen Diskurs soll hier der aus demWettbewerb hervorgegangene Lösungsansatzdargestellt werden:Der Gemeindesaal wird als unterirdische Anlagein den Grünbereich eingebaut, wo er nur durcheinen Aufgang und durch die steinerne Wand an-stelle des bestehenden Zaunes sowie einen Licht-hof in Erscheinung tritt. Die Saalanlage wird un-

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14 Heidelberg, evan-gelische Christuskirche, Erdgeschossgrundriss mit der Planung der im Seitenschiff einge-stellten Jugendräume.

15 Heidelberg, evan-gelische Christuskirche, Längsschnitt durch denKirchenraum mit Ansichtder unter und auf derEmpore eingestelltenneuen separaten Räume.

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terirdisch zudem von der Kirche aus erschlossen,wo sich auch der Behindertenzugang findet.Der ehemalige Konfirmandensaal und der Ver-sammlungssaal werden in Kinderkirche und Caféumgewandelt, wozu noch eine Terrasse tritt, überderen Eingriffe in die Substanz in den Unterlagensich keine näheren Angaben finden.Unter der Empore werden ohne Achsenbezügeauf die bestehenden Pfeilerstellungen oder Jocheals Gruppenräume der Jungscharraum und derKleinkinderraum eingestellt, auf der Empore derBibliotheks- und der Medienraum. Um diese ein-gestellten Elemente auch nach der Schließungdes Raumes unter der Empore durch ein satinier-tes Glaselement gut zu erschließen, werden dieinneren strebepfeilerartigen Vorlagen mit Durch-gängen versehen und das Pultdach längs des Em-porenschiffes mit einem Glasdach versehen, wasdie Geschlossenheit des Außenbildes insbeson-dere bei der Situation der abendlichen Nutzungerheblich stört.Um all dieses zu ermöglichen, werden die bau-zeitlichen Kirchenbänke auf und unter der Em-pore entfernt. Der Verbleib der Glasmalereien inden seitlichen Fenstern ist dann nicht mehr mög-lich. Im Hauptschiff werden die Bänke reduziert,sodass bessere Verkehrsflächen entstehen.Der Altarraum wird durch eine Vergrößerung derChorebene in das Schiff hinaus erweitert. DieTaufe tritt hinter den Altar in den Chor, der durcheine sich dem Kirchenjahr entsprechend wan-delnde Textilkulisse abtrennbar gehalten wird.Letzteres sind Vorschläge, die über den geforder-ten Rahmen des Wettbewerbs hinausgehen.Der Entwurf zeigt deutlich die Eingriffe, die durchdie Erweiterung der Funktionalität in dem bislangweitgehend unverändert erhaltenen Innenraumnotwendig werden. Eine Veränderung des Raum-charakters ist hier unausbleiblich.Sicher handelt es sich bei der vorgelegten Wett-bewerbsstudie nicht um eine bereits ausgearbei-tete Planung. Sicher werden noch die einen oderanderen finanziellen Gesichtspunkte auch hiernoch Modifikationen erfordern. Die Grundzügesind jedoch bereits erkennbar, die Konfliktpunktedie zu einer Auseinandersetzung mit der Denk-malpflege führen müssen, zeichnen sich in allerDeutlichkeit ab.Die Frage, ob eine solche Planung vorgelegt wor-den wäre, falls den Wettbewerbsunterlagen einedenkmalpflegerische Würdigung des Raumesbeigefügt worden wäre, kann man sich hier nichtersparen. Auch die Frage, ob ein so qualitätvollerund gut erhaltener Kirchenraum als Objekt fürein Pilotprojekt auszuwählen ist, muss man sichstellen.Manchmal stellt sich aber auch die Frage desWertewandels, wenn wie in der evangelischen

Peterskirche in Weinheim ein komplettes Gestühleiner weitgreifenden Umstrukturierung weichenmuss. Auch hier handelt es sich um ein originalesGestühl in einer Kirche Hermann Behaghels, wel-ches eine hochwertige Schreinerarbeit darstelltund das in seiner Gestaltung auf den Ornament-schatz des Baues abgestimmt ist. Auch in diesemFall wurde die Denkmalpflege erst nach dem Ab-schluss der Meinungsbildung durch die Gemein-degremien und der Bauverwaltung hinzuge-zogen. Die Entscheidung zugunsten der Neuord-nung, die mit den gottesdienstlichen Belangenbegründet wird, konnte auch trotz eines nichtunerheblichen Bürgerprotestes nicht aufgescho-ben werden. Die Frage, ob die Neuordnung eineso weitgreifende Zerstörung intakter Substanzauch aus der materiellen Sicht der Bauseite recht-fertigt, kann man sich in diesem Fall wohl nichtersparen. Inwieweit wir historische Kirchenge-stühle nur noch in Lagern finden wollen, in denendie fachgerechte Aufbewahrung nicht immer ge-sichert ist, sollten wir uns noch rechtzeitig über-legen.Der Denkmalpfleger hat nicht die Motivation unddie Überlegung der Kirchengemeinde zu beur-teilen. Allerdings muss ihm die Gelegenheit ge-geben werden, bereits im Planungsverfahren diedenkmalpflegerischen Belange zu formulierenund zu erläutern. Selbstverständlich hat dabei derDenkmalpfleger die Wertigkeit des zu schützen-den Objektes mit in seine Überlegungen einzu-beziehen. Trotzdem kann nicht mittels Ja oderNein zu fertigen Planungsständen die denkmal-pflegerische Arbeit ausgeführt werden, nimmtman die nicht zuletzt im Gesetz niedergelegtenErhaltungsvorschriften und die Forderung nacheinem sorgsamen Umgang ernst, Erhaltungsvor-schriften, die sich nicht zuletzt auch in den Kir-chenbaugesetzen wiederfinden lassen. Trotzdem

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16 Heidelberg, evan-gelische Christuskirche,Querschnitt durch den Kirchenraum mitdem Blick auf den pro-jektierten Altarraum.

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muss sich die planende Seite mit den Argumen-ten der Denkmalpflege auch offen und vor denGemeinden auseinander setzen und diese zu ge-winnen suchen. Sollte dies unterbleiben, könnteder Eindruck entstehen, dass die Neuerung vorden Gegenargumenten geschützt werden soll,damit der ohnehin oftmals starke Widerstand dertraditionellen Fraktion der Kirchenmitglieder nichtOberhand gewinnen möge.Ein Weg zu einer solchen Zusammenarbeit konn-te in der Art gefunden werden, wie dieser für dieKirchenräume der Fünfziger- und Sechzigerjahredes württembergischen Landesteiles in der BollerEmpfehlung des Vereins für Kirche und Kunst inder Evangelischen Landeskirche in Württemberg1998 erstellt wurde. Darin werden die Beteiligtenam Bau zunächst zu einer eingehenden Ausein-andersetzung mit dem bestehenden Kirchenbauveranlasst, die gleichsam zu einer Fall bezogenenEinzelbegründung der Maßnahme führen muss.Allein dieses offene Auseinandersetzen mit denObjekten und Räumen führt zu einem gewissenretardierenden Moment, der einem bewussterenHandeln Raum gibt.Die hier vorgestellten Maßnahmen werden sichwie die oben angeführten Renovierungen derKlosterkirche Alpirsbach irgendwann auch demUrteil der nachfolgenden Generationen zu stellenhaben. Dieses Urteil, das sicherlich nicht nur vonder denkmalpflegerischen, sondern auch von der

seelsorgerisch-theologischen Seite herkommendentstehen wird, wird alle Belange hinterfragen,die denkmalpflegerischen Argumente und Maß-nahmen ebenso wie die Umsetzung am Objektwie auch die Argumente, welche nach der jetzi-gen Gesetzeslage als liturgische Belange festge-legt sind. Ebenso wird gefragt werden, wie mitden Werten, den geistigen, den künstlerischenoder auch den materiellen, umgegangen wurde.In vielen Gemeinden, wo die Kirchengestühle ge-fallen sind, sind die mobilen Einzelstühle nicht aufDauer als die letztgültige Lösung angesehen. InAlpirsbach wurde 1960 eine neue Orgel ein-geweiht. In der Festschrift stellte der zuständigeGeistliche die Frage, dass niemand wusste, wa-rum die alte intakte Orgel, welche zur Kirchen-renovierung fünf Jahre zuvor abgebaut wordenwar, eigentlich nicht mehr verwendet worden sei.Solche Ratlosigkeit sollten wir unseren Nachkom-men durch eine effektive offene Zusammenarbeitvon Anbeginn der Planung an mit den Kirchen-gemeinden, ihren Ausschüssen und Gremien undden Kirchenbauämtern ersparen.

Dr. Johannes WilhelmLDA – Bau- und KunstdenkmalpflegeDurmersheimer Straße 5576185 Karlsruhe

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Unstrittig dürfte dabei sein, dass bei einer Kirchenicht nur die Architektur Denkmalwert habenkann, sondern ebenso die Ausstattung, denn ei-gentlich macht ja erst diese ein Gebäude zu einerKirche. Die Frage ist nur, welche Ausstattungs-stücke zum „Kulturdenkmal Kirche“ gehören. Eingelehrter Mensch des Mittelalters hätte auf dieseFrage wohl schlicht geantwortet: die „Orna-menta ecclesiae“ – der Schmuck der Kirche – under hätte darunter nicht nur die Glasfenster, dieMalereien, die Skulpturen, das Chorgestühl oderdie Kanzel verstanden, sondern gleichermaßendie liturgischen Geräte von den Vasa sacra, alsoKelchen, Patenen, Monstranzen und Ziborien, bis

hin zu Altarleuchtern und Rauchfässern, fernerdie Paramente, gleich ob sie zur Bekleidung vonAusstattungsstücken oder als Gewänder der Kle-riker dienten, außerdem Reliquiare und schließ-lich die liturgischen Bücher. Zu den „Ornamentaecclesiae“ hätte er demnach alle Gegenstände ei-ner Kirche gezählt, die zum Gottesdienst benö-tigt werden oder die zum Schmuck des Kirchen-gebäudes dienen, egal ob wandfest oder beweg-lich, ob ständig im Kirchengebäude oder nur beiBedarf, ob künstlerisch anspruchsvoll oder schlicht,ob materiell wertvoll oder billig.Gerne habe ich für meinen Beitrag daher den al-ten Begriff „Ornamenta ecclesiae“ aufgegriffen,

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1 Bad Wurzach, katho-lische Stadtpfarrkirche St. Verena, 1775–77.

Ornamenta ecclesiaeZur Bewertung von Kirchenausstattungenaus der Sicht der Denkmalpflege

Ein Thema des Landesdenkmaltages ist der Umgang mit dem „Kulturdenk-mal Kirche“ im denkmalpflegerischen Alltag. Bevor man mit einem „Kultur-denkmal Kirche“ umgeht, sollte man sich jedoch fragen, woraus ein solchesdenn überhaupt besteht.

Dieter Büchner

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denn auch aus der Sicht der Denkmalpflege kön-nen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungenalle diese Ausstattungsstücke einer Kirche Ge-genstand des Denkmalschutzes sein. Bei man-chen Teilen der Ausstattung ist dies unmittelbareinleuchtend, so etwa bei Glasgemälden, Freskenoder Stukkaturen, die zumindest ihrer Intentionnach ohnehin unlösbar mit dem Gebäude ver-bunden sind. Eine denkmalrechtlich ebenso engeVerbindung mit dem Gebäude liegt in der Regelaber auch bei den Altären, der Kanzel, dem Tauf-stein, dem Tabernakel, der Orgel, den Glocken,dem Gestühl und anderen fest installierten Aus-stattungsstücken vor, wobei hier allerdings weni-ger die Technik der Verbindung maßgeblich istals vielmehr der Zweck des Gegenstandes. Denngemeinsam ist allen diesen festen Ausstattungs-stücken, dass ein Kirchengebäude der Verkehrs-anschauung nach ohne sie nicht fertiggestelltwäre bzw. dass sie dem Gebäude erst seine be-

sondere Eigenart oder Funktion geben. Dahergelten sie als wesentliche Bestandteile des Ge-bäudes und werden denkmalrechtlich wie diesesbehandelt.Wie aber verhält es sich mit den beweglichenAusstattungsstücken? Hier gibt es folgende Mög-lichkeiten: Besteht an der Erhaltung des Gegen-standes aus wissenschaftlichen, künstlerischenoder heimatgeschichtlichen Gründen ein öffentli-ches Interesse, und zwar ausschließlich aufgrundder ihm selbst innewohnenden Eigenschaften, also unabhängig vom Ort, so ist er ein eigenstän-diges bewegliches Kulturdenkmal. Bei Vorliegenweiterer Voraussetzungen wird er auch als Denk-mal von besonderer Bedeutung in das Denkmal-buch eingetragen, und zwar insbesondere dann,wenn er eine überörtliche Bedeutung oder be-sondere Beziehung zum Kulturbereich des Lan-des aufweist.Für die Mehrzahl der beweglichen Ausstattungs-stücke von Kirchen kommt jedoch eine andereMöglichkeit in Betracht, und zwar stets dann,wenn sich der Denkmalwert eines Ausstattungs-stückes nicht unabhängig vom Ort, sondern ge-rade im Zusammenhang mit dem Ort entfaltet,denn laut § 2 Abs. 2 Denkmalschutzgesetz ge-hört zu einem Kulturdenkmal auch das Zubehör.Darunter versteht man in denkmalrechtlicherHinsicht selbständige bewegliche Sachen, die ineinem Funktionszusammenhang mit der Haupt-sache, hier also dem Kirchengebäude, stehenund daher zusammen mit dem Gebäude in derDenkmalliste erfasst bzw. im Denkmalbuch ein-getragen werden. Allerdings genügt dafür natür-lich nicht ein beliebiger Funktionszusammen-hang, wie ihn jede Plastikblumenvase auf dem Al-tar hätte, denn das Zubehör muss mit derHauptsache eine Einheit von Denkmalwert bil-den. Der dokumentarische und exemplarischeWert eines Zubehörstückes beruht also geradeauf seinem Zusammenhang mit der Hauptsache.Daraus folgt, dass Zubehör im Unterschied zumbeweglichen Kulturdenkmal für sich gesehenzwar die Kriterien eines Kulturdenkmals erfüllenkann, es aber keineswegs muss, denn maßgeb-lich für seine Denkmaleigenschaft ist ausschließ-lich eine erhaltenswerte Einheit mit der Hauptsa-che. Dies kann aus formalen, funktionalen oderhistorischen Gründen gegeben sein.Eine formale Beziehung liegt beispielsweise dannvor, wenn ein bewegliches Ausstattungsstück an-lässlich des Neubaus oder Umbaus eines Kirchen-gebäudes entstanden ist und zum Gesamtent-wurf der Ausstattung gehört. Um eine funktio-nale Beziehung handelt es sich, wenn einZubehörstück die besondere Bestimmung einerKirche verdeutlicht, etwa ein Gnadenbild, daseine Kirche als eine Wallfahrtskirche kennzeich-

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2 Bad Wurzach, katho-lische Stadtpfarrkirche St. Verena, 1775–77.

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net. Eine historische Beziehung ist z. B. dann vor-handen, wenn ein Ausstattungsstück durch eineStiftung ausdrücklich an das Kirchengebäude ge-bunden ist.Allerdings erschließt sich die Zubehöreigenschaftin den geschilderten Fällen besonders einfach.Oft liegt aber auch dann eine schützenswerteEinheit mit dem Kirchengebäude vor, wenn manes auf den ersten Blick kaum vermuten würde.Dies sei im Folgenden an einer einzigen Kirche exemplarisch vorgeführt: Die katholische Stadt-pfarrkirche St. Verena in Bad Wurzach wurdenach 1775 unter Verwendung von Bauteilen ei-nes Vorgängerbaus errichtet (Abb. 2). Die Kircheist im Landesverzeichnis der Baudenkmale nachArt. 97 Abs. 7 der württembergischen Bauord-nung von 1910 eingetragen und gilt daher als in das Denkmalbuch gemäß §12 Denkmalschutz-gesetz eingetragenes Kulturdenkmal von beson-derer Bedeutung.Die denkmalrechtliche Bewertung der fest instal-lierten Ausstattungsstücke, insbesondere der Al-täre mit den zugehörigen Figuren, der Kanzel, derOrgel und der Beichtstühle, ist ebenso eindeu-tig wie diejenige der wandgebundenen Ausstat-tung, etwa der Fresken Andreas Bruggers oderder Stukkaturen von Jakob Willibald Ruez, dennalle diese Ausstattungsteile gelten aus den bereitserwähnten Gründen nicht als Zubehör, sondernals wesentliche Bestandteile des Kirchengebäu-des (Abb. 1).Bei der übrigen Ausstattung ist die Bewertung er-heblich schwieriger. So stammen z. B. die frei auf-gestellten Skulpturen ausnahmslos aus der Vor-gängerkirche, für die sie um 1740 geschaffenwurden. Auch die Marienfigur (Abb. 3), die ehe-mals sicherlich zu einer Kreuzigungsgruppe ge-hörte, wurde demnach weder für das heutige Kir-chengebäude geschaffen, noch stimmt sie stilis-tisch mit diesem überein. Kann sie daher Zubehörsein? Zweifellos ja, denn ungeachtet ihrer frühe-ren Entstehung gehört sie nun mal zur Erstaus-stattung des heutigen Gebäudes, für das sie wohlmit einer neuen Weiß-Gold-Fassung in klassizisti-schem Geschmack versehen wurde und mit demsie auch durch den offenbar eigens für sie ange-fertigten Wandsockel verbunden ist. Dieser lässtweiter vermuten, dass der Kirchenneubau sokonzipiert wurde, dass die Figuren aus dem Vor-gängerbau integriert werden konnten. Die Figu-ren aus der alten Kirche sind damit aus mehrerenGründen Zubehör, denn sie sind mit der neuenKirche sowohl durch historische und bauhisto-rische als auch durch formale Beziehungen ver-bunden.Ebenfalls aus dem Vorgängerbau stammt ein Ta-felgemälde mit dem als Apostelkommunion vor-geführten Abendmahl (Abb. 4). Im Gegensatz zu

den Figuren wurde das Gemälde jedoch nicht inden Kirchenneubau übernommen. Heute ist es imehemaligen Herrschaftsoratorium auf der Emporeabgestellt. Das Altarblatt hat demnach keinen un-mittelbaren Zusammenhang mit dem Kirchenbauin seiner heutigen Gestalt. Es ist weder für ihn ge-schaffen, noch ist es Teil seiner Ausstattung. Den-noch ist es ein Zubehörstück. Schriftlichen Quel-len zufolge schmückte es in der Vorgängerkirche,die teilweise auch noch erhalten ist, einen Neben-altar. Von diesem Altar mit dem Abendmahl alsdem Beginn der Passion Christi führte eine Wall-fahrt in sieben Kreuzwegstationen bis zu den Al-tären zu den Hl. Drei End in der Kirche auf demGottesberg bei Wurzach. Das Altarblatt doku-mentiert also eine Wallfahrt aus St. Verena, diezwar noch im 18. Jahrhundert unterging, laut ei-ner 1710 in Augsburg gedruckten Beschreibungmit dem Titel „Christliche Wallfahrt auß U. L. F.und St. Verena Pfarrkirchen zu Wurzach ...“ ehe-mals jedoch sehr bedeutend war. Das Gemälde istdaher aus historischen Gründen Zubehör.Im selben Raum ist auch ein tragbarer Figuren-baldachin aus der Zeit um 1740 abgestellt (Abb.5). Auf der einen Seite zeigt er eine kupfergetrie-bene und versilberte Figur der Immakulata undauf der anderen eine des Hl. Sebastian. Offenbarwurde der Baldachin für Prozessionen verwendet.

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3 Marienfigur aus einerKreuzigungsgruppe, FranzAnton Kälin, 1740/46.

4 Ehemaliges Neben-altarblatt mit demAbendmahl, 1. H.18. Jh.

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Er stammt also weder aus der Entstehungszeitder heutigen Kirche noch wurde er für diese ge-schaffen. Im Unterschied zum Altarblatt gehör-te er jedoch nicht einmal zur Ausstattung der Vor-gängerkirche, denn als Prozessionsgegenstandwurde er zumeist nur außerhalb des Gebäudesverwendet. Dennoch ist er ein Zubehörstück.Schriftliche Quellen belegen, dass es in Wurzacheine Sebastiansbruderschaft gab, die sich imJahre 1656 neben ihrem Titelheiligen die Mutter-gottes als Patronin gewählt hatte, wodurch sichbeide Figuren des Baldachins erklären. Träger derBruderschaft war die Wurzacher Weberzunft, de-ren Insignien – ein Löwe mit einem Weberschiff-chen – auf dem Sockel des Baldachins aufgesticktsind. Angesiedelt war diese Bruderschaft eben ander Kirche St. Verena, in der heute noch das Bru-derschaftsbuch mit den Statuten und dem Mit-gliederverzeichnis verwahrt wird. Der Prozessions-baldachin ist also ohne Zweifel aus historischenGründen Zubehör. Dies ist auch für viele der in der Sakristei aufbe-wahrten liturgischen Geräte zu vermuten. Aller-dings ist bei solchen Gegenständen der Nachweiseiner Zubehöreigenschaft oft besonders schwie-rig. So findet sich auch in der Wurzacher Kirchekein einziger, den eine Inschrift, ein Wappen oderein Inventarverzeichnis als Stiftung an die Kircheerweisen würde.Das gilt auch für ein Kreuzreliquiar, ein Wetter-segenkreuz, mit dem in St. Verena während der

Sommermonate noch heute gelegentlich der Se-gen erteilt wird (Abb. 6). Seinem Stil zufolge wirdes um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstandensein und aller Wahrscheinlichkeit nach befindetes sich seit dieser Zeit im Besitz der Kirche. Zwarwird man einen Beweis für diese Annahme amObjekt selbst vergeblich suchen, aber in diesemFall kommt uns ein glücklicher Zufall zu Hilfe,denn eben dieses Wettersegenkreuz wurde 1776im Chordeckenfresko der Kirche in den Händeneines Priesters abgebildet. Mindestens seit dieserZeit also ist es mit dem Kirchengebäude durcheine gemeinsame Geschichte verbunden. Dieserechtfertigt, es als Zubehörstück zu betrachten,denn für den Nachweis einer Zubehöreigenschaftmuss das Ausstattungsstück nicht notwendiger-weise aus der Entstehungszeit der Hauptsachestammen. Vielmehr genügt der Nachweis einerlängeren, daher über historische Zeiträume hin-weg bestehenden Verbindung zu dieser.In der Sakristei befindet sich auch ein Messkelch,der in den Jahren zwischen 1749 und 1751 in derAugsburger Goldschmiedewerkstatt des FranzThaddäus Lang entstand und der zunächst ein-mal keine Anhaltspunkte für eine Zubehöreigen-schaft bietet (Abb. 7). Erst ein intensiveres Stu-dium der Emails an Fuß und Kuppakorb lässt ei-

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5 Prozessionsbaldachinder Wurzacher Weber-zunft und Sebastians-bruderschaft, um 1740.

6 Wettersegenkreuz,Mitte 18. Jh. Aus: Kath.Pfarrkirche St. VerenaBad Wurzach, Linden-berg 2001, S. 43.

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nen Zusammenhang mit der Kirche erkennen,denn eines zeigt die Hl. Verena und damit die Kir-chenpatronin, eines den Hl. Nikolaus, der zur Ent-stehungszeit des Kelches der Wurzacher Stadtpa-tron war, eines die Hl. Helena, die Namenspatro-nin der Truchsessin Helena von Waldburg, die dasder Kirche benachbarte Tertiarinnenkloster MariaRosengarten gestiftet hatte, eines den Hl. Fran-ziskus, der der Ordensheilige dieses Klosters ist,und eines schließlich das Abendmahl und damitdas Thema des schon erwähnten, beim Neubauder Kirche entfernten Seitenaltars. Der Messkelchist demnach eindeutig ein Zubehörstück, dessenDenkmalwert sich außerdem sehr anschaulichgerade im Zusammenhang mit dem Kirchenge-bäude entfaltet. Denn wäre er nicht mehr an sei-nem historischen Ort erhalten, könnte man denGrund für die Zusammenstellung der Emails nichtmehr erschließen und er wäre nur noch ein belie-biges Exemplar unter den zahlreichen Kelchen,die der Goldschmied Lang fertigte.Die in St. Verena vorhandene Messkännchengar-nitur ist dagegen kein Werk des Franz ThaddäusLang, denn laut Meistermarke stammt sie aus derHand des Goldschmieds Johann Heinrich Darjes(Abb. 8). Zunächst bestehen daher berechtigteZweifel an einer Zusammengehörigkeit von Kelchund Messkännchen und damit an einer Zube-höreigenschaft der Letzteren. Aufgrund des Um-standes, dass die Messkännchengarnitur ihrenStempeln zufolge genau wie der Kelch nicht nuraus einer Augsburger Werkstatt, sondern auchaus denselben Jahren zwischen 1749 und 1751stammt, ferner dass sie zusammen mit dem Kelchin einem zweifellos original zugehörigen Leder-koffer aufbewahrt wird und dass zudem vor eini-gen Jahren im internationalen Kunsthandel eineganz ähnliche Messgarnitur angeboten wurde,bei der der Kelch ebenfalls von Lang und dieKännchen von Darjes hergestellt wurden, könnenjedoch nicht nur der Wurzacher Messkelch, son-dern ebenso die Messkännchen und die Plattesowie der Lederkoffer ohne weiteres als Zubehörzur Kirche St. Verena angesehen werden.Im Archiv des Pfarrhauses wird ein 1823 ge-drucktes Missale aufbewahrt, in dem wie üblichdie Zeremonien, Gebetstexte, Lesungen undGesänge für den Messgottesdienst festgehaltensind (Abb. 9). Seit einer Bulle des Papstes Piusvom 14. Juli 1570 ist der bis dahin regional unter-schiedlich gefasste Text des Missale vereinheit-licht und als Missale Romanum verbindlich fürden ganzen Bereich der römisch-katholischenKirche vorgeschrieben. Es handelt sich also umein liturgisches Buch, das überall in der gleichenForm verwendet wurde und bei dem daher zu-nächst einmal nichts auf eine nachweisbare Zu-behöreigenschaft ausgerechnet zur Kirche St. Ve-

rena hindeutet, zumal es weder aus der Entste-hungszeit der Kirche stammt noch dort aufbe-wahrt wird. Auf dem samtbezogenen Einbanddes Wurzacher Missale findet sich jedoch ein sil-bergetriebenes und teilvergoldetes Relief, das mitdem Wurzacher Beschauzeichen und der Meis-termarke des dort ansässig gewesenen Gold-schmiedes P. Feller gestempelt ist. Wenn mandann noch in diesem Relief genau jene Pietà wie-der erkennt, die sich als lebensgroße Skulptur inder Kirche St. Verena befindet, wird eine histori-sche und formale Beziehung des Missale Roma-num zur Wurzacher Kirche offensichtlich. Ob-gleich man bei diesem liturgischen Buch für sichgesehen wohl kaum einen Denkmalwert festge-stellt hätte, bildet es zusammen mit der Kirche alsder Hauptsache eine Einheit, die zweifellos vonDenkmalwert ist.Intensive Recherchen können also auch bei Ge-genständen zum Nachweis einer Zubehöreigen-schaft führen, die keine Inschriften oder Wappentragen. Auf der anderen Seite ist selbst dann Vor-sicht geboten, wenn eine Zubehöreigenschaftauf den ersten Blick festzustehen scheint, wie dasletzte Beispiel aus St. Verena zeigt: eine Kasel ausder Zeit um 1730, die nun tatsächlich ein Wap-pen trägt, und zwar am unteren Ende des Rü-ckenschildes ein Allianzwappen der Häuser Lam-

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7 Messkelch, Franz Thaddäus Lang,Augsburg, 1749/51.

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berg und Waldburg-Wolfegg-Waldsee (Abb. 10).Es kann auf die Ehe des Karl Joseph Graf vonLamberg mit Maria Franziska von Waldburg-Zeil-Wurzach, der Tochter des Begründers der Wurz-acher Linie des Hauses Waldburg, bezogen wer-den. Die Vermutung liegt also nahe, dass es sichum eine Stiftung der Waldburg-Zeil-Wurzach andie Pfarrkirche ihrer Residenzstadt handelt. EinBlick in das Kunstdenkmälerinventar von 1924belehrt uns jedoch eines Besseren, denn dort istdie Kasel nicht als Ausstattung der Pfarrkirche,sondern der Schlosskapelle genannt. Tatsächlichkam sie erst nach 1945 als Geschenk des Fürstenvon Zeil in den Besitz von St. Verena und kann so-mit schwerlich als Zubehörstück gelten.Allerdings könnte es natürlich sein, dass sich dieKasel bei näherer Prüfung als Gegenstand mitüberörtlicher Bedeutung oder besonderer Bezie-hung zum Kulturbereich des Landes erweist, undzwar unabhängig von seinem Aufbewahrungs-ort. In diesem Fall wäre die Kasel nicht als Zu-behör, sondern als bewegliches Kulturdenkmalvon besonderer Bedeutung in das Denkmalbucheinzutragen.

Diese wenigen Beispiele aus nur einer einzigenKirche deuten an, dass keineswegs nur ein erle-sener Kreis von Spitzenwerken kirchlicher Aus-stattungskunst Denkmalwert besitzt, sonderndass Ausstattungsstücke verschiedenster Art undQualität zu einem „Kulturdenkmal Kirche“ zu-gehörig sein können, darunter nicht selten auchStücke, die heute nicht mehr im Gebrauch sindund daher von der Nachwelt schon fast vergessenwurden. Die Beispiele lassen aber auch ahnen,wie groß der Aufwand für eine Analyse der Ob-

jekte und ein Studium von Literatur und schriftli-chen Quellen ist. Zu Recht kann man sich daherfragen, wer das leisten soll. Zu Beginn des Jahres2002 konnte beim Landesdenkmalamt zwar erst-mals auf Dauer eine eigene Stelle für die Inventa-risation von beweglichen Kulturdenkmalen undZubehör eingerichtet werden, doch es verstehtsich von selbst, dass mit einer einzigen Stelle füralle beweglichen Kulturgüter des Landes keineflächendeckende Inventarisation von Kirchenaus-stattungen geleistet werden kann.Die staatliche Denkmalpflege ist deshalb auf eineenge Zusammenarbeit mit den Kirchen angewie-sen. Insbesondere wäre es dabei wünschenswert,wenn sie für ihre Inventarisationsarbeit auf flä-chendeckende Bestandsverzeichnisse zurückgrei-fen könnte, wie sie schon aufgrund der unge-heuren Zahl an kirchlichen Ausstattungsstückennur von den Kirchen selbst erstellt werden kön-nen.Die staatliche Verantwortung für die Denkmal-pflege und das ureigenste Interesse der Kirchenan einer Bestandssicherung ihrer Kulturgüter –man denke nur an Kirchendiebstähle – wären soin Einklang gebracht. Solche Bestandsverzeich-nisse wurden von den Kirchen denn auch schonlängst als notwendig erkannt, im Falle der katho-lischen Kirche spätestens seit dem Rundschreiben„De cura patrimonii historico-artistici Ecclesiae“der Kongregation für den Klerus an die Vorsit-zenden der Bischofskonferenzen vom 11. April1971, das eine Auflistung der gottesdienstlichenGebäude einschließlich der bemerkenswertenGegenstände forderte. Daneben möchte ich hiernur auf die „Charta der Villa Vigoni“ von 1994hinweisen, die vom Sekretariat der Deutschen Bi-

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8 Messkännchengarnitur,Johann Heinrich Darjes,Augsburg, 1749/51.

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schofskonferenz und der Päpstlichen Kommis-sion für die Kulturgüter der Kirche erarbeitetwurde und in der nicht nur gefordert wird, dass„Staat und Kirche [...] im Bereich ihrer jeweiligenKompetenzen bei Schutz und Pflege der kirch-lichen Kulturgüter zusammenarbeiten“ sollen,sondern auch, dass „alle Diözesen in erster Liniedafür sorgen [sollen], dass nach einem einheit-lichen, modernsten Anforderungen erfüllendenSystem Verzeichnisse und Inventare der in ihremEigentum befindlichen Kulturgüter erstellt wer-den“, denn diese bilden, so heißt es weiter, „dieunverzichtbare wissenschaftliche Grundlage fürjede wirksame Tätigkeit auf dem Gebiet vonDenkmalschutz und Denkmalpflege“. In man-chen Diözesen wurden diese Forderungen bereitsumgesetzt. Das Gleiche gilt für die evangelischeKirche, die ebenfalls eigene Inventarisationspro-gramme begonnen hat.Eine aus enger Kooperation mit den Kirchen re-sultierende verstärkte Inventarisation durch diestaatliche Denkmalpflege könnte mit Sicherheitin vielen Fällen enge Verbindungen von Ausstat-tungsstücken mit den Kirchengebäuden aufzei-gen – Verbindungen, die durchaus eines Schut-zes nicht nur wert, sondern auch bedürftig sind. Wie sonst sollte es sich erklären, dass im Kunst-handel zahlreiche „Ornamenta ecclesiae“ undsogar geweihte Vasa sacra angeboten werden.Zwar droht diesen sakralen Gegenständen schonwegen ihres teils erheblichen finanziellen Wertesnatürlich nur selten die bewusste Zerstörung ihrermateriellen Substanz, doch droht oft die Gefahreiner unsachgemäßen Restaurierung oder einerZerstörung historischer Zusammenhänge durchEntfernung aus ihrer angestammten Umgebung.Umso bedauerlicher ist es, dass wegen der Kla-gen zweier katholischer Kirchengemeinden gegendas Land Baden-Württemberg derzeit keine kirch-lichen Kulturdenkmale in das Denkmalbuch ein-getragen werden. Dies nämlich könnte den ge-

schilderten Gefahren durchaus entgegenwirken,zum einen durch Genehmigungsvorbehalte derDenkmalschutzbehörden, wie sie nach § 15 Denk-malschutzgesetz insbesondere für die Entfernungvon Zubehör sowie für Restaurierungsmaßnah-men gelten. Zum anderen würde eine verstärk-te Inventarisation von Kirchenausstattungen vorallem aber ein Bewusstsein fördern nicht nur fürden materiellen, sondern auch für den ideellenWert der Gegenstände, denn die „Ornamentaecclesiae“ sind eben kein verzichtbares Beiwerkzur Architektur, sondern Teil eines größeren Gan-zen, für das das Kirchengebäude gewissermaßennur das „rahmende, schützende und umschlie-ßende Gehäuse“ (Fritz) ist. Und so wie wir die Kir-chengebäude als Zeugnisse für den Glauben unddie Frömmigkeit vergangener Zeiten zu sehen ge-

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10 Kasel, um 1730. Ausder Wurzacher Schloss-kapelle.

9 Missale Romanum,1823, mit Beschlägenvon P. Feller, Wurzach.

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wohnt sind, so sollten wir auch die Ausstattungbis hin zu vermeintlich unbedeutenden Gerät-schaften als solche Zeugnisse respektieren. DieErhaltung und idealerweise auch die vorsichtigeNutzung der überkommenen „Ornamenta eccle-siae“ an ihrem ursprünglichen Ort muss daher inunser aller Interesse liegen, sind sie doch zumeistvon Gläubigen zu ihrem Seelenheil und möglichstzum ewigen Gebrauch der jeweiligen Kirche ge-stiftet worden – ein Wunsch, der sicherlich auchheute noch Respekt verdient.

Literatur:

Dieter Büchner: Soli Deo Gloria. Frömmigkeit undKunst des Barock in Bad Wurzach. Ohne Ort, 2000.Hans Christ u. Hans Klaiber: Die Kunst- und Alter-tums-Denkmale in Württemberg. Oberämter Göp-

pingen, Kirchheim, Laupheim, Leutkirch. Esslingen1924.Otto Frisch: Bad Wurzach. Geschichte und Entwick-lung einer oberschwäbischen Bäderstadt. Hinterzar-ten 1975.Otto Frisch: Kath. Pfarrkirche St. Verena Bad Wurz-ach. Lindenberg 2001.Johann Michael Fritz: Über den rechten Umgang mit den ererbten „Ornamenta ecclesiae“. KirchlicheDenkmalpflege heute, in: Das Münster, Heft 2, 1994,S. 93–100.

Dr. Dieter BüchnerLDA · Inventarisation und DokumentationMörikestraße 2070178 Stuttgart

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Synagogenbauten als Denkmale

Die ehemaligen jüdischen Versammlungs- undGebetshäuser in Baden waren und sind die jü-dischen Schwestern der Kirchengebäude in un-serem Land. Interessanterweise sind die Begrif-fe für beide kirchlichen Gebäude aus der griechi-schen Sprache entlehnt: Kirche geht auf dasspätgriechische „kyrikon“ = Gotteshaus zurückund Synagoge auf das griechische „synagein“ =zusammenführen; es bedeutete ursprünglich so-wohl die versammelte Gemeinde, später wurdedieser Begriff auch auf die Gebäude der Ver-sammlung der israelitischen Glaubensgemeindeübertragen.

Die Zerstörung vieler Synagogen bzw. der Verlustihrer angestammten liturgischen Nutzung wurde– nicht nur in unserem heutigen Bundesland – inder Nacht vom 9. zum 10. 11. 1938 durch die SAvollzogen, dramatisch und flächendeckend. DieDemütigungen gingen sogar in manchen Fällenso weit, dass die Brandruinen noch auf Kostender jüdischen Gemeinden beseitigt worden sind!(Hahn S. 62)Die heute noch erhaltenen Synagogen sind die-sen Brandzerstörungen nur deshalb entgangen,weil sie zu dicht neben und zwischen anderenHäusern standen und es daher zu riskant war, siein Brand zu setzen. Doch auch diese nicht zerstör-ten Synagogen entgingen nicht einer gewaltsa-men Schändung durch Vandalismus in ihrem In-neren. Den Nazis war sicher auch bekannt, dasseine geschändete Synagoge nicht mehr als jüdi-sches Gebetshaus dienen darf. Jede damals nichtzerstörte Synagoge konnte folglich auch nichtmehr wiederhergestellt werden. Jedes erhaltenealte Synagogengebäude ist also eine ehemaligeSynagoge. Ähnlich wie z.B. bei alten Stadttoren,Zehntscheunen, Keltern, antiken Tempeln, die ih-re ursprüngliche Nutzung ebenfalls verloren haben,sind sie heute Relikte einer vergangenen Zeit-

epoche, Zeugnisse der Geschichte der jüdischenGemeinden. Ein Vergleich mit profanierten ehe-maligen Kirchen bietet sich dabei zwar an; erwürde aber viel zu kurz greifen, weil profanierteKirchen Einzelfälle darstellen.Synagogenbauten sind aber auch Dokumenteeiner immer noch erschreckenden Zeit der Ver-folgung und Zerstörung des jüdischen Lebens.(Einige der noch erhaltenen ehemaligen Synago-gen – ca. 20, vgl. Hahn S. 91 – waren bereits vor1938 aufgegeben und profaniert worden. Diesekann ich aus den weiteren Überlegungen aus-klammern, zumal sich im denkmalpflegerischenUmgang mit ihnen keine Unterschiede zu den1938 der Zerstörung entgangenen Synagogenergeben).Etwa die Hälfte der Synagogen wurde 1938 nichtzerstört, vorwiegend im ländlichen Gebiet, dochwurden danach allesamt umgenutzt. Die neuenNutzungen waren durchweg „unwürdig“ oder res-pektlos: z.B. als Heim der Hitler-Jugend (in Bop-fingen-Aufhausen), Turnhalle (Hechingen), Matrat-zenfabrik (Hemsbach), Teppichweberei (Rottweil),Gaststätte („Deutsches Haus“ in Lauda-Königs-hofen-Messelhausen), Feuerwehrmagazin (Creg-lingen-Archshofen) und sogar als katholische Kir-che (in Ravenstein-Merchingen, Bopfingen-Ober-dorf). Die Mehrzahl der Synagogengebäude wurdeaber durch Einziehen einer Zwischendecke inWohnhäuser, in Scheunen verwandelt oder dien-te fortan als Lagergebäude.So sind heute viele Synagogengebäude äußerlichbis zur Unkenntlichkeit verändert, oft blieben nurdie bauliche Hülle und die Dachkonstruktion er-halten, die meist nicht signifikant ist. Wenn auchnoch der Innenraum der Synagoge verloren ge-gangen ist, kann es vorkommen, dass eine ehe-malige Synagoge nicht automatisch ein Kultur-denkmal ist, wie dies bei der zu einer Scheuneumgebauten, inzwischen abgebrochenen ehe-maligen Synagoge in Bad Mergentheim-Wach-bach der Fall war.

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Synagogenals Gegenstand der Denkmalpflege

Synagogen in Deutschland, hier in Baden-Württemberg, sind einerseits Bau-denkmäler wie andere auch. Andererseits stellen sie, seitdem sie ihre an-gestammte Nutzung 1938 verloren hatten, aufgrund ihrer jeweiligen Um-nutzung und den Veränderungen, die sich daraus ergeben hatten, besondereAnforderungen an unsere Gesellschaft und an die Denkmalpflege.

Norbert Bongartz

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Zur Denkmal-Eigenschaft zählt also auch eine hin-reichende Beispielhaftigkeit oder Erfahrbarkeit desGebäudes und/oder des Synagogenraums. Sindnoch die Grundmauern und mit diesen eine ehe-malige Mikwe erhalten, wie man die im Unterbauvieler Synagogen rituellen Bäder der Juden nennt,dann werden diese als archäologisches Denkmalgeführt.(Beim Begriff „Kulturdenkmal“ schreckt man indiesem Zusammenhang immer wieder zusam-men: Als Belege eines schwarzen Kapitels unse-rer Geschichte sind ehemalige Synagogen auchDenkmäler der Unkultur, weswegen hier der Er-satzbegriff eines Geschichtsdenkmals angebrach-ter wäre).Wenn wir uns fragen, vor welchen Aufgaben sichdie staatliche Denkmalpflege bei diesem viel-schichtigen Kulturgut bisher gestellt sah undmorgen gestellt sieht, gibt es mehr als nur eineAntwort:Die Aufgabe unserer staatlichen Stelle für Mit-verantwortung bei der Baupflege historischerGebäude ist bei ehemaligen Synagogen zwar im

Grunde genommen keine andere als bei anderenKulturdenkmalen auch. Auch die jeweils sehr un-terschiedlichen Grade ihrer Überlieferung stellenfür die Denkmalpflege keine Besonderheit dar.Und doch gibt es mehr als zwei Besonderheitenim Umgang mit ihnen:a) In keinem der Fälle gibt es mehr eine israeliti-sche Glaubensgemeinschaft als Bauherren, son-dern private oder kommunale Ansprechpartner.b) Ein jeweilig angemessenes denkmalpflegeri-sches Konzept zu finden (und dann auch umzu-setzen) ist, wie wir noch sehen werden, aufgrundder Besonderheiten der Geschichte ehemaligerSynagogen nicht immer einfach. Im Umgang mitdiesem außergewöhnlichen, weil sensiblen Kul-turgut ist daher unser Fingerspitzengefühl ge-fragt.c) In fast jedem Fall aber steht das heutige undkünftige Schicksal ehemaliger Synagogen (immernoch) in einem besonderen kommunal- bzw. kul-turpolitischen Rampenlicht, d.h. neben dem un-interessierten Teil der Bürgerschaft gibt es eine in-teressierte, einerseits höchst engagierte, anderer-seits skeptische Öffentlichkeit nebst einer wa-chen Presse, die alle Planungen und das Gesche-hen an Synagogengebäuden aufmerksam verfol-gen. Das folgende Beispiel ist in dieser Hinsicht nur aufden ersten Blick eine Ausnahme: Als um 1990 ausCreglingen im Main-Tauber-Kreis der Antrag aufUmbau der ehemaligen, als Lagerraum genutz-ten Synagoge bekannt wurde, die nun zu einerGaststätte umgenutzt werden sollte – mit Theken-raum im Erdgeschoss und Billardzimmer im Ober-geschoss – war das Landesdenkmalamt zur Stel-lungnahme aufgefordert. Die Denkmalsubstanzbeschränkte sich hier nur noch auf die Außen-mauern und das Dachwerk, vom ehemaligenSynagogenraum war auch hier nichts mehr zuerkennen. Auch wenn das Gesuch zwar keinkonservatorisches Problem darstellte, habe ichdennoch erst einmal den Bürgermeister und denLandrat nach ihrer Auffassung in diesem mögli-cherweise politisch kritischen Fall befragt. Beidesahen keine Probleme; so ging die zustimmendeStellungnahme des Denkmalpflegers zur Post.Der weitere Verlauf gab meinen Gesprächspart-nern Recht, denn weder die Presse noch eine Bür-gergruppe griffen den Fall kritisch auf: Der Fallstellte offenbar kein „heißes Eisen“ dar ...

(Ehemalige) Synagogen als Pflegefälle

Da bei reinen Instandsetzungsmaßnahmen an Sy-nagogenbauten unter Beibehaltung der jeweilsletzten Nutzung nur denkmalpflegerische Rou-tine gefragt ist, ist es unnötig, derartige Fälle vor-zustellen.

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1 Im Inneren der Bai-singer Synagoge erkenntman heute und künftignoch die Verluste in ihrerursprünglichen Ausstat-tung.

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Anders verhält es sich bei den meisten Vorhabenmit geplanten Nutzungsänderungen ehemaligenSynagogen, insbesondere dann, wenn sich Teileoder gar wesentliche Teile der Synagogenräumeerhalten haben.Dann sieht sich die Denkmalpflege bei einer Um-nutzung bzw. bei einer „geplanten Wiederher-stellung“ selbstverständlich zu einer intensivenBeteiligung veranlasst. Ich spreche dabei bewusstnur von „unserer“ Beteiligung, denn alle Initiati-ven zu Restaurierungen ehemaliger Synagogensind, soweit ich weiß, von Bürgergruppen, auchvon evangelischen und katholischen Kirchenkrei-sen ausgegangen und wurden mitgetragen vonden jeweiligen Kommunen. Selten übernahm dasLandesdenkmalamt eine initiative Rolle.Das Interesse der jeweiligen Initiativ-Gruppenwar und ist es, die Erinnerung an das jüdischeLeben in unserer Zeit neu oder wieder zu veran-kern und dadurch einen Beitrag zur Versöhnungzu leisten.Inzwischen gibt es 13 Fälle von Wiederherstel-lungen ehemaliger Synagogen in Baden-Würt-temberg. In chronologischer Reihenfolge ihrerAusführungen sollen sie hier kurz genannt wer-den:Sandhausen (Rhein-Neckar-Kreis): 1960–62;Sulzburg (Breisgau-Hochschwarzwald-Kreis): 1979–84;Rottweil (Wandmalereien des Betsaals, frei-gelegt 1981 durch den Stadtjugendring);Freudental (Kreis Ludwigsburg): 1981–85;Michelbach an der Lücke (Kreis SchwäbischHall): 1982–84;Braunsbach (Kreis Schwäbisch Hall): 1982–84;Hechingen (Zollern-Alb-Kreis): 1983–86;Kippenheim (Ortenaukreis): außen begonnen1985–87, Innenraum steht an;Hemsbach (Rhein-Neckar-Kreis) 1985–87;Obersulm-Affaltrach (Kreis Heilbronn): 1987–88;Werbach-Wenkheim (Main-Tauber-Kreis):1988–89Bopfingen-Oberdorf (Ostalbkreis): zu Anfangder 90er-Jahre.Vor einigen Jahren wurde die Synagoge in Rot-tenburg-Baisingen für eine öffentliche Nutzungwiederhergestellt. Der aktuellste Fall ist die Syna-goge in Haigerloch.

Ein vergleichsweise frühes Beispiel für eine Wie-derherstellung ist die ehemalige Synagoge inFreudental im Kreis Ludwigsburg: Sie war nachder Verwüstung des Innenraums 1938 zunächstunverändert geblieben. Die Gemeinde Freudentalgab sie 1949 an die jüdische Gemeinde Stuttgartzurück, mangels Verwendungszweck veräußertesie diese 1955 an einen Handwerker, der das Ge-

bäude für seine Zwecke stark umbaute, abernicht mehr instand hielt. 1979 schien wegenBaufälligkeit das Ende der Synagoge gekommen.Daraufhin fand sich eine Gruppe interessierterund engagierter Bürger zusammen, die sich 1980zu dem „Förder- und Trägerverein ehemalige Sy-nagoge Freudental e. V.“ zusammenfanden. Siebrachten es zuwege, dass das Gebäude instandgesetzt wurde und mit einem angrenzendenWohnhaus und einem angrenzenden Keller zu-sammen als Pädagogisch-kulturelles ZentrumFreudental (PKZ) für Tagungen genutzt werdenkonnte. Der Synagogenraum wurde dabei nur alsneutrale, neu verputzte Hülle wiederhergestellt;keinerlei authentische Oberflächen oder Detailserinnern mehr an die frühere Nutzung.Da die Tagungsstätte des PKZ inzwischen aus denNähten platzt, soll demnächst in der beengtenHofsituation ein ergänzender, zeitgemäß gestal-teter Anbau für einen weiteren Tagungsraum er-richtet werden.

Wenn auch das, was fehlt, Teil des Denkmals ist ...

Bei der Wiederherstellung aller oben erwähntenSynagogenbauten ist im Laufe der Jahre ein Kon-flikt zwischen den verschiedenen „Bauherren“und der Denkmalpflege bewusst geworden, derzunehmend unvermeidbar zu sein scheint.Ich spreche hier vom jeweiligen Grad der In-standsetzungen und Restaurierungen: Die ange-troffenen Spuren der Zerstörungen stehen einer-seits einer Instandsetzung im Wege. Andererseitssind es doch gerade diese, die als Zeugnisse von1938 einen wesentlichen Teil des Denkmals aus-machen!Jede Glättung, Ergänzung alter Putze und Male-reien verringern also den Denkmalwert einer ehe-maligen Synagoge.

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2 Das Äußere der Sy-nagoge in Rottenburg-Baisingen lässt auch nach ihrer Restaurierungerkennen, dass sie nach 1938 als Scheunegenutzt worden war.

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Zwar mussten alle bisherigen Wiederherstellungs-versuche spätestens an einer Stelle enden: Auchin den Fällen, bei denen der gesamte Innenraumeiner Synagoge restauriert worden ist, klafft ander zentralen Stelle des herausgerissenen Thora-schreins heute ein Loch.Das Harmoniebedürfnis, das nach Schließungvon Schadstellen und Vereinheitlichung einerRaumfassung drängt, und die Dynamik der vorOrt Tätigen, die sich die Restaurierung der Syna-goge zur Aufgabe gemacht hatten, kollidierenhier mit dem Interesse an einer Bewahrung desZeugniswertes ... Doch nicht alles, was wir kön-nen, sollte auch ausgeführt werden, oder: In derDenkmalpflege an einer Synagoge hätte an vie-len Stellen ein Weniger durchaus zu einem Mehrgeführt.Die Bereitschaft der Bauherren und der sie unter-stützenden Bürgergruppen, bisweilen des Gutenzu viel zu tun, hat aber zum Beispiel in Wenkheimoder wie jüngst in Haigerloch geschehen, zumanchen unnötigen Komplettierungen oder Er-neuerungen geführt. Derartige in der Rekon-struktion weitgehende Instandsetzungskonzeptepassen nicht mehr in unsere Zeit.Zugegeben, einen Synagogenraum einfach nurso zu erhalten, wie er in seiner Verstümmelungauf uns gekommen ist, ihn nur zu sichern, zu-gänglich zu machen und den offenkundigenWunden Einbau-Elemente unserer Zeit gegen-überzustellen, mit einem solchen Konzept lässtein „Im-neuen-Glanze-Erstrahlen“, wie es die Öf-fentlichkeit immer wieder als Ergebnis erwartet,nicht erreichen.Und doch gibt es ein erstes Beispiel in unseremBundesland, in dem es bereits gelungen ist, waszuvor noch kein Verein oder sonst ein Bauherr ge-wagt hatte: Bei der Wiederherstellung der Syna-goge in Rottenburg-Baisingen hat man den Ziel-

konflikt zwischen Instandsetzen und Belassen er-kannt und ihn ausgehalten, d. h. nicht unter-drückt. (vgl. H. Krins, Denkmalpflege in Baden-Württemberg 24,3, 1995, 91 ff.)Wie man bei einem Besuch nach dem Abschlussder Arbeiten 1998 vor Ort selbst erkennen kann,wurde dieser Zielkonflikt sogar zufriedenstellendgelöst: Die mutwilligen Beschädigungen von1938 blieben sichtbar, „der Bericht über die Zer-störung 1938 kann so vom Bau selbst abgegebenwerden.“ Das Hauptexponat des in der Synago-ge eingerichteten Museums blieb das Gebäudeselbst ...Unser Fazit: Auch künftig wird bei ehemaligenSynagogen der Schwerpunkt unserer amtlichenTätigkeit im Bewahren, Sichern, Dokumentieren,und in einer Prophylaxe vor vermeidbaren Verlus-ten dieser Denkmälergruppe liegen.Aufgabe unserer Gesellschaft für Übermorgenkönnte, sollte oder wird sein, ehemalige Synago-gen weiter in unsere Welt zu integrieren, neueArten der Umnutzungen zu finden, bei der diesenGebäuden und ihrer Geschichte mit Respekt und –bezogen auf sinnvolle Zutaten – weniger mitÄngstlichkeit begegnet wird.

Literatur:

Joachim Hahn: Synagogen in Baden-Württemberg,Stuttgart 1987.Hubert Krins: Die Synagoge in Rottenburg-Baisin-gen. Ihre Errettung und Erhaltung. In: Denkmal-pflege in Baden-Württemberg 24, 3, 1995, 91–98.

Dr. Norbert BongartzLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeMörikestraße 1270172 Stuttgart

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Zurzeit allerdings ist der südliche Chorturm desUlmer Münsters in einem alarmierenden Zustand.Der gesamte Turm weist vom Fundament bis zurSpitze gravierende Schäden auf, wie eine inten-sive Voruntersuchung gezeigt hat, die in den ver-gangenen drei Jahren durchgeführt wurde. Diebestehenden Schäden lassen sich auf verschie-dene Ursachen zurückführen und haben auch mitder Baugeschichte des Turms zu tun.Baumeister Ulrich von Ensingen, der auch denHauptturm des Münsters plante und die unteren

Partien baute, schloss den mittelalterlichen understen Bauabschnitt der Chortürme in einer Höhevon ca. 32 m vorläufig ab, als er 1399 einer Be-rufung nach Straßburg folgte. Sein Werk sollteerst 500 Jahre später fertig gestellt werden. Bau-meister Ludwig Scheu, der die Errichtung der bei-den Chortürme 1870 wieder aufnahm, hatte zuBeginn Schwierigkeiten, an die mittelalterlicheBauweise anzuknüpfen. Die Nahtstellen zwi-schen dem mittelalterlichen Unterbau und demspäteren Aufbau zeigen sich besonders deutlich

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1 Blick auf den mittel-alterlichen Unterbauaus Ziegelstein, darüber die Oktogonhalle mitTurmhelm aus Naturstein.Ansicht von Süden aus,1999.

2 Einrüstung des Turm-helms bis zur Turm-spitze, Westansicht, Anfang 2000.

Ulmer Münster: Projekt Südlicher ChorturmVorbereitende Maßnahmen und Restaurierung

Die Bürger von Ulm hatten im Jahr 1377 mit der Errichtung des Münstersbegonnen. Erst im Jahr 1890 sollte diese Großkirche mit dem höchsten Kirch-turm der Welt fertig gestellt werden. Das Erscheinungsbild des Ulmer Müns-ters wird aber nicht nur durch den Hauptturm geprägt, sondern auch durchdie beiden ca. 86 m hohen Chortürme, die sich an der Nahtstelle zwischenChor und Seitenschiff an der Ostseite des Münsters erheben. Nur durch stän-dige Pflege und Restaurierung konnte die vielschichtige historische Bausub-stanz dieser Kirche über die Jahrhunderte hinweg erhalten werden.

Ingrid Rommel

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3 Kriegsschaden amMaßwerk des Turmhelmsan der Westseite, 1997.

an dem südlichen Chorturm, mit dem Baumeis-ter Ludwig Scheu begonnen hatte (Abb. 1). DasSteinmetzhandwerk konnte nicht gleich an denverloren gegangenen Ausführungsstil seiner Zunftaus dem Mittelalter anknüpfen. Daher wurdenfür den Weiterbau zunächst nur kleinteiligeWerkstücke hergestellt und verbaut, die natürlicham Bauwerk entsprechend mehr Fugen und Ver-bindungen erforderten. Dies lässt sich besondersdeutlich an den beiden Wendeltreppen und Zier-türmchen, aber auch am Turmhelm erkennen. Erstspäter, als man bei dem Aufbau am nördlichenChorturm angelangt war, wurden die Werkstü-cke wieder aus größeren Rohlingen gefertigt, wiedies auch im Mittelalter üblich gewesen und wiees für die statische Stabilität des Turms auch vonVorteil war.Aber auch die Verwendung unterschiedlicherSteinsorten als Baumaterial, die dem Aufbau derChortürme das besondere Erscheinungsbild ver-leihen, führte zu Schwachstellen an dem südli-chen Chorturm. Für die statisch konstruktiven Tei-le des Turms hat man den härteren SchlaitdorferSandstein eingesetzt, der im Raum um Tübingenvorkommt. Der wesentlich weichere Savonnières-Kalkstein, der nach dem deutsch-französischenKrieg 1870–71 als Reparationsleistung an das Ul-mer Münster geliefert wurde, kommt zum Auf-bau von statisch nicht beanspruchten Brüstungenan der Viereckplattform und der Oktogonhallevor. An den Verbindungen der beiden unter-schiedlichen Materialien treten bauphysikalischeProbleme auf. Außerdem wurden die beidenSteinsorten vielfach auch in minderwertigererQualität verbaut, was sich heute deutlich am Bau-

werk erkennen lässt. Der Zahn der Zeit hat geradean diesen materialbedingten Schwachstellen desBauwerks deutliche Verwitterungsspuren hinter-lassen.Die natürliche Verwitterung der verbauten Natur-steine wurde auch noch durch das feuchte neb-lige Klima an der Donau verstärkt, das über dieWintermonate vorherrscht. Eine weitere Ursachefür das vorgefundene Ausmaß der Bauschädenist die im 19. Jahrhundert einsetzende Industria-lisierung. Die Industrialisierung brachte, schon zu der Zeit, als Baumeister Ludwig Scheu nochmit der Vollendung der Ostseite des Münsters be-schäftigt war, eine ansteigende Belastung derLuft mit sich. Die Abgase aus Industrie, Verkehrund Gebäudeheizungen verwandeln Niederschlä-ge in sauren Regen, der seit Jahrzehnten auchden Stein am Ulmer Münster zerstört. Der saureätzende Niederschlag wandelt im SteingefügeKalk zu Gips und beschleunigt eine schädlicheSalzbildung. Letztlich kommt es zum Absanden,Aufblättern und zur Schalenbildung an den Stein-oberflächen bis hin zum Verlust der notwendigenDruckfestigkeit des Steins.Die baulich gegebenen Schwachstellen und dieVielfalt der äußeren Belastung führten langsam,aber stetig zu der Zerstörung der Bausubstanz ineinem beängstigenden Umfang. Die ersten alar-mierenden Anzeichen der bis dahin unterschätz-ten Schäden zeigten sich während des strengenWinters 1996–97: Einige der Rippen an der Ok-togonhalle waren im Bereich der Ringanker anStellen wieder aufgebrochen, die man bereits1968 gesichert hatte. Diese Schäden machteneine sofortige Überprüfung des südlichen Chor-

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turms notwendig. Die erste Überprüfung 1997zeigte einen äußerst bedenklichen Zustand dessüdlichen Chorturms.An der gesamten Bausubstanz des Turmaufbauszeigten sich Schäden wie:– schichtenparalleles Aufblättern und Absanden

an den Oberflächen des Schlaitdorfer Sand-steins;

– Verlust und Ablösen freistehender Architektur-teile durch Fehlstellen im Naturstein;

– starke Schalenbildung und Aufblättern an derBauzier aus Savonnières-Kalkstein;

– Rissbildung durch thermische Dehnungen wieaufgrund von Frost- und Tauphasen;

– Rostbildung an den umlaufenden Ringankernder Oktogon-Eckhalle führte zur Sprengungdes Natursteins, besonders den Stellen mit ge-ringem Querschnitt;

– verbliebene Kriegsschäden, die durch dieDruckwellen der detonierenden Bomben beimLuftangriff am 17. Dezember 1944 entstandenwaren. Besonders hat es das Maßwerk desTurmhelms getroffen (Abb. 3).

Auch der mittelalterliche Unterbau, der im We-sentlichen aus Ziegelstein aufgebaut ist, weistSchäden auf und zwar in Form ausgeprägter Riss-bilder. Noch heute ist abzulesen, dass es mehrfa-che Bemühungen gab, beispielsweise die Risse ander Süd- und Westwand des südlichen Chor-turms, die über fünf Geschosse ausgedehnt sind,zu schließen. Die Risse sind auf die thermischeDehnung zurückzuführen. Daneben finden sichunterschiedlich starke Verschiebungen, wie etwaam Marienpfeiler, die auf den Unterbau und diegewählte Bauform zurückzuführen sind. Dort be-findet sich im Baugrund ein Keller der Vorgänger-bebauung. Während das Fundament im Keller er-richtet wurde, hatte man den Marienpfeiler un-mittelbar auf dem Kellergewölbe versetzt.Mit den aufgeführten gravierenden Schäden vonseinem Fundament bis zu seiner Spitze ist dersüdliche Chorturm in einem äußerst bedenkli-chen Zustand und macht umfangreiche Restau-rierungsarbeiten mit einem außergewöhnlichenAufwand notwendig.Um eine fundierte und nachhaltige Restaurierungin hoher Qualität zu gewährleisten, wurde zu-nächst eine vorbereitende Untersuchung/Maß-nahme konzipiert und in die Wege geleitet. Weg-weisend für das Konzept zu dieser Untersuchungwar der Anspruch, eine umfassende und grund-legende Dokumentation über den aktuellen Zu-stand des Chorturms zu erstellen, die sowohl fürdie Planung der Restaurierungsmaßnahmen alsauch später bei der Ausführung der Restaurie-rungsarbeiten effektiv zu verwerten war. Außer-dem mussten an exemplarischen Abschnitten desTurms Materialsubstanz und charakteristische

Schäden mit geeigneten analytischen Methodengenau untersucht werden, wobei Experten ausverschiedenen Disziplinen hinzuzuziehen waren.Für die Erfassung des Ist-Zustandes des südlichenChorturms vom Fundament bis zur Spitze wur-de die digital-photogrammetrische Aufnahmen-technik ausgewählt, die eine effektive und prä-zise Methode für diese Aufgabenstellung ist. Alswesentlicher Vorteil der digital-photogrammetri-schen Planvorlagen ist deren vielfältige Verwer-tungsmöglichkeit zu nennen. Ein Wettbewerbausgewählter Fachfirmen, der auf Probeaufnah-men an einem vorgegebenen Abschnitt desChorturms und deren Auswertung basierte, warentscheidende Voraussetzung, die geforderteQualität in einem angemessenen Kostenrahmenzu halten. Anhand der gebotenen Genauigkeitund Qualität des Auswerteergebnisses entschiedman sich für das Ingenieurbüro Wolfgang Fischer.Im April 1998 wurde mit den digital-photogram-metrischen Aufnahmen begonnen und der Ist-Zustand des Turmes festgehalten und dokumen-tiert. Diese Aufnahmen zeigen präzise alle Set-zungen und Verschiebungen des Bauwerks. Eserfolgte eine digitale Auswertung der Aufnah-men. Damit wurden maßstabsgetreue digitalePlanvorlagen erstellt, die als Basis für die nachfol-genden Arbeitsschritte dienen sollten.Auf Grundlage dieser Pläne wurde von der Ge-rüstbaufirma unter der Leitung von GüntherSchwarz das Arbeitsgerüst geplant und erstellt.Zu den aufwändigeren Arbeiten in diesem Zu-sammenhang gehörten die Absicherung der Ok-togonhalle und Turmspitze sowie die Anbindungeines Lastenlifts bis in eine Höhe von ca. 72 m(Abb. 2).Danach wurde vor Ort der Materialbestand unddie Schäden am Stein und gesamten Aufbau visu-ell begutachtet und in Form einer Kartierung aufdie digitalen Planvorlagen von Hermann Schäferübertragen. Diese Kartierung liefert ein vollstän-diges und übersichtliches Gesamtbild über die amsüdlichen Chorturm eingesetzten Baumaterialenund ihren heutigen Zustand. Anhand der kartier-ten Schadensbilder lässt sich auch festlegen,welche Restaurierungsmaßnahmen in welchemUmfang notwendig sind.Langfristige Prognosen über Beständigkeit res-tauratorischer Maßnahmen sind naturgemäßschwierig und mit großen Unsicherheiten behaf-tet. Was liegt daher näher, als Baustoffe und Bau-materialien, die sich am Münster über lange Zeitbewährt haben, im Hinblick auf ihre Verwertbar-keit bei der anstehenden Restaurierung genauerzu untersuchen.In einer Untersuchung ist der Mineraloge/Sedi-mentologe Roman Koch deshalb den Ursachenund Mechanismen der extrem starken Verwitte-

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rung des Savonnières-Kalksteines auf den Grundgegangen. Ziel war dabei auch, mithilfe der Kenn-werte die besser geeignete Savonnières-Kalkstein-varietät festzustellen, um für die anschließendeaufwändige Restaurierung das gleiche Ersatzma-terial in der geforderten Qualität und ausreichen-den Quantität zur Verfügung zu stellen.Die Schäden an den Zierteilen und Werkstückenaus Schlaitdorfer Sandstein wurden von Gabrie-le Grassegger von der Materialprüfanstalt Stutt-gart/FMPA untersucht. Weil der früher genutzteSteinbruch inzwischen stillgelegt ist, musste nacheinem geeigneten Ersatzmaterial gesucht wer-den. Eine Untersuchungsreihe an Prüfkörpernaus ausgesuchtem und für geeignet gehaltenemSandsteinmaterial wurde durchgeführt. Gleich-zeitig wurden die Materialien durch die Steinmet-ze der Münsterbauhütte auf ihre Bearbeitungs-tauglichkeit getestet. Es zeigte sich, dass der sog.weiße Mainsandstein als Ersatzmaterial geeignetist und alle geforderten Kriterien erfüllt.Die Qualitätssicherung bei der Auswahl des Na-turstein-Ersatzmaterials erfolgt sowohl für denKalkstein als auch den Sandstein über mehrereStufen:– Als Erstes wird im Steinbruch eine geeignete

Schicht ausgewählt, aus der Naturstein für dasUlmer Münster abgebaut werden soll.

– Vor der Freigabe zum Zusägen wird mit einer vi-suellen Prüfung der gebrochenen Blöcke fest-gestellt, ob die gewünschte Qualität vorliegt.

– Die 6-seitig gesägten Blöcke werden noch beidem Natursteinlieferanten einer Ultraschallprü-fung unterzogen.

– Danach werden die einzelnen Steine entspre-chend ihrer Qualität und Eigenschaften zur Ver-wendung für verschiedene Werkstücke be-stimmt.

Daneben hat sich die Frage nach einem geeigne-ten Kompressenmaterial gestellt, um die schädli-chen Salzeinlagerungen aus den Zierteilen undWerkstücken aus Schlaitdorfer Sandstein vor Ortzu lösen. Da es möglich war, die Kompresse ge-nau auf die Steinart einzustellen, wurden die Un-tersuchungen durch die FMPA durchgeführt. Esging auch darum, ein geeignetes, bereits vorhan-denes, zertifiziertes und konfektioniertes Kom-pressenmaterial gegenüberzustellen. Es zeigtesich, dass für die Anwendung ein Kompressen-material der Firma Interacryl verwendet werdenkann. Die Salzeinlagerungen ließen sich mit die-ser Kompresse gut herauslösen und entfernen.Diese Methode hat wesentlich zum Erhalt der his-torischen Bausubstanz beigetragen.Das Ziel der Qualitätssicherung bei der Restaurie-rung ist jedoch nicht nur auf den Naturstein aus-gerichtet, sondern auf das gesamte Baugefügeeinschließlich der Fugen. Es war daher von großerBedeutung, die zum Bau verwendeten Verbin-dungsmaterialien, die sich über eine lange Stand-zeit am Münster bewährt haben, zu erfassen.Dazu wurden am Münster auch Mörtelprobengenommen und das Material analysiert. Auf derBasis der damit gewonnenen historischen Mör-telrezepturen werden die bei der Restaurierungeingesetzten Mörtel nachgestellt. Die Rezepturenvariieren je nach Verwendung der Mörtel zum:– Vergießen der Vertikal- und Horizontalfugen– Versetzen– VerfugenInsgesamt kommen bis zu sechs verschiedene Re-zepturen zur Anwendung.Bei der durchgeführten bauhistorischen Untersu-chung wurden die baulichen Veränderungen undBesonderheiten bis in die Details, wie zum Bei-spiel Baunähte, aufgenommen und dokumen-tiert. Die Ergebnisse dieser Bauaufnahme wurdenauf eine dreidimensionale Computerdarstellungübertragen von Jan-Ruben Fischer. Um den Be-stand an spätgotischer und neogotischer Bau-substanz im Außen- wie im Innenbereich darzu-stellen, hatte man den Baukörper optisch „durch-geschnitten“ und mit der Hinzufügung z. B. derBaunähte und Dachkonstruktionen ergänzt.Die unzureichenden Unterlagen zu den Arbei-ten im Innenbereich des Münsters, die zwischen1946 und 1963 durchgeführt wurden, machteneine Dokumentation in Form eines Raumbuchesunerlässlich. Anfang des Jahres 2001 wurde dasRaumbuch erstellt und als Erstes der bauliche Zu-stand, die technischen Einrichtungen sowie diekünstlerische Ausstattung im Kirchenraum und

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4 a Fertigen von Ersatz-werkstücken für den süd-lichen Chorturm, 2000.

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den Kapellen erfasst. An diese Dokumentationwurde in einem zweiten Arbeitsschritt die Be-standsaufnahme auch aller Turmgeschosse, derDachböden und Heizkanäle angeschlossen. Erstmit dieser vollständigen Erfassung in einemRaumbuch hatte man einen Überblick, wo früherRestaurierungen durchgeführt worden sind undsich gefährdete Bereiche befinden.Das Raumbuch konnte Ende August 2001 abge-schlossen und im September auf der Internatio-nalen Tagung der Dom-, Münsterbaumeister undHüttenmeister in Ulm vorgestellt werden. Danachwurde es für die anstehende Erneuerung dertechnischen Einrichtungen im Innenraum desMünsters benutzt.Der aktuelle Zustand des südlichen Chorturmesbezüglich seiner Statik wurde von Rudolf Pörtnerin einer Bauuntersuchung überprüft. Die Bewe-gungen am Bauwerk lassen sich erstmals aufzei-gen anhand der Rissbilder, die der Turm aufweist.Noch heute zeigen die vielen Eisenklammern ander Fiale und Spitze des Marienpfeilers, dass manSicherungsmaßnahmen durchgeführt hat. Beider Errichtung des Marienpfeilers hatte man ihnnicht mit dem darunter stehenden Fundamentverbunden, das im Keller einer Vorgängerbebau-ung steht. So kam es zu erneuten Verschiebun-gen, trotz einer Verbesserung am Fundament. In

dieser Schieflage steht der Pfeiler nun seit 1931an der Südwestecke des Chorturms. Im Jahr2000 hat man deshalb mithilfe von Spannankernund der Vernadelung der Risse den Pfeiler mit derSüd- und Westwand des südlichen Chorturmsverbunden.Ein Ziel unserer Voruntersuchung war es, Klarheitdarüber zu gewinnen, wie hoch der Aufwand fürdie notwendige Restaurierung sein muss, um densüdlichen Chorturm zu bewahren. Dies natürlichauch im Hinblick auf eine denkmalgerechte, bau-technisch optimale, aber auch wirtschaftliche Res-taurierung.Nach Ansicht der an unserer Untersuchung betei-ligten Experten stehen für die MünsterbauhütteUlm unter Hüttenmeister Peter Völkle insgesamtca. 100 cbm Steinmaterial zur Bearbeitung an,dazu gehören ca. 70 cbm Sandsteinmaterial und30 cbm Kalkstein allein für den Turmhelm. Nurfür die Restaurierung der Turmspitze sind 120Werkstücke herzustellen und im Verband zuwechseln (Abb. 4 a). Für diese Arbeit werdennach der Kalkulation 14 Steinmetze etwa 4 Jah-re benötigen. Parallel dazu werden zwei Steinres-tauratoren mithilfe von 120 Tonnen Kompressen-material die Salze aus befallenen Steinen amTurm herauslösen (Abb. 4 b–c). Außerdem gibt esauch Arbeiten, die nur von externen Spezialistendurchgeführt werden können, wie zum Beispieldie Rückverankerung des Marienpfeilers und dieSteinreinigung, die im Trockenverfahren mittelsStrahlgerät substanzschonend mit Glasgranulatund Glaspudermehl ausgeführt wird (Abb. 5).Die oben vorgestellten Ergebnisse der vorbe-reitenden Untersuchung haben uns den alarmie-

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4 b Entsalzung derWerkstücke aus Schlait-dorfer Sandstein, 2000.

4 c Beprobung verschie-dener Injektionsmittelzum Schließen der Risseam Savonnières-Kalk-stein, 2001.

5 Reinigung im Inne-ren des Maßwerkhelms, Anfang 2000.

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rend schlechten Zustand des südlichen Chor-turms in aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Mitdiesen Ergebnissen in den Händen sind uns Artund Umfang der notwendigen Restaurierungs-maßnahmen klar und eindeutig vorgegeben, undes gilt jetzt diese Maßnahmen in die Tat umzu-setzen. Es wurde aber auch deutlich, dass dieseine Steigerung unserer Aufwendungen zur Er-haltung dieses Bauwerks notwendig macht, wol-len wir den Wettlauf gegen Verwitterung undZerfall des südlichen Chorturms gewinnen. Fürdiese umfangreiche Restaurierung des südlichenChorturms gibt es aber keine Alternative, soll derTurm als ein wichtiges Zeugnis der Baugeschichtedes Ulmer Münsters bewahrt werden.

Weiterführende Literatur:

Münsterblätter: Heft 1, 1878; Heft 2, 1880; Heft 3–4,1883; Heft 5, 1888.Rudolf Pfleiderer, Das Münster zu Ulm, Ulm 1907.

Karl Friedrich, Die Wiederherstellungsarbeiten amUlmer Münster im 19. und 20. Jh., Ulm und Ober-schwaben 25, 1927.Karl Friedrich, Die Risse zum Hauptturm des UlmerMünsters, Ulm und Oberschwaben 38, 1955.Hans-Joachim Koepf, Die gotischen Planrisse der Ul-mer Sammlung, Forschungen zur Geschichte derStadt Ulm 18, 1977.Reinhard Wortmann, Das Ulmer Münster, GroßeBauten Europas, Band 4, 1972.Reinhard Wortmann, Hrsg. Hans Eugen Specker, 600 Jahre Ulmer Münster, 1977.Die Ergebnisse der Voruntersuchungen am „ProjektSüdlicher Chorturm“ sind auch nachzulesen unter:www.muensterbauhuette-ulm.de

Münsterbaumeisterin Ingrid RommelMünsterbauamt UlmMünsterplatz 1a89073 Ulm

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Die Michaelskapelle am Nordostrand der Gam-mertinger Altstadt wird im Jahre 1299 erstmalsurkundlich erwähnt, doch befand sich an ihrerStelle bereits im frühen 11. Jahrhundert ein Got-teshaus. Archäologische Untersuchungen, diedas Landesdenkmalamt 1981 in der Michaelska-pelle durchführte, brachten wertvolle Funde ausprähistorischer Zeit und aus dem frühen Hoch-mittelalter zutage. Die Skelette, Grabbeigabenund Mauerreste deuten auf mehrere Vorgänger-bauten der heutigen Kapelle an gleicher Stellehin, die ein Jahrtausend zurückreichen. Vermut-lich gehörte das Gebäude ursprünglich zu einemGutshof und befand sich damit als „Eigenkirche“im Besitz eines adeligen Herren, der auch denGeistlichen entlohnte. Das Gotteshaus umgabspäter ein Friedhof, der jedoch im 17. Jahrhun-dert aufgegeben wurde.Der heutige Sakralbau von 1589 wurde finanziellwohl von Dorothea von Rechberg-Speth geför-dert, die fromme Adelige stiftete in der Herr-schaft Gammertingen-Hettingen noch vier wei-tere Kapellen. Es ist ein einschiffiger Massivbaumit Rundbogenfenstern und Satteldach. Auf demwestlichen Krüppelwalm sitzt ein Dachreiter mitZwiebelhaube, die Westseite gliedern drei quer-ovale Fenster. Chor und Schiff der Kapelle sindmit Holzfelderdecken versehen, den Westteil prägtdie aus mächtigen Holzbalken gefertigte hängen-de Empore, der flach abschließende Chor wirdvon einer eingestellten Wand mit Rundbogenöff-nung abgetrennt. Auf die Freilegung der schmü-ckenden Fresken aus der Erbauungszeit an denFenster- und Türeinfassungen des Innenraumswurde zu deren Schutz verzichtet. Eindrucksvollund als Zeugnis zeitgenössischer Handwerks-kunst sehenswert ist der Dachstuhl in liegenderAbzimmerung mit seinen schweren gebeilten Bal-ken, den dicken Holznägeln und dem in die Kon-struktion eingestellten Unterbau des Dachrei-ters. Eine Besonderheit bilden hier die verblatte-ten Kopfbänder, eine mittelalterliche Technik derHolzverbindung, deren Anwendung im Laufe des16. Jahrhunderts der stabileren Verzapfung hatteweichen müssen. Sie tritt hier in einer interessan-ten Mischkonstruktion neben frühbarocke Ele-mente der Handwerkskunst.

Wesentlich geprägt wird der Eindruck des Innen-raums durch den reich ornamentierten und mar-morierten Hochaltar, der 1674 von Thomas Kuz-berger aus Biberach geschnitzt wurde. Hier zeigensich Engelsköpfchen und Putten, im gesprengtenGiebel steht der Erzengel Michael mit Schwert

und Waage. Das säulenflankierte Altarblatt einesunbekannten Meisters zeigt Michael und Luziferbeim Höllensturz, auf seitlichen Konsolen ruhendie geschnitzten Figuren der Heiligen Anna undJoachim. Zwei weitere Figuren, die Heiligen Wen-delin und Crispinius, stammen ebenfalls von derHand Kuzbergers. Frei im Chorbogen hängt einespätgotische Kreuzigung mit Kruzifixus, Mariaund Johannes, die noch zur Originalausstattunggehören dürfte.Vor der rechten Chorbogenwand ist eine gefass-te, sehr qualitätvolle Holzskulptur des Schutzen-

Tausend Jahre Ort der AndachtDie Michaelskapelle in Gammer-tingen (Lkrs. Sigmaringen)

Denkmalporträt

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gels mit Knaben aufgestellt, die wohl in der 1.Hälfte des 17. Jahrhunderts von Georg Mayer ausBiberach geschaffen wurde. In der Gegenrefor-mation entwickelte sich das Schutzengelmotiv zu einem wichtigen Thema der bildenden Kunst.In Zeiten der Pest und des Hungers wurde die Für-bitte um englischen Schutz zum wichtigen Trostder materielle Not leidenden Gläubigen. Zur jün-geren Ausstattung der Kapelle gehören siebenGlasfenster, die in einem farbenprächtigen Bilder-zyklus biblische Szenen mit dem hl. Michael zumThema haben. Sie wurden 1981 von dem UlmerKünstler Hermann Geyer entworfen.Die Kapelle St. Michael ist zusammen mit ihrerkünstlerischen Ausstattung und als bedeutendemittelalterliche und vorzeitliche Fundstätte einkulturhistorisches Monument von außergewöhn-lichem Quellenwert. Der uralte Ort religiöser An-dacht und Fürbitte wandelte sich während einesJahrtausends mehrmals in seiner baulichen Ge-stalt.

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Dr. Clemens KieserLDA · Inventarisation und DokumentationDurmersheimer Straße 5576185 Karlsruhe

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Die 1895 auf dem Gigelberg in Biberach errich-tete Bierhalle ist trotz späterer Um- und Aufbau-ten ein äußerst seltenes Beispiel dieses Gebäu-detyps aus der Zeit um 1900. Es vereinigt zu-dem zwei lokale Traditionen des Feierns: die desSchützenfestes und des Sommerkellers.Das Biberacher Schützenfest, nicht nur für dieStadt, sondern auch für die umliegende Regionder festliche Höhepunkt des Jahres, findet seitdem Dreißigjährigen Krieg statt und wurde ur-sprünglich nahe der Altstadt im Schützenbierkel-ler begangen. Aufgrund der starken Resonanzreichte hier der Platz bald nicht mehr aus. So ent-schloss sich der Gemeinderat am Ende des 19.Jahrhunderts, das Fest auf die Hochfläche des na-hen Gigelberges auszudehnen, und ließ hierzu1895 die städtische Turn- und Festhalle errichten.Dem geschäftstüchtigen Besitzer der Brauereiund Gaststätte „Zur Stadt“, Christian Notz, ge-lang es, parallel dazu einen so genannten Som-merkeller erbauen zu lassen, eine wohl ursprüng-lich zum Festplatz hin offene, gewaltige Halle,einzig für das Saisongeschäft im Sommer rundum den „Schützen“.Die Kultur der Sommerkeller hat in Biberach einelange Tradition: Das früher hergestellte, dunkle

Bier verdarb relativ schnell, sodass es üblich war,gerade im Sommer sein Bier bei den Eiskellern derBrauereien, außerhalb der Stadt in eigens ange-legten Biergärten zu genießen. Meist schütztenhier nur einfache, offene Fachwerkhallen den Be-sucher vor Wind und Wetter.Im Gigelberg befand sich allerdings kein Eiskellerder Brauerei zur Stadt. Die Bezeichnung Sommer-keller erinnert hier lediglich an die lieb geworde-ne Tradition und ist zur allgemeinen Bezeichnungfür diesen Typus einer leichten, offenen Fachwerk-halle für den sommerlichen Gaststättenbetriebgeworden. Durch Umstellung auf hellere Biersor-ten ist die Verderblichkeit des Bieres stark zurück-gegangen und die Tradition der Bierkeller gerätlangsam in Vergessenheit. Nur der Verbindungmit dem Schützenfest verdankt das Biberacher

Schützenswert nicht nur zur SchützenzeitDie Stadtbierhalle in Biberach

Denkmalporträt

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Bauwerk sein Überleben. Es ist eine der ganz we-nigen überlieferten Bierhallen dieser Größenord-nung im süddeutschen Raum.Die ursprünglich offene, 44 x 14 m große Halle istgestaltet als Fachwerkgebäude mit flachem Sat-teldach. Zwei Eingänge im Osten mit Vordächernüber Sprenggiebeln erschließen das Gebäudevom Turn- und Festplatz aus, der Haupteinganglag ursprünglich im Norden und war über einebreite – heute noch erhaltene – Freitreppe zu-gänglich. Das Innere gliedert sich in drei Schiffe

mit offenem Zangendachstuhl, auf der Südseiteliegt eine Musikempore, im Westen der wohlauch noch bauzeitliche Ausschank.Schon kurz nach seiner Erbauung, 1907, wurdeder nördliche Teil des Gebäudes verändert. Deroffene Dachstuhl verschwand hinter einer einge-zogenen Decke über sechs freistehenden Holz-stützen. Hier entstand ein großer, heizbarer Gast-raum mit eigenem Ausschank (heute durch Zwi-schenwände verstellt), darüber wurden zweiWohngeschosse aufgesetzt: Im ersten Oberge-schoss zog ein Pächter ein, das zweite Oberge-schoss baute Christian Notz als Alterswohnsitzfür sich selbst. (Die Wohnungen sind heute im In-neren modernisiert.)Die aufwändige Fassadengestaltung dieser Ge-bäudeerweiterung mit malerischen Bauelemen-ten wie einem Ecktürmchen, Balkon, Eckerker,Gaube, und bemerkenswerten Details wie derVerschindelung der Außenhaut oder der Fenster-rahmung mit ausgesägten Schnitzereien gehörtzu den liebenswerten Erfindungen des maleri-schen Historismus um die Jahrhundertwende, dermit Bauformen und Materialien, seien sie nunvorgefunden oder aus der Architekturgeschichteentlehnt, oft spielerisch umging. Ein Beispiel da-für ist der große Schwebegiebel über dem eins-tigen Haupteingang der Bierhalle, er wurde zu ei-ner reizvollen Balkonüberdachung.

Sabine Kraume-Probst M. A.LDA · Dokumentation und InventarisationAlexanderstraße 4872072 Tübingen

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Landeskonservator Dipl.-Ing. Franz Meckes im Ruhestand

Mit Wirkung vom 31. Oktober 2002 trat derlangjährige Leiter der Abteilung Bau- und Kunst-denkmalpflege des Landesdenkmalamtes, Dipl.-Ing. Franz Meckes, aus gesundheitlichen Gründenin den Ruhestand. Mit Landeskonservator FranzMeckes verliert die Denkmalpflege einen ihrer pro-filiertesten Vertreter, der über Jahrzehnte hinweg,zunächst als Planungsreferent und Gebietskonser-vator an der Außenstelle Freiburg und zuletzt alsAbteilungsleiter, maßgeblichen Anteil hat an derEntwicklung und dem hohen Stand der Bau- undKunstdenkmalpflege im Lande.Franz Meckes wurde 1941 in Fürstenfeldbruckbei München geboren und wuchs in der Pfalz,vornehmlich in der Domstadt Speyer, auf. Schonfrüh entwickelte er eine besondere Zuneigungzur Architektur und zur Baugeschichte. Nach derSchulzeit nahm er deshalb im Jahre 1964 das Stu-dium der Architektur an der Universität Aachenauf, wo er 1970 das Diplom ablegte. Schon wäh-rend seiner Studienzeit kam eine Tätigkeit amLehrstuhl für Baugeschichte und Denkmalpflegebei den Professoren W. Weyres und A. Mann hin-zu. Darüber hinaus sammelte Franz Meckes schonwährend der Studienzeit in den Semesterferienpraktische Erfahrungen bei baugeschichtlichenUntersuchungen und umfangreichen Restaurie-rungsmaßnahmen an verschiedenartigen Denk-malen des In- und Auslandes. Im Rahmen sei-ner Diplomarbeit untersuchte er in einfallsreicherWeise Fragen des Städtebaus und der Stadt-sanierung. Problembereiche, die ihn auf seine zu-künftige Arbeit als Denkmalpfleger bestens vor-bereiteten.Im Jahr 1970 übernahm Franz Meckes beimdamaligen Staatlichen Amt für Denkmalpflege imRegierungsbezirk Südbaden die dort neu ein-gerichtete Stelle der denkmalpflegerischen Bau-und Planungsberatung – eine Aufgabe, die ihmvor allen Dingen vor dem Hintergrund der anste-henden umfangreichen Sanierungsmaßnahmenmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Städte be-sonders reizte, wie er selbst einmal dargestellthatte. Anschließend übernahm er die Betreuungdes Landkreises Rottweil als Gebietskonservator,um seine Erfahrungen auf dem Gebiet der prak-tischen Baudenkmalpflege einzubringen. SeineAusbildung als Architekt und Bauhistoriker undseine über Jahre gewonnenen Erfahrungen in der praktischen Umsetzung der Denkmalpflegehat ihn zu einem allseits anerkannten und hoch-geschätzten Fachmann werden lassen. Vor allen

Dingen die Hauslandschaft des Schwarzwaldes,insbesondere die konservatorische Betreuung dercharakteristischen Schwarzwaldhöfe, war ihm da-bei ein besonderes Anliegen. Im Jahre 1975 wurdeFranz Meckes Konservator, 1979 Oberkonserva-tor. 1987 wurde Herr Meckes zum Leiter der Ab-teilung I in Stuttgart berufen und am 1. Oktober1987 zum Hauptkonservator der Abteilung I Bauund Kunstdenkmalpflege ernannt. Sein reicher Er-fahrungsschatz, seine fachliche Kompetenz undAufgeschlossenheit und nicht zuletzt seine koope-rativen Fähigkeiten und sein Blick für das Mach-bare waren für seine Berufung als Leiter dieserAbteilung ausschlaggebend. Im Mai 1990 wurdeFranz Meckes Landeskonservator. In den 15 Jah-ren seiner Tätigkeit als Leiter der Bau- und Kunst-denkmalpflege hat sich Herr Meckes nachhaltigum die Erhaltung der reichen Denkmallandschaftverdient gemacht. Viele herausragende Baudenk-male im ganzen Land Baden-Württemberg undderen sinnvolle Nutzung sind seinem ganz per-sönlichen Engagement und seiner Überzeugungs-arbeit zu verdanken. Franz Meckes hat in dieserZeit Grundlagen und Ziele der Bau- und Kunst-denkmalpflege im Lande formuliert. Er war maß-geblich an zahlreichen großen Projekten beteiligt.Stellvertretend seien hier genannt: die Restaurie-rung des Salemer Münsters, des Franziskaner-Klosters in Villingen-Schwenningen, des Schlöss-chens im Eichelhofgarten in Wertheim, des ehe-maligen Klosters Seligental bei Osterburken, desSchlosses in Köngen und des ehemaligen Franzis-kanerinnen-Klosters in Horb am Neckar.Darüber hinaus war es ihm stets ein Anliegen, im Kreise der Architekten und Kunsthistoriker fürdie Belange der Denkmalpflege zu werben unddurch Fortbildungsmaßnahmen die Ziele und Me-thoden einer modernen Denkmalpflege zu ver-mitteln.Nach einer längeren Erkrankung wurde FranzMeckes am 31.Oktober 2002 auf eigenen Antragin den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Das Aus-scheiden dieses hervorragenden Fachmannes ausden Diensten der Landesdenkmalpflege wird, so-wohl von den Kolleginnen und Kollegen inner-halb des Amtes wie auch vom Partnerfeld drau-ßen, überaus bedauert. Seine reiche Erfahrung,sein außerordentliches Engagement, sein Blickfür das Wesentliche und Notwendige, aber vorallem seine kooperativen Fähigkeiten sowohl imUmgang mit Kollegen und Kolleginnen im Amtals auch besonders mit Denkmaleigentümernund anderen Partnern der Denkmalpflege habenihm hohe Anerkennung und landesweite Wert-schätzung eingetragen.Seine Arbeit war von Wertschätzung gegenüberdem Gesprächspartner, Begeisterungsfähigkeitund dem steten Bemühen um konstruktive Zu-

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Personalia

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sammenarbeit geprägt. Das Landesdenkmalamtund alle Kolleginnen und Kollegen danken Lan-deskonservator Franz Meckes für seinen un-ermüdlichen, erfolgreichen Einsatz im Diensteder Denkmalpflege. Wir alle hoffen, dass sich seinGesundheitszustand stabilisiert, damit er sich denAufgaben widmen kann, die er sich für diesenneuen Lebensabschnitt vorgenommen hat.Wir wünschen ihm dazu von Herzen alles Gute!

Dieter Planck

Helmut F. Reichwald im Ruhestand

Amtsrestaurator Helmut F. Reichwald ist am 31.Oktober 2002 in den Ruhestand gegangen.Mit ihm scheidet ein kompetenter und interna-tional renommierter Restaurator aus dem aktivenBerufsleben aus. Reichwald, zuletzt Oberkon-servator und Leiter des Referates Restaurierungbeim Landesdenkmalamt, begann seine Tätigkeitin Baden-Württemberg im Februar 1978. Vomdamaligen Präsidenten des Landesdenkmalam-tes, Prof. Dr. August Gebeßler, vom BayerischenAmt für Denkmalpflege nach Stuttgart geholt,setzte er von Anfang an neue Maßstäbe in derRestaurierung. Reichwald entwickelte Standards,die immer modifiziert, heute führend im interna-tionalen Vergleich sind.Nicht nur bei den Aufsehen erregenden Groß-maßnahmen wie der Altarrestaurierung in derSt. Dionyskirche in Esslingen und der Restaurie-rung der Wandmalereien in der St. Georgskirchevon Reichenau-Oberzell, sondern auch bei denunzähligen kleineren und größeren Maßnahmenim gesamten Land überzeugte Reichwald durchsein großes Engagement, sein Fachwissen unddurch seine von wissenschaftlicher Methodik be-stimmten Konservierungs- und Restaurierungs-konzepte.Bei allem Einsatz in der Restaurierungspraxis ver-gaß er nie seine Verantwortung gegenüber derRestauratorenausbildung im Land und in der Bun-desrepublik. Nicht zuletzt durch sein engagiertesWirken besitzt die Ausbildung in Baden-Würt-temberg und den übrigen Bundesländern denheutigen hohen Stellenwert. Reichwalds intensi-ve Bemühungen, vor allem in seiner Zeit als Vor-sitzender des ehemaligen Deutschen Restaurato-renverbandes (DRV), galten zielstrebig und auchhartnäckig der Ausbildung und dem Berufsschutzder Restauratoren. Sein Hauptanliegen, eine al-leinige Ausbildung zum/r Restaurator/in an Hoch-schulen und Fachhochschulen zu etablieren, istseit Jahren eine Selbstverständlichkeit. Sein nach-haltiges Wirken für den Berufsstand des Res-taurators war immer verbunden mit dem höchs-ten Anspruch an das eigene Tun und an die Qua-

lität des Restaurierens. Er fand nicht allseits Zu-stimmung bei der Umsetzung dieses hohen An-spruchs, aber sein geradliniges Handeln, die Be-harrlichkeit bei der Verfolgung dieser Ziele undseine konsequente Prioritätensetzung sowie sei-ne Disziplin forderten auch seinen Kritikern Re-spekt ab. Er war immer ein starker Verfechter undharter Streiter, wenn es um Qualität in der Res-taurierung und die Ausbildung von jungen Kolle-gen ging. Geradlinig und auch unbequem, wennes sein musste. Und, das haben viele Kolleginnenund Kollegen im Land erfahren dürfen, immer zu-verlässig und hilfsbereit.Die Landesgruppe Baden-Württemberg des Ver-bandes Deutscher Restauratoren (VDR) hofft,dass Helmut F. Reichwald, befreit von Termin-stress und Amtsdisziplin, weiterhin sein großesFachwissen und sein internationales Renomméefür die berufspolitischen Belange einbringen undden Verband der Restauratoren (VDR) in denBemühungen, den längst fälligen, gesetzlich ver-ankerten Berufsschutz in Baden-Württemberg zuetablieren, unterstützen wird. Das Referat Restaurierung im Landesdenkmalamtplant eine Darstellung der unter Leitung von Hel-mut F. Reichwald in den letzten 25 Jahren durch-geführten Maßnahmen. In diesem Rahmen er-scheint eine Würdigung der Person HelmutF. Reichwalds.

Otto Wölbert (VDR Baden-Württemberg)

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Abbildungsnachweis

H. Cannabis, Esslingen: 100;H. Giese, Rottenburg: 62–65;U. Gräf, Stuttgart: 74–81;U. Gresser, Bad Wurzach: 115–119;Grünenwald u. Heyl, Karlsruhe: 109 unten,110,111;D. Hauffe, Stuttgart: 89–91;P. Rau, Staig: 35;Ulmer Münsterbauhütte: 125–130;G. Vleugels, Hardheim: 102 unten, 103, oben;Privat: 135,136;LDA Karlsruhe, B. Hausner: 106, unten, 107–109oben;LDA Stuttgart: 19, 21, 36–38, 83–87, 92–97, 99,101, 102 oben,104, 113, 114;LDA Tübingen: 33, 34, 54–56, 69, 70, 71 oben, 72,73, 106, 109, 131–134, J. Feist: Titelbild, 58 unten –61, 122, 123.

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sammenarbeit geprägt. Das Landesdenkmalamtund alle Kolleginnen und Kollegen danken Lan-deskonservator Franz Meckes für seinen un-ermüdlichen, erfolgreichen Einsatz im Diensteder Denkmalpflege. Wir alle hoffen, dass sich seinGesundheitszustand stabilisiert, damit er sich denAufgaben widmen kann, die er sich für diesenneuen Lebensabschnitt vorgenommen hat.Wir wünschen ihm dazu von Herzen alles Gute!

Dieter Planck

Helmut F. Reichwald im Ruhestand

Amtsrestaurator Helmut F. Reichwald ist am 31.Oktober 2002 in den Ruhestand gegangen.Mit ihm scheidet ein kompetenter und interna-tional renommierter Restaurator aus dem aktivenBerufsleben aus. Reichwald, zuletzt Oberkon-servator und Leiter des Referates Restaurierungbeim Landesdenkmalamt, begann seine Tätigkeitin Baden-Württemberg im Februar 1978. Vomdamaligen Präsidenten des Landesdenkmalam-tes, Prof. Dr. August Gebeßler, vom BayerischenAmt für Denkmalpflege nach Stuttgart geholt,setzte er von Anfang an neue Maßstäbe in derRestaurierung. Reichwald entwickelte Standards,die immer modifiziert, heute führend im interna-tionalen Vergleich sind.Nicht nur bei den Aufsehen erregenden Groß-maßnahmen wie der Altarrestaurierung in derSt. Dionyskirche in Esslingen und der Restaurie-rung der Wandmalereien in der St. Georgskirchevon Reichenau-Oberzell, sondern auch bei denunzähligen kleineren und größeren Maßnahmenim gesamten Land überzeugte Reichwald durchsein großes Engagement, sein Fachwissen unddurch seine von wissenschaftlicher Methodik be-stimmten Konservierungs- und Restaurierungs-konzepte.Bei allem Einsatz in der Restaurierungspraxis ver-gaß er nie seine Verantwortung gegenüber derRestauratorenausbildung im Land und in der Bun-desrepublik. Nicht zuletzt durch sein engagiertesWirken besitzt die Ausbildung in Baden-Würt-temberg und den übrigen Bundesländern denheutigen hohen Stellenwert. Reichwalds intensi-ve Bemühungen, vor allem in seiner Zeit als Vor-sitzender des ehemaligen Deutschen Restaurato-renverbandes (DRV), galten zielstrebig und auchhartnäckig der Ausbildung und dem Berufsschutzder Restauratoren. Sein Hauptanliegen, eine al-leinige Ausbildung zum/r Restaurator/in an Hoch-schulen und Fachhochschulen zu etablieren, istseit Jahren eine Selbstverständlichkeit. Sein nach-haltiges Wirken für den Berufsstand des Res-taurators war immer verbunden mit dem höchs-ten Anspruch an das eigene Tun und an die Qua-

lität des Restaurierens. Er fand nicht allseits Zu-stimmung bei der Umsetzung dieses hohen An-spruchs, aber sein geradliniges Handeln, die Be-harrlichkeit bei der Verfolgung dieser Ziele undseine konsequente Prioritätensetzung sowie sei-ne Disziplin forderten auch seinen Kritikern Re-spekt ab. Er war immer ein starker Verfechter undharter Streiter, wenn es um Qualität in der Res-taurierung und die Ausbildung von jungen Kolle-gen ging. Geradlinig und auch unbequem, wennes sein musste. Und, das haben viele Kolleginnenund Kollegen im Land erfahren dürfen, immer zu-verlässig und hilfsbereit.Die Landesgruppe Baden-Württemberg des Ver-bandes Deutscher Restauratoren (VDR) hofft,dass Helmut F. Reichwald, befreit von Termin-stress und Amtsdisziplin, weiterhin sein großesFachwissen und sein internationales Renomméefür die berufspolitischen Belange einbringen undden Verband der Restauratoren (VDR) in denBemühungen, den längst fälligen, gesetzlich ver-ankerten Berufsschutz in Baden-Württemberg zuetablieren, unterstützen wird. Das Referat Restaurierung im Landesdenkmalamtplant eine Darstellung der unter Leitung von Hel-mut F. Reichwald in den letzten 25 Jahren durch-geführten Maßnahmen. In diesem Rahmen er-scheint eine Würdigung der Person HelmutF. Reichwalds.

Otto Wölbert (VDR Baden-Württemberg)

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Abbildungsnachweis

H. Cannabis, Esslingen: 100;H. Giese, Rottenburg: 62–65;U. Gräf, Stuttgart: 74–81;U. Gresser, Bad Wurzach: 115–119;Grünenwald u. Heyl, Karlsruhe: 109 unten,110,111;D. Hauffe, Stuttgart: 89–91;P. Rau, Staig: 35;Ulmer Münsterbauhütte: 125–130;G. Vleugels, Hardheim: 102 unten, 103, oben;Privat: 135,136;LDA Karlsruhe, B. Hausner: 106, unten, 107–109oben;LDA Stuttgart: 19, 21, 36–38, 83–87, 92–97, 99,101, 102 oben,104, 113, 114;LDA Tübingen: 33, 34, 54–56, 69, 70, 71 oben, 72,73, 106, 109, 131–134, J. Feist: Titelbild, 58 unten –61, 122, 123.