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Die „Denkmaltopographie Baden-Württemberg“, die mit dem Band „Staufen-Münstertal“ im Fe- bruar 2002 eröffnet wurde, ist nicht nur eine neue Publikationsreihe des Landesdenkmalam- tes; sie ist zugleich der Beitrag des Landes Baden- Württemberg zum länderübergreifend angeleg- ten Werk „Denkkmaltopographie Bundesrepu- blik Deutschland“, von dem seit den 1980er Jah- ren u. a. in Niedersachsen, Hessen, Bayern und Rheinland-Pfalz eine stattliche Anzahl von Bän- den erschienen ist. Ein Vergleich dieser Bände mit dem baden-württembergischen Beispiel zeigt neue formale und inhaltliche Charakteristika, die sich ebenso wie das Erscheinen zum jetzigen Zeit- punkt aus der besonderen Art und Geschichte der Inventarisation in Baden-Württemberg erge- ben haben. Das 1971 verabschiedete Denkmalschutzgesetz von Baden-Württemberg schreibt keine Denk- malliste vor. Erst 1977 wurden in der Verwal- tungsvorschrift „Kulturdenkmallisten“ für die Er- fassung der Kulturdenkmale des Landes in einer nachrichtlichen Denkmalliste einheitliche Richt- linien vorgegeben. Von da an nahm die zum Teil schon in den 1960er Jahren begonnene Listen-In- ventarisation der Bau- und Kunstdenkmale und der archäologischen Denkmale ihren flächen- deckend konzipierten Verlauf. Seit Anfang der 1980er Jahre wurde – nicht zu- letzt wegen der fortschreitenden Arbeit der Lis- ten-Inventarisation – der Blick auf die historischen Stadt- und Dorfkerne des Landes gelenkt, für die das Denkmalschutzgesetz gemäß § 19 den Schutz ihres Erscheinungsbildes vorsieht, sofern sie als Gesamtanlagen definiert werden können. Um den reichen Bestand dieser Gesamtanlagen zu erfassen und diese Kernbereiche im Zusam- menhang mit den sie prägenden Kulturdenkma- len einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen, wurde im Landesdenkmalamt der „Ortskernatlas Baden-Württemberg“ entwickelt. Hauptaufgabe war die Darstellung topographischer Zusammen- hänge, wie an den Abschnitten „Geographische Lage und Verkehrseinbindung“, „Städtebauliche Entwicklung“ und „Zusammenhängende histori- sche Bebauung nach Straßen und Plätzen“ zu er- kennen ist. Auch die Kartographie spielte eine große Rolle. Vom Ortskernatlas erschienen zwi- schen 1984 und 1998 insgesamt 21 Folgen, in denen 38 Altstädte und Dorfkerne unterschied- lichster Form und Struktur in konzentrierter Form textlich, bildlich und kartographisch dargestellt wurden. Die späteren Hefte wurden noch um Ka- pitel ergänzt, die archäologische und konservato- rische Aspekte aufzeigen. Mit dem Fortschreiten der landesweiten Inventa- risation der Kulturdenkmale in Listen rückte die Frage einer systematischen topographischen Dar- stellung des umfangreichen Denkmalbestandes in Baden-Württemberg mehr und mehr in den Vordergrund der wissenschaftlichen Arbeit des Landesdenkmalamtes. Da der Ortskernatlas die- sem Anliegen von seiner ursprünglichen Konzep- tion und Zielsetzung her nur eingeschränkt und nicht flächendeckend entsprach, wurden im Lan- desdenkmalamt seit 1996/97 verschiedene topo- graphische Modelle erprobt, die einerseits dem besonderen Charakter der hier bislang geleiste- ten Inventarisationsarbeit und den reichen Erfah- rungen einer inzwischen 15-jährigen Redaktions- arbeit für den Ortskernatlas gleichermaßen Rech- nung tragen konnten, andererseits die Entwick- lung in der Topographie-Schreibung innerhalb des oben erwähnten bundesweiten Projektes nicht außer Acht ließen. Die neue Grundidee war, alle Kulturdenkmale ei- nes Gebietes nach den gleichen Gesichtspunkten darzustellen, also sowohl Bau- und Kunstdenk- male als auch archäologische Denkmale. Das be- deutete eine wesentliche Erweiterung gegenüber den bisher erschienenen Topographiebänden an- derer Bundesländer. Diese lehnen sich an 1976 verabschiedete Richtlinien an, die die Darstellung archäologischer Objekte nicht vorsahen – ein Defizit, das eine Reihe von Topographiebänden durch archäologische Einführungskapitel aus- zugleichen suchte. Die Entscheidung einer ge- meinsamen Darstellung machte die Weiterent- wicklung der Kartographie notwendig, um die ar- chäologischen Denkmale einzeichnen zu können. So kamen in den Karten zu den bisher üblichen Farben Rot für Baudenkmale, Grün für denkmal- werte Gärten, Parks usw., Blau für Denkmale des Wasserbaus und Violett für die Grenzen der Ge- samtanlagen ein erdiges Ocker für die Denkmale der Vor- und Frühgeschichte und ein tiefes Grün für die Denkmale der Mittelalter-Archäologie hinzu. Hauptkarte ist die Topographische Karte 1:25 000. Auf ihr sind alle Kulturdenkmale ein- gezeichnet, desgleichen die Bereiche umrahmt, für die Ausschnittkarten im gewohnten Maßstab 1:5000 angefertigt wurden. Dort wo sich ar- chäologische und Bau- und Kunstdenkmale zu 197 Editorial Wolf Deiseroth / Volker Osteneck

Denkmalpflege 2002-4

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Zeitschrift für Denkmalpflege in Baden-Württemberg

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Page 1: Denkmalpflege 2002-4

Die „Denkmaltopographie Baden-Württemberg“,die mit dem Band „Staufen-Münstertal“ im Fe-bruar 2002 eröffnet wurde, ist nicht nur eineneue Publikationsreihe des Landesdenkmalam-tes; sie ist zugleich der Beitrag des Landes Baden-Württemberg zum länderübergreifend angeleg-ten Werk „Denkkmaltopographie Bundesrepu-blik Deutschland“, von dem seit den 1980er Jah-ren u.a. in Niedersachsen, Hessen, Bayern undRheinland-Pfalz eine stattliche Anzahl von Bän-den erschienen ist. Ein Vergleich dieser Bände mitdem baden-württembergischen Beispiel zeigtneue formale und inhaltliche Charakteristika, diesich ebenso wie das Erscheinen zum jetzigen Zeit-punkt aus der besonderen Art und Geschichteder Inventarisation in Baden-Württemberg erge-ben haben.Das 1971 verabschiedete Denkmalschutzgesetzvon Baden-Württemberg schreibt keine Denk-malliste vor. Erst 1977 wurden in der Verwal-tungsvorschrift „Kulturdenkmallisten“ für die Er-fassung der Kulturdenkmale des Landes in einernachrichtlichen Denkmalliste einheitliche Richt-linien vorgegeben. Von da an nahm die zum Teilschon in den 1960er Jahren begonnene Listen-In-ventarisation der Bau- und Kunstdenkmale undder archäologischen Denkmale ihren flächen-deckend konzipierten Verlauf.Seit Anfang der 1980er Jahre wurde – nicht zu-letzt wegen der fortschreitenden Arbeit der Lis-ten-Inventarisation – der Blick auf die historischenStadt- und Dorfkerne des Landes gelenkt, für die das Denkmalschutzgesetz gemäß § 19 denSchutz ihres Erscheinungsbildes vorsieht, sofernsie als Gesamtanlagen definiert werden können.Um den reichen Bestand dieser Gesamtanlagenzu erfassen und diese Kernbereiche im Zusam-menhang mit den sie prägenden Kulturdenkma-len einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen,wurde im Landesdenkmalamt der „OrtskernatlasBaden-Württemberg“ entwickelt. Hauptaufgabewar die Darstellung topographischer Zusammen-hänge, wie an den Abschnitten „GeographischeLage und Verkehrseinbindung“, „StädtebaulicheEntwicklung“ und „Zusammenhängende histori-sche Bebauung nach Straßen und Plätzen“ zu er-kennen ist. Auch die Kartographie spielte einegroße Rolle. Vom Ortskernatlas erschienen zwi-schen 1984 und 1998 insgesamt 21 Folgen, indenen 38 Altstädte und Dorfkerne unterschied-lichster Form und Struktur in konzentrierter Formtextlich, bildlich und kartographisch dargestellt

wurden. Die späteren Hefte wurden noch um Ka-pitel ergänzt, die archäologische und konservato-rische Aspekte aufzeigen.Mit dem Fortschreiten der landesweiten Inventa-risation der Kulturdenkmale in Listen rückte dieFrage einer systematischen topographischen Dar-stellung des umfangreichen Denkmalbestandesin Baden-Württemberg mehr und mehr in denVordergrund der wissenschaftlichen Arbeit desLandesdenkmalamtes. Da der Ortskernatlas die-sem Anliegen von seiner ursprünglichen Konzep-tion und Zielsetzung her nur eingeschränkt undnicht flächendeckend entsprach, wurden im Lan-desdenkmalamt seit 1996/97 verschiedene topo-graphische Modelle erprobt, die einerseits dembesonderen Charakter der hier bislang geleiste-ten Inventarisationsarbeit und den reichen Erfah-rungen einer inzwischen 15-jährigen Redaktions-arbeit für den Ortskernatlas gleichermaßen Rech-nung tragen konnten, andererseits die Entwick-lung in der Topographie-Schreibung innerhalbdes oben erwähnten bundesweiten Projektesnicht außer Acht ließen. Die neue Grundidee war, alle Kulturdenkmale ei-nes Gebietes nach den gleichen Gesichtspunktendarzustellen, also sowohl Bau- und Kunstdenk-male als auch archäologische Denkmale. Das be-deutete eine wesentliche Erweiterung gegenüberden bisher erschienenen Topographiebänden an-derer Bundesländer. Diese lehnen sich an 1976verabschiedete Richtlinien an, die die Darstellungarchäologischer Objekte nicht vorsahen – einDefizit, das eine Reihe von Topographiebändendurch archäologische Einführungskapitel aus-zugleichen suchte. Die Entscheidung einer ge-meinsamen Darstellung machte die Weiterent-wicklung der Kartographie notwendig, um die ar-chäologischen Denkmale einzeichnen zu können.So kamen in den Karten zu den bisher üblichenFarben Rot für Baudenkmale, Grün für denkmal-werte Gärten, Parks usw., Blau für Denkmale desWasserbaus und Violett für die Grenzen der Ge-samtanlagen ein erdiges Ocker für die Denkmaleder Vor- und Frühgeschichte und ein tiefes Grünfür die Denkmale der Mittelalter-Archäologiehinzu. Hauptkarte ist die Topographische Karte1:25 000. Auf ihr sind alle Kulturdenkmale ein-gezeichnet, desgleichen die Bereiche umrahmt,für die Ausschnittkarten im gewohnten Maßstab1:5000 angefertigt wurden. Dort wo sich ar-chäologische und Bau- und Kunstdenkmale zu

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EditorialWolf Deiseroth / Volker Osteneck

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sehr überschneiden, zeigt ein Schatten an derUmrahmung der angezeigten Ausschnitte an,dass es zwei Karten gibt, eine für die Bau- undKunstdenkmale, eine zweite für die archäologi-schen Denkmale. Neu ist auch die Kennzeich-nung der etwa zu einem denkmalwerten Hofgehörenden Freiflächen mit einem leicht aufge-rasterten Rot, während die bauliche Strukturenanzeigende rosa Farbe zusammen mit einem hel-len Grün für Geländestrukturen auf die Bereicheeiner Gesamtanlage beschränkt ist.Große Arbeit erforderte auch die Gestaltung derDenkmalliste in der Topographie. Jedes Kultur-denkmal sollte in Bild und Text behandelt wer-den, auch die archäologischen Denkmale, wobeidort je nach Art des Denkmals statt eines Fotosauch die Abbildung einer Zeichnung oder einesFundstücks genommen werden konnte. Die Textezielten auf eine knappe Charakterisierung der je-weiligen Objekte als Ergänzung zum Bild. DasAufzählen von Geschossen wurde daher ebensovermieden wie ein Hinweis auf die Definitionendes Denkmalschutzgesetzes.Die Erarbeitung eines Pilotbandes sollte klären,mit welchem Zeit-, Personal- und Materialauf-wand ein für das ganze Land tragfähiges Konzeptzur Darstellung des aktuellen Bestandes an Denk-malen entwickelt werden konnte. Am Gesamt-aufkommen der Kulturdenkmale des Landes ge-messen, stellte das 1998 ausgewählte Gebiet derVerwaltungsgemeinschaft Staufen und Münster-tal im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald zwarnur eine relativ kleine „Bearbeitungseinheit“ dar.Doch bot dieses Gebiet anders als etwa das an Denkmalen deutlich reichere Stadtgebiet vonFreiburg den wesentlichen Vorteil einer komplettvorliegenden aktuellen Erfassung aller in Fragekommenden Objekte. Für die im Landesdenk-malamt (Referat Inventarisation) tätigen wissen-

schaftlichen Bearbeiter des Pilotbandes bliebdennoch sehr viel zu tun, bis alle benötigten Text-und Abbildungsvorlagen einschließlich der Karto-graphie zum Herbst 2001 erstellt, redaktionell zu-sammengefasst und als druckfähiges Konvolutabgeschlossen werden konnten.Das bisher überwiegend positive Echo auf dieVeröffentlichung der ersten Folge der neuen„Denkmaltopographie Baden-Württemberg“zeigt, dass die schwierige Aufgabe weitgehendbewältigt wurde und der vorliegende Band so-mit auch der Weiterarbeit am Gesamtprojekt dieRichtung weisen kann. Zur Entstehung dieses ers-ten Bandes haben viele Kolleginnen und Kollegenbeigetragen. Außer den Autorinnen und Auto-ren, deren Engagement hinter jeder Zeile, hinterjedem Bild zu spüren ist, wäre hier besondersHerr Prof. Dr. Hubert Krins zu nennen, der dasProjekt Topographie in seiner Anfangsphase starkunterstützte.Ein wesentlicher Schritt für die Zukunftssicherungder Denkmaltopographie Baden-Württembergist in der endgültigen Festlegung publikations-fähiger Bearbeitungsgebiete in den vier Regie-rungsbezirken des Landes zu sehen. Ein Grund-gerüst ist vorhanden, das Programm ist für dienächsten Jahre konkretisiert und wird ständigfortgeschrieben. Vorgesehen sind in diesem Zu-sammenhang u.a. auch die Fortsetzung der Ar-beiten im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwaldsowie ein erster Band für Karlsruhe. In Bear-beitung ist darüber hinaus seit 1999 das Stadt-gebiet von Ludwigsburg mit seinen sechs Ortstei-len bzw. dörflichen Eingemeindungen. Dieser aufca. 430 Seiten geschätzte zweite Band der Topo-graphiereihe soll im Laufe des Jahres 2004 er-scheinen, wenn Ludwigsburg das Jubiläum seiner300-jährigen Schlossgründung als Ausgangs-punkt seiner Stadtgründung zu feiern gedenkt.

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Was genau bedeutet „Topographie“? Im Dudenfinden wir unter diesem Begriff drei Erklärun-gen für verschiedene Wissenschaftsbereiche, dieGeographie, die Meteorologie und die Anatomie:Für die Geographie bedeutet Topographie die Be-schreibung und Darstellung geographischer Ört-lichkeiten; für die Meteorologie die kartographi-sche Darstellung der Atmosphäre und für die Ana-tomie die Beschreibung der Körperregionen undder Lage der einzelnen Organe zueinander. Nimmtman alle drei Definitionen zusammen und wendetsie auf die Denkmalkunde an, kommt man demInhalt des Buches näher. Es werden die geogra-phischen Örtlichkeiten beschrieben, das histori-sche Umfeld, in denen der Mensch gewirkt hat;einzeln aufgeführt werden die dort vorhandenenDenkmale und ihre Beziehungen zueinander.Mit diesem Band liegt also keine Ortschronik vor,kein Buch, das seinen Inhalt zum großen Teil aus geschriebenen Quellen bezieht. Dieses Buchzeigt Geschichte, Entwicklungen und Gegenwartanhand von Kulturdenkmalen, meist baulichen

Zeugnissen menschlichen Tuns auf. Das Wortbauliche Zeugnisse ist dabei weit gefasst, es be-inhaltet neben Gebäuden u.a. auch Bergbau-spuren, archäologische Bodenzeugnisse, Wege-kreuze oder Grenzsteine. Alle erfassten Kultur-denkmale in den beiden Gemeinden Staufen undMünstertal werden in Wort und Bild dargestelltund für den Benutzer anschaulich gemacht. „AlleKulturdenkmale“ bedeutet nicht alle so genann-ten „alten Gebäude“ oder „alten Dinge“, son-dern, wie das Gesetz sagt, Sachen oder Teile vonSachen, an deren Erhaltung aus wissenschaftli-chen, künstlerischen oder heimatgeschichtlichenGründen ein öffentliches Interesse besteht. Diefarbige Kartenbeilage ermöglicht einen raschenÜberblick über die Denkmallandschaft und stelltjedes Einzeldenkmal in seinen räumlichen Zusam-menhang.An einigen Beispielen soll der Inhalt der Denk-maltopographie erläutert werden:Lange vor der Stadtgründung Staufens existierteein gleichnamiges Dorf am Fuße des Schloss-

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1 Blick durch die Hauptstraße zur Burg-ruine Staufen.

Denkmaltopograpie Baden-Württemberg... ein wesentlicher Beitrag zum Heimat-gefühl?

Die „Denkmaltopographie Baden-Württemberg“ ist eine neue Publikations-reihe des Landesdenkmalamtes (vgl. hierzu das Editorial in diesem Heft). Dererste Band dieser Reihe über die Stadt Staufen und die Gemeinde Münster-tal konnte am 19. Februar 2002 im historischen Stubenhaus in Staufen vor-gestellt werden. Dabei wurde ein einführender Vortrag gehalten, der hierleicht geändert abgedruckt wird.

Gitta Reinhardt-Fehrenbach

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bergs, im Umgebungsbereich der Kirche. Resteeiner unstrukturiert scheinenden Bebauung, diein ihrer Lage und Ausrichtung auf das Dorfzurückgehen, sind in der Kirchstraße, der Spital-straße und zu Beginn der St. Johannesgasse zufinden. Am Gebäude St. Johannesgasse 2 ist diesgut zu erkennen. Es wurde im Jahre 1477/78 er-baut, also lange vor der weitgehend geschlosse-nen südöstlichen Randbebauung des Kirchplat-zes. Es steht heute gleichsam isoliert in der spä-teren, sich an Regelmäßigkeiten orientierendenBebauung.Im Kornhaus finden wir die Spuren der früherenStadtgestalt im Keller. Bis zur Mitte des 17. Jahr-hunderts war das Gebäude, das sich anstelle desKornhauses befand, wesentlich schmaler, esfluchtete mit dem Gebäude Freihofgasse 1. DerZugang zum Freihof, einem schon im Mittelalterbedeutenden Bauwerk war also wesentlich wei-ter. Erst unter den Schauenburgern, die die Herr-schaft Staufen ab 1628 innehatten, wurde dasKornhaus in seiner jetzigen Gestalt errichtet, dieGasse also verengt.Die Lilienhofschule, 1953/54 nach den damaligenpädagogischen Vorstellungen mit Bezug zur um-liegenden Grünfläche gebaut, befindet sich, wieman anhand alter Pläne erkennt, im ehemaligenSchlossgarten. Ihren Namen erhielt die Schulevom 1780 erbauten Lilienhof, einem landwirt-schaftlichen Anwesen, das im Zweiten Weltkriegzerstört wurde. Beim Aushub für den Bau derSchule traten römische Gefäßscherben aus ves-pasianischer Zeit (1. Jh. nach Chr.) zutage. Zeug-nisse dafür, dass dieser Platz zu den früh besie-delten Bereichen Staufens zählt. Lilienhofschule,

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2 Staufen. Das GebäudeSt. Johannesgasse 2 stehtheute gleichsam isoliert inder späteren, sich an Re-gelmäßigkeiten orientie-renden Bebauung desKirchplatzes.

3 Im Keller des Korn-hauses (Hauptstraße 57)ist zu erkennen, dass derVorgängerbau wesentlichschmaler war und denungeminderten Blick aufden Freihof erlaubte.

4 Ein geschlossenesStraßenbild zeigt die Zeile an der Hauptstraßebeidseits der Nr. 58.

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Schlossgarten und römische Siedlungsreste, aneinem Platz Denkmale aus verschiedensten Zeit-stufen.Archäologische Denkmale sind oftmals mit dembloßen Auge nicht zu erkennen. Dies trifft auchauf den ehemaligen römischen Gutshof in Gru-nern-Sahlenbach im Gewann „In der Lehnen“ zu.Das Anwesen, das sich heute in einem landwirt-schaftlich genutzten Gebiet befindet, wurde erstdurch geoelektrische Messungen nachgewiesen.Es setzt sich zusammen aus einem Wohnhaus mitmehreren Räumen, einem Bad, einem kleinenTempel sowie Nebengebäuden. Der Gutshof da-tiert in die 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr.Was für die eben genannten archäologischenDenkmale gilt, trifft auch auf die denkmalwertenÜberreste des für Staufen und das Münstertal sobedeutenden Bergbaus zu. In der „TopographieStaufen – Münstertal“ findet sich im Textteil dazueine Einführung. Die Denkmaltopographie liefertjedoch kein Gesamtverzeichnis der Zeugnisse desBergbaus auf beiden Gemarkungen, sie zeigt undbeschreibt Geländespuren, die Denkmalcharak-ter haben.In Rammersbach, im Gewann „Schlossberg“,konnte ein sehr seltenes jungsteinzeitliches Berg-werk lokalisiert werden – d.h. aus der Zeit von derMitte des 6. bis 3. Jahrtausends v. Chr. Mit Stein-schlägeln wurde dort Hämatit, Roteisenerz, ab-gebaut. Es diente zur Gewinnung des in allenprähistorischen Epochen begehrten roten Farb-stoffes. In Grunern im Gewann „Galgenhalden“ stößtman auf Abbauspuren mittelalterlichen Silber-bergbaus. Die Gruben sind bereits 1028 urkund-lich erwähnt und zählen zu den ältesten histo-risch überlieferten mittelalterlichen Bergwerken.

Im Gelände gut zu erkennen sind die oberhalbdes Steinbruchs gelegenen großen Verhaue.Überregional bekannt ist das SchaubergwerkTeufelsgrund, das zu einem ausgedehnten, be-reits im Mittelalter bedeutenden Bergbaureviergehört. Angegliedert ist heute ein bergbaukund-licher Wanderweg, der die bergbaulichen Struk-turen erläutert. Selbst in Staufen, in der Albert-Hugard-Straße ist im Gasthof Felsenkeller bei ge-nauem Hinsehen im hinteren Bereich des dorti-gen Vorratskellers der Bergbau noch heute prä-sent. Lagerstätten von Brauneisenerz, vielleichtauch Schwerspat, wurden dort im Spätmittelalterabgebaut. Der Stollen ist mit Schlägeln und Eisenin den Fels gehauen. Nicht in Geländespurenoder Stollen, sondern als Bauwerk bezeugt dasVerwaltungs- und Werksgebäude des ehema-ligen Poch- und Walzwerkes in Mulden-Unter-münstertal Weiterverarbeitung des im Bergbaugewonnenen Materials.Die sagenumwobene Bergbaustadt Münster ist inden letzten Jahren durch archäologische Ausgra-bungen einer größeren Öffentlichkeit bekanntgeworden. In dieser einst blühenden Stadt wur-den eigene Münzen geprägt, die als Münzbild ei-nen Elefanten zeigen. Bauten, die auf Münsterweisen könnten, kann der Durchreisende in derstädtisch anmutenden Häuserzeile Münster 74bis 88 erkennen. Ohne sie unmittelbar bis ins Mit-telalter zurückverfolgen zu können, legen ihreAufreihung entlang der Straße und ihre Bauge-stalt den Schluss nahe, dass es sich hier um Restestädtischer Siedlungsstruktur handelt.

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5 Römischer Gutshof inStaufen-Grunern, Um-zeichnung einer geoelek-trischen Aufnahme. Gutzu erkennen das Haupt-gebäude (oben rechts)und das Bad (oben links).

6 Abbauspuren mittel-alterlichen Silberbergbausin Staufen-Grunern. ImGelände gut zu erkennensind die großen Verhaue.

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7 u. 8 Der Stadtkern von Staufen im Kartenbild der Denk-maltopographie (im Original M. 1:5000). Links die Bau-und Kunstdenkmale in den Farben rot, grün und blau,wobei die ortsbildprägenden Bereiche innerhalb der Ge-

samtanlage (violett umrandet) zusätzlich rosa unterlegtsind. Rechts die Denkmale der Vor- und Frühgeschichte inBraun und die Denkmale der Mittelalterarchäologie in tie-fem Grün.

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10 Die bislang ältestebekannte Konstruktioneines Münstertäler Hau-ses aus dem Jahre 1680findet sich im GebäudeStampf 12.

11 Der Sattelgrundhof,ein Münstertäler Hausaus dem Jahre 1750.

Nach dem Niedergang der Bergbaustadt wurdedas Gelände mit einzelnen Höfen bebaut. Einerdavon ist das Gebäude Felsengasse 3, ein Ein-dachhof mit stehender, verblatteter Dachkon-struktion, der 1718 errichtet wurde.Anhand des Sattelgrundhofes im Obermünstertallassen sich die charakteristischen Merkmale desMünstertäler Hauses – des in dieser Region vor-herrschenden Typus des Schwarzwaldhofes – er-läutern. Das Münstertäler Haus steht mit seinemFirst in der Regel parallel zur Höhenlinie. EinGroßteil der Höfe weist noch die ursprünglicheHolzkonstruktion, eine Ständer-Bohlenbauweiseauf. Der Grundriss des Wohnteils ist zweiraum-breit, die quadratische Grundfläche in vier na-hezu gleich große Abschnitte geteilt. Eine Beson-derheit ist der Brunnenschopf, ein langer Gang,der die bergwärts gelegene Traufseite vom Hangabsetzt und das Gebäude gegen Hangfeuchtig-keit schützt. Der Zugang zum Wohnteil erfolgtebei den Münstertäler Häusern ursprünglich vomBrunnenschopf, später von der Giebelseite aus indie Küche, in der sich auch eine kurze Stiege zumObergeschoss befand. Datierbar sind die Müns-tertäler Häuser in erster Linie an ihrer Dachkon-struktion. Die ältesten Gebäude zeigen einen sogenannten stehenden Stuhl mit langen Steigbän-dern, fast immer rauchgeschwärzt; die jüngerenKonstruktionen sind liegend abgezimmert. Diebislang älteste bekannte Konstruktion einesMünstertäler Hauses aus dem Jahre 1680 findet

sich im Gebäude Stampf 12. (Benutzerfreundli-cher Bestandteil der Topographie ist ein Glossar,in dem Fachausdrücke wie liegender, stehenderStuhl erläutert werden).Beherrscht wird das Münstertal durch die beein-druckende Klosteranlage von St. Trudpert. Demheutigen Besucher ist oft nicht bewusst, dass einGroßteil der baulichen Anlagen aus dem 20. Jahr-hundert stammt. Aus dem Jahre 1624 ist eineZeichnung überliefert, die die mittelalterliche Klos-teranlage vor den umfangreichen Um- und Neu-bauten der Barockzeit zeigt. Der romanische Chorund die romanischen Klostergebäude waren inder Spätgotik erneuert worden. Im Dreißigjähri-gen Krieg waren Kirche und Klostergebäude starkbeschädigt worden, es erfolgten Reparaturen undder Neubau der St. Trudpertkapelle Ende des 17.Jahrhunderts. Das Ergebnis des durchgreifendenUm- bzw. Neubaus der Anlage ist auf einer iso-metrischen Rekonstruktion zu sehen, die den Be-stand um 1780 zeigt, ein Zustand etwa 25 Jahrevor der Säkularisation. Danach gelangten Teile desKlosters an Konrad von Andlaw, der die Gebäudeals herrschaftlichen Sommersitz nutzte. Teile desOstflügels der Klausur, der östliche Teil des Süd-flügels sowie sein Westpavillon wurden abgeris-sen, ebenso der Trakt, der nördlich an die Ein-gangsfront der Kirche anschloss. Die Kirche wurdePfarrkirche. Unter den Schwestern der Kongrega-tion vom hl. Joseph, die die Baulichkeiten – ohneKirche – 1918 erwarben, erfolgten erneut Ausbauund Wiederherstellung der Klosteranlagen. DieEntwürfe lieferten Baurat Lorenz, der auch dieEntwürfe für die Universitätskliniken in Freiburgfertigte, später Oberbaurat Graf. Das heutigePfarrhaus entstand 1925 anstelle des Nordflügels,als einer der letzten Bauteile wurde die heutigeKlosterkirche – der Kuppelbau – in den 50er-Jah-ren des 20. Jahrhunderts fertig gestellt.In dieser Denkmaltopographie werden die Denk-male nicht nur im Einzelnen beschrieben, es fin-den sich in den vorangestellten, einführenden

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9 So genannter „Elefanten-Brakteat“,eine in Münster ge-prägte Silbermünze.

12 Münstertal, Felsengasse3, ein Eindachhof mit stehen-der, verblatteter Dachkon-struktion, errichtet 1718.

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Texten und den kleinen StraßencharakteristikenZusammenhänge zwischen Gebäuden, topogra-phischen Orten, den Gemeinden. Nimmt manzum Beispiel die uns bisher bekannten siebenBurgruinen im Untersuchungsraum Staufen–Münstertal, lassen sich Erkenntnisse gewinnen,die über das individuelle Betrachten der einzelnenAnlage hinausgeht. Die älteste Burg lag unmittel-bar beim Kloster und konnte durch ein Luftbildentdeckt werden. Die Horburg – auf GemarkungStaufen, etwa 1,5 km östlich des Stadtkerns ge-legen – und die Rödelsburg – an der südlichenTalflanke des Münstertales auf einem Bergkegel –scheinen mit der frühen herrschaftlichen Er-

schließung des Münstertals errichtet worden zusein. Sie dienten vor allem der Sicherung der un-mittelbar benachbart liegenden Silberbergwerke.Bei Festigung der Herrschaft derer von Staufenund der Herausbildung der Städte Staufen undMünster entstanden zwei neue Burgen an her-ausragenden Stellen, dem westlichen und östli-chen Eingang zum Tal: die Burg auf dem Staufe-ner Schlossberg und die Burg Scharfenstein. DieBurgen markieren den sich erweiternden Herr-schaftsbereich. In der Niederung übernahmen zuunterschiedlichen Zeiten das Untere Schloss inStaufen und die Wasserburg bei der Stadt Müns-ter wichtige strategische Aufgaben.

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13 Die KlosteranlageSt. Trudpert. Foto vomAnfang des 20. Jahrhun-derts, noch ohne denKuppelbau.

14 Die heutige Kloster-anlage St. Trudpert ausder Vogelschau.

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Weitere Beziehungen zwischen der BergstadtMünster und der Stadt Staufen lassen sich an derhistorischen Stadtentwicklung Staufens, an Ge-bäuden oder Gebäudeteilen ablesen. So ist im14./15. Jahrhundert von einem deutlichen An-wachsen der Stadtbevölkerung von Staufen aus-zugehen. Die Stadt wuchs über die westlicheGrabenlinie hinaus und begann, das Gebiet beid-seits des bestehenden Gewerbekanals einzube-ziehen. Es war die Zeit, in der die NachbarstadtMünster von kriegerischen Auseinandersetzun-gen sowie von starken Zerstörungen durch Hoch-wasser betroffen war. Vorgänge, die die dortigeOberschicht möglicherweise bewogen haben,das unsichere Tal zu verlassen und sich in Staufenanzusiedeln. Der Bau des repräsentativen Stu-benhauses, 1429, könnte damit in Zusammen-hang stehen.Ein weiteres Beispiel aus der Neuzeit, in dem sichzeigt, wie Staufen und Münstertal miteinander inBeziehung stehen, ist die Trinkwasserversorgung.

Selbst einigen Bürgern von Staufen ist unbe-kannt, dass seit ca. 100 Jahren ein Teil des Stau-fener Trinkwassers aus dem Münstertal stammt.Bis in den Anfang des 15. Jahrhunderts lässt sichdie Trinkwasserversorgung der Stadt Staufendurch öffentliche Laufbrunnen nachweisen. Die-se Brunnen wurden durch Quellen gespeist, dieim Gewann Weihergärten gefasst waren. TrotzErneuerung der Leitungen im 19. Jahrhundertstellte sich um 1890 wegen mangelnder Wasser-menge, des mangelnden Drucks für höher gele-gene Wohnbereiche und z.T. auch wegen derWasserqualität die Frage, wie die Trinkwasserver-sorgung von Staufen auf Dauer sichergestelltwerden kann. Der Blick der Gemeinde richtetesich ins Münstertal, wo nach längeren Untersu-chungen eine starke Quelle, die so genannteElendquelle, 1899 von der Stadt Staufen erwor-ben wurde. Sie liegt in Obermünstertal im Ge-wann „Hinteres Elend“ – Elend leitet sich ab vomalthochdeutschen „alilanti“, was Fremde, Aus-land bedeutet, eine Quelle also sehr „abseits“ ge-legen. Die Quelle wurde gefasst, das Wasser nachStaufen geleitet, wo es im Wasserhochbehälter,der im Gewann Süßtrunk 1901 erstellt wurde, fürdie Trinkwasserversorgung der Stadt nun zur Ver-fügung stand.Gebäude, Konstruktionen, Geländespuren, Ur-kunden, Pläne, alte Abbildungen und weiteredingliche und schriftliche Quellen, aber auchDenkmaleigentümer und sachkundige Menschenlieferten die Informationen, die in diesem Buchzusammengefasst sind. Mit der vorliegendenDenkmaltopographie beginnt das Landesdenk-malamt Baden-Württemberg eine Reihe, in derdie Forschungsarbeiten des Amts anschaulich ge-bündelt einem breiten, interessierten Publikumvorgestellt werden.

Gitta Reinhardt-FehrenbachLDA · Inventarisation und DokumentationSternwaldstraße 1479102 Freiburg/Breisgau

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Das Grabmal des Melchior von Hatzfeld in der Bergkirche zu Laudenbach(Stadt Weikersheim/Main-Tauber-Kreis)Beiträge zu seiner kultur- und kunst-historischen Bedeutung und seiner Schadens- und RestaurierungsgeschichteNach neunjähriger Auslagerung steht seit März 2002 das jüngst restaurierte Grabmalfür den 1658 verstorbenen kaiserlichen Feldmarschall Graf Melchior von Hatzfeld wie-der an seinem angestammten Platz in der katholischen Bergkirche. Die Rettung dieseswertvollen Kulturdenkmals gelang dank einer beispielhaften Allianz, bestehend ausder katholischen Kirchengemeinde Laudenbach mit Pfarrer Gebhard Ritter und zahl-reichen Förderern, zu denen außer dem Landesdenkmalamt Baden-Württemberg dieDenkmalstiftung Baden-Württemberg, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die StadtWeikersheim, der Main-Tauber-Kreis, das Bistum Rottenburg-Stuttgart und eine großeZahl von Kunst- und Heimatfreunden gehörten.Mit der kultur- und kunsthistorischen Bedeutung des Grabmals vor dem Hintergrunddes Dreißigjährigen Krieges und im Vergleich mit neuzeitlichen Grabmälern des Tumba-Typs beschäftigt sich der erste Beitrag von Judith Breuer, Referentin des Landesdenk-malamtes für den Main-Tauber-Kreis. Auch stellt sie die Verluste durch den Abbau vonTeilen des Grabmals zu Untersuchungszwecken dar, aber auch das glückliche Wieder-auffinden von Bildteilen, die 36 Jahre am Grabmal fehlten und dieses heute wiedervervollständigen.Der Laudenbacher Sarkophag hat zahlreiche Restaurierungen mit Rückschlägen hintersich. Diese Geschichte stellt Otto Wölbert, Restaurator am Landesdenkmalamt, imzweiten Beitrag dar. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Schäden durch Pul-verisierungen, insbesondere an den Reliefplatten, festgestellt. Allein dreimal wurde das Alabastergrabmal mit verschiedenen Mitteln getränkt, zuletzt 1984 mit Acrylharz.Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit in der Grabkapelle aber blieben alle Tränkungsver-suche erfolglos. Nach der letzten Tränkung traten neue schwere Schäden, nun auchRisse und Deformationen, auf.Der neuerlichen Restaurierung gingen – beauftragt durch das Landesdenkmalamt –gründliche naturwissenschaftliche Untersuchungen voraus. Mit diesen beschäftigt sich im dritten Beitrag die mit den Untersuchungen betraute NaturwissenschaftlerinGabriele Grassegger, Forschungs- und Materialprüfungsanstalt für das Bauwesen derUniversität Stuttgart. Aufgrund ihrer Forschungen und Versuche wurde schließlich zurRestaurierung ein spezielles, auf das bereits eingesetzte Volltränkungsmaterial abge-stimmtes, also ähnliches, jedoch vergilbungsfreies Acrylharz im Alabasterfarbton ent-wickelt. Parallel dazu wurden Vorgaben zur klimatischen Verbesserung der Gruft-kapelle erarbeitet.Restaurator Georg Schmid, der mit seinem Team die diffizile Restaurierung des Grab-mals durchführte und den Wiederaufbau bewältigte, erläutert in seinem Beitrag auchanhand von Grafiken die einzelnen Schritte von der Sicherung bis zur Restaurierung,bis hin zum Wiederentstehen des Grabmals aus mehr als 200 Fragmenten.Die technischen Einrichtungen zur Klimatisierung der Grabkapelle und die Entwicklungdes Stahlkerns als inneres Tragwerk des Grabmals stellt im letzten Beitrag der dafürverantwortliche Architekt Robert Vix dar. Eine wichtige Aufgabe bei der Erhaltung desGrabdenkmals hat zukünftig die Klimaanlage in der Grabkapelle zu erfüllen. Eine solche Anlage ist – wie die gescheiterten Restaurierungen bewiesen haben – für die Erhaltung des Alabastergrabmals unverzichtbar. J. Br.

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1 Porträt des MelchiorGraf von Hatzfeld, Kup-ferstich nach 1641.

Die kultur- und kunsthistorische Bedeutungdes Hatzfeld-Grabmals in LaudenbachJudith Breuer

Hatzfeld, ein Heerführer im Dreißigjährigen Krieg

Bevor Hatzfelds Herz seine letzte Ruhestätte imwürttembergisch-fränkischen Laudenbach fand,hatte Melchior Graf Hatzfeld ein unstetes Lebenzu meistern, ein Leben, das von den Wirren undSchrecknissen des 30-jährigen Krieges bestimmtwar.Hatzfeld wurde 1593 auf Schloss Crottorf imWesterwald, im Nordosten des heutigen Bundes-landes Rheinland-Pfalz, geboren, als Sohn desReichsritters Sebastian von Hatzfeld. Zuerst evan-gelisch, dann nach der Konversion seines Vatersin Jesuitenseminaren katholisch erzogen undschon zum Diakon geweiht, entschied sich Mel-chior von Hatzfeld bald nach Ausbruch des Krie-ges zwischen evangelischer Union und katholi-scher Liga für den Heeresdienst und diente mehrals zwölf Jahre als Offizier in Regimentern derevangelischen Herzöge von Sachsen-Lauenburg,die im Dienst des katholischen Kaiserhauses stan-den. Die Kriegszüge führten ihn nach Niedersach-sen, Ungarn, Schlesien, Jütland und Nord-italien.Nachdem Herzog Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg aus gesundheitlichen Gründen ausdem Kriegsdienst ausgeschieden war, erhieltHatzfeld – durch die Fürsprache des Generalissi-mus Albrecht von Wallenstein – das ehemals Lau-

enburgische Kommando. Als Oberst stellte Hatz-feld seine schließlich vier Regimenter dem Kai-ser nach dem Vorbild Wallensteins gegen ent-sprechendes Entgelt zur Verfügung. Hatzfeldgehörte indes nicht zu den Vertrauten Wallen-steins. Er blieb dem Kaiser treu ergeben. Die Kri-se zwischen Wallenstein und dem Wiener Hof,die 1634 in der Ermordung Wallensteins ihrenSchlusspunkt fand, begünstigte vielmehr Hatz-felds Karriere.1635 erhob der Kaiser die Gebrüder Hatzfeld alsDank für Treue und Einsatz in den Stand vonReichsgrafen. Melchior von Hatzfeld wurde zu-dem im gleichen Jahr noch zum Feldmarschall ernannt.1631 war Melchiors Vater gestorben an den Fol-gen der Aufregung, die ihm das Eindringen feind-licher Soldaten in Schloss Crottorf bereitet hatte.Zuvor noch hatte er aus Fürsorge im neutralengut befestigten Köln ein Anwesen erworben, be-stimmt als Zufluchtsstätte für seine Kinder in denkriegerischen Zeiten.Einer der Brüder Melchiors, Franz, war seit 1631Fürstbischof von Würzburg und ab 1633 auchvon Bamberg. Rechtzeitig vor der Einnahme vonWürzburg durch die Schweden nach Köln geflo-hen, konnte Franz von Hatzfeld nach dem Siegder Kaiserlichen 1635 wieder in seine ResidenzWürzburg zurückkehren. Bei der anschließendenNeuordnung der Würzburgischen Besitzungen ver-gaß er seine Brüder nicht. Er bedachte Melchiorund Hermann, der als Oberst auch im Kriegs-dienst war, mit der Herrschaft Haltenbergstetten,die nach dem Tod des letzten erbenlosen Ro-senbergers an Würzburg zurückgefallen war. Sowurden Melchior und Hermann dank ihres mäch-tigen Bruders Herren von Gebieten im Taubertal.1636 wurde Hatzfeld zum Oberbefehlshaber derkaiserlichen Truppen in Westfalen, dann in Sach-sen ernannt. Die Kriegszüge führten ihn ab 1641,als die Franzosen in den Krieg eintraten, auch insRheinland und nach Süddeutschland.Als Lohn für seinen neuerlichen feldherrlichenEinsatz erhielt Hatzfeld 1639 die ehemals kur-mainzische Grafschaft Gleichen in Thüringen. Ei-ne bedeutende Gebietserwerbung glückte Hatz-feld 1641, und zwar die Erwerbung der Herr-schaft Trachenberg in Schlesien, die nach der Hin-richtung des mit Wallenstein verbundenen HansUlrich Graf von Schaffgotsch vom Kaiser konfis-

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ziert worden war. Bis 1645 konnte Hatzfeld dieAnspruchsanteile anderer Anwärter ablösen undTrachenberg sogar als Erblehen beanspruchen.1641 erwarb Hatzfeld schließlich die Vogtei Lau-denbach und wurde damit Eigner der der Gottes-mutter geweihten Bergkirche.Hatzfeld war – so schreiben seine Biografen – einsolider Praktiker der Kriegsführung. Eine Beute-gier, wie manch anderer Heerführer sie entwi-ckelte, soll ihm fremd gewesen sein. Hatzfeldwird weiter beschrieben als ruhig, sachlich, diplo-matisch, integer und zuverlässig. In dieses Cha-rakterbild passt seine unerschütterliche Kaiser-treue. Auch wird seine religiöse Toleranz hervor-gehoben, die sicherlich auf der Erfahrung beiderKonfessionen in seiner Kindheit beruhte.Ein vorläufiges Ende fand Hatzfelds militärischeKarriere 1646 in der Schlacht bei Jankau in Böh-men, bei der die Kaiserlichen gegen die auf Wienmarschierenden Schweden unterlagen. Hatzfeldgeriet in schwedische Gefangenschaft. Noch imselben Jahr freigelassen, nahm er 1647 seinenAbschied aus dem Kriegsdienst.Mit Ende des Dreißigjährigen Krieges war Deutsch-land ausgeblutet, das Land verödet. Infolge vonÜbergriffen der Soldateska, von Missernten undPestepidemien war die städtische Bevölkerung inDeutschland um ein Drittel, die Landbevölkerungsogar um 40% dezimiert worden.Mit Beginn der Friedenszeit organisierte Hatzfeldsjüngerer Bruder Hermann (1603–1673), der diesüddeutschen Güter seines Bruders verwaltete,die Restaurierung der Marienwallfahrtskirche aufdem Berg über Laudenbach und die Renovierungdes Schlosses Haltenbergstetten, während Mel-chior sich der Herrschaft Trachenberg widmete.

Den Frieden und seinen Reichtum konnte Mel-chior von Hatzfeld gute zehn Jahre genießen.1657 aber, Hatzfeld war mittlerweile 64 Jahre alt,berief ihn der Kaiser nochmals als Heerführer. Ersollte den König von Polen gegen die bis nach

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3 Grundriss der Berg-kirche von 1863 mit der1748 nördlich angebau-ten Grabkapelle. Planar-chiv LandesdenkmalamtBaden-Württemberg,Stuttgart.

2 Laudenbach, katho-lische Bergkirche zurSchmerzhaften Mutter,April 2002.

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Krakau vorgestoßenen Schweden unterstützen.Hatzfeld war erfolgreich; mit seinen 16 000 Sol-daten befreite er die Stadt Krakau. Plötzlich je-doch erkrankte er schwer. Zurückgezogen aufSchloss Powitzko in seiner schlesischen Herr-schaft Trachenberg starb Hatzfeld am 9. Januar1658. Sein Bruder und Erbe Hermann Graf vonHatzfeld beauftragte, wie Bretschneider (1909/10) schreibt, den Wünschen des Verstorbenenentsprechend, zwei Sarkophage, einen für dasHerz in der Bergkirche in Laudenbach und einenfür dessen Leichnam in der Pfarrkirche St. Jakobzu Prausnitz (heute Prusnice, Polen) in der Herr-schaft Trachenberg.Die getrennt gewählte Bestattung des Herzenswar damals nicht ungewöhnlich. Beispiele hierfürsind die Herzbestattungen der Wittelsbacher inder Hl. bzw. Liebfrauenkapelle in Altötting unddie der kaiserlichen Familie in der HofpfarrkircheSt. Augustin in Wien.In einem älteren Testament, das Melchior vonHatzfeld im Juli 1634 aufsetzte, nachdem er inder Schlacht bei Regensburg schwer durch einenSchuss verletzt worden war, verfügte er noch einwesentlich bescheideneres Begräbnis. Er wolltedamals in einem Bagagewagen prunklos nachEger gebracht und dort in der Barfüßerkirche un-ter einem „ehrlichen Grabstein“ bestattet wer-den. Er verfügte zudem die Stiftung von je einerkostbaren Lampe für drei Marienheiligtümer, u.a.für die Casa Santa Maria-Loreto in Prag. Damitoffenbarte sich schon damals Hatzfelds Marien-verehrung, eine Verehrung, die sich bei vielen Ka-tholiken während der Gegenreformation intensi-viert hatte, vor allem nach dem Sieg am WeißenBerg bei Prag (1620) gegen die aufständischenBöhmen reformierter Konfession, den man derFürsprache Mariens zuschrieb.Der Vorzug einer prunkvollen Lösung und die Be-auftragung eines Steinbildhauers mit den Grab-malen entsprach nicht nur Hatzfelds inzwischenhöherem Stand, sondern auch der HatzfeldschenFamilientradition. Schon Sebastian von Hatzfeldließ 1605, nach dem Tod seiner Frau Lucia gebo-rene von Sickingen, damals noch der evangeli-schen Religion zugehörig, in der damals ebenfallsnoch evangelischen Pfarrkirche von Friesenha-gen, zu deren Pfarrei Schloss Crottorf gehört, einaufwändiges Grabmal mit seinem und ihremganzfigurigen Bildnis errichten.Der Sarkophag für Hatzfelds Herz wurde im Juli1659 in der Bergkirche in Laudenbach aufge-stellt, und zwar im Schiff. Der zweite Sarkophagwurde 1663 fertig gestellt. Er fand 1667 seinenPlatz in einer eigens dafür an die Prausnitzer Ja-kobskirche angebauten Grabkapelle. Das Lau-denbacher Grabmal erhielt seinen heutigen Stand-ort 1748, nachdem Melchiors Nachfahren Franz

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4 Wandgrabmal von Sebastian von Hatzfeld und seiner Frau Lucia geborene von Sickingen, Eltern des Melchior von Hatzfeld, in der Pfarrkirche in Friesen-hagen (Kreis Altenkirchen), Bildhauerarbeit des Gerhard Wolff, um 1605. Hier sind das Mittelrelief, Kapitelle und Basen aus Alabaster gearbeitet.

5 Grabmal für das Herz des Reichsgrafen und kaiserlichen Feldmarschalls Melchior von Hatzfeld von 1659 in der katholischen Bergkirche in Laudenbach,älteste Abbildung,1910.

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Philipp und Karl Friedrich die als Grablege be-stimmte Kapelle an die Bergkirche hatten an-bauen lassen.

Beschreibung der Grabmäler für Hatzfeld

Beide Grabmäler, das in Laudenbach und das inPrausnitz, sind aus Alabaster gearbeitet, das inLaudenbach komplett, das in Prausnitz aus Ala-baster und – wie Restaurator Schmid nach Au-genschein annimmt – aus Marmor. Bei beidenGrabmälern handelt es sich um Freigräber, undzwar Tumben, also Sarkophage mit Liegefiguren,einem Grabmalstypus, der Landesherren, Stifternund Patronatsherren vorbehalten blieb.Das Laudenbacher Grabmal hat die Gestalt einesauf einem zweistufigen Sockel aufsitzenden Sar-kophags von ca. 2,10 m x 0,85 m Grundfläche,auf dessen überstehender Deckplatte die alsrundfigurige Skulptur gearbeitete Gestalt desGrafen Hatzfeld in Lebensgröße liegt. Hatzfeld istdurch Rüstung und Binde sowie den Komman-dostab in seiner Rechten als Feldherr ausgezeich-net. Seine Füße stecken in Reiterstiefeln. SeinKopf wird von seiner Linken gestützt und lehnt anFeldherrnhelm und -handschuh. Sein jugendli-ches Gesicht mit wie im Schlaf geschlossenen Au-gen und modisch gezwirbeltem Bart rahmt lan-ges gelocktes Haar.Hatzfelds rechtes Bein ist etwas angewinkelt undgibt damit Raum für die Plastik eines Hundes und des Schildes mit dem Hatzfeldschen Allianz-wappen. Das Wappen zeigt von links oben gegen

den Uhrzeigersinn betrachtet: den Adler für dasschlesische Trachenberg, den Hatzfeldschen An-ker, einen Hausanker, drei Blüten für das rhei-nische Wildenburg, den Löwen der thüringischenGrafschaft Gleichen, eine Rose für das rheini-sche Crottorf und schließlich das RosenbergscheSchach.Um die Liegeplatte und an ihrem unteren Profilsind lateinische Inschriften eingemeißelt, welchelauten:

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7 Grabmal für den Leich-nam des Melchior vonHatzfeld von 1663 in derkatholischen Jakobskirchein Prausnitz/Schlesien(heute Prusnice, Polen),Zustand um 1950. Foto:Edmund Fürst Hatzfeld,Köln.

6 Grabmal für das Herzdes Melchior von Hatz-feld in Laudenbach, Zu-stand 1952.

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HIC JACET COR ILLUSTRISSIMI DOMINI COMITISMELCHIORIS HAZFELD, IN QUO QUID AEMULEN-TUR HABENT POSTERI. VIVENS IN ORTA FIDE,VIRTUTE AC BELLI GLORIA PARI ALTERI NON CES-SIT. HUNC TUMULUM HERMANNUS MOESTUSIN MEMORIAM DILECTISSIMI FRATRIS MELCHIO-RIS HAZFELD FIERI, EJUSQUE COR IMPONI CU-RAVIT, BIS QUINQUE ET SEPTEM PRAELIA OBIT.SEQUIMI POSTERI MEMORES GRATITUDINIS EXEMPLAR VIRTUTIS PIETATIS. Dies bedeutet insDeutsche übertragen: Hier liegt das Herz des

berühmten Herrn Grafen Melchior von Hatzfeld,in dem die Nachfahren ein Vorbild haben. Im an-gestammten Glauben, Tugend und Kriegsruhmist er im Leben hinter keinem zurückgestanden.Dieses Grabmal ließ der trauernde Hermann zumGedächtnis seines geliebten Bruders MelchiorHatzfeld errichten und trug Sorge, dessen Herzhier beizusetzen. Zweimal fünf und sieben Fes-tungen hat er eingenommen und sieben Schlach-ten mitgemacht. Folget ihr Nachkommen indankbarer Erinnerung diesem Muster an Tugendund Frömmigkeit.Die Ansichtsseiten der Tumba sind durch voluten-artige Vorlagen unterteilt. Die Vorlagen tragenReliefs von Kriegstrophäen. Die Langseiten schmü-cken vier, die Schmalseiten zwei Relieftafeln mitSchlachtendarstellungen, also insgesamt ehe-mals zwölf.Sechs trauernde Putti sitzen um den Sarkophagjeweils vor den Voluten; sie tragen jeder dasWappen einer Hatzfeldschen Herrschaft.Das Relief auf der Deckplatte und die Reliefs anden Ansichtsseiten zeigen Hatzfelds Schlachtenund Belagerungsaktionen. Oben auf der Deck-platte ist seine letzte Schlacht bei Krakau, be-zeichnet „Craccaw“, verewigt. Acht der ur-sprünglich zwölf Reliefs tragen bzw. trugen Be-zeichnungen, wie sonst in der zeitgenössischenGrafik üblich. Diese sind heute nur noch bruch-stückhaft erhalten. Zu lesen sind die Bezeichnun-gen JÜTERBOCK, WÜRTZBURG, TUTTLINGEN,KAYSERSLAUTERN, ALBRUCK und NOMIGART.

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9 Relief mit der Schlachtbei Krakau vom Grab-mal des Melchior vonHatzfeld in Laudenbach,Zustand 1952.

8 Grabmal für das Herzdes Melchior von Hatz-feld in Laudenbach, Zu-stand 2002.

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10 Reliefs von der West-seite des LaudenbacherGrabmals mit Darstellungzweier Schlachten, aufunterem damals noch zulesen: Mit Herzog FranzBernhard, Zustand 1952.

11 Reliefs von der West-seite des LaudenbacherGrabmals mit Darstellungzweier Schlachten, Zu-stand 2002.

Laut der Monographie von Gertrud Gradmannüber die Bildhauerfamilie Kern von 1917 und lautFotos von 1952 hießen die nicht mehr lesbarenan der Westseite: MAGDEBURG und MIT HER-ZOG FRANZ BERNHARD.Es handelt sich bei den Reliefdarstellungen umaußerordentlich bewegte, ja dramatische bisgrausame Schlachtenszenen. Dargestellt sind Mo-mente, in denen Soldaten soeben Gefallene über-rennen, weiter Momente der Verstümmelungund Tötung. Besondere Darstellungssorgfalt ha-ben die Pferde erfahren. Auf vielen Reliefs ist einbesonders verwegener Reiter mit Binde zu erken-nen: Hatzfeld. Die rote Feldherrnbinde war Er-kennungszeichen des kaiserlichen Feldherrn.Auf dem JÜTERBOCK bezeichneten Relief, das aneine für die kaiserliche Partei unter Wallensteinerfolgreiche Schlacht bei der niedersächsischenStadt Jüterbog im Jahre 1625 erinnert, bei dersich Hatzfeld, damals noch Oberstleutnant, sehrhervorgetan haben soll, sind die für einen ordent-lichen Kampf unverzichtbaren Fanfarenbläser imlinken Vordergrund zu sehen. Im Hintergrund isteine der damals üblichen Gefechtsstellungen mitdem Geviert der Pikenträger zu erkennen.Die darunter befindliche Reliefplatte mit der Be-zeichnung WÜRTZBURG erinnert an HatzfeldsAktion zum Schutze der Residenzstadt seinesBruders, des Fürstbischofs. Man sieht Hatzfeld zuRoss im Zweikampf gegen einen ebenfalls mit ei-ner Muskete bewaffneten Reiter.Das Relief an der Ostseite, das KAYSERSLAUTERNbezeichnet ist, ist der Schlacht am gleichnamigenOrt Kaiserslautern im Juni 1635 gewidmet, als esHatzfeld und seinen Truppen in einem zweitenAnlauf gelang, die von schwedischen und fran-zösischen Truppen verteidigte Stadt zu nehmen.Rechts im Vordergrund ist Hatzfeld dargestellt, zuerkennen an seiner Feldherrnbinde, wie er aufseinem Pferd vorprescht.Das MAGDEBURG genannte Relief, ebenfalls ander Ostseite und ebenfalls mit Reitern im rechtenVordergrund, hält den Moment der Vertreibungder Schweden aus der Stadt durch die Kaiserli-chen unter dem Oberkommando von Hatzfeld imJuli 1636 fest.Als verwegener Reiter und Kämpfer ist Hatzfeldauch zu sehen auf einem unbezeichneten Relief,das ihn im Vordergrund vor einer Schlacht unterPikenträgern zeigt. Er verfolgt hier zu Pferde, einePistole in der Rechten, einen Kavalleristen, derwiederum seine Pistole rückwärts gegen Hatzfeldgerichtet hat. Eine ähnliche Szene findet sichauch auf einem Relief am Prausnitzer Grabmal.Ebenfalls als draufgängerischer Reiter erscheintHatzfeld auf dem NOMIGART benannten Reliefan der Kopfseite des Grabmals. Hier kämpft ermit erhobenem Schwert – wie die Fahne seiner

Gegner zeigt – gegen Türken. Es handelt sichwahrscheinlich um ein Gefecht mit den Reiter-truppen des Gabriel Bethlen, Fürst von Sieben-bürgen, einem Calvinisten, dabei Vasallen destürkischen Sultans, der – begleitet von türkischenTruppen – mehrmals in den 1620er Jahren gegendie Kaiserlichen in Ungarn und sogar bis vor Wienzu Felde zog.Die Vollplastik des Hundes wurde offensichtlichaufgrund der nicht ganz gelungenen Anschlüssenachträglich der Deckplatte zugefügt. Dargestelltist eine Dogge, wie sie zum Kriegseinsatz im17. Jh. gezüchtet wurde. Beim LaudenbacherGrabmal wendet sich die Dogge zu ihrem Herrn,beim Prausnitzer zum Betrachter.Überliefert ist durch Bretschneider (1909/10),dass damit Hatzfelds Lieblingstier, sein treuer

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Schlachtenbegleiter, nachgebildet ist. In seinerZuneigung zu Hunden unterschied sich Hatzfelddeutlich von Wallenstein, der keine Hunde in sei-ner Umgebung duldete. Auch ist durch Bret-schneider der Name der Dogge überliefert:Terzka. Hatzfeld hatte sie also benannt nach demWallenstein treu ergebenen, 1634 mit ihm er-mordeten Adam Erdmann Graf Terzka. In dieserNamensgebung verrät sich eine gewisse Hinter-gründigkeit Hatzfelds, mehr noch eine Neigungzum Makabren.Alle Reliefdarstellungen haben Krieg zum Thema.Dagegen wirkt die Liegefigur des Feldmarschallserlösend friedlich. Die zu Seiten von HatzfeldsKopf reliefierte Darstellung von zwei Engeln, dieeine kleine unbekleidete Menschengestalt, seitder griechischen Antike das Bild für die Seele, auf

Händen tragen, ist die einzige im weiteren Sinnechristliche Darstellung. Keine Darstellung zeigtein eigentlich konfessionell ausgerichtetes bzw.katholisches Bildthema.Die Inschrift auf der Deckplatte hebt Hatzfelds Tu-gend und Frömmigkeit, sein Leben im ange-stammten Glauben hervor. Die Tatsache, dass derSarkophag des Feldmarschalls in einer Marienkir-che steht, ist indes eindeutiges Zeichen seines ka-tholischen Glaubens.

Abgebaute und wieder gefundene Teile

Das Grabmal hat einige Verluste hinzunehmengehabt. Mit der Umsetzung in die Gruftkapelle1748 soll es mechanische Schäden davongetra-gen haben, vor allen aber seit Anfang des 20. Jh.Schädigungen durch das feuchte Raumklima.Vermutlich Ende der 1930er Jahre wurde einschmiedeeisernes Gitter, das das Grabmal ein-fasste, entfernt. Der mit dem zweiten Restaurie-rungsversuch beauftragte Ulmer Baurat KarlWachter bezeichnete es nämlich 1937 als stö-rend. Es war nicht zu ermitteln, wie dieses aus-sah. Auf den Fotos des Grabmals aus dem frühen20. Jahrhundert ist das Gitter entweder kurzfris-tig entfernt oder retuschiert.1966 wurde zur Ermittlung von Möglichkeitenzur Schadensbehebung die Tumba an der Kopf-seite, wo schon das obere Relief fehlte, im Auf-trag des Landesdenkmalamtes durch RestauratorWilly Eckert geöffnet. Es kam ein backsteinernerKern zum Vorschein, auf dem eine Holzdose unddarin ein Glasgefäß mit dem Herzen des Grafenruhten. Dieser Kern trat 1972 beim ersten Abbaudes Sarkophags ganz zutage. Beim Neuaufbaudes Grabmals nach der Volltränkung in den1980er Jahren wurde dieser Kern leider komplettabgebrochen. Das Gefäß mit dem Herzen Hatz-felds allerdings wurde sicher verwahrt und ist nunwieder im Grabmal platziert.Schon 1929 war das obere Relief an der Nord-bzw. Kopfseite verloren gegangen, und zwar aufdem Postweg vom Landesamt für Denkmalpflegein Stuttgart, wo es untersucht worden war, nachLaudenbach.Im Jahre 1966 wurden dann auch bei der bereitserwähnten Aktion das untere Relief von derKopfseite, der Putto mit dem Crottorfer Rosen-wappen vom Fußende und Teile des vorderenRandes zu Untersuchungszwecken entfernt. DieAufbewahrungsorte dieser Teile gerieten im Zugeder bewegten Restaurierungsgeschichte desGrabmals in Vergessenheit.Das untere Relief, bezeichnet „Nomigart“, blieb36 Jahre lang verschollen. Es fand sich überra-schenderweise im Dörner-Institut in Münchenwieder, wohin es 1966 zur Proberestaurierung

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12 Reliefs mit Schlach-tendarstellungen bezeich-net Jüterbock und Würtz-burg vom LaudenbacherGrabmal, Zustand 1952.

13 Reliefs mit Schlach-tendarstellungen bezeich-net Jüterbock und Würtz-burg vom LaudenbacherGrabmal, Zustand 2002.

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gebracht, danach aber die Abholung vergessenworden war. Erst auf die schriftliche Nachfragedes Landesdenkmalamtes Anfang dieses Jahreskonnte der Leiter der naturwissenschaftlichenAbteilung des Instituts, A. Burmester, eine bis-lang nicht zuzuordnende Reliefplatte als die ver-schollene „Nomigart“-Darstellung identifizieren.Dieses Relief, der überraschten Kirchengemein-de bei einem Ortstermin während des Wieder-aufbaus des Grabmals zurückgegeben, zeichnetsich – weil ihm die Volltränkung erspart blieb undes im Dörner-Institut nach seiner Restaurierungbestens aufbewahrt wurde – durch eine beson-ders gute Erhaltung aus.Der fehlende Trauerengel mit dem CrottorferWappen konnte mittlerweile auch ersetzt wer-den. Im Depot des Restaurators Norbert Eckert,Bad Mergentheim, hat sich als Erbe seines Vatersein Gipsnachguss des Engels gefunden, der nunden Platz des Originals eingenommen hat.

Bildhauer Achilles Kern und das Material Alabaster

Durch eine Akte im Archiv zu Trachenberg, überdie 1908 ein Arthur Kern in der Zeitschrift desVereins für die Geschichte Schlesiens berichtete,ist belegt, dass die beiden Grabmäler, das in Lau-denbach und das in Prausnitz, vom Forchten-berger Bildhauer Achilles Kern gefertigt wur-den. Achilles Kern, geboren 1607 und gestorben1691, gehörte zur vierten Generation einer imfränkischen Forchtenberg nachweisbaren Bild-hauerfamilie. 1649 übernahm Achilles Kern, nach-dem er dort seit 1626 als Gehilfe nachgewiesenist, die Werkstatt seines Vaters Michael d. J.Ab 1655 war er an der Laudenbacher Bergkirche

beschäftigt, und zwar u.a. mit der Schaffung desneuen Westgiebels. Seine Hauptwerke stellen diebeiden Grabmäler für den kaiserlichen Feldmar-schall Hatzfeld dar.Die Familie Kern war evangelisch. Die Wahl einesBildhauers dieses Glaubens kann als Zeichen derkonfessionellen Toleranz der Brüder Hatzfeld ge-wertet werden, wie auch das Fehlen von konfes-sionell ausgerichteten Szenen an den Grabmalen.Beide Grabmäler stellte Kern in der Forchtenber-ger Werkstatt her. Das Prausnitzer vollendete ervier Jahre nach dem Laudenbacher. Dieser Sarko-phag wurde dann – wie überliefert ist – in 29 Käs-ten von zusammen 681⁄2 Zentnern zuletzt mitSchlitten nach Prausnitz transportiert, wo er am16. Januar 1663 eintraf.Das Prausnitzer Grabmal gleicht dem Laudenba-cher im Aufbau und in der Liegefigur. Die In-schriften sind bis auf das Wort „corpus“ statt„cor“ identisch. Die Putten haben weniger wei-nende als mehr trauernde Gesichtszüge.

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14 Kopfansicht des Lau-denbacher Grabmals mit dem Schlachtenrelief,bezeichnet Nomigart, Zustand 1952. Das obereRelief ging 1929 verloren.

15 Kopfansicht des Lau-denbacher Grabmals mit dem Schlachtenrelief,bezeichnet Nomigart, Zustand nach Wiederein-bau 2002.

16 Der freigelegte back-steinerne Kern des Lau-denbacher Grabmalsnach Abbau der Alabas-terplatten in den 1970erJahren. Foto: N. Eckert,Bad Mergentheim.

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Die Reliefdarstellungen an beiden Grabmalensind im Vordergrund äußerst plastisch gearbeitet.Die Hintergrundszenen sind dagegen – auch be-dingt durch das Material – mehr zeichnerisch aus-geführt; sie weisen einen hohen Gesichts- bzw.Fluchtpunkt auf und erscheinen damit in Vogel-perspektive. Durch die Einfügung von Ortsnamenoder sonstigen Beschriftungen in die Reliefs amLaudenbacher Grabmal ähneln diese zeitgenössi-schen Grafiken.Die Reliefs in Prausnitz zeigen andere Schlach-tenszenen und tragen keine Beschriftungen. DieRelieffiguren sind dabei teilweise von einer etwasplumperen Körperlichkeit, dürften daher auchArbeiten von Werkstattgehilfen sein. Auf einerSchlachtendarstellung mit einem Reiter, wohlHatzfeld, ist auch die Dogge Terzka zu sehen.Ab 1600 wurde Alabaster, eine Abart des Gips,weil leicht zu bearbeiten und dabei polierfähig,ein beliebtes Material in der Bildhauerei. Der da-maligen Vorliebe für detaillierte Gliederung undreiches Ornament kam die leichte Bearbeitbarkeitsehr entgegen. Die Bildhauerfamilie Kern verar-beitete, auch weil ihr einer der begehrten Alabas-terbrüche, nämlich der in Forchtenberg, gehörte,folglich viel Alabaster.Nach Gertrud Gradmanns Monographie über dieBildhauerfamilie Kern (1917) sollen die Hatzfeld-schen Grabmäler aus zwei unterschiedlichen Ala-bastersorten gefertigt worden sein, dem grau ge-streiften Forchtenberger für den Grund- und Auf-bau einschließlich der architektonischen Gliede-rungen und einem aus dem fränkischen Winds-heim stammenden weißen für die Reliefs. Auchsprechen Notizen der Konservatoren Peter Goess-ler und Richard Schmidt in den Akten des damalsnoch sog. Württembergischen Landesamts fürDenkmalpflege aus den Jahren 1927 und 1928von zwei unterschiedlichen Alabastersorten amLaudenbacher Grabmal: Deckplatte und Gliede-rungen seien aus einem gelblichen Material, dieReliefs aus einem weißen Material, auch Anhydritgenannt, gefertigt. Die These wird nun auchnoch erhärtet durch das im Münchner Dörner-Institut wieder gefundene „NOMIGART“-Relief,

das – weil nicht acrylharzgetränkt – seine weißli-che Färbung bewahrt hat.Künstlerisch bedeutsam ist die LaudenbacherTumba wegen ihrer besonders prunkvollen Glie-derung und reichen Reliefierung und wegen derin Süddeutschland seltenen Gestaltung in stren-gen nordeuropäischen Barockformen. Die Beson-derheit des Sarkophags zeigt sich durch den Ver-gleich mit wenig älteren und zeitgenössischenGrabmälern.

Stellenwert innerhalb der Grabmals-plastik der Neuzeit

Wie unterscheidet sich Hatzfelds Grabmal z.B.von den Grabmälern der großen Feldherren des30-jährigen Kriegs? Leider ließen sich nur vonwenigen die letzten Ruhestätten ermitteln. Andas Grab des geächteten und ermordeten Wal-lenstein in der Kartause Walditz bei Gitschin(Böhmen) erinnerten bis ins 18. Jahrhundert keinGrabstein und keine Inschrift.Eine ehrenvolle Grablege erhielt aber JohannGraf von Tilly, Feldmarschall wie Hatzfeld, wennauch in bayerischen Diensten. Nach seinem Todinfolge einer Verwundung, die er 1632 bei Rainam Lech während des vergeblichen Versuches,die Flussüberquerung der Schweden zu verhin-dern, erlitt, wurde Tilly zuerst in Ingolstadt, dannin der katholischen Stiftskirche von Altötting be-stattet. Seine Grablege ist ein schlichter Sarko-phag aus Bronze – mittlerweile eine Neuanferti-gung –, der in einem Fenster den Blick frei gibtauf den Schädel des Toten als mahnender Hin-weis auf die Vergänglichkeit des Lebens.Der Leichnam des 1632 in der großen Schlachtbei Lützen, in der auch der Schwedenkönig Gus-tav Adolf den Tod fand, gefallenen kaiserlichenFeldmarschalls Gottfried Heinrich von Pappen-heim wurde auf Wallensteins Veranlassung in derAbteikirche Mariä Geburt des Klosters Strahov in

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17 Schlachtenrelief vomPrausnitzer Grabmal mitDarstellung von HatzfeldsDogge, Zustand um1950. Foto: EdmundFürst Hatzfeld, Köln.

19 Das LaudenbacherGrabmal. Sicht auf Kopf-partie mit Darstellung der Seele, von Engeln ge-halten, Zustand 2002.

18 Dogge genanntTerzka auf dem Laudenbacher Grabmal, Zustand 2002.

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Prag bestattet. An ihn erinnern dort heute nochdie ursprüngliche einfache Marmor-Grabplatteunter dem Altar, die mit seinem Wappen ge-schmückt ist, sowie seit 1839 ein zweites Grab-mal in einer Kapelle.Für den 1652 fern der Heimat auf seinem vomKaiser verliehenen Schloss Benatek in Böhmen(heute Benatky, Tschechien) verstorbenen, bisheute in Köln legendären Reitergeneral Jan vanWerth sind sogar ebenfalls zwei Erinnerungs-bzw. Grabmale geschaffen worden. Eins befindetsich, wie Josef Stulc, Leiter des Staatlichen Insti-tuts für Denkmalpflege Tschechiens in Prag, er-mitteln konnte, in der Schlosskirche Mariae Ge-burt in Benatek. Es handelt sich um ein hölzernespolychromiertes Epitaph des 17. Jh. mit Wappenund Inschrift. Das andere befindet sich in WerthsGeburtsort Büttgen am Niederrhein, ehemals inder Pfarrkirche, heute im Pfarrhaus St. Aldegun-dis. Es handelt sich um eine steinerne Kniefigurdes Verstorbenen, vermutlich ehemals Teil einesprunkvollen Grabmals.Ein ehrenvolles Begräbnis erhielt auch der bayeri-sche, dann kaiserliche Feldmarschall Franz Frei-herr von Mercy – mit ihm hatte Hatzfeld 1643 beiTuttlingen die Schweden besiegt. Er war 1645 inAlerheim bei Nördlingen im Kampf gefallen. Anseiner letzten Ruhestätte, der St. Moritzkirche zuIngolstadt, erinnert an ihn ein eher bescheidenesBronze-Epitaph mit Wappen und Grabinschrift.Im Vergleich mit diesen Grabmälern fällt der Auf-wand und hohe künstlerische Wert der Hatzfeld-schen Grabmäler auf. Auch sind die Hatzfeld-schen Grabmäler durch die Wahl des Frei- undHochgrabs mit der Liegefigur des Toten auf derDeckplatte mehr als nur Grabmäler; es sind Denk-mäler des Verstorbenen.Motive vom bereits erwähnten Grabmal der El-tern in Friesenhagen, einer Arbeit des MainzerBildhauers Gerhard Wolff aus der Zeit um 1605,finden sich auch an den Grabmälern des Sohneswieder, wie Prunkrüstung, Helm, Hund als Be-gleiter des Herrn, Putti und Kriegerdarstellungen.Indes stellt das elterliche Grabmal ein Wandgrabdar, ein seit dem 16. Jh. häufiger Typus, einge-baut in die Grafenkammer genannte Seitenka-pelle der Sebastianuskirche.Das wohl im deutschen Raum älteste Grabmal,das typologisch, stilistisch und materialmäßig mitden Hatzfeldschen vergleichbar ist, ist das Grab-mal für den 1533 verstorbenen König Friedrich I.von Dänemark im evangelischen Dom zu Schles-wig. Es handelt sich dabei um eine Arbeit des da-mals berühmten Antwerpener Bildhauers, Archi-tekten und Zeichners Cornelis Floris (1514–1575)aus den Jahren 1551/55. Hier ist neben Marmorund Kalkstein auch Alabaster, und zwar für die Fi-guren, verarbeitet. Dieses Grabmal der flämi-

schen Hochrenaissance, in dem Floris in Florenzgewonnene Anregungen verarbeitete, hatte eineenorme Vorbildwirkung. Außer der Liegefigurdes Toten in Prunkrüstung ist das Motiv der vortragenden Elementen angebrachten Putti, hier ei-gentlich Todesgenien, mit den Hatzfeld-Grab-mälern vergleichbar. Auch zeigt der SchleswigerSarkophag bereits den Hatzfeldschen Grab-mälern vergleichbare barocke Gestaltungsten-denzen. Der Bauchung des Schleswiger Sarko-phags vergleichbar sind die Volutenvorlagen anden Hatzfeldschen Tumben. Den Hatzfeld-Grab-mälern in den Volutenvorlagen noch ähnlichereSarkophage hat Floris in seinen Inventienstichenkonzipiert und 1568 mit dem Freigrab für denAdmiral Herluf Trolle und seine Frau in der Kirchevon Herlufsholm in Dänemark verwirklicht.Zum Vergleich eignet sich auch der Sarkophag fürden 1593 verstorbenen Herzog Ludwig vonWürttemberg in der evangelischen Stiftskirche inTübingen. Geschaffen hat ihn der Bildhauer Chris-toph Jelin (gestorben 1610). Jelin ist einer der ers-ten südwestdeutschen Bildhauer, die mit Alabas-ter arbeiteten. Er setzte diesen bei den Skulptu-ren und Reliefs ein, während der eigentliche Sar-kophag aus dunklem Marmor gearbeitet ist. Wiespäter am Hatzfeld-Grabmal hat der Verstorbenezu Füßen eine Tierskulptur liegen, hier das her-zogliche Wappentier, den Hirsch. Und wie beiHatzfelds Grabmal säumt eine Inschrift die Liege-platte. Die Ansichtsseiten sind auch hier schondurch Wandvorlagen und davor stehende Figu-ren, hier: antike Heldengestalten, gegliedert.Jelin greift durch die Anbringung von mythologi-schen Kampfdarstellungen an den Ansichtsseiten

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20 Der entdeckte Gips-abguss des verloren ge-gangenen Assistenzen-gels mit dem CrottorferRosenwappen nach sei-ner Aufstellung am Lau-denbacher Grabmal.

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des Sarkophags noch konsequenter als Floris an-tike römische Vorbilder auf. Diese Kampfdarstel-lungen sollten wie schon in der Antike die Tap-ferkeit des Verstorbenen, seine Virtus, versinn-bildlichen. Der Aufbau und die Bildthemen desTübinger Grabmals sind also in vielen Teilen denHatzfeldschen ähnlich, die skulpturale Ausarbei-tung und die überreich angebrachten Ornamentedagegen sind zeitentsprechend im manieristi-schen Stil der Spätrenaissance gehalten.Eine der seltenen Tumben für einen katholischenAdligen ist in Wangen am unteren Bodensee,Kreis Konstanz, in der katholischen PfarrkircheSt. Pankratius überliefert. Es handelt sich um das

heute an der Wand aufgestellt Grabmal des 1610verstorbenen Ortsherrn Caspar von Ulm, das einBildhauer aus dem Umkreis des Hans Morinck(gestorben 1612), ein Bildhauer der Floris-Schule,geschaffen hat. Vergleichbar mit der jüngerenHatzfeld-Tumba ist u.a. der barock gebauchteSarkophag.Die Schlachtenreliefs an den Hatzfeldschen Tum-ben haben – unabhängig betrachtet – im gestal-terischen Aufbau sogar über 100 Jahre ältere Vor-bilder, und zwar in den Marmorreliefs am ansons-ten bronzenen vielfigurigen Grabmal für KaiserMaximilian I. in der Hofkirche zu Innsbruck, dieder Flame Alexander Colin (1527/29–1612) ab1562 schuf.Wegen zahlreicher vorweggenommener Motivetaugt zum Vergleich auch die Bettlade genannteTumba in der evangelischen Stiftskirche in Wert-heim. Es handelt sich um das frühbarocke Dop-pelgrabmal für den Grafen Ludwig von Löwen-stein und seine Frau Anna, das 1616 bis 1618Michael Kern (1580–1649), Achilles Kerns Vater,ganz aus Alabaster arbeitete, und zwar – wiebeim Laudenbacher Grabmal – aus Forchtenber-ger und für die Reliefs aus Windsheimer Alabas-ter. Für die Region ungewöhnlich sind die auf derDeckplatte aufsitzenden, das Grab rahmendenSäulen mit dem himmelbettartigen Baldachin.Mit dem Laudenbacher Grabmal vergleichbarsind neben der Kriegsrüstung des Grafen: derHelm, das Schwert und das Tier auf der Grab-platte, hier am Kopfende: das Wappentier der

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22 Grabmal des 1593verstorbenen HerzogLudwig von Württembergin der evangelischenStiftskirche zu Tübingen,Arbeit des Christoph Jelin, Zustand 1959.

21 Grabmal des KönigsFriedrich I. von Dänemarkim evangelischen Dom zuSchleswig, Arbeit desCornelis Floris von1551/55 und Prototypder neuzeitlichen Tumba.

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Löwensteiner. Weiter vergleichbar sind die an denEcken sitzenden Putti – sie sitzen hier auf demBaldachin – , das Motiv der Kriegsrüstungen bzw.Kriegstrophäen, hier an den Säulen, und die Reli-efs an den Ansichtsseiten des Sarkophags. DieseReliefs mit vermutlich mythologischen Szenensind leider, wie Aufnahmen belegen, spätestensseit dem frühen 20. Jahrhundert. verloren ge-gangen. Das einzig erhaltene Relief zeigt die Be-lagerung einer Stadt mit einem Krieger im Vor-dergrund, ein Motiv, wie es ähnlich auch an Hatz-felds Grabmalen erscheint. Verloren sind derHund und die Handschuhe, die das Grabmal denHatzfeldschen noch ähnlicher machten.Zahlreiche Ähnlichkeiten hat schließlich noch dasDoppelgrabmal des Grafen Philipp Ernst von Ho-henlohe-Langenburg und seiner Frau Anna Ma-ria, das Michael und Achilles Kern 1629/30 fürdie evangelische Stadtkirche in Langenburgschufen. Der Sarkophag besteht aus Sandstein,die Figuren und Reliefs aus Alabaster. Hier häufensich die Vorwegnahmen von Motiven der Hatz-feld-Grabmäler: die Liegefigur des Grafen mitPrunkrüstung, daneben Helmbusch, Handschu-he, Schwert und Kommandostab.Auch das Motiv des Hundes, sogar der Dogge, istvorweggenommen; sie liegt hier am Fußende derFrau. Trauernde Putti, die Wappen halten, findensich ebenfalls, wenn auch hier am Kopfende derDeckplatte. Auch finden wir hier die die Tumbauntergliedernden mit Kriegstrophäen dekorier-ten, hier jedoch flachen Wandvorlagen. Auchvorweggenommen sind Reliefs an den Sarko-phagseiten, die zeitgenössische dramatischeSchlachtenszenen mit einem Feldherrn zeigen,der von einem Hund begleitet wird. Die Reliefssind hier alle erläutert, jedoch nicht durch in die

Reliefs eingefügte Schriftzüge wie beim Lauden-bacher Grabmal, sondern durch Beschriftungenin darunter angebrachten Kartuschen, die zu-gleich die dargestellten Ereignisse datieren.

Wertung

Die vorgestellten Beispiele drängen die Vermu-tung auf, dass der Tumben-Grabmaltypus vor al-lem bei Patronatsherren evangelischen Glaubensbeliebt war. Als Grabmal für einen katholischenAdligen besitzt dieser Typus eine gewisse Selten-heit. Beim Laudenbacher Grabmal handelt es sichzudem um das einzige bekannte Grabmal einesFeldmarschalls des 30-jährigen Kriegs in Baden-Württemberg.Achilles Kern nimmt zahlreiche von Cornelis Flo-ris, Christoph Jelin und seinem Vater Michael ent-wickelte Motive bei den Hatzfeld-Grabmälernauf. Indem Achilles Kern auf den von seinen Vor-gängern gewählten Aufbau über der Liegefigurin Gestalt von Wappen, Engeln oder Medaillonsverzichtet, gelingt ihm eine ungewöhnlich ge-schlossene Form, in der die Liegefigur des TotenKulmination ist. Diese Geschlossenheit verstärktder Verzicht auf kontrastierend farbige Materia-

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23 Köpfe des Grafen-paares von Löwenstein-Wertheim mit ihremWappentier vom Grab-mal in der WertheimerStiftskirche, Zustand2002.

24 Wertheim, sog. Bett-lade, Grabmal für GrafLudwig von Löwenstein-Wertheim und seine Ehe-frau Anna in der evange-lischen Stiftskirche, Arbeitdes Michael Kern d. J. von1614/16, Zustand 2002.

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lien, also die Wahl farblich nur geringfügig ver-schiedener Materialien.Nordeuropäisch bzw. von der Floris-Schule, be-einflusst, sind die beiden Hatzfeldschen Grab-mäler in ihrer klaren, auf die Spätantike zurück-gehenden Formensprache. Dabei fehlt den Hatz-feldschen Tumben die Sprödigkeit der älterennordeuropäischen Vorbilder. Durch die volutenar-tigen Wandvorlagen hat Achilles Kern zudem denGrabmälern eine besondere Eleganz verliehen.Die Reliefs am Laudenbacher Grabmal zeigentrotz aller Schäden durchweg eine ausgereifteKunstfertigkeit, sind also sicherlich von der Handdes Meisters Achilles Kern selbst. Das Hatzfeld-sche Grabmal in Laudenbach gilt daher zu Rechtals eines der Hauptwerke der BildhauerfamilieKern und der barocken Grabmalplastik Südwest-deutschlands.

Literatur und Quellen:

H. Muntsch: Geschichte des Ortes und der Bergkir-che zu Laudenbach, Creglingen 1875, S. 11–13.Beschreibung des Oberamts Mergentheim, Stuttgart1880, S. 604f.

Hatzfeld, Melchior Graf ..., in: Allgemeine DeutscheBiographie, 11. Band (1880), Nachdruck Berlin 1969,S. 35f.Arthur Kern: Der Künstler des Gräflich MelchiorHatzfeldtschen Epitaphs in der Stadtkirche zu Praus-nitz, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schle-siens, 42. Band, Breslau 1908, S. 332f.Paul Bretschneider: Die Epitaphien des Grafen Mel-chior von Hatzfeld in den Kirchen zu Prausnitz undLaudenbach, in: Die christliche Kunst 6 (1909/10),S. 317–324.Max Schermann: Die Bergkirche bei Laudenbach,Bad Mergentheim 1912, S. 100–104.Gertrud Gradmann: Die Monumentalwerke der Bild-hauerfamilie Kern, Strassburg 1917, S. 54, 140–143.Julius Krebs: Aus dem Leben des kaiserlichen Feld-marschalls Grafen Melchior von Hatzfeld. 1593–1631, Breslau 1910.Julius Krebs: Aus dem Leben des kaiserlichen Feld-marschalls Grafen Melchior von Hatzfeld. 1632–1634 (Ein Beitrag zur Geschichte des DreißigjährigenKrieges), Breslau 1926.Hatzfeld, Melchior Gf. von H., in: BiographischesWörterbuch zur deutschen Geschichte, 1. Band,München 1973, Sp. 1036f.Wolfgang Schneider: Die Wallfahrt Laudenbach,Würzburg 1987, S. 67 – 69.Wilfried Beutter: Niederstetten unter den Hatzfeld,in: 650 Jahre Stadt Niederstetten, hrsg. von der StadtNiederstetten, Schwäbisch Hall 1991, S. 142–153.Walter Rößler, Vera Schneider, Walter-Gerd Fleck:Die Künstlerfamilie Kern 1529–1691, Sigmaringen1998, S. 64- 68, 185–192. [Bei der Zuschreibung derMadonna im Aschhausener Schlossgarten irren dieVerfasser; diese stammt von der Metzer Kathedraleund datiert also in die Zeit um 1260/65, s. ChristophBachmann; Das Metzer Liebfrauenportal und dieMadonna im Schloßgarten von Aschhausen, in: Zeit-schrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft52/53, 1998/99, S. 285ff.]Das Grabmal des Grafen Melchior von Hatzfeld in

der Bergkirche zur Schmerzhaften Mutter zu Lauden-bach, hrsg. von Pfarrer Gebhard Ritter, ohne Ort 2001.Judith Breuer: Das Grabmal des Melchior von Hatz-feld in seiner kultur- und kunsthistorischen Bedeu-tung. (Unveröffentlichtes Manuskript der am 24. 4.2002 in Laudenbach gehaltenen Rede).

Dr. Judith BreuerLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeMörikestraße 1270178 Stuttgart

25 Langenburg, Doppel-grabmal des Grafen Phi-lipp E. von Hohenlohe-Langenburg und seinerFrau Anna-Maria in derevangelischen Stadtkir-che, Arbeit des Michaelund Achilles Kern von1629/30, Zustand 2002.

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Dass die Geschichte eines Objektes nicht mit derFertigstellung endet, müssen und können wir amGrabmal des Feldmarschalls Hatzfeld sehr deut-lich nachvollziehen.Der erste nachweisbare Eingriff in das Objekt war1748 die Umsetzung des Grabmales in die eigensdafür erbaute Grabkapelle an der Nordseite derKirche. Dabei waren wohl auch kleinere Instand-setzungsmaßnahmen notwendig.Einen Hinweis auf den Zustand des Grabmals er-halten wir aus den Akten erst wieder für das Jahr1916 und dies fast beiläufig durch ein Schreibendes Laudenbacher Pfarrers Bause an das König-lich Württembergische Landeskonservatorium inStuttgart. In diesem Schreiben geht es eigentlichum die Wiederherstellung der Bergkirche. AmSchluss des Schreibens heißt es: „Die Wiederher-stellungen an ... Melchior Hatzfeld’s Alabaster-Epitaph kamen noch nicht zur Ausführung; diedesbez. gegebene Anregung konnte wegen desKrieges noch nicht befolgt werden.“ Die offen-sichtlich vom Landeskonservatorium gegebenenAnregungen zur Wiederherstellung sind uns lei-der nicht bekannt, ebenso wenig der Grunddafür, also der wohl schlechte (?) Erhaltungszu-stand des Grabmals. Vielmehr irritiert diese un-scheinbare Notiz von 1916, wenn man ein Jahrspäter (also 1917) in der Publikation von GertrudGradmann über die Monumentalwerke der Bild-hauerfamilie Kern lesen kann, dass das Grabmalin einem guten Zustand sei. Wie geht dies zu-sammen? Wir müssen diese Frage unbeantwor-tet lassen, da bis heute keine weiteren Unterla-gen oder detailgenaue fotografische Aufnahmendieser Zeit verfügbar sind. Die nächste Nachricht findet sich in den Aktendes damals so genannten Landesamts für Denk-malpflege erst wieder für das Jahr 1927. Im Julidiesen Jahres bittet der damalige Pfarrer Rösslerdas Landesamt um Rat und Hilfe bei der Rettungdes Grabmals. Er schreibt: „Die Alabasterreliefsvom Grabmal des Großen Hatzfeld in der hiesi-gen Bergkirche haben schon seit Jahren sehr ge-litten, in den letzten Monaten geht deren Ver-derben zusehends rasch. Wenn nicht baldigsteHilfe kommt, dürften sie verloren sein. Die Ursa-che ist nicht bekannt; ob Feuchtigkeit oder klei-ne Lebewesen den Alabaster zermahlen, müsste eine fachmännische Untersuchung feststellen,ebenso die Rettungsmittel.“Nach ersten Untersuchungen des Württembergi-

schen Landesamtes, bei denen festgestellt wur-de, dass es sich bei den Ausblühungen nicht umSalpeter handelte, sondern um Magnesiumsul-fat, wandte man sich im September 1927 auf derSuche nach einer Restaurierungsmethode anFriedrich Rathgen in Berlin. In dem Anschreibenwerden das Grabmal und sein Schadensbild wiefolgt beschrieben:„Auf der Deckplatte ist eine lebensgroße Figurdes Grafen aus gelblichem Alabaster, an den Sei-ten des eigentlichen Sarkophags 12 Reliefs mitSchlachtendarstellungen aus weißem Alabaster.Diese Reliefs, überhaupt alle aus weißem Alabas-ter stehenden Teile, weisen starke Verwitterungs-erscheinungen auf, dergestalt, dass die Ober-fläche des Alabasters an zahlreichen Stellenpulverisiert. Ca. 1mm unter der pulverisiertenOberschicht ist der Alabaster wieder hart. DieVerwitterung wird seit zwei Jahren bemerkt,macht aber in letzter Zeit raschere Fortschritte ...Wir haben daran gedacht, die gefährdeten Teilemit einem farblosen Lack zu überziehen“. ZumZeitpunkt der Anfrage war Rathgen bereits inPension. Rathgen leitete (1888–1927) zuvor dasLaboratorium der staatlichen Museen in Berlin.Dieses Institut wurde 1888 als Chemisches Laborder königlichen Museen gegründet und war indieser Form und Aufgabenstellung das erste sei-ner Art überhaupt. Rathgen war in seiner Zeit derführende Naturwissenschaftler auf dem Gebietder Konservierung.In seinem Gutachten wirft Rathgen als Erstes dieFrage auf, ob das Objekt wirklich ein Kunstwerkaus Alabaster ist, da ihm bis dahin ein Magnesi-umgehalt im Alabaster nicht bekannt war. ImÜbrigen erklärt er den hohen Feuchtigkeitsein-trag (!) in das Objekt als Hauptschadensursache.Von einem Überzug mit einem Lack rät er daherdringend ab und empfiehlt stattdessen eine Be-handlung mit einer Wachslösung.Die Ergebnisse des Gutachtens und auch hausei-gene Überlegungen zu Erhaltungsmaßnahmenwurden der katholischen Pfarrgemeinde im Ok-tober 1927 durch ein Schreiben von RichardSchmidt, Landesamt für Denkmalpflege, mitge-teilt. Zwei Maßnahmenschritte wurden von ihmvorgeschlagen:„1. Die Reduzierung des Feuchtigkeitsgehaltesder Luft“, wozu er den Einbau von Lüftungsflü-geln empfahl.„2. Schutz des Alabasters durch Tränken mit ei-

Die Leidens- und Restaurierungsgeschichtedes GrabmalsOtto Wölbert

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ner Wachslösung“. Dies solle aber erst im nächs-ten Jahr erfolgen, da dies erst bei warmer Witte-rung durchgeführt werden könne. „Zwischen-zeitlich wird die Kirchengemeinde ersucht, dasGrabmal bis dorthin mit Teppichen abzudecken,damit sich nicht die Feuchtigkeit auf dem Grab-mal niederschlägt.“Die Behandlung mit einer Wachslösung ist für das Jahr 1929 belegt. Wer sie durchgeführt hat,bleibt offen. Wir finden lediglich den Hinweis,dass unser (des Landesamts?) Restaurator nach

Laudenbach unterwegs ist. Inwieweit die Emp-fehlungen umgesetzt wurden, können wir nurvermuten. Sicher ist, dass der Einbau der Lüf-tungsflügel erst im Jahre 1934 durch den Archi-tekten Karl Friedrich veranlasst wurde. Friedrichstellt im August 1934 in seinem Bericht über dienotwendigen Instandsetzungsarbeiten an derBergkirche unter anderem fest, dass „die Relief-platten aus Alabaster am Grabmal durch schä-digende äußere Einflüsse (durch feuchte Luft)sehr stark angegriffen werden. Eine dementspre-chende Behandlung dieser künstlerisch wertvol-len Tafeln ist unbedingt erforderlich ...“.Die nächsten Berichte finden sich dann im Jahre1937. Es wird von Schäden an den Reliefplattenberichtet und darauf hingewiesen, dass seit derletzten Reinigung – man spricht merkwürdiger-weise nicht von einer Behandlung mit Wachs –wieder beträchtliche Mengen von abgebröseltemGipspulver festzustellen sind. Man bittet die Ge-ologische Abteilung des Statistischen Landesam-tes um eine chemische Analyse. Die Württember-gische Landesstelle für Naturschutz bittet paralleldazu den Fürsten von Hohenlohe im Interesse der Denkmalpflege, den Wald um die Kirche stär-ker zurückzunehmen, damit die Kirche besserbelüftet werden und die Feuchtebelastung zu-rückgehen kann.Ebenfalls im Jahre 1937 wird Baurat Karl Wach-ter aus Ulm vom Württembergischen Landesamtfür Denkmalpflege hinzugezogen, der ein neuesSteinfestigungsmittel namens Ulmado entwickeltund dieses bereits verschiedentlich erfolgreichangewandt hatte. In den Monaten Juli und Au-gust des gleichen Jahres wurden durch WachterFestigungsarbeiten am Grabmal durchgeführt,da aus Sicht des Denkmalamtes akuter Hand-lungsbedarf bestand. Aus der Rechnung sind dieverschiedenen Arbeitsschritte zu entnehmen:1. Arbeitsgang: eine gründliche Reinigung mitBlasebalg, Pinsel, Wasser und Brennspiritus (An-merkung: auch an den puderigen Belägen!);2. Arbeitsgang: allmähliche und gleichmäßigeAustrocknung mit starken Benzinapparaten;3. Arbeitsgang: eine zweimalige Tränkung mit Ul-mado-Schutzflüssigkeit;4. Arbeitsgang: Ergänzungen und Verklebungenmit Ulmado-Steinkitt.Im August 1938 musste diese Behandlung lautSchreiben von Baurat Wachter wiederholt wer-den, „da sich seit kurzem an einigen Stellen klei-nere Verwitterungen zeigten“.Bereits 1950 setzten dann wieder die Bemühun-gen ein, den weiteren Zerfall des Grabmals zustoppen. Es entstand ein reger Briefwechsel zwi-schen dem württembergischen und badischenLandesamt für Denkmalpflege, in dem die ver-schiedenen Möglichkeiten diskutiert wurden. In

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1 Reliefs mit Darstellungder Schlachten bei Dors-ten und Kaiserslautern,Zustand 1966. Foto: W. Eckert, Bad Mergent-heim.

2 Reliefs mit Darstellungder Schlachten bei Dors-ten und Kaiserslautern,Zustand 2002 nach derjüngsten Restaurierung.

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unseren Akten finden sich aus dieser Zeit einigeSchreiben an anerkannte Experten, in denen die-se um Rat gefragt werden.Josef Frey, Bildhauer aus Stuttgart, bezeichneteden Zustand des Grabmals nach einer Besichti-gung als alarmierend und empfahl, bevor nochgrößere Verluste eintreten, die Reliefplatten zukopieren. Zum etwa gleichen Ergebnis kam dieFirma Bau aus Grünsfeld, die auch neue Relief-platten anbot.Das um Rat gefragte Bayerische Landesamt fürDenkmalpflege konnte aus seinem Amtsbereichkeine vergleichbare Problematik benennen undbat um die Beantwortung von weiteren Fragen.Dabei ging es vor allem um mögliche Feuchte undSalzbelastung, aber auch um die Fragen nach er-folgten Behandlungen des Alabasters. In der Be-antwortung dieses Schreiben erläuterte GeorgHimmelheber in Kürze die Schadensgeschichtedes Grabmals und stellte resignierend am Endefest, „dass die Oberfläche der Reliefs nahezu völ-lig pulverisiert ist, ... dass bei geringster Berüh-rung sich die Teile in Staub auflösen.“ Er schlossdaher eine mechanische Behandlung aus undhielt höchstens ein Aufsprühen irgendeines Festi-gungsmittels für möglich.Im Auftrag des Landesamtes erstellte Alois Kies-linger, Leiter des Institutes für Geologie in Wien,mit Datum vom 27. 06. 1958 ein umfangreichesGutachten über die Ursache der Schäden amGrabmal und deren Behebung. Als Hauptursacheermittelte er die hohe Feuchtebelastung, die demempfindlichen Alabaster weit stärker zusetzenwürde als Marmorobjekten. In seinem Gutachtengab er sehr ausführliche Empfehlungen für zutreffende Maßnahmen. Er unterschied dabei inMaßnahmen, die den Ursachen entgegenwirken,und Maßnahmen am geschädigten Objekt. ZumErsten empfahl er den Einsatz von Entfeuch-tungsapparaten, die elektrisch betrieben, diefeuchte Luft ansaugen und mithilfe von was-seranziehenden Salzen trocknen würden. Ernannte auch Firmen in Holland und der Schweiz,die solche Geräte liefern konnten. Dabei schluger den Wiederaufbau des Grabmals über einerIsolierfolie vor. Wenn dies zu teuer wäre, sollteman dies wenigstens hinter den Reliefplattendurchführen und sie mit Abstand zum Steinkernwieder anbringen, damit sie nicht mit der Feuchtein Berührung kämen. Zur Sicherung des geschä-digten Alabasters führte er aus, dass „eine wieauch immer geartete Festigung der Reliefs mit ei-nem Fixativ nur dann und erst dann stattfindendarf, wenn durch die vorherigen empfohlenenMaßnahmen ein weiteres Eindringen von Feuch-tigkeit verhindert wird“. Im Gutachten ist die For-derung nur dann und erst dann unterstrichen.Des Weiteren empfahl er einen farblosen Lack,

mit dem er bei der Konservierung von Marmorgute Erfolge gehabt hatte. Die Umsetzung dieserEmpfehlungen erfolgte nicht!Erst für 1961 finden sich wieder Notizen, undzwar von Festigungsversuchen, die durch den Restaurator Willy Eckert mit Erfolg durchgeführtwurden. Eckert wurde daraufhin aufgefordert, zuder notwendigen Konservierung einen Kostenan-schlag abzuliefern.Parallel dazu befragte das LandesdenkmalamtFachleute zur Problematik des geschädigten Ala-basters. In einem 1965 an das LaudenbacherPfarramt gerichteten Brief erläuterte der damaligePräsident des Amtes, Georg Sigmund Graf Adel-mann, seine Bemühungen und berichtete, dass ervon keinem befragten Fachmann eine zufriedenstellende Auskunft erhalten hätte, so nicht ausWien, München und Krakau. Offensichtlich wa-ren es nicht nur die Kosten, die größere Maß-nahmen am Grabmal verhinderten. Er fasste die

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3 Die Entnahme der Reli-efplatte „Nomigart“ 1966durch Restaurator WillyEckert. Foto: N. Eckert,Bad Mergentheim.

4 Ein Detail der Relief-platte „Nomigart“, Zu-stand 1966. Deutlich sinddie weißlichen Gips-beläge zu erkennen.Foto: N. Eckert, Bad Mergentheim.

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Auskünfte so zusammen, dass alle Fachleute dieEntfeuchtung vor alle anderen Maßnahmen ge-stellt hätten. Und er gab schließlich den Rat, dasGrabmal abzubauen und in einem absoluttrockenen Raum auf längere Zeit zu lagern. AlsAufbewahrungsort vorgeschlagen wurden dieSchlösser Bad Mergentheim und Weikersheim.Letzterer Lagerungsort wurde nach anfänglichenBedenken der Laudenbacher bevorzugt, weildort, durch den Prinzen Constantin, Patron derLaudenbacher Bergkirche, ständig die Austrock-nung kontrolliert werden könnte. Der Abbau er-folgte, wie wir wissen, aber erst im Jahre 1972.1966 setzten neuerliche naturwissenschaftlichenUntersuchungen durch Hermann Kühn im Doer-ner-Institut in München ein. Restaurator WillyEckert entnahm dazu Proben vom Kern und Teiledes Grabmals, wie u.a. die „Nomigart“ bezeich-nete Reliefplatte vom Kopfende des Grabmals,und ließ sie nach München, ins Dörner-Institutbringen. Kühn führte noch im selben Jahr an denProben umfangreiche chemische, physikalischeund mineralogische Untersuchungen durch. Inder Auswertung der Ergebnisse kam auch er zumSchluss, dass die Feuchtigkeit die Hauptursachefür die festzustellenden Schäden wäre. Anderezwischenzeitlich vermutete Ursachen, wie schäd-liche Salze oder Mikroorganismen, konnten mitder Untersuchung ausgeschlossen werden. AlsKonservierungsmittel empfahl er, wie auch be-

reits Rathgen, Bienenwachs. Und er scheint damitRecht gehabt zu haben, denn das Anfang desJahres im Münchner Dörner-Institut wiederge-fundene „Nomigart“-Relief wurde so behandeltund ist in einem guten Zustand.Auch Kühn riet in seinem Gutachten dringend zueiner Trocknung der Teile, notfalls mit Infrarothei-zung. Allerdings wies er erstmalig auch auf dieGefahren einer unkontrollierten Trocknung hinund gab zu bedenken, dass der Alabaster beiTemperaturen zwischen 90 und 100 Grad Wasserabgibt und in gebrannten Gips zerfällt (Calcium-sulfathalbhydrat). Auch wies er darauf hin, dasam Standort in der Grabkapelle hohe undschwankende Luftfeuchtigkeit zu vermeiden wä-re.Der Abbau des Grabmals erfolgte, wie bereits er-wähnt, erst 1972. Das Grabmal wurde vom Bild-hauer Walter Selig aus Laudenbach abgebaut, dieeinzelnen Teile nummeriert und in Holzkisten ver-packt nach Weikersheim, ins Schloss, transpor-tiert.Dort blieb es schließlich bis 1983.1977 begann dann die Suche nach einem erfah-renen Restaurator, der die von Kühn vorgeschla-gene Maßnahme durchführen sollte. Einige Res-tauratorenkollegen wurden zu Abgabe von Kos-tenanschlägen aufgefordert, ohne dass es zueiner Beauftragung kam. Diese erfolgte erst inden Jahren 1979 als Teilauftrag und dann 1982als Gesamtauftrag an den Bildhauer Otto Lieb ausGerlachsheim. Aus den zur Verfügung stehendenUnterlagen ist nicht zu entnehmen, warum manzur Entscheidung kam, die von Kühn vorgeschla-gene Konservierung nicht durchzuführen. Esbleibt die Vermutung, dass man sich nach denvielen fehlgeschlagenen Konservierungen mitBienenwachs von einer erneuten Behandlung mitdiesem Material keinen Erfolg mehr versprach.Dass in erster Linie der Verzicht auf begleitendeMaßnahmen zur Feuchtereduzierung hauptsäch-lich zu den Fehlschlägen führte, blieb unberück-

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5 Die Reliefplatte „Nomi-gart“, Zustand 2002.

6 Ein Restaurator beimTränken von Teilen desGrabmals mit Kieselsäure-ester. Foto: O. Lieb, Ger-lachsheim.

7 Teil der Reliefplatte„Würtzburg“ im verwit-terten Zustand 1979.Foto: O. Lieb, Gerlachs-heim.

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sichtigt, obwohl doch alle Untersuchungen dieHauptschadenursache eindeutig benannt hatten.Statt dessen wurde nun die Volltränkung mitAcrylharz angestrebt.Bildhauer Lieb machte in Abstimmung mit demLandesdenkmalamt Proben an einigen Teilen. Zu-erst tränkte er die Probestücke mit Kieselsäure-ester. Eines der Teile wurde im März 1982 von derFirma Ibach, damals Bamberg, zur Probe mitAcrylharz vollgetränkt. Welches Teil dafür ausge-wählt wurde, ist leider nirgends dokumentiert.Lieb schrieb dazu in einem Brief an die Kirchen-gemeinde und das Landesdenkmalamt im Mai1983: „Die im März 1982 durchgeführte Acryl-harzvolltränkung zeigte positive Ergebnisse; dieüber 12-monatige Beobachtung ließ keinerleiVeränderungen bzw. Zersetzungserscheinungenerkennen“. Anzumerken ist, dass das vollge-tränkte Teilstück wurde über die gesamte Zeit im(wohl trockenen) Atelier aufbewahrt und beob-achtet wurde.Das Acrylvolltränkungsverfahren, welches vonIbach vor nunmehr 30 Jahren mit Unterstützungdes Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflegeund auch anderer Institutionen entwickelt wor-den war, war damals noch relativ neu. Es wirdtrotz aller Skepsis von vielen Restauratoren undKonservatoren, damals wie heute, als letzte Ret-tung stark geschädigter Objekte angesehen. Esbleibt festzustellen, dass unter den gegebenenUmständen in der Grabkapelle ohne diese Voll-tränkung das Objekt wohl längst verloren wäre.Bei dem sehr komplizierten Verfahren wird in dieObjekte unter Vakuum Acrylharz eingebracht.Zuvor müssen jedoch alle Teile vollkommen ge-trocknet werden. Welche möglichen Gefahrendabei für das Laudenbacher Grabmal bestanden,wurde damals nicht erörtert, wohl aber der Ar-beitsschritt der vorhergehenden Festigung mitKieselsäureester. Hiergegen hatte Rolf Snethlagevom Zentrallabor des Bayerischen LandesamtesBedenken geäußert, da das Mittel nicht tief ge-nug eindringen könnte. Weshalb die Festigungdennoch durchgeführt wurde, ist nicht belegt.Alle Beteiligten waren der festen Überzeugung,dass die Acrylharzvolltränkung das richtige Ver-fahren sei und zu diesem Verfahren eine solcheVorfestigung gehörte.1985 wurde dann das vollgetränkte Grabmalwieder in der weiterhin unklimatisierten Kapelleaufgebaut. Die Freude über das getränkte Grab-mal währte nicht lange. Bereits 1986 traten ersteSchäden in Form von Rissen und Verformungenauf.Einem neuerlichen Abbau der Deckplatte folgteschließlich 1993 der Abbau der gesamten Anlageund die erneute Verbringung ins WeikersheimerSchloss.

Gleichzeitig setzten wiederum naturwissen-schaftliche Untersuchungen ein, die von GabrieleGrassegger, damals Landesdenkmalamt, geleitetwurden. Die Messungen und Untersuchungenerfolgten in der Forschungs- und Materialprü-fungsanstalt der Universität Stuttgart. Ziel dieserUntersuchungen war es, die Schadensursache fürdie neuen Schäden herauszufinden. Das überJahrzehnte immer wieder beklagte puderige Auf-lösen des Alabasters war zwar weitgehendgestoppt, dafür waren, vorerst unerklärlich, mehroder weniger starke Risse und Verformungenaufgetreten.Die Ursachenforschung war äußerst schwierig,da es für dieses neue Material keine Prüfnormengab. Daher musste erst ermittelt werden, wiedenn nun z.B. die Verteilung des Acrylharzes imMaterial erfolgt war. War es gleichmäßig verteilt,war es überall eingedrungen? Die Fragen konn-ten nur an entnommenen Proben überprüft wer-den. Hierfür musste schließlich der arme HundTerzka sein Inneres hergeben.In einer aufwändigen Untersuchungskampagnegelang es Grassegger, die Verteilung des Acryl-

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8 Gesamtaufnahme desGrabmals nach der Acryl-harzvolltränkung 1985.Foto: Katholische Kir-chengemeinde, Lauden-bach.

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harzes nachzuweisen. Zwar war das Acrylat insämtliche Poren eingedrungen, aber wohl nichtgleichmäßig, bedingt durch den unterschiedli-chen Zerrüttungsgrad des Alabasters und durchdie offensichtlich nicht vollständige Trocknungdes Steinmaterials. Die Trocknung des Materialswurde zum Zeitpunkt der Tränkung von allenBeteiligten unterschätzt. Nahm man damals an,dass eine Trocknung mit ca. 120 Grad über einigeTage ausreichte, wissen wir heute, dass diesdurchaus Wochen oder gar Monate dauern kann.In den neuesten Informationen der Firma Ibachwerden Trocknungszeiten von 500 bis 2500 Stun-den angegeben. Während damals angenommenwurde, dass Gips als Verwitterungsprodukt desAlabasters erst bei 100 Grad Wasser abgibt, istheute bekannt, dass dies schon bei ca. 40 Gradbeginnt. Dies war ein Umstand, der sich kurznach dem Wiederaufbau als verhängnisvoll er-weisen sollte. Als gleich schwer wiegender Irrtumerwies sich der Wiederaufbau des Grabmals übereinem Kern aus Gasbetonsteinen ohne Isolierunggegen aufsteigende Feuchtigkeit. In der Über-zeugung, dass der mit Acrylharz voll getränkteAlabaster völlig unempfindlich sei gegen Feuch-tigkeit, hatte man auf alle begleitenden Maßnah-men verzichtet. Doch nahm der getrocknete undentwässerte Gips wieder gierig die vorhandeneFeuchtigkeit auf, ebenso die als Kern verbautenGasbetonsteine. Der folgenden Volumenvergrö-ßerung und dem daraus resultierenden Druckkonnte selbst das Acrylharz nicht standhalten.

Die ungleichmäßige Durchtränkung des Alabas-ters war hier wohl ein weiterer Schwachpunkt.Wussten wir nun um die Ursachen der Schäden,so erkannten wir jedoch noch nicht die Möglich-keiten ihrer Behebung. Die dafür notwendigenUntersuchungen und Recherchen gestaltetensich wiederum äußerst schwierig, da auch fürdiese Problematik auf keinen vergleichbaren Fallzurückgegriffen werden konnte.Bei der Erprobung neuer Kleb- und Füllmateria-lien gab es immer wieder Rückschläge, da dieMaterialien nicht den von uns gesetzten denk-malgerechten Anforderungen entsprachen. Teilsveränderte sich deren Farbe während oder nachdem Abbindeprozess, teils bildeten sich nach derBeigabe von Füllstoffen oder Pigmenten Blasen,die das Aussehen total veränderten. Erst nachEingrenzung der Materialien wurde ein Restaura-tor hinzugezogen, der die notwendigen praxis-nahen Proben für Tests bearbeitete. Dabei konn-ten auch die Verarbeitungseigenschaften der Ma-terialproben getestet werden. Die so erarbeitetenProben wurden dann weiteren Prüfungen unter-zogen, so u.a. in der Klimakammer oder durchUV-Bestrahlung.Da die Arbeiten mit diesen Materialien völlig neuwaren, wurde die Restaurierung nach Absprachemit allen Beteiligten an diejenigen Restauratorendirekt vergeben, die im Vorfeld bei den Tests Er-fahrung mit diesen Materialien gesammelt hat-ten.Die Vergabe erfolgte erst, als sichergestellt war,dass alle notwendigen begleitenden Maßnah-men in der Grabkapelle zur Ausführung kommenwürden, also die Schaffung von besseren klimati-schen Verhältnissen, aber ebenso die Entwick-lung einer neuen Trägerkonstruktion für dasGrabmal.

Somit sind endlich alle von den Naturwissen-schaftlern Rathgen (1927), Kieslinger (1958),Kühn (1966) und Grassegger (1994) gefordertenRandbedingungen für eine erfolgreiche Konser-vierung geschaffen worden. Sosehr wir einemEnde der Maßnahme entgegengefiebert haben,so sehr sind wir uns bewusst, dass damit die Ge-schichte des Grabmals nicht beendet ist, dassvielmehr die Verpflichtung besteht, dem Objektauch in der Zukunft Wartung und Pflege zuteilwerden zu lassen.

Otto WölbertLDA · RestaurierungMörikestraße 1270178 Stuttgart

11 Unterseite des Hun-des „Terzka“, nach der Entnahme von Bohr-kernen. Foto: FMPA,Stuttgart.

9 Detail von HatzfeldsBeinschiene, Zustand1986.

10 Ansicht der verwölb-ten Reliefplatte „Albruck“,Zustand 1999. Foto: Aedis, Möglingen

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1 Röntgenbeugungsdia-gramm der Kristallstruk-turen einer Entnahme-probe mit rissig aufge-platzter Oberfläche(Schadensuntersuchung1987). Das Diagrammzeigt die Entwässerungs-stufen: Bassanit (Halb-hydrat, rot) als häufigsteVerbindung, danebenAnhydrit und den ori-ginalen Alabaster-Gipsnur mehr untergeordnet(Quarz tritt in Spuren im Alabaster auf).

Die Ursachen der Zerstörung

1982 bis 1984 wurde an dem bereits mehrfachbehandelten Objekt eine weitere Konservierung,die Acrylharzvolltränkung durchgeführt, nach-dem Vorversuche an einer Musterplatte erfolg-reich gewesen waren. Das Verfahren umfasstenach einer ausführlichen Vorbehandlung (Rissver-schluss, Antragungen etc.) folgende Verfahrens-schritte: Trocknung bei bis zu 100 °C über meh-rere Tage, Vakuumbehandlung bis zu 0,2 Torr/0,9bar, Flutung mit PMMA-Monomer-Lösung mit biszu 20 bar zum Vollsaugen des Objektes undanschließend Erhärtung unter erhöhter Tempera-tur, d.h. bis zu 80 °C.Nach der Behandlung zeigte der Sarkophag einegute Oberflächenverfestigung, aber bereits imSeptember 1984, nach dem Aufbau über einemGasbetonkern und Wiederaufstellung in derBergkirche, wurden erste Verwölbungen und Ris-se festgestellt. Im Mai 1985 hatte sich das Scha-densbild verstärkt. Es waren viele Risse aufgetre-ten und ein Großteil der Klebefugen hatte sichgeöffnet.

Als damalige Mitarbeiterin des Landesdenkmal-amtes wurde die Verfasserin im Oktober 1986eingeschaltet, um die Ursachen der Schäden fest-zustellen und zu versuchen sie zu beheben. Eswurden an dem Objekt in Zusammenarbeit mitder Forschungs- und Materialprüfungsanstalt derUniversität Stuttgart zahlreiche naturwissen-schaftliche und technische Untersuchungen zurUrsache der Schäden durchgeführt, deren wich-tigste Ergebnisse lauten (Grassegger 1987): Der Alabastergips wurde durch die Trocknungund das AVT-Verfahren (Acrylharzvolltränkungs-verfahren) selbst zum Teil zu Halbhydrat und An-hydrit entwässert. Dies wurde durch zahlreicheProben an der Oberfläche und im Tiefenprofildurch Phasenanalysen per Röntgenbeugungnachgewiesen (Abb. 1). Hierbei war das Abbau-verhalten von Gips unterschätzt worden, da inder Literatur für „Gipsbrennen“ häufig Werte ab120 °C angegeben werden. (Die Wasserabgabeverläuft aber in 2 Stufen und beginnt bereits bei40 °C.)Durch das heterogene Gefüge kam es zu einersehr ungleichmäßigen Durchtränkung des Objek-

Naturwissenschaftliche und technische Untersuchungen zu den Ursachen der Zerstörung und zur Entwicklung eines RestaurierungsverfahrensGabriele Grassegger

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tes, was Spannungen hervorrief. Der Sarkophagselbst war aber bis zum Kern laut 1H-NMR-Mes-sungen (Wasserstoff-Kernresonanzspektroskopie)durchtränkt worden. Bei der Bohrkernentnahmean der Skulptur des Hundes lagen die PMMA-Ge-halte (Polymethylmethacrylat-Kunstharz) an derOberfläche bei ca. 13 Gew.% PMMA, sie sankenbis zum Kern auf ca. 5% PMMA ab.Rasterelektronenmikroskopische Untersuchun-gen an dem Alabaster zeigten sehr deutliche An-lagerungen des Kunstharzes an den Gips und nursehr geringe Vakuolen und Luftbläschen (Abb. 2und 3).Es konnten Restspannungen im getränkten Ma-terial durch gezielte Befeuchtung von Probennachgewiesen werden, die zu weiteren Verwöl-bungen und Rissbildungen führten. Die Wasser-aufnahme lag bei dem Material noch bei ca. 0,5Gew.%, wobei eine reine PMMA-Probe 0% auf-weisen sollte.Die Temperaturdehnung αT des getränkten Ma-terials schwankte deutlich und unsystematischzwischen 1,7 bis 3,1 10-5 m/mK und zeigte einnicht lineares Temperaturdehnungsverhalten miteinem Knickpunkt, der auch stark schwankendzwischen +20 °C und +80 °C lag. Das PMMAselbst lag bei 7,3 10-5 m/mK bis zu einem Knick-punkt bei +25 °C und darüber bis 60 °C bei 10,510-5 m/mK. Dies bedeutet, dass ein heterogenesAusdehnungsverhalten vorliegt und sich die Aus-dehnungseigenschaften des Gipses und des PMMAs unterschiedlich überlagern, was wiede-rum zu Spannungszuständen bei Temperaturbe-lastungen führt.Entsprechend der αT-Bestimmungen und Glas-punktsbestimmungen mittels „DifferentiellerThermoanalyse“ (DTA) besaß das PMMA einenGlaspunkt bei ca. 60 °C.Im Tiefenprofil zeigten sich an einem optisch

gleichmäßig dichtem Bohrkern auch sehr großeUnterschiede in der Dampfdurchlässigkeit: Ander Oberfläche lag eine dichte Zone mit einerWasserdampfdiffusions-Widerstandszahl von µ =1200 vor und zur Tiefe schwankten die Wertezwischen µ = 380–2100.Nach der Schädigung trat durch den Kontakt mitder Luftfeuchte, und noch verstärkt durch die vie-le Feuchte bei der Aufmauerung über dem Gas-betonkern in der sehr feuchten Kirche, eine sehrschnelle Rückhydratisierung zu Gips und Span-nungen entsprechend den beschriebenen Ma-terialhetereogenitäten auf. Dies führte zu starkenVerformungen und in Teilbereichen zu Rissen undeiner Auflösung des Gefüges in Form von Treib-erscheinungen. Es lag somit aus naturwissen-schaftlich-technischer Sicht eine sehr ungünstige,vorher nicht erwartete und absehbare Verknüp-fung von schädigenden Faktoren vor.

Entwicklung von Restaurierungs-methoden

Es mussten mehrere Wege beschritten werden,bis eine erfolgreiche und praktisch umsetzbareMethode gefunden wurde. Der Prozess der Kon-servierungsversuche zog sich von 1986 bis insJahr 1998.Versuchen mit dem Ziel, das Harz mit verschiede-nen Lösungsmitteln wieder herauszulösen, warkein Erfolg beschieden. Es löste sich entwederfast nichts oder der Lösungsprozess führte zu ei-ner starken Anquellung des gesamten Gefüges,sodass diese Herangehensweise verworfen wur-de. Auch physikalisch ließ sich das Harz nicht zer-stören.Daraufhin wurden in den Jahren bis 1996 ver-schiedene kalterhärtende Kunstharze auf PMMA-Basis ausgetestet. Als bestes und bereits mehr-

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3 Grober Gipskristall (links) mit Kunstharzüberzü-gen. Die napfförmigen Gebilde sind Hohlräume imKristall, die von Harzfilmen ausgekleidet werden.Das blättrige Aggregat (rechts) ist vermutlich einneu entstandener Anhydrit mit poröser Struktur.Entnahmetiefe ca. 10 cm (Rasterelektronenmikros-kopische Aufnahme).

2 Stängeliges Gipsgefüge der sehr feinkörnigenAlabasterausbildung, das vom PMMA durchtränktund überzogen ist. Die großen Blasen (Vakuolen,unten) sind vereinzelte Stellen, in denen Luft einge-schlossen wurde. Probe aus ca. 10 cm Tiefe derHundeskulptur (RasterelektronenmikroskopischeAufnahme).

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Tabelle 1: Zusammensetzung der eingesetzten Restaurierungsmassen (Angaben von Firma Aedis, Möglingen).

Verwendungszweck Bezeichnung/Rezeptur

Kittmörtel, Feinmörtel für Antragungen FM1 = Bindemittel Acrylharzdispersion (Motema-WPC) mit dem Füllstoff Lenzin (Naturgips) versetzt, bis zur steif teigigen Konsistenz

Injektionsmörtelmischung und Kleber I2 = 100 GT*) Harz (Motema-Injektion PMMA 220) +1% GT Peroxidkatalysator plus 200 GT Vollglaskügel-chen < 50µ

Strukturelle Festigung des geschädigten Alabas-ters und Vorbehandlung der Rissflanken Tränkung mit 5%-iger PMMA-Lösung Finish X40 (wei-

terverdünnt mit Toluol auf 5% Harzgehalt, Ergebnissevgl.Tab. 2)

Zwischenbehandlung (Zwischenfirnis) Tränkung mit Finish X40, verdünnt auf 5% Harzgehaltmit Ethylacetat (um Anlösung der bisherigen An-tragungen zu vermeiden)

Abschlussbehandlung, Retusche R1 = Retusche auf den Antragsmörteln (Pigmente und Bindemittel Motema-WPC, d.h. Waterpolymer-Coating, eine einfärbbare, wasserverdünnbare Acrylat-dispersion. Pigmente: Mixol, angeriebene, natürlichehandelsübliche Pigmentmischungen)

*) GT= Gewichtsteile

Tabelle 2: Druckfestigkeiten an verschieden gefestigten Gipsproben (Größe ca. 5 x 5 x 2,5 cm, Prüfung in Anlehnung an Norm DIN EN 1926, Prüfung senkrecht zur Höhe).

Probe Behandlung Rohdichte Bruchkraft Druckfestigkeit

[kg/dm3] [N] [N/mm2]

1 gefestigt 2,26 23480,00 17,782 gefestigt 2,22 40750,00 30,573 gefestigt 2,20 34910,00 25,254 gefestigt 2,22 59850,00 46,615 gefestigt 2,21 25630,00 19,186 gefestigt 2,20 60050,00 44,96

Mittelwerte 2,22 40778,33 30,72A Gips, bruchfrisch 2,16 29870,00 19,41B Gips, bruchfrisch 2,24 28560,00 20,41C Gips, bruchfrisch 2,21 21120,00 17,88

Mittelwerte 2,21 26516,67 19,23

Tabelle 3: Zugfestigkeiten der Klebungen von zwei Gipsstücken mit verschiedenen Klebern auf Motema 220-Basis (gemessen nach der Norm DIN EN 12 372).

Probe Bruchlast, Zugfestigkeit

gesamt [N] [N/mm2]

K1-1 Klebung mit gefülltem Harz*) 1531 0,61K1-2 Klebung mit gefülltem Harz 1542 0,61K1-3 Klebung mit gefülltem Harz 2044 0,82K1-4 Klebung mit gefülltem Harz (vorzeitiges Versagen wegen Riss im Gips) 144 0,06K2 Motema 220 + 1% Härter, ungefüllt 2049 0,82K3 Motema 220 + 1% Härter, ungefüllt 822 0,33Durchschnitt 1355 0,54

*) vergleichbar Rezeptur I2 mit zusätzlich 1% Aerosil (gefällte Kieselsäure) als Füllstoff.

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fach ausgetestetes Grundprodukt erwiesen sichdie PMMA-Produkte einer Frankfurter Firma. Eshandelte sich um drei Kunstharztypen:1. Das physikalisch aushärtende und in Toluol

gelöste PMMA-Harz Finish X30 (oder X40),das in verschiedenen Konzentrationen ange-wendet wurde als:– Festigungsmittel in Form einer Tränkung– als Vorbehandlungsmittel an abmehlenden

Bereichen.2. Ein Kunstharzkleber auf PMMA-Basis Mo-

tema 220, der ein reaktives MMA-Harz dar-stellt, das mit Härtern und Katalysatoren ver-mischt zu einem PMMA-Harz kalt vernetzt. Erwurde verwendet als:– Bindemittel für Antragsmassen/Kittmörtel– Bindemittel für Rissinjektagemassen– Kleber.

3. Eine wasserlösliche und -verdünnbare Acryl-dispersion Motema-WPC, sie wurde verwen-det als:– Grundlage für Retuschen und hierbei mit

Pigmenten versetzt– Bindemittel für den Kittmörtel.

Die Rezeptierung der verschiedenen Massen aufBasis der obigen Harze und Optimierung der Ei-genschaften für die Anwendung sowie die farbli-che Abstimmung erfolgte durch das Restaurato-renteam unter Leitung von Georg Schmid (FirmaAedis, Möglingen). Wir hatten die Aufgabe, dietechnisch besten und stabilsten Varianten durchBelastungsprüfungen herauszufinden (vgl. Ta-belle 1).

Voruntersuchungen der Harze auf ihre Eignung

Die Kunstharze wurden auf ihre Eignung undDauerhaftigkeit in mehreren Tests untersucht.Dies umfasste künstliche Alterungssimulationen,Versuche zu ihrem Eindringverhalten in den Ala-baster, in Risse mit Messung der Klebkraft, sowieBestimmung der Festigungswirkung. All dies er-folgte an verschiedenen Rezepturen. Beispielhaftseien hier nur die Steigerung der Druckfestigkeitund der Klebkraft aufgeführt (Tabelle 2 und 3).

Festigung des Alabasters

Festigungen waren erforderlich, da der Alabasterzum Teil in Fehlstellen und an der Oberflächemehlig zersetzt war. Auch auf Rissflanken lagenz.T. mehlige Schichten vor, sodass er vor der Ver-klebung gefestigt werden musste. Es erfolgteeine Tränkung des gesamten Gipses mit Lösemit-tel und der Methacrylatlösung Finish X40 zurStrukturfestigung bis zur Sättigung bei Probe 1–6. Zum Vergleich wurde unbehandeltes bruchfri-

sches Alabastermaterial (Probe A–C) mit gemes-sen (Tabelle 2).Aufgrund dieser Ergebnisse konnte der Trän-kungserfolg (Festigung) als sehr gut bewertetwerden. Es kam zu einer erheblichen Druck-festigkeitssteigerung von im Durchschnitt 19 auf30 N/mm2, was einem Anstieg um ca. 50% ent-spricht. Bei zersetzten Gipsen, wie sie am Sarko-phag vorliegen, war mit einer noch besseren Festigkeitssteigerung zu rechnen, da mehr Trän-kungsmittel aufgenommen werden konnte unddie Restfestigkeit durch den Zerstörungsprozessauf nahezu null abgesunken war.

Verklebung der Risse im Alabaster

Die zahlreichen Risse im Alabaster und die geöff-neten Fugen zwischen den Teilstücken musstenohne sichtbare Veränderungen kraftschlüssig ver-klebt werden. Hierzu wurde originales Alabaster-material mit verschiedenen Abmischungen aufBasis Motema 220 verklebt (Tabelle 3).Die Ergebnisse zeigten, dass alle Zugversuche angeklebten Proben (sowohl gefüllte wie ungefüllteKleber) hohe Zugfestigkeitswerte besitzen, diehöher sind als der Stein selbst. Dies zeigt sichdurch den Bruchverlauf im Stein selbst, d.h. estritt ein so genannter Kohäsionsbruch im Steinauf.

UV-Beständigkeit und Alterungs-versuche an den fertigen Mischungen

Zur Sicherheit wurde die Dauerhaftigkeit der fer-tigen Rezepturen auf ihre UV-Beständigkeit hingetestet. Es sollten alle in Frage kommenden Re-zepturen (insgesamt 20 Varianten) belastet wer-den, um Veränderungen für die Zukunft auszu-schließen.Es wurde ein Klimasimulations-Gerät, Typ Global-UV-Testgerät, Modell UV 200 RB/20 DU, SystemWeiss, Bauart BAM, verwendet. In diesem Fallkam nur UV-Strahlung in einem Dauerklima ent-sprechend dem Raumklima zum Einsatz. Die UV-Belastung erfolgte in 2 Zyklen von insgesamt 300Stunden. Die Proben wurden senkrecht stehendeingebaut und jeweils zur Hälfte mit einer licht-undurchlässigen Folie abgedeckt (vgl. Abb. 4 und5).Die UV-Bestrahlung erfolgte mittels Leucht-stofflampen, die dem kurzwelligen Teil des Son-nenlichtes nahe kommen. Insbesondere die ener-giereichen UV-A und UV-B-Anteile (λ = 300–420nm), welche eine Photooxidation auslösen kön-nen, wurden durch die Bestrahlung nachgeahmt.Die eingesetzte Kombination der Leuchtstoff-röhren entsprach der Strahlenspektralverteilunggemäß Verfahren B der DIN 53384 E.

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Ergebnisse der UV-Alterung

Es konnten keinerlei UV-Alterungen oder sons-tige Schädigungen durch die Raumklimalagerungund UV-Bestrahlung festgestellt werden. Die Res-taurierungsmassen müssen in dieser Hinsicht alsdauerhaft und stabil bezeichnet werden.

Schlussbemerkung

Nach diesen ausführlichen Untersuchungen wa-ren die besten Voraussetzungen für eine nach-haltige Restaurierung des Grabmals geschaffen.Die kunstvolle Umsetzung durch das Restaurato-renteam ließ das Grabmal in seiner alten Schön-heit wieder erstehen.Zum zusätzlichen Schutz des Grabmals wird dieGrabkapelle klimatisiert, was Wechselbelastun-gen für die Zukunft vermeiden soll. Aus den ein-gangs erwähnten Gründen werden in der Grab-kapelle eine relative Luftfeuchtigkeit von 40%,maximal 45%, und eine Temperatur von mög-lichst konstanten 10 Grad Celsius angestrebt.

Untersuchungsberichte:

Grassegger, G. (1987): Hatzfeld-Grabmal, Bergkir-che Laudenbach – Untersuchung zur Schadensursa-che an einem Alabaster-Sarkophag nach einerKunstharz-Volltränkung, Nr. D3 140 008/GR. (Inter-ner Bericht des LDA vom 18.9. 1987)Grassegger, G. (2001): Restaurierung des Hatzfeld-Grabmals, Mechanische Untersuchung von Festi-gungen und Probeklebungen auf Alabastergips,Nr. 32–804073 (Interner Bericht der FMPA vom 2.7.2001)Grassegger, G. (2002): Restaurierung des Hatzfeld-Grabmals – Test der UV-Alterungsbeständigkeit beiden fertigen Restaurierungsmateralien (Kittmörtel,Klebungen, Injektagen und Retouchen), Berichts-nummer 32 804 073 000-2 (Interner Bericht derFMPA vom 3.5. 2002).

Dr. Gabriele GrasseggerOtto-Graf-Institut, Universität StuttgartForschungs- und Materialprüfungsanstalt fürdas Bauwesen (FMPA)Pfaffenwaldring 470569 Stuttgart

4 Der Kittmörtel der Re-zeptur FM1 vor (links)und nach (rechts) der UV-Bestrahlung. Es tratenkeinerlei Schäden auf(links mit UV-undurchläs-siger Folie abgeklebt).

5 Fertig retuschiertesMuster R1 nach der Alte-rungssimulation. Linksder abgedeckte Bereichwar nicht bestrahlt,rechts dagegen 300 h. Es ist keine Alterung er-kennbar.

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Beschreibung des Bestands und Zustands

Das Laudenbacher Grabmal für FeldmarschallGraf Hatzfeld wurde komplett aus Alabaster ge-arbeitet. Es bestand aus ursprünglich 79 zum Teilsehr großen Einzelstücken. Alabasterwerkstückedieser Größe sind eine Besonderheit.Bis zum Zeitpunkt unserer Beauftragung im Au-gust 2000 war das Grabmal, genauer seine mitt-lerweile noch weiter zerfallenen Einzelteile, ab-gebaut und in Kisten verpackt im Schloss Wei-kersheim eingelagert. Diese Lagerstätte war wieschon in den 80er Jahren gewählt worden, weildort konstante trockene Bedingungen herrschen.Wie an den Bildern vom Vorzustand zu sehen ist,war der Erhaltungszustand des Grabmals kata-strophal. An den Reliefdarstellungen fehlten Teileder Oberfläche. Diese waren in den vorangegan-genen Jahrzehnten zum Teil abgepudert und da-mit in der Bildaussage beeinträchtigt worden.Neuere flächige Verluste an den Reliefs warendurch Absprengungen von Schollen entstanden,die durch die mittlerweile mehrfach überfestigteOberfläche verursacht wurden. Durch extremeRissbildung war das Materialgefüge zudem starkgeschwächt. Dies äußerte sich in einem dichtenNetz feinster Haarrisse bis hin zu mehreren Milli-

meter breiten Rissen, die das ganze Kunstwerkdurchzogen. Im Zuge dieser Schadensentwick-lung hatten sich die 79 Werkstücke schließlich in217 einzelne Fragmente zerlegt.Einzelne Werkstücke wiesen zudem unterschied-lich starke Deformationen auf, insbesondere dieReliefplatten waren mehrere Zentimeter starkaufgewölbt. Große Teile der Alabasteroberflächewaren mit Gipsantragungen und Farbe überar-beitet. Somit war die materialeigene Struktur ver-fälscht.Die uns gestellte Aufgabe war bis zum damaligenZeitpunkt völlig neu, noch bei keiner anderen Res-taurierung bewältigt worden, zumal an einemAlabasterobjekt dieser bildhauerischen Qualität.Alle Aspekte dieser Konservierung und Restaurie-rung stellten eine besondere Herausforderung analle Beteiligten und unsere junge Werkstatt dar.

Vorbereitende Maßnahmen und Restaurierungskonzept

Bevor nun mit der eigentlichen Restaurierung be-gonnen werden konnte, wurden folgende vorbe-reitende Maßnahmen getroffen. Unsere Werk-statt in Ditzingen musste entsprechend den Vor-gaben mit einer speziellen Klimakammer ausge-rüstet werden.Die anstehenden Arbeiten erforderten einerseitseine genau einzuhaltende relative Luftfeuchtig-keit zwischen 40 und 50%, unabhängig davon,wie viele Personen an dem Objekt arbeiten.Andererseits musste ein umfangreicher Luftaus-tausch sichergestellt werden, da ausgiebig mitLösungsmitteln und stark die Atemluft belasten-den Harzen zu arbeiten war. Über die normaleAusrüstung einer Werkstatt für Steinkonservie-rung hinaus musste diese mit Luftentfeuchtern,einer Absauganlage mit Aktivkohlefilter und Ab-saugessen nachgerüstet werden. Diese Installa-tionen produzierten eine enorme Abwärme, diees erforderlich machte, in den Sommermonatenzusätzlich noch eine Klimaanlage zu installieren.Im Schloss Weikersheim wurden die Teile Ende1999 für den anstehenden Transport sorgfältigverpackt. Zuvor wurde jedes der Einzelteile syste-matisch durch einen Fotografen aufgenommen.Der Transport von Schloss Weikersheim in unsereWerkstatt erfolgte durch eine speziell ausgerüs-tete Kunsttransportfirma.Das Restaurierungskonzept wurde eigens auf dasangetroffene Mischmaterial aus Alabaster, Gips

1 Eine bandagierte Sarkophagecke vor derNotbergung 1993. Foto:Katholische Kirchen-gemeinde Laudenbach.

Bericht über die aktuelle RestaurierungGeorg Schmid

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und dem durch die Acrylharz-Volltränkung ein-gebrachten Polymethylmetacrylat abgestimmt.Die Feinabstimmung der für die Konservierungund Restaurierung vorgesehenen Materialienwurde an 70 materialgleichen Probekörperndurchgeführt. Dafür wurden im noch erhaltenenForchtenberger Stollen, in dem bereits die Bild-hauerdynastie Kern ihr Material unterirdisch ab-gebaut hatte, Alabaster neu gebrochen. Darauswurden Probekörper hergestellt. Die so produ-zierten Versuchsobjekte wurden restauratorischbearbeitet und für die naturwissenschaftlichenUntersuchungen und Tests vorbereitet. Sämtlichefür die Restaurierung eingesetzten Materialienwurden anschließend an diesen Objekten von derForschungs- und Materialprüfungsanstalt für dasBauwesen an der Universität Stuttgart auf ihreAnwendungsmöglichkeiten und ihre Unbedenk-lichkeit untersucht.

Konservierung und Restaurierung

Kontinuierlich arbeiteten im Zeitraum von Fe-bruar 2001 bis März 2002 zwei Restauratoren andiesem Projekt. Wenn bestimmte Arbeitsschritteeine höhere Kapazität notwendig machten, ka-men noch weitere vier Fachkollegen hinzu.Als wichtigste Maßnahme der Konservierung wardie strukturelle Festigung des geschwächten Ma-terialgefüges anzugehen. Für den Festigungsvor-gang stellte sich eine dreistufige Vorgehensweiseals praktikabel und erfolgreich heraus.Als erster Arbeitsschritt der Festigung wurde mit-tels Spritzen mit Kanülen ein dünnflüssiges Kunst-harz auf Einkomponentenbasis eingebracht. Die-ser erste Arbeitsschritt diente zur Festigung feins-ter Haarrisse bis auf eine Rissweite unter 0,1 mmsowie der strukturellen Festigung der Rissflanken.Als zweiter Arbeitsschritt wurde ein Acrylharz aufZweikomponentenbasis eingespritzt zur Festi-gung von Rissen bis 1 mm Größe.In der dritten Arbeitsphase wurden Risse, diegrößer als 1mm waren, mit demselben Kunstharzauf Zweikomponentenbasis unter Zugabe vonkleinsten Glaskügelchen verfüllt. Die Glaskügel-chen als Zuschlag verringerten das Schrumpfendes Kunstharzes beim Abbinden.Nach Abschluss der Festigung konnten nun dieEinzelteile zusammengefügt und mit einem

Acrylharz ebenfalls auf Zweikomponentenbasisverklebt werden. In einigen Bereichen, in denenes die Statik der Einzelteile notwendig machte,wurden die Klebungen durch Dübel aus V4A-Stahl oder Glasfaserstäben unterstützt. Durch dievorgefundenen zum Teil unterschiedlichen Ver-formungen einzelner Teilstücke gestaltete sichdas exakte Anpassen der Bruchkanten als äußerstschwierig. Teilweise konnten daher kleinere Ver-sätze an den Bruchkanten nicht vermieden wer-den.Ein weiterer wichtiger Arbeitsgang war die Reini-gung von Schmutzablagerungen und die Ab-nahme von Farbüberzügen. Letztere waren of-fensichtlich bei den vorangegangenen Restaurie-rungsmaßnahmen als Retuschen und Überzügeaufgebracht worden und bereits nach kurzer Zeitstark vergilbt. Nachdem durch naturwissenschaft-liche Untersuchungen die Zusammensetzung derÜberzüge analysiert war, konnte das Reinigungs-mittel bestimmt werden. Gereinigt wurde mit or-ganischen Lösungsmitteln (Xylol). Um ein länge-res Einwirken zu gewährleisten, wurden sie mit-tels Kompressen aufgebracht. Die so angelöstenVerschmutzungen und Farbüberzüge konntenanschließend mechanisch abgenommen werden.Leider konnten nicht sämtliche Farbveränderun-gen, die durch frühere Restaurierungen im Ala-bastermaterial entstanden waren und nun durch

2 Das bandagierte Albruck-Relief vor der Notbergung 1993.Foto: Katholische Kir-chengemeinde Lauden-bach.

3 Schematischer Schnittdurch den geschädigtenAlabaster des Lauden-bacher Grabmals. a: Darstellung des erstenArbeitsschrittes, der Festi-gung. b: Darstellung deszweiten Arbeitsschrittes,dem Ausspritzen des Ris-ses. c: Darstellung desdritten Arbeitsschrittes,der Rissverfüllung.Vorlage: Aedis, Möglin-gen.

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das Acrylat in diesem unlöslich eingebunden wa-ren, rückgängig gemacht werden.Nach Festigung, Klebung und Reinigung erfolgtedas Kitten der Fehlstellen. Als Kittmasse wurdeeine Mischung aus wässriger Kunstharzdisper-sion und ungebranntem Alabastergips verwen-det. Um die Anschlüsse beim Aufbau des Grab-males und seine Lesbarkeit als Gesamtform zugewährleisten, wurden die Außenkanten derkonstruktiven Werkstücke in ihrer Linienführungergänzt. An den Reliefdarstellungen wurden le-diglich konservierende Kittungen zur Stabilisie-rung im geringst notwendigen Umfang durchge-führt. Auf Rekonstruktionen wurde entspre-chend dem restauratorischen Konzept verzichtet.Das Ergänzungs- und Kittmaterial wurde auf-grund der stark changierenden Farbigkeit des

Alabastermaterials und zur Sicherstellung dermaximalen Qualität des Kittes nicht eingefärbt.Im Anschluss an die Kittung wurde ein Schutzü-berzug aus der 5%-igen Lösung eines Acrylhar-zes aufgebracht. Darauf folgte die farbige An-gleichung der Kittungen, also die Retusche. Diesewurde so ausgeführt, dass die retuschierten Kit-tungen aus der Nähe betrachtet noch zu erken-nen sind, aus der normalen Betrachtungsentfer-nung jedoch ein geschlossenes Gesamtbild er-scheint. Für die Retuschen wurden nur hochlichtbeständige Pigmente verwendet, um spätereFarbveränderungen zu vermeiden. Abschließendwurde noch eine Lösung aus mikrokristallinemWachs aufgebracht, als Schutz und um einengleichmäßigen seidenmatten Glanz zu erzeugen.Das Grabmal war in der Vergangenheit immer

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4 a u. b Die Deckplattemit der Liegefigur vorund nach dem Zusam-menfügen und Verdübelnder 14 Fragmente. Foto:Aedis, Möglingen.

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über einem gemauerten Kern versetzt. Diese Artdes Aufbaus war wegen der sehr starken und ir-reversiblen Verformungen der Einzelteile zwin-gend auszuschließen. Stattdessen wurde ein Auf-bau gewählt, der über einem flexibel anpassba-ren Edelstahlgerüst erfolgte. Die einzelnen Teilesollten nicht aufeinander lasten, sondern mitmöglichst engem Fugenbild montiert werden.Gleichzeitig sollte den Einzelstücken genügendFreiraum gegeben werden, um eventuelle Aus-dehnungen spannungsfrei zu ermöglichen.Zur Vorbereitung der Wiederaufstellung wurdedie unterste Ebene des Grabmals in der Werkstattexakt ausgerichtet und ausgelegt. Danach wurdedie korbartige Innenkonstruktion in ihrem Grund-riss festgelegt. Nachdem dieser Korb hergestelltwar, wurden die seitlichen Teile des Grabmalsprobeweise eingefügt und die Befestigungen jus-tiert. Die Befestigungen mussten individuell drei-dimensional – auch in der Tiefe – mittels Stell-schrauben an die Topographie jedes Einzelteils

angepasst werden. Dabei waren immer wiederModifikationen des Korbgestells und der An-schlüsse erforderlich. Dies führte Zug um Zug zueinem vollständigen Probeaufbau in der Werk-statt. Die dabei aufgetretenen und gelösten Pro-bleme hätten in der Grabkapelle in Laudenbachnicht mehr so befriedigend gelöst werden kön-nen.Bei der gesamten Konservierung und Restaurie-rung des Hatzfeldgrabmals wurde mit allerhöchs-ter Sorgfalt und Disziplin, auch bei der Verarbei-tung der neu modifizierten Materialien, vorge-gangen; dieses Vorgehen gewährleistet dieNachhaltigkeit der jetzt durchgeführten Maß-nahme.

Dipl.-Rest.(FH) Georg SchmidKirchgartenstraße 371696 Möglingen

5 a–c Der Putto mit demWildenburger Wappenvom Kopfende des Grab-mals im Vor-, Zwischen-und Endzustand. Foto:Aedis, Möglingen.

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Zur Klimatisierung der Grabkapelle

Voraussetzung für die Klimatisierung der Grabka-pelle war, diese vom Hauptschiff abzutrennen. Dadie schmiedeeisernen Gittertore zur Grabkam-mer im Regelfall geschlossen bleiben und unan-gemeldete Besucher das Grabmal des Grafen vonHatzfeld nur durch die Glastüren betrachten sol-len, war es wichtig, dass die Abtrennung höchsttransparent ausfällt. Um auch die optische Ver-bindung zwischen Schiff und Grabkapelle zu er-halten, wurde die Klimaschranke folglich gläsernausgebildet und am Eingang zur Grabkapellezwischen die Mauerlaibung eingebaut. Reduzier-te, vom Schlosser gefertigte Rahmenprofile wur-den weitgehend in die Wand eingelassen, umden historischen Durchgang sowohl funktionalwie gestalterisch möglichst wenig einzuengen.Die Tür ist in Anlehnung an eine vorhandeneschmiedeeiserne Tür zweiflüglig ausgebildet. Ei-ne exzentrische Achse machte rahmenlose Flü-geltüren ohne weitere Bänder möglich. Die – imeigentlichen Wortsinn – bauliche Zutat ist somitzeitgemäß, ohne den historischen Raum zu do-minieren.Die Technik für die Klimatisierung wurde in einerfreien Grablage in der westlichen Wand unterge-bracht. Das nötige Lüftungsgitter beeinträchtigtjedoch in seiner Gestalt und Farbgebung denRaum nicht.Die Klimatisierung des Raumes ist die wesentlicheGrundlage für die Nachhaltigkeit der jetzigen Res-taurierung. Der Alabaster des Hochgrabs hat inerster Linie wegen zu hoher und zu stark schwan-

kender Feuchtigkeit Schaden genommen. Bei Kli-maaufzeichnungen von März 1996 bis Dezember1997 konnte festgestellt werden, dass die Luft-feuchtigkeit in der Grabkapelle vor Durchführungder Rettungsaktion sehr häufig 100% relativeLuftfeuchtigkeit erreichte. Kondensierendes Was-ser an den Oberflächen der Bauteile sowie amAlabasterhochgrab war die Folge.Die jetzige Klimatechnik soll sicherstellen, dass inder Grabkapelle die relative Luftfeuchtigkeit beimaximal 45% und die Temperatur bei durch-schnittlich 10° Celsius gehalten wird.

Die Entwicklung der Tragkonstruktionim Kern des Grabmals

Neben der eigentlichen Restaurierung des Hatz-feldgrabs kam der Konstruktion eines Tragge-stells für den Alabastersarkophag besondere Be-deutung zu.Das Alabastergrabmal war gemauert, und zwardie Alabasterplatten über einem Ziegelsteinkern.Infolge der starken Schwächung der Alabaster-elemente, wie schon ausführlich beschriebenwurde, konnten und durften diese einander nachdem Wiederaufbau nicht mehr belasten. Nur sowird sichergestellt, dass zu den aufgetretenen in-neren Kräften keine äußeren Kräfte hinzukom-men. Das Zweitgrab in Prausnitz hat ein Gesamt-gewicht von ca. 68 Zentnern. Das LaudenbacherGrabmal hatte ursprünglich in etwa das gleicheGewicht, wobei die verschiedenen Volltränkun-gen sicherlich dazu geführt haben, dass das jet-zige Gewicht deutlich höher ist.

1 Das stählerne Trag-gestell des Grabmals bei der Montage im März2002. Foto: R. Vix,Niederstetten.

2 Die Kopfseite desGrabmals im Zwischen-zustand. Foto: R. Vix, Niederstetten.

Bauphysikalische Verbesserung der Grabkapelle und die Entwicklung der Trag-konstruktion im Kern des GrabmalsRobert Vix

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Neben den statischen Anforderungen kam dieNotwendigkeit hinzu, eine Konstruktion zu fin-den, die in der Lage ist, die beträchtlichen Ver-formungen aufzunehmen. Darüber hinaus war esunabdingbar, die Elemente derart fügen zu kön-nen, dass ein ansehnliches Gesamtbild des Sar-kophags entsteht.Das Grabmal hat ein aufwändiges Innenleben ausEdelstahl erhalten. Die Anforderung an die Halte-konstruktion besteht darin, jedes einzelne Alabas-terstück für sich zu tragen. Zudem muss jedesAlabasterstück in Lage und Ausrichtung dreidi-mensional verstellbar getragen werden. Die Kon-struktion wurde von unserem Büro entwickeltund in enger Abstimmung mit Restauratoren undSchlossern modifiziert und weiterentwickelt.Der Aufbau des Hochgrabes konnte dank der va-riablen Montagemöglichkeiten systematisch, Zugum Zug erfolgen. Die Einzelteile wurden in ihrerLage definiert und mit Fingerspitzengefühl jus-tiert.Das teure Stahlobjekt ist hinter dem frisch res-taurierten Werk des Bildhauers Achilles Kern ver-

steckt. Die vielen Stellschrauben, Halterungen,Knöpfe und Auflager sollen ihren Dienst weitest-gehend im Verborgenen leisten. Der aufmerk-same Betrachter wird jedoch erkennen können,wie das leidgeprüfte historische Werk durch einKorsett gestützt wird.

Zum guten Schluss

Die Mittel für die Restaurierung wurden von vie-len verschiedenen Seiten aufgebracht. Wenn ei-nige Zeit vergangen ist, wird niemand mehr vonden Kosten sprechen. Das Grabmal des Melchiorvon Hatzfeld jedoch wird sicherlich vielen Be-trachtern Freude bereiten. Nach Anmeldung kön-nen Interessierte das Grabmal aus nächster Näheunter Führung besichtigen.Für die Erhaltung des Grabmals von Melchior vonHatzfeld müssen weiterhin Gelder, Kraft und En-ergie aufgewendet werden. Die Klimaanlage be-darf der ständigen Wartung und Kontrolle. In die-sem Zusammenhang werden weiter kontinuier-lich Klimamessungen durchgeführt. Der laufendeBetrieb der Technik wird Kosten verursachen, diejedoch Voraussetzung für eine langfristige Erhal-tung des hochwertigen Grabmals sind.

Robert VixFreier Architekt BDATorgasse 297996 Niederstetten

3 Die Grabkapelle in derBergkirche mit schmiede-eisernem Gittertor undgläsernem Abschluss-element, Frühjahr 2002.Foto: R. Vix, Nieder-stetten.

4 Die Westseite derGrabkapelle mit derdurch Lamellentüren geschlossenen Technik-nische. Foto: R. Vix,Niederstetten.

5 Das konservierte und restaurierte Grabmaldes Feldmarschalls Melchior Graf von Hatz-feld, Zustand 2002.

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Vom Sakralbau zum Wohngebäude

Die Schmiedelfelder Schlosskapelle war 1837 inein Wohngebäude mit Gastwirtschaft und Stallumgebaut worden. Die Ausstattung der Renais-sancekirche bestand neben Empore, Kanzel undAltar vorwiegend aus einzelnen Grabplatten so-wie zwei großen Epitaphen der Schenken Johannund Karl. Die vor allem aus Sandstein gefertigtenGrabdenkmäler wurden im Zuge der Profanie-rung demontiert, zerschlagen und als Streifen-fundamente der eingezogenen Fachwerkwändezweitverwendet. Mit der Abarbeitung aus derFlucht hervorstehender Teile (Schmuckelemente,Profile) wurden die Bauteile in Quader für dieSchließung von Maueröffnungen umgewandelt.Die abgespitzten Kleinteile sowie der Stuck, dersowohl an der Raumschale als auch an einzelnenAusstattungsstücken angebracht war, wurdenzur Anhebung des Bodenniveaus im Kirchenschiffeingesetzt.

Das Epitaph des Schenken Johann undseiner Gemahlin Eleonora

In schriftlichen Quellen, in denen von mehrerenGrabdenkmalen die Rede ist, wird von einem be-sonders prunkvollen Epitaph gesprochen, dassich die Erbauer der Schlosskapelle, der Limpur-ger Erbschenk Johann und seine Frau Eleonora,1603 von dem fränkischen Bildhauer Hans Wer-ner (HW) erschaffen ließen. Pfarrer Heinrich Pre-scher benennt 1790 das Epitaph als das prächtig-ste der ganzen Kirche. Er beschreibt es als Mate-rialkombination mit zweiteiligem Aufbau:Auf einem mit zwei Inschrifttafeln versehenen

Unterbau befanden sich die lebensgroßen Kalk-steinfiguren des Stifterpaares kniend einanderzugewandt. Dahinter erhob sich in „zweyenrecht schönen modellierten Säulen die ein Gebälkund darüber einen Aufsatz tragen das Monu-ment bis an die Kirchendecke“. Die Säulen warenmit Ahnenwappen aus Alabaster geziert, ihrePostamente mit ei-förmigen Achaten versehen.In der Mitte, zwischen den Säulen, befanden sichdrei hochrechteckige Felder aus Alabaster (oderStuck) mit folgenden Darstellungen:unten: Jesus am Kreuz mit fünf klagenden FrauenMitte: Christi Auferstehungoben: Wolkenhimmel mit silbernem Kreuz.Als figürliche Zierde nennt Prescher verschiedenesymbolische Figuren aus Alabaster, die den obe-ren Bereich sowie die Seiten des Epitaphsschmückten.Vor dem Epitaph befand sich die Grablege desSchenkenehepaars. Sie war durch eine weitere le-

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1 Schlosskirche Schmie-delfeld, Blick auf densüdwestlichen Kirchen-schiffbereich währendder Ausgrabungen von1994/95. Die Zwischen-decke ist hier noch nichtentfernt. Die sichtbarenGroß- und Kleinfrag-mente fanden sich als Bodenschüttung und alsFundamente der Decken-stützen.

Das wieder gewonnene Stifterepitaph der Schmiedelfelder SchlosskapelleEin Puzzle mit vielen Unbekannten

Mit der Restaurierung der Schmiedelfelder Schlosskapelle wurde ein Kultur-denkmal wieder zum Leben erweckt, das lange Zeit als zweckentfremdetesGebäude ein tristes Dasein fristete. Als 1992 die Planungsphase zur Wieder-herstellung der Kapelle begann, ahnte niemand, welche Entdeckungen dieersten Rückführungsmaßnahmen zutage bringen würden. Eine Vielzahl vonSteinfragmenten wurde bei den Umbaumaßnahmen geborgen. 1999 wurdendie Grabdenkmäler der Kapelle Gegenstand meiner Diplomarbeit, in derenVerlauf ein Großteil der Ausstattung in Zusammenarbeit mit dem Landesdenk-malamt an den Ursprungsstandort zurückgeführt werden konnte.

Silke Günther

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bensgroße Darstellung der Figuren, „liegend aufeinem Paradebette ... mit betend gefalteten Hän-den, aus einem harten Werkstein gehauen“,kenntlich gemacht. Der gesamte Bereich wurdedurch ein eisernes Gitter eingefasst. Der Bild-hauer Hans Werner (HW) hatte sich am Epitaphin sitzender Haltung mit Klöpfel und seinem Na-men verewigt und das Vollendungsjahr 1603 zu-gefügt. Leider ist dieses Selbstbildnis mit Inschriftnicht wieder gefunden worden, sondern nurdurch Preschers Beschreibung überliefert. HansWerners Geburtsdatum ist nicht bekannt. Nacheinem Selbstbildnis am Grabdenkmal des GeorgGroß, Forchheim von 1590 kann angenommenwerden, dass er um 1560 geboren wurde. Tätigwar er vorwiegend im fränkischen und württem-bergischen Raum. Er starb 1623 in Nürnberg.Hans Werner benutzte mit Vorliebe feinkörnigeSandsteine, die die Einzelheiten seiner Ornamen-tik scharfkantig abbildeten. Daneben verwendeteer grobkörnige, graue oder rote Sandsteine, aberauch Alabaster, grauweißen und roten Marmor,Kalkstein und Achate für Einlegearbeiten. Zahl-reiche seiner Epitaphe bestehen aus Material-kombinationen. Es ist bekannt, dass er auf Poly-chromie durch die Wahl verschiedener Materia-

lien zielte und nur sehr reduziert mit Farb-fassungen arbeitete (partiell Schwarz und Gold).Seine Werke signierte er in vollem Namen odermit dem Kürzel HW. Mit Vorliebe bildete er sichauch selbst daran ab.

Sichergestellte Fundstücke der ehemaligen Ausstattung

Bei den bauarchäologischen Untersuchungen ab1994 stieß man auf erste Fragmente in Bodenund Mauerwerk. Im Zuge der Freilegungsarbei-ten kamen immer mehr Sandstein-, Stuck- undauch Alabasterfunde zutage. Die Größe der Fun-de reichte von zentimeterkleinen Einzelteilen biszu metergroßen Quadern. Neben den vorwie-gend architektur- und bauschmuckbildendenFundstücken, die zum größten Teil den beidengroßen Epitaphen Schenk Johanns und SchenkKarls zuzuordnen sind, wurden Teile einzelnerGrabplatten sichergestellt, die aufgrund desWappenbesatzes oder ihrer Inschriften weiterenin Schmiedelfeld residierenden Schenken sowiederen Angehörigen zugeschrieben werden konn-ten.Die in kniender Haltung aus Kalkstein gearbeite-ten Abbilder des Schenkenpaars Johann undEleonora (Bestandteile des Stifterepitaphs) fielendem Abbruch im 19. Jahrhundert nicht zum Op-fer. Nach mehreren Standortwechseln wurden sie1963 in der Michaelskirche in Sulzbach aufge-stellt. Die Figuren wurden in der Kunstgeschichteimmer als die einzigen Überreste des Johann-schen Epitaphs benannt. Erfreulich ist die Tatsa-che, dass mittlerweile auch die in Vergessenheitgeratenen Säulen des Johannschen Epitaphs imnahe gelegenen Gaildorf gefunden wurden.

Materialcharakteristik

Kalkstein

Nach optischen Kriterien und geografischen Be-gebenheiten handelt es sich bei dem Kalkstein,aus dem die lebensgroßen Stifterfiguren gearbei-tet sind, um einen graugelblichen Jurakalk, deraufgrund seiner Polierbarkeit, mineralogisch un-richtig, allgemein auch als Juramarmor bezeich-net wird. Für den verwendeten Kalkstein kom-men als Abbaugebiete mehrere Steinbrüche inFrage. Lokal findet sich vergleichbares Material inTreuchtlingen, Eichstätt und Urach.

Sandstein

Der Großteil der sichergestellten Fundstücke be-steht aus feinkörnigem, graugelblichem Sand-stein. Den Quellen zufolge hat der Bildhauer des

244

2 Restaurierte Grabplattedes Schenken JohannWilhelm (1607–1655).Sie wurde im 19. Jh. indrei hochrechteckigeQuader zerlegt und alsFensterlaibungen zweit-verwendet.

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Johannschen Epitaphs unter anderem mit Ge-steinsmaterial aus Nesselbach gearbeitet.

Alabaster

Kleine Bruchstücke aus weißem Alabaster stellenTeile einstiger Ahnenwappen dar. Den Quellen istzu entnehmen, dass das Johannsche Epitaph mitWappenbehang geschmückt war. Woher dasMaterial stammt, konnte nicht ermittelt werden.Weißer Alabaster wurde in Bad Windsheim (Fran-ken) und in Nordhausen (Thüringen) gewonnen.Bei den lokalen Alabastervorkommen in Schwä-bisch Hall, Forchtenberg, Kesselbach und Michel-bach handelt es sich um eine graue Varietät.

Vorgehensweise bei der Zuordnung derFundstücke

Zunächst kamen alle Fundstücke als potenzielleBauglieder des Johannschen Epitaphs in Betracht.Nach ersten Untersuchungen sollte sich jedochherausstellen, dass die Vielzahl der Fragmenteunmöglich an nur einem Grabmonument verbautgewesen sein konnten. Der Sakralbau diente alsGrablege der in Schloss Schmiedelfeld herrschen-den Schenken. Neben Schenk Johann ließ sichauch sein Nachfolger, Schenk Karl (1569–1631)ein großes Epitaph errichten. Des Weiteren be-fanden sich in der Kapelle mehrere Grabplattennachfolgender Schenken und derer Angehöri-gen. Ein Umstand der die Zuordnung der Fundeimmens erschwerte und eine intensive Beschäfti-gung mit den einzelnen Fragmenten erforderte.Erkennbar unterschiedliche Gesteinsvarietätenwurden nicht verwendet, sodass nur gestalteri-sche Aspekte für die Zuordnung herangezogen

werden konnten. Ausgehend von der Rekon-struktion des Johannschen Epitaphs und demAussortieren der ihm nicht zugehörigen Frag-mente, konnte gewissermaßen als Nebenproduktder Untersuchungen ein Teilbereich des Karl-schen Epitaphs, bestehend aus Inschrifttafelnund Gebälkzone, rekonstruiert werden.Als Hilfestellung für die Zuordnung standen imWesentlichen drei Informationsquellen zur Verfü-gung:

Die Quellenbeschreibungen sowie die Betrach-tung von Vergleichsobjekten

Die Beschreibung von Pfarrer Prescher (1790) gibtgrundlegende Informationen zum Aufbau des Jo-hannschen Epitaphs. Daneben existiert ein Aus-zug aus der Pfarrbeschreibung Sulzbach am Ko-cher von Pfarrer M. Hocs (1828). Diese beidenDokumente bilden die einzigen Abhandlungen,die den Kapellenbau vor dem Umbau im 19. Jahr-hundert beschreiben.Neben einer allgemeinen Betrachtung der Epita-phe um 1600 wurden als direkte Vergleichsob-jekte die Grabdenkmäler Hans Werners in Würt-temberg und Franken herangezogen.

Der historische Standort

Nach dem Entfernen der Zwischendecke von1837 sowie jüngerer Putze wurde an der südli-chen Chorbogenwand der Umriss eines Wand-aufbaus mit Ankerlöchern sichtbar. Am Fuße des-selben wurde ein Fundament freigelegt. DieseUmstände sowie die Quellenbeschreibungen be-kräftigten die Annahme, dass hier einst das Jo-hannsche Epitaph stand.

245

3 Zustand der Kirche imNovember 1998. Blickvon Osten auf die Chor-bogenwand und in denChor. Zwischendecke undRaum einteilende Trenn-wände sind bereits ent-fernt, die spitzbogigenMaßwerkfenster wurdenfreigelegt. Auf der linkenSeite, der südlichen Chor-bogenwand, ist der Um-riss des Johannschen Epi-taphs durch die Putzkan-te erkennbar. Beim Aus-hub des Bodens wurdeeine Vielzahl von kleinfor-matigen Steinfragmentenund Stuckteilen sicherge-stellt. Eine Auswahl die-ser Fundstücke lagert hierin den Holzkisten.

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Der Putzumriss stellt eine Art Negativabdruck desoberen Epitaphbereichs dar. Die im Mauerwerkeingearbeiteten Ankerlöcher wurden eingemes-sen und kartiert. Sie gaben entscheidende Hin-weise für die Zuordnung sowie die ursprünglichePosition der Fragmente. Fundament und Positionder Grablege boten Hilfestellung bei der Rekon-struktion der ursprünglichen Tiefe des Unterbaus.

Die sichergestellten Fragmente

Um unter den mehreren hundert Einzelteilen, diedem Johannschen Epitaph angehörten, zu ermit-teln, war eine umfassende Untersuchung jedeseinzelnen Fragments notwendig. Im Mittelpunktstanden konstruktive sowie gestalterische Krite-rien. Zur Verdeutlichung diente die zeichnerischeund fotografische Erfassung einzelner Frag-mente.

Konstruktive KriterienZunächst wurden die Abmessungen der einzel-nen Bauteile ermittelt. Dübellöcher an den Fund-stücken gaben Hinweise auf Bauschmuck oder

Ähnliches. Die Positionen der Ankerlöcher konn-ten mit den Ankerlochbefunden an der Chorbo-genwand abgeglichen werden und Reißlinien anden Fragmenten gaben Informationen über an-grenzende Bauteile.

Gestalterische KriterienDie sichergestellten Fragmente waren vorwie-gend Bestandteile der beiden großen Grabmonu-mente. Da beide Epitaphe nicht von gleicherHand gefertigt wurden und zwischen den Entste-hungsdaten ca. 30 Jahre liegen, konnte davonausgegangen werden, dass sich der Bildhauer desKarlschen Epitaphs nicht der gleichen For-mensprache bediente wie Hans Werner. Bevor-zugte Ornamentgestaltungen wurden an Ver-gleichsobjekten ermittelt, sodass Fundstücke al-lein durch Ihre Stilistik dem Johannschen Epitaphzugeordnet werden konnten.Die architektonische Form der Fragmente gabAufschlüsse über die Funktion/ Lage der Bauglie-der im Epitaphverband sowie angrenzender Bau-teile. So konnte es sich bei Konsolen mit rundenAuflageflächen beispielsweise nur um säulentra-gende Sockelelemente handeln oder aber Resteeines Architravs an einzelnen Fundstücken dieZuordnung derselben zu einer Gebälkzone be-deuten.

Umgang mit Fehlstellen und fehlendenBauteilen

Nach eingehender Analyse der aufgeführten In-formationsquellen war es in mühevoller Arbeitmöglich, eine Vielzahl der kleinen Fragmente ent-sprechenden Bauteilen zuzuordnen. So konnteein nicht unbeträchtlicher Teil der Profilläufe unddes plastischen Schmucks wieder passgenau ver-klebt werden. Neben den Totalverlusten (nichtwieder gefundene Bauteile), die bei beiden Epita-phen einen Umfang von ca. 50% ausmachen,blieb auch an den gefundenen Bauteilen bis zu30% der gestalterischen Ausformulierung verlo-ren. Durch den Abbruch im 19. Jahrhundert sindan den Fragmenten neben zahlreichen Formver-lusten auch Proportionsverluste zu beklagen. ImMittelpunkt der restauratorischen Arbeiten standhinsichtlich der Präsentation am historischenStandort die Frage, in welchem Umfang zu er-gänzen sei.

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4–6 Die Einzelfragmenteder linken Kapitellzone(Johannsches Epitaph).Die Akanthusblattgestal-tung mit den verdicktenBlattenden ist bei den Ar-beiten des Bildhauers HWcharakteristisch.

7 Restaurierte Kapitell-zone. Die Einzelteile wur-den miteinander verklebtbzw. kluftüberbrückendverdübelt. Mittels Mörtel-ergänzung wurde die ar-chitektonische Grund-form des Bauteils wieder-hergestellt. Eine Ergän-zung fehlender Schmuck-elemente war nicht vor-gesehen.

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Ein Verzicht auf jegliche Form der Ergänzung er-schien aufgrund der stark fragmentarischen Zu-stände der Einzelteile nicht möglich. Eine einheit-liche Gestalt konnte durch fehlende Kontakt-flächen der Bauteile untereinander nicht erwartetwerden. Zusätzlich hätten sich die zahlreichenAbbruchkanten der Fehlstellen optisch in denVordergrund gedrängt.Eine Ergänzung aller in ihrer ursprünglichen Formbekannten Bereiche würde den gewaltsamen Ab-bruch des Epitaphs und damit die Profanierungder Schlosskapelle angesichts der vielen Totalver-luste zwar nicht vergessen lassen, aber doch ka-schieren. Gerade die mit Spitzhieben versehenenSteinbereiche sollten als Zeugen der Zerstörungim 19. Jahrhundert belassen werden.Um den rekonstruierten Epitaphbereich mit sei-nen Einzelfragmenten wieder in einer Einheit zupräsentieren, erschien es notwendig, den Bautei-len ihre architektonische Funktion zurückzuge-ben. Bei der Ergänzung architektonischer Form-verläufe wurde die Ausformulierung der Profileund Ornamente nur bedingt vorgenommen. Umden kubischen Formergänzungen ihren blockhaf-ten Charakter zu nehmen, war es sinnvoll, Teileder Gliederungselemente (Profilverläufe) redu-ziert in die Ergänzungen aufzunehmen. Der ar-chitektonischen Grundform folgend, wurden dieErgänzungen einige Millimeter unter Niveau aus-geführt. Durch eine Absetzung sollte die Origina-lität der Fragmente gegenüber den formal not-wendigen Ergänzungen bewahrt werden.Statisch wichtige Bauteile mussten ergänzt wer-den. Durch den symmetrischen Aufbau der Epi-taphe war die Gestalt oder zumindest die Grund-form einzelner fehlender Teile weitestgehend be-kannt. Die Ergänzung lehnte sich in reduziertausgearbeiteter Form (Aufnahme wichtiger Glie-derungselemente) am Originalbestand an.Für die nicht rekonstruierbaren Bereiche insbe-sondere am Johannschen Epitaph (Sockelzoneund Epitaphaufsatz) musste eine Lösung gefun-den werden, die sich gegenüber den originalenTeilen unterordnet und gleichzeitig die ursprüng-liche Gestalt des gesamten Epitaphs widerspie-gelt. Hinweise auf den nicht mehr vorhandenenAufsatz des Johannschen Epitaphs liefert nur derPutzumriss an der Chorbogenwand. Um dem Be-trachter ein Bild von der ursprünglichen Gestaltdes Aufsatzes zu vermitteln, wurde entsprechendkonservatorischem Konzept der durch die Putz-kante entstandene Negativabdruck durch einensich farblich absetzenden Rauputz kenntlich ge-macht. Der Sockelzone konnten zwar einzelneFragmente zugeschrieben werden, eine Positio-nierung im Epitaphaufbau sowie die ursprüngli-che Gestalt waren jedoch nicht mehr zu ermit-teln. Für die Präsentation der Figuren war ein Un-

terbau jedoch unabdingbar. Das Landesdenk-malamt gab die Fertigung eines einfachen Men-sakubus mit etwas auskragender, gefaster Ab-deckplatte vor. Als Anhaltspunkte für Positionund Größe des figurentragenden Unterbaus,dienten die Lage der Grablege, das freigelegteFundament, die Abmessungen der Figuren sowiedie Sockelgestaltung bei Vergleichsobjekten.

Teilrekonstruktion des Johannschen Epitaphs

Durch die Ankerbefunde an der Chorbogenwandließ sich die gesamte mittlere Epitaphzone des Jo-hannschen Epitaphs am historischen Standort re-konstruieren. Sie besteht aus je zwei Sockelglie-dern, auf deren Konsolen sich die freistehendenSäulen befanden. Hinter den Säulen bilden diemit einer Kehlung versehenen Stützquader eineRückwand, auf welcher beidseitig je eine ko-rinthisch ausgearbeitete Kapitellzone aufliegt.Eine Verbindung findet dieser zweiachsige Auf-bau im oberen Bereich durch ein Rundbogen-fragment. Die jetzige Position des Rundbogenskonnte, gerade im Hinblick auf ein zu erwarten-des Gebälk, nicht eindeutig durch Ankerbefundean der Wand belegt werden. Der beschriebeneEpitaphbereich wird von einer aufgemauertenWandvorlage gestützt. Die Platzierung der Figu-ren erfolgte auf einem ebenfalls aufgemauertenmit Mensaplatte versehenem Unterbau.Der Einbau der Säulen wird die rekonstruierteZone komplettieren und dem Epitaph die not-

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8 Teilrekonstruktion desJohannschen Epitaphs am historischen Standort.In der Mittelachse be-fanden sich ursprünglichszenische Darstellungenaus Alabaster oder Stuck.Der sichtbar gemachtePutzumriss im oberenBereich vermittelt demBetrachter die ehemaligeGestalt des Aufsatzes.Der Einbau der wiedergefundenen Säulen mussnoch erfolgen.

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wendige räumliche Tiefe sowie die Fassung derStifterfiguren geben.

Teilrekonstruktion des Karlschen Epitaphs

Da sich im Chor die Grablegen Karls und dessenFamilie befinden, war das zweite Epitaph ver-mutlich an der südlichen Chorwand angebracht.Leider konnten an der entsprechenden Wandkeine Ankerlöcher befundet werden (das Mauer-werk ist an dieser Stelle durch bauliche Verände-rungen stark gestört), sodass wichtige Hinweisefür die Position und Zuordnung der Fragmentefehlten.Trotzdem konnte durch das gestalterische Zu-sammenspiel der Fragmente ein Teil des Epitaphsrekonstruiert werden. Im Wesentlichen bestehtder Aufbau aus zwei Inschriftplatten mit Gebälk-zone. Für die Anbringung zweier Schmuckele-mente war hier die Neuanfertigung von Pilasternnotwendig.

Ausblick

Am Beispiel der jüngst wieder entdeckten Säulendes Johannschen Epitaphs wird deutlich, dassauch in Zukunft mit weiteren Funden gerechnetwerden kann. Es ist nicht auszuschließen, dasssich noch ein Großteil der einstigen Ausstattung

in Mauerwerk und Boden befindet. Bei Arbeitenam Kapellenbau sollten Funde deshalb immer alsmöglich erachtet werden.Auch hinsichtlich des zweiten großen Grabdenk-mals des Schenken Karl sind weitere Erkenntnissenicht ausgeschlossen.Alle nicht eingebundenen Bauteile sowie die bild-hauerischen Arbeiten nach ihrer Restaurierung zulagern bzw. museal zu präsentieren, ist Teil deskonservatorischen Konzepts.

Zusammenfassung

Die 1837 bei der Profanierung der Schmiedelfel-der Schlosskapelle zerstörten Ausstattungsstückewurden bei der Restaurierung des Gebäudes alshunderte von Fragmenten wieder gefunden.Nach intensiver Auseinandersetzung mit Schrift-quellen, Vergleichsobjekten und den Fundstückenselbst konnten Teile der beiden großen Epitapherekonstruiert und wieder am historischen Stand-ort aufgebaut werden. Zusätzlich wurden mehre-re geborgene Grabplatten nach ihrer Restaurie-rung wieder im Innenraum angebracht.Im Mittelpunkt der Restaurierung stand vor allemder Umgang mit den zahlreichen Fehlstellen undTotalverlusten. Zur Präsentation wurde ein Kon-zept entwickelt, das sich in die denkmalpflegeri-sche Zielstellung des gesamten Baus eingliedertund die Epitaphe trotz ihres fragmentarischen Zu-standes als Einheit unter Wahrung ihrer Origina-lität präsentiert.

Quellen:

Ettinghausen, F.: Hans Werner, ein fränkischer Bild-hauer um das Jahr 1600; Frankfurt am Main 1921.Gromer, J.: Ehemalige Schloßkirche Schmiedelfeld –eine bauhistorische Untersuchung, 1993.Günther, S.: Das Epitaph des Schenken Johann undseiner Gemahlin Eleonora, unveröff. Diplomarbeit,FB Restaurierung, FH Erfurt, 1999.Pfarrer Hocs, M.: Die Filialkirche auf dem SchlossSchmiedelfeld; Auszug aus der Pfarrbeschreibungder Parocsie Sulzbach am Kocher; Decanats Gaildorf,Generalats Hall 1828.Prescher, H.: Geschichte und Beschreibung der zumfränkischen Kreise gehörenden ReichsgrafschaftLimpurg; Teil 2, Stuttgart 1790, S. 251–261.Schulz, F. T.: Hans Werner in: Mitteilungen aus demGermanischen Nationalmuseum; Nürnberg 1909,S. 87–144.

Dipl.-Rest. (FH) Silke GüntherHirschstraße 13176137 Karlsruhe

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9 Teilrekonstruktion desKarlschen Epitaphs imChor der Schlosskapelle.Speziell an der unterenInschrifttafel und amWappenfries waren grö-ßere Ergänzungen er-forderlich. Als statischnotwendige Bauteilewurden die beiden Pilas-ter rekonstruiert.

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Trotz dieser allgemein sicher richtigen Einschät-zung gibt es im innerstädtischen Bereich nocheine bescheidene, aber wichtige archäologischeReserve in Gestalt der historischen Großbauten:Dabei handelt es sich einmal um das Alte Schloss,andererseits um die Stiftskirche, zwei historischeBaukomplexe, die zwar beide im Krieg zerstörtwurden, deren Wiederaufbau jedoch die zu-gehörenden archäologischen Schichten nichtvollkommen beseitigte, sodass sich hier – wohl anletzter Stelle in der historischen Innenstadt – nochumfangreichere Aufschlüsse über die Geschichteund die Anfänge der Siedlung gewinnen lassen.Wenden wir uns zunächst der Stiftskirche inStuttgart zu, die im Krieg erheblichen Schaden er-litt und nach intensiver Diskussion unter Negie-rung des überkommenen Grund- und Aufrissesals Betsaal aufgebaut wurde, an den sich der Chor

mit der darunter liegenden, im Krieg nicht ernst-haft beschädigten Gruft des Hauses Württemberganschloss. Dieser Aufbau als Saalkirche wurde ge-gen das Votum einer breiten Öffentlichkeit reali-siert – das Landesdenkmalamt stufte diesen neugestalteten Innenraum als Kulturdenkmal von be-sonderer Bedeutung ein, der in vorzüglicherWeise „das damalige Selbstverständnis der evan-gelischen Kirche in Württemberg und (…) denWillen zum Neuansatz und zur geistigen und ge-stalterischen Auseinandersetzung mit dem alsverpflichtend empfundenen Bestand“ zum Aus-druck bringt. Wie allgemein bekannt, wurde diedenkmalpflegerische Beurteilung des Umbauvor-habens mit Verweis auf gottesdienstliche Belange(§11.1 DSchG) bei der denkmalschutzrechtlichenGenehmigung im Kern unberücksichtigt gelas-sen, sodass gegenwärtig der Umbau der Stiftskir-

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1 Stuttgart, Grundrissder Stiftskirche vor ihrerZerstörung im 2. Welt-krieg.

Befunde aus der „Archäologischen Wüste“:Die Stiftskirche und das Alte Schloss in Stuttgart

In jenen Jahren, als die Probleme der Archäologie in unseren Städten themati-siert und ins öffentliche und politische Bewusstsein gerückt wurden, entstandmit Blick auf die Veränderungen das Schlagwort von den „ArchäologischenWüsten“, die sich nach den Zerstörungen im Krieg bei archäologisch nicht be-gleiteter Bautätigkeit ausbreiten würden.Stuttgart gehört zweifellos zu den Zentren, in denen nach Kriegszerstörung,Wiederaufbau und der Errichtung zahlreicher Tiefgaragen umfangreichere archäologische Befunde im Gebiet der mittelalterlichen Stadt nicht mehr zuerwarten sind. Die dritte Generation im Wiederaufbau wird gegenwärtig rea-lisiert, ohne dass archäologische Befunde zutage treten.

Hartmut Schäfer

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che durchgeführt und das Ergebnis der Öffent-lichkeit bald präsentiert werden wird.

Die Stiftskirche

Der Bauantrag des Vorhabens Stiftskirche er-schien aus archäologischer Sicht vergleichsweiseunproblematisch. Es war vorgesehen, unter demnördlichen Teil der Kirche, in Bereich des goti-schen nördlichen Seitenschiffs, Nebenräume fürTechnik und Toiletten unter Verwendung der hierschon vorhandenen Kohlen- und Heizungskellerzu erstellen. Trotzdem wurde vereinbart, die Bau-stelle beim Entfernen des rezenten Fußbodensund bei der Verwirklichung der Einbauten ar-chäologisch zu beobachten und zu betreuen.Beim Abtrag der Decke über den alten Technik-räumen zeigte sich jedoch, dass die Auflagewandzwischen dem ehemaligen nördlichen Seitenschiffund dem Mittelschiff für die geplante Konstruk-tion zu gering war und dass – wie man hätte vor-aussehen können – die Maßverhältnisse dem Ein-bau der als notwendig erachteten Toilettenein-heiten entgegenstanden. Als man die Südwanddes Kohlenkellers abbrach, um sie unmittelbar

daneben neu aufzurichten, traten Werksteine zu-tage, die beim Ausbau als Kohlenkeller gleichsamgemeinsam mit dem Erdprofil der Ausschachtungzur Schalung gedient hatten: Damit waren dieHaupt- und Seitenschiff trennenden Fundamenteder Arkatur angeschnitten und eine archäologi-sche Überprüfung des Befundes notwendig.Es stellte sich rasch heraus, dass die Punktfunda-mente der Arkadenstützen, die nun freigelegtwurden, zum einen der gotischen Hallenkirche

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2 Der Blick von der West-empore zeigt den ehe-maligen Kohlenkeller derKirche sowie die freige-legten Pfeilerfundamenteder Basilika und der Hal-lenkirche.

3 Ansatz des spät-romanischen Chors an den Südturm.

4 Mittelschifffundamen-te auf der Nordseite, links der spätromanischeWandpfeiler mit demAnsatz der Westwand,rechts ein gotisch er-weiterter Pfeiler.

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zuzuweisen waren, andererseits jedoch demspätromanischen Vorgängerbau angehörten.Beim Bau der Hallenkirche übernahm man zwardie vorhandene Breite des Mittelschiffs vom ro-manischen Vorgänger, wählte jedoch ein anderesInterkolumnium: Soweit die vorhandenen Funda-mente verwendet werden konnten, nutzte undergänzte man sie. So blieb nur ein romanischesPfeilerfundament unversehrt erhalten, währenddie übrigen „umgebaut“ wurden.Das westlichste der im Kern romanischen Funda-mente band in den Rest der ehemaligen West-wand der romanischen Basilika ein – erhalten wa-ren hiervon nur die innere Mauerschale und dieMauerfüllung, während die äußere Mauerschalebei den Aufbauarbeiten der Nachkriegszeit aus-gebrochen worden war.Östlich war dieser Befundausschnitt durch einentiefen Heizungskanal begrenzt, an den sich einePfeilerunterfangung der Wiederaufbauzeit an-schloss. Östlich des freigelegten Pfeilerfunda-ments der Hallenkirche hätte man nun wenigs-tens ein noch in Resten vorhandenes romanischesFundament erwartet, es zeigte sich jedoch einzweischaliges Mauerwerk, das andeutet, dass inromanischer Zeit die östliche Hälfte des Langhau-ses deutlich von der westlichen abgesetzt war.Hier sind nun verschiedene Raumlösungen denk-bar: eine Trennung von Haupt- und Seitenschiffdurch eine raumhohe Wand oder eine Wand mitaufgesetzter Arkatur; eine lettnerartige Konstruk-tion also; für beide Varianten ließen sich Parallel-beispiele namhaft machen. Offensichtlich ist beibeiden denkbaren Lösungen die deutliche Unter-teilung des Langhauses in zwei Bereiche, denenunterschiedliche Funktion unterstellt werdenkann, auf die noch zurückzukommen sein wird.Ein zweiter archäologischer Untersuchungsbe-reich ergab sich im Zuge der „Eigendynamik“, die

das Bauvorhaben aufgrund der „im Wege ste-henden“ historischen Pfeilerfundamente ent-wickelte. Die Bauherrschaft beabsichtigte, denZugang zur Württembergischen Gruft, der zu-letzt durch eine holzabgedeckte Öffnung imChorfußboden erreichbar war, an eine wenigerstörende Stelle zu verlegen. Die Planung sah eineWendeltreppe in der Ecke zwischen Chorsüd-wand und Südturm vor und einen anschließen-den Gang an der Westwand der Gruft, der zumhistorischen Gruftzugang führen sollte. Bei einerSondage stieß man, wie nicht anders zu erwar-ten, auf die abgebrochene Südwand des romani-schen Chors, die im Mauerverband mit dem Süd-turm stand.

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5 Gesamtplan der Architekturbefunde.

6 Im Bereich nördlich des heutigen südlichenChorflankenturms befin-det sich Mauerwerk derspätromanischen Basilika.Es umschließt die ersteLage des Fundaments einer halbrunden Apsisdes Vorgängerbaus.

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Hätte die angestrebte Lösung diesen Befund be-seitigen müssen, gaben doch andere Überlegun-gen den Ausschlag, diesen Weg nicht weiterzu-verfolgen: In der Gruft befinden sich zahlreicheaufwändig gestaltete Zinnsärge und Särge mitTextilbespannung, die der restauratorischen Be-treuung bedürfen, sodass eine Neufassung desGruftzugangs auch den etwa notwendig wer-denden Abtransport von Särgen oder restaurato-rische Maßnahmen vor Ort gewährleisten sollte.Um dieses Problem zu lösen, wurde beschlossen,die Gruft von den unter der Kirche liegendenRäumen aus zugänglich zu machen, deren Um-planung sich zwischenzeitlich des archäologischuntersuchten Bereichs des Kirchenschiffs ein-schließlich des Mittelkanals der alten Fußboden-heizung bedient und ihn erheblich vergrößerthatte. So sollte der Bereich zwischen ‚Unterkir-che‘ und Chor genutzt werden, um die Verbin-dung herzustellen, ein archäologisch wenig pro-blematisches Unterfangen, da dieser Teil der Kir-che schon durch technische Einbauten der Wie-deraufbauzeit tiefgründig ausgekoffert war.Die Aushubarbeiten verliefen unproblematisch,das Spannfundament zwischen Langhaus undChor wurde freigelegt, das Fundament des Süd-turms und – in spiegelbildlicher Position – das Be-grenzungsfundament (nördlicher Chorflanken-turm?) nach Norden hin, bis auf der Sohle derBaugrube eine vor den freigelegten Fundament-

mauern liegende Steinsetzung sichtbar wurde,die eine archäologische Überprüfung erforderlichmachte. Als Befund ergab sich die unterste Lageeines etwa im Halbrund gesetzten Fundaments,um das die jüngeren Fundamentmauern gleich-sam herumgebaut wurden. An der Innenkanteder Südseite stand senkrecht ein plattenartigergroßer Stein, der sich deutlich von der übrigenKonstruktion abhob und nur als Rest eines Plat-tengrabes gedeutet werden konnte, das bei An-lage der Fundaments bis auf einen Stein derNordseite zerstört worden war, eine Bestattungwar demnach nicht mehr zu erwarten. Die flächi-ge Überprüfung führte zum Erfassen zweier wei-terer Gräber, eines in Kirchenausrichtung, ein an-deres in deutlicher Abweichung von ihr. Währenddas erste Grab beigabenlos war und aufgrundder Ausrichtung wohl in die bestehende Kircheeingebracht wurde, ließ das zweite schon bei deroberflächigen Freilegung ein Eisenmesser erken-nen, sodass Hoffnung auf weitere Beigaben be-stand. Der schlechte Erhaltungszustand des Ske-letts, äußerst schwierige Bodenbedingungen unddie Begleiterscheinungen einer laufenden Bau-stelle führten zu dem Entschluss, eine Blockber-gung der Bestattung vorzunehmen, um sie dannin der Restaurierungswerkstatt sorgfältig freizule-gen.Als Beigaben führte die Bestattung neben demschon genannten Messer ein Klappmesser, einen

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7 An der Südseite desältesten Apsisfundamentshat sich die Nordwandeines beigabenführendenalamannischen Platten-grabs erhalten; davor dieUmfassungen von zweiweiteren Gräbern.

8 Das jüngere, wohl zum Kirchenbau ge-hörende beigabenloseGrab.

9 Die Beigaben führendeBestattung wurde alsGanzes geborgen, um sie in der Restaurierungs-werkstätte des LDA zuuntersuchen.

10 Freilegung der Bei-gaben in der Restaurie-rungswerkstätte.

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Ohrring und ein Glasperle, Gegenstände in pro-blematischem Zustand, die aber dennoch ausrei-chen, eine Datierung in das 7. oder 8. Jahrhun-dert zu wagen, in jene Zeit also, der auch der Restdes Plattengrabes angehören dürfte. Damit liegtfür das mittelalterliche Stuttgart erstmals ein sofrüher Siedlungsnachweis vor, der allerdings an-gesichts zahlreicher alter Befunde aus dem Um-feld der Stadt nicht erstaunt.Der älteste Bau, von dem im Osten die untersteLage des Apsisfundaments erfasst wurde, stehtdemnach auf einem alamannischen Gräberfeld,er entzieht sich jedoch der archäologischen Da-tierung, da kein Fundmaterial geborgen werdenkonnte, das stratigraphisch der Entstehenszeit zu-geordnet werden kann. Die westliche Begren-zung des ersten Kirchenbaus war in dem Erdpro-fil, das man mit dem Abbruch der Südwand desHeizkanals, der die Stiftskirche auf der Mittel-achse durchzog, gewann, deutlich sichtbar eben-so wie der Umstand, dass zu diesem ältesten Bauzahlreiche Bestattungen gehören, die in seinemInneren angelegt wurden. Darüber hinaus warenzwischen den Punktfundamenten der Arkaturenvon romanischer Basilika und Hallenkirche immerwieder einzelne Mauersteine aufgefallen, diezwar keinen Verband mehr aufwiesen, aber aufdem Hintergrund der übrigen zusammengehören-den Befunde als Reste der Längsmauern der älte-sten, einschiffigen Kirche gedeutet werden kön-nen. Demnach erweist sich die Breite der erstenKirche als maßgebend für alle Nachfolgebauten.Da Stuttgart bis zur Verlegung des Stifts Beutels-bach und Verlegung der Württembergischen Re-sidenz nach Stuttgart keine Pfarrrechte besaß, esgehörte zur Pfarrei St. Martin in Cannstatt-Alten-burg, kann es sich sowohl bei dem einschiffigenBau als besonders auch bei der Basilika nur umFilialkirchen handeln. Die Basilika ist so groß undaufwändig, dass man eine Herrschaft als Bau-herrn vermuten kann, die eine Eigenkirche errich-tete, eine repräsentative Anlage, deren Grund-rissform in jener Zeit noch die Funktion als Klos-ter-, Stifts- oder Eigenkirche verriet. Nach demSitz des potenziellen Stifters, wer immer es auchgewesen sein mag, muss man angesichts der un-mittelbaren Nachbarschaft des Alten Schlossesnicht lange suchen.

Das Alte Schloss

Vom Alten Schloss in Stuttgart gibt es bisherkeine gründliche Bauuntersuchung, die Quellen-nachrichten beschränken sich auf die spätmittel-alterliche Zeit und die Neuzeit, es wurde aber im-mer beobachtet, dass ältere Reste in den beste-henden Bau integriert wurden, dass die Bautra-dition weiter zurückgeht als die schriftliche Über-

lieferung. Aufbauend auf älteren Beobachtungenund gestützt auf einen spärlichen mittelalterli-chen Quellenbestand hat Gerhard Wein die er-kennbaren Strukturen zusammengetragen undeine staufische Burganlage rekonstruiert und dar-über hinaus eine archäologisch nicht nachgewie-sene Wasserburg angenommen, deren Entste-hung er ins 10. Jahrhundert datiert.Gegenwärtig werden im Alten Schloss Ausgra-bungen durchgeführt, die Befunde zeitigen, diesowohl für die Bebauungsgeschichte des Burga-reals als auch für die Stuttgarter Siedlungsge-schichte wichtig sind. Die Baumaßnahmen sindeinmal durch die Erneuerung der Gebäudetech-nik bedingt und entsprechen zugleich demWunsch des Württembergischen Landesmuse-ums nach mehr Ausstellungsfläche für die eige-nen Bestände, der auf der Untergeschossebenedes Altes Schlosses realisiert werden soll. Die Ar-beiten dauern schon einige Jahre und werdennoch weitere Jahre in Anspruch nehmen, bis siezum Abschluss gebracht werden können. So istim vorliegenden Zusammenhang erst über ar-chäologische und baugeschichtliche Teilergeb-nisse zu berichten, die während der laufendenBauarbeiten und bei Einzelmaßnahmen vorge-schalteten archäologischen Grabungen gemachtwerden konnten.Der erste Bodeneingriff war im Kellergeschossdes Nord- und Westflügels (wenn man angesichtsder „schiefen“ Lage des Alten Schlosses verein-fachend unterstellt, die Richtung Nord sei an derSeite zum Neuen Schloss) notwendig, um hier ei-nen Fußbodenaufbau und technische Installatio-nen einzubringen, die eine Nutzung als Ausstel-lungsraum ermöglichten.Der Keller im nördlichen Teil des Westflügels, alsonördlich der Einfahrt zum Schlosshof gelegen, istein großer Raum, der von Gewölben auf massi-

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11 Messer in Fundlage.

12 Detailfoto des sehrschlecht erhaltenenKlappmessers (7./8. Jh.n. Chr.). Deutlich sind die Spuren von Textilienzu erkennen.

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ven Mittelpfeilern überdeckt wird. Diese Pfeilerbestehen aus einem quadratischen älteren Kern,der nachträglich in diagonaler Richtung erweitertwurde, um durch massive Gurtbögen das ältereKreuzgratgewölbe unterstützen zu können. Auswelchem Grunde man die statische Tragfähigkeitso massiv erhöhen musste, lässt sich nicht ermit-teln. Die Pfeilerkonstruktion steht auf der Ab-bruchkrone einer älteren Mauer und, wo diesefehlt, auf Punktfundamenten. Gegen die äuße-

ren Längsmauern des Kellers sind sie durch Bo-genkonstruktionen verspannt.Im Nordteil des Kellers besitzt die ältere Mauereine Ecke im Winkel von 45° nach Nordosten. Siewird hier von der gegenwärtigen Ostwand desheutigen Kellers überlagert und lässt sich im Un-tergeschoss des zur Planie gelegenen Nordflügelserneut fassen, wiederum mit einer im Winkel von45° ausgebildeten Ecke, nach der diese Mauerdann etwa in der Flucht des heutigen Nordflügelsnach Osten verläuft. Die Überlagerung der 4mdicken Mauer durch den heutigen Baukörper wiedie Verstrebungen der Pfeiler untereinander undzur Außenwand wie auch die Tatsache, dass zwi-schen den Außenwänden und der älteren Mauernur Auffüllschichten angetroffen wurden, ma-chen deutlich, das es sich bei der älteren, massi-ven Mauer nur um die in den Eckbereichen durchzweimalige 45°-Abwinkelung „abgeplattete“ Um-fassungsmauer einer älteren Anlage handelnkann, die abgebrochen wurde, um eine Erweite-rung in den ehemaligen Grabenbereich hinein zurealisieren.Eine weitere Bestätigung des Verlaufs der älterenRingmauer ergab sich bei der Anlage einer neuenTechnikzentrale im Süden beim Südostturm au-ßerhalb des Schlosses. Die Außenmauer wurdeunterhalb der Gehwegebene freigelegt. An derNahtstelle zum Rundturm zeigten sich zum Teilbossierte Eckquader mit der Abwinkelung um45°. Dies bedeutet zugleich, dass an dieser Seiteder heutige Schlossflügel die Ringmauer der Vor-gängeranlage wiederverwendet. Auch auf derOstseite zum Karlsplatz hin – dies hat schonG. Wein richtig beobachtet – wird das heutigeSchloss durch diese ältere Ringmauer begrenzt.Die Datierung dieser Mauer, und damit der Burg-anlage, in das 13. oder 14. Jahrhundert war bis-her nicht exakt vorzunehmen. Die Angaben be-wegen sich zwischen dem 12. und 14. Jahrhun-dert. In dieser Frage führt ein Befund weiter, der

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14 Altes Schloss. Westflügel des Unter-geschosses nach Norden.Die Pfeiler stehen auf der Ringmauer der Burg, die gegen die hofseitigeWand des Schlossflügelsdurch Bögen verbundenwurde.

15 Verspannung derBurgmauer und Pfeilerzur Außenmauer desSchlosses im Bereich des Kellers.

13 Stuttgart, AltesSchloss. Gesamtplan der archäologischen Befunde im Bereich des Untergeschosses.

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bei Bauarbeiten in der Dürnitz des Altes Schlossesdokumentiert werden konnte. Auf der Höhe desWehrgangs der burgzeitlichen Ringmauer im Be-reich zwischen der Ostwand der Dürnitz und demnachträglich zum Karlsplatz hin angefügten Ar-chivbau wurde bei den laufenden Umbaumaß-nahmen der Fußboden geöffnet. Es trat ein indrei Teile zerbrochener Zuganker zutage, der beiErrichtung der Ringmauer zur Stabilisierung in dieKonstruktion eingefügt worden war und noch ei-nen leidlich guten Erhaltungszustand aufwies.Die dendrochronologische Untersuchung vonzwei Teilen des Balkens führte zum Ergebnis, dasssie vom selben Stamm stammen – also nachträg-lich auseinander gebrochen sind –, der frühestens1292 und spätestens 1312 gefällt wurde. Damitkann die Errichtung der Ringmauer, und mit ihrder Burg, in die Zeit unmittelbar vor oder nach1300 datiert werden.Ein zweiter archäologischer Untersuchungsbe-reich ist das Kellergeschoss der Dürnitz, desHauptbaus des Schlosskomplexes, der allgemeinals das älteste Gebäude der Anlage gilt. Das Un-tergeschoss der Dürnitz war ursprünglich mitzwei Tonnengewölben gedeckt, die auf der Mit-telachse auf Pfeilern ruhten. Diese Auflagearka-tur wurde, wie erwähnt, beim Wiederaufbaunach dem Zweiten Weltkrieg insgesamt statischtragfähiger gemacht, indem man die Funda-mente mit Betonschürzen verstärkte und die Bo-genöffnungen schloss, sodass zwei völlig sepa-rate, nur durch eine Tür verbundene Raumein-

heiten entstanden. Auf der Gesamtfläche des Un-tergeschosses sind Befunde vorhanden, die deut-lich vor die Zeit der um 1300 gebauten Burgzurückgehen. Im westlichen Teil sind sie zwardurch Versorgungsleitungen, einen Fahrstuhl undFundamente für eine in den Raum eingefügteEmporenkonstruktion in erheblichem Umfanggestört, es wurden jedoch Siedlungsreste, Gru-ben, Pfostengruben und eingetiefte Keller sowieMauern vorgefunden. Das Fundspektrum reichtvon spätalamannischer Zeit bis in das 13. Jahr-hundert. Die Verfüllungen der Gruben und Kellerwies Fundmaterial auf, das in seinen jüngstenStücken dem 12., allenfalls beginnenden 13.Jahrhundert zuzurechnen und nicht zu trennenist von Fundgut, das aus der Verfüllung eines mitseiner östlichen Böschung erfassten Grabensstammt, in den die Westwand der Dürnitz einge-tieft wurde. Dieser Graben, dessen Breite undTiefe nicht erfasst werden konnte, verläuft leichtbogenförmig, verschwindet gleichsam unter derWestmauer der Dürnitz und durchschneidet sei-nerseits bereits ältere, fundlose anthropogeneSchichten.Überlagert wird der Graben von einer Mauer, dieetwa um 45° zur heutigen Bauflucht gedreht er-scheint und zu der eine zweite, weit massivereMauer parallel verläuft, die den Graben nichtüberlagert. In der Osttonne fand sich die Fortset-zung dieser Mauer, hier einschließlich anziehen-der Schichten, sodass sich möglicherweise Datie-rungshinweise über das Fundmaterial ergebenwerden und aus Funden, die aus der Baugrubegeborgen werden können.Eine dritte Mauer gleicher Ausrichtung wurdeebenfalls im östlichen Teil des Kellergewölbes inweitgehend ungestörtem Erhaltungszustand frei-gelegt. Reste der Baugrube konnten erfasst wer-

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16 Untergeschoss imWestflügel des AltenSchlosses mit der Nord-westecke der Ringmauerder älteren Burganlage.

17 Zuganker aus Eicheauf Höhe des östlichenWehrgangs der östlichenRingmauer in Fundlage.

18 Als ältester Befund-horizont wurden die Spu-ren einer seit der Karolin-gerzeit bestehendenSiedlung festgestellt.

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19 u. 20 Steinmauernüberlagern die älterenSiedlungsbefunde. AufGrund ihrer Ausrichtungsind sie einem Baukom-plex zuzuordnen, der äl-ter ist als die um 1300entstandene Burg, Vor-gängerbau des heutigenSchlosses.

21 Der nördliche der dreiälteren, parallel verlau-fenden Mauerzüge wirdan seiner Außenseite voneinem Graben begleitet,dessen Breite und Tiefebisher noch nicht erfasstwerden konnten.

22 Nahe der Südwanddes Schlosses wurde einzuletzt als Kalkbrennofengenutzter Keller freige-legt. An den Mauerbe-funden lässt sich gutnachvollziehen, dass erfür den Bau der Ring-mauer abgebrochenwurde, an die man in ei-nem späteren Arbeits-gang die Hofwand derDürnitz anfügte.

23 Zu den qualitätsvollsten, aus dem heutigenSchloss stammenden Funden des 17. Jhs. zählen ne-ben einem Fayencekrug (6) außergewöhnliche Kelch-gläser aus farblosem Glas. Neben Fragmenten (insge-samt 19) mehrerer Schlangengläser, deren Stiele austordierten gerippten Glasröhrchen in massiven„Schlangenköpfen“ enden, konnten Teile eines „verreà boutons“ (2) geborgen werden. Der Stiel dieses Ge-fäßes bestand ursprünglich aus zwei oder mehrerenleicht herzförmigen großen Hohlbalustern, zwischendie je ein kurzes massives Stangenstück und einegroße Scheibe eingefügt waren. Gläser dieser Gruppe„à la facon d’altare“ wurden u.a. in der Glashütte derBrüder Bonhomme in Lüttich gefertigt. Am Stielfrag-ment eines Kelchglases mit schlankem optisch geripp-ten Baluster-Kugel-Stiel blieben die Ansätze seitlicherFlügel (3) erhalten. Die Maske auf dem Löwenkopf-Baluster-Stiel (4) ist bereits deutlich stilisiert und erin-nert eher an ein Satyr-, denn an ein Löwenanlitz. Dielangen „Bartzotteln“ gehen in den kannelurartig ge-stalteten unteren Schaftteil über. Das etwas unklareSeitenmotiv zeigt zwei sich überlagernde Sechs-Punkt-Blüten,die von einer Punktgirlande eingefasst werden.Ohne weitere Dekoration ist dagegen der lang gezo-gene,glatte Balusterstiel eines schlichteren Kelchglases(5) geformt. (Bestimmung Chr. Prohaska/U.Gross)

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den und es zeigte sich, dass die Mauer anschei-nend an ihrer Nordostseite von einem Graben be-gleitet wird, dessen Breite bisher noch nicht er-mittelt werden konnte. Seine Tiefe liegt bei über2 m. Auf der Südwestseite der Mauer schließenSiedlungsschichten an, die jenen in der West-tonne gleichen.In der Südostecke des Untergeschosses wurdendie Mauern eines Kellers angetroffen. Er weistnochmals eine andere Baurichtung auf als die zu-vor genannten Mauern und ist aus Steinquaderngefügt. Deutlich ist hier die Abfolge der Baumaß-nahmen ablesbar: Der Keller wurde aufgegeben,als man kurz vor oder nach 1300 die Ringmauerder Burg errichtete, und in einem weiteren Bau-abschnitt wurde dann die schlosshofseitigeMauer der Dürnitz angefügt. Im Zuge des Bur-genbaus wurde der Keller offenbar als Kalkbrenn-ofen genutzt, wie Kalkreste, Spuren großer Hit-zeeinwirkung und Versinterungen an seinenWänden verdeutlichen.Das Gesamtbild der Befunde lässt sich derzeitzwar weitgehend in eine relative Abfolge brin-gen, aber die absolute Chronologie kann anhandder Befunde noch nicht abschließend geklärtwerden. Deutlich ist sowohl durch die stratigra-phischen Befunde als auch durch die Menge des

Fundmaterials, dass im Bereich des Alten Schlos-ses spätestens in karolingischer Zeit eine Siedlungbestand. Hingegen ist die Anlage des Grabensebenso unklar wie die Entstehung der Hausgru-ben, zu denen sich keine datierende Bezugs-schichten erhalten haben, ebenso muss die Ent-stehungszeit der drei Mauern bislang noch völligoffen bleiben.Ein Terminus ante ist einmal durch die dendro-chronologische Datierung der Ringmauer von1292/1312 gegeben, hinzu kommt andererseitsdie Datierung der Funde aus den Verfüll- und Pla-nierschichten. Das keramische Fundmaterial en-det im 12., allenfalls im frühen 13. Jahrhundertund ist damit geeignet, indirekt die Entstehungdes Untergeschosses der Dürnitz zu datieren,kann also an die Ringmauer zeitlich angeschlos-sen werden. Ein solcher Ansatz lässt sich zusam-mensehen mit einem Befund aus der Erdge-schossmauer der Dürnitz. Als man dort die Mauerdurchbrach, um einen neuen Zugang zu den Aus-stellungsräumen herzustellen, trat ein als Mauer-stein wiederverwendeter Steinquader zutage, des-sen Diamantdekor auf ein Entstehen um 1220/40hindeutet. Demnach muss ein repräsentativesBauwerk aus dieser Zeit bereits abgebrochenworden sein, als die Dürnitz errichtet wurde, also

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24 Die älteren Siedlungs-schichten enthalten kera-misches Fundmaterial auskarolingischer und – inwenigen Stücken – auchalamannischer Zeit: 1 Rauwandige Drehschei-benware; 2–11, 13 Älteregelbtonige Drehscheiben-ware, 12, 14 Gelbtonige,quarzgemagerte Dreh-scheibenware.

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wohl kaum vor dem ausgehenden 13. Jahrhun-dert.Damit kann jedoch der Steinbau, der in andererbaulicher Ausrichtung eine vom heutigen Schlossvöllig abweichende Struktur besaß und anschei-nend mit einem Graben befestigt war, in einenzeitlichen Zusammenhang mit der Stiftskirche ge-sehen werden, als Sitz der Herrschaft, auf die diebasilikale Anlage der späten Romanik zurück-geht. Als gesichert kann diese zeitliche Zuord-nung derzeit nicht gelten – zu viele Fragen sindnoch offen. So wurde 1967 der südliche Hofbe-reich des Alten Schlosses kurzzeitig zum Einbrin-gen von Leitungen geöffnet und dabei eine ar-chäologische Befundaufnahme durchgeführt. Vonihr hat sich im Stadtarchiv Stuttgart ein Gesamt-plan des Stadtmessungsamts der Stadt Stuttgarterhalten. Er zeigt Mauerwerk, das bis über 6 munter das heutige Hofniveau reicht und weder dieAusrichtung der heutigen Anlagen besitzt nochdie der im Kellergeschoss der Dürnitz angetroffe-nen drei Parallelmauern.Die Frage nach der Funktion und Bedeutung die-ser Mauern wird in den kommenden Jahren zuklären sein, wenn eben dieser Bereich desSchlosshofes erneut geöffnet werden wird, umunterirdisch die Ausstellungsräume des Ost- undWestflügels auf der Untergeschossebene mitein-ander zu verbinden.

Literatur:

Martin Klumpp, Die Stuttgarter Stiftskirche: einelebendige Geschichte, in: Schwäbische Heimat49, 1998, 24–29.Gertrud Clostermann u. Volker Osteneck, DieStuttgarter Stiftskirche: Ein Kulturdenkmal vonbesonderer Bedeutung, in: Schwäbische Heimat,1998, 325–333.Wilhelm Friz, Die Stiftskirche zu Stuttgart, o.J.(1929).Adolf Mettler, Zur Geschichte der StuttgarterStiftskirche im 12.–14. Jahrhundert. Blätter fürWürttembergische Kirchengeschichte, 41. Jg.,1937, 123–139.Harald Schuhkraft, Die Grablegen des HausesWürttemberg, Stuttgart 1989.Gerhard Wein, Die mittelalterlichen Burgen imGebiet der Stadt Stuttgart, 1. Band. Veröffentli-chungen des Stadtarchivs Stuttgart (Stuttgart1967).

Dr. Hartmut SchäferLDA · Archäologische DenkmalpflegeSilberburgstraße 19370178 Stuttgart

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Das Hofgut Weinland auf Hohenwittlingen istnicht nur ein landwirtschaftlicher Betrieb, son-dern ein weitgehend original erhaltener Gelehr-tensitz aus dem 19. Jahrhundert. Hier lebte dernamhafte Zoologe und überregional bedeutendeJugendbuchautor Dr. David Friedrich Weinland(l829–1915). Zu dem malerisch in freier Land-schaft liegenden Anwesen gehören das Wohn-haus und das Pächterhaus – jeweils mit Gartenund Einfriedung – zwei Ökonomiegebäude, eineWiese mit einer Allee von Laubbäumen und derFamilienfriedhof.Nachdem Weinland 1863 aus gesundheitlichenGründen seine Vorlesungen aufgeben musste,zog er sich auf sein Gut Hohenwittlingen zurück,wo er sich der praktischen Tierzucht und der Her-ausgabe einer Fachzeitschrift widmen wollte. Hier auf Hohenwittlingen entstanden nach sei-nen Vorstellungen zunächst 1864 das Wohnhausund zwischen 1891 und 1896 die beiden Öko-nomiegebäude sowie das Pächterhaus.Für seine Kinder schrieb David Friedrich Weinland1874 den in unmittelbarer Nähe des Wohnsitzes

spielenden Steinzeitroman „Rulaman“. Auf nach-haltiges Drängen seiner Freunde wurde das Buch1878 veröffentlicht und hatte nicht nur inDeutschland, sondern auch im Ausland sofortgroßen Erfolg. 1913 ernannte die GemeindeWittlingen Weinland zum Ehrenbürger, wobeineben seinen wissenschaftlichen Verdiensten vorallem seine Errungenschaften in der Landwirt-schaft besondere Beachtung fanden. Seine Be-deutung für die Landesgeschichte zeigt sich auchdarin, dass ihm in der Reihe „Lebensbilder ausSchwaben und Franken“, herausgegeben vonder Kommission für geschichtliche Landeskunde,ein Kapitel gewidmet wurde.Auf Hohenwittlingen bestand bereits seit 1705ein Forsthaus, das 1828 vom Staat verkauftwurde und 1852 in den Besitz der Familie Wein-land gelangte. 1864–67 ließ David FriedrichWeinland zum Teil anstelle des Vorgängerbausdas heutige Wohnhaus errichten. Der markantezweigeschossige Tuffsteinbau ist ein bezeichnen-des Beispiel für ein Landhaus aus der Mitte des19. Jahrhunderts. So verleihen etwa der Staffel-

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Auf den Spuren RulamansHofgut Weinland auf Hohenwittlingen bei Bad Urach

Denkmalporträt

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giebel mit Kugelaufsatz an der zur Einfahrt ge-richteten Schauseite, die sorgfältig gemauertenTuffsteinquader und die weitgehend axial ange-ordneten Fenster dem Gebäude eine in ihrer Zu-rückhaltung vornehm wirkende Gliederung. Derüberdachte Holzbalkon und die hölzernen Klapp-läden nehmen Bezug auf die ländliche Umge-bung. Charakteristisch für das Innere ist die ori-ginale Grundrissaufteilung mit großzügig ange-legtem und im Obergeschoss mit Schieferplattenausgelegtem Mittelflur. Bemerkenswert ist zu-dem die weitgehend erhaltene Ausstattung, wiez.B. Türen und Fenster, dezente Deckenstuckie-rung, die hölzerne Kassettendecke im Esszimmer,die breiten Fußbodendielen im Obergeschoss (imSalon mit Rautenmotiv), ein Buntglasfenster imFlur und ein gusseisemer Ofen der RheinboellerHütte im Salon. Für die ornithologischen StudienWeinlands lag das im Erdgeschoss eingerichteteArbeitszimmer mit direktem Ausblick auf die um-gebende Natur besonders günstig.In der Zeit zwischen 1891 und 1896 entstandendie beiden Ökonomiegebäude und das Pächter-haus. Während sich der sog. Mittelbau mit sei-nem Treppengiebel und der Tuffsteingliederungder Schauseite am danebenstehenden Wohn-haus orientiert, wurde das Stall- und Scheunen-gebäude am Ende des Hofraums in Sichtfach-werk errichtet. Ein bemerkenswertes Detail ist

das mit Eselsrückenmotiven gestaltete Scheunen-tor.Zum Wohnhaus und zum Pächterhaus gehört je-weils ein zum Teil von einer Mauer begrenzterGarten mit eisernen Pforten zwischen Sandstein-pfeilern. Auf einem Lageplan von 1896 ist vordem Pächterhaus ein Gemüsegarten, beimWohnhaus der durch ein Wegenetz gekenn-zeichnete Ziergarten erkennbar. Dort beginnt dievon David Friedrich Weinland gepflanzte Allee,die sich aus heimischen Laubbäumen und exoti-schen Gewächsen zusammensetzt. Über diegroße Wiese führt sie hinauf zum Familienfried-hof. Eine entlang des Sporns gepflanzte Fichten-reihe sowie die große, mit Ihrem Pendant am Be-ginn der Allee korrespondierende Linde bindenden Friedhof in die umgebende Natur ein.Das Wohnhaus wurde in den Jahren 1997–99samt seiner qualitätvollen Ausstattung instandgesetzt.

Iris Fromm-Kaupp M. A.LDA · Inventarisation und DokumentationAlexanderstraße 4872072 Tübingen

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Die an einer Hauptverkehrsstraße am westlichenStadtrand von Friedrichshafen gelegene Tank-stelle wurde 1950 durch die Deutsch-Amerikani-sche Petroleum-Gesellschaft errichtet. Das Bau-werk entstand als „provisorischer“ Wiederauf-bau einer kriegszerstörten Tankanlage. Das neueTankwart- und Kundenhaus der Tankstelle nahmden ursprünglichen Standort des ebenfalls zer-störten Wohn- und Geschäftshauses Werastraße18 ein und sollte bei dessen möglichem Wieder-aufbau wieder entfernt werden.Beim Tankstandort Werastraße / Ecke Friedrich-straße handelt es sich offenbar um den ersten in Friedrichshafen. 1926 war hier eine Dapolin-Pumpanlage errichtet worden, damals ein großerFortschritt für die Betriebstechnik und Feuersi-cherheit des Kraftstoffverkaufs. Bis dahin warTreibstoff in Wohnhäusern oder an anderen un-geeigneten Orten gelagert und mit Eimern, Kan-nen und Trichtern in die Tanks der Kraftfahrzeugeabgefüllt worden. Mit den Straßen-Pumpanlagenkonnte die feuergefährliche Flüssigkeit nun direktaus den Lagertanks in die Kraftstoffbehälter derFahrzeuge gelangen.

Die Versorgung der Automobile mit Kraftstoffüber schlichte Pumpanlagen, die ungeschützt amFahrbahnrand, oft auf den Gehwegen vor Lädenoder Werkstätten, Aufstellung fanden, war nochum 1940 vielerorts üblich. Im 2. Viertel des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Errichtungvon Tankstellen allmählich zur neuen Bauaufgabemit eigenständiger architektonischer Gestaltung.Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Zuge der wach-senden Motorisierung, der Bewertung des Autosals Fortschrittssymbol und des Wunsches nachautogerechten Städten, wuchsen auch die An-forderungen an diese Bauaufgabe. Das äußereErscheinungsbild der Tankstellen gewann zuneh-mend an Beachtung.Die Friedrichshafener Tankstelle entspricht diesengesteigerten ästhetischen Ansprüchen. Ihre Ge-staltung folgt der Formensprache der 50er-JahreArchitektur. Das Tankwart- und Kundenhaus mitden abgerundeten Ecken, dem ebenfalls gerun-deten und großflächig gegliederten Fensterbanddes Kundenraumes, mit der wandhohen Fliesen-verkleidung der Fassaden und dem knapp über-stehenden Flachdach zeigt die typischen Stil-

Ein Provisorium von 1950 steht heute nochTankstelle in Friedrichshafen, Werastraße 18

Denkmalporträt

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merkmale dieser Zeit. Das gilt gleichermaßen fürdas weit vorgezogene, wiederum an den Eckengerundete, Schutzdach des Tankbereichs, dessendünne Dachhaut auf einer Einzelstütze zwischenden Zapfanlagen ruht und mit dieser verwachsenzu sein scheint.Die rasante Veränderung hin zu Großtankstellenmit umfangreichen Service- und Verkaufseinrich-tungen hat die frühen Zeugnisse der automobi-len Entwicklung nahezu ausgelöscht („Schrittma-cher des Fortschritts – Opfer des Fortschritts?“,Band 60 der Schriftenreihe des Deutsche Natio-nalkomitees für Denkmalschutz). Als Typenent-wurf der 50er-Jahre besitzt die Tankstelle daherinzwischen Seltenheitswert. Nach gegenwärti-gem Kenntnisstand findet sich im Bodenseekreisnur noch in Tettnang ein ähnliches Gebäude, er-freulicherweise ebenfalls noch in Betrieb. Für beide Tankstellen ist die Erhaltung jedoch bis-

lang nicht gesichert. Während in Tettnang Über-legungen zur betrieblichen Umgestaltung denFortbestand des Kulturdenkmals in Frage stellen,soll die Friedrichshafener Tankstelle einem Woh-nungsbauprojekt weichen. In beiden Fällen hatdas Landesdenkmalamt Baden-Württemberg Be-denken angemeldet und die Berücksichtigungalternativer Entwurfskonzepte gefordert, die denErhalt der Kulturdenkmale – im ungünstigstenFall durch Nutzungsänderung – eröffnen würden.

Cornelia Lindenberg M. A.Obere Paulusstraße 11070197 Stuttgart

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PersonaliaHartwig Zürn †

In der Nacht vom 20. auf den 21. Dezember 2001verstarb in Altensteig Landeskonservator i. R. Dr.Hartwig Zürn im Alter von 86 Jahren. Mit ihm ver-liert die archäologische Denkmalpflege des Lan-des einen ihren profiliertesten Vertreter und Kol-legen, der in der Nachkriegszeit die Grundlagenfür die moderne archäologische Denkmalpflegedes Landes geschaffen hat.Hartwig Zürn wurde am 11. April 1916 in Alten-steig geboren. Nach dem Studium der Vorge-schichte und Geologie in den Jahren 1935 bis1941 an den Universitäten Tübingen, Königsberg

und München hat er 1941 bei Prof. Dr. GustavRiek in Tübingen mit einer Dissertation über „DieHallstattzeit in Württemberg“ promoviert, in wel-cher er grundlegende Probleme der Chronologieder Hallstattzeit lösen konnte. Anschließend warZürn für wenige Monate am Landesmuseum inTrier beschäftigt, bis er zum Wehrdienst eingezo-gen wurde. Er kam 1945 in russische, später inpolnische Gefangenschaft und kehrte erst imApril 1949 nach Stuttgart zurück.Nach verschiedenen Tätigkeiten in der württem-bergischen Denkmalpflege wurde Hartwig Zürn1954 Nachfolger von Prof. Dr. Oskar Paret als Leiter der Bodendenkmalpflege in Nordwürttem-berg. Seit 1957 war er Herausgeber der „Fund-berichte aus Schwaben“, die er 1972 – nach der

AusstellungenAlamannenmuseum Ellwangen

Nach zweijähriger Bauzeit eröffnete das Alaman-nenmuseum Ellwangen Ende September 2001seine Tore. Das Museum ist im Gebäude der 1593erbauten Nikolauspflege, dem ehemaligen Ar-men- und Siechenhaus der Stadt, untergebrachtund präsentiert auf drei Stockwerken die Kultur-geschichte der alamannischen Besiedlung dessüdwestdeutschen Raumes vom 3. bis 8. Jahr-hundert n.Chr.

Im Mittelpunkt der Präsentation stehen die Aus-grabungsbefunde und Funde im nahegelegenenLauchheim (Ostalbkreis), wo das Landesdenkmal-amt seit 1986 kontinuierlich ausgedehnte Ret-tungsgrabungen im alamannischen Gräberfeldund der zugehörigen Siedlung durchführt. Dabeikonnten der mit über 1300 Bestattungen bis jetztgrößte frühmittelalterliche Friedhof Südwest-deutschlands, die zugehörige Siedlung mit Adels-hof und eigenem Friedhof in großen Bereichenuntersucht werden. Das Museum ist deshalbauch in enger Zusammenarbeit mit der Landesar-chäologie konzipiert worden. Eine Besonderheitin Lauchheim sind die teilweise in Feuchtboden-erhaltung überlieferten organischen Bestandteile

der hölzernen Grabkammern und der Grabfundeselbst, wie sie in Süddeutschland nur noch vomnahegelegenen Zöbingen, von Oberflacht (beiTuttlingen) und seit neuestem von Trossingen be-kannt geworden sind.Im Eingangsbereich wird der Besucher im „Info-flur“ mit multimedialen Präsentationen auf dasThema eingestimmt. In den kleineren Räumender beiden unteren Etagen wird die Verbindungvon Objekten, Inszenierung und Information be-sonders intensiv betrieben. Themenschwerpunk-te der Ausstellung sind u.a.: Geschichte der Ala-mannen, Landwirtschaft, Textil- und Holzhand-werk. Im Mittelpunkt stehen Siedlung und Grä-berfeld von Lauchheim-„Mittelhofen“. Die Chris-tianisierung wird u.a. anhand der einzigartigenGoldblattkreuze aus diesem Gräberfeld verdeut-licht und führt archäologisch bis ins frühe 8. Jh.n. Chr. – fast bis zum Jahr 764, in dem hier in Ell-wangen das einzige benediktinische Kloster imnordalamannischen Raum gegründet wurde!

Als Sonderausstellung wird im Alamannen-museum bis zum 6. Januar 2003 gezeigt:

„Die Reiterkrieger von Pfahlheim – reiche Adelsgräber des 7. Jahrhundertsim Osten Württembergs“

Zwischen 1883 und 1906 wurden in der heutigenEllwanger Teilgemeinde Pfahlheim Schürfungenund Sondagen in einem großen völkerwande-rungszeitlichen Gräberfeld durchgeführt. Die Fun-de werden weitgehend im Germanischen Natio-nalmuseum Nürnberg aufbewahrt, das auch die-se Sonderausstellung konzipiert hat. Im Mittel-punkt steht das Phänomen der frühmittelalterli-chen Reiterkrieger, für welche es im GräberfeldPfahlheim zahlreiche Belege gibt.

Alamannenmuseum EllwangenHaller Straße 973479 Ellwangen (Ostalbkreis)Tel. 0 79 61 / 96 97 47Fax 0 79 61 / 96 97 49Dienstag bis Sonntag10–12.30, 14 –17 Uhr

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Gründung des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg – mit den „Badischen Fundberich-ten“ zu den „Fundberichten aus Baden-Würt-temberg“ zusammenfasste.Mit der Neuorganisation der Denkmalpflege undder Gründung des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg wurde Hartwig Zürn am 1. Januar1972 zum Landeskonservator für ganz Baden-Württemberg berufen.Hartwig Zürn hat zahlreiche Notgrabungen durch-geführt, von denen hier nur die wichtigsten an-geführt werden können: Im Sommer und Herbst1960 musste bei Ehrenstein (Alb-Donau-Kreis) ei-ne jungsteinzeitliche Feuchtbodensiedlung un-tersucht werden, deren Baugeschichte er bereitsnach fünf Jahren publizieren konnte. Genanntwerden sollen hier auch die Untersuchungen inder spätkeltischen Viereckschanze bei Tomerdin-gen (Alb-Donau-Kreis) und im keltischen Oppi-dum von Finsterlohr (Main-Tauber-Kreis), im kel-tischen Friedhof bei Nebringen (Kreis Böblingen)oder im römischen Friedhof in Stuttgart - BadCannstatt und in den alamannischen Friedhöfenvon Sontheim/Brenz und Niederstotzingen (KreisHeidenheim).Im Mittelpunkt seiner Feldforschungen standenaber die Untersuchungen zahlreicher frühkelti-scher Grabhügel, unter denen die Grabungen imGrabhügel bei Hirschlanden und im Fürstengrab-hügel „Grafenbühl“ bei Asperg bahnbrechendeneue Ergebnisse zur keltischen Frühgeschichtedes südwestdeutschen Raumes erbrachten.Die überaus umfangreiche „Fundschau“ in den„Fundberichten aus Schwaben“ bzw. „Fundbe-richten aus Baden-Württemberg“ bietet ein gu-tes Zeugnis für die zahlreichen Notbergungen imLande und von der intensiven Fundaufnahmedurch Zürn bei den Mitarbeitern der Denkmal-pflege im gesamten Bereich des früheren Regie-rungsbezirkes Nordwürttemberg.Seine vielseitige und umfangreiche wissenschaft-liche Publikationstätigkeit ist ein beredtes Zeug-nis für seine Tätigkeit als Denkmalpfleger undWissenschaftler. Neben der Herausgabe undredaktionellen Betreuung verschiedener Publika-tionsreihen der südwestdeutschen Landesarchä-ologie belegen mehr als 100 wissenschaftlicheAufsätze und Veröffentlichungen seine vielsei-tigen Tätigkeiten als Denkmalpfleger.Darüber hinaus wurde von Hartwig Zürn die sys-tematische Erfassung der vor- und frühgeschicht-lichen Geländedenkmäler und mittelalterlichenBurgstellen, insbesondere im RegierungsbezirkNordwürttemberg, begonnen – eine Aufgabe,mit welcher er wesentliche Grundlagen für die In-ventarisation der archäologischen Denkmäler imLande geschaffen hat. Hinzu kommen die stän-dige Betreuung und katalogmäßige Erfassung

und Publikation der archäologischen Beständeverschiedener Heimatmuseen des Landes.Für Hartwig Zürn war die Zusammenarbeit mitden ehrenamtlichen Mitarbeitern im Land ein be-sonderes Anliegen. Dies führte 1963 zur Grün-dung der „Gesellschaft für Vor- und Frühgeschich-te in Württemberg und Hohenzollern“, die er von1963 bis 1974 als Geschäftsführer leitete. In zahl-reichen Vorträgen, Exkursionen und Veröffentli-chungen hat er für die Belange der archäologi-schen Denkmalpflege geworben. Seine Erfahrungund seinen Rat stellte er auch als Mitglied der Rö-misch-Germanischen Kommission des DeutschenArchäologischen Institutes der Wissenschaft zurVerfügung. Seinen Ruhestand verbrachte Hartwig Zürn in Al-tensteig. Geprägt waren diese Jahre durch diePflege und Fürsorge für seine nach einem Unfallquerschnittgelähmte Frau. Trotzdem konnte dasEhepaar Zürn in dieser Zeit noch zahlreiche Rei-sen zu Kollegen in ganz Europa durchführen undtauchte auch regelmäßig auf neuen, wichtigenAusgrabungen im Land und in benachbarten Re-gionen oder bei Vorträgen der „Gesellschaft“auf.In seinem Ruhestand konnte Hartwig Zürn auchnoch verschiedene Ausgrabungspublikationenverfassen. Besonders am Herzen lagen ihm derAbschluss und die Publikation seines Kataloges„Hallstattzeitliche Grabfunde in Württembergund Hohenzollern“, der auf seiner Dissertationbasiert und 1987 erscheinen konnte.

Dieter Planck

Abbildungsnachweis

LDA Stuttgart (F.Pilz): Titelbild;LDA Freiburg: 199, 200, 201, 204, 205 Abb.13;LDA Freiburg (J. Jeras): 200 Abb. 3, 4;LDA Stuttgart: 209, 211, 212 Abb. 9, 213 , 214, 215, 216,239, 243, 249–256 Abb. 19, 20;LDA Stuttgart ( R. Hajdu): 256 Abb. 21, 22;LDA Stuttgart (Th. Schwarz): 251 Abb. 4, 254 Abb. 13,256, 257;LDA Stuttgart (S. Günther): 243–248;LDA Stuttgart ( J. Breuer): 210 Abb.4;LDA Stuttgart (F. Pilz): 209, 212 Abb. 8; 213 Abb. 11, 214Abb.13, 215 Abb. 15, 216, 217, 219, 220, 222 Abb. 2, 224Abb. 5,238, 241, 242;LDA Stuttgart (O. Braasch): Nr. 8112/035-01: S. 205; LDA Tübingen: 218 Abb. 22;LDA Tübingen (J. Feist): 259–262;FMPA Stuttgart (G. Grassegger): 227–231;Privat: 265;Alamannenmuseum Ellwangen: 263;Aus: Denkmaltopographie Baden-Württemberg: StadtStaufen-Münstertal / Schwarzwald (Stuttgart 2002): 202,203, 206;Aus: Die christliche Kunst 1909/10: 210 Abb. 5;Aus: R. Hedicke, Cornelis Floris und die Florisdekoration(Berlin 1913) Taf. 20,2 S. 218 Abb. 21;Nach J. Gromer 1993. Vorlage in: Briefe des Vogtes SimonLinkholz, Staatsarchiv Ludwigsburg: S. 239 Abb. 2.

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PersonaliaHartwig Zürn †

In der Nacht vom 20. auf den 21. Dezember 2001verstarb in Altensteig Landeskonservator i. R. Dr.Hartwig Zürn im Alter von 86 Jahren. Mit ihm ver-liert die archäologische Denkmalpflege des Lan-des einen ihren profiliertesten Vertreter und Kol-legen, der in der Nachkriegszeit die Grundlagenfür die moderne archäologische Denkmalpflegedes Landes geschaffen hat.Hartwig Zürn wurde am 11. April 1916 in Alten-steig geboren. Nach dem Studium der Vorge-schichte und Geologie in den Jahren 1935 bis1941 an den Universitäten Tübingen, Königsberg

und München hat er 1941 bei Prof. Dr. GustavRiek in Tübingen mit einer Dissertation über „DieHallstattzeit in Württemberg“ promoviert, in wel-cher er grundlegende Probleme der Chronologieder Hallstattzeit lösen konnte. Anschließend warZürn für wenige Monate am Landesmuseum inTrier beschäftigt, bis er zum Wehrdienst eingezo-gen wurde. Er kam 1945 in russische, später inpolnische Gefangenschaft und kehrte erst imApril 1949 nach Stuttgart zurück.Nach verschiedenen Tätigkeiten in der württem-bergischen Denkmalpflege wurde Hartwig Zürn1954 Nachfolger von Prof. Dr. Oskar Paret als Leiter der Bodendenkmalpflege in Nordwürttem-berg. Seit 1957 war er Herausgeber der „Fund-berichte aus Schwaben“, die er 1972 – nach der

AusstellungenAlamannenmuseum Ellwangen

Nach zweijähriger Bauzeit eröffnete das Alaman-nenmuseum Ellwangen Ende September 2001seine Tore. Das Museum ist im Gebäude der 1593erbauten Nikolauspflege, dem ehemaligen Ar-men- und Siechenhaus der Stadt, untergebrachtund präsentiert auf drei Stockwerken die Kultur-geschichte der alamannischen Besiedlung dessüdwestdeutschen Raumes vom 3. bis 8. Jahr-hundert n.Chr.

Im Mittelpunkt der Präsentation stehen die Aus-grabungsbefunde und Funde im nahegelegenenLauchheim (Ostalbkreis), wo das Landesdenkmal-amt seit 1986 kontinuierlich ausgedehnte Ret-tungsgrabungen im alamannischen Gräberfeldund der zugehörigen Siedlung durchführt. Dabeikonnten der mit über 1300 Bestattungen bis jetztgrößte frühmittelalterliche Friedhof Südwest-deutschlands, die zugehörige Siedlung mit Adels-hof und eigenem Friedhof in großen Bereichenuntersucht werden. Das Museum ist deshalbauch in enger Zusammenarbeit mit der Landesar-chäologie konzipiert worden. Eine Besonderheitin Lauchheim sind die teilweise in Feuchtboden-erhaltung überlieferten organischen Bestandteile

der hölzernen Grabkammern und der Grabfundeselbst, wie sie in Süddeutschland nur noch vomnahegelegenen Zöbingen, von Oberflacht (beiTuttlingen) und seit neuestem von Trossingen be-kannt geworden sind.Im Eingangsbereich wird der Besucher im „Info-flur“ mit multimedialen Präsentationen auf dasThema eingestimmt. In den kleineren Räumender beiden unteren Etagen wird die Verbindungvon Objekten, Inszenierung und Information be-sonders intensiv betrieben. Themenschwerpunk-te der Ausstellung sind u.a.: Geschichte der Ala-mannen, Landwirtschaft, Textil- und Holzhand-werk. Im Mittelpunkt stehen Siedlung und Grä-berfeld von Lauchheim-„Mittelhofen“. Die Chris-tianisierung wird u.a. anhand der einzigartigenGoldblattkreuze aus diesem Gräberfeld verdeut-licht und führt archäologisch bis ins frühe 8. Jh.n. Chr. – fast bis zum Jahr 764, in dem hier in Ell-wangen das einzige benediktinische Kloster imnordalamannischen Raum gegründet wurde!

Als Sonderausstellung wird im Alamannen-museum bis zum 6. Januar 2003 gezeigt:

„Die Reiterkrieger von Pfahlheim – reiche Adelsgräber des 7. Jahrhundertsim Osten Württembergs“

Zwischen 1883 und 1906 wurden in der heutigenEllwanger Teilgemeinde Pfahlheim Schürfungenund Sondagen in einem großen völkerwande-rungszeitlichen Gräberfeld durchgeführt. Die Fun-de werden weitgehend im Germanischen Natio-nalmuseum Nürnberg aufbewahrt, das auch die-se Sonderausstellung konzipiert hat. Im Mittel-punkt steht das Phänomen der frühmittelalterli-chen Reiterkrieger, für welche es im GräberfeldPfahlheim zahlreiche Belege gibt.

Alamannenmuseum EllwangenHaller Straße 973479 Ellwangen (Ostalbkreis)Tel. 0 79 61 / 96 97 47Fax 0 79 61 / 96 97 49Dienstag bis Sonntag10–12.30, 14 –17 Uhr