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Der brasilianische Versicherungsmarkt Strategien für das Auslandsgeschäft deutscher Versicherungsunternehmen Von Wolfgang Greiner und Malte -Fabian Freymuth, Hannover 1. Einführung In der aktuellen wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion finden die so- genannten „emerging markets" in Südostasien und Südamerika häufig Be- achtung. Während aber die asiatischen Märkte in jüngster Zeit vor allem wegen Kurseinbrüchen an den Notenbörsen in den Schlagzeilen stehen und große deutsche Firmen ihr Engagement in dieser Region u. a. wegen gravie- render kultureller Unterschiede überdenken, scheint sich Südamerika zwar als nicht so spektakulärer, dafür aber als stabilerer und berechenbarerer und damit attraktiverer Standort zu empfehlen; auch sind die kulturellen Differenzen wegen der europäischen Kolonisation bei weitem nicht so schwerwiegend. Die Föderative Republik Brasilien nimmt in Lateinamerika eine Sonder- stellung ein. Mit einer Bevölkerung von beinahe 158 Millionen Einwohnern (1996) und einem Bruttoinlandsprodukt (1997) von 1.766 Milliarden R$ stellt sie die größte Volkswirtschaft in dieser Region dar. Das Wirtschafts- zentrum Brasiliens, der Großraum Säo Paulo im Südosten des Landes mit einem Zehntel der Bevölkerung Brasiliens und verantwortlich für ein Sech- stel des Bruttosozialprodukts, l ist traditionell großer Investitionsschwer- punkt deutscher Unternehmen. Diese positive wirtschaftliche Situation, in der sich Brasilien zur Zeit be- findet, zeigt auch Auswirkungen für den Versicherungsmarkt. Brasilien ist verantwortlich für 47 % der Versicherungsprämien in Lateinamerika; davon wird fast die Hälfte im Bundesstaat Säo Paulo generiert, weitere 17 % im benachbarten Bundesstaat Rio de Janeiro. Durch die real gestiegene Kauf -kraft infolge geringerer Inflationsraten haben nun besonders die Bezieher niedriger Einkommen die Möglichkeit, Versicherungsschutz nachzufragen. 1 Vgl. Montoro Filho, A. F. (1994), S. 482. 7*

Der brasilianische Versicherungsmarkt

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Der brasilianische Versicherungsmarkt— Strategien für das Auslandsgeschäft

deutscher Versicherungsunternehmen —

Von Wolfgang Greinerund Malte -Fabian Freymuth, Hannover

1. Einführung

In der aktuellen wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion finden die so-genannten „emerging markets" in Südostasien und Südamerika häufig Be-achtung. Während aber die asiatischen Märkte in jüngster Zeit vor allemwegen Kurseinbrüchen an den Notenbörsen in den Schlagzeilen stehen undgroße deutsche Firmen ihr Engagement in dieser Region u. a. wegen gravie-render kultureller Unterschiede überdenken, scheint sich Südamerika zwarals nicht so spektakulärer, dafür aber als stabilerer und berechenbarererund damit attraktiverer Standort zu empfehlen; auch sind die kulturellenDifferenzen wegen der europäischen Kolonisation bei weitem nicht soschwerwiegend.

Die Föderative Republik Brasilien nimmt in Lateinamerika eine Sonder-stellung ein. Mit einer Bevölkerung von beinahe 158 Millionen Einwohnern(1996) und einem Bruttoinlandsprodukt (1997) von 1.766 Milliarden R$stellt sie die größte Volkswirtschaft in dieser Region dar. Das Wirtschafts-zentrum Brasiliens, der Großraum Säo Paulo im Südosten des Landes miteinem Zehntel der Bevölkerung Brasiliens und verantwortlich für ein Sech-stel des Bruttosozialprodukts, l ist traditionell großer Investitionsschwer-punkt deutscher Unternehmen.

Diese positive wirtschaftliche Situation, in der sich Brasilien zur Zeit be-findet, zeigt auch Auswirkungen für den Versicherungsmarkt. Brasilien istverantwortlich für 47 % der Versicherungsprämien in Lateinamerika; davonwird fast die Hälfte im Bundesstaat Säo Paulo generiert, weitere 17 % imbenachbarten Bundesstaat Rio de Janeiro. Durch die real gestiegene Kauf

-kraft infolge geringerer Inflationsraten haben nun besonders die Bezieherniedriger Einkommen die Möglichkeit, Versicherungsschutz nachzufragen.

1 Vgl. Montoro Filho, A. F. (1994), S. 482.

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So verzeichnen hauptsächlich Kraftfahrzeugkasko - und private Kranken-versicherungen beträchtliche Zuwachsraten. Im vorliegenden Beitrag solldaher der private brasilianische Versicherungsmarkt als Beispiel für denWeg, den Schwellenländer bei ihrer wirtschaftliche Entwicklung einschla-gen können, mit seinen Chancen für ausländische Anbieter von Versiche-rungsschutz dargestellt werden.

2. Der brasilianische Versicherungsmarkt

Die brasilianische Versicherungsgeschichte beginnt am Anfang des 19.Jahrhunderts. Vorher wurden Versicherungen ausschließlich durch auslän-dische Versicherer angeboten, und hier in erster Linie durch englische. ImZuge der Öffnung brasilianischer Häfen für befreundete Nationen im Jahre1808 wurde der erste Versicherer in Brasilien gegründet, die „Companhia deSeguros Boa-Fe". 1822 erklärte sich Brasilien von Portugal unabhängig, dieportugiesischen Gesetze blieben aber in Kraft. 1831 wurde die erste Auf-sichtsbehörde für Versicherungen geschaffen, Grundlage für die Kontrolledurch die Regierung waren die portugiesischen Gesetze. 2 1939 wurde die„Instituto de Resseguros do Brasil" (IRB) gegründet, die Rückversiche-rungsanstalt von Brasilien, die im Markt als Monopolist auftritt. Neben derRegulierung der Rückversicherung ist die allgemeine Förderung von Versi-cherungsgeschäften ihre Aufgabe.

Die aktuelle Entwicklung auf dem Versicherungsmarkt ist von einerdeutlichen Deregulierungstendenz geprägt. 1992 wurden die Tarife der pri-vaten Versicherungsgesellschaften liberalisiert, die bis dahin von der Auf-sichtsbehörde (SUSEP) festgesetzt worden waren. Im Dezember 1995 wurdeein Gesetz verabschiedet, das die Abschaffung des Rückversicherungsmo-nopols vorsieht. 3 Dieses Gesetz bedarf aber noch konkreterer Ausgestaltun-gen, und wann letztlich das Monopol fällt, ist völlig offen. Seit 1997 schließ-lich besteht für ausländische Versicherer die Möglichkeit, ohne inländi-schen Partner im brasilianischen Markt zu operieren. 4

Tabelle 1 veranschaulicht die Entwicklung des privaten Versicherungs-marktes in Brasilien anhand der Prämieneinnahmen. Die Vervierfachungdes Aufkommens von 1988 bis 1996 ist hauptsächlich auf die Zeit ab 1994zurückzuführen, als mit dem „Plano Real" die letzte Wirtschafts- und Wäh-rungsreform durchgeführt wurde.

2 Vgl. Macajen, M. (o. J.), S. 3.3 Vgl. Alvim, P. (1996), S. 336.4 Vgl. Dini, A. P. (1997), S. 48.

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Tabelle 1Prämienaufkommen und Anzahl der Versicherer 1939 - 1996

JahrAnzahl derVersicherer

Prämien insgesamt(in US-Dollar*)

Prämien/Versicherer(in US-Dollar*)

1939 99 21.183.955 213.979

1949 125 134.171.123 1.073.369

1959 182 110.120.270 605.056

1969 184 271.073.121 1.473.223

1979 95 2.355.997.757 24.799.976

1988 97 3.062.023.334 31.567.251

1996 129 14.095.614.417 109.268.329

* Wegen der häufigen Inflationen wurde zur besseren Vergleichbarkeit für 1939 - 1988 der jähr-liche Mittelkurs des US-Dollars zugrunde gelegt. Für 1996 wird der jährliche Mittelkurs angege-ben mit 1 US$ = 1,007 R$.

Quellen: Nascentes, C. 0. (1989), S. 37 für 1939 - 1988 und Ministerio da Fazenda (Hrsg.) (1997),S. 1- 6 für das Jahr 1996.

Gemessen an dem Prämienaufkommen werden seit Jahren ca. zwei Drit-

tel des Marktes von den Sparten Kraftfahrzeugkasko -, Lebens- und Kran-

kenversicherung dominiert, wie Abbildung 1 am Beispiel für 1996 zeigt. Bis

1991 spielte die Feuerversicherung eine wichtige Rolle: Mit 13,8% am Prä

-mienaufkommen folgte sie der Kasko (27,4%) an zweiter Stelle; heute spielt

sie mit ca. vier Prozent jedoch eine eher untergeordnete Rolle.

Quelle: Ministerio da Fazenda (Hrsg.) (1997), S. 10.

Abbildung 1: Prämienaufkommen nach Sparten 1996

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Der Großteil des brasilianischen Versicherungsmarktes wird von verhält-nismäßig wenigen Gesellschaften unter sich aufgeteilt. Betrachtet man dieeinzelnen Versicherungsunternehmen, wird deutlich, daß die drei größtenVersicherer in den neunziger Jahren etwa ein Viertel des Prämienaufkom-mens auf sich vereinen. Die fünf größten Versicherer konnten um die 35%auf sich vereinen, für die zehn größten betrug der Anteil am gesamten Prä-mienvolumen etwas mehr als die Hälfte.

3. Spezifika des brasilianischen Versicherungsmarktes

3.1 Das Rückversicherungsmonopol

Die in Brasilien tätigen Versicherungsgesellschaften sind verpflichtet, ih-

re Rückversicherungsgeschäfte mit dem „Instituto de Resseguros do Brasil"(IRB) als Monopolisten abzuwickeln, wobei sie die von ihm gesetzten Kon-ditionen und Tarife akzeptieren müssen. Da diese Tarife als Kosten in die

Versicherungsprämie des Erstversicherers eingehen, behindert der IRB in-sofern die Liberalisierung, daß zumindest eine Komponente des Endpreisesfür den Versicherungsnehmer fix ist und nicht auf dem freien Markt gebil-det werden kann. Dies wiederum beeinträchtigt die gewünschte Konkur-renz auf dem Versicherungsmarkt und die Interessen der Versicherten, diedifferenziertere und preiswertere Produkte erwarten. 5

Einerseits kann durch die Monopolstellung des IRB eine höhere Prämieals auf einem freien Markt angenommen werden, so bedeutet diese Praxisandererseits für die Gesellschaften eine gewisse Erleichterung und Verein-

fachung ihrer Geschäftstätigkeit. Die ihre Kapazitäten übersteigenden Risi-koanteile werden zu den bekannten und einzigen Bedingungen mittels soge-nannter „automatischer Rückversicherungsverträge " 6 (port.: „contratos au-tomäticos de resseguro") abgegeben, was dazu führte, daß sich die meistenbrasilianischen Versicherer noch nie mit der speziellen Materie der Rück-versicherung auseinandergesetzt haben. Im Gegenteil: Zum IRB besteht einVertrauensverhältnis, während von den ausländischen Rückversicherungs-gesellschaften die Gefahr ausgehen kann, nicht seriös behandelt zu werden.So wird der IRB als „Filter" gesehen, der die inländischen Versicherer vorden Gefahren des unbekannten Rückversicherungsmarktes schützt. ? Dasgilt insbesondere für kleinere und mittlere Versicherer, die so Verträge ohnevorheriges Verständnis oder Prüfen abschließen können.

5 Vgl. Silva, J. F. da (1994), S. 25.6 Vgl. Alvim, P. (1996), S. 325.7 Vgl. Mendona, A. P. (1997), S. 6.

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Der IRB seinerseits ist als Monopolist verpflichtet, alle ihm angetragenenRisiken in Rückversicherung zu nehmen — auch die schlechten. Er hat zwardie Möglichkeit, zwangsweise Mitversicherungspools aller inländischenVersicherer zu bilden oder zu retrozedieren, aber es behält auch stets Risi-ken für eigene Rechnung. Für die Versicherungsunternehmen können dieobligatorisch übernommenen Risiken vorteilhaft sein, weil sie zum Risiko-mix beitragen und einen Versicherungsschutz mit niedrigen Produktionsko-sten darstellen.

3.2 Die Position der Makler

Die Einschaltung eines Maklers ist in Brasilien obligatorisch. Mit jederPrämienzahlung, die die Versicherten offiziell über das Bankwesen direktan die Gesellschaften entrichten müssen, erhalten die Makler für ihre Ver-mittlung und Beratung eine Provision von 10% bis 20 %. Diese ist dabeischon in der Prämie enthalten, wird letztendlich also vom Versicherungs-nehmer bezahlt und vom Versicherer an den Makler weitergeleitet. Da dieVerträge in der Regel einjährige Laufzeiten aufweisen, was auf Erfahrungenaus Zeiten der Inflation zurückzuführen ist, müssen sie regelmäßig verlän-gert werden. Verschiedene Gebühren und Kosten fallen so für die Versicher-ten immer wieder an.

Insbesondere Banken fanden für ihre Versicherungstöchter einen Weg,die Maklerpflicht zu umgehen: Sie gründeten eigene Maklergesellschaften,die in den Versicherungsverträgen lediglich pro forma angegeben wurden.Nach starken Protesten wichen die Banken aber wieder von dieser Praxisab. Offiziell gilt, daß Versicherer und Banken, die die Vermittlertätigkeitausüben, dafür auch die Maklerprovision erheben müssen.

Der Gesetzgeber hat die Aufgaben und die Stellung des Maklers in dieserWeise vorgesehen, um in einem komplexen und dynamischen Markt die Po-sition des Versicherungsnehmers, der in der Regel wenig von der Materieversteht, gegenüber den als mächtig angesehenen Versicherungsgesellschaf-ten zu stärken. Im Zuge von Marktöffnung und Liberalisierung soll das ob-ligatorische Vermittlergeschäft beschnitten werden: Vorentwürfe der Auf-sichtsbehörde (SUSEP) sehen vor, den Versicherungsgesellschaften den Di-rektvertrieb zu ermöglichen und in diesem Fall die Entrichtung der Makler

-provision zu verbieten.

3.3 Inflation und Wirtschaftsreformen

Die jüngste Vergangenheit Brasiliens ist gekennzeichnet durch Phasenteilweise sehr hoher Inflation und, als Versuch von Gegenmaßnahmen, seit

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1986 durch sechs Wirtschaftsreformen und fünf Währungsreformen; eineÜbersicht bietet Tabelle 2. 1993 belief sich die Jahresinflationsrate auf über2.700%. Seit der Einführung der bis heute gültigen Währung des „Real"(R$) im Dezember 1993 nimmt die Inflation kontinuierlich ab,8 für 1997scheint sie sich auf ungefähr sechs Prozent einzupendeln.

Die Tatsache, daß die Relation zwischen Prämienaufkommen und demBruttoinlandsprodukt in Brasilien im Vergleich zu anderen Ländern geringist, wird vielfach mit der Inflation begründet. 9 So wird für Brasilien ein An-teil der Versicherungsprämien am Bruttoinlandsprodukt angegeben, dersich seit dem Zweiten Weltkrieg zwischen 0,8% und 2,1% bewegt, währendder anderer Nationen 5% übersteigt. 1° Die Marktdurchdringung von Versi-cherungsprodukten ist in Brasilien somit vergleichsweise gering.

Aus Sicht der Versicherer bedeutete die Inflation bis 1987 eine gute Ein-nahmequelle. Durch das Anlagegeschäft wurden nicht unerhebliche Ge-winne erzielt, weil die Zinsen stets höher waren als die Inflationsraten,während im technischen Geschäft die Verträge ihre nominalen Werte behiel-ten. Andererseits hielt dieser Umstand viele brasilianische Bürger davonab, Versicherungen abzuschließen, da der Gegenwert im Schadenfall kaumzur Deckung ausreichte.

3.4 Mentalität und Versicherungsnachfrage

„Breitgestreute Versicherungsnachfrage kann erst ausgelöst werden,wenn die Einkommens- und Vermögenssituation in breiten Bevölkerungs-kreisen dies erlaubt und sich ein Versicherungsbewußtsein ausgeprägthat. " 11 Denn selbst wenn genügend Geldmittel auf der Nachfrageseite zurVerfügung stehen, können Faktoren wie Unkenntnis, ein geringer Bildungs-stand oder religiöse und familiäre Anschauungen den Vertragsabschluß ver-hindern.

Die Brasilianer messen der Vorbeugung von Verlusten mittels Versiche-rungen im Allgemeinen wenig Bedeutung bei. Eine Begründung für diesesVerhalten ist das Klima in weiten Teilen des Landes. Da in Nordeuropawährend des Sommers für den Winter geplant und vorgesorgt werden muß,ist in unseren Breitengraden dieser Absicherungsaspekt automatisch vor

-handen. Ein Bewußtsein für die Notwendigkeit einer gewissen Vorsorge, inwelcher Form auch immer, muß nicht erst geschaffen werden. In Brasilienhingegen ist das ganze Jahr über Erntezeit, es herrschen angenehme klima-

8 Vgl. Banco Central do Brasil (Hrsg.) (1997), S. I.11.9 Vgl. Pinto, E. (1996), S. 31.10 Vgl. Barros da Cunha, A. (1995), S. 127.11 Gerathewohl, K. (1988), S. 141.

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tische Bedingungen, und Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Vulka-nausbrüche sind unbekannt. Es liegt also kein Vorsorgezwang vor. In frühe-ren Zeiten erübrigte sich daher eine Vorratshaltung von Nahrungsmittelnund Brennmaterial bzw. die Sorge um eine wetterfeste Unterkunft, heute istdies auch auf Versicherungsprodukte erweiterbar.

Zudem ist Brasilien das größte katholische Land der Welt. Viele derstrenggläubigen Katholiken ergeben sich im Falle eines Unglücks ihremSchicksal in dem Glauben, daß der eingetretene Schaden gottgewollt seiund eine berechtigte Strafe darstelle. Eine „Absicherung" ist hier nur übereine Lebenshaltung gemäß den religiösen Werten oder über die Anzahl derFamilienmitglieder möglich.

Als dritter Grund für die vergleichsweise niedrige Nachfrage nach Versi-cherungsprodukten in Brasilien wird die mangelnde Leistungsfähigkeit derbrasilianischen Justiz genannt, deren Struktur für langwierige Prozeßver-läufe verantwortlich ist und so viele Klagewillige abschreckt. Brasilianerfordern daher auf der einen Seite als Geschädigte ihre Rechte häufig nichtein, auf der anderen Seite sehen sie als Schädiger oftmals keine Veranlas-sung, die Verantwortung für die von ihnen verursachten Schäden zu über-nehmen. Insofern fehlt in der Konsequenz der Anreiz zum Abschluß vonHaftpflichtversicherungen, die gesetzlich auch gar nicht vorgeschriebensind. Vielen Brasilianern ist der Sinn eines solchen Produktes, beispielswei-se der Kraftfahrzeughaftpflicht, sogar völlig unverständlich: Der Schadendes anderen wird durch die Prämienzahlungen gedeckt, der eigene hingegennicht — so präferiert die Mehrheit Produkte, die ausschließlich eigene Werteberücksichtigen, wenn Versicherungen abgeschlossen werden.

4. Strategien für deutsche Versicherungsunternehmen

4.1 Chancen durch das Rückversicherungsmonopol

Im Zusammenhang mit dem Rückversicherungsmonopol des IRB lassensich Strategien sowohl für Rück- als auch für Erstversicherer durch die ab-sehbare Monopolaufhebung ableiten. Für Rückversicherungsgesellschaftenwird in nächster Zukunft die Möglichkeit bestehen, auf dem prämienstärk-sten Markt der weltweit zweitgrößten Wachstumsregion, der bisher ge-schützt war, die Geschäftstätigkeit aufzunehmen.

Einzige Unbekannte in dieser Entwicklung ist der Zeitpunkt, zu dem dasbereits beschlossene Gesetz in Kraft treten wird. Dieser Umstand weist un-

mittelbar Konsequenzen bezüglich der Anfangsinvestitionen auf: Bei einemsofortigen Aktivitätsbeginn, etwa zum Kennenlernen des Marktes, werdendiese Investitionen höher ausfallen, als wenn der Augenblick abgewartet

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wird, zu dem tatsächlich der Rückversicherungsmarkt geöffnet werdenwird. Der Vorteil einer aktuellen Marktpräsenz ist der, daß bei einem mögli-chen Geschäftsbeginn schon die gesamte Infrastruktur aufgebaut sein kannund sofort Verträge abgeschlossen werden können, wodurch sich evtl. diehöheren Anfangsinvestitionen rechtfertigen lassen. Auf seiten der großendeutschen Rückversicherer sind beide Strategien beobachtbar: Die „Mün-chener Rück" ist schon mit einer Repräsentanz in Säo Paulo vertreten, die„Hannover Rück" noch nicht.

Eine Aufhebung bestehender Angebotsmonopole bringt naturgemäß eineReduzierung der Preise mit sich, wenn die Monopolgewinne aufgrund hö-herer Preise als in Märkten mit vollständiger Konkurrenz entfallen undwenn durch einsetzenden Wettbewerb Kostensenkungspotentiale genutztwerden, wozu vorher noch keine Notwendigkeit bestand. Für Brasilien be-deutet das günstigere Rückversicherungsprämien, konkret wird eine Preis-reduktion von 30% geschätzt. Die Frage ist, inwieweit der IRB in der Lagesein wird, seine Kostenstruktur zu verbessern. Zur Zeit wäre er im interna-tionalen Wettbewerb durch hohe finanzielle Altlasten benachteiligt, wo-durch die ausländischen Rückversicherer günstigere Prämien und evtl. so-gar auch bessere Konditionen und Produkte anbieten können.

Die Preisreduktion wirkt sich auch auf das Geschäft der Erstversichereraus, weil die Kosten für den Rückversicherungsschutz geringer ausfallenund so die Prämien im Erstversicherungsgeschäft günstiger gestaltet wer-den können. Die Versicherungsunternehmen können ihre Nachfrage aufdem im Vergleich zu heute freieren Markt ausrichten und die Produktewählen, die sie präferieren, bzw. die Zusammenarbeit mit den aus dem in-ternationalen Geschäft bekannten Partnern aufnehmen.

4.2 Konsequenzen des Vermittlungszwangs

Die aus der Bundesrepublik Deutschland gewohnte Vielfalt an Ver-triebsmöglichkeiten kann auf Brasilien nur unter sehr starken Einschrän-kungen übertragen werden, da die Einschaltung eines unabhängigen Mak-lers vorgeschrieben ist. Grundsätzlich kommen für Versicherungsunterneh-men innerhalb des obligatorischen Vermittlergeschäftes drei Vertriebsva-rianten in Frage: In einer ersten Variante tritt der Versicherer direkt mitKunden in Kontakt, und erst zum Vertragsabschluß wird ein Makler einge-schaltet. Einige Versicherungsunternehmen in Brasilien verfolgen bereitsdiese Strategie, müssen aber bei Direktwerbemaßnahmen immer den Zu-satz „Consulte sempre o seu Corretor" ( „Konsultieren Sie immer IhrenMakler") hinzufügen. Die vom Gesetzgeber eigentlich vorgesehene Funkti-on des Vermittlers, die Versicherungsnehmer zu informieren und aufzuklä-

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ren, wird auf diese Art und Weise nicht erfüllt, da er lediglich bei einer Ei-nigung der Vertragsparteien hinzugezogen wird, um die gesetzlichen Auf-lagen zu erfüllen.

Aus Sicht der Makler ist dies ein bequemes Geschäft, für die Versiche-rungsunternehmen hingegen bedeutet es einen etwas größeren Verwaltungs-

aufwand. Relevanter ist der durch die Vermittlungsprovision verursachtehöhere Endpreis für die Versicherungsdienstleistung. Lange Zeit warenPrämien und Provisionen von der Aufsichtsbehörde auf relativ hohen Ni-

veaus festgesetzt, so daß die Makler mit verhältnismäßig wenigen Vertrags-abschlüssen bereits zufriedenstellende Einkommen erzielten und oftmalskeine Veranlassung sahen, ihre Tätigkeit aktiver zu gestalten.

Daher sind die Versicherungsunternehmen gezwungen, auf die VermittlerEinfluß zu nehmen und ihnen zusätzliche Anreize zu bieten, mehr Versiche-rungsprodukte abzusetzen. Das stellt die zweite Vertriebsvariante inner-

halb des Vermittlungszwangs dar. Schließlich ist es drittens möglich, inlän-dische Versicherungskunden, die Tochtergesellschaften in Brasilien betrei-ben, aktiv auf eine Zusammenarbeit auch in Südamerika anzusprechen, um

so das vorhandene Kundenpotential auch weltweit besser auszuschöpfen.Aber auch hier gilt, daß ein Vermittler unter Entrichtung der Provision ein-

geschaltet sein muß - zumindest offiziell.

4.3 Strategien aufgrund überwundener Inflation

Durch die erfolgreiche Bekämpfung der Inflation entsteht in Brasilien einneuer Nachfragemarkt im Privatkundenbereich. Besondere Aufmerksam-keit verdienen dabei die Jugendlichen Brasiliens, die im Gegensatz zu ihren

Eltern Inflation und ihre Konsequenzen nicht kennengelernt haben unddeshalb eher gewillt sind, langfristige Verpflichtungen einzugehen.

Ein weiterer Faktor, der mit der wirtschaftlichen Entwicklung an Bedeu-tung verlieren wird und (noch) die Versicherungsnachfrage in ihrer Ent-

wicklung behindert, ist die stark polarisierte Volkswirtschaft mit einer un-

gleichen Einkommensverteilung. Eine Verbesserung in diesem Bereich wirdebenfalls dazu beitragen, daß mehr Konsumenten in die Lage versetzt wer-

den, überhaupt Versicherungsschutz nachfragen zu können.

Um von dieser Entwicklung zu profitieren, sollten sich die deutschen Ver-

sicherer, die sich überwiegend auf das Industriegeschäft konzentrieren,mehr im Bereich der Privatkunden engagieren. Aussichtsreiche Sparten fürein solches Engagement sind Lebens-, Kranken- und Kraftfahrzeugkasko-Versicherung. Im Lebensbereich sind bisher fast ausschließlich nur Todes

-fallversicherungen abgeschlossen worden.

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Im Bereich der privaten Krankenversicherung ist keiner der deutschenVersicherer aktiv. Da sich das öffentliche Gesundheitswesen in einem deso-laten Zustand befindet, ist eine zusätzliche Krankenversicherung für Brasi-lianer von besonderer Bedeutung. Nicht umsonst weist diese Sparte diehöchsten Zuwachsraten auf. Da ausländische Versicherungsunternehmenmeist über ein umfangreiches Know-How in dieser Sparte verfügen, das de-nen der brasilianischen Konkurrenten zumindest gleichwertig ist, bietet essich an, im Rahmen der strategischen Planung zu überdenken, in welcher

Weise von dieser Nachfragesteigerung profitiert werden kann.

Einen Vorteil, der durch die Inflation gegeben war, stellten für Anleger

die hohen Zinsen dar. Die Gewinne dort konnten bei Versicherungsunter-nehmen das versicherungstechnische Ergebnis, wenn es negativ ausfiel,mehr als ausgleichen. Zwar ist die Inflation auf erträgliche Raten gesunkenund mit ihr das Zinsniveau, doch Ende 1997 betrug die jährliche Zinsrateimmer noch ca. 40%, für 1998 werden ca. 26% erwartet. 12 Somit bestehennach wie vor gute Anlagemöglichkeiten, die nicht nur von den in Brasilientätigen Gesellschaften genutzt werden können.

Die niedrigeren Zinsen bewirken andererseits, daß die Kompensations-möglichkeiten des versicherungstechnischen (negativen) Ergebnisses nichtmehr so gut sind und daher die Prämienpolitik heute eine wichtigere Rollespielt als noch vor wenigen Jahren. Immer noch besteht durch die Gewinneim Anlagegeschäft Potential für Prämiensenkungen, dies jedoch wird wegender fallenden Zinsen von brasilianischen Versicherern häufig als zu risiko-reich angesehen. Für neue Anbieter ergeben sich somit Möglichkeiten, mitkostengünstigeren Produkten Marktanteile hinzuzugewinnen.

5. Fazit

Generell sprechen viele Faktoren für ein Auslandsengagement von Versi-cherungsunternehmen: Durch die Bearbeitung anderer Märkte als die desinländischen ist ein Beitrag zur Erfüllung der betriebswirtschaftlichen Zie-le möglich, auch sind in der Regel bessere Risikoaüsgleichsmöglichkeiten ineinem größeren Bestand zu erwarten. Speziell beim privaten brasilianischenVersicherungsmarkt sind verschiedene Entwicklungen erkennbar, die sichgegenseitig in günstiger Weise unterstützen. Eine Entwicklung ist die Libe-ralisierung dieses noch bis vor kurzem stark reglementierten Marktes durchTariffreigabe, Aufhebung der materiellen Staatsaufsicht, Öffnung für aus-ländische Versicherungsunternehmen und durch den Beschluß zur Aufhe-bung des staatlichen Rückversicherungsmonopols.

12 Vgl. Cruz, V., Rodrigues, F (1997), S. 2.15.

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Mittel- bis langfristig sind die Aussichten für ein Wachstum sowohl derVolkswirtschaft als auch des Versicherungssektors nach wie vor gut. Trotzdieser Boomsituation ist wegen der restriktiven Geldpolitik ein Wiederauf-flammen der Inflation nicht zu erwarten. Da besonders die Versicherungs-wirtschaft von einer stabilen makroökonomischen Situation profitiert, wirdsie von den aufgezeigten Rahmenbedingungen in hohem Maße Nutzen zie-hen können.

Für ausländische Versicherungsunternehmen ist Brasilien — neben ande-ren lateinamerikanischen Ländern — wegen der marktwirtschaftlichen Re-formen und des vergleichsweise einfachen Marktzutritts attraktiv. Könnensie mit wettbewerbsfähigen Produkten aufwarten, beachten sie die Risikenund nutzen sie die Marktstruktur, bieten sich dort den deutschen Versiche-rern aussichtsreiche Geschäftsmöglichkeiten.

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