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173 MISCELLANEA DER VIATOR IN APULEIUS' METAMORPHOSEN (Apuleiana Groningana VI) Das Wort viator kommt in den Metamorphosen neunmal vor und wenn wir die neun Stellen prffen, stellen wir fest, dass der viator uns jedesmal als ein vogelfreies Wesen geschildert wird, das wehrlos Stdrkeren ausgesetzt ist. I, 15 (14, 5 Helm) will Aristomenes, nach dem Erscheinen der Hexen, in panischem Schrecken aus der Herberge fliehen. Der schlaftrunkene ianitoy weist ihn darauf hin, dass die Wege von Rduberbanden unsicher gemacht werden, worauf ihm Aristomenes, der unbedingt die Herberge verlassen will, antwortet: quid viatori de summa pauperie latrones aufeyre possunt? Sowohl fiir den ianitor als fiir Aristomenes ist das Uberfallen und Ausrauben von Reisen- den etwas, das keiner weiteren Erklarung bedarf. 7, 4 (156, 24) flihrt Haemus das Berauben Reisender als einen Beweis seiner erfolgreichen Rauberlaufbahn an: mille aureum, quos insutu laciniae contexerat quosque variis viatoribus detractos ... communi confeyebat arcae. Selbstverstdndlich spricht Haemus hier vom Standpunkt seiner Rduberethik aus; aber das tut der Fest- stellung, dass es sich um etwas handelt, das sich haufig ereignet, keinen Abbruch (variis ) . Zu den um ihre Habe bangenden Bauern, die ihre Hunde auf vorbeiziehende viatoyes hetzen, sagen die Reisenden: quid miseros homines et laboyiosos viatoyes tam cyudelibus animis invaditis atque obteritis? (8, 18: 191, 4). Die miseri homines sind die laboriosi viatores, also kann das Adjektiv misey als Bezeichnung der Reisen- den verstanden werden. 9, 36 (230, 21) sind die Hunde, die der Autor als feros atque immanes bezeichnet, sogar transeuntium via- torum passivis morsibus alumnati. Der Krieger in 10, 1 (236, ig) macht sich ein Vergnügen daraus, Reisende zu erschrecken, indem er ihnen mit seiner Lanze droht: proptey teryendos miseyos viatoyes. Auch hier wiederum das Adjektiv miseros, das die Wehrlosigkeit der viatores betont, die sich anschei- nend nicht zur Wehr setzen konnen. Ja, der viator kann sogar das Ziel von Vergewaltigungsversuchen werden, wie 7, 21 (170, 1); wenigstens wird es von dem boshaften Jungen so dargestellt: ut quemque enim viatorem prospexerit (sc. asinus) ... furens incurrit et homines amatoy talis appetit. Kurz darauf wird sogar behauptet, dass er eine Frau bespringen will: mulieyem ibidem incoram omnium gestiebat inscendere 1). Die Soli- daritdt der viatoyes ist dann so gross, dass Reisegefdhrten der bedrdngten Frau -miseya wird sie (16) genannt - zu Hilfe eilen (15 f.). So begegnet uns in den Metamorphosen das Bild des viatoy, der

Der Viator in Apuleius' Metamorphosen (Apuleiana Groningana Vi)

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173 MISCELLANEA

DER VIATOR IN APULEIUS' METAMORPHOSEN

(Apuleiana Groningana VI) Das Wort viator kommt in den Metamorphosen neunmal vor und

wenn wir die neun Stellen prffen, stellen wir fest, dass der viator

uns jedesmal als ein vogelfreies Wesen geschildert wird, das wehrlos Stdrkeren ausgesetzt ist.

I, 15 (14, 5 Helm) will Aristomenes, nach dem Erscheinen der Hexen, in panischem Schrecken aus der Herberge fliehen. Der schlaftrunkene ianitoy weist ihn darauf hin, dass die Wege von Rduberbanden unsicher gemacht werden, worauf ihm Aristomenes, der unbedingt die Herberge verlassen will, antwortet: quid viatori de summa pauperie latrones aufeyre possunt? Sowohl fiir den ianitor als fiir Aristomenes ist das Uberfallen und Ausrauben von Reisen- den etwas, das keiner weiteren Erklarung bedarf.

7, 4 (156, 24) flihrt Haemus das Berauben Reisender als einen Beweis seiner erfolgreichen Rauberlaufbahn an: mille aureum, quos insutu laciniae contexerat quosque variis viatoribus detractos ... communi confeyebat arcae. Selbstverstdndlich spricht Haemus hier vom Standpunkt seiner Rduberethik aus; aber das tut der Fest-

stellung, dass es sich um etwas handelt, das sich haufig ereignet, keinen Abbruch (variis ) .

Zu den um ihre Habe bangenden Bauern, die ihre Hunde auf vorbeiziehende viatoyes hetzen, sagen die Reisenden: quid miseros homines et laboyiosos viatoyes tam cyudelibus animis invaditis atque obteritis? (8, 18: 191, 4). Die miseri homines sind die laboriosi viatores, also kann das Adjektiv misey als Bezeichnung der Reisen- den verstanden werden. 9, 36 (230, 21) sind die Hunde, die der Autor als feros atque immanes bezeichnet, sogar transeuntium via- torum passivis morsibus alumnati.

Der Krieger in 10, 1 (236, ig) macht sich ein Vergnügen daraus, Reisende zu erschrecken, indem er ihnen mit seiner Lanze droht:

proptey teryendos miseyos viatoyes. Auch hier wiederum das Adjektiv miseros, das die Wehrlosigkeit der viatores betont, die sich anschei- nend nicht zur Wehr setzen konnen.

Ja, der viator kann sogar das Ziel von Vergewaltigungsversuchen werden, wie 7, 21 (170, 1); wenigstens wird es von dem boshaften

Jungen so dargestellt: ut quemque enim viatorem prospexerit (sc. asinus) ... furens incurrit et homines amatoy talis appetit. Kurz darauf wird sogar behauptet, dass er eine Frau bespringen will: mulieyem ibidem incoram omnium gestiebat inscendere 1). Die Soli- daritdt der viatoyes ist dann so gross, dass Reisegefdhrten der

bedrdngten Frau -miseya wird sie (16) genannt - zu Hilfe eilen

(15 f.). So begegnet uns in den Metamorphosen das Bild des viatoy, der

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unter allen, sei es unterschiedlichen, Umstanden, die Zeche be- zahlen muss. Dies hdngt natür1ich damit zusammen, dass die Sicherheit auf den Strassen, vor allem in Thessalien, im zweiten nachchristlichen Jahrhundert nicht gross war 2). Aber es fallt doch immer wieder auf, dass an allen Stellen in den Metamorphosen, an denen von einem viator, die Rede ist, seine Wehrlosigkeit, sein

Vogelfrei-sein betont wird und dem Wort viator, dreimal das Ad-

jektiv misey hinzugeffgt wird. Auf Grund dieser Erwagungen ist es vorzuziehen, an der achten

Stelle (2, 12 : 35, 6), an der die Rede ist von einem gewissen Chalda- eus, der prophezeit qui dies copulas nuptiarum adfirmet ... qui negotiatori commodus, qui viatoyi celebris, qui navigiis opoytunus, die Lesart der Hss (celebris) beizubehalten. De Jonge ad loc 3), ebenso wie Petschenig, verteidigte Cornelissens Konjektur salubyis, weil celebris seiner Meinung nach die Bedeutung commodus, opportunus haben musste und daffr keine Parallelen zu finden sind. Da jedoch Apuleius bei dem viatoy immer dessen schwache und hilflose Lage betont, ist die Lesart celebris richtig: der Chaldaeus, der selbst- verstdndlich nur gunstige Dinge vorhersagt, prophezeit dem viator, welcher Tag celebyis ist : an welchem Tag viele Reisende unterwegs sind, ein Umstand, der die Sicherheit der Reisenden zweifelsohne

erhoht 4). Derselbe viator, standig vogelfrei, von Stdrkeren bedrdngt, ist

dann 7, 25 seinerseits derjenige, der sich auf einen vorbeiziehenden Esel sturzt, sich seiner bemachtigt, ihn besteigt, auspeitscht und forttreibt. Wiederum wird das Verb invadere verwendet, mit dem so oft die Nuance von Feindseligkeit und Gewalttatigkeit ver- bunden ist b) (172,23 wie Igz, 5). Der Esel wird als solitarium

vagumque (z72, 22) qualifiziert und kurz danach als solutum et solitarium (173, 17), womit er als Yes nullius bezeichnet wird, also als willige Beute fiir den Finder 6). Der viator kann sich ubrigens nicht lange des erworbenen Esels erfreuen; die Hirten finden ihn

sogleich, uberwaltigen ihrerseits viator und Esel und verprugeln ersteren. Und aufs neue beschwort der Reisende seine Angreifer: quid invaditis? (173, II invadere wie y2, 23 und 191, 5).

Überhaupt hat es den Anschein, dass die Szene von 7, 25 eine

Umkehrung von 7, 21 ist. Den Handlungsablauf in 7, 21 konnte man folgendermassen zusammenfassen:

asinus viatoyem prosPicit (170, 1) ... incuyyit (4) ... inscendit

(13, aber dann in der aussergewohnlichen Bedeutung von 'be-

springen') ; und den Handlungsablauf in 7, 25 wie folgt: viator asinum respicit (172, 22 ) ... invadit (23) ... inscendit (:z3).

Die Umkehrung ist auffallend, vor allem, wenn man bedenkt, dass

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die beiden Szenen kurz aufeinander folgen. Inwiefern dabei auch in 7, 25 erotische Konnotationen eine Rolle spielen so wie diese in dem Vergewaltigungsversuch von 7, 2z und der Verwendung von inscendere deutlich sind, ist eine Frage, die wir unbeantwortet lassen. Wohl gibt Apuleius selber fiir die Gelassenheit, mit der der Esel sich 7, 25 alles gefallen lasst, als Grund an, dass er damit dem

Angriff auf seine virilitas (173, 2), der drohenden Kastrierung, entgehen k6nnte und gerade das Ubermass an Virilitat war 7, 21, laut der Erzahlung des Jungen, die Ursache fiir des Esels unzu-

Idssiges Benehmen 7). Was fiir die namenlosen viatoyes, von denen bisher die Rede war,

galt, gilt auch fiir die profilierten viatores, obwohl das Wort viator nicht im Zusammenhang mit ihnen verwendet wird.

Die erste Stelle, an der das Wort viatoy vorkam (1, 15), war in der Geschichte, die Aristomenes dem Lucius uber seine Verdriess- lichkeiten erzahlte, als er ihm unterwegs begegnete und eine Strecke mit ihm zusammen reiste. Aristomenes ist ein lehrreiches

Beispiel daffr, was dem viatoy zustossen kann. Es war sogar soweit mit ihm gekommen, dass er Haus und Hof hatte aufgeben (relicta patria et laye i, 19: 18, 13) und eine neue Existenz in Aetolia auf- bauen mussen. Er erzahlt Lucius seine Geschichte. Obwohl dieser nicht als viatoy bezeichnet wird, ist er, wenn er im Anfang der

Erzahlung auftritt, auf Reisen: Thessaliam ex negotio petebam (1, 2 : 2, 8). Auch ihm drohen viele Gefahren wdhrend seiner Reise und nach seiner Verwandlung in einen Esel ist er unterwegs vielerlei

Prffungen ausgesetzt. Er ist ein wehrloses Opfer von Fortunas Launen und bezeichnet sich selbst in diesem Zusammenhang als misey (7, 15: 165, 23 ; miserum spiritum 7, 10: z6z, 23). Erst wenn er in dem portus Quietis angelangt ist (II, 15: 277, 6), ist seine Reise zu Ende und in seiner grossen Rede sagt der Priester von Isis, wenn er zuruckblickt auf Lucius' uberstandene Note, nachdem dieser in seine menschliche Gestalt zuruckverwandelt ist: quid latrones, quid ferae, quid seyvitium, quid asperyimoyum itineyum

ambages recipyocae ... nefayiae Foytunae Pyofuit? (277, 16 f.). So wird, wenn Lucius' Reise zu Ende ist, noch einmal das Bild der

aspeyyimorum itineyum ambages heraufbeschw6rt, wobei er als viatoy in Menschen- und Eselsgestalt wehrlos den latyones und feyae aus-

geliefert war, wie das auch bei den anonymen viatoyes der Fall war 8).

HAREN, Middelhorsterweg 4 V. SCHMIDT

1) Für die aussergewöhnliche Bedeutung von inscendere = bespringen, siehe den noch zu erscheinenden Band der Groningen Commentaries on Apuleius (= GCA) ad loc.

2) Siehe GCA ad 158, 9-10 mit Literaturangabe. Vgl. auch H. Riefstahl, Der Roman des Apuleius (Frankfurt 1938), 52 f.

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3) B. J. de Jonge, Ad Apulei Madaurensis Metamorphoseon librum secun- dum commentarius exegeticus (Groningen 1941). Soweit ich sehe, ist salubris von den Herausgebern nicht in den Text aufgenommen, ausser von van der Vliet (1897).

4) Für die Kombination via celebris, siehe z.B. Cato Agr. 1, 3 via bona celebrisque, Ovid. F. 5, 102. Interessant ist Amm. 28, 2, 10 haec inter per Gallias latrociniorum rabies saeva scatebat in perniciem multorum, observans celebres vias fundensque indistanter quidquid inciderat fructuosum, wo auch ein Zusammenhang zwischen Räuberei und belebten Strassen angedeutet wird, sei es auch, dass der rege, lebhafte Verkehr hier gerade eine Heraus- forderung für Räuber bedeutet. Es handelt sich Met. 2, 12 um negotiator, viator, navigia. Auch bei dem letzten Wort denkt man doch in erster Linie an reisende Händler. Das bedeutet, dass ich in der Übersetzung von Helm (1970) : "(der Tag) welcher dem Wanderer zahlreiche Begleitung verspricht" das Wort "Wanderer" ersetzen würde durch "Reisende". Unrichtig scheint mir auch die Übersetzung von Brandt-Ehlers (1958) : "segenreich" (= celebris), Rode-Burck (1961) "glücklich" ; Schwartz (1970) : "welke aan- genaam voor de wandelaar is". Auch die Übersetzungen von Vallette (1940), Carlesi (1954), Augello (1958) sind ungenau.

5) Siehe GCA ad 172, 23. 6) Siehe GCA ad loc. 7) Vgl. noch 7, 23 (171, 16) nimio libidinis. 8) Den Mitgliedern der Apuleius-Arbeitsgruppe der Universität Groningen,

insbesondere Herrn Dr. B. L. Hijmans, danke ich für ihre kritischen Be- merkungen.

MISCELLANEA

CONSOLATIO AD LIVIAM 279-280

Poeta ignotus de Germanorum poena sic scripsisse traditur: consistam lentisque oculis laetusque uidebo

strata per obscenas corpora nuda uias.

(Cons. ad Liu. 279-280)

strata ceteri codd. : fracta Vat. Vrb. 353.

Quamquam fatendum est cadauera Galbae amicorumque eius anno p. C. n. 69 in foro paulisper iacuisse (Plut. Galba 28), mea

quidem sententia uix credibile est captiuorum occisorum corpora per urbis uias solita esse sterni. Notissimum enim est, postquam carnufex tristissimum munus in carcere perfecisset, necatorum cadauera per uias ad Scalas Gemonias uncis tracta inde in Tiberim

proiecta esse. (cf. Witlox ad loc. cit., Mayor ad Iuuenal. 10, 66). Velim igitur loco strata legere tyacta, ex quo non solum strata (tracta - tyata - strata) sed etiam fyacta facillime oriri poterat. Vias cruore obscenas factas esse, ut Witlox, sic ego opinor (cf. obscenum ... cruoyem, Verg. Aen. 4, 455).

DUBLINI, e collegio uniuersitario IOANNES RICHMOND