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73 Deutsches Nachrichtenmagazin · 3/2013 Foto: ZUERST!-Archiv Dugin in den etablierten Medien in der Bundesrepublik Deutschland keinen leichten Stand. Vor allem die links- alternative taz erblickt in dem hoch- gewachsenen Mann mit langem Voll- bart gar etwas Bedrohliches. Dugin, schreibt die taz, sei „Chefideologe“ und nenne „sich zwar ,Philosoph‘, doch am ehesten wird seinem Auftreten der Be- griff Sektenführer gerecht“. Aus den Schriften Dugins lesen die taz-Schreiber gar eine „faschistische Rhetorik“ her- aus. Der deutsche Historiker Andreas Umland, der an der Katholischen Uni- versität Eichstätt-Ingolstadt Mittel- und Osteuropäische Geschichte lehrt, warn- te im Jahr 2008, Alexander Dugins Ein- fluß in der russischen Politik könnte gar zu einem „zweiten Kalten Krieg zwi- schen Moskau und dem Westen“ füh- ren. 30 Jahre nach Reagans Rede war- nen westliche Journalisten, Wissen- schaftler und Politiker wieder vor einem Rußland, welches gar unter dem finste- ren Einfluß eines „Sektenführers“ steht. Das „Reich des Bösen“ scheint wieder zurückgekehrt. Alexander Dugin schmunzelt, wenn er das alles über sich hört. Er kennt die- se Angriffe, sie scheinen ihm nichts aus- zumachen. In Freiburg im Breisgau steht er vor dem Haus des Philosophen Martin Heidegger, während sein Sohn Arthur das Stativ seiner Kamera auf- baut. Der Himmel ist dunkelgrau, es E s ist genau 30 Jahre her, daß US-Prä- sident Ronald Reagan am 8. März 1983 in Orlando in Florida das Redner- pult betrat, um zu Angehörigen der christlich-konservativen „National As- sociation of Evangelicals“ zu sprechen. Sein Redenschreiber, der US-amerika- nische Pulitzer-Preisträger Anthony R. Dolan hatte sozusagen sein Meister- stück abgeliefert. Der gerademal 32jäh- rige Journalist Dolan wußte, wie man Reagan richtig inszeniert. Die Rede in Orlando sollte einschlagen wie eine Bombe. Der US-Präsident polterte vor den konservativen Christen gegen die Sowjetunion. Doch diesmal bezeich- nete er die UdSSR nicht etwa nur als eine „kommunistische Diktatur“ oder „Bedrohung der Freiheit“ – diesmal nannte er sie das „Reich des Bösen“. Das war die pathetische Sprache, die beim religiösen Publikum ankam. Minuten- lang klatschten die Zuhörer, gaben ste- hende Ovationen. Es ging nicht nur darum, einen geopolitischen und ideo- logischen Konkurrenten in Schach zu halten, es war der klassische Kampf „Gut gegen Böse“. Und aus den We- stern, in denen auch Reagan früher mit- gespielt hatte, wußten die Amerikaner: Am Ende gewinnen immer die Guten. Die Sowjetunion gibt es schon lange nicht mehr, die Russische Föderation steht jetzt an ihrem Platz. Rußland ist nicht mehr kommunistisch, es schart nicht mehr sozialistische Satellitenstaa- ten um sich und verschifft auch keine Atomraketen mehr nach Kuba. Und heute fliehen keine sowjetischen Intel- lektuellen mehr unter abenteuerlichen Umständen in den Westen, sondern Schauspieler wie der Franzose Gérard Depardieu siedeln ganz legal und erster Klasse nach Rußland über. Denn dort locken vor allem eine niedrige Einheits- steuer und ein gutes Leben mit dem Promibonus. Und trotzdem: In der westlichen Be- richterstattung hat Rußland längst wie- der zur Rolle des alten Bösewichts zu- rückgefunden. Der russische Präsident Wladimir Putin sei eine Art Diktator, der eine finstere, autoritäre Großmacht- politik betreibe. Im UN-Sicherheitsrat spielt Rußland in den Augen vieler westlicher Beobachter wieder den no- torischen Nein-Sager, den man schon aus den Zeiten des Kalten Krieges kennt. Und die anarchistischen Kirchenschän- derinnen von „Pussy Riot“ werden heu- te im Westen gefeiert wie einstmals der russische Dissident Alexander Solsche- nizyn. Prof. Alexander Dugin gehört zu den bekanntesten intellektuellen Köpfen je- nes neuen Rußland, das den Westen wieder beunruhigt. Und als solcher hat Vor ihm warnen westliche „Rußlandexperten“: Prof. Alexander Dugin gilt als einer der bekanntesten – und gleichzeitig umstrittensten – russischen Politologen Der Vordenker Das „Reich des Bösen“ scheint wieder zurückgekehrt.

Der Vordenker - WordPress.com · 2013. 4. 17. · den läßt sich Alexander Dugin derweil die von ihm erstandenen Bücher vom Verkäufer in eine Tüte packen. Die wilden 1990er Jahre

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    Dugin in den etablierten Medien in der Bundesrepublik Deutschland keinen leichten Stand. Vor allem die links-alternative taz erblickt in dem hoch-gewachsenen Mann mit langem Voll-bart gar etwas Bedrohliches. Dugin, schreibt die taz, sei „Chefi deologe“ und nenne „sich zwar ,Philosoph‘, doch am ehesten wird seinem Auftreten der Be-griff Sektenführer gerecht“. Aus den Schriften Dugins lesen die taz-Schreiber gar eine „faschistische Rhetorik“ her-aus.

    Der deutsche Historiker Andreas Umland, der an der Katholischen Uni-versität Eichstätt-Ingolstadt Mittel- und Osteuropäische Geschichte lehrt, warn-te im Jahr 2008, Alexander Dugins Ein-fl uß in der russischen Politik könnte gar zu einem „zweiten Kalten Krieg zwi-schen Moskau und dem Westen“ füh-ren. 30 Jahre nach Reagans Rede war-nen westliche Journalisten, Wissen-schaftler und Politiker wieder vor einem Rußland, welches gar unter dem fi nste-ren Einfl uß eines „Sektenführers“ steht. Das „Reich des Bösen“ scheint wieder zurückgekehrt.

    Alexander Dugin schmunzelt, wenn er das alles über sich hört. Er kennt die-se Angriffe, sie scheinen ihm nichts aus-zumachen. In Freiburg im Breisgau steht er vor dem Haus des Philosophen Martin Heidegger, während sein Sohn Arthur das Stativ seiner Kamera auf-baut. Der Himmel ist dunkelgrau, es

    Es ist genau 30 Jahre her, daß US-Prä-sident Ronald Reagan am 8. März 1983 in Orlando in Florida das Redner-pult betrat, um zu Angehörigen der christlich-konservativen „National As-sociation of Evangelicals“ zu sprechen. Sein Redenschreiber, der US-amerika-nische Pulitzer-Preisträger Anthony R. Dolan hatte sozusagen sein Meister-stück abgeliefert. Der gerademal 32jäh-rige Journalist Dolan wußte, wie man Reagan richtig inszeniert. Die Rede in Orlando sollte einschlagen wie eine Bombe. Der US-Präsident polterte vor den konservativen Christen gegen die Sowjetunion. Doch diesmal bezeich-nete er die UdSSR nicht etwa nur als eine „kommunistische Diktatur“ oder „Bedrohung der Freiheit“ – diesmal nannte er sie das „Reich des Bösen“. Das war die pathetische Sprache, die beim religiösen Publikum ankam. Minuten-lang klatschten die Zuhörer, gaben ste-hende Ovationen. Es ging nicht nur darum, einen geopolitischen und ideo-logischen Konkurrenten in Schach zu halten, es war der klassische Kampf „Gut gegen Böse“. Und aus den We-stern, in denen auch Reagan früher mit-gespielt hatte, wußten die Amerikaner: Am Ende gewinnen immer die Guten.

    Die Sowjetunion gibt es schon lange nicht mehr, die Russische Föderation steht jetzt an ihrem Platz. Rußland ist nicht mehr kommunistisch, es schart nicht mehr sozialistische Satellitenstaa-

    ten um sich und verschifft auch keine Atomraketen mehr nach Kuba. Und heute fl iehen keine sowjetischen Intel-lektuellen mehr unter abenteuerlichen Umständen in den Westen, sondern Schauspieler wie der Franzose Gérard Depardieu siedeln ganz legal und erster Klasse nach Rußland über. Denn dort locken vor allem eine niedrige Einheits-steuer und ein gutes Leben mit dem Promibonus.

    Und trotzdem: In der westlichen Be-richterstattung hat Rußland längst wie-der zur Rolle des alten Bösewichts zu-rückgefunden. Der russische Präsident Wladimir Putin sei eine Art Diktator, der eine fi nstere, autoritäre Großmacht-politik betreibe. Im UN-Sicherheitsrat spielt Rußland in den Augen vieler westlicher Beobachter wieder den no-torischen Nein-Sager, den man schon aus den Zeiten des Kalten Krieges kennt. Und die anarchistischen Kirchenschän-derinnen von „Pussy Riot“ werden heu-te im Westen gefeiert wie einstmals der russische Dissident Alexander Solsche-nizyn.

    Prof. Alexander Dugin gehört zu den bekanntesten intellektuellen Köpfen je-nes neuen Rußland, das den Westen wieder beunruhigt. Und als solcher hat

    Vor ihm warnen westliche „Rußlandexperten“:Prof. Alexander Dugin gilt als einer der bekanntesten –

    und gleichzeitig umstrittensten – russischen Politologen

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    Das „Reich des Bösen“scheint wieder zurückgekehrt.

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  • weht ein kalter Wind. Der Wetter bericht hat Regen vorausgesagt, doch bislang ist es trocken. Durch die Bäume ziehen Nebelschwaden. Alexander Dugin hat die Hände in den Taschen seines Man-tels vergraben, sein Blick geht zum Himmel. „Das Wetter ist perfekt“, sagt er zufrieden. Mit seinem Sohn dreht er eine Videodokumentation über Martin Heidegger. Um das Heidegger-Haus zu fi nden, muß man die Adresse genau kennen. Kein Schild weist den Weg, kaum ein touristischer Reiseführer macht darauf aufmerksam. Freiburg ist nicht stolz auf „seinen“ Philosophen – im Gegenteil. Eher etwas verschämt wird er versteckt. Denn Martin Heideg-ger sei ein „Nazi-Philosoph“ gewesen. Und in einer grünregierten Univer-sitätsstadt ist man zwar stolz auf die verkehrsberuhigten Zonen und auf die hohe Dichte an „Fair Trade“-Geschäf-ten, nicht aber auf einen weltweit be-rühmten Philosophen. Dugin schüttelt

    tion, Dugin schreitet am Heidegger-Haus vorüber.

    Heidegger kennt der 1962 in Mos-kau geborene Dugin bereits aus der So-wjetzeit. Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion organisierte er Lesezirkel und Gruppen, die mit wenig Rücksicht auf die akademischen Gepflogenhei-ten unter der Herrschaft der KPdSU auch Werke lasen und diskutierten, die in den sowjetischen Unis allenfalls im „Giftschrank“ zu fi nden waren.

    Während Michail Gorbatschow das letzte Kapitel der UdSSR mit Glasnost und Perestroika einläutete, saß Alexan-der Dugin mit Gleichgesinnten zu-sammen und kostete die – noch – ver-botenen Früchte: Neben Martin Hei-

    den Kopf. Fast scheint es so, als habe er etwas Mitleid mit uns Deutschen. „Mar-tin Heidegger war der bedeutendste Philosoph des 20. Jahrhunderts“, do-ziert Dugin und streicht sich kurz über seinen Bart. „Doch hier in Freiburg muß man lange suchen, um in einer Buchhandlung seine Werke zu fi nden.“ Es ist Alexander Dugins erster leibhaf-tiger Kontakt mit der deutschen Vergangenheitsbewäl tigung, sein erster Besuch in Deutschland. In Rußland, er-zählt Dugin, stehe Martin Heidegger hoch im Kurs. An der Moskauer Uni-versität, an der auch Dugin lehrt, spiele der deutsche Philosoph eine wichtige Rolle. Daß die Deutschen mit ihren ei-genen Söhnen nichts mehr anzufangen wissen, ist auch für den russischen Pro-fessor nur schwer zu verstehen. Der er-klärte Freund und Bewunderer der Deutschen fi ndet sich in einem Nie-mandsland wieder, das mit sich selbst hadert. Die Kamera ist endlich in Posi-

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    Liberalismuskritiker: Der französische Publizist und Philosoph Alain de Benoist im Gespräch mit Alexander Dugin.

    „Gut“ trifft „Böse“: US-Präsident Ronald Reagan und Michail Gorbatschow im Jahr 1988

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    Die neue Nationalbolschewistische Partei Rußlands setzte aufmaximale Aufmerksamkeit.

    Alexander Dugin vor dem Heidegger-Haus in Freiburg: „Bedeutendster Philosoph des 20. Jahrhunderts“

    Schocktherapie für westliche Beobachter:Aufmarsch der russischen Nationalbolschewisten

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  • 75Deutsches Nachrichtenmagazin · 3/2013

    Vor dem Freiburger Münster durch-stöbert Dugin einen Stand mit antiqua-rischen Büchern. Er nimmt das eine oder andere Buch in die Hand, blättert darin ein wenig – und legt es wieder zu-rück. Mittlerweile hat es doch noch an-gefangen zu regnen. Dugin stört das nicht. Nach wie vor scheint er das trübe Wetter eher zu genießen und wühlt sich weiter durch das Bücherangebot. Alex-ander Dugin beherrscht neun Sprachen – darunter auch Deutsch. Er ist ein be-gnadeter Autodidakt, er bringt sich Fremdsprachen selber bei.

    Sein Sohn Arthur, Mitte 20 und Phi-losophiestudent, verrät die Lerntechnik seines Vaters, der gerade jene Bücher stapelt, die er kaufen möchte. „Er geht systematisch an die Sache ran, zunächst lernt er die Syntax einer Sprache – die Struktur also –, dann füllt er diese sozu-sagen mit dem Vokabular auf.“ Zufrie-den läßt sich Alexander Dugin derweil die von ihm erstandenen Bücher vom Verkäufer in eine Tüte packen.

    Die wilden 1990er Jahre sind lange vorüber. 1998 endete die Zusammen-arbeit zwischen Limonow und Dugin. Während der Literat Limonow heute die Anti-Putin-Protestbewegung unter-stützt, steht sein ehemaliger Kampf-genosse Dugin auf der anderen Seite der Barrikade. Dugin leitet heute das sozio-logische Institut der Universität Mos-kau – und berät auch Außenpolitiker

    degger wurden auch der italienische Phi-losoph Julius Evola oder der Franzose René Guénon gelesen und debattiert.

    Als nach dem Auseinanderfallen der Sowjetunion Boris Jelzin in Moskau regierte, schlug die große Stunde der Propheten des „freien Marktes“ in Rußland. Binnen weniger Jahre bildete sich eine superreiche Oligarchenkaste. Unter dem trinkfreudigen Boris Jelzin wurden die Ressourcen des Landes ge-plündert und unter wenigen „Business-men“, oftmals ehemaligen Funktio-nären der 1991 aufgelösten kommuni-stischen Jugendorganisation Komso-mol, aufgeteilt.

    In dem politischen Vakuum dieses vollkommenen Zusammenbruchs war es unter anderem Alexander Dugin, der nicht hinnehmen wollte, daß Rußland nun ähnlich wie die osteuropäischen Staaten einfach der westlich-liberalen Sphäre angeschlossen wird. 1992 – im gleichen Jahr, in dem der US-amerika-nische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama vom „Ende der Geschichte“ schwärmte – gründete Dugin gemein-sam mit dem bekannten russischen Schriftsteller Eduard Limonow die „Na-tionalbolschewistische Partei Ruß-lands“. Limonow war populär, Dugin steuerte große Teile des Programms bei. Zum ersten Mal nahm man im Westen Notiz von Alexander Dugin – und war schockiert. Denn die neue Partei setzte

    sofort auf maximale Aufmerksamkeit: Die Parteifahne war knallrot mit wei-ßem Kreis, darin in Schwarz Hammer und Sichel. Limonow sorgte für regel-mäßige Skandale, schnell schlossen sich vor allem junge Russen, darunter auch viele Künstler, dieser ganz anderen poli-tischen Gruppierung an, die gegen Bo-ris Jelzin und gegen „das antihumane System der Troika, die aus dem Libera-lismus, der Demokratie und dem Kapi-talismus besteht“, kämpfte. Bei Wahlen war die neue Partei nie wirklich erfolg-reich, dafür sorgte sie mit ihren zahlrei-chen Aufmärschen für Furore.

    Alexander Dugin erinnert sich gerne an diese kämpferischen Jahre zurück. „Wir haben erkannt, daß man nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegen die westlichen Hegemonial-bestrebungen kämpfen muß. Die Regie-rung unter Boris Jelzin hat alle Schleu-sen für die westlich-liberale Invasion geöffnet. Wir wollten das verhindern.“ Damals verkündeten die Nationalbol-schewisten, sie wollten „die radikalsten Formen des nationalen Widerstandes mit den radikalsten Formen des sozi-alen Widerstandes verbinden“.

    Alexander Dugin während einer seiner Reden in Rußland: „Ästhetik ist wichtig.“

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    bestrebungen kämpfen muß.“

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  • des Kreml. Bei westlichen Beobachtern schrillen daher die Alarmglocken. Denn Dugin denkt gar nicht daran, sich von seiner Vergangenheit zu „distanzieren“, wie man es vor allem aus der Bundes-republik Deutschland kennt.

    Und als Professor erfreut sich der charismatische Russe zudem großer Be-liebtheit bei seinen Studenten. Wenn Dugin spricht, ist gewaltiger Andrang garantiert. Nicht selten bettet er seine Reden in bombastische Videoinstal-lationen ein. Während Dugin zu seinen Zuhörern spricht, schießen hinter ihm auf einer Leinwand die Flammen in die Höhe, oder es werden Explosionen ge-zeigt. Jedenfalls weiß er, wie man sein Publikum fesselt. Längst wurden seine Veranstaltungen zum avantgardisti-schen Geheimtipp in Moskau.

    „Ästhetik ist uns wichtig“, sagt er ru-hig, und steuert auf ein kleines Café zu. Dugin hängt seinen Mantel an die Gar-

    Partner.“ Das sind Worte, bei denen ei-nem schnell klar wird, warum das poli-tische Berlin Dugins Thesen meidet wie der Teufel das Weihwasser.

    Dugin scheut sich auch nicht davor, den in der Bundesrepublik Deutschland tabuisierten Begriff der Geopolitik zu benutzen. Der deutsche Geograph und Militär Karl Haushofer gilt als einer der Begründer der Wissenschaft, die seit 1945 in Deutschland nicht mehr gelehrt wird. Die alliierten Siegermächte mach-ten Haushofers Lehre als Gefahrenquel-le aus und sorgten dafür, daß sie nicht mehr in den Lehrplänen vorkommt. Während heute kaum ein Student in Deutschland mit Haushofers Werken in Berührung kommt, bezieht sich Alex-ander Dugin in seinen Vorlesungen und Büchern wie selbstverständlich auf den deutschen Wissenschaftler. „Es geht aber vor allem auch darum, Haushofers Ideen nicht einfach zu konservieren, sondern sie weiterzuentwickeln.“ Die modifi zierte Eurasien-Idee ist eine sol-che Weiterentwicklung.

    Hauptfeind dieser Idee ist – wie be-reits in den 1990er Jahren – der west-lich-liberale Hegemonialanspruch. „Die Globalisierung verlangt, daß sich die ganze Welt dem westlich-liberalen Wer-tesystem, das keine Traditionen, keine Völker und keine Kulturen mehr kennt, unterwirft“, doziert Dugin und beugt sich über den Tisch. Mit seiner Hand deutet er auf dem Tisch den westlichen Machtblock an, der teils über soge-nannte NGOs oder eben mit Kriegen an seiner Peripherie darum bemüht ist, sein Gebiet auszubreiten. Der Konfl ikt werde immer wieder sichtbar – etwa im Pussy Riot-Skandal, der massiv von westlichen NGOs, Medien und Politi-kern mit angeheizt wurde, oder eben auch in heißen Kriegen, wie derzeit im

    derobe, unter sei-nem schwarzen Sakko trägt er ein quergest re i f tes Hemd, das an die typischen Unter-hemden der rus-sischen Armee er-innert. Und wie steht es um den Nationalbolsche-wismus? „Es war eine Phase in den 1990er Jahren“, erklärt er, „doch man muß sich w e i t e r e n t w i k -keln“. Dabei fährt er sich wieder mit der Hand durch seinen Bart. Bevor er seinen Kaffee

    trinkt, bekreuzigt sich der gläubige or-thodoxe Christ.

    In Moskau betreiben Dugin und sein Kreis junger Wissenschaftler mittler-weile eine eigene umtriebige Denk-fabrik. Die stramm traditionalistischen Inhalte werden dabei modern aufberei-tet. „Ästhetik ist uns wichtig“, wieder-holt Dugin und schwenkt seine Kaffee-tasse ein wenig hin und her.

    Das Konzept, für das Dugin und sei-ne Mitstreiter – meist junge Intellek-tuelle und Studenten – stehen, bezieht sich auf die Eurasien-Idee: ein euro-asiatischer Kontinentalblock als macht-volles Gegengewicht zum transatlan-tischen Bündnis. „Das ist notwendig und dafür kämpfen wir“, sagt Dugin ent-schlossen. Wo sieht er die Rolle Deutsch-lands in einer solchen Ordnung? „Deutschland ist das Zentrum Europas, ein Deutschland, das sich selber wieder-fi ndet, wird einer unserer wichtigsten

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    Dugin im Eingangsportal des Freiburger Münsters

    Auge in Auge: Alexander Dugin im Gespräch mit demUS-amerikanischen Regierungsberater Zbigniew Brzezinski.

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    Dugin mit seinem Sohn Arthur beim Bücherkauf in Freiburg

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  • Syrienkonfl ikt. Der Westen verfechte das Konzept einer „unipolaren Welt“, so Dugin. Dem setzt er eine multipolare Weltordnung entgegen – mit einem starken eurasischen Raum als eines der politischen Zentren. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin beschei-nigt Dugin – zumindest in der Außen-politik – die richtige Richtung.

    Wenn die Grenze zwischen dem westlichen Hegemonialanspruch und Eurasien brennt, scheut sich Dugin auch nicht davor, selber dorthin zu gehen, wo scharf geschossen wird. Wäh-rend des Georgienkrieges im Jahr 2008 besuchte er die russische Armee. „Un-sere Truppen sollen die georgische Hauptstadt Tifl is besetzen, das ganze Land, und am besten gleich die Ukraine noch dazu mit der Halbinsel Krim, die ohnehin historisch zu Rußland gehört“, zitierte ihn der Spiegel. Er sei der „rau-schebärtige Chefi deologe des wieder-erwachten Großrussentums“, wetterte das linke Hamburger Nachrichten-magazin gegen Dugin. Dem wiederum huscht ein kurzes Lächeln über den Mund, und anstatt sich darüber auf-zuregen, zeigt er einige Fotos von sei-nem Truppen besuch an der Georgien-front: Eines zeigt ihn, wie er eine rus-sische Panzerbüchse hält, auf einem anderen Bild steht er mit einer Kalasch-nikow vor einem russischen Panzer. An diesem Mann ist wirklich nichts, rein gar nichts politisch korrekt.

    „Doch der Kampf gegen die west-lich-liberalen Hegemonialbestrebun-gen fi ndet vor allem in den Köpfen

    zeln fi nden, zu unseren Mythen und Traditionen.“

    Wer mit dem russischen Philo-sophen spricht, braucht nicht lange, um zu verstehen, weshalb westliche Jour-nalisten in ihm eine Bedrohung sehen: Er weiß, wie man seine Zuhörer fesselt. Auch wenn er nur in einem Café sitzt und keine bombastischen Projektionen seinen Vortrag unterstützen.

    Müssen auch wir Deutschen wieder lernen, Deutsche zu sein? Dugin lacht. Das erste Mal an diesem Tag. Nach einer kurzen Pause antwortet er ruhig: „Wenn die Deutschen sich über ihr eigenes Da-sein bewußt werden und sich aus dem transatlantischen Albtraum verabschie-den, rückt ,Eurasien‘ bedeutend näher. Denn ohne die Deutschen kann das west-lich-liberale Projekt EU nicht existieren.“ Feiern wir dann zusammen in Berlin oder Moskau? Dugins blaue Augen blit-zen auf. „Warum nicht in Königsberg?“

    Eines scheint aber sicher: Wer auch immer an jenem Tag US-amerikani-scher Präsident sein wird, wird aber-mals vor seine Anhänger treten und von der Wiederauferstehung des „Reichs des Bösen“ sprechen.

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    statt“, sagt Dugin lei-se, während er die Georgien-Bilder wie-der zusammenpackt. „Während an den westlichen Univer-sitäten so getan wird, als seien der Libera-lismus und der Indi-vidualismus der Gip-fel menschlicher Ent-wicklung, geht es uns darum, eine Alter-native zu entwik-keln.“ Kommunismus, Faschismus und Liberalismus seien die drei großen poli-tischen Theorien des 20. Jahrhunderts gewesen. Politisch machtvoll sei heute nur noch der Liberalismus, den Dugin als „totalitäre Ideologie mit Univer-salanspruch“ bezeichnet. Der Liberalis-mus habe Faschismus und Kommunis-mus bereits überwunden und sozusa-gen verdaut. „Der heu tige Liberalismus hat in seinen Herrschaftssphären nicht einmal mehr richtige Feinde.“ Dort re-giere die politische Langeweile. Dugin wählt seine Worte bewußt scharf. „Die Welt muß sich selbst vom Joch des Libe-ralismus befreien.“ Doch wie? Dugin spricht über die „Vierte Politische Theorie“, die er vor kurzem als Buch veröffentlichte. „Ein wichtiger Schlüssel für die Überwindung der Moderne liegt hier in Freiburg.“ Es sei Heideggers Be-griff vom „Dasein“, erklärt Dugin. Und es gäbe eben nicht nur ein einziges „Da-sein“, sondern viele verschiedene. Also gäbe es nicht nur eine einzige „Vierte Politische Theorie“ sondern eine ganze weltweite Familie von antimodernen „Daseinssphären“, die allesamt eines ge-meinsam hätten: ihre Gegnerschaft zum west lichen Hegemonialanspruch. „Wir müssen wieder zu unseren Wur-

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    Alexander Dugin im Gespräch mit ZUERST!-Chefredakteur Manuel Ochsenreiter

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    Alexander Dugin beim Truppenbesuchim Georgienkrieg im Jahr 2008

    „Müssen wir Deutschen lernen, wieder Deutsche zu sein?“

    Dugin lacht.

    Prof. Alexander Dugin skizziert in seinem Buch The Fourth Political Theory seine Idee einer anderen Weltordnung. Auf das Zeitalter von Kommunismus, Faschismus und Li-beralismus müsse nun eine „vierte“ Idee folgen, so der Autor. Das Buch liegt bislang nur auf Russisch und Englisch vor. The Fourth Political Theory ist im britischen Arktos-Ver-lag erschienen und kostet 25 Euro.

    BUCHVERSAND DEUTSCHES NACHRICHTENMAGAZIN

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