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Der Waise in der deutschen Krone. Eine Frage des Germanisten an Historiker und Kunsthistoriker. Von Friedrich R a n k e . Alle Beschreiber der alten deutschen „Kaiserkrone" scheinen sich darüber einig, daß der berühmte Kronedelstein, der „Waise", einst auf ihrer Stirnseite angebracht gewesen sei. Man zeigt noch den besonders großen Einfassungsring, der ihn gehalten haben soll, und in dem sich heute ein indischer Saphir als Ersatz befindet. Als Zeugen zitiere ich nur: A r p a d Weixlgärtner, Die weltüche Schatzkammer in Wien (Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlung in Wien, N. F., Sonderheft 2, Wien 1928) S. 53; Fritz Traugott Schulz, Die deutschen Reichskleinodien, Leipzig 1934, S. 37; E d u a r d Eichmann, Die Kaiserkrönung im Abendland II, Würzburg 1942, S. 73. — Demgegenüber sagt W a 11 h e r von der Vogelweide bekanntlich ebenso eindeutig, der weise stehe „über dem Nacken" des Gekrönten: swer nü des riches irre ge j der schouwe wem der weise ob sinem nacke ste: / der stein ist aller fürsten leitesterne (19, 3). — Wie reimt sich das zusammen ? Daß es nicht angeht, die ausdrückUche Angabe Waithers etwa mit Weixlgärtner und früheren „nicht wörtlich zu nehmen" oder sonstwie weg- zuinterpretieren, hat Schwietering (Anzeiger für das deutsche Altertum 48, 1929, S. 80) bereits mit Recht betont. Also hätte Walther sich geirrt ? Ein solcher „Irrtum", der den hochpolitischen Spruch vom Jahre 1198 von vornherein der Lächerhchkeit ausgeliefert haben würde, ist dem scharfen Beobachter und treffsicheren Sprachkünstler gewiß nicht zuzutrauen. — Demnach läge der Irrtum auf Seiten der Kunsthistoriker, und der Waise befand sich tatsächlich auf der Nackenseite der Krone ? Er hätte sich vielleicht „weniger durch seine Größe, als durch seinen Glanz ausgezeichnet" (Schwietering a.a.O.). Die Möglichkeit ist zuzugeben; aber ist die Annahme notwendig ? Daß die Neigung, den Waisen auf der Stirnseite der Krone zu suchen, nicht allein „in moderner Anschauung gründet, die durch die Vorstellung einer Kokarde beeinflußt sein mag" (Schwietering), sondern auch mittel- alterlichen VorsteUimgen entspricht, ersehen wir aus einigen Tatsachen, auf die Eichmann a. a. O. S. 74, Anm. 58 und 59 verweist: auf den byzan- tinischen Kronen saß vorn über der Stirn ein gefaßter Edelstein, und auch Heinrich II. trägt einen Kronreif mit einem Edelstein über der Stirn Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/22/14 2:22 AM

Der Waise in der deutschen Krone

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Page 1: Der Waise in der deutschen Krone

Der Waise in der deutschen Krone. Eine Frage des Germanisten an Historiker und Kunsthistoriker.

Von Friedrich R a n k e .

Alle Beschreiber der alten deutschen „Kaiserkrone" scheinen sich darüber einig, daß der berühmte Kronedelstein, der „Waise", einst auf ihrer Stirnseite angebracht gewesen sei. Man zeigt noch den besonders großen Einfassungsring, der ihn gehalten haben soll, und in dem sich heute ein indischer Saphir als Ersatz befindet. Als Zeugen zitiere ich nur: A r p a d W e i x l g ä r t n e r , Die weltüche Schatzkammer in Wien (Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlung in Wien, N. F., Sonderheft 2, Wien 1928) S. 53; F r i t z T r a u g o t t S c h u l z , Die deutschen Reichskleinodien, Leipzig 1934, S. 37; E d u a r d E i c h m a n n , Die Kaiserkrönung im Abendland II , Würzburg 1942, S. 73. — Demgegenüber sagt W a 11 h e r v o n d e r V o g e l w e i d e bekanntlich ebenso eindeutig, der weise stehe „über dem Nacken" des Gekrönten: swer nü des riches irre ge j der schouwe wem der weise ob sinem nacke ste: / der stein ist aller fürsten leitesterne (19, 3). — Wie reimt sich das zusammen ?

Daß es nicht angeht, die ausdrückUche Angabe Waithers etwa mit Weixlgärtner und früheren „nicht wörtlich zu nehmen" oder sonstwie weg-zuinterpretieren, hat S c h w i e t e r i n g (Anzeiger für das deutsche Altertum 48, 1929, S. 80) bereits mit Recht betont. Also hätte Walther sich geirrt ? Ein solcher „Irrtum", der den hochpolitischen Spruch vom Jahre 1198 von vornherein der Lächerhchkeit ausgeliefert haben würde, ist dem scharfen Beobachter und treffsicheren Sprachkünstler gewiß nicht zuzutrauen. — Demnach läge der Irrtum auf Seiten der Kunsthistoriker, und der Waise befand sich tatsächlich auf der Nackenseite der Krone ? Er hätte sich vielleicht „weniger durch seine Größe, als durch seinen Glanz ausgezeichnet" (Schwietering a.a.O.). Die Möglichkeit ist zuzugeben; aber ist die Annahme notwendig ?

Daß die Neigung, den Waisen auf der Stirnseite der Krone zu suchen, nicht allein „in moderner Anschauung gründet, die durch die Vorstellung einer Kokarde beeinflußt sein mag" (Schwietering), sondern auch mittel-alterlichen VorsteUimgen entspricht, ersehen wir aus einigen Tatsachen, auf die Eichmann a. a. O. S. 74, Anm. 58 und 59 verweist: auf den byzan-tinischen Kronen saß vorn über der Stirn ein gefaßter Edelstein, und auch Heinrich II . trägt einen Kronreif mit einem Edelstein über der Stirn

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(P. Schramm, Kaiserbilder, Abb. 83). Das auszeichnende Kronjuwel hatte also in einigen sicheren Parallelfällen seinen Platz dort, wo uns die Kunst-historiker den Platz des Waisen zeigen.

Aber sehen wir uns die durch Waither aufgerufene Vorstellung noch etwas genauer an: er zeichnet den jungen Philipp unter der Krone: sin

keiserltchez hmtbet zimt ir also wol. . . si liuhtent beide einander an, / daz

edel gesteine wider den jungen süezen man: / die ougenweide sehent die fürsten

gerne. — Wohl jeder, der diese Zeilen unvoreingenommen hört, wird sich den „jungen" König en face vorstellen: das magische Leuchten der staufischen Majestas muß doch wohl von dem jugendlich strahlenden Antlitz ausgehn. Unmittelbar darauf aber zeigt Walther den König dann von hinten: der Waise strahlt über seinem Nacken. Also hat Philipp sich nunmehr umgewandt und die Fürsten folgen dem weisenden Leuchten. Es entsteht das Bild einer feierlichen Prozession.

Das gleiche Bild zeigt auch die Nachahmung von Walthers Zeilen durch den Dichter des sog. S e i f r i e d H e l b l i n g . Er fordert in seinem aus den Jahren 1292/94 stammenden Gedicht I I den König Adolf von Nassau nach seiner Erwählung dringend zur Romfahrt auf, die dem jämmerlichen Zustand der Christenheit {an geistlich houhet) ein Ende machen solle; andernfalls droht er ihm mit dem Fluch: daz ritter noch

frouwen / in nimmer geschouwen j under rtches kröne. / got Idze im nimmer

schone / den stein ob sime nacke sten, / dem alle fürsten nach gen (v. 880). — Hier ist es ganz eindeutig, daß der König unter der Krone vor den Fürsten herzieht: der Kronedelstein strahlt von ihm nach hinten wie jenes Licht bei Dante (Purg. 22, 67), das dem, der es hinter sich hält, nichts hilft, aber den Nachfolgenden den Weg weist, oder wie im Prozessionsbrauchtum das den Pilgern vorangetragene Kreuz den Crucifixus nach hinten wendet, so daß die Pilger ihn und nicht die leere Rückseite des Kreuzes vor sich schweben sehen.

Also war der Waise auf der Nackenseite der Krone angebracht ? Das würde bedeuten, daß es sich bei jenem edelen gesteine des Walther-spruches (18, 36), das mit dem Antlitz Philipps um die Wette strahlt, um andere Kronedelsteine handeln müsse als den gleich darauf genannten Waisen. Das ist gewiß möglich, aber es bleibt ein Unbehagen. — Und erst recht wird einem unbehaglich, wenn wir uns in Walthers zweitem Reichsspruch den Waisen, der die armen künege in ihre Schranken weisen soll {Philippe setze en weisen uf und heiz si treten hinder sich 9, 15), auf der Nackenseite der Krone vorstellen sollen, so daß der Neugekrönte seinen Gegnern erst den Rücken wenden müßte, um sie mit dem Glanz der könig-lichen Majestas zu schrecken.

Ließe sich nicht noch eine andere Möglichkeit erwägen ? Wenn daz

edel gesteine 18, 36, etwa doch mit dem Waisen identisch ist, so hat Philipp, nachdem er sich der Festversammlung zunächst im Glanz der Krone von vorn gezeigt hat, vor dem Aufbruch zur Prozession die Krone herum-gedreht, so daß der Waise, der eben noch über seinem Antlitz strahlte,

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nunmehr über seinem Nacken steht ? Die Vorstellung einer solchen Drehung der (symmetrisch gearbeiteten) Krone mag uns Heutige befremden, scheint mir aber im Rahmen des liturgisch-symbolischen Denkens im Mittelalter durchaus sinnvoll: der Waise dient den Fürsten als leitesterm wie der Polarstern den Schiffern, oder wie der Stern von Bethlehem den HeiUgen drei Königen: er strahlt mit dem leuchtenden Antlitz des Königs um die Wette, solange der Kronenträger vor ihnen auf dem Throne sitzt; dagegen steht er über seinem Nacken, sobald der König den Fürsten als Führer in das Dunkel der Zukunft voranschreitet oder -reitet. — Auf diese Weise könnte Walthers Angabe mit dem Befund der Wiener Krone vielleicht doch in Einklang gebracht werden. Freiüch ist zuzugeben, daß weder im Krö-nungsritual noch in der von Eichmann behandelten Liturgie von einem Umdrehen der Krone die Rede ist.

Und auch noch etwas anderes macht Schwierigkeiten. Die schon von B u r d a c h (Walther S. 254) für die Symboldeutung des Waisen an-gezogene Glosse zum Landrecht des Sachsenspiegels (Buch I I I , § 60) sagt in der von B. übergangenen Partie von der Krone, „die jtn (dem Kaiser) der bapst auf setzt": Das ist ein krantz vnd der ist mit eym schwibogen überschlossen vnnd der krantz hat vier lylien — (folgt eine symboUsche Aus-deutung der vier Lilien) . . . So hanget jm die krön über das haubt. vnd auff dem schwibogen da steet ein kreutz das hat ein hom zu dem anüütz gekeert vnd das ander zu dem nacken vnd binden steet ein weiß vnd ist dadurch bezeychnet das er soll gedencken da^ er ein künig sey über alles volck das got an dem crütze erworben vnd erlößt hat. So steet jm der weiß in dem nacken durch das das er allein vnder andern leuten vnd ander edeln Stenden der oberste ist, vnd das er sein nacken, das ist den teyl seines reichs des er nicht bewaren kan vnd alle sein heyl sol er bevelhen dem weißen das ist dem der vnder allen heyligen keynen edeleren hat noch der jm gdeycher sein mag.

Der Verfasser dieser Glosse, J o h a n n v o n B u c h (ca. 1325) er-scheint nach allem, was wir von ihm wissen, als ein genauer Kenner des deutschen Landrechts seiner Zeit. Und doch ist auch seine Angabe über den Waisen nicht über jeden Einwand erhaben; die Krone mit dem LiUen-schmuck, die er beschreibt, ist nicht die alte deutsche Königskrone, wie Phihpp sie einst getragen hat, sondern eine jener Kaiserkronen, die der jeweils zu Krönende erst aus der Hand des Papstes empfing, und zeigt bereits die spätere, durch die LiUen abgewandelte Form. So wäre also der „Waise" in ihr nur durch eine legendäre Übertragung des Waisen von der alten Königskrone her zu verstehen. Damit aber verliert Johanns Angabe den vollen Realitätswert, den man ihr anfangs zuzuerkennen geneigt war, und schrumpft zu einem weiteren Zeugnis für die uns bereits bekannte Tradition zusammen, daß der Waise auf der Nackenseite der deutschen Krone strahlte.

So scheint es mir denn an der Zeit, daß die Frage nach dem Platz des sagenberühmten Edelsteins in der deutschen Krone von berufenen Sach-kennern, zu denen ich mich l.eider nicht zählen darf, noch einmal auf-47 M l ö a . , Bd. 58. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library

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genommen -wird. Sie werden gut tun, sich dabei auch mit den scharf-sinnigen Ausführungen auseinanderziisetzen, die der ungarische Historiker J o s e f D e ^ r kürzlich in den „Schweizer Beiträgen zur Allgemeinen Geschichte" Bd. 7 (1949) über „Die Abendländische Kaiserkrone des Hochmittelalters" vorgetragen hat, und deren Kenntnis im vorstehenden stellenweise schon vorausgesetzt wird. — Wenn mein bescheidener Beitrag zur Festgabe für meinen Freund S a n t i f a l l e r zu einer solchen er-neuten Nachprüfung der Frage, die wohl nur in Wien mit vollem Erfolg vorzunehmen wäre, den Anstoß geben sollte, wäre sein Zweck erreicht.

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