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Plenarprotokoll 16/62 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 62. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung: ID 2010 – Politik der Bundesregierung für digitale Information und Kommunikation . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Dobrindt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU) . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Pawelski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Drucksache 16/3230) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 3 Sevim Dagdelen (DIE LINKE) Absprachen zu Deutsch-Vorbereitungskur- sen in der Türkei beim Treffen der Staats- ministerin im Bundeskanzleramt und Be- auftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration mit der türkischen Staatsministerin für Frauen, Kinder und Soziales im Bundes- kanzleramt am 26. Oktober 2006 Antwort Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin BK . . . . Zusatzfragen Sevim Dagdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 5 Heike Hänsel (DIE LINKE) Entscheidungsgrundlage für die Tatsache der Vermischung ziviler und militärischer Präsenz in Afghanistan Antwort Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6053 A 6053 B 6054 C 6054 D 6055 A 6055 A 6055 C 6055 C 6055 D 6056 A 6056 C 6056 D 6056 D 6057 B 6057 B 6057 B 6057 D 6057 D 6058 A 6058 B 6058 B 6058 C 6058 D 6059 D 6060 B 6060 B

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Plenarprotokoll 16/62

Deutscher BundestagStenografischer Bericht

62. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

I n h a l t :

Tagesordnungspunkt 1:Befragung der Bundesregierung: ID 2010 –Politik der Bundesregierung für digitaleInformation und Kommunikation . . . . . . .Michael Glos, Bundesminister

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Alexander Dobrindt (CDU/CSU) . . . . . . . . . .Michael Glos, Bundesminister

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Michael Glos, Bundesminister

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .Michael Glos, Bundesminister

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Michael Glos, Bundesminister

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU) . . . . . . .Michael Glos, Bundesminister

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . .Michael Glos, Bundesminister

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . .Michael Glos, Bundesminister

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Michael Glos, Bundesminister

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Rita Pawelski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .Michael Glos, Bundesminister

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6053 A

6053 B6054 C

6054 D6055 A

6055 A6055 C

6055 C

6055 D

6056 A6056 C

6056 D6056 D

6057 B6057 B

6057 B6057 D

6057 D6058 A

6058 B

Tagesordnungspunkt 2:

Fragestunde (Drucksache 16/3230) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 3 Sevim Dagdelen (DIE LINKE)

Absprachen zu Deutsch-Vorbereitungskur-sen in der Türkei beim Treffen der Staats-ministerin im Bundeskanzleramt und Be-auftragten der Bundesregierung fürMigration, Flüchtlinge und Integration mitder türkischen Staatsministerin fürFrauen, Kinder und Soziales im Bundes-kanzleramt am 26. Oktober 2006

Antwort Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin BK . . . .

Zusatzfragen Sevim Dagdelen

(DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Heike Hänsel

(DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 5Heike Hänsel (DIE LINKE)

Entscheidungsgrundlage für die Tatsacheder Vermischung ziviler und militärischerPräsenz in Afghanistan

Antwort Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär

BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .

6058 B

6058 C

6058 D

6059 D

6060 B

6060 B

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II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Mündliche Frage 6 Heike Hänsel (DIE LINKE)

Maßnahmen zur Vermeidung der Vermi-schung ziviler und militärischer Präsenz inAfghanistan

Antwort Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär

BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Fragen 7 und 8 Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Planung eines Tunnels unter der Elbe fürdie geplante A 20 als Mautprojekt; Finan-zierung bei Realisierung als Nicht-Maut-projekt

Antwort Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär

BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 13Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)

Auswirkungen der Aufnahme von AvigdorLieberman in die israelische Regierung aufden angestrebten Friedensprozess im Na-hen Osten

Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . .

Zusatzfragen Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Mündliche Frage 14Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)

Verletzung des Waffenstillstands und derUNO-Resolution 1701 durch ungenehmigteisraelische Militärflüge über libanesischesTerritorium

Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . .

Zusatzfragen Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Mündliche Frage 15Alexander Ulrich (DIE LINKE)

Maßnahmen der Bundesregierung zurVorantreibung des Nahost-Friedensprozes-ses während ihrer EU-Ratspräsidentschaft

6061 B

6061 B

6061 D

6062 A

6063 C

6063 C

6064 A

6064 B

Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . .

Zusatzfragen Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 16 Alexander Ulrich (DIE LINKE)

Kenntnis der Presse vom Entwurf des Ar-beitsprogramms der deutschen EU-Rats-präsidentschaft

Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . .

Zusatzfragen Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 17 Dr. Norman Paech (DIE LINKE)

Durchführung eines Trainingsprogrammszur Schulung der Präsidentengarde der pa-lästinensischen Autonomiebehörde für ei-nen bewaffneten Kampf gegen die Hamasdurch die USA

Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . .

Zusatzfragen Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 18Dr. Norman Paech (DIE LINKE)

Auswirkungen der Isolierung der von derHamas geführten palästinensischen Regie-rung auf die Nahostpolitik der Bundes-regierung

Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . .

Zusatzfragen Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 19 Sevim Dagdelen (DIE LINKE)

Auswirkungen der Absprachen zu Deutsch-Vorbereitungskursen in der Türkei auf diePraxis der Visumerteilung für türkischeStaatsangehörige im Rahmen von Fami-lienzusammenführung

Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . .

Zusatzfrage Sevim Dagdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

6064 C

6064 D

6065 B

6065 B

6065 D

6066 A

6066 B

6066 C

6067 A

6067 B

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 III

Mündliche Frage 21Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Veränderung der Interessenlage ausländi-scher Finanzinvestoren bezüglich derÜbernahme deutscher Unternehmen inAbhängigkeit von deren Größe, der Höheihrer Substanzwerte in Immobilien undihrer Gesellschaftsform durch die so ge-nannte Exit-Tax

Antwort Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 22 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)

Kostenentwicklung für Unterkunft, Hei-zung, Energie und Warmwasserbereitungseit 2004 sowie Auswirkungen dieser Kos-tenentwicklung und der Anhebung derMehrwertsteuer im Jahre 2007 auf dieHöhe des Existenzminimums

Antwort Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 23 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)

Entwicklung des Existenzminimums fürErwachsene und Kinder in den Jahren2007, 2008 und 2009 sowie Ursachen fürunterschiedliche Berechnungen des Exis-tenzminimums vom Bundesfinanzministe-rium und dem Bundesministerium für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend

Antwort Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 24 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Strategie hinsichtlich der zu schaffendenVorreitermärkte für den Wärmemarkt bei

6067 D

6068 B

6069 A

6069 B

6069 D

6070 A

erneuerbaren Energien angesichts der Ver-schiebung eines Wärmegesetzes

Antwort Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . .

ZusatzfragenHans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 25Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Entwicklung der CCS-Technik (CO2-Ab-scheidung und -speicherung) ab 2020 zumStandard für alle neuen fossilen Kraft-werke

Antwort Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . .

Zusatzfragen Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 26 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Verwirklichung des Wechsels vom Erdölhin zu nachwachsenden Rohstoffen auch inder Chemie- und Kunststoffindustrie

Antwort Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . .

Zusatzfragen Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 28 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Festlegung von neuen ökologischen Grenz-werten im Rahmen des „Memorandumsfür einen ‚New Deal‘ von Wirtschaft, Um-welt und Beschäftigung“

Antwort Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . .

Zusatzfragen Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6070 C

6070 D

6071 C

6071 D

6072 C

6073 B

6073 B

6074 A

6074 B

6074 C

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IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Mündliche Frage 29 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Maßnahmen bei Nichteinhaltung derSelbstverpflichtung der Automobilindustriezur Senkung der CO2-Emissionen

Antwort Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin

BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 1:

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD: Neue Ent-wicklung am Arbeitsmarkt: DeutlicherRückgang der Erwerbslosenzahl, mehr Be-schäftigung und Entlastung der öffentli-chen Haushalte

Franz Müntefering, Bundesminister BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . .

Dr. Hermann Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . .

Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Peter Rauen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . .

Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . .

Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

6075 B

6075 C

6076 B

6076 D

6078 C

6080 A

6081 B

6082 A

6083 B

6084 B

6086 A

6086 D

6088 B

6089 C

6090 C

6091 C

6092 D

6093 A

Anlage 2

Mündliche Frage 1 Cornelia Hirsch (DIE LINKE)

Förderung einer höheren Studierenden-quote durch ein gebührenfreies Studium

Antwort Andreas Storm, Parl. Staatssekretär

BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 3

Mündliche Frage 2 Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Unterstützung von Maßnahmen für dieMalariabekämpfung in Tansania durch dasBundesministerium für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung

Antwort Karin Kortmann, Parl. Staatssekretärin

BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 4

Mündliche Frage 4Cornelia Hirsch (DIE LINKE)

Anstieg der Auswanderungszahlen in denletzten Jahren, Zusammenhang mit denunsicheren Perspektiven beim Berufsein-stieg, insbesondere von Hochschulabsol-venten

Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär

BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 5

Mündliche Frage 9 Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE)

Schlussfolgerungen aus dem am 23. Juni2006 vom Ombudsrat vorgelegten Ab-schlussbericht „Grundsicherung für Ar-beitslose“

Antwort Gerd Andres, Parl. Staatssekretär

BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 6

Mündliche Frage 10 Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)

Erwerbslosigkeit der jüdischen Zuwande-rer mit Hochschulabschluss in Deutschland

6093 C

6093 D

6094 A

6094 C

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 V

und den USA, Zusammenhang zwischender Nicht-Anerkennung der Hochschulab-schlüsse der Zuwanderer aus der ehemali-gen UdSSR und der hohen Erwerbslosig-keit

Antwort Gerd Andres, Parl. Staatssekretär

BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 7

Mündliche Fragen 11 und 12 Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Vorgehen des Bundesministeriums für Arbeitund Soziales hinsichtlich der Software A2LL,Kosten; Schadenssumme und zusätzlicherPersonalaufwand für Fehler mit A2LL

Antwort Gerd Andres, Parl. Staatssekretär

BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6095 B

6095 C

Anlage 8

Mündliche Frage 20Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)

Verhinderung von schlechteren Kreditbe-dingungen für ärmere Menschen durchprivate Banken

Antwort Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 9

Mündliche Frage 27 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Stärkung des Substitutionsanreizes für Un-ternehmen durch Erteilung einer nur be-fristeten Zulassung gefährlicher Chemika-lien sowie durch verpflichtenden Ersatzgefährlicher Stoffe

Antwort Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . .

6096 A

6096 C

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6053

(A) (C)

(B) (D)

62. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-

zung ist eröffnet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Befragung der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat als Thema der heutigenKabinettssitzung mitgeteilt: ID 2010 – Politik der Bun-desregierung für digitale Information und Kommu-nikation.

Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,Michael Glos.

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Innovationspolitik kommt im Zusammen-hang mit Wachstum und Beschäftigung nach unsererAuffassung sehr große Bedeutung zu. Wir wissen, dassdie Informations- und Kommunikationstechnologieneine sehr große Rolle spielen.

Bezogen auf die Bruttowertschöpfung haben die In-formations- und Kommunikationstechnologien inzwi-schen den Maschinenbau und den Automobilbau über-holt. Als Schlüsseltechnologien einer zunehmendwissensorientierten Wirtschaft wirken die – ich kürzejetzt ab, weil ich mich an die fünfminütige Redezeit hal-ten soll – IKT als Wachstumsbeschleuniger für viele an-dere Bereiche.

Derzeit können etwa 40 Prozent des gesamtwirt-schaftlichen Wachstums auf den Einsatz dieser Techno-logien zurückgeführt werden, wenn wir den Berechnun-gen der Boston Consulting Group Glauben schenkendürfen. Die IKT-Branche zählt mit einem Umsatz vonrund 135 Milliarden Euro zu den größten Branchen inDeutschland. 750 000 Menschen werden in diesem Be-reich beschäftigt. Weitere 650 000 Spezialisten arbeitenin den Anwenderbereichen.

Vor diesem Hintergrund hat das Bundeskabinett heuteein neues Aktionsprogramm „Informationsgesellschaft

Deutschland 2010“, kurz: „ID 2010“, beschlossen. Da-mit stellt sich die Bundesregierung auf die so genanntezweite Generation des Internets und die neuen techni-schen Möglichkeiten, die die Konvergenz bietet, ein. Ichmöchte meinen Kollegen – ganz besonders Frau Kolle-gin Schavan und dem Innenminister, Herrn KollegenDr. Schäuble – für die konstruktive Mitarbeit ihrer Häu-ser an der Erarbeitung dieses Programms danken.

Wir haben vier Herausforderungen für die IKT-Politikidentifiziert:

Erstens. Die Informationsgesellschaft steht derzeitvor einem weiteren großen Sprung. Anbieter aus ehe-mals getrennten Märkten stehen im globalen Wettbe-werb um den Zugang zum Kunden. Dieser zunehmendenKonvergenz der elektronischen Medien müssen dierechtlichen und technischen Rahmenbedingungen Rech-nung tragen. Wir brauchen deshalb einfache, schnelleund diskriminierungsfreie Zugänge zu den Frequenzen.Vor allen Dingen brauchen wir einen Ausbau des Schut-zes geistigen Eigentums und eine bessere technischeVerzahnung der unterschiedlichen Übertragungs- undGerätetechniken. Damit wollen wir eine bessere wirt-schaftliche Nutzung öffentlicher Informationen, zumBeispiel seitens des Mittelstandes, erreichen. Die Bun-desregierung gibt mit 25 regionalen KompetenzzentrenHilfestellung bei der Anwendung des E-Business in Mit-telstand, Handwerk und Tourismus.

Zweitens. Informations- und Kommunikationstechno-logien sind ein wichtiger Bestandteil der Verwaltungs-modernisierung. Sie helfen, Bürokratie und Kosten inVerwaltung und Wirtschaft niedrig zu halten. Gleichzei-tig werden neue Wachstumschancen für Anbieter ge-schaffen. Deshalb werden wir in den kommenden Jahrendas E-Government-Angebot ausbauen und die Vernet-zung von Wirtschaft und Staat verbessern. Hinzu kommtdie Einführung des elektronischen Personalausweises.Weitere Schwerpunkte bei der Integration des Staates indie Informationsgesellschaft sind die Verkehrs- und Ge-sundheitstelematik sowie die Digitalisierung von Kultur-gut. Beispiele sind die elektronische Gesundheitskarteund auf der Seite der Kultur das Projekt „EuropäischeDigitale Bibliothek“.

Redetext

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6054 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

(A) (C)

(B) (D)

Bundesminister Michael Glos

Drittens. Weltweit steigen die Nutzung der und damitauch die Abhängigkeit von der Informationstechnologie.Hier stellt unser Land selbstverständlich keine Aus-nahme dar. Angesichts der Vernetzung von Systemen derInformationstechnologie kann es in kürzester Zeit zuglobalen IT-Sicherheitsvorfällen kommen. Enorme fi-nanzielle Schäden für unsere Gesellschaft könnten dieFolge sein. Deshalb müssen die vorhandenen IT-Infra-strukturen an die immer ausgefeilteren Angriffe durchViren und andere Schadprogramme angepasst und neueSicherheitstechnologien zur Anwendung gebracht wer-den.

Viertens. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, dieSpitzenstellung Deutschlands im IKT-Bereich zu festi-gen und auszubauen. Die Wettbewerbsfähigkeit unseresWirtschaftsstandortes soll durch den Einsatz von IKTgesichert und erhöht werden. Das gilt für viele Bran-chen, in denen IKT angewendet wird, gleichermaßen,zum Beispiel für den Maschinen- und Anlagenbau, dieAutomobilindustrie oder die Telekommunikation.

Auch im IKT-Bereich ist die Situation im Hinblickauf die Umsetzung von Forschungsergebnissen inmarktreife Produkte und Verfahren nach wie vor unbe-friedigend. Die Erhöhung der Fördermittel allein reichtnicht aus. Verbesserungsmöglichkeiten liegen in der ge-zielten Förderung von Verbundvorhaben zwischen Wirt-schaft und Wissenschaft, in der mittelstandsorientiertenKompetenz- und Clusterbildung und in der Unterstüt-zung von Existenzgründungen, die häufig einen direktenTechnologietransfer realisieren. Multimediatechnologienbilden die zentrale Grundlage für neue elektronische An-wendungen und Dienstleistungen in Wirtschaft, öffentli-cher Verwaltung und privaten Haushalten.

Insgesamt dienen die Hightechstrategie, die die Bun-desregierung eingeschlagen hat, und die Erhöhung derMittel für Forschung und Entwicklung in den nächstensechs Jahren – –

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was?So lange wollen Sie dranbleiben? Noch sechsJahre?)

– Ich meinte: in den vier Jahren dieser Legislaturperiode;jetzt sind es also noch drei Jahre. Herr Kollege, um IhrenZwischenruf aufzugreifen: Wir bleiben noch länger dran.Wir wissen nur noch nicht, mit wem wir regieren wer-den.

(Iris Gleicke [SPD]: Na, na, na!)

Aber die Union wird auf jeden Fall weiter große Verant-wortung tragen.

In den verbleibenden drei Jahren dieser Legislaturpe-riode werden wir, zurückgerechnet auf das erste Jahr, zu-sätzlich 6 Milliarden Euro für Forschung und Entwick-lung bereitstellen. Das hilft auch der Informations- undKommunikationstechnologie.

Danke schön.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich bitte, zunächst Fra-

gen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soebenberichtet wurde. Das Wort hat der Kollege Dobrindt.

Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben deutlich ge-

macht, dass mit dem Programm „ID 2010“ zusätzlicheMittel und Angebote für den weiteren Ausbau der Infor-mationstechnologie bereitgestellt werden sollen. Diezwei Schwerpunkte dieses Programms haben Sie ange-sprochen: Es geht darum, den Bereich E-Governmentauszubauen – das ist ein wichtiger Ansatzpunkt – unddie Nutzung der Gesundheitstelematik deutlich zu ver-stärken.

Wir Politiker werden im alltäglichen Geschäft vor Ortimmer wieder auf das Problem hingewiesen, dass dieseTechnologien für einen beachtlichen Teil unserer Mit-bürger nicht zugangsfrei sind. Das betrifft vor allem äl-tere Leute, von denen man behauptet, sie würden mitdiesen Technologien nicht mehr zurechtkommen, undBehinderte, denen der Zugang zu diesen Technologienoftmals verschlossen ist.

Ist im Programm „ID 2010“ vorgesehen, dass für äl-tere Mitbürger und für Behinderte zusätzliche Leistun-gen angeboten werden, damit auch diese Gruppen Erfah-rungen mit dieser Technologie sammeln können, die wirin Deutschland dringend weiterentwickeln müssen?

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Herr Kollege Dobrindt, Sie haben eine Reihe von Pro-blemen angesprochen. Im Hinblick auf das E-Govern-ment laufen sehr viele Versuche bereits in der Praxis.Zunächst sollen die entsprechenden Verfahren natürlichals Insellösungen eingeführt werden. Ich kann mir vor-stellen, dass es sehr angenehm wäre, zum Beispiel dieZulassung des eigenen Autos von zu Hause aus auf elek-tronischem Wege erledigen zu können. Für das E-Go-vernment ist allerdings in allererster Linie der Bundesin-nenminister zuständig.

Auch die Gesundheitskarte haben Sie erwähnt. DieZuständigkeit für dieses Thema hat das Bundesgesund-heitsministerium.

Ich hatte gestern Gelegenheit, mich bei derInitiative D21 zu informieren, die noch von dem frühe-ren Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben gerufenworden ist – vielleicht steht etwas darüber in seinen Me-moiren –, um vor allen Dingen das Bewusstsein dafür zuwecken, dass wir im Zeitalter der Informationsgesell-schaft leben. Inzwischen ist unsere Gesellschaft in dieserHinsicht weit durchdrungen. Die Jüngeren und auch dieLeute in Ihrem Alter – bis fast an die Schwelle meinesAlters – sind inzwischen firm in der Nutzung des Inter-nets und der elektronischen Möglichkeiten. Bei den Äl-teren gibt es allerdings noch Probleme. Deshalb möchteman diese Dinge durch mehr Benutzerfreundlichkeitauch den älteren Menschen näher bringen; gerade für siekönnen diese Möglichkeiten eine große Hilfe bedeuten.

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Bundesminister Michael Glos

Das trifft auch für Behinderte zu. Hier gibt es Modell-versuche und viele Möglichkeiten, die es künftig zu nut-zen gilt.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Zeil, bitte.

Martin Zeil (FDP): Herr Bundesminister, Sie haben die Schwerpunkte

der Verbesserung der technologischen und rechtlichenRahmenbedingungen der Nutzung der Informations- undKommunikationstechnologien unterstrichen. Vor die-sem Hintergrund habe ich die Frage: Haben Sie oder hatdie Bundesregierung ihre Möglichkeiten genutzt, Ein-fluss zu nehmen auf die Ministerpräsidenten? Die Minis-terpräsidenten haben die Nutzung der technischen Mög-lichkeiten damit, dass künftig auch auf Internetrechnerund Mobiltelefone GEZ-Gebühren anfallen sollen, nichtgerade befördert. Sehen nicht auch Sie einen Rückschlagfür das von Ihnen gerade erwähnte E-Government?

Sie wissen, dass es bei der Versorgung des ländlichenRaums, der kleinen Gemeinden, mit Breitbandinternet-anschlüssen große Probleme gibt. Was ist Ihre konkreteStrategie, um hier schnell Verbesserungen zu erreichen?

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Sie haben zu zwei Komplexen gefragt; ich versuche,der Reihe nach zu antworten.

Erstens. Die Ministerpräsidenten der Länder habenbeschlossen, dass in Zukunft auch für internetfähige Ge-räte Rundfunk- und Fernsehgebühren entrichtet werdenmüssen; das bedauere ich sehr. Allerdings ist die Gebührfür Dual-Use-Geräte wie PCs oder Handys, mit denenman auch Rundfunkprogramm empfangen kann, abge-senkt worden. Aber es ist nun einmal so, dass alle, dieZugang zu dem Angebot der öffentlich-rechtlichen Ka-näle haben, Gebühren zahlen müssen. Es ist nach Mei-nung der Ministerpräsidenten schwierig, diesen Benut-zerkreis außen vor zu lassen. Immerhin hat man sichentschieden, die entsprechende Gebühr abzusenken. DieMinisterpräsidenten sagen – ich habe mich an den Vor-sitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz gewandt,die zuständig ist, an Herrn Kurt Beck –, man muss über-gangsweise so verfahren, jedenfalls so lange, bis man zueiner anderen Art von Benutzergebühr kommt.

Zweitens. In die Nutzbarmachung der Breitbandtech-nologie auf dem so genannten flachen Land ist, wie ichmeine, gerade was den schnellen Zugang über VDSL an-geht, bisher zu wenig investiert worden – die Investitio-nen beschränken sich stark auf die Ballungsgebiete. Wasdie Breitbandnutzung im Allgemeinen anbelangt, habenwir in Deutschland mittlerweile eine Durchdringung von93 Prozent. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, in zwei,drei Jahren auf 98 Prozent zu kommen. Bei der Breit-bandnutzung müssen wir allerdings unterscheiden zwi-schen herkömmlichen Anschlüssen und dem, was unterdem Stichwort VDSL läuft.

Sie geben mir Gelegenheit – damit möchte ich mei-nen Beitrag abschließen –, den Marktführer auf diesem

Gebiet noch einmal aufzufordern, diese Investitionennicht nur in den großen Städten und Ballungszentren,sondern auch in den kleinen Städten und ländlichen Räu-men zu tätigen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Obermeier, bitte.

Franz Obermeier (CDU/CSU): Herr Minister, Sie haben das, was das Kabinett heute

beschlossen hat, sehr eindrucksvoll vorgestellt.

(Grietje Bettin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ja, sehr eindrucksvoll!)

In diesem Zusammenhang stellt sich für mich dieFrage nach den internationalen Rankings hinsichtlich derNutzung dieser neuen Technologieformen. Internationalgibt es hier sehr große Unterschiede. Sogar in unseremeigenen Land gibt es sie. Meine Frage bezieht sich aberauf die internationale Ebene. Wie wollen Sie die Rats-präsidentschaft im nächsten halben Jahr nutzen, um denIKT-Bereich, den Bereich der Informations- und Kom-munikationstechnologie, voranzubringen, damit wir inEuropa mit der weltweiten Entwicklung Schritt haltenkönnen?

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Herr Kollege Obermeier, wir werden die Ratspräsi-dentschaft Deutschlands in der Europäischen Uniondazu nutzen, um auf diesem Gebiet zu einheitlicherenStandards und Regelungen zu kommen, durch die diesewichtige Nutzung künftig erleichtert wird. Europa willimmer stärker regulieren. Ich meine, man sollte erst ein-mal zu möglichst gleichen Standards kommen.

Durch die Vergabe von neuen Frequenzen ergebensich sehr viele neue Tätigkeitsfelder, die vorangebrachtwerden müssen. Das bringt auch ungeheuer viele neueChancen mit sich, die darin bestehen, dass zur Produkt-identifikation viel mehr Elektronik angewandt werdenkann. Die Produkte können in der Verpackung mit klei-nen Sendern ausgestattet werden, die im Niedrigfre-quenzbereich funktionieren. Von der Speicherung undRegistrierung der Waren, um zu sehen, welche Artikelsich noch in den Regalen befinden, bis hin zur elektroni-schen Kasse werden sich viele neue Geschäftsfelder er-geben.

Für all das muss eine gemeinsame und marktfähigeeuropäische Lösung gefunden werden, damit selbstver-ständlich auch eine grenzüberschreitende Nutzung mög-lich ist.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Bettin, bitte.

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, mich würde interessieren, was das spe-

zifisch Neue an Ihrem Aktionsplan ist; denn die elektro-nische Gesundheitskarte usw. ist ja nichts Hochinnovati-ves.

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Grietje Bettin

Daran anschließend frage ich Sie, welchen BeitragSie zur Entwicklung der internationalen Informationsge-sellschaft leisten wollen. Ein Stichwort war hier bei-spielsweise der Internationale Solidaritätsfonds. HabenSie in Ihrem Aktionsplan eine Unterstützung dafür vor-gesehen?

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

In allererster Linie wollen wir die immer stärker nachvorne drängende neue Technologie in einen vernünftigenRechtsrahmen stellen, die Vernetzung fördern und damitvor allen Dingen neue Nutzerkreise und Arbeitsplätze inder IuK-Technologie erschließen. Gerade im Bereich derIKT befinden wir uns in einem starken Wettbewerb mitanderen Ländern, in dem wir bisher sehr gut aufgestelltsind.

Die von mir vorhin angesprochenen zusätzlichen Mit-tel für Forschung und Entwicklung fließen zum Teil na-türlich in diesen Bereich. Das alles soll am 18. Dezem-ber 2006 gemeinsam mit der anwendenden Industrie aufeiner großen ressortübergreifenden Konferenz zusam-mengefasst werden, für die die Bundeskanzlerin dieSchirmherrschaft übernommen hat. Hier wird in Zusam-menarbeit mit der Industrie der weitere Rahmen abge-steckt. Dabei wollen wir von der Industrie wissen: Waskönnen wir zusätzlich tun, um zu modernen Arbeitsplät-zen in Deutschland beizutragen?

Was darüber hinaus international stärker geregelt wer-den muss, ist der Kampf gegen Computerviren. In die-sem Zusammenhang ist auch das so genannte Spam zunennen, die Zusendung von unerwünschten E-Mails.Hier brauchen wir eine stärkere internationale Zusam-menarbeit.

Als weiteren wichtigen Punkt – das fällt ebenfalls inden Bereich der Technologie – möchte ich Folgendes an-führen: Während unserer Ratspräsidentschaft wollen wirzu einer Absenkung der so genannten Roaming-Gebüh-ren bei der Nutzung von Handys kommen. Bisher gibt esoft große Überraschungen, wenn man aufgrund von An-rufen auf sein Handy im Ausland, etwa im Urlaub, einesehr hohe Rechnung erhält, obwohl man selbst seinHandy sehr wenig genutzt hat. Das muss zugunsten derVerbraucher geändert werden. Gerade auf diesem Gebietdrängen wir auf internationaler Ebene, insbesondere inder Europäischen Union, auf eine Regelung. Es gibt An-zeichen, dass es unter der deutschen Ratspräsidentschaftgelingen könnte, hier zu einer vernünftigen Lösung zukommen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Minister, Sie gestatten sicherlich eine Nach-

frage.

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, in meiner Frage ging es mir – Stich-

wort Afrika – um die digitale Spaltung der Gesellschaft.Roaming ist sicherlich ein wichtiges Thema. Uns abergeht es um die gesellschaftspolitische Dimension der In-formationsgesellschaft. Die Förderung der Wirtschaft

– das unterstützen wir – ist in Ihrem Ministerium ange-siedelt. Aber wir tragen auch international Verantwor-tung. Darum drehte sich meine Frage.

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Ich sehe eine große Chance darin, dass man heute vonfast jedem Punkt der Welt über das Internet an Informa-tionen gelangen kann. Das gilt – allerdings mehr in denZentren – gerade auch für Afrika. Dabei geht es um In-formationen, die man früher nie hätte bekommen kön-nen, weder durch Reisen noch durch lebenslanges Ler-nen. All das ist den Menschen heute zugänglich.

Die Frage, was wir hier vonseiten der Bundesregie-rung tun, müssen Sie an die Adresse der Entwicklungs-ministerin richten. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob dafürim Haushalt der Bundesministerin für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung Mittel vorgesehensind. Meine Aufgabe als Wirtschafts- und Technologie-minister – das haben Sie richtig bemerkt – umfasst in al-lererster Linie das, was unserer Wirtschaft und damit denMenschen in unserem Lande dient, sowie die europäi-sche Zusammenarbeit.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Krogmann, bitte.

Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Herr Minister, Sie haben völlig zu Recht auf die über-

ragende Bedeutung der IKT-Branche für unsere Volks-wirtschaft hingewiesen. Deshalb begrüße ich es, dass dieBundesregierung für diesen gesamten Bereich zum ers-ten Mal mit der Hightechstrategie und „ID 2010“ einestrategische Ausrichtung entwickelt hat. Bestandteil die-ser neuen Gesamtstrategie ist der IT-Gipfel am18. Dezember dieses Jahres. Welche Erwartungen habenSie besonders im Hinblick auf die Unternehmen an die-sen Gipfel?

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Wir wollen das Ganze noch besser koordinieren, ohnedabei den notwendigen Wettbewerb zu gefährden. Wirmüssen natürlich auch aufpassen, dass wir in bestimm-ten Sektoren nicht auf einen oder ganz wenige Anbieterangewiesen sind. Die sich hier abzeichnenden Konzen-trationsprozesse machen uns Sorgen. Wir wollen von derWirtschaft hören, welche Schnittstellen wir noch besservernetzen können. Wir wollen vor allen Dingen die Poten-ziale, die sich hier mittelständischen Firmen bieten, ge-nau so wie die Zusammenarbeit mit der Wissenschaftweiter fördern.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Otto, bitte.

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Lieber Herr Minister Glos, angesichts der bevorste-

henden EU-Ratspräsidentschaft – Sie haben sie mehr-fach erwähnt – ist es besonders bemerkenswert, dass die

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Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Konflikte zwischen der Wirtschaftspolitik unseres Lan-des und der der EU-Kommission zurzeit erheblich zu-nehmen. Zu dem Streit über die Europarechtswidrigkeitdes neuen Telekommunikationsgesetzes wird meineKollegin Kopp noch eine kluge Frage stellen.

(Michael Glos, Bundesminister: Sie machen mich neugierig!)

– Sie stellt nur kluge Fragen; ich weiß das.

Ich möchte mich auf etwas anderes beziehen. Staats-sekretär Bernd Pfaffenbach hat laut einem Bericht in der„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ festgestellt, dass eseinen grundsätzlichen Dissens zwischen Ihrem Hause,der Bundesregierung und der EU-Kommission über dieAusrichtung der Telekommunikationspolitik gebe. Ichzitiere aus dem Artikel:

Die Bundesregierung tendiert dazu, die sektorspezi-fische Regulierung so schnell und weitgehend wiemöglich zugunsten der allgemeinen Wettbewerbs-aufsicht zurückzufahren. Die Kommission hinge-gen neige zu der Auffassung, „daß im Zweifel einMehr an Regulierung auch zu einem Mehr an Wett-bewerb führt und dies wiederum zu höheren Inves-titionen“, heißt es in der Stellungnahme der Bun-desregierung.

Meine konkrete Frage an Sie lautet: Plant die Bundes-regierung tatsächlich – wie es Herr Pfaffenbach öffent-lich erklärt hat – eine Wende in der Regulierungspolitik?

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Wenn Herr Staatssekretär Pfaffenbach das so gesagthat, dann ist es sicherlich ernst zu nehmen. Im Übrigenkann nach meiner Kenntnis in den Bereichen, in denender Wettbewerb bereits sehr stark ist, die nationale Regu-lierung zurückgenommen werden. Das gilt selbstver-ständlich nicht für Produkte, bei denen der Wettbewerbnoch nicht ausreichend entwickelt ist.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Rupprecht, bitte.

Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Herr Minister, die IT-Branche ist sehr stark internatio-

nal ausgerichtet. Die Unternehmen in dieser Branchesiedeln sich dort an, wo die Know-how-Träger anzutref-fen sind. Deswegen frage ich, ob wir in Deutschland aus-reichend IT-Fachkräfte bzw. Know-how-Träger haben,zumal in Asien bekanntlich hunderttausende neu ausge-bildete Kräfte auf den Arbeitsmarkt drängen?

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Herr Kollege Rupprecht, Sie sprechen eine Sorge an,die derzeit in der Industrie immer stärker artikuliertwird, nämlich dass sich bei uns zu wenige talentiertejunge Menschen für ein Ingenieur- oder Technikstudiumund die entsprechenden Ausbildungsgänge entscheiden.Davon hängt aber unsere künftige Wettbewerbsfähigkeitab.

Allerdings kann die Industrie nicht oft genug aufge-fordert werden, die Tatsache zu nutzen, dass aufgrundder geburtenstarken Jahrgänge noch viele junge Men-schen auf den Arbeitsmarkt drängen, und für Ausbil-dungsberufe jenseits eines Universitätsstudiums zu wer-ben. Ich glaube, wer in diesem Bereich jetzt nichtausbildet, der verschläft die Zukunft.

(Iris Gleicke [SPD]: Wohl wahr!)

Wir als Politiker müssen dafür werben – das ist auch ei-ner der Gründe für das im Dezember geplante Gipfeltref-fen mit der Branche – und den jungen Menschen klarmachen, dass darin eine große Bedeutung für die Zu-kunft liegt.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Hinweis. Ichhalte es für außerordentlich wichtig, dass die Schulenentsprechend ausgestattet werden – das wird in unseremLand leider noch sehr unterschiedlich gehandhabt – unddass die Menschen bereits in sehr jungen Jahren an dieNutzung der IT-Technik und die damit verbundenenChancen herangeführt werden. Dadurch kann ein ver-stärktes Interesse entstehen, was später möglicherweisezu einem Studium oder einem Beruf in dieser Fachrich-tung führt.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Kopp, bitte.

(Zuruf von der FDP: Jetzt kommt die klugeFrage! – Gegenruf des Bundesministers Glos:Bisher gab es nur kluge Fragen!)

Gudrun Kopp (FDP): Vielen Dank. Bisher gab es nur die Ankündigung ei-

ner klugen Frage.

Herr Minister, wir sind uns sicherlich darin einig, dassWettbewerb die beste Voraussetzung für Innovationenist. Sie haben eben sehr vorsichtig und dezent daraufhingewiesen, dass der Marktführer – Sie meinten wahr-scheinlich die Deutsche Telekom – im Bereich der Breit-banddurchdringung – Stichwort: VDSL – eigentlichschon hätte weiter sein können. Heißt das, dass wir voneiner Änderung des § 9 a des TKG dahin gehend auszu-gehen haben, dass dem Marktführer keine Regulierungs-ferien gewährt werden? Oder planen Sie hier Änderun-gen, die sogar eine Verschärfung bedeuten? Damitgingen Sie schon zu Beginn der deutschen EU-Ratsprä-sidentschaft voll auf Konfrontationskurs zur EU-Kom-mission. Das interessiert mich sehr.

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Verehrte Frau Kollegin, der derzeitige Stand ist, dassdie Bundesregierung den von ihr erarbeiteten Gesetzent-wurf dem Parlament und dem Bundesrat zugeleitet hat.Im Moment ist das Parlament am Zug. Entweder tritt dasGesetz so in Kraft, wie wir es konzipiert haben, oder dasParlament und der Bundesrat haben in eigener Zustän-digkeit Änderungen vorgenommen. Was geschehenwird, weiß ich nicht. Ich bin schließlich kein Prophet.

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Bundesminister Michael Glos

Nach unserer festen Überzeugung ist das Gesetz, dasals Entwurf von der Regierung beschlossen wurde, EU-tauglich. Wir planen keine Lex Telekom, um den Namenaufzugreifen, den Sie in die Debatte getragen haben. Dervorübergehende Umstand, dass die Regulierung hiernicht so stark ist – das bleibt Sache der Bundesnetzagen-tur –, betrifft aber selbstverständlich alle, die investieren.In meinen Augen investiert nicht nur der Marktführer zuwenig, sondern auch andere Firmen. Ich kann nur auffor-dern und einladen, sehr breit zu investieren; denn dieNutzung des VDSL-Netzes, also des raschen Netzzu-gangs, kommt der Wirtschaftskraft unseres ganzen Lan-des zugute.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Pawelski, bitte.

Rita Pawelski (CDU/CSU): Herr Minister, Sie haben vorhin ganz kurz die Versor-

gung Deutschlands mit dem Breitband angesprochen.Das ist ein eminent wichtiger Punkt; denn für viele Un-ternehmen ist der Zugang zum Breitband ein wichtigerStandortfaktor. Weil wir das Breitband insbesondere inder Telematik und im Gesundheitswesen brauchen, frageich: Gibt es genügend Breitband in Deutschland undwenn nein, was kann die Politik tun, um den Ausbau zuforcieren?

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Es gibt in Deutschland eigentlich viel Breitband. Esfehlt aber an einer ausreichenden Zahl an ganz schnellenZugängen über VDSL, und zwar nicht über Kupferkabel,sondern über Glasfaserkabel, was gerade in den vonIhnen angesprochenen Bereichen notwendig ist. Da dieöffentliche Hand kein Geld hat, das zu fördern und zu in-vestieren, haben wir die angesprochene Gesetzesinitia-tive auf den Weg gebracht, und zwar – ich betone dasnoch einmal – nicht gezielt für den Marktführer. Viel-mehr stellt sie eine Einladung an alle dar, dort endlich zuinvestieren. Die Aussichten, dass es einen Return of In-vestment gibt – das müssen alle Aktiengesellschaften ih-ren Aktionären beweisen, wenn sie investieren wollen;Aktiengesellschaften sind schließlich keine karitativenOrganisationen –, sollen durch das von uns konzipierteGesetz etwas hoffnungsfroher erscheinen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Weitere Fragen liegen nicht vor. Gibt es Fragen zu an-

deren Themen der heutigen Kabinettssitzung? – Das istnicht der Fall. Damit beende ich die Themenbereiche derheutigen Kabinettssitzung. Herr Minister, vielen Dankfür die Beantwortung der Fragen.

Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? –Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Regierungs-befragung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Fragestunde

– Drucksache 16/3230 –

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 1der Kollegin Cornelia Hirsch wird schriftlich beantwor-tet.

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung. Die Frage 2 der Kollegin Dr. Uschi Eidwird ebenfalls schriftlich beantwortet.

Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerinund des Bundeskanzleramtes auf. Die Fragen beantwor-tet Frau Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer.

Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Sevim Dagdelenauf:

Welche konkreten Absprachen zu Deutschvorbereitungs-kursen in der Türkei wurden beim Treffen der Staatsministe-rin im Bundeskanzleramt und Beauftragten der Bundesregie-rung für Migration, Flüchtlinge und Integration, ProfessorDr. Maria Böhmer, mit der türkischen Staatsministerin fürFrauen, Kinder und Soziales der Republik Türkei, NimetÇubukçu, im Bundeskanzleramt am 26. Oktober 2006 getrof-fen (siehe Presseerklärung der Staatsministerin ProfessorDr. Maria Böhmer vom 26. Oktober 2006)?

Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundes-kanzlerin:

Frau Kollegin Abgeordnete, ich beantworte IhreFrage wie folgt: Bei meinem Gespräch mit dem türki-schen Erziehungsminister Celik in Ankara hat er mir dasAngebot unterbreitet, Vorbereitungskurse in der Türkeidurchzuführen, um insbesondere jungen Frauen, die imRahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kom-men, die Integration zu erleichtern. Bei den anschließen-den Gesprächen mit Staatsministerin Çubukçu sowohl inAnkara als auch später in Berlin wurde von deren Seitemit Nachdruck die Notwendigkeit eines frühen Erwerbsder deutschen Sprache schon vor Einreise nach Deutsch-land betont und der Vorschlag für Vorbereitungskurse er-örtert.

Die Durchführung von Vorbereitungskursen in derTürkei wurde auch bei jüngsten Gesprächen zwischenMinisterpräsident Erdogan und Bundeskanzlerin Merkelthematisiert. Bei ihrem Besuch im Bundeskanzleramthat Staatsministerin Çubukçu mich darüber informiert,dass Ministerpräsident Erdogan ErziehungsministerCelik angewiesen habe, die Vorbereitungskurse auf denWeg zu bringen. Nähere Details zur Konzeption undpraktischen Ausgestaltung der Kurse wurden in den Ge-sprächen mit der türkischen Seite nicht erörtert. Dafürwerden weitere Gespräche erforderlich sein.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin, Ihre Zusatzfragen.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Staatsministerin, laut Pressemel-

dungen der letzten Tage haben sich die Koalitionspartnerdarüber geeinigt, dass das Beherrschen der deutschenSprache als eine neue Einreisevoraussetzung im Rahmendes Ehegattennachzugs einzuführen sei. Meines Wissenswurden diese Meldungen bis heute nicht dementiert.Ganz im Gegenteil, vom Kollegen Wiefelspütz von der

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Sevim Dagdelen

SPD-Fraktion wurde das sogar bestätigt. Ich möchtewissen, ob die Vermutung stimmt, dass das Angebot der-artiger Deutschkurse in der Türkei – wenn dem so ist –der Rechtfertigung dieser geplanten Neuregelung dienensoll und ob es bei Ihnen diesbezüglich verfassungsrecht-liche Bedenken gibt; denn in einer Ausarbeitung desWissenschaftlichen Dienstes vom 3. April 2006 gibt eseine Schlussfolgerung – ich zitiere –: Gegen den Nach-weis von Deutschkenntnissen als generelle Vorausset-zung für den Nachzug von ausländischen Ehegatten zuihrem in Deutschland lebenden ausländischen Ehepart-ner bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Beden-ken.

Ich möchte wissen, ob Sie sich diesen Bedenken an-schließen oder ob Sie juristisch begründen können, dassder Familiennachzug von dem Stand der Sprachkennt-nisse abhängig gemacht werden soll.

Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundes-kanzlerin:

Frau Kollegin, Sie wissen, die Beratungen dauernderzeit an. Bei Regelungen, die den Familiennachzugbetreffen, gehe ich davon aus, dass die federführendenMinisterien die beabsichtigten Regelungen sowohl in eu-roparechtlicher als auch in verfassungsrechtlicher Hin-sicht überprüft haben. Wenn es zu solchen Regelungenkommt, ist davon auszugehen, dass entsprechende Här-tefallregelungen vorgesehen werden.

Im Übrigen darf ich Ihnen sagen, dass es hier vonganz entscheidender Bedeutung ist, dass wir nicht nureine nachholende Integration durchführen, sondern dasses, gerade wenn es um die Situation der Frauen geht,darauf ankommen wird, eine vorbereitende Integrationauf den Weg zu bringen. Diese Überlegungen stehen hin-ter der derzeit erörterten rechtlichen Regelung. DieseÜberlegungen sind auch tragend für den Vorschlag, denich von türkischer Seite erhalten habe. Sowohl der Bil-dungsminister als auch die Frauenministerin haben mirin meinen Gesprächen – es war nicht nur ein Gespräch –wiederholt gesagt, wie wichtig sie das Beherrschen derSprache oder zumindest einfache Sprachkenntnisse hal-ten, damit der Übergang nach Deutschland besser ge-lingt. Deshalb trete ich persönlich nachdrücklich dafürein, dass wir eine solche vorbereitende Integration errei-chen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Nochmals herzlichen Dank. – Es gibt seit In-Kraft-

Treten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 dieIntegrationskurse. Ich habe heute in einer Tickermel-dung gelesen – das möchte ich ausdrücklich hier an die-ser Stelle begrüßen –, dass auch der niedersächsische In-nenminister – er ist von der CDU – das fordert, was wirhier seit Monaten auch in den Haushaltsberatungen for-dern, nämlich dass die Stundenzahl für Integrationskursevon 600 auf 900 angehoben wird. Soweit ich mich erin-

nern kann, ist die Erhöhung auch Ihrer Meinung nach,Frau Ministerin, wünschenswert.

Ist es nicht vielmehr eine Auslagerung im Vorfeld?Wie schätzen Sie das ein? Es ist zu begrüßen, dass mansich auf das Land vorbereitet, in dem man Fuß fassenmöchte und für das man sich als neue Heimat entschie-den hat. Man kann Neuzuwanderinnen und Neuzuwan-derern Immigrationskurse in Verbindung mit Sprachkur-sen in Deutschland anbieten. Ist es nicht eher so, dassSie die Verantwortung in das Herkunftsland verlagern,indem Sie die Teilnahme an den dortigen Sprachkursenzur Bedingung für die Einreise in unser Land machen?

Sie sprachen von Härtefallregelungen und Einzelfall-prüfungen. Wie möchten Sie die korrekte Umsetzung Ih-res Vorhabens konkret gewährleisten, obwohl es juris-tisch höchst bedenklich ist? Die Bedenken gegenüberdieser Regelung – der Familiennachzug soll von denSprachkenntnissen der Neuzuwanderinnen und Neuzu-wanderer abhängig gemacht werden – werden auch ineiner Studie des Wissenschaftlichen Dienstes vom13. März 2006 geäußert und sie werden von vielen Juris-tinnen und Juristen geteilt.

Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundes-kanzlerin:

Ihre Frage enthält mehrere Ansatzpunkte. Die Fragenach der Verfassungsmäßigkeit habe ich eben schon be-antwortet. Ich verweise darauf.

Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Integra-tionskursen in unserem Land, die durch das Zuwande-rungsgesetz rechtlich geregelt sind, und der neuen Ent-wicklung, dass man sich auf den Umzug nachDeutschland durch den Erwerb von Sprachkenntnissenvorbereitet: Beides ergänzt sich. Wir haben es hier zumeinen mit den Integrationskursen zu tun, die im Bereichder nachholenden Integration angesiedelt sind. Hinzukommt der Ansatz der vorbereitenden Integration.

Ich glaube, dass es für all diejenigen, die in unserLand kommen, außerordentlich hilfreich sein wird, ersteSprachkenntnisse schon zu besitzen; denn dann gelingtes viel leichter, den Spracherwerb hier in Deutschlandfortzusetzen. Gerade für Frauen bedeutet das, dass siesich hier sehr viel schneller integrieren können. Wir allemiteinander wissen, dass dies gerade für Frauen vonhöchster Bedeutung ist, damit sie zu einer gleichberech-tigten Teilhabe in unserem Land kommen können.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Hänsel, eine Zusatzfrage, bitte.

Heike Hänsel (DIE LINKE): Mich interessiert konkret, wie diese Sprachkurse vor

Ort, also in ländlichen Regionen wie Anatolien, gewähr-leistet werden sollen?

Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundes-kanzlerin:

Bei Ihrer Frage geht es darum, wie die türkische Seitediese Sprachkurse durchführt. Mir liegen Informationen

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Staatsministerin Dr. Maria Böhmer

darüber vor, dass der türkische Bildungsminister derzeitein Konzept für diese Sprachkurse erarbeiten lässt. Dasist ein wichtiger Punkt, über den wir uns mit der türki-schen Regierung austauschen werden. Es ist Aufgabeder türkischen Regierung, diese Vorbereitungskurse an-zubieten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vielen Dank, Frau Staatsministerin, für die Beantwor-

tung der Fragen.

Ich schließe diesen Geschäftsbereich.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums des Innern auf.

Die Frage 4 der Kollegin Cornelia Hirsch wirdschriftlich beantwortet.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums der Verteidigung auf. Die Fragen beantwortet HerrParlamentarischer Staatssekretär Thomas Kossendey.

Ich rufe die Frage 5 der Abgeordneten Heike Hänselauf:

Auf welcher Entscheidung beruht es, dass, wie Entwick-lungsorganisationen vor Ort kritisieren und OberstleutnantNorbert Falkowski auf der Anhörung des Ausschusses fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur zivil-militärischen Zusammenarbeit am 25. Oktober 2006 bestä-tigte und auf Kostengründe zurückführte, sich Bundeswehr-einheiten mit zivilen Fahrzeugen – weißen Jeeps ohne ausrei-chende Kennzeichnung – in Kunduz und Kabul bewegen unddamit das Risiko der Verwechslung und Vermischung von zi-viler und militärischer Präsenz provozieren?

Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister der Verteidigung:

Frau Hänsel, zunächst eine grundlegende Bemerkungzu Ihrer Frage. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung zurKennzeichnung militärischer Fahrzeuge, die in Afgha-nistan eingesetzt werden.

Die von unseren Bundeswehreinheiten in Afghanistangenutzten Fahrzeuge sind grundsätzlich eindeutig als mi-litärische Fahrzeuge gekennzeichnet. In Einzelfällen ste-hen den Soldaten aber auch zivile Fahrzeuge zur Verfü-gung. Eine Verwechslungsgefahr kann ich da nichtsehen, weil die deutschen Soldaten, wenn sie die Fahr-zeuge benutzen, Uniform tragen.

Darüber hinaus gibt es ungeschützte zivile Fahrzeuge.Die kommen aber grundsätzlich nur innerhalb der Ein-satzliegenschaften zum Einsatz, gehen also sozusagennicht nach draußen. Für diese Fahrzeuge ist daher auchkeine Kennzeichnung notwendig.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke schön. – Ich wurde darauf hingewiesen, dass

ich Ihnen zum Amtsantritt gratulieren soll. Ich wünscheIhnen viel Erfolg, vor allem im Hinblick auf eine kon-struktive Zusammenarbeit auch mit der Opposition.

Es gibt sehr viele Beschwerden von Hilfsorganisatio-nen, die vor Ort real erleben, dass eine Gefährdung be-steht, weil es bezüglich der Fahrzeuge ein eindeutig ge-trenntes Auftreten nicht gibt und weil vor allem diegleichen Jeeps wie bei Hilfsorganisationen verwendetwerden. Es wurde gesagt, das geschehe aus Kostengrün-den.

Nun zu meiner Frage. Es wird in Afghanistan sehrviel Geld ausgegeben. Wieso ist es nicht möglich, dortentsprechende Fahrzeuge zu besorgen? Ist die Motiva-tion nicht zum Teil auch die, dass man, wenn man zivilauftritt, sich mit zivilen Fahrzeugen über weite Streckenbewegt, weniger gefährdet ist?

Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister der Verteidigung:

Frau Kollegin, Sie sprechen mir geradezu aus demHerzen. Auch wir hätten gern mehr Geld für geschützteFahrzeuge im Einsatz in Afghanistan. Das scheitert häu-fig an den sehr intensiven Diskussionen, die wir mit derOpposition zum Beispiel über die Ausweitung des Ver-teidigungshaushalts zu führen haben.

Zweiter Punkt. Gerade das Konzept, das wir inAfghanistan verfolgen, das Konzept mit den PRTs, istein ressortübergreifendes Konzept. Unsere Soldaten sindda, um den zivilen Aufbau sowie die Helferinnen undHelfer aus den Hilfsorganisationen dort zu schützen undgegebenenfalls konstruktiv mitzuarbeiten. Von daherfinde ich es zunächst nicht sehr einleuchtend, dass dasmit unterschiedlich gekennzeichneten Fahrzeugen ge-schehen soll. Außerdem sind alle diejenigen, die in dennicht als militärisch zu identifizierenden Fahrzeugen sit-zen, als Soldaten daran erkennbar, dass sie eine Uniformtragen. Ich finde, das reicht.

Wir haben grundsätzlich – das will ich gern noch ein-mal betonen – militärisch gekennzeichnete Fahrzeuge imEinsatz. Aber in Einzelfällen greifen wir auch deswegenauf Zivilfahrzeuge zurück, weil zum Beispiel nicht im-mer militärische Fahrzeuge in ausreichender Anzahl zurVerfügung stehen.

Dritter Punkt. Von Beschwerden der Organisationenüber eine mögliche Verwechslung ist uns im Ministe-rium nichts bekannt.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke schön. – Bezüglich der Kosten gäbe es natür-

lich auch die Möglichkeit, das Mandat zu beenden unddann die Finanzmittel direkt in die zivile Aufbauhilfe inAfghanistan zu investieren. Würden auch Sie das alseine Möglichkeit ansehen?

Natürlich gibt es Beschwerden von vielen Hilfsorga-nisationen. In unserem Ausschuss wurde das sogarschriftlich festgehalten. Es ist schon ein Problem, dassEntwicklungshelfer – einige wurden angegriffen und so-gar getötet – ganz konkret gefährdet sind, wenn sie nichtganz klar getrennt von einer militärischen Präsenz in

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Heike Hänsel

Afghanistan wahrgenommen werden. Die Truppen dortsind Besatzungstruppen und werden von der Bevölke-rung auch so wahrgenommen. Von daher möchte ichnachfragen: Wie wollen Sie gewährleisten, dass es durchdie Truppenpräsenz keinerlei Gefährdung für den zivilenWiederaufbau und die Entwicklungsorganisationen vorOrt gibt?

Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister der Verteidigung:

Das Konzept, das wir in Afghanistan haben, das demParlament gerade vor zweieinhalb Monaten noch einmalals Dokument der Bundesregierung zugänglich gemachtworden ist, sagt sehr deutlich, dass die militärischeKomponente nur eine von vielen ist, mit denen wirAfghanistan helfen wollen. Der Bundesinnenminister,das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und das Auswärtige Amt arbeiten mit dem Vertei-digungsministerium an diesem Aufbau. Das Zurückzie-hen des Militärs aus diesem Konzept würde dazu führen,dass all diejenigen, die am zivilen Aufbau mitarbeiten,das ungeschützt tun müssten. Das war von Anfang annicht das Ziel der Arbeit der Bundesregierung und das istauch nach wie vor nicht der Wunsch der zivilen Hilfsor-ganisationen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Heike Hänsel auf:

Was wird das Bundesministerium der Verteidigung unter-nehmen, damit es zukünftig keine Vermischung ziviler undmilitärischer Präsenz in Afghanistan gibt und Bundeswehrein-heiten sich nur in eindeutig gekennzeichneten Fahrzeugen be-wegen?

Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister der Verteidigung:

Die Antwort auf die Frage 6, Frau Kollegin Hänsel,ergibt sich eigentlich aus dem, was wir gerade bespro-chen haben. Seitens des Bundesministeriums der Vertei-digung sind keine zusätzlichen Maßnahmen beabsich-tigt. Wir sehen eigentlich keine Verwechslungsgefahr, daauch in den zivilen Fahrzeugen die Soldaten mit ihrerUniform als Soldaten erkennbar sind.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Haben Sie dazu noch Zusatzfragen?

Heike Hänsel (DIE LINKE): Ja. – Wird es auch in Zukunft gängige Praxis sein,

dass das Militär in der Region dort weiße Jeeps, wie siehäufig auch von Entwicklungshilfeorganisationen gefah-ren werden, benutzt?

Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister der Verteidigung:

Ich wiederhole, was ich gesagt habe: Grundsätzlichfahren die Soldaten als Militärfahrzeuge erkennbare undgekennzeichnete Fahrzeuge. Wenn militärische Fahr-zeuge nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung ste-hen, kann es in Ausnahmefällen dazu kommen, dass wirzivile Fahrzeuge, die eben nicht als Militärfahrzeuge ge-

kennzeichnet sind, benutzen müssen. Das ergibt sichschlichtweg aus unserem Auftrag. Deswegen sage ich:Grundsätzlich nutzen wir militärische Fahrzeuge, aberim Ausnahmefall kann es auch dazu kommen, dass wirzivile Fahrzeuge benutzen.

Heike Hänsel (DIE LINKE): Ich hätte noch eine Frage zu den Ausnahmefällen.

Wie hoch beziffern Sie den Anteil von zivilen Jeeps imVerhältnis zu militärischen bzw. wie oft kommt es vor,dass zivile Jeeps benutzt werden?

Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister der Verteidigung:

Angesichts der Lage in Afghanistan, die mittlerweileauch im Norden nicht mehr so ruhig ist wie noch vorzwei Jahren, legen auch die Soldaten selbst Wert darauf,sich in militärischen, das heißt geschützten Fahrzeugenaußerhalb der Einsatzlager zu bewegen. Von daher ist eswirklich die Ausnahme, dass zivile Fahrzeuge benutztwerden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwor-

tung der Fragen.

Ich schließe diesen Geschäftsbereich und rufe denGeschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung auf. Die Fragen beantwortetder Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.

Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Rainder Steenblockauf:

Unter welchen Bedingungen würde die Bundesregierungvon ihren Plänen abweichen, einen Tunnel unter der Elbe fürdie geplante Autobahn 20 als Mautprojekt – F-Modell – zuplanen, und, wenn das Projekt nicht als Mautprojekt realisiertwird, wie soll die Haushaltsfinanzierung für dieses Projekt ge-sichert werden?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Lieber Kollege Steenblock, ich schlage vor, die bei-den Fragen, die Sie gestellt haben, zusammen zu bear-beiten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Dann rufe ich auch die Frage 8 auf:

Ist es zutreffend, dass eine Haushaltsfinanzierung zulastender Länderquoten an den Bedarfsplanmaßnahmen der betei-ligten Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen gehenwürde und damit entsprechend weniger Geld für die Fertig-stellung anderer Projekte des Vordringlichen Bedarfs zur Ver-fügung stünde, und, wenn ja, welche Projekte wären davonbetroffen?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Die A 20 ist insgesamt wichtig für die Verkehrser-schließung des Nordens. Um ein solch großes Projektwie einen zusätzlichen Elbtunnel in Hamburg als F-Mo-dell umzusetzen, bedarf es einer Vielzahl von Vorunter-suchungen. Erste Vorbedingung dafür ist der positive

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Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick

Ausgang einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, also obsich dieses Projekt als F-Modell überhaupt wirtschaftlichdarstellen lässt. Zweite Voraussetzung ist ein abge-schlossenes Vergabeverfahren.

Wenn sich bei den Untersuchungen herausstellensollte, dass eine Umsetzung im Rahmen eines F-Modellsnicht infrage kommt, bleibt zur Finanzierung eines sol-chen Projektes die Haushaltsfinanzierung übrig. In demganz konkreten Fall wäre dann der Deutsche Bundestaggefordert, weil dieser ja beschließen müsste, dem Ver-kehrsministerium entsprechende Mittel zur Verfügungzu stellen. Das hätte natürlich sofort auch Auswirkungenauf die Gespräche, die mit den Ländern über die Quotengeführt werden und die in der Regel jährlich stattfinden.Die entsprechenden Ministerien stehen darüber ja inständigem Kontakt.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, gestatten Sie mirzunächst einmal eine Richtigstellung: Dieser Tunnel sollnicht in Hamburg, sondern in Schleswig-Holstein gebautwerden. Das ist jedenfalls mein Kenntnisstand.

Bezüglich der Finanzierung, die Sie ja schon ange-sprochen haben, hätte ich als Erstes eine Nachfrage zudem Finanzierungskonzept. Das ursprüngliche Finanzie-rungskonzept ging von Kosten in Höhe von ungefähr380 Millionen Euro aus. Diese Zahl wurde der Öffent-lichkeit vor Jahren auch bekannt gegeben. Mittlerweilebelaufen sich die Baukosten nach Aussagen der Landes-regierung von Schleswig-Holstein auf 740 MillionenEuro, sie haben sich also fast verdoppelt. Wird ange-sichts dieser Kostenexplosion ein neues Finanzierungs-konzept von der Bundesregierung in Zusammenarbeitmit dem Land Schleswig-Holstein vorgelegt und zu wel-chem Zeitpunkt soll das geschehen?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Vorab noch einmal der Hinweis auf das, was ich ebengesagt habe: Es sind bei diesem Projekt bestimmte Vo-raussetzungen zu erfüllen. Zunächst untersuchen wir dieFrage, ob der Tunnel überhaupt geeignet ist, im Rahmeneines F-Modells finanziert zu werden. Das Ergebnis die-ser Untersuchung wird uns im ersten Quartal nächstenJahres vorliegen. Dann folgt ein zweiter Schritt: Im Rah-men einer Machbarkeitsstudie wird geprüft, ob man die-ses Projekt als F-Modell wirtschaftlich darstellen kann.Das Ergebnis dieser Studie erwarten wir zum Herbstnächsten Jahres.

Ihre Frage bezüglich der Kostenstruktur bezieht sichinsbesondere auf Sachverhalte dieser zweiten Untersu-chung, also ob man das Projekt als F-Modell wirtschaft-lich darstellen kann. Wenn die entsprechenden Ergeb-nisse vorliegen und es um die konkrete Umsetzung geht,wird man in einen intensiven Dialog mit den Landesre-gierungen und, wie ich vermute, auch mit dem Deut-

schen Bundestag eintreten; denn dann haben wir die nö-tigen Grundlagen, um entscheiden zu können, aufwelche Weise dieses Projekt finanziell dargestellt wer-den kann.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Herr Staatssekretär, dieser Tunnel ist in den Bundes-verkehrswegeplan ja als F-Modell eingestellt worden.Hat die damalige Bundesregierung dieses Modell dort invölliger Unkenntnis von Finanzierungs- oder Eignungs-notwendigkeiten eingestellt oder welche neuen Erkennt-nisse tauchen jetzt auf, das F-Modell an dieser Stelle in-frage zu stellen?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Wir stellen das Projekt nicht als F-Modell infrage,sondern wir wollen, da es sich um ein sehr großes Pro-jekt handelt, die Voruntersuchungen möglichst sorgfältigdurchführen. Deswegen dieses zweistufige Verfahren.

Wir sind ja in Deutschland noch Lernende, was diePrivatfinanzierung von Verkehrsprojekten anbetrifft. DieGeschichte dieses Tunnelprojektes reicht bis 1987 zu-rück; damals hat man mit der Planung begonnen. Des-wegen ist der Weg, den wir jetzt vorschlagen, vernünf-tig: Wir wollen schauen, ob das Projekt als F-Modellgeeignet ist – das ist die erste Stufe, die im ersten Quar-tal nächsten Jahres umgesetzt wird –, und dann anhandeiner Wirtschaftlichkeitsüberprüfung klären, ob es sichals F-Modell wirtschaftlich darstellen lässt. Die Umset-zung dieser zweiten Stufe erwarten wir für Ende nächs-ten Jahres.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch zwei Zusatzfragen.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Welche Auswirkungen hätten denn diese neuen, zu-sätzlichen Untersuchungen auf den bisherigen Zeitplanbezüglich der Fertigstellung dieses Querungsbauwer-kes, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Nieder-sachsen die Fortführung der A 20 nicht im Vordring-lichen Bedarf steht?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Uns geht Gründlichkeit immer vor Schnelligkeit, weildie Projekte sonst möglicherweise nicht gut durchdachtsind. Deswegen haben wir dieses Verfahren vorgeschla-gen. Prinzipiell kann man davon ausgehen, dass, wennman in einem solchen Voruntersuchungsprozess aufSchwierigkeiten stößt, sich daraus Verzögerungen erge-ben. Bei großen Verkehrsprojekten wie der A 20 oderanderen Autobahnen ist es ohnehin so, dass man dieProjekte in Abschnitte unterteilt und sie abschnittsweiserealisiert. Was konkret den Tunnel anbetrifft, sind wir,denke ich, auf dem richtigen Weg, wenn wir sehr sorg-fältig zweistufig vorgehen.

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Meine letzte Frage ist: Können Sie die im Augenblickzirkulierende Zahl von 740 Millionen Euro als Kosten-rahmen für das Querungsbauwerk bestätigen – ist das einErkenntnisstand, auf den sich die Bundesregierung beru-fen will – oder wird es, bevor die Wirtschaftlichkeitsun-tersuchung startet – man muss ja, wenn man über Maut-höhen redet, auch wissen, was das Bauwerk kosten soll –,noch eine neue Kostenschätzung geben?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Wenn man zu der Erkenntnis kommt, dass das Projektals F-Modell geeignet ist und sich wirtschaftlich darstel-len lässt, dann muss man in dem Zusammenhang bei-spielsweise die Frage nach der Tunnellänge beantwor-ten. Da gibt es unterschiedliche Denkansätze undUntersuchungsansätze. Von dieser technischen Voraus-setzung hängen die Kosten ab. Das ist der erste Punkt.Das heißt, die Frage, wie hoch die Kosten am Ende tat-sächlich sein werden, wird sich im Zuge der Untersu-chungen zeigen.

Das Zweite. Sie sind lange genug Verkehrspolitiker,um zu wissen, dass Projekte selten billiger werden, alssie geplant wurden. Das ist ein gängiger Erfahrungswert.Deswegen kann man realistischerweise davon ausgehen,dass wir noch gewisse Spielräume haben, wenn es umdie Frage geht, mit welcher Endsumme wir kalkulierenmüssen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwor-

tung der Fragen.

Zu diesem Geschäftsbereich liegen keine weiterenFragen vor. Deswegen schließe ich ihn.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für Arbeit und Soziales auf.

Die Frage 9 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmannwird aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schrift-lich beantwortet.

Die Frage 10 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wirdebenfalls schriftlich beantwortet.

Auch die Fragen 11 und 12 der Kollegin BrigittePothmer werden schriftlich beantwortet.

Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Aus-wärtigen Amtes. Die Fragen beantwortet Herr Staatsmi-nister Günter Gloser.

Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Wolfgang Gehrckeauf:

Welche Auswirkungen auf den angestrebten Friedenspro-zess im Nahen Osten sieht die Bundesregierung durch dieAufnahme von Avigdor Lieberman in die israelische Regie-rung, die von dem zurückgetretenen Minister Ofir Pines-Pasals ein „moralischer Schandfleck“ bezeichnet wurde (verglei-che „dda“ vom 30. Oktober 2006)?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa:Ich darf wie folgt antworten: Die Richtlinien der

31. israelischen Regierung unter Premierminister Olmerthaben sich durch den Beitritt der Partei „Yisrael Bei-tenu“ unter Lieberman nicht geändert. Im Übrigen, HerrKollege, darf ich Ihnen sagen, dass die Bundesregierungzu Regierungsumbildungen in anderen Staaten keineStellung nimmt.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung darauf

eingestellt, dass sich durch die Aufnahme von HerrnLieberman in die israelische Regierung der Konfliktzwischen Israel und den Palästinensern dramatisch ver-schärfen kann? Ich will einmal zitieren, was HerrLieberman unter anderem gesagt hat:

Wir müssen die Motivation der Palästinenser ver-nichten. Wenn es nach mir ginge, würde ich ihnenmitteilen, dass wir ab morgen früh um zehn die Ge-schäftszentren in ihren Städten und drei Stundenspäter alle Tankstellen bombardieren.

Glauben Sie nicht, dass die Aufnahme von HerrnLieberman in die israelische Regierung zu weiterenschärferen Auseinandersetzungen führen wird?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Gehrcke, natürlich ist sich die Bundes-

regierung dessen bewusst, wie schwierig gegenwärtigdas Verhältnis zwischen Palästinensern und Israelis ist.Ich komme auf meine erste Bewertung zurück, nämlichdass die Richtlinien der israelischen Politik durch HerrnOlmert bestimmt werden und nicht durch Herrn Lieberman.Ich darf auch darauf hinweisen – das ist der Kenntnis-stand der Bundesregierung –, dass auch innerhalb der is-raelischen Regierung Kritik an den Äußerungen vonHerrn Lieberman laut geworden ist. Ich denke daher, esist klar, dass seine Äußerungen nicht der offizielle Kursder israelischen Regierung sind.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre weitere Zusatzfrage.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herr Staatsminister, ausgerechnet Herr Lieberman ist

als Minister für strategische Fragen für die Behandlungdes Konflikts mit dem Iran verantwortlich. Meinen Siedaher nicht auch, dass das auf der iranischen Seite zuneuen Ängsten, Sorgen und Verhärtungen führen kann?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Gehrcke, Sie wissen genauso gut wie

ich, dass wir keinen Einfluss auf die Besetzung von Mi-nisterposten in ausländischen Regierungen haben.

Die israelische Regierung ist sicherlich darüber unter-richtet, wie stark die drei EU-Staaten Großbritannien,Frankreich und Deutschland im Benehmen mit den

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Staatsminister Günter Gloser

Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und Chinaan einer Lösung arbeiten, um eine Bedrohung Israelsauszuschließen. Ich kann also keinen Grund für eine ne-gative Entwicklung sehen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Wolfgang Gehrcke

auf:Sieht die Bundesregierung in den ungenehmigten israeli-

schen Militärflügen über libanesisches Territorium eine Ver-letzung des Waffenstillstands und der UNO-Resolution 1701?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Ich darf wie folgt Stellung nehmen: Der Generalse-

kretär der Vereinten Nationen unterstreicht in seinemjüngsten Bericht vom 19. Oktober 2006 zur Umsetzungder Resolution 1559 seine Erwartung, dass diese Flüge,die eine Verletzung der libanesischen Souveränität dar-stellen und im Widerspruch zu den Resolutionen 425,1559 und 1701 des Sicherheitsrates stehen, vollständigeingestellt werden. Aus Sicht der Bundesregierung istdie vollständige Umsetzung und Respektierung der VN-Resolution 1701 unabdingbare Grundlage zur Stabilisie-rung der Lage im Libanon.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich kann nur ausdrücklich das bekräftigen, was der

Generalsekretär der Vereinten Nationen gesagt hat. HatHerr Minister Jung, der als letzter Minister direkte Ge-spräche mit der israelischen Regierung geführt hat, denProtest der Bundesregierung, die an UNIFIL beteiligt ist,gegen diese Flüge der israelischen Regierung direktübermittelt?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Die Bundesregierung hat gerade in den letzten Wo-

chen immer deutlich gemacht, dass es im Hinblick aufdie Waffenruhe, die glücklicherweise mithilfe der Reso-lution der Vereinten Nationen geschaffen werden konnte,engste Gespräche und auch den Austausch von Informa-tionen geben muss, um mögliche Missverständnisse zwi-schen Israel und den Vereinten Nationen, insbesondereden Ländern, die an der Mission UNIFIL beteiligt sind,auszuräumen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre weitere Zusatzfrage.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herr Staatsminister, Sie haben auf eine Frage geant-

wortet, die ich überhaupt nicht gestellt habe. Ich versu-che es also noch einmal: Ich möchte wissen, ob die Bun-desregierung als Teil dieser Mission ihren Protest derisraelischen Regierung direkt übermittelt hat.

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Gehrcke, ich möchte darauf hinweisen,

dass die Bundeswehr nur ein Teil dieser Mission der Ver-einten Nationen ist. Wie Kofi Annan schon dargelegthat, verletzten diese Flüge die Resolution der VereintenNationen. Es muss daher alles Mögliche getan werden,damit es nicht zu neuen Konflikten kommt.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Alexander Ulrich

auf:Mit welchen konkreten Maßnahmen plant die Bundes-

regierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft den Nahost-friedensprozess voranzutreiben?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Ulrich, ich darf wie folgt antworten: Die

Bundesregierung wird gemeinsam mit den Partnern inder Europäischen Union und im Nahostquartett intensivnach Möglichkeiten suchen, den Nahostkonflikt einerumfassenden Friedenslösung näher zu bringen. Der Bun-desminister des Auswärtigen hat sich für die Wiederbe-lebung und mögliche Erweiterung des Aufgabenbereichsdes Nahostquartetts ausgesprochen. Gegenwärtig führter mit den Partnern des Quartetts Gespräche, in denendie in der Quartetterklärung vom 20. September 2006geäußerte Bereitschaft thematisiert wird, über eine Er-weiterung des Aufgabenbereiches nachzudenken, unddies nicht nur beschränkt auf den Kernkonflikt Israel-Pa-lästina, sondern auch die Regionalkonflikte in Bezug aufLibanon und Syrien einbeziehend. In Gesprächen mitden Partnern hat der Bundesminister des Auswärtigenfür diese Haltung geworben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Staatsminister, gibt es im Rahmen der Ratspräsi-

dentschaft und damit als Teil des Kleeblatts eine Initia-tive der Bundesregierung, auf die Durchführung einerNahostfriedenskonferenz zu drängen?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Ulrich, nach Verabschiedung der ent-

sprechenden Resolution in den Vereinten Nationenwurde deutlich gemacht, dass wir nicht nur Entscheidun-gen, sondern endlich auch eine politische Lösung benöti-gen. Angesichts der Entwicklung haben wir vorgeschla-gen, den Bereich Libanon und Syrien mit einzubeziehen.

Ich glaube, Sie werden mir darin zustimmen, dasseine solche Konferenz zum Erfolg führen muss. Wirkönnen nicht wieder eine Niederlage gebrauchen. Des-halb führt die Bundesregierung derzeit in Abstimmungmit der finnischen Ratspräsidentschaft Gespräche da-rüber. Wir werden dieses Thema während der deutschenEU-Ratspräsidentschaft auf die Agenda setzen. Aber ichbitte um Nachsicht, dass wir ein solch umfassendes Pro-jekt nicht von heute auf morgen in Gang setzen können.Dazu bedarf es der Abstimmung im Rahmen des Nahost-quartetts, aber auch der Einbeziehung der Konfliktpar-

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Staatsminister Günter Gloser

teien. Ob dazu sechs Monate ausreichen werden, be-zweifle ich. Aber dieses Thema steht während derdeutschen Ratspräsidentschaft ganz oben auf der Tages-ordnung.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Staatsminister, wie beurteilt dann die Bundesre-

gierung die Debatte im Europaparlament, dass das EU-Parlament selbst initiativ werden und Abgeordnete derKonfliktparteien zu Beratungen einladen will?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Ulrich, natürlich hat die Bundesregie-

rung vor dem Europäischen Parlament Respekt. Wir sindnicht dazu da, diese Initiativen zu kommentieren. Natür-lich muss es entsprechende Gespräche geben.

In der Europäischen Union haben wir uns aber zumeinen darauf verständigt, dass in der jetzigen Phase eineReihe von Kontakten notwendig ist und mit den Bünd-nispartnern, im Nahostquartett – ich wiederhole das –und natürlich auch mit den Vereinten Nationen die Situa-tion ausgelotet werden muss. Zum anderen müssen wirsehen, wie die Konfliktparteien in einen solchen Prozesseinbezogen werden können. Darüber hinausgehende Ini-tiativen liegen in der Autonomie der jeweiligen Berei-che, im konkreten Fall in der des Europaparlaments.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Ulrich auf:

Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass derPresse („Die Welt“ vom 12. Oktober 2006) der Entwurf desArbeitsprogramms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft be-kannt ist und den Abgeordneten und Mitgliedern des EU-Aus-schusses, die täglich damit arbeiten müssten, nicht?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Den Abgeordneten des Deutschen Bundestages wird

das Programm der deutschen EU-Präsidentschaft nachBilligung durch das Bundeskabinett, die voraussichtlichEnde November erfolgen wird, übermittelt. Dem Vorsit-zenden des Europaausschusses wurde aufgrund dessenhervorgehobener Stellung in EU-Angelegenheiten be-reits ein Entwurf des Arbeitsprogramms nach Kenntnis-nahme durch das Kabinett zur persönlichen Unterrich-tung und vertraulichen Behandlung übersandt.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, Ihre Fragen bitte.

Alexander Ulrich (DIE LINKE): Wäre es vor dem Hintergrund der Tatsache, dass

schon eher Informationen aus dem Ministerium an diePresse weitergeleitet wurden, nicht notwendig, von die-sem Zeitplan abzuweichen und dieses Haus über dieMaßnahmen und Pläne zu informieren?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Ulrich, wir wissen nicht, aus welcher

Quelle – ich stelle hier keine Vermutungen an – diePresse diese Informationen erhalten hat. Ich wiederholedie Bewertung der Bundesregierung, die ich bereits ineiner früheren Fragestunde dargestellt habe: Bis jetztwurde kein Beschluss zum Präsidentschaftsprogrammgefasst. Dies geschah zum einen deshalb, weil immernoch abgewartet werden muss, wie die Entwicklung in-nerhalb der Europäischen Union verläuft und was aktuellin das Programm einbezogen werden muss. Zum ande-ren warnen wir vor einer zu frühen Bekanntgabe, nichtdeswegen, weil wir nicht informieren wollen, sondern inRespekt vor der finnischen Präsidentschaft. Vergleich-bare EU-Staaten haben ihr Programm circa vier, fünfWochen vor Beginn ihrer Präsidentschaft vorgestellt.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Alexander Ulrich (DIE LINKE): Können wir als Abgeordnete aufgrund dieser negati-

ven Erfahrung davon ausgehen, dass die zwischen Bun-destag und Bundesregierung in diesem Zusammenhanggetroffene Vereinbarung gerade im Vorfeld der EU-Rats-präsidentschaft offensiv gelebt wird?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Sie wissen um unsere Debatte aufgrund einer einstim-

mig beschlossenen Vereinbarung des Deutschen Bundes-tages mit der Bundesregierung. Ich bin überzeugt, dassSie von allen Ressorts und der Bundesregierung früh inden Prozess einbezogen werden. Ich bitte aber um Rück-sichtnahme, da es bisher keinen Beschluss der Bundesre-gierung gibt. Es macht schließlich keinen Sinn, ein Pa-pier, das jede Woche verändert wird, der Öffentlichkeitoder auch den Parlamentariern zu unterbreiten.

Die Bundeskanzlerin hat vor wenigen Wochen imAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion die Schwerpunkte dargestellt, an denen sich dieEU-Ratspräsidentschaft orientieren wird. Wenn wir imKabinett entsprechende Beschlüsse gefasst haben – vo-raussichtlich Ende November –, werden sie Ihnen unmit-telbar zugeleitet.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Dr. Norman Paech

auf:Ist der Bundesregierung bekannt, dass die US-Regierung

in einem Militärlager in Jericho im Westjordanland ein Trai-ningsprogramm durchführt, mit dem die Präsidentengarde derpalästinensischen Autonomiebehörde für einen bewaffnetenKampf gegen die Hamas gerüstet werden soll (vergleiche„Haaretz“ vom 31. Oktober 2006), und, wenn ja, hält die Bun-desregierung dies für einen konstruktiven Beitrag zu einerFriedensregelung im Nahen Osten?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Paech, der Bundesregierung sind ent-

sprechende Presseberichte bekannt. Nach Kenntnis derBundesregierung trifft es nicht zu, dass in Jericho Trai-ningsmaßnahmen durchgeführt werden, mit denen die

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Staatsminister Günter Gloser

dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebe-hörde unterstehenden Sicherheitskräfte für einen bewaff-neten Kampf gegen die Hamas gerüstet werden.

Bekannt ist der Bundesregierung, dass es im Rahmender Mission des US-Sicherheitskoordinators General-leutnant Dayton konkrete Überlegungen gibt, die Präsi-dialgarde für Einsätze an Grenzübergängen auszubilden.Nach Kenntnis der Bundesregierung ist mit entsprechen-den Ausbildungsmaßnahmen nicht vor Beginn desnächsten Jahres zu rechnen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfrage, bitte.

Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, dann ist Ihnen wohl auch be-

kannt, dass nach Presseberichten, ähnliche Lager imGazastreifen eingerichtet werden sollen?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Dr. Paech, es gibt Pressemeldungen,

aber eine solche Situation ist der Bundesregierung nichtbekannt.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Das ist insofern etwas seltsam, als mir diese Berichte

von der Deutschen Botschaft in Tel Aviv zugesandt wor-den sind. Kann ich davon ausgehen, dass Sie diesenBerichten intensiv nachgehen werden und uns dann,eventuell auch schriftlich, über Ihre Konsequenzen in-formieren?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Selbstverständlich. Sollte es ein solches Dokument

geben, werde ich dem nachgehen und Sie dann entspre-chend unterrichten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Dr. Norman Paech

auf:Ist der Bundesregierung die Einschätzung der US-Regie-

rung bekannt, wonach die Isolierung der von der Hamas ge-führten palästinensischen Regierung zu einer bewaffnetenAuseinandersetzung zwischen der Hamas und der Fatah füh-ren werde (vergleiche „Haaretz“ vom 31. Oktober 2006), und,wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierungdaraus für ihre eigene Nahostpolitik?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Der Bundesregierung sind entsprechende Pressebe-

richte bekannt. Vor dem Hintergrund der Bemühungenvon Präsident Abbas zur Bildung einer palästinensischenRegierung auf der Grundlage seiner eigenen Friedens-agenda bereiten gerade die jüngsten bewaffneten Aus-einandersetzungen zwischen Fatah-nahen und Hamas-nahen Milizen der Bundesregierung Sorge. Bedauerli-cherweise finden diese Auseinandersetzungen zwischenMitgliedern der Fatah und der Hamas bereits seit Grün-

dung der Hamas statt. Die Bundesregierung teilt dahernicht die Einschätzung, dass Ursache dieser Auseinan-dersetzungen die Isolierung der Hamas-geführten Regie-rung ist.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre erste Zusatzfrage.

Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Sie gehen aber ebenfalls davon aus, dass die Aus-

einandersetzungen zwischen Hamas und Fatah militä-risch geführt werden. Meine Frage dazu: Was gedenktdie Bundesregierung im Rahmen einer neuen Strategiezur Friedenslösung zu unternehmen? Ist sie bereit, dieBlockade gegenüber der Hamas aufzugeben und sich mitder gewählten Regierung, dem gewählten Parlament inBezug auf eine Friedenslösung auseinander zu setzen?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege, Sie wissen, dass es diesbezüglich von

Anfang an eine Position der Europäischen Union gege-ben hat. Voraussetzung für die Aufnahme der Kontaktezwischen der Europäischen Union – damit auch die je-weils bilateralen Kontakte – und der Hamas-geführtenRegierung war ein deutliches Signal. Die Bedingungenwaren: die Anerkennung des Staates Israel, das Eintretenin die Roadmap und der Verzicht jeglicher Gewalt. –Wenn ich die jüngsten Meldungen richtig deute, gibt esBewegung zwischen den beiden Parteien, der Hamasund der Fatah, innerhalb Palästinas. Es ist zu hoffen,dass es hier letztendlich zu einer Lösung kommt und eindeutliches Signal ausgesendet wird, dass die Bedingun-gen erfüllt sind, damit die Kontakte zwischen der Euro-päischen Union und der Hamas-geführten Regierung inden palästinensischen Gebieten aufgenommen werdenkönnen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Nach jüngsten Meldungen – entsprechende Meldun-

gen gab es auch heute Morgen – hat die israelische Re-gierung heftige militärische Interventionen im Gazastrei-fen unternommen, verbunden mit vielen Zerstörungenund vielen Toten. Ist die Bundesregierung bereit, um denFriedensprozess zu fördern, intensiv auf die israelischeRegierung einzuwirken, um diese militärischen Aktio-nen im Gazastreifen zu beenden?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Kollege Paech, Sie kennen den Ausgangspunkt: Die

Konflikte zwischen Israelis und Palästinensern habensich wiederum verschärft. Bis heute haben wir noch kei-nes der Probleme gelöst. Die entführten israelischen Sol-daten wurden noch nicht freigelassen.

Es wird deutlich gemacht, dass sich die Situationnicht weiter verschärfen darf. Wir nehmen Einfluss undmachen deutlich: Es gibt gewisse Rechte, auch dasSelbstverteidigungsrecht des israelischen Staates; bei ih-rer Durchsetzung ist aber auf die Verhältnismäßigkeitder Mittel zu achten.

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Sevim Dagdelen

auf:Werden die getroffenen Absprachen Auswirkungen auf

die Praxis der Visumerteilung für türkische Staatsangehörigeim Rahmen von Familienzusammenführung haben und, wennja, welche?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Sehr geehrte Frau Kollegin, wenn ich es richtig ver-

standen habe, wurde ein Teil Ihrer Frage von FrauStaatsministerin Böhmer schon beantwortet. Auch ichgebe Ihnen aber gern eine Antwort.

Die Gespräche zwischen der Beauftragten der Bun-desregierung für Migration, Flüchtlinge und Integrationund der türkischen Seite bezogen sich allein auf den Be-reich des Ehegattennachzugs, also nicht auf den umfas-senden Familiennachzug nach Deutschland. Auswirkun-gen des angedachten Kooperationsansatzes auf denEhegattennachzug können sich ergeben, wenn das gel-tende Aufenthaltsgesetz die Erteilung des Visums bzw.der Aufenthaltserlaubnis von Kenntnissen der deutschenSprache des Nachziehenden abhängig macht. Beim Ehe-gattennachzug zu in Deutschland lebenden Ausländernsind Kenntnisse der deutschen Sprache nach geltenderRechtslage grundsätzlich keine Nachzugsvoraussetzung.

Etwas anderes gilt lediglich, wenn der in Deutschlandlebende Ehegatte seit weniger als zwei Jahren im Besitzeiner Aufenthaltserlaubnis ist und die Ehe erst nach ihrerErteilung geschlossen wurde. In diesen Fällen wird aufdem Ermessenswege über den Ehegattennachzug ent-schieden. Insoweit können – ich hoffe, wir sind unsdarüber einig – Sprachkenntnisse des nachziehendenEhegatten als Ermessensgesichtspunkt bei der Visumser-teilung Berücksichtigung finden. In diesen Fällen sindpositive Auswirkungen durch vorbereitende Sprachkurseim Hinblick auf die Erteilung eines Visums zu erwarten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfrage, bitte.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Herr Staatsminister, danke für die teilweise Beant-

wortung meiner Frage. – Sie meinten, dass Sprachkennt-nisse aller Voraussicht nach entscheidend im Rahmender Ermessensentscheidung bei der Visumserteilungwerden könnten. Etwa 55 000 Menschen, rund ein Vier-tel davon aus der Türkei, sind im vergangenen Jahr überden so genannten Familiennachzug – Sie haben zwi-schen Ehegattennachzug und Familiennachzug unter-schieden – hierher gekommen. Ich möchte wissen, wasdie bestimmten Voraussetzungen sind. Inwieweit könnenSie vor dem Hintergrund, dass die Familienzusammen-führung und entsprechend der Ehegattennachzug nachArt. 6 Grundgesetz geschützt sind, dem Prinzip der Ver-hältnismäßigkeit gerecht werden?

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Frau Kollegin, ich habe gerade in meiner Antwort

ausdrücklich gesagt, dass die Teilnahme an Sprachkur-sen keine Voraussetzung für den Ehegattennachzug ist.

Ich weise hierbei noch einmal auf die Ausführungen vonFrau Kollegin Böhmer hin. Wenn es davon abweichendeÜberlegungen gäbe, müssten die europarechtlichen undverfassungsrechtlichen Aspekte berücksichtigt werden.In diesem Fall ist aber noch keine Richtlinie umgesetztworden. Man befindet sich hierbei in einer Debatte. Wirmüssen die Debatte, auch hier im Deutschen Bundestag,abwarten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

(Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Nein, danke!)

– Sie haben also keine Zusatzfrage mehr.

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortungder Fragen.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums der Finanzen auf. Die Fragen beantwortet Frau Par-lamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.

Die Frage 20 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wirdschriftlich beantwortet.

Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Dr. GerhardSchick auf:

Wie verändert sich durch die so genannte Exit-Tax, mit derdie Einbringung von Immobilien in REITs erleichtert werdensoll, die Interessenlage ausländischer Finanzinvestoren bezüg-lich der Übernahme deutscher Unternehmen in Abhängigkeitvon deren Größe, der Höhe ihrer Substanzwerte in Immobi-lien und deren Gesellschaftsform, zum Beispiel börsenno-tierte bzw. nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, GmbHetc.?

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister der Finanzen:

Herr Kollege Schick, völlig unabhängig von der Ein-führung deutscher REITs und der steuerlichen Begünsti-gung durch die Exit-Tax können in- und ausländische Fi-nanzinvestoren deutsche Unternehmen übernehmen, umdiese später in einzelne Unternehmensteile aufzuspaltenund einzeln zu verkaufen. Durch die Exit-Tax kann einUnternehmensteil, nämlich die Immobilien, steuerer-leichtert an REITs und offene Immobilienfonds verkauftwerden.

Gleichwohl erscheint es unwahrscheinlich, dass diezeitlich befristete Exit-Tax die Gefahr für deutsche Un-ternehmen erhöht, von in- und ausländischen Finanzin-vestoren mit dem Ziel der Zerschlagung übernommen zuwerden.

Die Interessenlage in- und ausländischer Finanzinves-toren bezüglich der Übernahme deutscher Unternehmendürfte, unabhängig von ihrer Rechtsform und Größe,durch die Möglichkeit der steuerbegünstigten Veräuße-rung der Unternehmensimmobilien durch die Exit-Taxaus folgenden Gründen in keinem nennenswerten Um-fang beeinflusst werden:

Die Investitionsentscheidung internationaler Finanz-investoren hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab,zum Beispiel von der wirtschaftlichen Lage des

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Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

Portfoliounternehmens, von stillen Reserven in den ein-zelnen Wirtschaftsgütern, einschließlich Grund undBoden sowie Gebäuden, oder von Belastungen derGrundstücke mit Grundpfandrechten. Daher dürfte eineeinzelne steuerliche Regelung wie der vorgesehene § 3Nr. 70 des Einkommensteuergesetzes nicht den Aus-schlag für die Entscheidung solcher Investoren geben.

Ein Finanzinvestor mit Zerschlagungsinteresse wirdein Unternehmen nur dann kaufen, wenn die Unterneh-mensteile einzeln mehr wert sind als in der Gesamtheit.Hierbei wird es auf den Wert des jeweiligen operativenGeschäftsfeldes, zum Beispiel Finanzen oder Maschi-nenbau, ankommen. Der Wert des Immobilienbesitzessollte gegenüber dem Wert des Geschäftes eher eineRandgröße sein. Dementsprechend ist die Frage der Ver-wertungsmöglichkeiten von Immobilien zwar ein, je-doch nicht der maßgebliche Aspekt bei der Entschei-dung, ob ein Finanzinvestor ein Unternehmen kauft odernicht.

Eine Exit-Tax dürfte zwar bei Unternehmen, in derenBesitz sich Immobilien mit stillen Reserven befinden,grundsätzlich wertsteigernd wirken; von dieser Wertstei-gerung profitieren aber nur die aktuellen Eigentümer undnicht die potenziellen Erwerber, da die Wertsteigerungbei den zu erzielenden Verkaufserlösen naturgemäß ein-gepreist werden müsste. Vor allem bereits jetzt markt-gängige, veräußerungsfähige und damit für Finanzinves-toren interessante Unternehmensimmobilien weisenstille Reserven auf und fallen damit unter den Anwen-dungsbereich der Exit-Tax.

Unternehmensspezifische Immobilien werden ledig-lich dann Verkehrswerte über den Buchwerten aufweisen,wenn von einer langfristigen Nutzung gleichbedeutendmit einer langfristigen Betriebsfortführung ausgegangenwerden kann. Wertsteigerungen bei Unvermietbarkeit derImmobilien erscheinen nicht plausibel. Bislang unattrak-tive Immobilien werden für Finanzinvestoren auch durchdie Exit-Tax nicht attraktiv.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfrage, bitte.

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Frau Staatssekretärin, verstehe ich Sie richtig, dassSie nicht ausschließen können, dass Finanzinvestorenvon der erleichterten Veräußerung von Immobilien undderen Einbringen in REITs Gebrauch machen und inso-weit von der Steuervergünstigung, die die Exit-Tax dar-stellt, profitieren?

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister der Finanzen:

Es ist selbstverständlich nicht auszuschließen, dass Fi-nanzinvestoren ein Unternehmen erwerben und anschlie-ßend Immobilien veräußern. Ihre Frage richtete sich aberdarauf, ob Finanzinvestoren durch die Exit-Tax angeregtwürden, vermehrt Unternehmensbesitz in Deutschlandzu erwerben. Das ist aufgrund des eben von mir Darge-stellten eher unwahrscheinlich.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Zwischen der Zielsetzung der Exit-Tax, dass Firmen-immobilien leichter an die Börse gebracht werdenkönnen, und der Zielsetzung von Unternehmensüberneh-mern, Substanzwerte aus einem Unternehmen herauszu-ziehen und an den Kapitalmärkten zu vermarkten, be-steht eine gewisse Parallelität. Diese Parallelität – daraufzielte meine Frage – würden Sie nicht ausschließen?

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister der Finanzen:

Herr Kollege, ich muss noch einmal differenzieren.Zum einen gibt es bestehende Unternehmen, die in ihrenPortfolios stille Reserven in Form von Immobilien ha-ben, die dem Betriebsvermögen zwar zugeordnet sind,die aber nicht mit dem gemeinen Wert, sondern mit demBuchwert bewertet sind. Ein bestehendes Unternehmen,welches auch immer, kann seine Immobilien unter dengünstigeren Bedingungen der Exit-Tax veräußern, wennder Rechtsrahmen das im Laufe des nächsten Jahres er-möglicht. Damit würde das Unternehmen aber seine Ka-pitalisierung stärken, weil die Finanzmittel dann zum ge-meinen Wert als Eigenkapital verbucht würden. DasEigenkapital würde durch die Veräußerung der eigenenImmobilien also in Höhe der Differenz zwischen dembisherigen Buchwert der Immobilien und deren Kapital-wert gestärkt. Für Finanzinvestoren ist es zunächst ein-mal schwieriger, ein solches Unternehmen zu überneh-men, weil die Höhe des Eigenkapitals gestiegen ist.

Für sie stellt das also keine Erleichterung dar, sonderneher ein Hindernis. Denn das Eigenkapital müsste, wieich schon sagte, in den Kaufpreis eingepreist werden.Darüber hinaus fragten Sie, ob Finanzinvestoren durchdie Exit-Tax angezogen werden. Nach meinem Dafür-halten ist das eher unwahrscheinlich.

Eine andere Frage, die Sie gestellt haben, lautet:Wenn ein Finanzinvestor ein deutsches Unternehmen er-worben hat, kann dann solch ein neuer Besitzer zum Bei-spiel die Immobilien des Unternehmens veräußern? Ja,das ist nicht ausgeschlossen. Handelt es sich aber umImmobilien, die für die Fortführung des Unternehmensnotwendig sind, so müsste auch ein neuer Besitzer dieImmobilien wieder zurückmieten, um seinen Betriebüberhaupt fortführen zu können; das hätte allerdingsauch für den vorherigen Besitzer gegolten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Dr. Barbara Höll

auf:Wie haben sich seit 2004 die Kosten der Unterkunft, Heiz-

und Energiekosten, Kosten der Warmwasserbereitung in deneinzelnen Jahren entwickelt und wie müssen sich nach An-sicht der Bundesregierung diese Kostenentwicklungen sowiedie Anhebung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte in2007 auf die Höhe des Existenzminimums für Erwachseneund Kinder auswirken?

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Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister der Finanzen:

Frau Kollegin Höll, die vom Statistischen Bundesamtim Rahmen der Verbraucherpreisstatistik veröffentlich-ten Indizes bilden lediglich die Preisentwicklung ab. Sieliefern aber keine Aussagen über tatsächlich anfallendeAusgaben. So steht beispielsweise kein separater Indexzur Entwicklung der Heizkosten zur Verfügung.

Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom2. Juni 1995 berichtet die Bundesregierung regelmäßig,alle zwei Jahre, im Rahmen einer Prognoserechnungüber die Entwicklung des von der Einkommensteuer zuverschonenden Existenzminimums von Erwachsenenund Kindern. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2006wurde dem Präsidenten des Deutschen Bundestages unddem Vorsitzenden des Finanzausschusses des DeutschenBundestages der Sechste Existenzminimumbericht, derdas Berichtsjahr 2008 betrifft, zugeleitet.

Ergebnis dieses Berichts ist, dass die steuerlichenFreibeträge nach derzeitigem Sachstand noch bis ein-schließlich 2008 ausreichend bemessen sind. Bei der Er-mittlung der steuerfrei zu stellenden Beträge für dieKomponenten der Sozialhilfe – Regelsatz sowie Unter-kunfts- und Heizkosten – werden feststehende Erhö-hungsfaktoren berücksichtigt. Die Prognose zur Ent-wicklung der Unterkunfts- und Heizkosten umfasstdaher auch die Erhöhung des allgemeinen Umsatzsteuer-satzes ab dem 1. Januar 2007. Ob und in welcher Höheeine Überwälzung der Umsatzsteuererhöhung auf dieVerbrauchsausgaben erfolgt, lässt sich zurzeit nicht ab-schätzen.

Im Übrigen ist im Hinblick auf die Erhöhung der Um-satzsteuer zu berücksichtigen, dass ab dem 1. Janu-ar 2007 nur der allgemeine, nicht aber der ermäßigte Um-satzsteuersatz angehoben wird. Daher erhöht sich dieUmsatzsteuer, die auf eine Reihe von Gütern und Dienst-leistungen, die zum notwendigen Bedarf gehören, gezahltwerden muss, nicht. Das gilt zum Beispiel für Lebensmit-tel, den Personennahverkehr, Bücher und Zeitschriften.Die tatsächlichen Auswirkungen der Umsatzsteuer-erhöhung und anderer Preisveränderungen auf die Ver-brauchsausgaben fließen in die Einkommens- und Ver-brauchsstichprobe 2008 ein, sodass diese dann bei derNeubemessung der Regelsätze berücksichtigt werden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Danke, Frau Staatssekretärin. – Wir haben gestern zur

Kenntnis nehmen können, dass in einem Urteil des Bun-dessozialgerichts angeordnet wurde, die regionalen Un-terschiede der Wohn- und Heizkosten im Hinblick aufALG II und Grundsicherung zukünftig stärker zu be-rücksichtigen. Inwieweit wird sich das auf die Berech-nungsgrundlagen der Höhe des steuerfreien Existenzmi-nimums auswirken?

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister der Finanzen:

Frau Kollegin Höll, zur Umsetzung dieses Urteils desBundessozialgerichts kann ich noch keine abschließen-

den Aussagen treffen. Dies fällt in die Zuständigkeit desBundesministeriums für Arbeit und Soziales. Selbstver-ständlich wird die höchstrichterliche Rechtsprechung indiesem Zusammenhang Berücksichtigung finden. Wieund auf welche Weise dies der Fall sein wird, dazu ver-mag ich heute noch keine Ausführungen zu machen. Al-lerdings ist nach den Vorgaben des Bundesverfassungs-gerichts, vor deren Hintergrund wir dem Parlament denExistenzminimumbericht zuleiten, keine Regionalisie-rung der Kosten, was das steuerliche Existenzminimumanbelangt, vorgesehen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Frau Staatssekretärin, was das Vorgehen zur Berech-

nung des steuerfreien Existenzminimums betrifft, habenSie mündlich darauf hingewiesen, dass es hierfür ver-schiedene Grundlagen gibt: sowohl gesetzliche als auchstatistische, unter anderem die Wohngeldstatistik desJahres 2004, die bis 2008 und sogar darüber hinaus fort-geschrieben wird. Inwieweit wurden diese Berechnungs-grundlagen in der Vergangenheit mit der realen Entwick-lung daraufhin abgeglichen, ob die angenommeneSteigerung, die Sie zugrunde gelegt haben, tatsächlichder Realität entsprach? Inwiefern wird dies in der Zu-kunft geschehen? Oder basiert die Berechnung aus-schließlich auf der Wohngeldstatistik?

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister der Finanzen:

Nein, die Basierung erfolgt nicht nur auf der Wohn-geldstatistik, sondern auch auf der Einkommens- undVerbrauchsstichprobe, also nach einem umfassendenAnsatz, bei dem neben den Wohnkosten und den Wohn-nebenkosten selbstverständlich auch die Entwicklungder Kosten aller erdenklichen Güter des täglichen Be-darfs berücksichtigt wird. Die Modalitäten für die Be-rechnung des Existenzminimums sind vom Bundesver-fassungsgericht bereits als nicht zu beanstanden bewertetworden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Dr. Barbara Höll

auf:Wie wird sich nach Berechnungen der Bundesregierung in

den Jahren 2007, 2008 und 2009 das Existenzminimum fürErwachsene und Kinder entwickeln und wo liegen die Ursa-chen für die – laut Presseberichten – unterschiedlichen Be-rechnungen des Existenzminimums seitens des Bundesminis-teriums der Finanzen einerseits und seitens desBundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend andererseits?

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister der Finanzen:

Wie bereits ausgeführt, hat die Bundesregierung aktu-ell den Sechsten Existenzminimumbericht, der im Ein-vernehmen mit allen Ressorts erstellt wurde, vorgelegt.Demnach ergibt sich für das Berichtsjahr 2008 kein Be-darf, die Steuerfreibeträge für das Existenzminimum von

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Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

Erwachsenen und Kindern zu erhöhen. Nach derzeiti-gem Stand ist allerdings mit einer Anpassung des Kin-derfreibetrags ab 2009 zu rechnen. In welchem Umfangeine Erhöhung erforderlich wird, ist rechtzeitig – imvierten Quartal 2007, also in einem Jahr – anhand aktu-alisierter Werte abzuschätzen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Danke. – Bei der Festlegung des Steuerfreibetrags für

das Existenzminimum von Kindern haben wir neben denSachkosten weitere Kosten zu berücksichtigen, die Kin-der verursachen. In der typisierenden Betrachtung gibtes nur eine Gruppe: Kinder von 0 bis 18 Jahren. Jugend-liche über 18 Jahren, die ALG II beziehen, können nachder Änderung von diesem Jahr nicht mehr aus dem elter-lichen Haushalt ausziehen und eine eigene Bedarfsge-meinschaft bilden. Halten Sie es vor diesem Hintergrundfür gerechtfertigt, sie weiter wie Kinder einzustufen?Müsste hier nicht die Typisierung verändert werden?

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister der Finanzen:

Nein, Frau Kollegin Höll. Es ist richtig: Die jungenMenschen, denen der Einstieg ins Berufsleben bishernoch nicht geglückt ist und die infolgedessen weiter beiihren Eltern leben, haben, solange sie unter 25 Jahre altsind, keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld II ineinem eigenen Haushalt. Doch auch bei den jungenMenschen zwischen 18 und 25 Jahren, die sich in Aus-bildung befinden und für die die Eltern Kindergeld be-ziehen, sind wir mit der Typisierung zufrieden. Was fürdiejenigen gilt, die in Ausbildung sind, kann genausogelten für diejenigen, die den Einstieg ins Berufslebenleider noch nicht gefunden haben.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Das reicht mir; danke.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Staatssekretärin, vielen Dank für die Beantwor-

tung der Fragen.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-riums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitauf. Die Fragen beantwortet Frau ParlamentarischeStaatssekretärin Astrid Klug.

Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Hans-Josef Fellauf:

Welche Strategie hat die Bundesregierung im Sinne desdurch den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, in seiner Rede „Innovativfür Wirtschaft und Umwelt“ am 30. Oktober 2006 vorge-brachten Ziels, „Vorreitermärkte zu schaffen“, für den Wär-memarkt bei erneuerbaren Energien, nachdem Bundesminis-ter Sigmar Gabriel noch am gleichen Tag ein Wärmegesetzaus Kostengründen auf unabsehbare Zeit verschoben hat?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Sehr geehrter Herr Kollege Fell, Ihre Frage nach demVorreitermarkt Wärme im Bereich der erneuerbarenEnergien beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierunghat mit dem Marktanreizprogramm ein bewährtes Instru-ment, mit dem sowohl der Ausbau der erneuerbarenEnergien im Wärmemarkt als auch die Entwicklung voninnovativen Technologien in diesem Bereich wirksamgefördert werden. Seit dem Jahr 2000 wurde mit derFörderung ein Investitionsvolumen von insgesamt5,8 Milliarden Euro ausgelöst. Die Bundesregierung hatmit dem Wärmemarkt somit bereits einen wichtigen Vor-reitermarkt im Sinne der Rede von Minister Gabriel, aufdie Sie sich beziehen, geschaffen. Sie beabsichtigt, die-sen durch eine Neuausrichtung des Marktanreizpro-gramms weiter auszubauen.

Die Absage von Minister Gabriel an ein Wärmegesetzbezieht sich dagegen lediglich auf ein konkretes Instru-ment, das eine Finanzierung über die Verbraucher imWege des Umlageverfahrens nach dem Vorbild desEEGs vorsieht. Eine solche zusätzliche Belastung kannangesichts der ohnehin schon hohen Kosten für Heiz-energie und der Belastungen durch die Erhöhung derMehrwertsteuer den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu-gemutet werden. Das bedeutet aber nicht, dass sich derStaat aus seinem Engagement für den Ausbau der erneu-erbaren Energien im Wärmemarkt zurückzieht. Ganz imGegenteil, wir wollen den Ausbau der erneuerbarenEnergien im Wärmemarkt über das Marktanreizpro-gramm weiter ermöglichen und damit den Vorreiter-markt im Wärmebereich weiter ausbauen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Ich teile Ihre

Einschätzung, dass das Marktanreizprogramm ein be-währtes Instrument ist. Allerdings wissen Sie genausogut wie wir, dass es in diesem Bereich seit Mitte diesesJahres eine Haushaltssperre gibt, weil entsprechend derNachfrage nicht genügend Mittel bereitgestellt werdenkönnen. Die momentane Haushaltsberatung lässt be-fürchten, dass diese Mittel sogar noch gekürzt werden.Wir hatten im Ausschuss gerade Gelegenheit, gemein-sam darüber zu debattieren.

Insofern frage ich Sie erneut, warum ausgerechnet beidiesem, wie Sie selbst sagen, innovativen Instrument ge-kürzt werden soll; denn der Markt verträgt das nicht. Da-neben will Bundesminister Gabriel auch kein neues Ge-setz auf den Weg bringen, obwohl es Diskussionendarüber gibt, in einem solchen Gesetz eben keine Um-lage nach dem Vorbild des Erneuerbare-Energien-Geset-zes vorzusehen, sondern andere Möglichkeiten zu eröff-nen. Eine klare Absage an ein Wärmegesetz an sich lässtdiese Option nicht mehr zu.

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Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Herr Kollege Fell, Sie haben in Ihren Ausführungendeutlich gemacht, dass die Nachfrage nach dem Markt-anreizprogramm riesengroß ist. Das heißt, es ist ein be-währtes Instrument, das von denjenigen angenommenwird, die sich in den Bereichen der erneuerbaren Ener-gien und der Wärmetechnik engagieren und in diese in-vestieren wollen.

In diesem Jahr gab es 65 000 Anträge mehr, als wiraufgrund des Finanzvolumens, das für das Marktanreiz-programm zur Verfügung steht, bewilligen konnten. Daszeigt, dass das ein sinnvolles und nachgefragtes Instru-ment ist. Sie wissen, dass es derzeit Verhandlungen mitdem Haushaltsausschuss darüber gibt, die Mittel für dasnächste Jahr aufzustocken, um die Anträge, die in die-sem Jahr nicht abgewickelt werden konnten, in dasnächste Jahr übernehmen und nachträglich bescheidenzu können und um genügend finanziellen Spielraum zuhaben, damit die Nachfrage im nächsten Jahr befriedigtwerden kann.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, mit diesem Marktanreizpro-

gramm beziehen Sie sich nur auf Technologien, die sichbereits im Markt befinden: Sonnenkollektoren, Holzpel-letsheizungen und einige andere mehr. Gerade im Wär-memarkt gibt es aber auch Optionen für zukünftige inno-vative Technologien. Bundesminister Gabriel betontimmer wieder, dass er genau dafür Anreize schaffen will.

Welche Möglichkeiten sehen Sie angesichts desRückgangs der Mittel und eines nicht in Angriff genom-menen Wärmegesetzes, neue Technologien auf denMarkt zu bringen? Die Unternehmen harren seit Jahrenund sind technologisch so weit. Wenn es nicht mehr Mit-tel und kein Wärmegesetz gibt, dann sehe ich keineChance dafür, hier voranzukommen.

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Herr Kollege Fell, ich habe eben betont, dass wir der-zeit intensiv daran arbeiten, das Marktanreizprogrammfinanziell auszubauen, um mehr Mittel zur Verfügung zuhaben, und die Förderkriterien weiterzuentwickeln, da-mit über das Marktanreizprogramm Anreize für die Ent-wicklung neuer und innovativer Technologien gesetztwerden.

Sie wissen, dass wir für dieses Programm auch Mittelaus dem Bereich Forschung und Entwicklung zur Verfü-gung stellen. In der Rede des Ministers auf der Konfe-renz, die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, war esein ganz wichtiges Thema, dass wir in diesen Bereichenneuen Technologien mit einem intelligenten Mix aus In-novationsförderung und Markteinführungsprogrammenbis hin zur Forschungs- und Exportförderung, flankiert

durch das Ordnungsrecht und regulierende Maßnahmen,zum Durchbruch verhelfen wollen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Hans-Josef Fell

auf:Welche konkreten Maßnahmen beabsichtigt die Bundesre-

gierung, um die CCS-Technik – CO2-Abscheidung und -Spei-cherung – spätestens ab 2020 zum Standard für alle neuen fos-silen Kraftwerke zu machen, wie dies im „Memorandum füreinen ,New Deal’ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäfti-gung“ durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit gefordert wird, und sind damit auch dieneuen Kraftwerke gemeint, die bis 2020 gebaut werden?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Herr Kollege Fell, Sie fragen nach der CCS-Technik.Ich beantworte Ihre Frage wie folgt:

Die Bundesregierung hält die CCS-Technologie füreine interessante Option. Es geht um die CO2-Abschei-dung und -Speicherung. Deswegen ist sie Bestandteil derForschungsprogramme des Bundes. Ob und wann dieCCS-Technologie marktreif werden kann, kann derzeitallerdings noch nicht beantwortet werden. Hierfür istnoch eine Vielzahl von Fragen zu klären, die unter ande-rem im Rahmen der Forschungsprogramme des Bundesuntersucht werden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, Ihre Antwort ging nicht ganz in

Richtung meiner Frage; denn ich habe deutlich gefragt,welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen will,um die CCS-Technik ab 2020 zum Standard zu machen.Ein solcher Standard ist notwendig – das wurde von derBundesregierung in verschiedenen Veröffentlichungenauch dokumentiert –, weil ansonsten die Kohlendioxid-emissionen aufgrund der steigenden Anzahl an Kohle-kraftwerken weiterhin zunehmen. Momentan gibt es le-diglich die Hoffnung, dass diese CCS-Technikirgendwann einmal zum Standard wird. Welche Maßnah-men wollen Sie ergreifen, um die Unternehmen schonheute dazu zu bringen, wenigstens bis 2020 nachzurüsten?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Herr Kollege Fell, ich ergänze meine Antwort gerneum konkrete Angaben. Die Bundesregierung fördert dieErforschung der CCS-Technik sowohl in der Frage derKraftwerkstechnologie – diese Aufgabe übernimmt dasBundeswirtschaftsministerium – als auch in der Frageder sicheren Speicherung. Diese Mittel werden aus demEtat des Bundesministeriums für Bildung und Forschungzur Verfügung gestellt. Derzeit sind in Deutschland aufdem Gebiet des CO2-freien Kraftwerks zwei Pilot-projekte avisiert: ein 30-Megawatt-Kraftwerk vonVattenfall, das 2008 in Betrieb gehen soll, sowie ein 450-Megawatt-Großkraftwerk von RWE, das 2014 ans Netzgehen soll.

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Parl. Staatssekretärin Astrid Klug

Darüber hinaus – das darf ich noch ergänzen – enga-giert sich Deutschland auch auf europäischer Ebene aufdem Gebiet der Erforschung und Weiterentwicklung die-ser Technologie. Die von der EU-Kommission unter-stützte Plattform „Zero Emission“ ist ein Zusammen-schluss der beteiligten Akteure in Europa, welche dasZiel verfolgt, das CO2-freie Kohlekraftwerk bis 2020EU-weit als Standard zu etablieren. Auch diese Arbeitfindet unsere volle Unterstützung.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, gestatten Sie mir, erneut darauf

hinzuweisen, dass es mir nicht, wie Sie gerade ausge-führt haben, um Pilotprojekte und Fördermaßnahmengeht, sondern darum – wie dies auch in dem „Memoran-dum für einen ‚New Deal’ von Wirtschaft, Umwelt undBeschäftigung“ durch das Bundesministerium fürUmwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gefordertwird –, schon heute Standards dafür festzulegen, dieCCS-Technologie spätestens ab 2020 zu implementie-ren? Das ist eine andere Maßnahme als die Unterstüt-zung von Forschung, Entwicklung und Pilotprojekten.

Wenn man glaubt, dass diese Technologie kommenwird, ist es wichtig, Kraftwerksbetreiber schon heutedarauf hinzuweisen, ihre Anlagen nachzurüsten. Eineandere Möglichkeit ist es, Genehmigungen für neueKraftwerke daran zu binden, dass die Anlagen mit dieserTechnologie, sofern sie dann vorhanden ist, tatsächlichausgestattet werden. Das vermisse ich in Ihrer Antwort;denn genau darum geht es in meiner Frage.

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Herr Kollege, ich glaube, ich habe ziemlich deutlichgemacht, dass bei der CCS-Technik noch sehr viele of-fene Fragen erforscht werden müssen. Schließlich gehtes nicht nur um die Frage der Abscheidung, sondern esgeht auch um die Frage der Speicherung. Eine der offe-nen Fragen ist, wo eine Speicherung erfolgen kann. Siewissen, dass die Bundesregierung die Speicherung in derTiefsee aus ökologischen Gründen ablehnt. Also musshier investiert und geforscht werden, um zu alternativenLösungen zu kommen und diese Technologie anwen-dungsreif zu machen. Wenn diese Fragen beantwortetsind, dann werden wir uns über die Standards und denZeitpunkt ihrer Einführung sowohl für neue Kraftwerkeals auch für die Nachrüstung unterhalten können.

In einem Punkt sind wir uns völlig einig: Wir brau-chen diese Technologie. Wir haben im Bereich des Kli-maschutzes das Zwei-Grad-Ziel vor Augen und verfol-gen in diesem Zusammenhang sehr ambitioniert eineDoppelstrategie: die Förderung der erneuerbaren Ener-gien und die Einführung von Effizienztechnologien.Trotzdem werden wir auch in der Zukunft national wieinternational auf die Nutzung der Kohle angewiesen

sein. Also brauchen wir in diesem Bereich eine entspre-chende Technologie. Wir unterstützen alle Anstrengun-gen, diese Technologie im Bereich der CO2-Abschei-dung anwendungs- und marktreif zu machen, um siedann in neuen Kraftwerken einsetzen zu können.

(Zuruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Hierzu eine weitere Zusatzfrage der Kollegin

Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte zuerst von meinem Kollegen Fell über-

mitteln, dass er mit der Antwort nicht ganz einverstan-den ist. Aber ich glaube, diese Frage müssen Sie bilateralklären.

Ich möchte dieses Thema noch weiter vorantreiben.Uns geht es auch um die Frage der Genehmigungspraxis.Sie haben eben selber ausgeführt, dass es nicht nur da-rum gehen kann, ob die Technologie funktioniert odernicht, sondern es wird vor allem auch um die Möglich-keit der Speicherung, also um ein sicheres Endlager ge-hen.

Sie haben sicherlich genauso wie ich von der aktuel-len Studie der Forscher der Universität Austin gehört.Darin wurde festgestellt, dass die 1 600 Tonnen CO2, dievor zwei Jahren vor der Küste von Texas unter das Meerin Sandsteinformationen geleerter Ölfelder gepumptwurden – das war eine der Optionen –, dazu geführt ha-ben, dass der pH-Wert in den fraglichen Reservoirs inganz kurzer Zeit von nahezu neutralen 6,5 auf 3 gefallenist. Die Zeitschrift „New Scientist“ schreibt, das sei so,als wenn Milch zu Essig werde. Konsequenz sind unge-heure ökologische Folgeschäden.

Ich will damit sagen: Sie als Bundesregierung ver-trauen sehr stark auf eine Technologie, die zu einem be-stimmten Zeitpunkt einsatzfähig sein soll, wobei abernoch nicht feststeht, ob sie – auch im Sinne ökologischerNachhaltigkeit – jemals einsatzfähig sein wird. Ichglaube, wir sind uns darin einig, dass wir die ökologi-sche Nachhaltigkeit an dieser Stelle nicht vernachlässi-gen dürfen.

Vor dem Hintergrund, dass wir noch nicht wissen, obdie Technologie tatsächlich einsatzfähig sein wird, frageich Sie: Werden Genehmigungen mit der Auflage erteilt,dass 2020 die Nachrüstung auf diese neue Technologieerfolgt – so habe ich Herrn Bundesminister Gabriel ver-standen –, oder wird die Genehmigung nur dann erteilt,wenn die Technologie bereits einsatzfähig ist? Das wäreder nächste Schritt, der aber meiner Ansicht nach konse-quent wäre, wenn man es mit dem Vermeiden weitererEmissionssteigerungen ernst meint. Werden dann nurnoch Kohlekraftwerke genehmigt, die bereits mit dieserTechnologie ausgestattet und damit garantiert CO2-freisind, statt Genehmigungen im Hinblick auf eine derzeitnoch völlig in den Sternen stehende Option zu erteilen?

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Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Um eine Technologie zum Gegenstand eines Geneh-migungsverfahrens zu machen, muss man über dieseTechnologie verfügen und sie muss verantwortbar sein.Wir vertrauen in diese Technologie, aber wir haben sienoch nicht. Wir sind der Meinung, dass alle Anstrengun-gen unternommen werden müssen, um eine Lösung imSinne von Clean Coal zu finden, weil wir genau wissen,dass wir nicht nur bei uns in Deutschland, sondern vorallem auch weltweit zumindest mittelfristig auf die Nut-zung der Kohle angewiesen sein werden. Wir brauchendafür saubere Kohletechnologien und deshalb engagie-ren wir uns in diesem Bereich. Aber man kann, wie ge-sagt, diese Technologie erst dann zum Gegenstand kon-kreter Genehmigungsverfahren machen, wenn mandarüber verfügt und wenn sie verantwortbar ist.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl

auf: Wird sich die Bundesregierung nach der Vorlage des „Me-

morandums für einen ,New Deal‘ von Wirtschaft, Umweltund Beschäftigung“ durch das Bundesministerium für Um-welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dafür einsetzen, dassauch in der Chemie- und Kunststoffindustrie der Wechsel vomErdöl hin zu nachwachsenden Rohstoffen vollzogen wird, undwelche Maßnahmen sind konkret dazu geplant?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Ihre Frage, die sich auf die nachwachsenden Roh-stoffe im Bereich der Chemie- und Kunststoffindustriebezieht, beantworte ich wie folgt: Selbstverständlichwird sich die Bundesregierung weiterhin dafür einset-zen, dass auch in der Chemieindustrie in zunehmendemMaße nachwachsende Rohstoffe als Grundstoffbasis die-nen. Dazu soll die notwendige Grundlagenforschungweiter gefördert werden, um neben den bekannten ökolo-gischen Vorteilen der CO2-Neutralität und der potenziellbesseren Energieeffizienz auch die Ablösung risikorei-cher herkömmlicher Basischemikalien durch neuartigeSynthesen zu erreichen.

Weiterhin sollen die Bedingungen für die nachhaltigeBereitstellung von Biomasse – das heißt für die sichereVerfügbarkeit großer Mengen zur Herstellung von neuenMassengrundstoffen – wissenschaftlich geklärt werden.Dazu hat das BMU unter anderem im September 2006,also vor kurzem, ein wissenschaftliches Fachgesprächdurchgeführt und die erste Internationale IUPAC-Tagungfür grüne und nachhaltige Chemie vom 10. bis 15. Sep-tember dieses Jahres in Dresden finanziell gefördert.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön, Frau Staatssekretärin. – Das ist das eine

Standbein, aber uns geht es auch um das andere, nämlichum konkrete Maßnahmen. Ich zitiere den Herrn Bundes-

minister, der in dem relativ kurzen Absatz über Bioplas-tik und Bioraffinerie feststellt:

Die amerikanische Umweltschutzbehörde EPAschätzt, dass kompostierbares Bioplastik bis zu94 Prozent jene Plastikprodukte der Endkonsumen-ten vermindern könnte, die heute noch im Abfalllanden.

Insofern scheinen auch das Kreislaufwirtschafts- undAbfallgesetz und die Verpackungsverordnung eine Rollezu spielen. Gibt es konkrete Überlegungen in Bezug aufentsprechende Änderungen, damit die Biokunststoffeeine reelle Chance erhalten?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Auch in diesem Bereich investieren wir in die For-schung. Das ist einer der von uns identifizierten Zu-kunftsmärkte. Wir haben das Memorandum „Ökologi-sche Industriepolitik“ vorgelegt, weil wir in diesemBereich Handlungsbedarf und enorme Potenziale auchfür die hiesige Wirtschaft – gerade der Chemie- und derKunststoffindustrie – sehen.

Mit diesem Memorandum geben wir eine erste Ant-wort. Darauf aufbauend wollen wir die Leitmärkte derZukunft ausbauen und herausfinden, in welchen Berei-chen wir welche Antwort geben müssen. Diese reichenvom Ordnungsrecht und entsprechenden Gesetzesände-rungen über Anreize im Bereich Top Runner bzw. derMarkteinführung bis hin zum Ausbau von Forschungund Entwicklung. In diesem Zusammenhang haben wirmit der Hightechstrategie der Bundesregierung für vieleBereiche bereits eine Antwort gegeben, wohl wissend,dass es die erste Antwort ist.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-

rin, ich danke Ihnen und Ihrem Ministerium für dieseInitiative. Aber um beim Abfallgesetz bzw. der Verpa-ckungsverordnung zu bleiben, deren Novellierung dem-nächst ansteht: Wird zum Beispiel daran gedacht, dieVerpackungsverordnung dahin gehend zu ändern, dasszum einen Verpackungen auf Basis nachwachsenderRohstoffe wie Biokunststoffe in Zukunft einen fairenMarktzugang bekommen und zum anderen die Verwen-dung nachwachsender Rohstoffe für Verpackungskunst-stoffe als eine Form der Produktverantwortung aus-drücklich anerkannt wird?

Eine zweite Möglichkeit – als Zusatz, nicht als Alter-native gedacht – wäre, neben der Verpackungsverord-nung die Biomasseverordnung und die Düngemittelver-ordnung so zu überarbeiten, dass biologisch abbaubareBiokunststoffe über die Biotonne entsorgt und verwertetwerden können. Die bisherigen gesetzlichen Defiziteverhindern, dass Biokunststoffe zur Marktreife oderbreiten Marktanwendung kommen. Ist an solche Maß-nahmen gedacht?

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Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Das sind Fragen, über die wir gerne diskutieren kön-nen. Sie wissen, dass es bei der nun anstehenden Ände-rung der Verpackungsverordnung um eine andere Fragegeht, nämlich wie wir Trittbrettfahrer ausschalten kön-nen. Diese Frage werden wir mit der nun anstehendenÄnderung der Verpackungsverordnung beantworten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fell.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, wenn die Verpackungsverord-

nung novelliert wird, um Trittbrettfahrer auszuschließen,ist das, denke ich, eine gute Gelegenheit, weitere Maß-nahmen zur Unterstützung der Produkte aus nachwach-senden Rohstoffen zu implementieren. Das darf nichtauf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Vordiesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, ob die müh-sam erreichten Vorteile der Verpackungsverordnung,zum Beispiel die Befreiung der Produkte aus nachwach-senden Rohstoffen von den DSD-Gebühren, durch dieNovelle gefährdet sind.

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Ich beantworte Ihnen Ihre Frage wie folgt ganz deut-lich: Wir haben im Bereich der haushaltsnahen Erfas-sung von Wertstoffen ein Problem mit Trittbrettfahrern.Dieses Problem wird mit der nun anstehenden Novellie-rung der Verpackungsverordnung gelöst. Wir habenschon genug damit zu tun, dafür einen vernünftigen,mehrheitsfähigen Vorschlag vorzulegen; daran arbeitenwir. Darauf wird es eine Antwort geben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Die Frage 27 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird

aufgrund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Frage-stunde und für die schriftlichen Einzelfragen schriftlichbeantwortet.

Ich rufe die Frage 28 der Kollegin Bärbel Höhn auf:In welchen Bereichen plant die Bundesregierung konkret

die Festlegung von neuen ökologischen Grenzwerten, um dievom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit, Sigmar Gabriel, in seinem „Memorandum für ei-nen ,New Deal‘ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung“formulierte Zielvorgabe umzusetzen, mit „ambitioniertenGrenzwerten ... gezielt Innovationsanreize“ auszulösen, undbis wann ist mit der Festsetung dieser Grenzwerte jeweils zurechnen?

Bitte, Frau Staatssekretärin Klug.

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Frau Höhn, Ihre Frage nach ambitionierten Grenzwer-ten als Innovationsanreize beantworte ich wie folgt: Um-weltpolitik ist eine hochgradig europäisch integrierte

Politik. Nahezu sämtliche Bereiche der Umweltpolitik inDeutschland werden heute europäisch beeinflusst, alsoauch die Grenzwerte. Das gilt insbesondere für ökologi-sche Grenzwerte und Standards. Die Politik der Bundes-regierung zielt deshalb darauf, ihre politischen Vorstel-lungen in den Prozess der europäischen Gesetzgebungerfolgreich einzubringen und umzusetzen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfrage, bitte, Frau Höhn.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bundesminister Gabriel hat konkret gesagt, dass er

die Grenzwerte auch deshalb hochsetzen will, um mehrInnovation zu erreichen. Nun höre ich, dass eigentlichdie EU dafür zuständig ist. Das heißt, er hat in seinem„Memorandum für einen ,New Deal‘ von Wirtschaft,Umwelt und Beschäftigung“ etwas festgeschrieben, waser gar nicht tun kann. In welchen Bereichen wollen Sieauf EU-Ebene Initiativen ergreifen, um die Grenzwerteim Sinne des Bundesministers und seines „New Deals“zu verschärfen und damit mehr Innovation zu erreichen?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Frau Kollegin Höhn, ich möchte darauf hinweisen,dass Deutschland Mitglied der EU ist und dass wir dieeuropäische Politik beeinflussen und mitgestalten, insbe-sondere im Hinblick auf unsere Ratspräsidentschaft imnächsten Jahr. Ich möchte betonen, dass wir in denGrenzwerten sehr wohl ein wichtiges Instrument für In-novationsanreize sehen. Deutschland ist nicht ohneGrund Weltmarktführer in vielen Bereichen der Umwelt-technologien. Das hat unter anderem damit zu tun, dasswir in den letzten Jahrzehnten und Jahren in Deutschlandeine sehr ambitionierte Umweltpolitik mit ambitionier-ten Grenzwerten verfolgt haben. Dadurch sind Techno-logien entstanden, die wir weltweit anbieten können,weil andere Länder ähnliche Probleme haben. Wir sehenin den Grenzwerten einen wichtigen Innovationsanreiz,nicht nur um unsere umweltpolitische und ökologischeSituation in Deutschland zu verbessern, sondern auchum Technologien zu entwickeln, die auf dem Weltmarkt,dem Leitmarkt Umwelt, eine Chance haben. Wir bringenuns daher auf europäischer Ebene sehr konkret und di-rekt ein.

Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Wirdiskutieren zurzeit über die Weiterentwicklung der euro-päischen Abgasnormen für PKWs und LKWs. Wir ma-chen uns in den Bereichen Euro 5 und Euro 6 für ambi-tionierte Grenzwerte für PKWs stark. Dabei geht esdarum, die Feinstaubgrenzwerte und insbesondere dieStickoxidgrenzwerte ambitioniert weiterzuentwickeln.Das Gleiche gilt für die neuen Grenzwerte für schwereNutzfahrzeuge im Euro-6-Bereich. Das ist ein konkretesBeispiel für einen Bereich, für den wir uns auf europäi-scher Ebene stark machen. Darin sehen wir einen wichti-gen Innovationsanreiz, weil sich daraus neue Technolo-gien für den Kraftfahrzeugbereich entwickeln.

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, darf ich Ihre Antwort so verste-

hen, dass sich die groß angekündigte Aussage des Minis-ters, mit ambitionierten Grenzwerten – rechtzeitig undplanungssicher angekündigt – löse die Politik gezielt In-novationsanreize aus, allein auf die europäische Ebeneund allein auf den Verkehrsbereich bezieht oder gibt eskonkrete weitere Pläne?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Frau Kollegin Höhn, Sie vermitteln den Eindruck, alsob Grenzwerte etwas Neues wären. Wir haben seit vielenJahren Grenzwerte. Es geht darum, dass wir dieses In-strument auch in der Zukunft nutzen. Sie wissen, dassdiese Debatte im Umweltbereich in erster Linie auf euro-päischer Ebene geführt werden muss, weil von dort dieentsprechenden Verordnungen und Richtlinien ausge-hen, die wir dann national umsetzen müssen. Genau dortbringen wir uns in diese Diskussion ein. Deutschlandwar bei der Weiterentwicklung von Grenzwerten immerein Motor. Der Verkehrsbereich ist dafür nur ein Bei-spiel.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Bärbel Höhn auf:

Welche Maßnahmen bereitet die Bundesregierung in Um-setzung des „Memorandums für einen ,New Deal‘ von Wirt-schaft, Umwelt und Beschäftigung“ für den Fall vor, dass dieAutomobilindustrie das Ziel ihrer Selbstverpflichtung, dieCO2-Emissionen von neu zugelassenen PKW bis 2008 aufhöchstens 140 Gramm pro Kilometer zu senken, verfehlt?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Ich beantworte Ihre Frage nach der Selbstverpflich-tung im Bereich der CO2-Emissionen der Automobilin-dustrie wie folgt: Bei der von Ihnen angesprochenenSelbstverpflichtung handelt es sich um eine Vereinba-rung der Dachverbände der internationalen Automobil-industrie mit der EU-Kommission. Ziel der bisherigenSelbstverpflichtung ist die Senkung der CO2-Emissionenaller Neuwagen im Mittel auf 140 Gramm pro Kilome-ter. Die EU-Kommission hat angekündigt, bis Ende die-ses Jahres eine Mitteilung an den EU-Rat vorzulegen,die sich mit dem weiteren Vorgehen bei der CO2-Minde-rung der PKW in der EU auseinander setzt. Die Bundes-regierung wird sich im Rat dafür einsetzen, dass dieCO2-Emissionen von PKW weiter reduziert werden unddass sichergestellt ist, dass dieses Ziel tatsächlich er-reicht wird. National ist es das Ziel der Bundesregierung,durch Umstellung der Kfz-Besteuerung die Einführungverbrauchsarmer PKW zu fördern.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, wir wissen, dass diese Selbst-

verpflichtung der Automobilhersteller bisher de facto andiesem Ziel weit vorbei geht. Es bedürfte schon einergroßen Kraftanstrengung, um das in den letzten Jährchenzu erreichen. Anstatt der Reduktion um 25 Prozent gibtes im Moment nur eine Reduktion von 12,4 Prozent. Dasist gerade einmal die Hälfte dessen, was angestrebt wird.Nun hat der Umweltkommissar Stavros Dimas vor weni-gen Tagen angekündigt, dass er eine gesetzliche Rege-lung vorlegen wird, weil die Selbstverpflichtung nachden jetzigen Zahlen nicht greift. Wird die Bundesregie-rung diesen Vorstoß des Umweltkommissars unterstüt-zen?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Ich habe eben gesagt, dass die EU-Kommission zumEnde dieses Jahres eine Mitteilung angekündigt hat, inder genau diese Frage beantwortet werden soll, nämlichwie es mit der Verringerung weitergehen soll und wasdie europäische Strategie bei der Verringerung der CO2-Emissionen, die aus dem Verkehr resultieren, sein soll.Wir haben immer gesagt, dass wir von der Automobilin-dustrie erwarten, dass sie die Selbstverpflichtung, die sieeingegangen ist, einhält. Das ist sie ihrer eigenen Glaub-würdigkeit schuldig und wir sind es unserer politischenGlaubwürdigkeit schuldig, dass wir mit anderen Instru-menten reagieren, wenn die Automobilindustrie ihreSelbstverpflichtung nicht einhält. Kommissar Dimas hatgenauso wie Kommissar Verheugen mehrfach angekün-digt, dass die EU-Kommission darauf antworten wird,man aber der Automobilindustrie die Zeit geben muss,bis zum Auslaufen der Frist, die sie hat, nämlich 2008,das Ziel zu erreichen. Wir erwarten von der Automobil-industrie, dass sie allen Ehrgeiz entwickelt, das Verspre-chen, das sie gegeben hat, einzuhalten. Wir werden eineAntwort geben, wenn die Automobilindustrie das nichtschafft.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Höhn, Sie haben noch eine Zusatz-

frage.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerne, danke schön. – Frau Staatssekretärin, die Au-

tomobilindustrie gibt an, dass immer größere Autos aufdem Markt seien und deshalb dieses Ziel durch denAutomobilbestand konterkariert werde. Man hat auf-grund dieser Aussagen den Eindruck, dass sie selbernicht mehr daran glaubt, dass sie das Reduktionsziel bis2008 noch erreicht. Deshalb würde mich interessieren,wie die Bundesregierung das einschätzt. Glaubt die Bun-desregierung daran, dass die Automobilindustrie diesesZiel erreicht? Ich bitte um eine klare Antwort: Ja odernein?

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Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Wir erwarten von der Automobilindustrie, dass siedieses Ziel erreicht und ihr Versprechen einhält. Wir se-hen an den aktuell vorliegenden Zahlen natürlich, dasses Automobilunternehmen gibt, die ganz gut im Rennenliegen, ihr Versprechen einzuhalten, und dass es anderegibt, die von dem Erreichen dieses Ziels noch ziemlichweit weg sind. Wir erwarten von der Automobilindus-trie, dass sie alle Anstrengungen unternimmt, dieses Zielüber entsprechende technologische Innovationen zu er-reichen.

Sie haben Recht: Es gibt einen Trend hin zu großen,schweren Fahrzeugen. Das erleichtert es der Automobil-industrie nicht, diesen Weg erfolgreich zu beschreiten.An das Versprechen, das die Automobilindustrie gege-ben hat, war keinerlei Bedingung geknüpft; es hießnicht, man könne dieses Ziel nur erreichen, wenn irgend-welche Voraussetzungen erfüllt seien. Wir erwarten also,dass sie auch auf die mit diesem Trend verbundenen Fra-gen eine entsprechende technologische Antwort gebenkann.

Wir arbeiten parallel an der Umstellung der Kfz-Steuer auf eine Steuer auf CO2-Basis, um auch über die-ses Instrument für die Automobilindustrie und insbeson-dere für den Verbraucher Innovationsanreize zu geben,sich für verbrauchsarme und damit weniger CO2-emittie-rende Fahrzeuge zu entscheiden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fell.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, aufgrund der neuesten Meldun-

gen von Klimaforschern über die Klimaentwicklung istein Grenzwert von 140 Gramm pro Kilometer – wenn erüberhaupt erreicht wird – eigentlich ein Wert, durch dennoch viel zu viele CO2-Emissionen in die Atmosphärezugelassen werden. Ich möchte Sie deswegen fragen, obdie Bundesregierung a) auch Strategien unterstützt, diedarauf abzielen, diesen Grenzwert deutlich weiter zusenken, und ob die Bundesregierung b) auch Technolo-gien unterstützt, die Autos ohne jeglichen CO2-Ausstoßermöglichen.

Japanische Firmen – ich erwähne ausdrücklich Toyo-ta – arbeiten an diesem Konzept und werden bald mitentsprechenden Automobilen auf den Markt kommen.Ich weiß, dass die deutsche Automobilindustrie darannicht arbeitet, abgesehen von einem Wasserstoffauto,das irgendwann einmal – vielleicht 2020 – auf den Marktkommen soll. Aber es gibt in Deutschland kein Bestre-ben, Nullemissionsautos, beispielsweise mit den neuen,bald auf den Markt kommenden Batterien, zu entwi-ckeln. Deswegen meine Frage an die Bundesregierung:Haben Sie vor, politische Strategien zu verfolgen, diedarauf abzielen, die deutsche Automobilindustrie dahingehend zu beeinflussen, dass sie diesen Weg endlichgeht?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit:

Herr Kollege Fell, Sie wissen, dass wir auch im Be-reich Forschung und Entwicklung engagiert sind, umemissionsarme und möglichst emissionsneutrale Tech-nologien zu fördern. Sie wissen auch, dass man EU-weitdas Vorhaben verfolgt, über das 140-Gramm-Ziel hi-nauszugehen: Das Ziel ist, bis zum Jahr 2012, bezogenauf die PKW-Neufahrzeuge, durchschnittlich 120 GrammCO2-Emissionen pro Kilometer zu erreichen. Daran wirdsich die Strategie der EU-Kommission orientieren. Siewird im Rahmen unserer Präsidentschaft entsprechenddiskutiert werden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vielen Dank, Frau Staatssekretärin für die engagierte

Beantwortung der Fragen.

Wir sind damit am Ende der Fragestunde.

Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundesta-ges bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 15.30 Uhr.

(Unterbrechung von 15.03 bis 15.30 Uhr)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die un-

terbrochene Sitzung wieder.

Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:

Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU undder SPD

Neue Entwicklung am Arbeitsmarkt: Deut-licher Rückgang der Erwerbslosenzahl, mehrBeschäftigung und Entlastung der öffentlichenHaushalte

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demBundesminister für Arbeit und Soziales, Herrn FranzMüntefering.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – DirkNiebel [FDP]: Das Interesse an der Showver-anstaltung scheint gering zu sein!)

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit undSoziales:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Als wir mit dieser Koalition begonnen haben, haben wiruns entschieden, 2006 einen Weg zu gehen, den nichtalle erwartet hatten. Wir haben nämlich nicht weiter ander Sparspirale gedreht, sondern haben in die Zukunfts-fähigkeit des Landes investiert.

Wir haben, aufsetzend auf den Änderungen im Steu-errecht der vergangenen Jahre, ein 25-Milliarden-Euro-Programm angeschoben, das von erheblicher Bedeutungfür den privaten investiven Bereich sein sollte. Diese Er-wartungen sind in Erfüllung gegangen: Die Menscheninvestieren auf dem Gebiet der energetischen Gebäude-sanierung, der Modernisierung und der Verbesserungvon Wohnungen und Häusern. Sie investieren so viel,

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Bundesminister Franz Müntefering

dass wir haben nachlegen müssen. Das konnten wir auchleisten. Der Bundesfinanzminister hat im Vorgriff aufdas kommende Jahr schon in diesem Jahr zusätzlich360 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit dieseInvestitionen weitergeführt werden können. Das ist et-was, was ganz besonders dem Handwerk, den kleinenund mittleren Unternehmen vor Ort zugute kommt. Eskann schnell ausgeschrieben werden. Es muss nicht eu-ropäisch ausgeschrieben werden. Das ist etwas, das denkleinen Firmen ganz besonders gut tut.

Dies ist einer der Aspekte gewesen – wir wissen, eswar nicht der einzige; der Export war auch sehr gut; derMaschinenbau lief sehr, sehr gut –, die im Verlaufe desJahres dazu geführt haben, dass sich die Dinge deutlichzum Guten gewandt haben.

Wir haben heute das Gutachten vom Sachverständi-genrat bekommen. Ich habe dort zurückgefragt: Was wardenn eigentlich die Schätzung vor einem Jahr? Waswurde uns für dieses Jahr prognostiziert und was ist da-raus geworden? – Darauf hat der Sachverständigenratgeantwortet, man habe nicht voraussehen können, wiegut es laufen würde. Auch wir konnten es nicht voraus-sehen, aber wir haben darauf gehofft und wir haben alsKoalition dafür gearbeitet. Dieses Jahr hat sich gelohnt.

Wir haben in der Koalition auf eines abgestellt, näm-lich darauf, etwas für den Arbeitsmarkt zu tun, weil wirwissen: Das ist die entscheidende Voraussetzung dafür,dass die Menschen mehr Zuversicht gewinnen, dass siemehr Sicherheit für die Zukunft bekommen, dass mehrGeld in die Steuerkasse und in die Kassen der sozialenSicherungssysteme fließt. Dieses Ergebnis am Arbeits-markt, das wir heute haben, ist ein Erfolg. Ein Jahr großeKoalition – darauf sind wir miteinander stolz.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das Ergebnis der letzten Zählung war: Es gibt471 000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr. Dassind 10,3 Prozent weniger.

(Dirk Niebel [FDP]: Wer hat denn vor einem Jahr regiert?)

Das ist eine kleine Großstadt oder eine große Kleinstadt.Daran kommt auch die FDP nicht vorbei.

(Dirk Niebel [FDP]: Sie haben auch vor einem Jahr schon regiert!)

Ganz viele Menschen in Deutschland, die vor einem Jahrkeine Arbeit hatten, haben jetzt Arbeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Zum ersten Mal seit vielen Jahren liegt die Quotewieder unter 10 Prozent. Es sind 4,085 Millionen Ar-beitslose. Es sind zu viele; dazu sage ich gleich noch einWort. Wir geben uns damit nicht zufrieden. Aber Tatsa-che ist: Zum Beispiel 101 000 unter 25-Jährige wenigersind arbeitslos. 86 000 Ältere, über 50-Jährige, wenigersind arbeitslos. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass dasinsgesamt in den Generationen gut verteilt ist. Ost-deutschland ist im Übrigen ganz ordentlich mit dabei.

Was noch interessant ist: In den letzten beiden Mona-ten sind zum ersten Mal in nennenswertem Umfang – imletzten Monat waren es 82 000 – Menschen, dieArbeitslosengeld II bezogen haben, in Beschäftigung ge-kommen. Das sind solche, die bei der Zahlung desArbeitslosengeldes I herausgefallen sind und dannArbeitslosengeld II erhalten, die meist lange arbeitslosgewesen sind. Sie haben jetzt wieder eine Chance, imArbeitsmarkt anzukommen. Darauf richtet sich unserBemühen natürlich in ganz besonderer Weise.

Die Bundesagentur hat Anfang des Jahres, im Fe-bruar, angedeutet, sie könne in diesem Jahr vielleicht einPlus machen. Das wäre dann zum ersten Mal seit 1987der Fall. Seit 1988 hat man da in jedem Jahr einen Zu-schuss gebraucht.

(Dirk Niebel [FDP]: Die verdienen jetzt richtig Geld!)

Im Februar hat uns die Bundesagentur gesagt, sie werdein diesem Jahr 1,8 Milliarden Euro übrig behalten. Daswird sich tatsächlich auf rund 9,8 Milliarden Euro belau-fen. Niemand weiß es ganz genau. Das wird in der Grö-ßenordnung von 9 bis 10 Milliarden Euro liegen.

Die Frage ist: Wie kommt das? Natürlich spielt die13. Zahlung der Beiträge eine Rolle, die man hier nichtvertieft zu erläutern braucht. Aber wichtig ist vor allenDingen: Es werden weniger Menschen arbeitslos unddie, die arbeitslos sind, kommen schneller wieder in Ar-beit. Die Bundesagentur nimmt bei den Arbeitslosenver-sicherungsbeiträgen zusätzliches Geld ein. Es sind mehrMenschen beschäftigt. Es wird mehr Lohn gezahlt. Esgibt mehr Beiträge, übrigens nicht nur bei der Arbeitslo-senversicherung, sondern auch bei der Krankenversiche-rung und der Rentenversicherung.

Für die Rentenversicherung gibt es zum ersten Malwieder eine positive Perspektive. So können wir hoffen,dass wir für sie im Jahr 2008 keine zusätzlichen Anstren-gungen im Bundeshaushalt unternehmen müssen unddass auch die Beiträge stabil bleiben. Angesichts dieserPerspektive schlafe ich ein wenig ruhiger als noch voreinem Dreivierteljahr.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich hoffe, dass wir diese positive Entwicklung fort-schreiben können.

Wir haben ja inzwischen entschieden, dass der Bei-tragssatz zur Bundesagentur von 6,5 Prozent auf4,2 Prozent sinkt.

(Dirk Niebel [FDP]: Inklusive Merkelsteuer!)

Das macht ein Volumen von 16,6 bis 17 Milliarden Euroaus, jeweils hälftig zugunsten von Arbeitnehmern undArbeitgebern. Durch das Senken des Beitragssatzes zurArbeitslosenversicherung wird eine Entlastung von8,3 bis 8,5 Milliarden Euro bei den Arbeitnehmern aus-gelöst.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nachdem ihr vorher erhöht habt!)

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Bundesminister Franz Müntefering

Ehrlicherweise muss man die Erhöhungen, die in ande-ren Bereichen vorgenommen werden, gegenrechnen.Aber das, was am 1. Januar nächsten Jahres stattfindet,stellt eine deutliche Entlastung für die Arbeitnehmer dar.Das kann außerdem auch dazu beitragen, dass neueKaufkraft entsteht und es zusätzlich neue Impulse gibt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Der Sachverständigenrat hat am heutigen Tag denBlick nach vorne gerichtet, über den 1. Januar 2007 hi-naus. Entgegen dem, was uns viele kluge Leute in denvergangenen Monaten gesagt haben, sagt er nun: Die ne-gativen Folgen der Mehrwertsteuererhöhung, die dieFDP und andere immer wieder beschrien haben, könntendoch etwas geringer ausfallen.

(Dirk Niebel [FDP]: Nennen Sie es Merkel-steuer!)

Die FDP wurde natürlich nicht explizit erwähnt; ich kamdarauf, weil ich, während ich das sagte, zu Herrn Niebelschaute. Gerade Ihnen, Herr Niebel, möchte ich sagen:Alle, die Katastrophen prophezeit haben, werden erle-ben, dass wir relativ ruhig über den 1. Januar kommenund auch im nächsten Jahr ein relativ hohes Wachstumhaben werden. Damit wird es uns gelingen, die Arbeits-losigkeit noch weiter zu reduzieren.

Eines hat sich die Koalition nämlich fest vorgenom-men: Wir wollen den Menschen mehr Chancen auf demArbeitsmarkt eröffnen und insbesondere den Jungen eineChance auf Ausbildung geben, damit sie in das Erwerbs-leben hereinwachsen können. Bei all dem, was wir tun,haben wir genau dies als oberstes Ziel im Blick. Wir wis-sen nämlich ganz genau – dieses Jahr beweist das –:Wenn man die Arbeitslosigkeit in Deutschland verrin-gert, gibt man damit einen entscheidenden Impuls zurLösung all der Probleme, die wir haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

– Da klatscht die FDP mit; wir tun aber etwas dafür,

(Zuruf von der FDP: Man muss es bloß richtig machen!)

zum Beispiel mit der Mehrwertsteuererhöhung, die Sienicht wollen. Von den 3 Prozentpunkten Erhöhung fließt1 Prozentpunkt unmittelbar an die Menschen zurück,nämlich dank der Senkung der Beiträge zur Arbeitslo-senversicherung. 1 Prozentpunkt fließt in die Kasse desBundes und 1 Prozentpunkt in die Kasse der Länder.

(Dirk Niebel [FDP]: Es war etwas anderes ver-sprochen!)

Nun kommt es darauf an, ob wir mit diesem Geld etwasVernünftiges machen. Das tun wir, indem wir unser25-Milliarden-Euro-Programm fortsetzen. Hiervon wer-den auch im Jahr 2007 wieder etwa 6 bis 6,5 MilliardenEuro zur Verfügung stehen, um kleine und mittlere In-vestitionen vor Ort, in den Häusern und an Grundstü-cken, weiterhin anzustoßen.

Alles in allem kann man zwar angesichts der derzeiti-gen Situation nicht jubeln, weil es, wie wir wissen, noch

viel Arbeit gibt – da sind wir nicht blauäugig –, aber esgibt guten Grund, sich über die 471 000 Menschen, dienicht mehr arbeitslos sind, zu freuen. Ein bisschen stolzdürfen wir als Koalition darauf doch wohl sein.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun der Kollege Dirk Niebel, FDP-

Fraktion.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD)

Dirk Niebel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich möchte es von vornherein klarstellen: Wirfreuen uns über jeden Menschen, der in diesem Landnicht mehr arbeitslos ist. Aber die Bürgerinnen und Bür-ger, die diese Aktuelle Stunde verfolgen, sollten unge-fähr einordnen können, welcher Zweck mir ihr verbun-den ist. Hans-Ulrich Jörges hat es in seinemwöchentlichen Zwischenruf im „Stern“ sehr deutlich aufden Punkt gebracht.

(Klaus Brandner [SPD]: Das hat er heuteschon einmal erzählt! Herr Niebel erzählt im-mer dasselbe! Das ist typisch FDP!)

– Herr Brandner, das war im Ausschuss, also nicht öf-fentlich. – Man sollte es schon richtig einordnen, was dieRegierung hier macht. Im „Stern“ von morgen steht fol-gender Ausspruch von Jörges:

Die Koalition feiert „Wohlfühlwochen“ im Stile ei-ner Hamburger-Braterei – und das Volk kotzt ab.

Ich zitiere weiter:

Die Patienten,

– damit sind Sie von der Bundesregierung gemeint –

die keinen Arzt an sich heranlassen, sind kenntlichdurch chronisch verzückte Minen und eine Wende-rethorik, die Glück für alle verheißt.

So weit der „Stern“ morgen.

(Klaus Brandner [SPD]: Kriegen Sie Geld dafür, dass morgen der „Stern“ gekauft wird?)

Das zeigt: Diese Aktuelle Stunde hat nur einen einzigenHintergrund, nämlich eine populistische Selbstbeweih-räucherung.

Vielmehr ist es doch so, dass es die Wirtschaft trotzmittlerweile acht Jahren rot-grüner Politik in Deutsch-land geschafft hat, ein kleines Jobwunder zustande zubringen, welches aber noch lange nicht ausreicht, um dieProbleme der Menschen in Deutschland zu lösen.

(Beifall bei der FDP)

Fakt ist, dass immer noch über 4 Millionen MenschenArbeit suchen. Fakt ist, dass diese Bundesregierung im-mer noch vor allem auf Abkassieren setzt statt darauf,den Menschen das Geld zurückzugeben. Das konnteman heute deutlich in der Sitzung des Ausschusses für

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Dirk Niebel

Arbeit und Soziales merken, als der Kollege Weiß vonder CDU/CSU sagte: Die schlechte Nachricht für dieBürger war die Erhöhung der Rentenversicherungsbei-träge auf 19,9 Punkte. Die gute Nachricht ist, dass wireinen „Beitragssenkungsspielraum“ haben und auf19,7 Punkte kommen könnten. Aber weil wir die Leutenicht verunsichern wollen, nutzen wir diesen Beitrags-senkungsspielraum nicht, damit sie nicht auf die Ideekommen, es könnte irgendwann einmal wieder nachoben gehen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Planungssicher-heit nennt man das! – Peter Weiß [Emmendin-gen] [CDU/CSU]: Vollständig zitieren wärebesser!)

Das ist eine Art von Politik, die genau das Prinzip,das der Kollege Müntefering im Zusammenhang mit sei-nem Investitionsprogramm genannt hat, widerspiegelt:Man nimmt den Menschen das selbst verdiente Geldweg, katalysiert es durch einen teuren Verwaltungsappa-rat, zieht die Verwaltungskosten ab und gibt es den Men-schen quasi wie einem Taschengeldempfänger und vor-zugsweise auch noch zweckgebunden an anderer Stellewieder zurück. Das ist nicht unsere Vorstellung vommündigen Bürger. Die Menschen können mit dem Geld,das sie selbst verdienen, Besseres machen als Sie in Ihrergroßen Koalition.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben davon gesprochen, wie schön alles sei. DieBundeskanzlerin hat vor knapp einem Jahr ihre Regie-rungserklärung unter die Überschrift „Freiheit wagen“gesetzt. Welche Freiheit meinen Sie eigentlich? Sie stel-len fest, dass – das finde ich einen bemerkenswertenLernfortschritt – Steuermehreinnahmen dazu dienenkönnen, die Haushalte zu konsolidieren. Das ist gut; dasist auch unsere Ansicht. Aber Sie haben nicht festge-stellt, dass die Steuermehreinnahmen nicht das Ergebnisstaatsorientierter Politik, sondern das Ergebnis einerwachstumsorientierten Wirtschaftspolitik gewesen sind,die unter der letzten Bundesregierung ihren Ausdruck ineinem Steuersenkungskonzept gefunden hat, das ohnedas Zutun der FDP im Land Rheinland-Pfalz im Bundes-rat niemals Gesetz geworden wäre.

(Lachen bei der SPD und der CDU/CSU)

– Es wäre nicht durchgekommen; es wäre an der Blocka-dehaltung der Union im Bundesrat gescheitert. DieRheinland-Pfälzer unter Ihnen wissen das.

Das zeigt eines ganz deutlich: Ein wachstumsorien-tierter wirtschaftspolitischer Pfad, eine Steuersenkungs-politik, die Menschen und Betrieben in diesem Landmehr vom selbst Verdienten übrig lässt, ist immer nochbesser als staatsdirigistische Programme. Insofern müs-sen wir einfordern, was die Bundeskanzlerin gesagt hat:mehr Freiheit wagen! Das ist das Entscheidende.

Sie tun so, als wenn die Bundesagentur jetzt richtigGeld verdienen würde und als sei es ein Goodwill seitensder Bundesregierung, den Bürgern von diesem zu vielweggenommenen Geld etwas zurückzugeben. Die Bun-desagentur kann alles Mögliche, aber Überschüsse er-

wirtschaften kann sie bestimmt nicht; sie kann gar nichtserwirtschaften. Alles, was sie zu viel hat, hat sie Arbeit-nehmern und Arbeitgebern weggenommen. Es ist nur lo-gisch, dass man es diesen zurückgibt.

(Beifall bei der FDP)

Aber dann seien Sie doch auch hier konsequent, HerrMüntefering.

(Bundesminister Franz Müntefering unterhältsich auf der Regierungsbank mit StaatssekretärGerd Andres)

– Frau Präsidentin, was ist denn das für ein Parlaments-verständnis?

(Heiterkeit)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Der Herr Minister hört Ihnen zu.

Dirk Niebel (FDP): Der Kollege Müntefering ist offenkundig nicht in der

Lage, die Ergebnisse des Evaluierungsberichts seiner ei-genen Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen, dieschon Mitte des Jahres deutlich gemacht haben, welchearbeitsmarktpolitischen Instrumente nicht zur Integra-tion in den ersten Arbeitsmarkt dienen, sondern pureGeldverschwendung sind. Aber das sind Ihre sozialde-mokratischen Steckenpferde, die Sie weiter reiten mö-gen. Optisch möge man sich das einmal vorstellen;wahrscheinlich brechen Sie sich dann das nächste Bein,wenn Sie das tatsächlich bis zum Ende durchführen.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Pfui! Peinlicher Mensch!)

– Der Kollege hat „Schwein“ zu mir gesagt. Ich halte dasnicht für parlamentarisch, aber das ändert nichts. Es ord-net Sie ungefähr da ein, wo Sie politisch hingehören. Siehaben sich da selbst ein Zeugnis ausgestellt.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind peinlich! Nicht parlamentarisch!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dirk Niebel (FDP): Ja, Frau Präsidentin. – Nutzen Sie die Beitragssen-

kungsspielräume, die sich bieten, indem Sie eine ver-nünftige Arbeitsmarktpolitik durchführen und den Men-schen das Geld zurückgeben, das ihnen unnötigerweiseweggenommen worden ist, damit sie die Chance haben,mitmachen zu dürfen. Außerdem überlegen Sie sich, obes vielleicht hilfreich und sinnvoll wäre, das Parlamentirgendwann einmal zur Kenntnis zu nehmen, oder ob dieArroganz der Macht sich in ihren „Wohlfühlwochen“eingenistet hat, sodass Herr Jörges im Endeffekt wahr-scheinlich doch Recht hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Oktober 2005 war der letzte Monat vor der Wahlvon Angela Merkel zur Bundeskanzlerin. Aktuell liegendie Arbeitsmarktzahlen für den Oktober 2006 vor. Dasist eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Was ist pas-siert, seit die Wählerinnen und Wähler die CDU/CSUzur stärksten und die Grünen zur schwächsten Kraft indiesem Hohen Hause gewählt haben?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ein paar Ergebnisse in Stichworten: 471 000 Arbeits-lose weniger als vor einem Jahr. Erstmals seit vier Jahrenliegt die Arbeitslosenquote unter 10 Prozent. Was hättenSie von den Grünen darum gegeben, wenn Sie solcheZahlen hätten präsentieren können! Das ist ein Erfolgder großen Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Ich fahre fort: 153 000 Arbeitslose weniger als imSeptember. 82 000 Menschen aus dem Bereich desArbeitslosengeldes II sind wieder in Beschäftigung ge-kommen. Das letzte Hilfsargument der Opposition war,die Langzeitarbeitslosigkeit sei gestiegen. Es ist in derTat richtig: Die Kurzzeitarbeitslosigkeit abzubauen isteinfacher. Wenn die Kurzzeitarbeitslosigkeit stark unddie Langzeitarbeitslosigkeit nicht ganz so stark abgebautwerden, dann ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen hö-her. Aber nehmen Sie zur Kenntnis: Auch im Bereichdes Arbeitslosengeldes II haben wir Erfolge. Denn auchdie Langzeitarbeitslosigkeit geht in Deutschland zurück.Auch das ist ein Erfolg der großen Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäf-tigten nimmt unverändert zu. Zuvor war sie jahrelang ra-pide gesunken. Heute gibt es 258 000 sozialversiche-rungspflichtig Beschäftigte mehr als vor einem Jahr. Wirliegen wieder bei fast 27 Millionen sozialversicherungs-pflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist gut fürdas Land und für die Wirtschaft und ein Riesenerfolg fürdie große Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Nächstes Thema: Zahl der offenen Stellen. Die BAhat bekannt gegeben, dass bei ihr 626 000 offene Stellengemeldet sind. Nimmt man noch die Stellen von privatenArbeitsvermittlern und von Internetstellenbörsen hinzu,kommt man sogar auf 825 000 offene Stellen. Jederweiß: Nicht jede offene Stelle ist tatsächlich gemeldet.Wir können davon ausgehen, dass wir über 1 Million of-fene Stellen haben, die zu besetzen sind. Das spornt unsan, mit unserer Arbeitsmarktpolitik weiterzumachen und

dafür zu sorgen, dass sich das wirtschaftliche Wachstum,das wir zurzeit haben, in neue Arbeitsplätze nieder-schlägt und dass arbeitslose Menschen in diese Stellenvermittelt werden. Wir werden uns weiterhin darumkümmern, dass dieses Potenzial genutzt wird. Auchdiese große Zahl an offenen Stellen ist ein Riesenerfolgdieser Koalition.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Auch in den neuen Ländern ist die Situation deutlichbesser geworden. Dort ist die Zahl der offenen Stellengegenüber dem Vorjahr um 45 000 auf 153 000 angestie-gen. Wir werden mit den Instrumenten, die wir entwi-ckelt haben, weitermachen und wir werden weiter daranarbeiten, dass sich wirtschaftliches Wachstum verstärktin Arbeitsplätze umsetzen lässt. Wir sind dabei nochlange nicht am Ziel. Aber nach einem Jahr kann man sa-gen, dass wir eine hervorragende Zwischenbilanz fürden Arbeitsmarkt vorlegen können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Diese Erfolge schlagen sich auch in einer Verbesse-rung der Lage für die Sozialversicherungssysteme nie-der. Erinnern wir uns daran, wie die Situation der Ren-tenversicherung vor einem Jahr war. Erstmals in derGeschichte unseres Landes brauchte die Rentenversiche-rung einen Kassenkredit des Bundesfinanzministers, umüber die Runden zu kommen. Die Lage ist immer nochangespannt; das ist wahr. Aber wir haben die Rentenfi-nanzen konsolidiert und stabilisiert. Wir werden auf die-sem Weg weitergehen. Das ist ein großer Fortschritt ge-genüber der Situation vor zwölf Monaten und einRiesenerfolg der großen Koalition und der Bundesregie-rung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: 13 Beiträge!)

Was wir an Steuermehreinnahmen und an Beitrags-mehreinnahmen haben, geben wir an die Menschen wei-ter. Der Minister hat entsprechende Beitragssenkungenangekündigt.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch sa-gen: Die Grünen hatten ursprünglich eine AktuelleStunde beantragt, in der das „Infragestellen der Sozial-versicherungsreformen“ behandelt werden sollte. Als sieerfahren haben, dass diese Aktuelle Stunde erst am Frei-tagnachmittag auf die Tagesordnung kommt, war ihnendieses Thema nicht mehr so wichtig. Aber diese Aktu-elle Stunde wäre auch in der Sache unsinnig gewesen.

(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sagen Sie einmal etwas zu HerrnRüttgers!)

Seien Sie ganz unbesorgt: Uns von der CDU/CSU lie-gen Menschen mit einer großen Lebensleistung und ei-ner großen Beitragsleistung sehr am Herzen. Das istnichts Neues. Solche Lebens- und Beitragsleistungen zuwürdigen, ist uns ein Anliegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Dr. Ralf Brauksiepe

Das gilt für die Rentenversicherung: Wir werden beider Rente bis 67 Jahre Ausnahmen für Menschen, dieeine entsprechend lange Zeit Beiträge geleistet haben,einführen. Wir werden auch bei der Arbeitslosenversi-cherung darüber reden, wie man eine lange Zeit der Bei-tragsleistung entsprechend berücksichtigen kann.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Sie können auch in diesem Punkt unbesorgt sein – wir

haben heute einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt –:Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinkt auf4,2 Prozent. Wir senken die Beiträge weiter, nachdemdie zuvor beschlossene Senkung noch nicht einmal inKraft getreten ist. Das ist ein Rekordtempo. Wir sind aufdem richtigen Weg. Nörgeln Sie nicht! Gehen Sie aufdiesem Weg mit!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Troost für

die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir le-

ben in einem Wirtschaftssystem – die einen nennen es„Marktwirtschaft“, die anderen „Kapitalismus“ –, dasseit 150 Jahren nach zyklischen Entwicklungen verläuft.In der Tat, nach Jahren der Stagnation haben wir 2006das erste Mal seit langem wieder wirtschaftlichesWachstum. Ein Wachstum von 2,2 bis 2,4 Prozent führtzu einem deutlichen Beschäftigungszuwachs.

Schauen wir einmal, woher die Wachstumsbeiträgekommen. Das ist zum einen der Außenbeitrag und dasind zum anderen die privaten Investitionen festzustel-len, die nach Jahren der Stagnation endlich angesprun-gen sind. Dies ist im Wesentlichen auf Nachholbedarfzurückzuführen. Dabei handelt es sich nicht um Erweite-rungs-, sondern in erster Linie um Rationalisierungsin-vestitionen. Es gibt keinen Beitrag vom Staat

(Ortwin Runde [SPD]: Degressive AfA!)

und so gut wie keinen Beitrag durch den privaten Kon-sum zum Wachstum. Das ist auch nicht verwunderlich,wenn man sich die Entwicklung der Verteilung der Ein-kommen in den letzten Jahren anschaut: Fast der ge-samte Zuwachs der Einkommen stammt aus Unterneh-mertätigkeit und Vermögen.

Neben dem Export und den Ausrüstungsinvestitionenist sonst nichts vorhanden, was zum Wachstum beiträgt.Insofern kann man sagen: In diesem Jahr hat die großeKoalition mit ihrer Politik nicht zum Aufschwung beige-tragen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Aber sie hat ihn auch nicht verhindert.

Das wird in 2007 in der Tat ganz anders aussehen.

(Dirk Niebel [FDP]: Merkelsteuer!)

Neben der Erhöhung der Mehrwert- und der Versiche-rungsteuer gibt es Kürzungen bei der Beschäftigung imöffentlichen Dienst und bei Hartz IV, die Streichung derEigenheimzulage, die Versteuerung von Abfindungen,Kürzungen beim Kindergeld und bei der Pendlerpau-schale, die Halbierung des Sparerfreibetrages und dieEinschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit deshäuslichen Arbeitszimmers. Alles in allem summiertsich dies – so hat das Institut für Makroökonomie undKonjunkturforschung herausgefunden – im nächstenJahr auf eine Wachstumsbremse von über 28 MilliardenEuro.

Dies ist die größte Konjunkturbremse, die es jemals inder Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat. Da derprivate Verbrauch und der Staat keinen Beitrag leistenwerden, gehe ich davon aus, dass wir im nächsten Jahrein Wachstum haben werden, das so gering ist, dass eswieder zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommenwird.

Auf dem Arbeitsmarkt ist derzeit ein Rückgang derZahl der registrierten Arbeitslosen um 470 000 zu ver-zeichnen. Es gibt erstmals wieder einen Zuwachs bei densozialversicherungspflichtig Beschäftigten und den Mi-nijobs. Trotz allem wird es im Jahresdurchschnitt weiter-hin 4,8 Millionen registrierte Arbeitslose geben und dieBeschäftigungslücke wird von 6,33 Millionen fehlendenArbeitsplätzen nur auf 6,2 Millionen sinken. Gleichzei-tig stellen wir während des derzeitigen Aufschwungseine Erhöhung und Verfestigung der Langzeitarbeitslo-sigkeit fest.

Kurzum, wir haben einen zyklischen Aufschwung.Das führt zu einer Verbesserung der Situation auf demArbeitsmarkt. Aber das ist keine Wende im Bereich derArbeitsmarktentwicklung. Wir werden vielmehr stei-gende Probleme mit Massen- und Langzeitarbeitslosig-keit haben.

Es kommt noch viel schlimmer: Seit Jahrzehnten gabes den gesellschaftlichen Konsens, dass, wenn man esschon nicht schafft, wesentlich zum Abbau der Arbeits-losigkeit beizutragen, zumindest eine aktive Arbeits-marktpolitik betrieben und gesagt wird: Wir wollen ge-meinwohlorientierte Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Mitdiesem Konsens haben Sie gebrochen. Mit der Hartz-Gesetzgebung sind faktisch alle Instrumente der aktivenArbeitsmarktpolitik abgeschafft worden. Es gab einmalInstrumente wie den § 249 h AFG und SAM, um Arbeitstatt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Jetzt gibt es nurnoch die 1-Euro-Jobs. Das ist perspektivlos und ohne ir-gendwelche Chancen für die davon Betroffenen.

Insofern hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarktaus meiner Sicht drastisch verändert. Arbeitslos zu sein,führt zu Ausgrenzung und zu einer Verstärkung der Ar-mut. Ich war in der letzten Woche auf einer großen

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Dr. Axel Troost

Arbeitsmarktkonferenz in Erfurt. Einer meiner Mitrefe-renten hat nur gesagt: Die Exportwirtschaft hat kein Inte-resse am Abbau der Arbeitslosigkeit. Dazu kann ich nursagen: wie wahr. Die Exportwirtschaft nutzt eine hoheArbeitslosenquote aufgrund der Schwächung der Ge-werkschaften zur Senkung der Lohnstückkosten.

(Beifall bei der LINKEN)

Für sie ist dies die beste Basis für eine weitere Expan-sion. Für die Menschen in diesem Lande ist dies keinegute Basis. Insofern gibt es nichts zu beschönigen. Wirbrauchen eine andere Politik, eine Politik, die wirklichzum Abbau der Massenarbeitslosigkeit beiträgt.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Klaus Brandner für

die SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und derCDU/CSU – Zuruf von der FDP: Das Schön-reden geht weiter!)

Klaus Brandner (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Die SPD hat es sich zum Ziel ge-setzt, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Der Bundes-minister hat die eindrucksvollen Zahlen genannt: Wirhaben einen kontinuierlichen Rückgang der Arbeitslo-senzahl und eine kontinuierliche Zunahme der Erwerbs-tätigkeit zu verzeichnen. Die Zahl der offenen Stellen hatzugenommen; sie liegt mittlerweile bei mehr als800 000. Besonders erfreulich aber ist, dass die Zahl dersozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Augustdieses Jahres gegenüber dem Vorjahr um mehr als258 000 gestiegen ist. Auch die Zahl der Langzeitar-beitslosen ist zurückgegangen; im Oktober dieses Jahreswaren, verglichen mit dem Vorjahr, 122 000 Menschenweniger langzeitarbeitslos. – Diese Zahlen machen deut-lich, dass die Chancen für die Menschen in diesem Landbesser geworden sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

122 000 ehemalige Langzeitarbeitslose haben wiederBoden unter den Füßen. Sie haben wieder Chancen fürsich und ihre Familien. Das ist aller Ehren wert.

Uns, der großen Koalition, ist das – wie in der Ver-gangenheit auch der rot-grünen Koalition – nicht genug.Es ist aber ermutigend, dass die Arbeitsmarktzahlendeutlich besser sind; das muss uns ein Ansporn sein.Diese Entwicklung zeigt im Übrigen, dass die Politik,die wir verfolgen, richtig ist und wirkt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Die Opposition mag sagen, dass in dieser AktuellenStunde nur ein Schulterklopfen stattfindet.

(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Für mich ist dies kein Schulterklopfen angesichts derTatsache, dass innerhalb von zwei Jahren mehr als600 000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Arbeit ge-führt wurden. Herr Niebel, Sie haben von einer populis-tischen Selbstbeweihräucherung gesprochen. Ich finde,es ist eine Schande, dass Sie vor dem Hintergrund, dassviele Menschen wieder eine Chance erhalten haben, mitsolchen Worten in diesem Parlament auftreten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: AchGott! Mir blutet das Herz!)

Wir haben aufgrund des Wirtschaftswachstums, daswir auch in den kommenden Jahren erwarten, größereChancen, das Beschäftigungsniveau zu stabilisieren.Trotz des hohen Ölpreises werden Verbesserungen amArbeitsmarkt sichtbar werden, werden mehr Menscheneine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Diese Chancehaben sie wegen einer verlässlichen Politik.

In diesem Zusammenhang möchte ich, an meinenKollegen Brauksiepe gerichtet, sagen, dass wir nichtwollen, dass die Verunsicherung in diesem Land durchSozialpopulimus ein Stück weit vergrößert wird.

(Dirk Niebel [FDP]: Sie dürfen „Populismus“ sagen, aber ich darf das nicht!)

Was Herr Rüttgers seit einigen Wochen betreibt, ist So-zialpopulismus. Es ist derselbe Sozialpopulismus, denwir gerade von der Linksfraktion gehört haben, die be-streitet, dass die Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveaufortgesetzt worden ist.

(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Ich finde, es ist eine Schande, wenn Sie so reden!)

Ich will klar sagen: Wir wollen keine Politik für Äl-tere auf dem Rücken der Jüngeren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das spaltet die Gesellschaft. Wir haben das Risiko „Al-ter“ bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes berück-sichtigt, indem diejenigen, die 55 Jahre oder älter sind,18 Monate Arbeitslosengeld erhalten. Wir wollen keinAbschieben in die Arbeitslosigkeit. Wir wollen einenMentalitätswechsel in den Betrieben und in der Gesell-schaft. Wir wollen keinen Rückschritt in die Frühverren-tung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst. Wir wollenkeine Politik der Verunsicherung; das habe ich deutlichgemacht. In diesem Zusammenhang ist für uns eine Ver-längerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes umsechs Monate bei einer durchgängigen Beitragszahlungüber 40 Jahre nicht banal. Was die Menschen aber tat-sächlich brauchen, ist Beschäftigung. Die gibt es nichtdurch größere Verunsicherung in diesem Land.

(Beifall bei der SPD)

Es bleibt dabei: Arbeitslosen ist nicht geholfen, wennsie möglichst lang Lohnersatzleistungen erhalten. Die

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Klaus Brandner

Vorstellung, dies würde helfen, geht an der Realität vor-bei. Je länger man aus dem Erwerbsleben raus ist, destoschwieriger ist es, in das Erwerbsleben wieder einzustei-gen. Unser erster Grundsatz lautet – dafür stehen wir ge-meinsam –: Wir setzen auf die schnelle Vermittlung inArbeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:Es hat lang genug gedauert, bis ihr das kapierthabt!)

Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kolb, wollen wir nicht,dass der Vorschlag von Herrn Rüttgers umgesetzt wird:Er möchte die Kinder für die langzeitarbeitslosen Elternin Haftung nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:Das ist ja verkehrte Welt, was Sie hier ma-chen!)

Wir wollen nicht, dass diejenigen, die sich im Alter vonetwa 30 Jahren in der Aufbauphase befinden, die eineFamilie gründen und Geld für den Bau eines Eigenheimszurücklegen, zu Leistungen für ihre Eltern verpflichtetwerden, wenn diese im Alter von vielleicht 55 Jahrenlangzeitarbeitslos werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen ein Miteinander, nicht ein Gegeneinander derGenerationen.

Wir müssen über den Kündigungsschutz reden. Wirmüssen auch einen Trend am Arbeitsmarkt im Blickbehalten: Trotz der positiven Arbeitsmarktentwicklunggibt es nach wie vor einige Hunderttausend Menschen,die dauerhaft keine Chance auf dem so genannten erstenArbeitsmarkt haben. Diese Menschen dürfen nicht aus-geschlossen werden. Sie brauchen eine Chance auf Teil-habe. Wir werden sie nicht abschieben. Deshalb tretenwir für eine öffentlich geförderte Beschäftigung ein; dasist Programm der SPD.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert

für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen

von den Koalitionsfraktionen, herzlichen Glückwunschzu Ihrer Inszenierung eines Eigenlobs in dieser Aktuel-len Stunde!

(Beifall bei der FDP)

Sie scheinen das nötig zu haben – ich verstehe das –,weil die Bevölkerung nach einem Jahr Schwarz-Rot sehrenttäuscht ist; das schlägt sich in den Umfragewertennieder.

Nicht nur die Bevölkerung, sondern auch der Sach-verständigenrat ist enttäuscht. Er spricht im heute veröf-

fentlichten Jahresgutachten 2006/07 von einem „Zick-Zack-Kurs“, umschreibt die Streitkultur und geht auf die„Selbstblockade“ ein. Er hat deutlich gemacht, dass diegute wirtschaftliche Entwicklung mit einer schlechtenRegierung gepaart ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Wir haben einen Aufschwung. Das ist gut. Ich sageIhnen für die Grünen: Wir wissen, dass dieser Auf-schwung zum einen mit der positiven Weltkonjunktur zutun hat, zum anderen aber auch eine Frucht vieler müh-samer Reformen von Rot-Grün in der Vergangenheit ist.Wir freuen uns, dass die Arbeitslosigkeit im Oktober un-ter 10 Prozent gesunken ist. Das ist für jeden Arbeits-losen, der eine Beschäftigung gefunden hat, gut.

Sie müssen aber genau hinschauen. Im Oktober gabes 470 000 Arbeitslose weniger, aber 60 000 Langzeit-arbeitslose mehr als im selben Monat des Vorjahres. –Ich sehe, dass wieder mit dem Kopf geschüttelt wird. Ichnenne aber die realen Zahlen; das hat mit Relativitätnichts zu tun. In der Tat schreitet eine Entwicklungvoran, bei der die Langzeitarbeitslosigkeit langsam ab-gebaut wird.

Sie von der Koalition fahren aber ein hohes Risiko;das wird von vielen bestätigt. In 53 Tagen wird dieMehrwertsteuererhöhung kommen. Sie wird mit demZickzackkurs, den Sie vorgelegt haben, gepaart. Sie dür-fen Ihre Augen vor dem Problem der Langzeitarbeits-losigkeit nicht verschließen; Sie müssen die Langzeit-arbeitslosen fördern. Sie müssen endlich auf das, wasvor Ort passiert, reagieren: Beispielsweise werden diefür die Förderung von Langzeitarbeitslosen zur Verfü-gung gestellten Mittel von den Arbeitsagenturen nichtausgeschöpft. Wir müssen eine Debatte darüber voran-treiben, wie man das ändern kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine solche Debatte muss im Vordergrund stehen, nichtdie populistische sozialpolitische Debatte, die Sie, HerrBrauksiepe, in dieses Haus hineingetragen haben.

Herr Rüttgers hat eine billige Sozialpopulismusde-batte vom Zaune gebrochen. Auf seinem Paket stehtzwar „Gerechtigkeit“, es enthält aber soziale Unver-schämtheiten.

(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

Ich werde Ihnen belegen, dass dieses Paket die Älterenwieder in die Frühverrentung führen würde und dass esganz klar gegen die Jüngeren gerichtet ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe gestern ein Machtwort der Kanzlerin ver-misst. Sie hatte die Chance, vor den Vertretern der BDAeinem sich am Horizont abzeichnenden Kurs Einhalt zugebieten, der wieder zu mehr Frühverrentungen inDeutschland führen kann. In den 90er-Jahren waren wirschon einmal auf dieser schiefen Bahn. Die geringe Er-werbsquote älterer Menschen am Arbeitsmarkt – das istein Desaster – und die hohe Quote langzeitarbeitsloserälterer Erwerbspersonen sind auf diese miserable Früh-verrentungspraxis zurückzuführen. Und Sie reden ihrdas Wort!

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Dr. Thea Dückert

Es wird noch schlimmer. Wenn man sich diesen ar-beitsmarktpolitischen Irrweg zu Gemüte führt, stellt manfest, dass er nicht nur – heuchlerisch – gegen die Altengerichtet ist. Ein 55-Jähriger muss nach den Plänen vonRüttgers mehr als 15 Jahre gearbeitet haben, um das zuerhalten, was er heute nach drei Jahren Beschäftigungerhält, nämlich 18 Monate Arbeitslosengeld.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Nach diesen Vorschlägen müsste man zehn Jahre arbei-ten, um ein Jahr lang Arbeitslosengeld zu bekommen.Nach geltendem Recht muss man nur zwei Jahre dafürarbeiten. Diese Regelung trifft die Jungen, die Frauenund diejenigen, die diskontinuierliche Erwerbsbiogra-fien haben. Diese Regelung ist in hohem Maße sozialungerecht und arbeitsmarktpolitisch problematisch, weilauf unserem Arbeitsmarkt diskontinuierliche Erwerbs-biografien vorausgesetzt werden.

Herr Glos will auch noch den Kündigungsschutz lo-ckern. Auch das trifft die jungen Leute aus der so ge-nannten Praktikumsgeneration, die gar keine Chance ha-ben, früh in den Arbeitsmarkt zu kommen. Sie sinddoppelt betroffen, weil sie gleichzeitig für ihre Elternaufkommen sollen, wenn sie arbeitslos werden.

Hören Sie auf, die Langzeitarbeitslosigkeit wegzure-den! Kümmern Sie sich darum! Fördern Sie! Hören Sieauf, die Weichen für eine Arbeitsmarktpolitik zu stellen,die Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer gefährdet, die wieder zu mehr Frühverren-tungen führt, die uns ins Desaster führt!

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. – Nehmen Sie die Senkung

der Lohnnebenkosten, die Sie zum Beispiel im Bereichder Arbeitslosenversicherung vorhaben, zum Anlass, umdie Lohnnebenkosten für gering Qualifizierte und für dieBezieher kleiner Einkommen zu senken. Damit tun Sieetwas für den Arbeitsmarkt! Hören Sie auf, den konjunk-turellen Aufwärtstrend durch Maßnahmen wie die Mehr-wertsteuererhöhung oder einen Zickzackkurs bei den So-zialreformen zu bremsen!

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun der Kollege Stefan Müller für die

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die bisherigen Reden der Vertreter der Oppositionsfrak-tionen waren auf der einen Seite geprägt von einem ge-

wissen Maß an Realitätsverweigerung, von dem Kum-mer, nicht in der Regierung zu sein, und auf der anderenSeite von dem Kummer, nicht mehr in der Regierung zusein.

(Dirk Niebel [FDP]: So ein Glück, dass jetztnur noch die Koalition reden darf! – Dr. TheaDückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: UndSie haben den Kummer der Regierung!)

Anders kann ich die Reden, die Sie hier gehalten haben,wirklich nicht interpretieren.

(Dirk Niebel [FDP]: Sie können jetzt ja 35 Minu-ten lang erklären, warum alles gut wird!)

Liebe Frau Kollegin Dückert, ich habe mir währendIhrer Rede überlegt, welche Rede Sie wohl gehalten hät-ten, wenn Sie noch in der Regierungsverantwortungstünden. Welche Zahlen hätten Sie präsentiert? WelcheErklärung hätten Sie dafür vorgelegt?

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Wie fanden Sie die Rede von HerrnBrandner?)

Im Zweifel hätten Sie gesagt: Die Zahlen sind so gut,weil die Grünen mit in der Regierung sind. Sie habenIhre Ausführungen zu einem guten Maße dazu genutzt,die Aktuelle Stunde, die Sie beantragt, aber wieder zu-rückgezogen haben, hierher zu verlegen. Sie werdenaber gestatten, dass ich auf das eigentliche Thema dieserAktuellen Stunde zu sprechen komme.

Manchmal, insbesondere bei der Opposition, hat manden Eindruck, in den vergangenen zwölf Monaten wärenichts passiert, wir hätten zwölf Monate lang Däumchengedreht.

(Dirk Niebel [FDP]: Das wäre die bessere Variante gewesen!)

Ich will auf das hinweisen, was in den vergangenenzwölf Monaten tatsächlich passiert ist. Ich erinnere andie Föderalismusreform, die wir unter einer anderen Re-gierungskoalition unter Umständen gar nicht zustandegebracht hätten. Wir haben unser Staatswesen neu ge-ordnet. Wir haben es wieder vom Kopf auf die Füße ge-stellt und dafür gesorgt, dass der Bund größere Hand-lungsfähigkeit bekommt. Ich finde, das ist ein Gewinnfür unser Land.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Wir haben nicht nur über Bürokratieabbau geredet,sondern wir haben damit begonnen, Bürokratieabbau zubetreiben. Wir haben ein erstes Mittelstands-Entlas-tungs-Gesetz auf den Weg gebracht, ein zweites ist inVorbereitung. Und wir haben einen Normenkontrollrateingerichtet. Nach vielen Jahren des Redens über denBürokratieabbau wird jetzt endlich etwas getan.

Nun zur Arbeitsmarktpolitik. Wir haben Fehlentwick-lungen bei Hartz IV korrigiert. Wir haben drei Reform-gesetze auf den Weg gebracht, um zum einen Einsparun-gen zu erzielen und zum anderen die nach wie vorknappen finanziellen Ressourcen denjenigen zukommen

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Stefan Müller (Erlangen)

zu lassen, die wirklich hilfsbedürftig sind, nicht aberdenjenigen, die es nicht sind.

Die Zahlen – sie sind schon angesprochen worden –sprechen eine eindeutige Sprache: Die Zahl der Unter-nehmensinsolvenzen ging zurück. Die Arbeitsmarktda-ten haben sich verbessert. Im EU-Herbstgutachten wirdvorhergesagt, dass Deutschland das Defizitkriteriumspätestens im Jahr 2008 weit unterschreiten kann unddann wahrscheinlich eine Verschuldung in Höhe von nurnoch 1,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufweist.

(Dirk Niebel [FDP]: Das ist die Neuverschuldung, Herr Kollege, nicht die Verschuldung!)

Das gibt wirklich Anlass zur Freude.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn ich mir die Ergebnisse des Ifo-Konjunkturtestsansehe, stelle ich fest, dass sich auch die Einschätzungder Betriebe verbessert hat. All das wird dazu beitragen,dass zum Beispiel die Auswirkungen der Mehrwertsteu-ererhöhung nicht in der Art und Weise eintreten werden,wie Sie sie vorhergesagt haben. Das Ifo-Institut jeden-falls geht davon aus, dass die dämpfenden Wirkungender Mehrwertsteuererhöhung nicht in dem Maße stattfin-den werden, wie Sie es vermuten.

(Dirk Niebel [FDP]: In welchem Maße findensie denn dann statt? Sagen Sie uns das dochmal bitte!)

– Herr Niebel, ich möchte einmal wissen, wo Sie IhreGlaskugel versteckt haben. Sie nehmen für sich in An-spruch, genau vorhersagen zu können, wie die wirt-schaftliche Entwicklung im nächsten Jahr verlaufenwird.

(Dirk Niebel [FDP]: Herr Müntefering hat dasdoch im letzten Wahlkampf genau beschrie-ben! Es ist zwar nicht schön, daran zu erin-nern, aber die Merkel-Steuer kommt von Ih-nen! Mit dem, was er gesagt hat, hat er völligRecht gehabt!)

Vielleicht warten wir einfach einmal ab, wie sich die Si-tuation im nächsten Jahr tatsächlich darstellt.

Wir sind froh darüber, dass die positive wirtschaftli-che Entwicklung auch den Arbeitsmarkt erreicht; dieseDaten sind schon angesprochen worden. Natürlich hatder deutliche Rückgang der Arbeitslosigkeit etwas damitzu tun, dass die wirtschaftliche Dynamik zugenommenhat. Allerdings hat sich auch die Vermittlungstätigkeitder Bundesagentur für Arbeit verbessert.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Wie bitte? Ach Gott!)

Deshalb verstehe ich auch Ihre Initiativen nicht, die da-rauf zielen, die Bundesagentur jetzt, da wir den Eindruckhaben und es tatsächlich so ist, dass sich ihre Vermitt-lungstätigkeit verbessert

(Dirk Niebel [FDP]: Ja, ja! Und richtig Geld verdient sie auch noch, nicht wahr?)

– nein –, aufzulösen. Von tatsächlicher Innovationsfähig-keit und neuen Ideen zeugt dieser Vorschlag weiß Gottnicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hat auchRückwirkungen auf die Finanzlage der Bundesagentur.Ich gebe Ihnen Recht, dass die BA kein Geld erwirt-schaftet hat.

(Klaus Brandner [SPD]: Das behauptet doch überhaupt keiner!)

Vielmehr nimmt sie von den Beitragszahlern mehr Geldein und gibt, weil sich die Vermittlung verbessert hat,weniger Geld aus. Ich bin sofort bei Ihnen, wenn es da-rum geht, dass dieses Geld den Menschen zurückgege-ben werden muss, die es zuvor aufgebracht haben, näm-lich den Beitragszahlern.

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinwei-sen, dass wir uns heute früh in der Sitzung des Arbeits-und Sozialausschusses darauf geeinigt haben, den Bei-tragssatz zur Arbeitslosenversicherung nicht nur um2 Prozentpunkte zu senken, wie wir es im Übrigen schonbeschlossen hatten, sondern um 2,3 Prozentpunkte.Denn die Sozialabgaben sind in diesem Land ein wesent-liches Einstellungshemmnis.

(Dirk Niebel [FDP]: Ach so! Deswegen ma-chen Sie das mit der Rente!)

Ich finde, wir sind auf einem guten Weg.

Weil Sie ständig unterschiedliche Rechnungen aufma-chen, will ich eines festhalten: Selbst wenn man alle Er-höhungen, die an anderen Stellen durchgeführt werden,gegenrechnet, wird am 1. Januar 2007 eine Senkung derLohnnebenkosten bzw. der Sozialabgaben zu verzeich-nen sein.

(Dirk Niebel [FDP]: Sie haben die Gesund-heitsreform vergessen! – Markus Kurth[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Dakommt auch noch eine Gesundheitsreform aufuns zu!)

Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.

Die Daten zur wirtschaftlichen und finanziellen Ent-wicklung machen erstens deutlich, dass eine Wende zumBesseren erkennbar ist.

(Dirk Niebel [FDP]: Komisch, dass das Volkdas ganz anders sieht! Wie erklären Sie sichdas?)

Zweitens können wir ein Jahr nach dem Regierungs-wechsel feststellen, dass die Richtung, die die große Ko-alition eingeschlagen hat, stimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nicht schlecht! So eine Rede bei so ei-nem Zickzackkurs! Wer läuft bei Ihnen eigent-lich in welche Richtung?)

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat für die SPD-Fraktion der Kollege

Dr. Hermann Scheer das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Hermann Scheer (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir sind es gewohnt, im Zusammenhang mit derArbeitsmarktpolitik fast nur noch über Konjunkturpoli-tik und Arbeitsmarktorganisation zu reden. Beides istsicher wichtig. Aber ich denke, das Augenmerk sollte insehr viel stärkerem Maße auf die strukturpolitischen Ef-fekte gelenkt werden. Denn auf dem Gebiet der Struktur-politik haben wir in den letzten Jahren sehr wichtigeGrundlagen geschaffen, die nun zur Entfaltung kommen.Ich bin mir relativ sicher, dass vieles an der Wende aufdem Arbeitsmarkt weniger auf die Aktivitäten von Glo-balplayern zurückgeht – deutschen Globalplayern – alsauf die Stimulierung der Aktivitäten von Regional-playern.

Das, was in den letzten Jahren unter Rot-Grün begon-nen worden ist, verspricht nun von der großen Koalitionfortgesetzt zu werden. Dies ist vor allem bei der Mobili-sierung des neuen Industriezweiges der Energietechno-logien und hier insbesondere auf dem Gebiet der erneu-erbaren Energien der Fall. Wir hatten und haben hierjährliche Wachstumsraten von 30 Prozent, immer noch.Das Investitionsaufkommen geht überwiegend in bin-nenwirtschaftliche Aktivitäten und ist allein auf demStromsektor mittlerweile größer als das Investitionsauf-kommen der vier großen deutschen Stromkonzerne zu-sammen. Neue Industriezweige entstehen und sind aufdem Weg, große Exportchancen zu nutzen. Auf demSektor der Anlagentechnologien haben wir die Chance,zum Weltmarktführer zu werden.

Das heißt, hierin stecken Chancen, wie sie vor vielenJahrzehnten von dem berühmten Ökonomen Kondratjewbeschrieben worden sind. Er sprach von langen Welleneiner neuen Konjunktur, die strukturpolitisch ausgelöstworden ist. Eine solche lange Welle kam etwa durch dieEisenbahn zustande, durch die Elektrifizierung, durchdas Automobil, durch das Fernsehen, durch die WeißeWare. Eine ähnliche Entwicklung, nur nicht mit Arbeits-platzeffekten in weltweitem Maßstab – denn wir müssenin der Kategorie einer fortgeschrittenen Industrienationdenken –, haben wir auf dem Gebiet der Informa-tionstechnologien. Mit den vorigen langen Wellen ver-gleichbare Arbeitsplatzeffekte gehen mit diesen Techno-logien allerdings nicht einher. Das liegt daran, dass ihrCharakter – ohne dass dies gegen sie spräche – in einemumfassenden Strukturwandel besteht, der mit Arbeits-platzabbau, im Dienstleistungsbereich und im Produk-tionsbereich, verbunden ist. Konjunktureffekte habendiese Technologien durchaus, aber eben keine entspre-chenden Arbeitsplatzeffekte.

Doch auf dem Gebiet der Energietechnologien habenwir wieder die Chance auf Arbeitsplatzeffekte. Wenn wirdiesen Kurs halten und uns nicht selber bremsen, wennwir nicht zu viel Bedenkenträgerei zeigen, können hierIndustriezweige entstehen, können Technologien herge-

stellt werden, die gleichzeitig helfen, die Umwelt zu sa-nieren und Sozial- und Umweltfolgen negativer Art zuvermeiden. Diese Industriezweige können so groß wer-den wie heute die Automobilindustrie. Vor allem könnensie traditionelle Energiezweige wieder befruchten, etwadie Stahlindustrie. Die Automobilindustrie werden siebefruchten müssen. Wenn die Automobilindustrie diesenWeg nicht kompetent und mutig mitgeht, bestehen großeGefahren für unsere Volkswirtschaft. Denn jeder weiß,welche Rolle die Automobilindustrie spielt und nur spie-len kann, wenn sie diese technologische Entwicklung,die eine tiefe ökologische und soziale Komponente hat,federführend mitgestaltet.

Das sind die Ansätze. Wenn wir die Wende auf demArbeitsmarkt, die spürbaren Aktivitäten im zurücklie-genden Jahr betrachten, sehen wir, dass die größte Rollespielt, was wir mit der Vervierfachung der Mittel für dasProgramm für die ökologische Altbausanierung erreichthaben. Ich wundere mich, dass das so selten genanntwird.

Die Summe der neu geschaffenen Arbeitsplätze wurdestatistisch noch nicht genau erfasst. Angesichts der In-vestitionsmittel, die hier geflossen sind – sie haben sichvervierfacht –, können wir damit rechnen, dass alleine indiesem Sektor im letzten Jahr eine sechsstellige Zahl anneuen Arbeitsplätzen geschaffen werden konnte.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Dr. Hermann Scheer (SPD): Ich glaube, durch die verstärkte Aufmerksamkeit da-

rauf wurden zusätzliche politische Aktivitäten stimuliertund manche letztlich fruchtlosen Auseinandersetzungenüber diese Frage zum Wohle von uns allen beendet.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun der Kollege Laurenz Meyer für die

CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Zahlen und Ergebnisse, die vor uns liegen und überdie wir heute sprechen, sind sicher allemal viel besser,als wir sie uns für dieses Jahr erhofft haben.

Ich muss ganz offen sagen, dass ich es zu Beginn die-ses Jahres nicht für möglich gehalten habe, dass wir in-nerhalb eines Jahres den Prozess, in dem über Jahre hin-weg 400 000 bis 500 000 sozialversicherungspflichtigeArbeitsplätze verloren gegangen sind,

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 1,5 Millionen seit 2001!)

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Laurenz Meyer (Hamm)

umdrehen und 200 000 und mehr zusätzliche sozialversi-cherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schaffenkönnen. Ich habe es für eine wirklich sehr anspruchsvolleund ambitionierte Zielsetzung gehalten, als das in denKoalitionsverhandlungen besprochen worden ist.

Dass uns das in diesem Jahr gelungen ist, ist Voraus-setzung für vieles, über das wir zurzeit diskutieren. Dasist allerdings auch das Ergebnis der Regierungspolitik.Herr Müntefering hat zu Recht auf das 25-Milliarden-Euro-Programm hingewiesen, das eben kein Investi-tionsprogramm im alten schmidtschen Sinne, sondernzielgerichtet ist. Denken Sie nur an die mit der Effizienz-steigerung in den Häusern verbundene Senkung desCO2-Ausstoßes. Dies ist der günstigste Weg, um eineCO2-Minderung zu erreichen – viel günstiger, als ir-gendwo auf dem platten Land noch zusätzliche Windrä-der zu subventionieren.

(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Genau! – Zuruf von der SPD: Beides!)

Das ist die Situation.

Das, was Herr Scheer eben gesagt hat, ist völlig rich-tig, aber wir müssen uns auf die Teilbereiche konzentrie-ren, in denen das wirklich etwas bringt. Mit der An-schubfinanzierung für die Offshore-Anlagen gemäß demInfrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz und Ähnli-chem mehr haben wir das jetzt wieder getan. Das mussdort geschehen, wo das Sinn macht.

Bei den Menschen in Deutschland hat sich auch vielgetan. Vor wenigen Wochen war ich bei Rolls-Royce inBrandenburg,

(Klaus Brandner [SPD]: Schon wieder ein neues Auto gekauft!)

wo ich mir die Produktion der Flugzeugturbinen angese-hen habe. Ein weiterer Teil der Produktion von Flug-zeugturbinen für Airbus wird jetzt nach Deutschlandverlegt.

(Zuruf des Abg. Dirk Niebel [FDP])

– Herr Niebel, hören Sie jetzt gut zu: Es tut sich hierviel. Das müsste Sie eigentlich freuen und das müsstenauch Sie bejubeln. – Das haben übrigens auch die Ar-beitnehmer bewirkt. Es geht nicht nur um die Fertigungder Turbinen, sondern auch um das neue Instandhal-tungswerk, das jetzt in Thüringen gebaut wird.

Zum Schluss gab es einen Wettbewerb zwischen Arn-stadt in Thüringen und Tschechien. Nach Meinung derVerantwortlichen in Großbritannien, die den Auftragnach Thüringen gegeben haben, wurde der Wettbewerbdadurch entschieden, dass die Menschen in Thüringenbei den Abmachungen über die Arbeitszeiten flexiblerwaren als die Menschen in Tschechien. Das war auchnotwendig: Wenn eine Turbine zur Überholung angelie-fert wird, dann muss gearbeitet werden, wenn keine daist, dann vielleicht nicht. Die thüringischen Arbeitneh-mer waren flexibler und haben sich darauf eingelassen.Dass der Auftrag nach Thüringen vergeben wurde, istbei einem Gehaltsgefüge, das unverändert gegen Thürin-gen gesprochen hätte, bemerkenswert und zeigt die Ver-

änderung in den Köpfen. Die Flexibilität in den Betrie-ben ist größer geworden. Das wurde sicherlich auchdurch viele politische Diskussionen bewirkt, bei denendie Kollegen von der SPD sich zunächst übrigens relativschwer getan haben.

(Dirk Niebel [FDP]: Das spricht für betriebli-che Bündnisse!)

Das, was Frau Dückert angesprochen hat, halte ich fürein ernstes Thema. Gerade in diesen Wochen beschäfti-gen wir uns – Herr Müntefering, genau das machen wirgerade – mit dem harten Kern der Arbeitslosen. DieFrage ist: Was können wir für die weniger Qualifiziertentun, die selbst in dieser Phase der Strukturveränderun-gen, in der zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, keinenArbeitsplatz finden, weil diese Arbeitsplätze aufgrundder Produktivität und des Lohngefüges in Deutschlandkaum noch angeboten werden? Das ist der Punkt. Damüssen wir ansetzen. Sie werden das nie einsehen. Des-wegen werde ich nicht weiter darauf eingehen. Wir müs-sen uns um diejenigen kümmern, die anders keinenneuen Arbeitsplatz finden. Das werden wir auch tun. Siewerden sehen: Wir kümmern uns auch um diejenigen,die unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen keineneue Stelle finden.

Herr Brandner, lassen Sie mich auf einen Punkt ein-gehen, damit das ganz klar ist. Ich sage Ihnen ganz of-fen: Mit der Diskussion um links, rechts und Populismuskann ich überhaupt nichts anfangen. Es wird Sie fürch-terlich enttäuschen, wenn ich Ihnen sage, dass ich dieForderung von Jürgen Rüttgers in den entsprechendenAntrag für den Düsseldorfer Parteitag hineingeschriebenhabe. Spätestens jetzt müssten Sie die Sache mit demLinkspopulismus vergessen. Ich sehe das ganz anders.

(Klaus Brandner [SPD]: „Sozialpopulismus“ habe ich gesagt!)

– Lassen Sie mich doch wenigstens ausreden. – Es gehtnicht nur um das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen.Ich finde es besser, sich nach der Lebensarbeitszeit zurichten, und zwar auch in der Rente, als nach dem Alter.

(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: In der Rente?)

Nur das Alter zu nehmen, halte ich für das falsche Krite-rium. Die Arbeitslosenversicherung ist auch heute keinereine Schadensfallversicherung. Für junge Menschenoder solche, die nur ganz kurz gearbeitet haben, gilt eineandere Regelung als für diejenigen, die schon viele Jahregearbeitet haben. Für die älteren Menschen gilt wie-derum eine andere Regelung. Dass das stringent ist, kannheute keiner behaupten. Darüber sollte man in Ruhe re-den.

Einen anderen Punkt halte ich aber für noch vielwichtiger. Den Ausdruck „Schonvermögen bei Renten-ersparnissen“ finde ich falsch.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.

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Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Ich bin beim letzten Punkt und möchte dazu nur noch

zwei Sätze sagen. – Es ist nämlich so, dass der Staat je-den Euro, den er in Zeiten von Arbeitslosengeld II ein-spart, hinterher erneut zahlen muss, wenn die Menschenim Alter in Rente gehen.

(Klaus Brandner [SPD]: Herr Meyer, wielange sind Sie denn schon im Parlament? Siehaben das in der Vergangenheit abgelehnt!)

– Nein, das habe ich in der Vergangenheit nie abgelehnt. –Hier kann es ausschließlich um Beiträge gehen.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Ich komme kaum dazu, meinen Satz zu Ende zu brin-

gen.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das hilft aber leider nichts.

(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Sternstunde der Koalition! Lassen Sie ihn weitermachen!)

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Es geht ausschließlich um Rentenansprüche, nicht um

eine Lebensversicherung, also um Beiträge, die mit65 Jahren ausgezahlt werden.

(Klaus Brandner [SPD]: Die sind alle sicher! Sie sind nicht auf dem Laufenden!)

Das sollten wir in Erinnerung behalten. Das werden wirin aller Ruhe miteinander besprechen, und zwar so, wiees die Menschen von uns erwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner[SPD]: Die Rente ist schon heute gesichert! –Dirk Niebel [FDP]: Trefft euch doch einmalzum Kaffee!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun die Kollegin Doris Barnett für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Doris Barnett (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eigentlich dreht sich doch die Debatte um die Wende amArbeitsmarkt. Da können wir uns seit langer Zeit wiederfreuen: Wir haben etwas erreicht. Lassen Sie uns dasdoch nicht wieder mit tausend Nichtigkeiten aus anderenRessorts kleinreden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir freuen uns darüber, dass es wieder mehr Arbeits-plätze gibt. Die Menschen sind wieder zuversichtlichund können für sich und ihre Familien den Lebensunter-halt verdienen.

Ich komme zu diesen „tollen“ Statistiken, die es man-chen Leuten angetan haben. Aber sie sind in Wirklich-keit wie Wegweiser für einen Betrunkenen: Er weiß denWeg, aber er geht ihn nicht. Deswegen sind die Wegwei-ser hin und wieder falsch. – Schauen wir uns einmal dieStatistiken zum Wirtschaftswachstum an, die immerwieder vorgetragen werden. Vor ganz kurzer Zeit hat unsdie OECD noch gesagt, dass das Wirtschaftswachstumin diesem Jahr 1,8 und im nächsten Jahr 1,2 Prozent be-tragen wird. Der Sachverständigenrat hat am 2. Novem-ber, also zwei Monate später, von einem Wachstum von2,3 in diesem und von 1,4 Prozent im nächsten Jahr ge-sprochen. Die Bundesregierung geht mittlerweile etwaszuversichtlicher von einem Wirtschaftswachstum von indiesem Jahr 2,4 und im nächsten Jahr von 1,5 Prozentaus.

(Dirk Niebel [FDP]: Wem sollen wir jetzt glauben?)

Ich würde sagen: Es ist an der Zeit, dass wir uns auf-grund dieser kurzen Halbwertszeiten der Statistiken ehermit den echten Zahlen befassen und uns über diese Ent-wicklung freuen.

(Dirk Niebel [FDP]: Die finden Sie doch alle in Statistiken wieder! Das ist doch das Blöde!)

Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass unsprognostiziert worden ist, wir würden erst im nächstenJahr die kritische Marke von 10 Prozent Arbeitslosigkeitunterschreiten. Jetzt haben wir es schon im Oktober ge-schafft.

(Dirk Niebel [FDP]: Das sagt eine Statis-tikerin!)

Dabei muss man auch berücksichtigen, von welcherLage wir ausgegangen sind. Wir haben es geschafft, dieZahl der 5,2 Millionen Leistungsempfänger um 1,2 Mil-lionen Menschen – darunter mehr als 600 000 Sozialhil-feempfänger – zu senken.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. RalfBrauksiepe [CDU/CSU] – Dirk Niebel [FDP]:Sie haben es geschafft, sie aus dem Leistungs-bezug herauszukriegen!)

Die Zahl der Selbstständigen – das freut mich, weilwir auch darauf immer wieder drängen – hat sich alleinim dritten Quartal dieses Jahres um 40 000 erhöht. Dasist doch ein Erfolg. Dieses Jobwunder hat seine Ursa-chen und es hat auch eine relativ lange Vorlaufzeit ge-habt. Aufbauend auf der Lissabonstrategie, die wir imJahr 2000 vereinbart haben, haben wir vor einigen Jah-ren die Agenda 2010 mit vielen Gesetzen beschlossen,die dazu geführt haben, dass wir allmählich die Ernte un-seres Erfolges einfahren können.

(Widerspruch des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])

Wir haben auch den Mittelstand gefördert und eineUnternehmensteuerreform vorgelegt. Das alles wird sichentsprechend auswirken.

An dieser Stelle sollten wir auch dankbar zur Kennt-nis nehmen – ich freue mich sehr darüber –, dass die

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Doris Barnett

Arbeitnehmerschaft und allen voran ihre Gewerkschaf-ten über Jahre mit moderaten Lohnabschlüssen dafür ge-sorgt haben, dass der Standort Deutschland wieder inte-ressant wird. Heute Morgen hat uns der KollegeHofbauer von der CSU im Ausschuss mitgeteilt, dass einBetrieb aus seinem Wahlkreis, der über die Grenze nachTschechien verlagert worden ist, wieder nach Deutsch-land zurückkehrt, weil die Arbeitsbedingungen insbe-sondere für qualifizierte Kräfte in seinem Wahlkreis bes-ser sind.

(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Weil Bayern so gut regiert wird!)

Angesichts des Mangels an Fachkräften gibt das Anlasszur Hoffnung und zeigt, dass wir auf dem richtigen Wegsind.

Herr Meyer, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen,dass wir zum Beispiel mit dem KfW-Programm mit ei-nem Volumen von 1,4 Milliarden Euro viel angestoßenhaben. Die Mittel aus diesem Programm, mit dessenHilfe zum Beispiel Häuser energetisch saniert werdenkönnen, waren schon im Mai ausgeschöpft. Das hat sichauch auf das Handwerk ausgewirkt: Zurzeit sind unteranderem 21 000 Elektrikerstellen, 18 000 Schlosserstel-len, 14 000 Installateurstellen, je 8 000 Maurer- und Ma-lerstellen sowie je 6 000 Zimmerer- und Dachdeckerstel-len offen. Das zeigt, dass unsere Maßnahmen Wirkunghaben. Jetzt brauchen wir Menschen, die diese Arbeitenverrichten können. Den Handwerker, der das eigeneHäuschen sanieren soll, sucht man nicht mit einer euro-paweiten Ausschreibung; den sucht man sich vor Ortund man braucht ihn auch vor Ort.

Insofern besteht ein entsprechender Bedarf an Aus-und Weiterbildung. Deutschland ist ein attraktiver Stand-ort. Hier kann Geld verdient werden und es wird vielGeld verdient. Die Wirtschaft hat sich auf den Weg ge-macht, und zwar so erfolgreich, dass viele Tausend neueArbeitsplätze geschaffen wurden. Diese Entwicklungsoll auch im Januar 2007 anhalten. Insofern ist noch garnicht gesagt, dass der durch die Mehrwertsteuererhö-hung befürchtete Knick tatsächlich eintritt.

(Dirk Niebel [FDP]: Wie war denn das im Wahlkampf, Frau Barnett?)

Vielleicht geht er wie ein laues Lüftchen an uns vorbei.Drücken Sie uns besser die Daumen, statt alles mies zumachen!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Es geht um die Menschen, die wir vertreten. Wir kön-nen doch nicht so tun, als wäre alles schlecht, was hiergemacht wird. Wir machen es schließlich für die Men-schen in unseren Wahlkreisen.

(Dirk Niebel [FDP]: Haben Sie nicht in Lud-wigshafen die Merkelsteuer plakatiert? Ichhabe das Plakat doch vor Ihrem Haus gese-hen!)

Deswegen wäre es wichtig, dass wir zusammenarbeitenund alles unternehmen, um die Arbeitsbedingungen für

die Menschen weiter zu verbessern, statt sie mies zu ma-chen.

Ich hoffe, dass es künftig zu mehr Einstellungenkommt, dass die Entlassungswelle endlich gebremstwird und dass wir vielleicht zu der Einsicht kommen,dass es hin und wieder zu Managementfehlern kommt,die insbesondere für die Existenz der Arbeitnehmer we-sentlich gravierender sind als das Kündigungsschutzge-setz, das zwar vielleicht die eine oder andere Einstellungverhindern mag, aber letztlich ein Segen für die Men-schen in unserem Land ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Ichglaube, mit den Managementfehlern hat FrauBarnett diese Regierung gemeint! – Dr. TheaDückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woist eigentlich Herr Glos?)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat der Kollege Peter Rauen für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.

Peter Rauen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Barnett hat Recht: Man sollte hier gelegentlichauch über gute Nachrichten sprechen; denn bei dem, wassich im Land entwickelt, spielt die Psychologie ebenfallseine große Rolle.

Es steht außer Frage: Die Steuerschätzungen diesesHerbstes und die Arbeitsmarktzahlen im Oktober warengute Nachrichten. Das wird sich meiner Meinung nachfortsetzen. Deutlicher als mit den Arbeitsmarktzahlenlässt sich die stattgefundene Trendwende nicht beschrei-ben. Deshalb möchte ich auf diese Zahlen genauer ein-gehen.

Wir hatten im September 2000 mit über 28 Millionensozialversicherungspflichtig Beschäftigten den Höchst-stand und im Februar dieses Jahres den Tiefstpunkt – da-mals gab es im Vergleich zu 2000 rund 2,5 Millionensozialversicherungspflichtig Beschäftigte weniger – er-reicht. Im Jahresschnitt haben wir von 2000 bis 2005rund 1,7 Millionen bis 1,8 Millionen ordentliche Be-schäftigungsverhältnisse verloren. Bedenken Sie: Fünf-einhalb Jahre, 65 Monate hintereinander, war die Zahlder Beschäftigten, die Beiträge zahlen, geringer als imVorjahresmonat.

Dieser Trend wurde im April dieses Jahres mit einemPlus von 18 204 ordentlich Beschäftigten endgültig ge-brochen. Im Mai gab es ein Plus von rund 104 000, imJuni ein Plus von rund 153 000, im Juli ein Plus von233 896 und im August ein Plus von 258 016. Der Auf-wuchs ist zwar langsam, aber sehr stabil. Er findet aus-nahmslos in allen Bundesländern statt. In den neuenBundesländern ist der Zuwachs prozentual sogar etwasstärker als in den alten Bundesländern; das ist aus meinerSicht sehr erfreulich. Ich gehe davon aus, dass sich dieseEntwicklung im September und im Oktober dieses Jah-res fortgesetzt hat – die entsprechenden Zahlen werdenwir erst zwei Monate später erhalten – und dass es darü-ber hinaus weitergeht.

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Peter Rauen

Die positive Entwicklung der Zahl der ordentlich Be-schäftigten und der Anstieg bei den Steuereinnahmensind für mich zwei Seiten ein und derselben Medaille.Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Wenn imSchnitt – wie in den letzten fünf Jahren geschehen –1,8 Millionen sozialversicherungspflichtige Stellen ab-gebaut werden und wenn wir von einem Durchschnitts-verdienst in Höhe von 2 500 Euro im Monat ausgehen,dann bedeutet das, dass den Sozialkassen 24 MilliardenEuro im Jahr fehlen, dass die dadurch verursachte Ar-beitslosigkeit den Staat – unterstellt, dass das durch-schnittliche Arbeitslosengeld bei 1 000 Euro liegt – rund23 Milliarden Euro kostet und dass dem Fiskus – unter-stellt, dass bei einem Durchschnittsverdienst von2 500 Euro rund 200 Euro Steuern im Monat gezahltwerden – 4,5 Milliarden Euro fehlen, genauso wie denSozialkassen. Das heißt, allein dieser Rückgang macht50 Milliarden Euro pro Jahr aus. Nun haben wir endlichdie Trendwende geschafft; das ist unglaublich wichtig.Es ist daher richtig, darüber zu sprechen. Diese AktuelleStunde ist keine Showveranstaltung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Ich bin fest überzeugt davon: Damit die positive Ent-wicklung auf dem Arbeitsmarkt anhält, ist es zwingendgeboten, dass zu viel gezahlte Beiträge an die Arbeitneh-mer und die Firmen zurückgezahlt werden. Die von derRegierung beschlossene Senkung des Arbeitslosenversi-cherungsbeitrags um 2,3 Prozentpunkte ist daher richtig,genauso wie die Entscheidung, die Steuermehreinnah-men für eine Verringerung der Nettokreditaufnahme undfür einen Einstieg in die Steuerfinanzierung der Kran-kenversicherung zu nutzen, um die Beiträge zu stabili-sieren.

(Klaus Brandner [SPD]: Richtig!)

Ich bin überzeugt, dass wir, wenn wir diesen Wegkonsequent weitergehen – indem wir jeden Spielraum,der durch mehr Leistung entsteht, nutzen, um die Lohn-nebenkosten zu reduzieren mit dem Ziel, dass die Men-schen, die Arbeit haben, netto mehr in der Tasche habenund dass die Arbeitskosten sinken –, erfolgreich seinwerden und so mehr sozialversicherungspflichtige Be-schäftigung schaffen werden. Nur so werden wir letzt-endlich die Probleme auf dem Arbeitsmarkt lösen kön-nen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Diesen Weg konsequent weiterzugehen und nichtneuen sozialen Populismus zu betreiben, ist für den Ar-beitsmarkt wesentlich wichtiger, als wir uns alle vorstel-len. Das Ganze dient dem Wohl unserer Gesellschaft,dem Funktionieren der sozialen Sicherungssysteme undletztlich der Sanierung der Staatsfinanzen und ist daherim Sinne unserer Kinder und Enkel.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat das Wort die Kollegin Silvia Schmidt für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Gestatten Sie mir, für die ständigen Schwarz-seher und Jammerer vom Dienst deutliche Zahlen zunennen, die wir mit unserer positiven, aktiv betriebenenWirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik insbesondere inden neuen Bundesländern erreicht haben. Diese Zahlenkann niemand leugnen.

Wir sehen, die Arbeitsmarktsituation in Deutschlandhat sich deutlich verbessert, ganz besonders in den neuenBundesländern, nur redet keiner darüber.

(Zuruf von der SPD: Doch!)

Über den anderen Punkt redet auch niemand – derwird immer verdrängt –: Wirtschaft schafft Arbeits-plätze, Politik kann nur Rahmenbedingungen setzen. DieTatsache, dass sich bereits 56 000 Menschen weniger inder Arbeitslosigkeit befinden, ist ein positives Zeichen.Das sollte man verdammt noch einmal zur Kenntnis neh-men.

Wir haben in die neuen Länder investiert und daszahlt sich nun aus. Der Bund hat für die Gemeinschafts-aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk-tur“ in den neuen Ländern von 2003 bis 20056,2 Milliarden Euro bereitgestellt. Mit den Fördermittelnwurde ein Investitionsvolumen von rund 24 MilliardenEuro angestoßen. Die gewerbliche Wirtschaft konnte so66 000 zusätzliche Dauerarbeitsplätze in den neuen Bun-desländern schaffen. 189 000 Arbeitsplätze wurdenallein dadurch gesichert. Kleine und mittlere Unterneh-men haben hiervon profitiert, zum Beispiel die Meyen-burger Möbel GmbH in Brandenburg. Da sind es269 Arbeitsplätze und 13 Ausbildungsplätze. Das ist dieeine Seite der Medaille.

Die andere Seite ist natürlich die aktive Arbeitsmarkt-politik seit dem Jahr 2005. 5,9 Milliarden Euro wurdenvon der Bundesagentur für Arbeit allein in die neuenLänder investiert. Trotz des Rückgangs von Maßnahmender aktiven Arbeitsförderung in den letzten Jahren, derin den neuen Ländern um die 20 Prozent betrug, ist dieArbeitsmarktpolitik auf einem hohen Niveau weiterge-führt worden.

(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: 1-Euro-Jobs!)

Ich nenne Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitationund zur beruflichen Weiterbildung. Es gab insgesamt500 000 Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitikund das waren nicht nur solche zur Schaffung von 1-Euro-Jobs. Es ist richtig, in die Zukunft, also in junge Men-schen zu investieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben jetzt einen Rechtsanspruch. Für diese Integra-tion wurden alleine seit 2005 rund 5,1 Milliarden Euro

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Silvia Schmidt (Eisleben)

ausgegeben, davon 2,1 Milliarden Euro in den neuenBundesländern. Das sind alleine schon 40 Prozent. Bun-desweit wurden über 600 000 Jugendliche unterstützt,260 000 in den neuen Ländern. Das am 1. September ge-startete Bund-Länder-Programm im Rahmen des Ausbil-dungspaktes verpflichtet den Bund, bis 2009 zusätzlich88 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.

Das Ergebnis all dieser Maßnahmen ist: Die Zahl derArbeitslosen im Alter von 15 bis 24 Jahren in den neuenLändern ist um über 24 000 Personen gesunken. Dassind immerhin 13 Prozent. Das ist gut, wir kennen aberdurchaus noch die Zahlen der jugendlichen Arbeitslosen.Wir haben dafür gesorgt, dass sich die jungen Leute qua-lifizieren können. Das ist gerade in den neuen Bundes-ländern wichtig; denn hier herrscht ein akuter Fachkräf-temangel.

Wir haben auch noch folgende Programme für Lang-zeitarbeitslose bzw. für die älteren Arbeitslosen geradein den neuen Bundesländern angeschoben: Das Bundes-programm „Perspektive 50 plus – Beschäftigungspaktefür Ältere in den Regionen“ fördert 62 Regionalprojekte,davon allein 23 Regionalprojekte in den neuen Bundes-ländern. Das sind immerhin 40 Prozent der zur Verfü-gung stehenden Mittel. Das heißt, hier wurden zusätzlichüber 1 100 Arbeitsplätze geschaffen. Daran kann mannicht vorbeigehen. Das muss man einfach wahrnehmen.Sonst fragt man sich, wie Arbeitsmarktpolitik in Zukunftnoch aussehen soll. Mit dem Projekt „30 000 Zusatzjobsfür Ältere ab 58 Jahren“ wurden weitere 7 300 Men-schen in den neuen Ländern gefördert.

(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wir haben1,6 Millionen Arbeitslose in den neuen Bun-desländern!)

Das sind Ergebnisse, die sich sehen lassen können.Ich fordere alle auf, besonders die Linkspartei, das zurKenntnis zu nehmen und zu sagen: Ja, das ist ein Schrittin die richtige Richtung.

(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber zu wenig!)

Rund 19 400 ältere Arbeitslose weniger in den neuenBundesländern – das ist ein Zeichen. Das sind immerhin5 Prozent. Der Arbeitsmarkt in den neuen Ländern istein guter Indikator für einen stabilen und nachhaltigenAufschwung. 47 000 neue sozialversicherungspflichtigeBeschäftigungsverhältnisse gibt es jetzt in den neuenBundesländern. Das ist genau wie in den alten Bundes-ländern ein Zuwachs um 1 Prozent. Dieses Zeichen soll-ten wir nicht missachten.

Wir verschließen die Augen vor den noch anstehen-den Problemen nicht. Wir kennen die bedrückendenZahlen und wir werden auch reagieren. Das zeigen wir– Klaus Brandner hat es vorhin deutlich gemacht –: Wirwollen den dritten Arbeitsmarkt entwickeln.

(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wann denn?)

Aber verschließen Sie die Augen vor der Trendwendenicht! Sie wollen Hoffnungslosigkeit pflegen. Das passt

zu Ihrem Image; das ist Ihr Weltbild. Sie wollen Still-stand, aber die Welt dreht sich weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun der Kol-

lege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion dasWort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Norbert Barthle (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde beschäftigtsich auch mit dem Zusammenhang zwischen der Situa-tion auf dem Arbeitsmarkt und den öffentlichen Haus-halten. Lassen Sie mich auf diesen Aspekt noch etwaseingehen.

Ich will zuallererst sagen: Die Wende auf dem Ar-beitsmarkt wirkt sich auf die Situation unserer öffentli-chen Haushalte ausgesprochen positiv aus. Das tut unsallen gut.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wie gut uns das tut, will ich denjenigen, die immervon „Schönreden“ sprechen – Herr Kollege Niebel vonder FDP, Frau Dückert von den Grünen, Linke sowieso –,kurz vor Augen führen, indem ich einen kurzen Blick aufdie Situation vor eineinhalb Jahren werfe. Noch imJahre 2005 haben wir jeden Tag 1 000 sozialversiche-rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verloren, FrauDückert. Im Sommer des Jahres 2005 wurde ein Bundes-haushalt für das Jahr 2006 aufgestellt, der das Bundes-kabinett vor ein finanzielles Desaster gestellt hat. DieserHaushalt sah so schlimm aus, dass das Kabinett ihn nochnicht einmal zur Kenntnis genommen hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die heutige Situation ist fundamental anders und– wohl wahr – ein Grund zur Freude.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

In dieser Situation besteht tatsächlich die Perspektive aufeine nachhaltig positive Entwicklung. In diesen Tagenwar in der „Stuttgarter Zeitung“ ein Kommentar zu le-sen, der in etwa lautete: Wäre AltbundeskanzlerSchröder noch im Kanzleramt, würde er dort mit Sicher-heit jede Woche ein Feuerwerk zünden. Das ist wohlwahr.

Es ist richtig – ich stimme Minister Müntefering vollund ganz zu –: Der Schlüssel für die Sanierung unsererHaushalte, für die Konsolidierung des Bundeshaushalts,für die Aufrechterhaltung unserer sozialen Sicherungs-systeme ist der Arbeitsmarkt.

(Dirk Niebel [FDP]: Das haben wir immer ge-sagt! Das ist völlig richtig!)

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Norbert Barthle

Wenn es uns gelingt, dafür zu sorgen, dass diese positiveEntwicklung anhält, dann werden alle unsere Problemewesentlich leichter zu lösen sein.

(Dirk Niebel [FDP]: Unstreitig! Klatscht mal! – Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Der beste Beleg dafür ist tatsächlich die Steuerschät-zung, die uns vor wenigen Tagen vorgelegt wurde. DieseSteuerschätzung verspricht uns für die Jahre 2006 und2007 Steuermehreinnahmen von nahezu 40 MilliardenEuro. Das ist der größte Anstieg seit der deutschen Wie-dervereinigung. Das versetzt uns in die gute Situation,beim Haushalt 2006 – wie wir immer sagen, ein Über-gangshaushalt – deutlich nachsteuern zu können.

Auch wenn von den annähernd 40 Milliarden nurknapp 19 Milliarden Euro beim Bund ankommen – vomRest profitieren Gott sei Dank die Länder und die Ge-meinden, die somit wieder mehr investieren können –, somuss man festhalten, dass wir den größten Teil der fast9 Milliarden Euro Mehreinnahmen für das Jahr 2006dazu verwenden, die Nettokreditaufnahme deutlich ab-zusenken: Statt 38,3 Milliarden Euro werden wir beietwa 30 Milliarden Euro landen, vielleicht sogar darun-ter. Das wäre trotz dieser hohen Kreditaufnahme immer-hin ein positives Zeichen. Wir würden die Maastrichtkri-terien dann nicht mehr reißen, sondern bei 2,2 Prozentlanden. Damit würden wir einen Konsolidierungspfadeinschlagen, den wir hoffentlich weiterhin beschreitenkönnen.

Wie sieht die Situation im Jahr 2007 aus? Gerade jetztführen wir im Haushaltsausschuss die abschließendenBeratungen zum Haushalt 2007 durch. Wir werden auchdort die knapp 9 Milliarden Euro Steuermehreinnahmensinnvoll verwenden. 3 Milliarden Euro davon sind schonetatisiert. Von den restlichen 6 Milliarden Euro fließenetwa 4 Milliarden Euro in den Bereich Haushaltsrisikenauf dem Gebiet des Arbeitsmarktes. Die restlichen gut2 Milliarden Euro werden wir zur Absenkung der Netto-kreditaufnahme verwenden. Das heißt, wir senken dieNeuverschuldung, und zwar auf voraussichtlich etwa19,6 Milliarden Euro. Das wäre die geringste Neuver-schuldung seit der deutschen Wiedervereinigung.

Wenn als Botschaft aus dieser Aktuellen Stunde undaus den Beratungen im Hohen Hause in diesen Tagenvon uns nach außen getragen wird, dass die große Koali-tion, die Koalition aus SPD und CDU/CSU, ein Syno-nym für Haushaltskonsolidierung ist, dass dies das neue

Branding, das neue Markenzeichen dieser Koalitionwird,

(Dirk Niebel [FDP]: Großartig!)

dann haben wir Großartiges geleistet. Es ist ein Riesen-erfolg für diese Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – DirkNiebel [FDP]: Was müssen die Arbeitslosen zusolchen Worten sagen!)

Wie wichtig das ist, wissen wir nicht nur deshalb,weil ein konsolidierter Bundeshaushalt Voraussetzungist für solide Politik, für einen handlungsfähigen Staatund auch für die immer wichtiger werdende Generatio-nengerechtigkeit. Das, Kollegin Dückert, ist auch Nach-haltigkeit im besten Sinne des Wortes. Sie hätten langegenug Zeit gehabt, das zu realisieren. Jetzt dürfen Sie eswenigstens beklatschen.

(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sie wollen von mir beklatscht werden?Dann müssen Sie was Besseres vorbringen!)

Wie wichtig das ist, vermittle ich meinen Wählerin-nen und Wählern im Wahlkreis immer so: Nur 1 Milli-arde neue Schulden bedeuten 30 Millionen neue ZinsenJahr für Jahr. 30 Millionen Zinsen bedeuten: Eine Orts-umfahrung im Wahlkreis kann nicht gebaut werden. Dasgilt Jahr für Jahr. Bei 20 Milliarden neuen Schulden sindes Jahr für Jahr 20 Ortsumfahrungen, die nicht gebautwerden können. Deshalb müssen wir gemeinsam diesenWeg weiter beschreiten.

Diese große Koalition hat die Kraft, die Neuverschul-dung noch weiter herunterzufahren. Die Situation aufdem Arbeitsmarkt gibt uns dazu die notwendigen Vo-raussetzungen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tages auf morgen, Donnerstag, den 9. November 2006,9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluss: 16.52 Uhr)

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Anlagen zum Stenografischen Bericht

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Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Annen, Niels SPD 08.11.2006

Bartsch, Dietmar DIE LINKE 08.11.2006

Blumentritt, Volker SPD 08.11.2006

Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 08.11.2006

Friedhoff, Paul K. FDP 08.11.2006

Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 08.11.2006

Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

08.11.2006

Griese, Kerstin SPD 08.11.2006

Gröhe, Hermann CDU/CSU 08.11.2006

Haibach, Holger CDU/CSU 08.11.2006

Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 08.11.2006

Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

08.11.2006

Landgraf, Katharina CDU/CSU 08.11.2006

Link (Heilbronn), Michael

FDP 08.11.2006

Löning, Markus FDP 08.11.2006

Merten, Ulrike SPD 08.11.2006

Müller (Düsseldorf), Michael

SPD 08.11.2006

Paula, Heinz SPD 08.11.2006

Raidel, Hans CDU/CSU 08.11.2006

Röspel, René SPD 08.11.2006

Schily, Otto SPD 08.11.2006

Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 08.11.2006

Steppuhn, Andreas SPD 08.11.2006

Weinberg, Marcus CDU/CSU 08.11.2006

Weißgerber, Gunter SPD 08.11.2006

Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 08.11.2006

Wolff (Wolmirstedt), Waltraud

SPD 08.11.2006

Anlage 2

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Andreas Storm auf die Frage derAbgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE) (Druck-sache 16/3230, Frage 1):

Wie bewertet die Bundesregierung den Einbruch bei denStudienanfängerzahlen in Nordrhein-Westfalen, und zieht siedaraus die Konsequenz, in den Verhandlungen mit den Bun-desländern zum Hochschulpakt 2020 auf die Sicherung einesgebührenfreien Studiums in den Ländern hinzuwirken, um un-ter anderem ihr Ziel einer höheren Studierendenquote nicht zuverfehlen?

Für das Studienjahr 2006/2007 liegen noch keine sta-tistisch verlässlichen Angaben über die Zahl der Stu-dienanfänger vor. Ein Rückgang der Zahl der Studienan-fänger kann verschiedene Ursachen haben, unteranderem die Tatsache, dass für bestimmte Fächer ein lo-kaler Numerus Clausus eingeführt wurde. Mit dem ange-strebten Hochschulpakt 2020 wird das Ziel verfolgt, dieHochschulen in die Lage zu versetzen, eine wachsendeZahl von Studienanfänger auszubilden. Für die Entschei-dung darüber, ob und inwieweit Studiengebühren an denjeweiligen Hochschulen eingeführt werden, sind dieLänder zuständig. Die Bundesregierung geht davon aus,dass die Länder bei der Ausgestaltung ihrer Studienge-bührensysteme die Vorgaben, die sich insbesondere ausder Verfassung ergeben, beachten.

Anlage 3

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Karin Kortmann auf die Frageder Abgeordneten Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) (Drucksache 16/3230, Frage 2):

Welche Maßnahmen für die Malariabekämpfung in Tansa-nia unterstützt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung und in welchem Umfang?

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt keinespezifischen Maßnahmen zur Malariabekämpfung inTansania. Die Schwerpunkte der deutschen Entwick-lungszusammenarbeit (EZ) in Tansania sind „Entwick-lung des Gesundheitssektors, inklusive HIV/AIDS-Bekämpfung“, „Entwicklung des Wassersektors“ und„Unterstützung lokaler Regierungsführung“. Im Sinneder „Paris Declaration on Aid Effectiveness“ und der da-rin angestrebten Arbeitsteilung der Geber konzentriertsich die deutsche EZ bewusst im Rahmen ihres Gesund-heitsschwerpunktes auf die Themen HIV/AIDS, Ge-sundheitsfinanzierung und „Human Resources“ und un-terstützt die Malariabekämpfung nicht direkt. DieBehandlung und Verhütung von Malaria gehört aber zudem so genannten Essential Health Package, das priori-tär in allen Gesundheitsdiensten in Tansania angebotenwird. Daher tragen Maßnahmen zur Verbesserung derGesundheitsdienste im Rahmen des deutschen Gesund-

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heitsschwerpunktes indirekt zur Malariabekämpfungbei. Das Programm der tansanischen Regierung zur Ma-lariabekämpfung wird mit erheblichen Mitteln von ande-ren Gebern gefördert. Zu diesen Gebern gehören dieSchweiz, die Niederlande, Japan, Großbritannien, Irlandund die USA. Der „Global Fund to fight AIDS, Malariaand Tuberculosis“, zu dessen Finanzierung Deutschlandim Zeitraum 2002 bis 2006 mit einem Anteil von4,7 Prozent beigetragen hat (Stand 31. Oktober 2006),unterstützt das Malariabekämpfungsprogramm in Tansa-nia mit 75 Millionen US-Dollar.

Anlage 4

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage derAbgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE) (Druck-sache 16/3230, Frage 4):

Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass lautden Zahlen des Statistischen Bundesamtes die Zahl der Men-schen, die aus der Bundesrepublik Deutschland auswandern,in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist, und inwieweitmüssen aus ihrer Sicht insbesondere die unsicheren Perspekti-ven beim Berufseinstieg, die unter anderem für immer mehrHochschulabsolventen durch mehrjährige Praktika-Schleifengekennzeichnet sind, für diese Entwicklung verantwortlichgemacht werden?

Die Gesamtstatistik der Menschen – deutsche undausländische Staatsbürger –, die aus Deutschland fort-gezogen sind, hat sich nach den offiziellen Zahlen desStatistischen Bundesamts in den letzten Jahren insge-samt nicht wesentlich geändert. Zugenommen hat aller-dings in letzter Zeit die Zahl der Fortzüge Deutscher insAusland. Hinsichtlich der Einschätzung dieser Entwick-lung wird auf die Große Anfrage der AbgeordnetenSibylle Laurischk, Rainer Brüderle und anderen sowieder Fraktion der FDP vom 30. Oktober 2006 – Bundes-tagsdrucksache 16/3210 – zur „AuswanderungHochqualifizierter aus Deutschland“ hingewiesen, de-ren ausführliche Beantwortung vorbereitet wird. DieBundesregierung nimmt dieses Thema sehr ernst undbeleuchtet es aus arbeitsmarkt-, wirtschafts- und migra-tionspolitischer Sichtweise. Zur Frage, inwiefern Pers-pektiven beim Berufseinstieg eine Rolle für die Zahlder Fortzüge aus Deutschland gespielt haben, liegenderzeit keine statistischen Daten vor. Hierzu wird eben-falls auf die oben angeführte Große Anfrage vom 30.Oktober 2006 hingewiesen. Eine quantitative Aussagezur Beschäftigung von Hochschulabsolventen in Prakti-kantenverhältnissen ist derzeit ebenfalls noch nichtmöglich. Eine Sonderauswertung der vom Hochschulin-formationssystem durchgeführten repräsentativen Längs-schnittuntersuchung für Studienabsolventen des Jahr-gangs 2005 wird voraussichtlich Anfang 2007vorliegen. Im Übrigen hat die Bundesregierung bereitsmehrfach deutlich gemacht, dass sie eine missbräuch-liche Ausnutzung von Praktikantenverhältnissen nichttoleriert.

Anlage 5

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Gert Andres auf die Frage derAbgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE)(Drucksache 16/3230, Frage 9):

Welche Schlussfolgerungen hat die Bundesregierung ausdem am 23. Juni 2006 vom Ombudsrat vorgelegten Ab-schlussbericht „Grundsicherung für Arbeitslose“ gezogen?

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die ge-stellte Frage sich auf die „Grundsicherung für Arbeitsu-chende“ bezieht. Der Ombudsrat hat im Wesentlichen zufolgenden Fragen Empfehlungen gegeben: Personal inden Arbeitsgemeinschaften, Organisation in den Arbeits-gemeinschaften, Bürgernähe, Steuerung und Arbeitsver-mittlung von SGB-Il-Leistungsempfängern. Die Organi-sationsformen für die Bewältigung der Grundsicherungfür Arbeitsuchende beruhen – worauf der Ombudsrat zuRecht hinweist – auf Empfehlungen des Vermittlungs-ausschusses. Soweit der Ombudsrat Empfehlungen zuden Arbeitsgemeinschaften macht, sind sie nicht ohneweiteres umsetzbar. Der Ombudsrat empfiehlt nämlicheinerseits, die Arbeitsgemeinschaften als weitgehendselbstständige Organisationen der Bundesagentur für Ar-beit mit weitgehendem Ermessensspielraum auszuge-stalten. Er empfiehlt aber andererseits, die Bundesländerstärker und umfassender in die Rechts- und Fachaufsichteinzubeziehen. Das erscheint im Hinblick auf das verfas-sungsrechtliche Verbot der Mischverwaltung problema-tisch. Zur Frage, ob die Arbeitsgemeinschaften in derbestehenden Ausgestaltung Mischverwaltungen sind,liegt dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbe-schwerde vor. Die Bundesregierung wird die Entschei-dung des Bundesverfassungsgerichtes abwarten. Ichgehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht überdie Verfassungsbeschwerde Anfang 2007 entscheidenwird. Nach Auffassung der Bundesregierung kommt esdarauf an, die Effizienz der bestehenden Organisations-formen zu verbessern. Dies ist Thema der von Bundes-minister Müntefering geleiteten Arbeitsgruppe „Arbeits-markt“. Dabei wird es auch darauf ankommen, die Rolleder Beteiligten zu klären, um Reibungsverluste undMissverständnisse zu vermeiden.

Soweit der Ombudsrat Entscheidungen anmahnt, dieinsbesondere den befristet Beschäftigten Rechtssicher-heit hinsichtlich ihres Arbeitsverhältnisses gibt, beab-sichtigt die Bundesagentur für Arbeit in enger Abstim-mung mit der Bundesregierung, die haushaltsrechtlichenVoraussetzungen für zusätzliche Stellen in ihren Haus-halt für 2007 zu schaffen. Die vom Ombudsrat angespro-chenen arbeits-, dienst- und tarifrechtlichen Fragen kön-nen teilweise nur von den Ländern geregelt werden.Bundesminister Müntefering hat sich beispielsweise andie Länder mit dem Anliegen gewandt, die Vorausset-zungen für Personalvertretungen in den Arbeitsgemein-schaften zu schaffen. Hinsichtlich der Arbeitsvermitt-lung von SGB-II-Leistungsempfängern wird die vomOmbudsrat vorgeschlagene starke Segmentierung desArbeitsmarktes abgelehnt. Sie läuft den Zielen derGrundsicherung für Arbeit zuwider und kann dazu füh-ren, dass insbesondere Langzeitarbeitslose in den struk-

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turschwachen Regionen von den persönlichen Ansprech-partnern oder Fallmanagern ausschließlich auf öffentlichgeförderte Beschäftigungsmaßnahmen verwiesen wer-den und das Ziel der Eingliederung in den regulären Ar-beitsmarkt aufgegeben wird. Öffentlich gefördete Be-schäftigung und insbesondere die Arbeitsgelegenheitenin der Mehraufwandsvariante sind „ultima ratio“ und bil-den die erste Stufe einer (Wieder-)Eingliederung in denArbeitsmarkt. Diese Systematik darf auch dann nicht in-frage gestellt werden, wenn zum Beispiel Angebote aufdem Arbeitsmarkt für gering qualifizierte Arbeitnehmerderzeit nicht in dem erforderlichen Umfang vorhandensind. Diese Problematik hat der Ombudsrat zwar grund-sätzlich zutreffend analysiert. Allerdings verkennt er andieser Stelle die breite Differenziertheit der Gründe, diezur Hilfebedürftigkeit führen können. Um zwei Bei-spiele zu nennen: Es beziehen ja auch Personen Arbeits-losengeld II, die bereits sozialversicherungspflichtig be-schäftigt sind. Ebenso gehören hierzu Alleinerziehende,die häufig durchaus gut qualifiziert und gut vermittelbarsind, die aber wegen der Erziehung ihres Kindes keineArbeit aufnehmen können. Die Forderung nach Sonder-regelungen zur längerfristigen öffentlich gefördertenBeschäftigung („gesellschaftlich anerkannte Tätigkeits-felder“) wird derzeit ebenfalls unter Vorsitz von Bundes-minister Franz Müntefering in der von der Bundesregie-rung eingesetzten Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“ unterdem Themenkomplex „3. Arbeitsmarkt“ mit Expertendiskutiert. Die entsprechenden Vorschläge sollten wirabwarten.

Anlage 6

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage derAbgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)(Drucksache 16/3230, Frage 10):

Ist der Bundesregierung bekannt, dass 40 Prozent der jüdi-schen Zuwanderer mit Hochschulabschluss in unserem Landerwerbslos sind und in den USA nur 3 Prozent, und sieht dieBundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Nicht-anerkennung der Hochschulabschlüsse der Zuwanderer ausder Ex-UdSSR und der hohen Erwerbslosigkeit (vergleiche„Berliner Zeitung“ vom 2. November 2006)?

Die Religionszugehörigkeit von Arbeitslosen und Ar-beitssuchenden wird nicht statistisch erfasst. Insofernliegen weder Daten über die Anzahl arbeitsloser jüdi-scher Zuwanderer, noch über deren Bildungsabschlüssevor. Aussagen, ob ein Zusammenhang zwischen derNicht-Anerkennung von Hochschulabschlüssen diesesPersonenkreises und einer hohen Erwerbslosigkeit be-steht, können daher nicht getroffen werden. Die Erfah-rungen der Otto Benecke Stiftung e. V. (OBS) aus derBeratung von Zugewanderten und aus der Vorbereitungund Durchführung von Maßnahmen im Rahmen desAkademikerprogramms zur beruflichen Eingliederungbestimmter Personengruppen mit Hochschulabschluss,das seit 1985 mit Mitteln des BMBF durchgeführt wird,bestätigen allerdings, dass die Praxis der Anerkennungder Abschlüsse in vielen Fällen ein erhebliches Hinder-nis für die berufliche Eingliederung von zugewanderten

Hochschulabsolventinnen und -absolventen darstellt.Das gilt insbesondere für Abschlüsse von solchen Stu-diengängen, die in Deutschland mit einem Staatsexamenabgeschlossen werden. Die Anerkennung ausländischerHochschulabschlüsse liegt nicht in der Zuständigkeit desBundes, sondern fällt in den Kompetenzbereich des je-weiligen Landes, in dem eine Zugewanderte oder einZugewanderter den Wohnsitz hat. Gleichwohl hat derBund großes Interesse daran, dass die Praxis der Aner-kennung ausländischer Bildungsabschlüsse nicht zu ei-ner vermeidbaren Erschwerung der beruflichen Integra-tion Zugewanderter führt. Ein Vorschlag für dieErörterung des Problems in der Arbeitsgruppe Wissen-schaft des Integrationsgipfels liegt vor. Ziel des Integra-tionsgipfels ist die Vorlage eines Nationalen Integra-tionsplans im Sommer 2007.

Anlage 7

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Fragen derAbgeordneten Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) (Drucksache 16/3230, Fragen 11 und 12):

Was hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialesmittlerweile hinsichtlich des weiteren Vorgehens mit der Soft-ware A2LL entschieden, und mit welchen zusätzlichen Kos-ten ist durch diese Vorgehensweise zu rechnen (vergleichehierzu die Antworten der Bundesregierung auf die Kleine An-frage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [Fragen 13bis 15] auf Bundestagsdrucksache 16/1469)?

Wie hoch beziffert die Bundesagentur für Arbeit aktuell(November 2006) die Schadenssumme und den zusätzlichenPersonalaufwand, die im Zusammenhang mit Fehlern vonA2LL aufgetreten sind?

Zu Frage 11:

Die Bundesagentur für Arbeit ist der Aufforderungdes Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mitSchreiben vom 5. September 2006 nachgekommen, alsLeistungsträger über die Zukunft der Software zur Be-rechnung der Leistungen nach dem SGB II zu entschei-den. Die Bundesagentur für Arbeit hat mitgeteilt, dasssie sich für eine zentrale Computersoftware zur Leis-tungsgewährung entschieden hat. Gleichzeitig hat dieBundesagentur für Arbeit ein Verfahren aufgesetzt, mitdem die Tragfähigkeit, Flexibilität, Zuverlässigkeit,Ausbaufähigkeit und Wartbarkeit der Software A2LLbewertet werden soll. Hierzu wurden dem Auftragneh-mer T-Systems Enterprise Services (TSES) ein umfang-reicher Fragenkatalog vorgelegt. Außerdem soll auch einexterner Gutachter eingeschaltet werden, um eine Risi-kobewertung zu ermöglichen. Von dem Ergebnis der Ri-sikobewertung wird es abhängen, für welchen ZeitraumA2LL fortgeführt wird und zu welchem Zeitpunkt eineAusschreibung für die Entwicklung einer neuen Soft-ware erfolgt. Das Bundesministerium für Arbeit und So-ziales hat keine Einwände gegen die Entscheidung erho-ben und das aufgesetzte Verfahren akzeptiert. Da dieendgültige Entscheidung noch offen ist, können die Kos-ten gegenwärtig noch nicht beziffert werden.

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Zu Frage 12:

Im März 2005 hat die Bundesagentur für Arbeit denim Zusammenhang mit Fehlern oder durch fehlendeFunktionalitäten von A2LL entstandenen Schaden aufknapp 28 Millionen Euro beziffert. Aktuellere Zahlenwurden bisher nicht erhoben, da bereits damit die ver-tragliche Haftungshöchstgrenze von 5 Millionen Euroüberschritten ist. Gegenwärtig prüft die Bundesagenturfür Arbeit allerdings, in welcher Höhe darüber hinausge-hend im Haftungs- oder Kulanzwege weiterer Schadens-ersatz erlangt werden kann. Im Übrigen wird auf dieAntworten der Bundesregierung auf die Kleine Anfrageder Fraktion DIE LINKE (Fragen 16 und 18) auf Bun-destagsdrucksache 16/1559 und auf die Kleine Anfrageder Fraktion DIE LINKE (Frage 4) auf Bundestags-drucksache 16/2316) verwiesen.

Anlage 8

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks auf dieFrage der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIELINKE) (Drucksache 16/3230, Frage 20):

Was hat die Bundesregierung unternommen, um zu ver-hindern, dass private Banken ärmeren Menschen schlechtereKreditbedingungen gewähren als reicheren Menschen (ver-gleiche „Süddeutsche Zeitung“ vom 21. Oktober 2006)?

Die Aussage, private Banken gewährten ärmerenMenschen schlechtere Kreditbedingungen als reicherenMenschen, kann auf der Grundlage der Erkenntnisse,über die die Bundesregierung verfügt, nicht bestätigtwerden. Nach vorliegenden Informationen entspricht esim Übrigen nicht der generellen Praxis der Kreditinsti-tute, die Kreditkonditionen allein in Abhängigkeit vonden Eigenkommensverhältnissen der Kreditnehmer fest-zulegen. Vielmehr sind auch andere Faktoren, wie etwadie Modalitäten für die Auszahlung des Kreditbetragesund dessen Tilgung sowie die Kreditlaufzeit, von Bedeu-tung. Auch zählt es nicht zu den Aufgaben der Bundes-regierung, auf die Vereinbarung der Kreditbedingungenzwischen Kreditinstitut und Kunde unmittelbar Einflusszu nehmen. Soweit die bankaufsichtrechtlichen Risiko-vorschriften nach dem Kreditwesengesetz angesprochensind, so sehen diese keine Schlechterbehandlung von

Bankkrediten an ärmere Kunden vor. Für Kredite an Pri-vatkunden gilt nach den neuen Risikoregelungen derBankenaufsicht ausdrücklich eine Ausnahme von demansonsten geltenden Prinzip der Risikoeinstufung in Ab-hängigkeit von der Zahlungsfähigkeit und den übrigenrelevanten Risikokomponenten im Einzelfall. Vorgese-hen ist eine Sonderbehandlung für das Massenkreditge-schäft mit einer pauschalen und zudem günstigen Risi-koeinstufung.

Anlage 9

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Frage derAbgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) (Drucksache 16/3230, Frage 27):

Bedeutet die vom Bundesministerium für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit in seinem „Memorandum für ei-nen ,New Deal’ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung“geäußerte Absicht mit einer innovationsorientierten Umwelt-politik dazu beitragen zu wollen, eine doppelte Dividende fürUmwelt und Wirtschaft zu erzielen, dass sich die Bundesre-gierung bei den europäischen Beratungen zur Neugestaltungder europäischen Chemikalienpolitik (REACH) dafür einset-zen wird, den Substitutionsanreiz für Unternehmen zu stär-ken, indem eine Zulassung gefährlicher Chemikalien nur be-fristet erteilt wird sowie der verpflichtende Ersatz gefährlicherStoffe vorgeschrieben wird?

Nein. Die Bundesregierung unterstützt hinsichtlichder Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens den Ge-meinsamen Standpunkt des Rates vom Juni 2006. Diesersieht ein Regelungssystem vor, von dem zum einen An-reize zur Substitution besonders Besorgnis erregenderStoffe ausgehen und das zum anderen den Belangen derbetroffenen Industrie hinreichend Rechnung trägt. Zunennen sind hier unter anderem die Liste der Zulassungs-kandidatenstoffe, der Rechtsanspruch auf Zulassung beiadäquat kontrolliertem Risiko, die vom Antragstellerverpflichtend durchzuführende Substitutionsanalyse unddie regelmäßige Überprüfung der Zulassungsentschei-dungen nach einer an den Umständen des Einzelfalls ori-entierten Frist. Die Ausgestaltung des Zulassungsverfah-rens wird zu einer steigenden Nachfrage nach Stoffenführen, die nicht zulassungsbedürftig sind. Daher könnenInnovationen in diesem Bereich für Unternehmen wirt-schaftlich interessant sein.

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