6
(Aus der LandesheilanstMt Uchtspringe, Altmark.) Die bei der Formalin-Fixierung des Nervensystems auftretenden Artefakte und deren Verhiitung ~. Von Oberarzt Dr. Kllrt Schroeder. Mit 3 Textabbildungen, (Eingegangen ~lm 21. Mai 1931.) Unter den zahlreichen Fixierungsmitteln, die uns jetzt zur Verfiigung stehen, nimmt das Formalin die erste Stelle ein. Die Mlgemein gebr/~uch- fiche Art der Anwendung ist die Verdiinnung mit Aqua destillata, und zwar ist die fibliche Vorschrift: FormMdehydum solutum 10, Aqua destillata ad 100. Ich werde im folgenden zeigen, dM~ diese wohl in allen Werken fiber die histologische Technik vorgeschriebene Art der Anwendung dm'chaus unzweckm/iBig ist, Kunstprodukte hervorrufen kann, ja unter Umst/~nden zu Strukturverschiebungen yon ganz erheblichem AusmaBe bisweilen sogar zu gt'otesken, schon makroskopisch erkennbaren Form- ver/~nderungen fiihren kann. Die Beobachtungen, yon denen ich ausging, waren folgende: Zu elner bestimmten Untersuchung brauchte ich in Formalin geh/irtete Gehirne yon sehr kleinen erwachsenen Siiugetieren. Da es nicht immer ganz leicht ist, so kleine Gehirne unversehrt aus dem knSchernen Sch/~del herauszunehmen, ging ich folgendermM~en vor: Ich entfernte beiderseits nur einen Tell der Schs nebst Dura und legte den Kopf in FormMinlSsung in der Absicht, nach einigen Tagen das geh/~rtete Gehirn herauszunehmen. Dabei bemerkte ich, dM~ die Gehirnsubstanz yon Tag zu Tag mehr aus der Knochenliicke hervor- quoll und schliel~lich eine gewaltige VorwSlbung bildete, die oft wie eine iiberreife Kirsche tier einriB, wodurch das Gehirn vSllig ver- dorben war. Auf Querschnitten treten die hierdurch hervorgerufenen Strukturver/~nderungen besonders deutlich zutage (Abb. 1). Entferut man bei einem Hiihnerkopf nur auf einer Seite einen Tell des Knochens 1 Erweiterte Form eines in der Berliner Gesellschaft fiir Psychiatrie un4 Nerven- krankheiten gehaltenen Vortrages.

Die bei der Formalin-Fixierung des Nervensystems auftretenden Artefakte und deren Verhütung

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die bei der Formalin-Fixierung des Nervensystems auftretenden Artefakte und deren Verhütung

(Aus der LandesheilanstMt Uchtspringe, Altmark.)

Die bei der Formalin-Fixierung des Nervensystems auftretenden Artefakte und deren Verhiitung ~.

Von

Oberarzt Dr. Kllrt Schroeder.

Mit 3 Textabbildungen,

(Eingegangen ~lm 21. Mai 1931.)

Unter den zahlreichen Fixierungsmitteln, die uns jetzt zur Verfiigung stehen, nimmt das Formalin die erste Stelle ein. Die Mlgemein gebr/~uch- fiche Art der Anwendung ist die Verdiinnung mit Aqua destillata, und zwar ist die fibliche Vorschrift: FormMdehydum solutum 10, Aqua destillata ad 100. Ich werde im folgenden zeigen, dM~ diese wohl in allen Werken fiber die histologische Technik vorgeschriebene Art der Anwendung dm'chaus unzweckm/iBig ist, Kunstprodukte hervorrufen kann, ja unter Umst/~nden zu Strukturverschiebungen yon ganz erheblichem AusmaBe bisweilen sogar zu gt'otesken, schon makroskopisch erkennbaren Form- ver/~nderungen fiihren kann. Die Beobachtungen, yon denen ich ausging, waren folgende: Zu elner bestimmten Untersuchung brauchte ich in Formalin geh/irtete Gehirne yon sehr kleinen erwachsenen Siiugetieren. Da es nicht immer ganz leicht ist, so kleine Gehirne unversehrt aus dem knSchernen Sch/~del herauszunehmen, ging ich folgendermM~en vor: Ich entfernte beiderseits nur einen Tell der Schs nebst Dura und legte den Kopf in FormMinlSsung in der Absicht, nach einigen Tagen das geh/~rtete Gehirn herauszunehmen. Dabei bemerkte ich, dM~ die Gehirnsubstanz yon Tag zu Tag mehr aus der Knochenliicke hervor- quoll und schliel~lich eine gewaltige VorwSlbung bildete, die oft wie eine iiberreife Kirsche tier einriB, wodurch das Gehirn vSllig ver- dorben war. Auf Querschnitten treten die hierdurch hervorgerufenen Strukturver/~nderungen besonders deutlich zutage (Abb. 1). Entferut man bei einem Hiihnerkopf nur auf einer Seite einen Tell des Knochens

1 Erweiterte Form eines in der Berliner Gesellschaft fiir Psychiatrie un4 Nerven- krankheiten gehaltenen Vortrages.

Page 2: Die bei der Formalin-Fixierung des Nervensystems auftretenden Artefakte und deren Verhütung

154 Kurt Schroeder: Die bei der Formalin-Fixierung

und schlitzt innerhalb dieser Knochenliicke die Dura, so wSlbt sich bei der iiblichen Formalinfixierung Hirnsubstanz als schmaler Wulst vor und reiBt tief ein, so da]~ eine lippenfSrmige VorwSlbung entsteht. Da die andere Hemisphere sich nicht nach aul~en vorwSlben kann, so bildet sich eine starke Asymmetrie. Wie diese VorwSlbungen zustande kommen, ist leicht verst/indlich. Die mit destilliertem Wasser herges~e~lte Formalin- 15sung ist hypotonisch im Vergleich zur Gehirnsubstanz. Das mehr

A b b . 1. ) I e c r s c h w e i n c h e n . I l l t ier A u s d e h m m g y o n x - - x w a r d e r K n o c h e n m i t t ier D u r a c n t f e r n t u n d d e r K o p f i n tot[) in F o r m a l i n 1 + 9 in A q u a d e s t i l l a t a f i x i e r t . S t a r k e V o r - q u c l l u n g y o n G e h i r n s n b s t a n z . E n t f e r n u n g des G e h i r n s a u s dent Sch~tdcl. C h r o m i e r u n g . C e l l o i d i n e i n b e t t u n g . F r o u t a l s e r i e . D i e p u n k t i e r t e L i n i e g i b t (lie c i g e n t l i c h c L a g e d e r H i r n o b e r f l i t c h e a n . D ie w u l s t f S r m i g e V o r w 6 1 b u n g h a t z u g l e i c h zu e i n e r s c h w c r e n V e r -

z e r r u n g d e r M y e l o a r c h i t e k t u r g c f f t h r t .

Salz als die Umgebungsfliissigkeit enthaltende Gewebe nimmt Wasser auI, wodurch eine Volumenzunahme der Hirnsubstanz bewirkt wird. Infolgedessen wSlbt sich Gehirngewebe aus der Knochenliicke vor, da nur dort eine Ausdehnung erfolgen kann. Es ist also klar, wie Abhilfe ge- schaffen werden kann. Man mug zur Verdiinnung des Formalins physio- logische Kochsalzl6sung nehmen. Versuche haben ergeben, da6 dann jede Quellung ausbleib~ (Abb. 2). Sehr in die Augen fallend ist der Unterschied, wenn man Rtickenmarksegmente hypotonisch und iso- toniseh fixiert. Die Pia schlieflt sich dem Riickenmark ziemlich lest an und verhindert eine seitliche Ausdehnung. Infolge der Volumenver- mehrung quillt bei hypo~onischer Fixierung die Riiekenmarksubstanz an den Querschnitten stark vor, w/ihrend in der Mitte eine horizontale

Page 3: Die bei der Formalin-Fixierung des Nervensystems auftretenden Artefakte und deren Verhütung

des Nervensystems auftretenden Artefakte and deren Verhiitung. 155

taillenartige Einsehntirung entsteht. Bei isotoniseher Fixierung bleibt diese Formver/inderung vollkommen aus.

Den Naehweis der ver/indernden Einwirkung auf das Strukturbild am einzelnen Sehnitt zu erbringen, ist im allgemeinen nieht leieht, da man bei Untersuchung isotoniseh fixierten MateriMs nicht feststellen kann, wie es bei hypotoniseher Fixierung aussehen w/irde und umge- kehrt. Indessen ist der Nachweis im mikroskopisehen Bild dann leieht

A b b . 2. V o r d c r h i r n (2inPs H l t h n e s . In tl, cI' Allsdoll l l t l l lg x - - x w ~ r d c r K i l o c h c n l~llf t3iIler Se i t e c n t f e r n t m i d a.n d e r Stc l Ic des P f e i l c s ,lie D u r ~ in d c r K n o e h e n l i i e k e g e s c h l i t z t . H f i r t u n g (leg K o p f e s i n I t ) to ill :Forma, l in 1 + 9 in i),9 % i g o r N a ( ' l - L 6 s u n g . l~]n t fe rnung des G e h i r n s a u s d c m Sehi tdel . C h r o m i c r u n g . ( ' e l h ) i d i n c i n b e t t u n g . F r o n t a l s e r i c . F s i s t j e d e F o r m - v e r f i n d c r u n g mlsR'el) l iebcn. N o r m M e S y n l m c t r i e . K c i n c V o r w 6 1 b n n g i n n e r h a l b t ier K n o e h e n -

d u r M i i e k c .

zu erbringen, wenn es sich um ein Gewebe yon einfachem klarem Bau handelt. Wenn man z. ~B. Markfasernziige mit vSllig geradem Verlauf untersucht und parallel zur Faserrichtung schneidet, so kann man leicht erkennen, wie bei hypotonischer Fixierung erhebliche Verzerrunger~ auf- treten im Vergleieh mit dem schnurgeraden Verlauf bei isotonisch fixiertem Material (Abb. 3).

l~ber die Vergnderungen, (lie (tie Gewebe in Formalin erleiden, liegen nut wenige Arbeiten vor. Manche Autoren haben nut die Gewichts- zunahme untersucht, so vor lgngerer Zeit Flatau und kfirzlich Strecker.

If. Berg hat eingehende Untersuchungen angestellt fiber (lie Ver- gnderungen des Gewichts und Volumens einiger Gewebe (Leber und Milz)

Page 4: Die bei der Formalin-Fixierung des Nervensystems auftretenden Artefakte und deren Verhütung

156 Kurt Schroeder: Die bei der Formalin-Fixierung

bei Einwirkung der verschiedensten Fixierungsflfissigkeiten. Er land bei der iiblichen Formalinhi~rtung eine Zunahme des Gesamtvolumens, und zwar eine recht erhebliche, z. B. bei der Milz fast 10%. Irgendwelche praktischen Folgerungen in bezug auf die Frage, wie solche Quellungen verhindert werden k6nnten, zieht er nicht.

H. StSltzer st~llte eingehende Untersuchungen fiber die Ver/~nderungen des Volumens der verschiedenen Organe durch die gebr/iuchlichsten Fixierungsmittel an und land, dab bei manchen Quellung, bei anderen Schrumpfung eintritt. Es gibt sogar Fixierungsmittel, die auf einigo

2kbb. 3. L/~ngsschnitte aus dem Sei tens t rang des Ri iekenInarks yon zwei ganz en t sp rechenden s t enen , angefe r t ig t yon 1 cm dicken Ri i ckenmarksegmenten . Das R i i ckenmarksegmen t A wurde in Formalinlf isung hergestel l t mi t A q u a dest i l lata , das Segment B in isotonischer m i t 0,9 9/o NaC1 angese tz te r Formai inlSsung fixiert . Pa ra f f ine inbe t tung . Achsenzyl inder-

f~rbung nach Mallory.

Organe quellend, auf andere schrumpfend wirken. Sie fand, dal~ das Ge- hirn der Ratte bei der fiblichen Formalinfixierung (Aqua destillata) 15% an Volumen zunimmt. Sie war bestrebt, ein Fixierungsmittel zu finden, das mSglichst wenig die Form der Organe ver/tndert und glaubte es gefunden zu haben in einer mit Sublimat ges/~ttigten 41/2%igen Rohr- zuckerlSsung. Dieses H/~rtungsmittel hat sich jedoch nicht einge- bfirgert.

Nils Sj6bring stellte die Forderung auf, dal~ eine Fixierungsflfissig- keit mit dem Protoplasma anni~herungsweise isoton sein mfisse, und kommt zu dem Ergebnis, dab dies erreicht werde durch geringere Ver- dfinnung von Formalin. Er empfiehlt daher, das Formalin mit der vierfachen, nicht wie sonst fiblich, mit der neunfachen Menge destillierten Wassers zu verdfinnen. Die Frage des Salzgehalts berfihrt er nicht. Gegen die Anwendung so starker FormalinlSsungen haben sich Weigert und F. Blum ausgesprochen. Letzterer Autor, dem wit die Einffihrung des Formalins als Fixierungsmittel zu verdanken haben, kommt zu dem Ergebnis, dal~ auf die Isotonie kein besonderer Weft gelegt zu werden braucht.

Page 5: Die bei der Formalin-Fixierung des Nervensystems auftretenden Artefakte und deren Verhütung

des Nervensystems auftretenden Artefakte und deren Verhiitung. 157

v. Tellyesniczky spricht der Isotonic jede Bedeutung bei dar Fixation ab und sagt: ,,Weder thaoretischa Grfinde noch Experimente unter- s~fitzan die Bedeutung der Isotonie der Fixierungsflfissigkeiten."

Schmorl gibt an, dab as ffir feinere Zell- und Kernstudien vorteil- haft sei, das Formalin mit physiologischer KochsalzlSsung zu verdfinnen. Da er aber im fibrigen ffir den allgemeinen Gebrauch die Verdfinnung mit Aqua dest. vorschreibt, geht daraus hervor, dag auch er der Frage der Isot~nie bei Forma]infixierung kei, ne besondera Bedeutung beimigt. Die anderen Werke fiber die histologische Technik schreiben vor, das Formalin mit Aqua destillata zu verdfinnen.

Man kann also sagen, dab die gro6e Badeutung der Isotonic bei dar Formalinfixierung bisher lficht erkannt worden ist. Ich glaube, obiga Ausffihrungen beweisen, wie augerordentlich wichtig as ist, dieser Frage gr6Bere Beachtung zu schenken, denn as k6nnen sonst Kunst- produkte entstehen, die unter Umst/inden Formver/inderungen yon erhebliehem AusmaBe zur Folga haben kSnnen. Die Quallung ist so groB, dal~ sie, wie erwi~hnt, etwa 15% der normalen GrSBe ausmaeht. Was solche Volumanvarmehrungen auf die Myelo- und Cytoarehitektonik fiir Einflul3 haben, oder wie sie die Ergebnisse yon Messungan der Rindanbreite beainflussen kSnnen, braucht ja NoB angedautet zu werdan.

Es ist klar, dag die Queltung dann nicht zu einer in die Augan fallendan Formver/~ndarung ffihrt, wenn das Gewabe sich nach allen Richtungen ausdehnen kann, und das ist ja auch der Grund, weshalb man so wenig auf diese Vorgiinge geachtet hat. Trotzdem ist auch in solchen Fiillen die Verhinderung einar Aufquellung yon groger Wichtigkeit, denn die erhebliche Volumenzunahma beruht selbstverst/tndlieh auf einer Quellung der einzelnen Gawebsbestandteile und einer Volumenzunahma dar Ge- websflfissigkeit, so dal~ ~uch das mikroskopische Bild in irgendeiner Weise durch die Quellung beeinflul3t warden mug. Dabei ist auch zu bedenken, dab die einzelnen Gawebselementa sich einem hypotonisehen Medium gegenfiber zwaifellos ganz verschiaden verhalten warden, je naeh ihrem Flfissigkeitsgahalt. So werden die Fibrillen und Gliafasern sich ganz anders verhalten ~ls die flfissigan Substanzen. ])as wird sich in einer versehiedenen Ausdehnung der einzalnen Elementa auswirkan, so dag bei hypotonisahar Fixierung Varsahiebungen mannigfaeher Art entstehen warden. Jede Fixierung, aueh die Formalinfixierung bewirkt mannigfaeha Ver~nderungen an der Gewabsstruktur. Varziehtet man auf Isotonie, so kompliziert man den Vorgang der Fixiertmg ganz unn6tiger- waise dureh Herbeifiihrung waiterer Vergnderungen, yon Quellungs- erscheinungan, die mit Leiehtigkeit vermeidbar sind.

Es spreahen also sahr gewiahtige Grfinde Ifir eine grundsatzliehe Anwandung isotonischer Formalinl6sung. Ein Argument gegan seine

Page 6: Die bei der Formalin-Fixierung des Nervensystems auftretenden Artefakte und deren Verhütung

158 Kurt Sohroeder.

Anwendung is~ wohl nich~ denkbar . Ich schlage daher vor, grunds~tzl ich zur Verdfinnung des Formal ins 0,9%ige KochsalzlSsung zu verwenden.

Literaturverzeichnis. Berg, W.: Die Verfi~aderungen des Volumens und Gewichtes des Gewebes bei

der histologischen Fixation. Anat. Anz. 31. -- Blum, F.: Artikel ,,Formaldehyd" in der Enzyklop~die der mikroskopischen Technik. -- Flatau, E.: Ver~nderungen des Gehirngewichts nach Aufbewahrung desselben in verschiedenen Konservierungs- fliissigkeiten. Anat. Anz. 13. -- Schmorl: Die pathologisch-histologischen Unter- suchungsmethoden. -- S]6bring, Nils: (~ber Formol als Fixierungsfltissigkeit. Anat. Anz. 17. -- Stb'ltzer, H.: Der Einflutl der Fixierung auf das Volumen der Organe. Z. Mikrosk. 23. -- Strecker, H.: ~ber das Problem der Hirnschwellung. Z. Neur. 120. -- Tellyesniczky, v.: Artikel,,Fixation" in der Enzyklop/idie der mikroskopischen Technik.