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Die Bestie in mir - PERRY RHODAN7 Rhodan hatte recht, wie meistens, gestand sich Tolot ein. Die Reise in den Monoceros-Ring forderte ihren Tribut. Er hatte die Geschehnisse auf Altin

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  • Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit öffnet er den Weg zu den Sternen – ein Abenteuer, das den Menschen kosmische Wunder offenbart, sie aber immer wieder in höchste Gefahr bringt. Zeit-weilig muss sogar die gesamte Erde evakuiert werden.2058 ist die Menschheit mit dem Wiederaufbau ihrer Heimat be-schäftigt und fi ndet immer mehr zu einer Gemeinschaft zusam-men. Die Terranische Union, Motor dieser Entwicklung, errichtet bereits Kolonien auf dem Mars und dem Mond.Auf Luna tauchen mysteriöse Fremdwesen auf. Sie können sich unsichtbar machen, werden deshalb Laurins genannt und sind extrem gefährlich. Kurz darauf bläht sich die Sonne auf, ihre Glut bedroht die inneren Planeten.Perry Rhodan verfolgt die Laurins bis zum Rand der Milchstraße. Dort scheint sein Raumschiff, die MAGELLAN, auf einmal ver-schwunden zu sein. Zur gleichen Zeit bekämpft ein Freund der Menschheit einen inneren Feind: Es ist DIE BESTIE IN MIR ...

    Band 188Kai Hirdt

    Die Bestie in mir

  • Impressum:PERRY RHODAN NEO-Romane

    Redaktion: Klaus N. FrickRedaktionsanschrift: PERRY RHODAN-Redaktion,

    Pabel-Moewig Verlag KG, Postfach 23 52, 76413 RastattInternet: www.perry-rhodan.netE-Mail: [email protected]

    Titelbild: Dirk Schulz/Horst GottaLektorat: Dieter Schmidt

    PERRY RHODAN NEO-Romaneerscheinen alle zwei Wochen in der Heinrich Bauer Verlag KG,

    Burchardstraße 11, 20077 HamburgDruck und Bindung: VPM Druck GmbH & Co. KG, Karlsruher Straße 31, 76437 Rastatt

    Vertrieb: VU Verlagsunion KG, Messberg 1,20086 Hamburg, Telefon: 040/30 19 18 00

    Anzeigenleitung: Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 RastattAnzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß

    Einzelheft-Nachbestellungen richten Sie bitte an: PRESSEVERTRIEB NORD KG, Schnackenburgallee 11,22525 Hamburg, Internet: www.meine-zeitschrift.de, E-Mail: [email protected]

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    PERRY RHODAN NEO gibt es auch als E-Books und Hörbücher.Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln

    nur mit vorheriger Zustimmung des Verlages.Für unverlangte Manuskripteinsendungen wird keine Gewähr übernommen.

    Printed in Germany. November 2018

    www.perry-rhodan.net

  • 6

    1.

    Die Zentrale der DOLAN lag im Halbdunkel. Ein wenig indirektes Licht aus dem Boden, reflektiert von den bronze-braunen Wänden der Kuppel, reichte für Icho Tolot. Wenn er Menschen zu Gast hatte, war es heller. Er selbst indes sah auch in annähernder Dunkelheit alles Wichtige. Er fand, dass die Düsternis das Irrelevante verblassen ließ und sei-nen Verstand frei hielt für die Fragen, mit denen er sich dringend beschäftigen musste.

    Im Moment hieß das, herauszufinden, wer eine Flotte von zweihundert Kugelraumern ins Kriiyrsystem entsandt hat-te. Tolot hatte eine Ahnung, erheblich finsterer als seine be-vorzugte Lichtstimmung. Aber es konnte nicht sein. Es konnte nicht, und es durfte nicht.

    Als die FERNAO unter der Leitung von Perry Rhodan nach der Mission im Ranaarsystem zurückgekehrt war, um sich beim Kriiyrsystem mit der MAGELLAN zu treffen, war das terranische Expeditionsraumschiff spurlos verschwunden ge-wesen. Stattdessen hatte die Besatzung der FERNAO fremde Raumschiffe im Umfeld der Laurinwelt Layl geortet. Icho To-lot, der mit der DOLAN der FERNAO vorausgeflogen war, hat-te dies bereits früher entdeckt. Er hatte sich daraufhin im Or-tungsschatten einer der Schlackeballungen im System verbor-gen und dort das Eintreffen der FERNAO abgewartet. Sofort nach deren Ankunft hatte er Verbindung mit den Menschen aufgenommen und sich zu Rhodans Einsatzschiff gesellt.

    »Bist du bereit?« Perry Rhodans Gesicht im Hologramm verriet die gleichen Sorgen, die Tolot plagten.

    »Im Rahmen des Möglichen«, antwortete Tolot. »Wenn man ignoriert, dass der Einflug ins System lebensgefährlich ist und wir nicht eindeutig wissen, wer uns dort erwartet, lautet die Antwort sogar ›Ja‹.«

    Rhodan hob die Brauen.»Was?«, fragte Tolot.»Sarkasmus steht dir nicht, mein Freund. Das passt nicht

    zu dir.«

  • 7

    Rhodan hatte recht, wie meistens, gestand sich Tolot ein. Die Reise in den Monoceros-Ring forderte ihren Tribut. Er hatte die Geschehnisse auf Altin längst nicht verarbeitet, und nun begann der nächste hochriskante Einsatz. Riskant jedenfalls, wenn sich bewahrheitete, was er ...

    Aber das konnte nicht sein.»Ich breche auf«, verkündete Tolot. »Ich versuche, in Kon-

    takt zu bleiben. Allerdings befürchte ich, dass die astrophy-sikalischen Verhältnisse im System einen unauffälligen Richtfunkstrahl unmöglich machen.«

    »Verstanden«, bestätigte Rhodan. »Wir freuen uns, von dir zu hören, rechnen aber nicht damit.« Er zögerte. »Geh kein unnötiges Risiko ein.«

    Tolot zeigte seine Zähne. Wenn er nicht sarkastisch sein durfte, war dies ein perfekter Moment, um gar nichts zu sagen.

    Seine DOLAN löste sich von der FERNAO, in der die Men-schen auf seine Rückkehr warten würden. Und auf die ihres verschollenen Mutterschiffs. Wohin die MAGELLAN ver-schwunden war, das war ein Rätsel für später. Tolot zog aus, um herauszufinden, was sie vertrieben hatte.

    Das Kriiyrsystem war astrogatorisches Gefahrengebiet. Zwei Pulsare umkreisten einander, die ausglühenden Reste zweier größerer Gestirne, die sich in Novae verwandelt, ex-trem ausgedehnt und das komplette Planetensystem gegrillt hatten. Die inneren drei von einstmals vier Welten waren nicht mehr als hochdichte Schlackebrocken.

    Die vierte Welt, Layl, war nach normalen Maßstäben ebenfalls unbewohnbar. Nur galten diese Maßstäbe nicht für die Laurins. Die seltsamen Wesen aus dem Creaversum, die sich selbst Naiir nannten, hatten den Planeten besiedelt und ein fremdartiges Habitat errichtet. Wahrscheinlich, um dem Nexus nahe zu sein – jener chaotischen Zone, in der unter bestimmten, extremen Bedingungen ein Übergang zwischen Normalraum und der Dimension möglich war, aus der die Crea und die Laurins ursprünglich stammten. Ein Portal in die Heimat, sozusagen – nur uralt und mittlerwei-

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    le unbenutzbar. Aber dennoch vorhanden, und die unerklär-lichen physikalischen Verhältnisse in seinem Umfeld trugen ihren Teil zur Einzigartigkeit des Systems bei.

    »Sind wir bereit, Taravat?« Tolot stellte die gleiche Frage wie zuvor Rhodan.

    »Im Rahmen des Möglichen.« Die Steuerintelligenz seines Raumschiffs hatte also ebenfalls keine klare Prognose, wie ihre Reise ausgehen würde. Aber es half nichts. Wenn sie nicht erfuhren, was mit der MAGELLAN geschehen war, war ihre Expedition in dem schmalen Sternenring knapp außerhalb der Milchstraße gestrandet. Zumindest würde die Rückkehr zur Erde viele Jahre dauern.

    »Wir brechen auf!«, befahl Tolot.

    Taravat steuerte das Schiff in das gleiche wahnwitzige Ma-növer, das schon wenige Tage zuvor einen unbemerkten Vorstoß nach Layl ermöglicht hatte: Die DOLAN tauchte in einen der fast lichtschnellen Partikelströme ein, die von den Pulsaren ausgingen, was das Raumschiff vor Ortung schützte.

    Im Grunde war es Wahnsinn, in diesem Medium zu flie-gen. Aber die FERNAO hatte es geschafft, und Icho Tolots DOLAN stand dem Menschenschiff in Widerstandskraft um nichts nach. Im Gegenteil verfügte es über einige Mög-lichkeiten, von denen die Menschen mit ihrem eher einge-schränkten technischen Entwicklungsstand bislang nur träumen konnten. Das war der Grund, weshalb Tolot statt der Menschen diese Erkundungsmission auf sich nahm.

    Einer der Gründe zumindest.»Statusbericht!«, forderte Tolot.Aber Taravat antwortete nicht. Ein Zeichen, dass die

    Schiffsintelligenz sämtliche Kapazitäten benötigte, um den Höllenritt zwischen geladenen, fast lichtschnellen Leptonen und Baryonen zu überstehen. Statt einer eingängigen Zu-sammenfassung zeigte sie nur die Daten im Holo, die ihre Sensoren ohnehin aufzeichneten. Tolot musste die relevan-

  • 9

    ten Informationen selbst herausfiltern. Die Feldlinien, de-nen der Strahl folgte, hatten in menschlicher Terminologie eine Stärke von mehr als hundert Millionen Tesla. Dazu kam die Radiostrahlung.

    »Bekommen wir von außerhalb des Jetstrahls Fein-ortungsdaten aus dem Nahbereich herein?«, fragte er.

    »Nein.« Taravats Auskunft fiel knapp aus, aber immerhin konnte die Schiffsintelligenz wieder sprechen. Ein Fort-schritt – je mehr sie sich von den Neutronensternen entfern-ten, desto mehr würde sie ihre Handlungsfähigkeit zurück-gewinnen.

    Tolot studierte das Muster der Magnetfelder. Rund drei Millionen Kilometer entfernt gab es eine Interferenz. Dort schnitten sich die Wirklinien beider Pulsare und schufen eine Zone relativer Ruhe. Somit gab es eine Möglichkeit, in der Randzone des Jetstrahls anzuhalten und zu orten, ohne selbst in Entdeckungsgefahr zu geraten.

    Tolot erteilte die entsprechenden Kommandos. Die DO-LAN änderte den Kurs um wenige Grad, bremste, erreichte Sekunden später das Zielgebiet und verharrte dort.

    Nur langsam konkretisierten sich die Ortungsbilder. Ta-ravat musste immense Störeinflüsse herausrechnen. Aber in einigen Sekunden würde Tolot Gewissheit haben. Zweihun-dert Kugelraumer  ... Die Haluter benutzten diese Raum-schiffsbauform, die Arkoniden, die Menschen, die Liduuri. Es gab keinen Grund, anzunehmen, dass ausgerechnet ...

    Die bisher von der FERNAO und DOLAN angemessenen Emissionssignaturen der Fremdflotte hatten der bekannten Allianztechnik entsprochen – obwohl die Profile nicht kom-plett und die Ortungsergebnisse verwaschen waren. Nun klärte sich das Bild. Icho Tolot sah seine schlimmsten Be-fürchtungen bestätigt. Zweihundert Kugelraumer ohne Ringwulst, jeweils einhundertzehn Meter im Durchmesser. Nur ein Volk, das er kannte, verwendete solche Raumschif-fe: Im Kriiyrsystem hatten sich die Bestien breitgemacht.

  • 10

    Was Icho Tolot sah, spottete jeder Wahrscheinlichkeit. Er hatte nicht gewusst, dass überhaupt noch zweihundert Bes-tien lebten – die biologischen Kampfmaschinen der Allianz, die aus Halutergenen gezüchtet worden waren, galten als Fehlschlag. Sie waren zu aggressiv, zu unberechenbar für ihre Schöpfer. Das Zuchtprogramm war vor Jahrtausenden eingestellt worden – zumindest nach Kenntnis der Haluter. Stimmte das nicht? Was er gerade erblickte, sprach jeden-falls dagegen. Offensichtlich hatte jemand wieder damit begonnen, diese Monstren zu erschaffen. In großem Maß-stab sogar.

    Das führte Tolot zur nächsten Ungereimtheit. Bestien wa-ren Einzelgänger. Sie akzeptierten keine Vorgesetzten, egal aus welcher Spezies. Zweihundert von ihnen, die gemeinsam und augenscheinlich koordiniert an einem kollektiven Ziel arbeiteten – das konnte nicht sein! Sie würden einander eher binnen weniger Tage gegenseitig umbringen, als dass sie Weisungen von jemandem aus ihrer Mitte oder gar von au-ßen annahmen. Wenn sie tatsächlich zusammen agierten, geschah da etwas Außerordentliches.

    Tolot hatte kein Gefühl dafür, wie lange er das Ortungs-bild anstarrte. Er wusste nun, dass er sich am gefährlichsten Ort der Galaxis befand, nicht nur wegen der absurden lo-kalen Physik, die jedes Raummanöver zu einem Wagnis machte. Er musste etwas unternehmen. Jedes einzelne die-ser Wesen war eine lebende Massenvernichtungswaffe, ebenso mächtig wie brutal. Zweihundert  ... Diese Armee vermochte Sternensysteme auszulöschen. Es war seine Pflicht als Haluter, die Milchstraße davor zu schützen. Wie konnte er ...

    »Nein«, raunte Taravat schlicht.Tolot fühlte sich ertappt. Natürlich hatte die Schiffs-

    intelligenz recht. Gegen eine Bestie hätte er vielleicht eine Chance gehabt, mit viel Glück jedenfalls. Nie und nimmer aber gegen diese Übermacht. Kein Wunder, dass die MAGELLAN geflohen war. Ihr Kommandant war ein erfahrener Mann. Er würde sich und seine Mannschaft

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    nicht opfern, um einen längst verlorenen Posten zu ver-teidigen.

    Tolot selbst würde sich auch nicht in einen aussichtslosen Kampf stürzen. Obgleich beim Thema Bestien die mittler-weile sprichwörtliche Friedfertigkeit der Haluter an ihre Grenzen stieß.

    Die Ortungsbilder wurden detailreicher. Taravat hatte neben dem Raumsektor rund um Layl nun auch eine riesen-hafte Konstruktion bei dem alten Transfernexus ins Visier genommen. Der Dimensionsriss lauerte in größerer Entfer-nung im Außenbereich des Kriiyrsystems auf der Seite, die den aktuellen Positionen der DOLAN und der FERNAO ra-dial gegenüberlag. Dort schwirrte offenbar ebenfalls ein Teil der Bestienschiffe herum. Besonders aussagekräftig waren die Daten noch nicht, die Störungen waren zu heftig. Tolot begriff, dass die Bestienraumer nur deshalb so klar zu erkennen waren, weil Taravat die Ortungsergebnisse mit den bekannten Daten zu diesem Raumschiffstyp ergänzte. Für das unbekannte Konstrukt jedoch, das beim Nexus im Raum schwebte, gab es solche Hilfestellungen nicht.

    Insofern war Tolot auf Wahrscheinlichkeiten und Hoch-rechnungen angewiesen. Nur einige Dutzend Baugruppen waren groß genug und deutlich genug erkennbar, um Rückschlüsse auf das angestrebte Endprodukt zu ermög-lichen. Vermutlich entstanden dort zwei gewaltige, tech-nikbestückte Ringe mit leicht unterschiedlicher Weite, die ineinander und senkrecht zueinander angeordnet waren, wodurch eine Kugelform angedeutet wurde. Ein Gebilde von etwa zweihundert Kilometern Durchmesser, wie Ta-ravat nun anzeigte. Welchem Zweck diente diese giganti-sche Anlage?

    Überall an den Ringsektionen wurde gearbeitet. Verwa-schene Punkte in der Ortung umschwirrten sie wie Insek-ten, mutmaßlich Baustofflieferungen und Transportkapseln für Arbeitskräfte oder Roboter. Ihre Zahl ging in die Milli-onen, Tolot konnte den rasanten Baufortschritt beinahe wie in einem Zeitrafferfilm mitverfolgen. Es erinnerte den Ha-

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    luter an ein Riesenheer winziger Ameisen, das in wunder-samem Tempo einen mächtigen Hügelbau errichtete. Das erklärte zumindest, wie dieses Konstrukt in der kurzen Zeit seit Tolots vorherigem Besuch im Kriiyrsystem aus dem Nichts geschaffen worden war.

    »Können wir einen Zwischenbericht an die FERNAO ge-ben?«

    Taravat versuchte, das Menschenschiff anzufunken. Doch wie schon beim Aufbruch befürchtet, kam kein Kontakt zu-stande, solange jedes Normal- oder Hyperfunksignal als Richtstrahl im Partikelstrom versteckt blieb. Jedes andere Verfahren hätte die Bestien aufmerksam gemacht und ver-bot sich somit von selbst.

    »Wir müssen mehr darüber herausfinden, was hier pas-siert«, verkündete Tolot.

    »Unsere Optionen sind eingeschränkt«, gab Taravat zu bedenken.

    Tolot stellte zufrieden fest, dass die Stimme seines Schiffs wieder in ganzen Sätzen sprach. Taravat war mehr als eine Künstliche Intelligenz: Sie war gewissermaßen das Gehirn der DOLAN, das lebende Bewusstsein eines lebenden Raum-schiffs. Sie besaß eigene Intelligenz sowie Intuition und hat-te Tolot mit ihrer eigenen Betrachtungs- und Analyseweise schon des Öfteren vor dem einen oder anderen gefährlichen Fehlschluss bewahrt.

    »Deshalb sollten wir scharf nachdenken, bevor wir etwas tun«, schlug Tolot vor. »Bist du bereit?«

    Taravat bejahte.Tolot begann zu dozieren. »Fakt eins: Layl ist eine Welt

    der Laurins, der höchsten Hierarchieebene der Allianz. Fakt zwei: Die Allianz führt seit Jahrzehntausenden Krieg gegen humanoide Völker, und zwar im Auftrag des Geistes-wesens ANDROS. Fakt drei: Die Laurins haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach von diesem Auftrag und von AN-DROS losgesagt. Fakt vier: Die Bestien, die wir bislang ge-troffen haben, haben alle das ursprüngliche Ziel der Allianz verfolgt: die Vernichtung aller Humanoiden. Und zwar nicht

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    nur, weil sie einen entsprechenden Auftrag erhalten haben, sondern aus tiefster Überzeugung. Habe ich die Informati-onslage korrekt wiedergegeben?«

    »Dies stimmt mit den mir vorliegenden Daten überein«, bestätigte Taravat.

    Das überraschte Tolot nicht sonderlich. Interessanter würde sein, was für Schlussfolgerungen man aus diesen Da-ten zog.

    »Da die Naiir die Goldenen ermordet haben, die zweit-höchste Führungsebene der Allianz, müsste man davon aus-gehen, dass die Laurins und die Bestien inzwischen auf ent-gegengesetzten Seiten in diesem Konflikt stehen.«

    »Nicht zwingend«, wandte Taravat ein. »Es könnte sein, dass die Bestien ebenfalls die Seiten gewechselt haben.«

    »Und jetzt nicht mehr auf Vernichtung allen Lebens aus sind, das ursprünglich einmal von der Erde stammte?«, führte Tolot den Gedanken zweifelnd zu Ende.

    »Denkbar, aber extrem unwahrscheinlich«, gestand Ta-ravat zu. »Bis zum Beweis des Gegenteils sollten wir die Bestien als blutrünstige Massenmörder qualifizieren, die Bestrebungen zur friedlichen Einigung als widernatürlich und als Verrat empfinden.«

    Tolot war zufrieden, dass Taravat diese Annahme bestä-tigte. Computergleiches Haluter-Planhirn hin oder her – in Bezug auf die Bestien war Tolot nicht zu objektiven Urteilen fähig. Gerade deshalb war die Schiffsintelligenz als objek-tiver Sparringspartner für ihn so wichtig.

    »Dann sehe ich zwei andere mögliche Erklärungen für das, was wir hier beobachten: Erstens, nur ein Teil der Lau-rins hat sich von ANDROS losgesagt. Andere erfüllen weiter die Aufträge des Geisteswesens und kooperieren mit den Bestien.«

    Taravat schwieg.»Zweitens«, fuhr Tolot fort, »die Bestien haben die Lau-

    rins zu Gegnern erklärt und sie aus dem Kriiyrsystem ver-trieben.« Nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: »Oder sie getötet.«

  • 14

    »Beides ist möglich«, sagte Taravat. »Ohne weitere Indi-zien lässt sich allerdings nicht berechnen, was davon wahr-scheinlicher ist.«

    »Gibt es Anzeichen für Laurinaktivität im System?«, frag-te Tolot.

    »Keine«, antwortete die Schiffsintelligenz. »Aber die Laurins verfügen über exzellente Tarnmethoden, sodass sie selbst unter optimalen Umständen nicht oder kaum zu orten sind. Von optimalen Umständen sind wir jedoch weit ent-fernt. Ich vermag nicht zu sagen, ob die Laurins geflohen sind oder eine ganze Flotte ihrer Raumschiffe Seite an Sei-te mit den Bestien operiert.«

    Tolot brummte missmutig. Die eingeschränkte Ortung entwickelte sich allmählich vom Ärgernis zum echten Pro-blem. »Wir müssen in Erfahrung bringen, was die Bestien hier eigentlich tun«, stellte er fest.

    »Es ist dringend davon abzuraten, mit der DOLAN den Ortungsschutz ...«

    »Habe ich nicht vor«, unterbrach Tolot. »Ich denke an ei-nen Kundschafter.«

    Taravat schwieg. Tolot war nicht entgangen, dass das oh-nehin schwache Licht in der Zentrale bei seinem Satz kurz geflackert hatte.

    »Wir sind vorsichtig«, versicherte er. »Wir bringen den Kundschafter nicht in Gefahr.«

    Konventionelle Sonden hatten bei dieser Mission keine Chance auf Erfolg. Sie waren zu leicht ortbar. Ein Kund-schafter hingegen war ein lebendes Wesen, ein Kind der DOLAN gewissermaßen: ein winziger organischer Ableger, der stets in Verbindung mit seinem Mutterschiff – im dop-pelten Sinne – blieb.

    »Du gefährdest nicht unser Leben«, stellte Taravat fest. »Dafür ein anderes.«

    »Das werde ich nicht!«, widersprach Tolot heftig.Taravat projizierte eine Raumkarte. Tolot erkannte die

    Welt Altin im Ranaarsystem. Kaum vernarbte Erinnerun-gen drängten empor: Vor nicht mal zwei Tagen hatte er dort

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    einen Hyperimpuls auslösen müssen, der sämtliche neu ge-züchteten Goldenen getötet hatte. Er hatte damit das Leben aller Menschen auf der FERNAO gerettet, und nicht zuletzt sein eigenes und das von Taravat. Aber er hatte eben auch Dutzende, vielleicht Hunderte intelligente Lebewesen um-gebracht.

    »Das war eine Notlage!«, rief Tolot. »Hättest du dich an meiner Stelle anders entschieden?«

    »Nein«, räumte Taravat ein. »Aber wie klassifizierst du die jetzige Situation? Eine überlegene, hochgefährliche Macht baut ein gewaltiges technisches Gerät unbekannter Funktion. An einer Raumposition mit hochkomplexen und gefährlichen physikalischen Eigenschaften. Es ist davon auszugehen, dass dunkle Motive dahinterstehen. Wir sind in ausgerechnet diesem Raumsektor gestrandet, auf uns allein gestellt und wissen nicht, wie viel Zeit uns zum Han-deln bleibt. Würdest du auch diese Situation als Notlage einstufen?«

    »Ja«, gab Tolot widerwillig zu.»Wenn du die Wahl hast, natürlich geborenes oder künst-

    lich geschaffenes Leben zu opfern, was ist deine Präferenz?«»Ich habe keine!«, rief Tolot. »Leben ist Leben, und jedes

    Leben verdient denselben Respekt!« Doch noch während er sprach, fragte er sich, ob das wirklich stimmte.

    Taravat jedenfalls glaubte ihm nicht. Die Schiffsintelli-genz projizierte ein neues Holo: Ausschnitte aus einem Ge-spräch, das Tolot nur Tage zuvor mit Perry Rhodan an Bord der MAGELLAN geführt hatte.

    »Ich hadere insgesamt mit dem Konzept künstlich ge-schaffener Wesen«, sagte Tolots früheres Ich in der Projek-tion. »Müssten wir für Wesen, die wir in die Existenz geru-fen haben, nicht Verantwortung übernehmen? Sie hegen, schützen, zur Entfaltung bringen? Statt sie zu benutzen und zu töten, wenn sie nicht mehr gebraucht werden?«

    »Wir sind anders«, antwortete Rhodan. »Wir handeln nicht wie die Allianz.«

    »Eben das bestreite ich, Rhodanos«, sagte der Tolot im

  • 16

    Hologramm. »Wir Haluter tragen Mitschuld an der Existenz der Bestien. Und glaube mir, wenn ich einer Bestie begegne, hege und schütze ich sie nicht. Ich werde sie jagen und töten. Ohne jede Gnade. Weil es das einzig Richtige ist.«

    Taravat beendete die Vorführung.»Das ist etwas anderes«, sagte Icho Tolot eisig. »Schalt das

    ab. Und beginne mit der Produktion des Kundschafters.«

  • 17

    4.

    Perry Rhodan betrat den Besprechungsraum der FERNAO. Eric Leyden, Gucky und Icho Tolot waren schon eingetroffen.

    Auf der MAGELLAN hätte auch Conrad Deringhouse, der Kommandant des Schiffs, an der Runde teilgenommen. Major Cel Rainbow, der dieselbe Funktion auf der FERNAO ausfüllte, handhabte das anders. Er blieb in der Zentrale und begründete das mit der Gefahr durch die Bestienschif-fe, die jederzeit auftauchen und angreifen konnten.

    Rhodan vermutete, dass der wirkliche Grund ein anderer war. Erst wenige Tage war es her, dass Rainbow seinen bes-ten und ältesten Freund Tim Schablonski verloren hatte. Auch Rhodan trauerte um den Mann, den er einst als eher undisziplinierten Raumsoldaten kennengelernt hatte und der sich mit ebenso viel Fleiß wie Talent bis zum Chefinge-nieur des modernsten Raumschiffs der Menschheit hochge-arbeitet hatte.

    Ein außerordentlicher Lebensweg, bis sie auf Layl in die Hand der Laurins geraten waren. Beim Verhör hatte es ei-nen Unfall gegeben. Schablonski hatte einen Hirnschaden erlitten und war bald darauf verstorben.

    Rainbow sprach seitdem kaum noch. Rhodan fragte sich, ob der Kommandant sich wohl zu etwas Dummem hinrei-ßen lassen würde. Eine Attacke mit der Transformkanone auf das Laurinhabitat? Unterm Strich war es jedenfalls wohl gut, dass der Lakotaindianer sich nicht an der bevor-stehenden Einsatzplanung beteiligte. Sie brauchten kühlen Kopf, und Rainbow war zurzeit ein Pulverfass voll aufge-stauter Emotionen.

    »Fangen wir an«, sagte Rhodan. »Was haben wir heraus-gefunden?«

    »Die Bestien können wirklich große Maschinen bauen.« Leyden, der geniale Hyperphysiker, verkündete die allseits bekannte Banalität wie eine große Entdeckung. »Ich meine, richtig groß. Wow!«

    Rhodan hatte sich vorgenommen, sich nicht schon wäh-

  • 18

    rend der ersten Minuten über den Mann zu ärgern, aber der Vorsatz wurde auf eine harte Probe gestellt. »Wissen wir noch mehr über diese Konstruktion? Etwas Nützliches, möglicherweise?«

    »Nein«, antwortete Leyden lapidar. »Keine Ahnung, wozu sie gut sein wird.«

    »Das ist nicht ganz richtig«, hakte Tolot ein. »Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Bestien damit den alten, degenerierten Nexus im Außensektor des Kriiyrsystems öffnen und eine Passage ins Creaversum ermöglich wollen. Wir ...« Irritiert brach der Haluter ab, als er Leyden abwin-ken sah. »Was?«

    »Tut mir leid, Tolotos, aber Sie liegen falsch. Ich habe Ih-re Daten durchgerechnet. Es funktioniert nicht. Die Ma-schine interagiert mit dem Nexus, aber die von Ihnen be-schriebene Wirkung kann nicht eintreten. Nicht mit den bereits geschaffenen Baugruppen. Möglicherweise gelingt das Eindringen in den Transfernexus, aber man kommt nicht auf die andere Seite. Der Versuch wäre tödlich.«

    Tolot sah den Physiker an. Seine drei düsterroten Augen verengten sich. »Darf ich mich erkundigen, wie Sie zu die-sem Ergebnis kommen?«

    »Köpfchen.« Leyden tippte sich zweimal an die Schläfe. »Ich erklär’s Ihnen bei Gelegenheit. Aber lieber, wenn dieser Einsatz abgeschlossen ist. Ich vermute mal, wir haben’s ei-lig, oder? Das ist es doch immer.«

    »Stimmt«, sagte Rhodan. »Irgendetwas geschieht, und wir wissen nicht, was. Wir sollten es herausfinden, bevor etwas wirklich Übles dabei herauskommt. Wie also gehen wir da-bei vor?«

    »Undercovermission«, schlug Leyden vor. »Wir schleichen uns auf diesem doppelten Maschinenring ein ...«

    Diesmal war es Tolot, der abwinkte. »Meine Kund-schaftersonde ist entdeckt worden, gegen jede Wahr-scheinlichkeit. Ein Einsatzteam kommt erst recht nicht unbemerkt rein. Allein die Idee ist abwegig. Wenn über-haupt, haben wir vielleicht auf Layl eine Chance. Eine

  • 19

    ganze Planetenoberfläche kann nicht so lückenlos über-wacht werden wie eine Baustelle im freien Raum, egal wie groß sie ist.«

    »Zudem gibt es auf Layl möglicherweise mehrere geeig-nete Ziele«, ergänzte Rhodan. »Zum einen das Laurinhabi-tat, zum anderen den Landepunkt der zwanzig Bestien-schiffe. Wir können vor Ort entscheiden, welches davon mehr Informationen verspricht.«

    »Und wir sind immerhin schon einmal auf Layl gewesen«, beteiligte sich Gucky zum ersten Mal am Gespräch. »Be-kanntes Terrain vereinfacht unsere Mission.«

    »Leider können wir von den Laurins vor Ort keine Hilfe erwarten.« Rhodan seufzte. »Es sieht ja so aus, als machten sie mit den Bestien gemeinsame Sache.«

    »Da bin ich mir nicht mehr sicher«, widersprach Tolot. »Meine Kundschafter haben den Ablauf der Verfolgungs-jagd noch einmal analysiert. Wir haben die Laurinschiffe bereits kämpfen sehen, beispielsweise bei den Ereignissen rund um Sedna im Solsystem. Die Waffensignaturen unter-scheiden sich vollständig von dem, was da auf meine For-schungssonden geschossen hat.«

    »Interessant«, stellte Rhodan fest. »Dann sind wir ja viel-leicht doch nicht auf uns allein gestellt. Also besteht Einig-keit: Wir wollen nach Layl.« Er ignorierte geflissentlich, dass Leyden sich bislang nicht zu dem Plan geäußert hatte. »Die Frage ist, wie schaffen wir das?«

    »Undercovermission«, sagte der Hyperphysiker zum zwei-ten Mal.

    Rhodan zog die Augenbrauen zusammen. »Wie stellen Sie sich das vor?«

    »Einfach.« Leyden lehnte sich in seinem Sessel zurück, schlug ein Bein über das andere und gestikulierte großspu-rig. »Wir verkleiden Tolot als Bestie und ...«

    Der Rest des Satzes ging in Tolots donnerndem Gebrüll unter. Der Haluter sprang auf und stürzte sich mit zwei er-hobenen Fäusten auf Leydens Platz.

    Der Physiker schoss wie eine Rakete daraus empor, knapp

  • 20

    bevor Tolot ihn erreichte, zwei Meter hinauf in die Luft. Knapp unterhalb der Kabinendecke kam er zur Ruhe. Sein Sessel kippte hintenüber.

    »Lass ihn runter, Gucky«, sagte Rhodan ruhig. »Tolotos, alles in Ordnung bei dir?«

    »Ja«, sagte der Haluter finster. »Bitte entschuldige meine Unbeherrschtheit.«

    »Die Bitte solltest du vielleicht eher an Eric Leyden richten.«Sie beide sahen zu, wie Gucky den Physiker mit seiner

    telekinetischen Gabe wieder auf den Teppich brachte. Den letzten halben Meter ließ er Leyden einfach fallen. »Blöde Idee«, giftete der Ilt den Wissenschaftler an. »Sogar für dei-ne Verhältnisse.«

    »Was habe ich denn ...?«Rhodan unterbrach ihn. »Es ist ein kulturelles Tabu. Die

    friedfertigen Haluter von heute und die kriegslüsternen Bestien haben nichts mehr gemein. Aber die Haluter fühlen sich dafür verantwortlich, dass eine Gefahr wie die Bestien aus ihren Genen gezüchtet wurde. Einen Haluter zu bitten, sich als Bestie auszugeben ...«

    »... bleibt nicht ungestraft«, beendete Tolot den Satz düster.»Pff«, machte Leyden. »Mit Verlaub, aber: Was für ein

    Quatsch! Ich weiß genau, dass Sie selbst, Rhodan, einen Ha-luter dazu überredet haben.«

    »Mister Leyden«, sagte Rhodan eisig. »Ich weiß nicht ge-nau, woher Sie Ihre Informationen beziehen. Aber entweder sind Sie nicht vollständig im Bilde oder Sie wählen nur die Steinchen aus dem Mosaik, die Sie für Ihre Argumente brau-chen können.«

    »Das wäre unwissenschaftlich«, entgegnete Leyden pi-kiert. Danach flötete er mit Unschuldsmiene: »Aber betrach-ten wir doch die Fakten. Haben Sie oder haben Sie nicht Fancan Teik gebeten, sich als Bestie auszugeben?«

    Rhodan schloss die Augen und atmete tief durch. Icho To-lots alter Weggefährte war der Menschheit mehr als zehn Jahre lang Freund und Mentor gewesen. Bis zu dem Tag, an dem Rhodan ihm genau diese verhängnisvolle Frage gestellt

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    hatte. »Das habe ich«, gab er leise zu. »Teik wollte es nicht, aber er hat sich überwunden und auf mich gehört. Wenige Stunden später war er tot, ermordet von der Bestie, die er für mich täuschen sollte.«

    »Aus einem einzigen Fehlschlag«, konterte Leyden, »lässt sich noch nicht ableiten, dass die Methode fehlerhaft ist. Ich erinnere mich an Ihre lächerlichen Maahk-Ganzkörper-masken, die Sie damals eingesetzt haben. Obwohl Sie letzt-lich aufgeflogen sind, konnten wir trotzdem unter anderem dadurch der Maahkbedrohung Herr werden.«

    »Laut der alten Einsatzprotokolle«, stellte Tolot nüchtern, aber mit unterschwelligem Beben in der Stimme fest, »saßen Sie und Ihr Team, während mein Freund Teik gestorben ist, in einem luxuriösen Tagungshotel im Indischen Ozean und haben sich betrunken. Sie sind kaum in der Position, sich über die damaligen Geschehnisse zu äußern. Ich rate drin-gend davon ab, diesen Vorschlag weiterzuverfolgen.« Der drohende Klang des letzten Satzes ließ keinen Spielraum zur Interpretation.

    »Meinetwegen«, sagte der Physiker im Schmollton. »Ich gebe sogar gern zu, dass es vielleicht nicht meine brillanteste Idee war. Da gibt es ja auch eine Menge Konkurrenz. Die nächste Frage wäre dann wohl: Hat jemand einen besseren Einfall?«

    Rhodan schwieg. Er fand sich in der seltenen Lage wieder, dass ihm nichts Brauchbares in den Sinn kam. Auch die beiden Außerirdischen hatten nichts beizusteuern.

    Es dauerte nur wenige Sekunden, dann breitete sich ein selbstgefälliges Grinsen auf Eric Leydens Gesicht aus. Doch bevor der Physiker seinen Triumph auskosten oder etwas weiteres Dummes sagen konnte, stand Icho Tolot auf und verließ wortlos den Raum.

    »Was soll das denn?«, rief ihm der Chefwissenschaftler hinterher. »Wir haben noch keine ...«

    »Lassen Sie ihn gehen«, sagte Perry Rhodan. »Am besten, Sie sind still und lassen uns nachdenken.«

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    Es half nichts. Wie sie es auch drehten und wendeten, die Lage blieb dieselbe: ein lebensfeindliches System, in dem die FERNAO und die DOLAN nur unter Schwierigkeiten manövrieren konnten. Ein technisch und militärisch weit überlegener Gegner mit unbekannten Absichten. Völlig un-klare Machtverhältnisse im Zielgebiet. All das deutete auf eine Selbstmordmission hin.

    Nicht, dass das Perry Rhodan unbedingt abgeschreckt hätte. Der Knackpunkt war jedoch: Sie hatten keine Chan-ce, unbemerkt zu landen. Sie brauchten also einen Vorwand, warum die Bestien sie danach unbehelligt lassen sollten. Nur eine Spezies hatte echte Chancen, das zu erreichen: nämlich die Bestien selbst.

    Und in einem hatte Eric Leyden leider recht. Die Versuche der Menschheit, sich mit Ganzkörpermasken als Außerir-dische auszugeben, waren nicht gerade eine Erfolgsge-schichte.

    Perry Rhodan beschloss, ein weiteres Mal mit Icho Tolot zu sprechen, diesmal allerdings unter fünf Augen. Vielleicht zeigte sich der Haluter dann zugänglicher. Eine Verkleidung als Bestie stand selbstverständlich außer Frage. Aber viel-leicht konnte er gemeinsam mit den Technikern der FER-NAO eine Simulation erschaffen, die neugierige Fragen der Besatzer auf Layl abzuwiegeln vermochte.

    Er fand Tolot in einem kleinen Observatorium der FER-NAO, auf dem Boden sitzend. Allerdings betrachtete der Haluter keine Sternkonstellationen, sondern ließ einen ho-lografischen Film ablaufen. Rhodan bekam einen Kloß im Hals, als er erkannte, was sich Tolot ansah: Fancan Teiks letzten Kampf. Rhodan war selbst dabei gewesen, genauso wie viele andere Weggefährten. Aus den Aufzeichnungen all ihrer Raumanzüge hatte eine Positronik den kompletten Ablauf des Gefechts der Giganten rekonstruiert, die im wahrsten Sinne des Wortes Gebirge erschüttert hatte.

    Rund neun Jahre lag die Auseinandersetzung zurück. Rhodan presste die Lippen zusammen, als ihm das damali-ge Geschehen vor Augen geführt wurde. Er sah Fancan

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    Teik, der an jenem Tag gestorben war. Tim Schablonski, der sich abseits der Kampfzone um den verletzten Cel Rainbow kümmerte. Schablonski war in jede Auseinandersetzung gegangen, als könnte ihm nichts geschehen. Ein Irrtum, wie sich vor wenigen Tagen gezeigt hatte.

    Tuire Sitareh. Um Jahrzehnte gealtert, seit er in ein Zeit-phänomen geraten war.

    Tani Hanafe. Sie hatte sich von der Menschheit abgewandt und sich einem fremden Volk in einer anderen Galaxis an-geschlossen.

    John Marshall. Er war wie Hanafe in Andromeda zurück-geblieben, der Kontakt war abgerissen.

    Nur drei der acht damals Anwesenden folgten noch un-versehrt dem alten Ziel: Cel Rainbow, Gucky und Perry Rhodan selbst. Der Blick in die Vergangenheit machte ihm bitter bewusst, welch hohen Preis die Menschheit für ihren Vorstoß zu den Sternen zahlte.

    Im Holo schlug die Bestie Masmer Tronkh dem Haluter beide Fäuste in die Brust. Tronkh riss Fancan Teik beide Herzen heraus und hielt sie triumphierend in den Himmel.

    Tolot hielt den Film an. Die Anspannung und sein lodern-der Zorn waren fast mit Händen greifbar. Rhodan blieb stumm. Es war kein guter Moment, seinen außerirdischen Mitstreiter zur Hilfe zu drängen.

    »Ich tue es«, sagte Tolot grollend.Rhodan war überrascht. »Was?«»Ich werde das Tabu brechen. Was auch immer die Besti-

    en vorhaben, es darf nicht geschehen. Mein Seelenfrieden spielt im Vergleich dazu keine Rolle.«

    »Darum wollte ich dich gar nicht bitten!«, sagte Rhodan schnell. »Eigentlich hatte ich überlegt, ob wir nicht mit der Simulation einer Bestie ...«

    »Können wir nicht«, unterbrach Tolot. »Wenn wir landen und unser Raumfahrzeug durchsucht wird, muss ein Ablen-kungsmanöver aus Fleisch und Blut vor den Bestien stehen. Und es gibt nur einen, der das liefern kann. Ich.«

    Noch einmal dachte Rhodan scharf nach, suchte nach ei-

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    ner Möglichkeit, seinem Freund diesen Weg zu ersparen. Er fand keine. »Danke«, sagte er leise.

    Tolot schwieg. Er ließ den Film im Schnelldurchgang weiterlaufen, bis zu der Stelle, an der Rhodans Gruppe die Bestie durch eine Mischung von Teamwork, Tollkühnheit und in erster Linie unverschämt viel Glück außer Gefecht gesetzt hatte. Dann hielt der Haluter die Aufzeichnung er-neut an.

    »Ihr hättet ihn damals töten können«, sagte er leise. »Wa-rum habt ihr es nicht getan?«

    »Es ...« Rhodan überlegte. »Es war nicht die Art, wie wir Menschen bei unserem Vorstoß ins All handeln wollten. Er war wehrlos, wir waren sicher. Warum sollten wir ihn er-morden?«

    Wortlos zeigte Tolot auf die Abbildung von Teiks Leiche im Hintergrund.

    Rhodan zuckte mit den Schultern und sah zu Boden. »Du kennst mich. So bin ich nicht.«

    Der Haluter schwieg lange. »Beurteilst du heute anders, was du damals getan hast?«

    Rhodan dachte darüber nach. Bei der nächsten Begeg-nung mit Masmer Tronkh hatte die Bestie eine Invasions-armee der Sitarakh angeführt. Zwei Jahre nach Teiks Tod hatten diese Wesen die Erde besetzt. Millionen Menschen waren umgekommen, als ihre Raumschiffe angegriffen und ihre gewaltigen experimentellen Industriekomplexe unter-schiedlichste Naturkatastrophen ausgelöst hatten. Rhodans Freund Frank Haggard war im Kampf gegen Tronkh ge-fallen.

    »Vielleicht«, antwortete Perry Rhodan schließlich. »Ich mache mir jedenfalls Vorwürfe.« Leise setzte er hinterher: »Ziemlich oft sogar.«

    »Dann setzen wir dieses Gespräch später fort«, sagte Icho Tolot. Er erhob sich. »Lass uns anfangen.«

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    PERRY RHODAN NEO Band 188 ist ab dem 30. November 2018 im Handel erhältlich.

    Der Roman ist dann auch als E-Book und als Hörbuchzum Download verfügbar.