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TRUPPENDIENST 1/2010 79 Einsatz Der „Sandschak“ (Sandschak Novi Pazar) Das 8.687 km² große Gebiet des Sandschaks Novi Pazar mit rund 427 000 Bewohnern liegt zwischen Albani- en, Montenegro, Bosnien und Herzego- wina, Serbien und dem Kosovo. Es hat, wie alle ihn umgebenden Regionen, eine sehr wechselvolle und kriegeri- sche Geschichte. Heute ist es ein zweigeteiltes Gebiet, das teils zu Serbien und teils zu Mon- tenegro gehört. Insgesamt wird das Ge- biet laut Volkszählungen 2002/2003 von rund 52 Prozent moslemischen Einwoh- Die Betrachtung des „Sandschaks“ und der „Republika Srpska“ bildet den Abschluss des Beitrages „Sag niemals Nie“, einer Formulierung des Balkanexperten Tim Judah als Kerngedanken weiterer Autonomie- bestrebungen und möglicher Staatenbildungen in Südosteuropa. Autor: Oberst dhmfD a. D. Dr. Alfred C. Lugert; Sozialwissenschafter, u. a. früherer Associate Professor of Political Science an der UNO-University of New Orleans (USA), Direktor und Militärdiplomat bei der OSZE- Mission für Bosnien und Herzegowina; als Offizier der Reserve im Auslandseinsatz bei UNFICYP (Zypern) und EUFOR Althea (Bosnien und Herzegowina).

Die Betrachtung des „Sandschaks“ und der „Republika Srpska ... · TRUPPENDIENST 1/2010 81 Einsatz von Bosnien und Herzegowina (FBiH) und der „Republika Srpska“ (RS). Die

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Einsatz

Der „Sandschak“(Sandschak Novi Pazar)

Das 8.687 km² große Gebiet desSandschaks Novi Pazar mit rund 427000 Bewohnern liegt zwischen Albani-en, Montenegro, Bosnien und Herzego-wina, Serbien und dem Kosovo. Es hat,

wie alle ihn umgebenden Regionen,eine sehr wechselvolle und kriegeri-sche Geschichte.

Heute ist es ein zweigeteiltes Gebiet,das teils zu Serbien und teils zu Mon-tenegro gehört. Insgesamt wird das Ge-biet laut Volkszählungen 2002/2003 vonrund 52 Prozent moslemischen Einwoh-

Die Betrachtung des „Sandschaks“ und der „Republika Srpska“ bildet den Abschluss des Beitrages „Sagniemals Nie“, einer Formulierung des Balkanexperten Tim Judah als Kerngedanken weiterer Autonomie-bestrebungen und möglicher Staatenbildungen in Südosteuropa.

Autor: Oberst dhmfD a. D. Dr. Alfred C.Lugert; Sozialwissenschafter, u. a. frühererAssociate Professor of Political Science ander UNO-University of New Orleans (USA),Direktor und Militärdiplomat bei der OSZE-Mission für Bosnien und Herzegowina; alsOffizier der Reserve im Auslandseinsatz beiUNFICYP (Zypern) und EUFOR Althea(Bosnien und Herzegowina).

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nern besiedelt, die sich mehrheitlich(etwa 45,5 Prozent) als Bosniaken undzu etwa 6,5 Prozent als Muslime be-zeichnen. Rund 37 Prozent geben an,Serben und rund sieben Prozent Monte-negriner zu sein.

1991 stimmten rund 98 Prozent vonrund 69 Prozent der als wahlberechtigtregistrierten Einwohner in einem Refe-rendum für eine Autonomie des Sand-schak Novi Pazar. Dadurch wurde dasProblem „Sandschak“ erneut offen-sichtlich. Die internationale Staatenge-meinschaft erkannte die Notwendigkeit,sich intensiv mit diesem Problem zu be-schäftigen. Die Organisation für Sicher-heit und Zusammenarbeit in Europa(OSZE) hatte deshalb mit Beschlussvom 14. August 1992 eine Langzeit-mission für den „Sandschak“ - gemein-sam mit dem Kosovo und der Vojvo-dina - eingerichtet.

Die OSZE-„Langzeitmission“Die Aufgaben dieser Mission waren:

- Die Förderung des Dialoges zwi-schen den Behörden und den Volks-gruppenführern;

- Das Sammeln von Informationenüber etwaige relevante Verletzungender Menschenrechte;

- Die Unterstützung der Maßnahmenzur Lösung dieser Probleme;

- Die Einrichtung von Kontaktstellen zurLösung der identifizierten Probleme;

- Die Bereitstellung von Informationenüber relevante Gesetzgebung im Men-schenrechtsbereich zu unterstützen;

- Den Schutz von Minderheiten und dieMedienfreiheit zu garantieren sowie

- Demokratische Wahlen zu ermöglichen.Die Mission startete ihre Tätigkeit am8. September 1992. Ein Memorandumof Understanding (MOU) - eine Art

von Privilegien- und Immunitätsab-kommen, welches die Führung einerMission üblicherweise mit dem Gast-land abschließt - wurde mit den (rest)jugoslawischen Behörden am 28. Ok-tober 1992 in Belgrad unterzeichnet.Das abgelaufene MOU wurde aller-dings seitens der Föderativen Repub-lik Jugoslawien (das spätere Serbien)bereits im Juli 1993 nicht verlängert.

Die Kriegsereignisse in Ex-Jugosla-wien, insbesondere die weiteren Ent-wicklungen in Bezug auf Monteneground das Kosovo hatten anschließenddie internationale Beobachtung undÜberwachung des „Sandschaks“ starkeingeschränkt.

2006 wurde Montenegro unabhän-gig, weshalb das Gebiet des „Sand-schaks“ in zwei Teile zerfiel. SechsBezirke befinden sich nunmehr in Ser-bien, fünf Bezirke in Montenegro. DieAutonomiebestrebungen sind nach wievor aufrecht, haben derzeit aber durchdie Teilung sehr geringe Chancen.

Dennoch wird es notwendig sein, dieGründe und Umstände etwaiger politi-scher oder religiöser Erregung derbosniakisch-moslemischen Minderheitin beiden Staaten (Montenegro undSerbien) genau zu beobachten, umUngerechtigkeiten oder gar Übergriffezu verhindern, und um in der Zukunftkeine sicherheitsgefährdenden Überra-schungen zu erleben. Die Bevölkerungder beiden Teile des „Sandschaks“ hatdas Autonomiereferendum von 1991mit dem überwiegend zustimmendenErgebnis sicher nicht vergessen.

Die demokratische Reife von Serbienund von Montenegro wird in Zukunftvon der internationalen Staatengemein-schaft und ihren Organisationen im zu-nehmenden Maße am politischen undadministrativen Verhalten gegenüber

den Minderheiten gemessen werden.Das gilt besonders auch für eine Auf-nahme in die Europäische Union.

Die „Republika Srpska“Die „Republika Srpska“ - eine der

beiden Entitäten („Entität: Dasein/Grö-ße“; Anm.) von Bosnien und Herzego-wina - ist ein Produkt des internationalverhandelten Dayton-Abkommens vom14. Dezember 1995. Die serbischeVolksgruppe bemühte sich schon vorher,die Unabhängigkeitsbestrebungen dermoslemischen und kroatischen Volks-gruppen in der Republik von Bosnienund Herzegowina (RBiH) von Rest-Ju-goslawien im Jahre 1991 nicht zu ak-zeptieren. Am 9. Jänner 1992 wurdedeshalb von der bosnisch-serbischenVersammlung die „Republika Srpska“ausgerufen. Am 6. März 1992 erklärtesich die RBiH unabhängig, und wurdeam 6. April 1992 von den USA und derEuropäischen Gemeinschaft (EG) aner-kannt. Von 1992 bis 1995 befanden sichdie bosnischen Serben („Republika Srp-ska“), die moslemische, und die kroati-sche Bevölkerung der RBiH de facto imKriegszustand. Der grausam geführteKrieg mit mehr als 100 000 Toten undbis zu zwei Millionen Vertriebenenkonnte trotz Präsenz von UN-Truppen(UNPROFOR) erst durch das Eingrei-fen der USA und mit dem Friedensver-trag von Dayton beendet werden.

DaytonIm Annex 4 der in Dayton vereinbar-

ten Verfassung ist im Art. I Abs. 3 fest-geschrieben, dass der früher Republikgenannte Staat Bosnien und Herzegowi-na (BiH), nunmehr aus zwei „Entitäten“bestehen solle, nämlich der Föderation

Grafik: Internet

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von Bosnien und Herzegowina (FBiH)und der „Republika Srpska“ (RS). DieBezeichnung Entitäten lässt sich dahin-gehend interpretieren, dass man nichtrecht wusste, ob man diese Teile vonBiH als autonome Provinzen, als Bun-desländer, oder als Länder einer Konfö-deration bezeichnen sollte. Die unter-schiedlichen Bezeichnungen der Entitä-ten als Föderation und Republik sindebenfalls eigenartig und schaffen Un-klarheiten und damit Konfliktstoff.

Dieser Konfliktstoff wird auch offen-kundig, wenn man im Dayton-Abkom-men den Art. III Abs. 2 „Responsibilitiesof the Entities“ lit. (a) und (d) heranzieht,wo den Entitäten das Recht zugesprochenwird, spezielle parallele Beziehungen mitbenachbarten Staaten aufzunehmen, undwo die Entitäten sogar Vereinbarungenmit anderen Staaten und internationalenOrganisationen treffen können. Im Sep-tember 2006 hat die „Republika Srpska“ein dementsprechendes Abkommen mitSerbien geschlossen, um die ökonomi-sche und institutionelle Zusammenarbeitzu intensivieren. Um auch die internati-onalen Beziehungen stärker zu manifes-tieren, hat die „Republika Srpska“ im Fe-bruar 2009 sogar ein Verbindungsbürozur Europäischen Union (EU) in Brüsseleröffnet.

Bezüglich der zweiten Entität imhauptsächlich moslemisch-katholischen(bzw. bosniakisch-kroatischen) Teil vonBosnien und Herzegowina, der Födera-tion von Bosnien und Herzegowina, istder oben genannte Art. III Abs. 2 natür-lich ebenfalls gültig und bezieht sich defacto auf die im Jahre 1994 noch vorDayton unterzeichnete Vereinbarung

atischen Volksgruppe, das gleicheRecht auf eine eigene Entität zu haben,wie es die serbische Volksgruppe hat.Die vierte Entität sollte die gemeinsa-me Hauptstadt Sarajewo à la Washing-ton D. C. sein.

Die Rolle der USABemerkenswert ist die frühere Aussa-

ge des U.S. Chefverhandlers für denDaytonvertrag, Richard Holbrooke, derim Juni 1996 in einem Schreiben an dendamaligen U.S. Präsidenten Bill Clintondie Problematik der im Vertrag festge-legten Aufteilung („Partition“) und dermöglichen zukünftigen Aufteilung be-handelte. Holbrooke sprach von derGefahr einer realen Möglichkeit einerweiteren Aufteilung Bosniens in dreiTeile innerhalb weniger Jahre. Hol-brooke meinte zwar, dass sich die USAgegen eine solche weitere Aufteilungausgesprochen hätten, obwohl, wie ermeinte, die nationalen Interessen derUSA nicht direkt betroffen seien, ob nunBosnien ein Land, oder zwei Länder,oder gar drei Länder darstelle. Wichtigwar ihm aufzuzeigen, wie die umfassen-de Rolle der USA in der Zeit nach derBeendigung des Kalten Krieges vomErgebnis der Entwicklung in Bosnienbeeinflusst würde.

Die durch das Dayton-Abkommen inBosnien und Herzegowina erzieltenErfolge waren ohne Zweifel die Been-digung der Kämpfe und die seit Ver-tragsabschluss erfolgte weitere Stabili-sierung der militärischen Sicherheit.

Die Erfüllung der in Dayton be-schlossenen Verfassungsbestimmun-gen, aber auch die Bestimmungen al-ler anderen Vertragspunkte durch diePolitiker und Behörden von Bosnienund Herzegowina und ihrer Entitäten,wurden vom Büro des Hohen Reprä-sentanten und anderen internationalenOrganisationen sowie von den Vertre-tern verschiedener Länder genauestensbeobachtet.

Bei nicht konformen Handlungenwurde von den Hohen Repräsentantenimmer häufiger Sanktionen gegen po-litische Mandatare und Entscheidungs-träger verhängt. Andererseits erkanntendie Vertreter der internationalen Ge-meinschaft immer klarer, dass es Ver-besserungen, d. h. Veränderungen zum

von Washington („Washington Agree-ment“). Damals wurde sogar eine mög-liche Konföderation der FBiH mit derRepublik Kroatien festgehalten.

KonfliktstoffMan darf sich also über den Kon-

fliktstoff der Divergenz der Entitätennicht wundern. Das gilt auch für die in-ternen Spannungen innerhalb der En-titäten, z. B. innerhalb der FBIH. Diessind Spannungen, die u. a. darauf be-ruhen, dass der kroatischen (überwie-gend katholischen) Volksgruppe keineeigene Entität zugestanden wurde,auch die 1994 versprochene Konfö-derationslösung durch Dayton (abgese-hen vom Art. III Abs. 2) obsolet wur-de, und die internationale Staatenge-meinschaft unsicher war, wie dieVolksgruppeninteressen in der FBIHerfolgreich zu koordinieren wären.

Die aktuelle Situation im Raum Mo-star - mit ihrer fehlgeschlagenen regio-nalen Regierungsbildung zwischen demkroatischen und dem bosniakischen„Teil“ - zeigt auf, was passiert, wenn dieinternationale Staatengemeinschaft, ohnedemokratische interethnische Vereinba-rung, per Dekret eine „gemeinsame“lokale Regierung einsetzt.

Die Frage der Gemeinsamkeit oderder Divergenz beider Entitäten im Rah-men von Bosnien und Herzegowina istseit dem Dayton-Abkommen das „gro-ße“ Thema für die weitere Entwick-lung. Nicht nur das, sondern auch dieFrage einer Neuordnung in drei bisvier Entitäten besteht und ist sogaraktuell. Grund ist der Wunsch der kro-

DieFlaggeder„RepublikaSrpska“.

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Vertragstext, im Sinne einer Stärkungdes Gesamtstaates geben sollte. Der in-ternationale Wunsch nach Veränderun-gen stand allerdings im Gegensatz zurForderung nach einer strikten Ein-haltung des Vertrages von Dayton.

Der Änderungswunsch wurde daheroft mit dem Ruf nach einem „DaytonII-Vertrag“ ausgedrückt. Zu einem sol-chen Schritt konnte man sich allerdingsnicht durchringen und es blieb bei den- intern widersprüchlich aufgenomme-nen - Einzelmaßnahmen. Bei diesen In-itiativen kam es deshalb auch zu Ableh-nungen von lokalen Regierungsstellenund zu schwerwiegenden Kontroversen.Die Stabilisierung der militärischen Si-cherheit wurde zunächst durch Maß-nahmen erreicht, die nicht im Vertragvon Dayton festgeschrieben waren. DieStreitkräfte der „Republika Srpska“ undder Föderation wurden nach achtjähri-gen Bemühungen und Druck besondersseitens der USA und der NATO in einegemeinsame Armee übergeführt. Weite-re, nicht im Vertrag von Dayton veran-kerte Maßnahmen zur Stärkung derZentralregierung, wie gleiche Num-merntafeln für die Fahrzeuge, gesamt-staatliche Grenzpolizei und Nachrich-tendienste, wurden erzielt. Nicht wirk-lich erfolgreich war die Bemühung, einegemeinsame Polizeiadministration -über die Grenzen der beiden Entitätenhinweg - zu schaffen. Hier gibt es prak-

tisch nur EU-orientierte Erklärungen,um die Beitrittsgespräche nicht zu blo-ckieren.

Die Frage der VerfassungGanz wesentlich und Kernpunkt für

die Beurteilung der zukünftigen Ent-wicklung der „Republika Srpska“ (unddamit auch der Föderation von BiH, unddes Gesamtstaates) ist die Frage der Ver-fassung. Der Versuch, eine neue Verfas-sung im BiH-Parlament mit einer Zwei-drittelmehrheit „durchzubringen“, umdamit der Zentralregierung mehr Machteinzuräumen, ist bisher - trotz intensiv-ster Bemühung der USA - fehlgeschla-gen. Die seitens der USA offen ausge-sprochene Forderung, die 1995 von ih-nen selbst initiierte Verfassung von BiHzu ändern, wurde im November 2005anlässlich des 10. Jahrestages des Day-ton-Abkommens nochmals untermauert.Ziel der Änderung war - kurz gesagt -die Stärkung des Gesamtstaates, wasgleichbedeutend mit der Schwächungder Autorität der Entitäten und der ein-zelnen Volksgruppen gewesen wäre.

Nach intensivsten Versuchen der ame-rikanischen Unterhändler, die diversenParlamentsparteien zu beeinflussen und zuüberreden, der vorgelegten Verfassungs-änderung zuzustimmen, wurde am 26.April 2006 die entsprechende Abstim-mung im Repräsentantenhaus durchge-

führt. Das Ergebnis war die Ablehnungdes Entwurfes, da die notwendige Zwei-drittelmehrheit nicht erreicht wurde.

Mehr Macht für die Zentralregierungwürde weniger Macht für die Entitätenbedeuten, bis hin zu einer möglichenAuflösung der Entitäten. Eine Ver-fassungsänderung würde natürlich dasKernstück des Dayton-Abkommensbetreffen, dessen Einhaltung stets zurKonsolidierung von BiH und des ge-samten Balkans eingefordert und hochgehalten wurde.

Eine Auflösung der Entitäten entsprä-che dem Wunsch der moslemischen(bosniakischen) Seite, die mehrfach dieExistenz der „Republika Srpska“ als dieExistenz eines durch Genozid geschaf-fenen Gebildes bezeichnet. Für diebosnisch serbische Seite hingegen istdas weitere Bestehen der Entitäten dieim Vertrag von Dayton erzielte Mini-mallösung. Jeder weitere verfassungs-und verwaltungsrechtliche Autoritäts-verlust wird abgelehnt. Man verweistdarauf, dass die internationale Staaten-gemeinschaft stets auf die strikte Ein-haltung von Dayton gepocht, und mitHilfe der „Bonn Powers“ (besondereBefugnisse des Hohen Repräsentantenzur Durchsetzung des Vertrages) durchden Hohen Repräsentanten auch durch-gesetzt hat.

Eine baldige Volkszählung (Zensus2011), die Beibehaltung der Entitäts-struktur und die Option auf ein Referen-dum wären Forderungen der „RepublikaSrpska“. Aus bosnisch serbischer Sichtist ein Verbleib im weitgehend „un-geliebten“ politischen Rahmen vonBosnien und Herzegowina nur dannmöglich, wenn die „Republika Srpska“in der derzeitigen Verfassungsform mit(nahezu) ungeschmälerten Rechten be-stehen bleiben kann. Im Falle einer vonaußen kommenden - einseitigen - Än-derung wurde bereits einige Male aufdie Option eines Unabhängigkeits-referendums hingewiesen. Der Konfliktwürde offen ausbrechen.

Die Versuche von internationaler Sei-te - insbesondere der USA - eine Ver-fassungsänderung durchzusetzen, gehenbis heute weiter. Eine Beratergruppe derUSA, die International Crisis Group(ICG), erhoffte Anfang 2009 das Endeder Funktion des „Hohen Repräsentan-ten“ mit Jahresende 2009. Bis dahin

Die Flagge des Sandschaks Novi Pazar.

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sollte diese Funktion von einem starkenRepräsentanten besetzt sein, wobeidamals nicht an einen österreichischenStaatsmann oder Diplomaten gedachtwurde. Klarerweise war auch von derAufgabe die Rede, die Verfassungs-reform zu unterstützen und die Ab-spaltung einer Entität zu verhindern. Eswar deshalb nicht verwunderlich, aller-dings sehr unklug, dass die USA unddie EU ihre jüngsten Verhandlungenmit den Volksgruppenvertretern undden bosnisch-herzegowinischen Partei-en ohne Einbeziehung des Hohen Re-präsentanten, des österreichischenSpitzendiplomaten Valentin Inzko ge-führt haben. Es war geradezu eineBrüskierung. (Tageszeitung „Die Pres-se“, 22. Oktober 2009, Gastkommentar:„Die Autorität des Hohen Repräsentan-ten wurde beschädigt“; Anm.)

Gesprächeauf internationaler Seite

Die Gespräche wurden auf inter-nationaler Seite vom schwedischenAußenminister Carl Bildt geführt, be-gleitet vom EU Erweiterungskom-missar Ollie Rehn und dem stellvertre-tenden Außenminister der USA, JimSteinberg. Diese Gespräche endetenübrigens am 21. Oktober 2009, ohneeine Akzeptanz der Vorschläge der in-ternationalen Staatengemeinschaftdurch die bosnisch-herzegowinischenVertreter zu erzielen.

Parallel zu den Gesprächen wurde vonmoslemisch-bosniakischer Seite von ei-ner sehr brisanten Situation im Landegesprochen, die zum Ausbruch einesneuen Bürgerkrieges hätte führen kön-nen. Diese Befürchtung wird bereits seitlängerer Zeit geäußert und hat als Aus-gangspunkt die mehrfachen Aussagendes Ministerpräsidenten der „RepublikaSrpska“ (RS), Milorad Dodik, dass einReferendum zur Unabhängigkeit derEntität RS in Betracht gezogen würde,falls es zu einer Beeinträchtigung ihrerAutorität und Integrität käme.

Am 6. November 2009 wiederholteMilorad Dodik gegenüber dem SenderB92 in Serbien, dass er ein „Legalist“ sei,der die geltende Verfassung laut Dayton-Vertrag respektiere. Seine Priorität seieine „RS innerhalb von Bosnien undHerzegowina“, ohne einer Druckaus-

übung von außen und ohne erzwungeneVerschiebung der Jurisdiktion der Enti-täten hin zum Gesamtstaat. Seine Regie-rung würde das nicht dulden.

ResumeeGrundsätzlich scheint bei der Neu-

ordnung in Südosteuropa der Prozessder Konsolidierung und möglicher„Desintegration“ im südosteuropäi-schen Raum noch nicht abgeschlossenzu sein. Ein solcher Prozess kann ver-schiedene Formen annehmen, und istauch im europäischen Kontext zu se-hen, wo es sowohl eine weitere umfas-sende Integrationstendenz im Rahmender EU, wie auch regionale „Unabhän-gigkeitstendenzen“ gibt, die allerdingsnicht im Gegensatz zueinander stehen.

In Europa gibt es rund 80 Autonomie-und Unabhängigkeitsbewegungen, vondenen aber nur ganz wenige eine mittel-fristige „Chance“ auf Erfolg zu habenscheinen. Diese Autonomiebewegungen(„Europa der Regionen“) stehen nichtim Gegensatz zur europaweiten Integra-tion, sondern nur im Gegensatz zu dennationalstaatlichen Ausprägungen („Eu-ropa der Vaterländer“), basierend aufden Konzepten des 19. Jahrhunderts.Um die weitere Neuordnung im süd-

osteuropäischen Raum in friedlichemRahmen ablaufen zu lassen, sind nichtnur die internationalen und national-staatlichen Systembereiche zu regeln,sondern auch die Bedürfnisse derBevölkerungsgruppen zu berücksichti-gen! Das Hauptaugenmerk ist zuerstvielmehr noch - als Grundlage vonLösungsmechanismen - auf die Be-dürfnisse der Menschen in materiellerund ideeller Hinsicht zu richten, undihnen soziale, kulturelle, wirtschaftli-che und militärische Sicherheiten inallen Lebensbereichen zu bieten.

Ein hoher Grad an Sicherheit ist anzu-streben, wodurch die nachbarschaftlichenBeziehungen zu den jeweils anderenVolksgruppen wesentlich erleichtert wer-den. Es ist zu hoffen, dass es daher um-sichtige Lösungskonzepte sowohl seitensder internationalen Gemeinschaft alsauch seitens der regionalen Entschei-dungsträger geben wird. Für die StaatenSüdosteuropas wäre dann eine akzeptier-te und erfolgreiche friedliche Koexistenzund Kooperation im Rahmen des Nord-atlantischen Bündnisses (NATO), und imRahmen der Europäischen Union zu er-warten. Diese Wünsche und diese Er-wartungslagen sind durchaus berechtigt.Es kann allerdings auch anders kommen:„Sag niemals Nie“ !

Blick auf die Altstadt von Sarajewo, der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina.

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