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Rechtswissenschaftlicher Teil Die deutsche Rechtslage: zur Präimplantationsdiagnostik A. Laufs Ethik Med (1999) 11: S55–S61 Bei der Präimplantationsdiagnostik potenzieren sich die Probleme, welche die Verfahren der In-vitro-Fertilisation und der Pränataldiagnostik aufwerfen. Katja Ruppel und Dietmar Mieth haben die ethischen Bedenken in ihrem Beitrag zu einem weiterführenden Sammelband auf eindrucksvolle Weise vorgetragen [21]. Diese Bedenken haben ihre Parallelen im Recht. Die Präimplantationsdiagnostik stößt in Deutschland auf verfassungs-, straf- und berufsrechtliche Hindernisse. Frei- lich erscheint noch nicht zu allen Punkten Klarheit gewonnen [17a], und rechtspo- litisch besteht keine Einigkeit, wenngleich die juristischen Reserven überwiegen. Präimplantationsdiagnostik an totipotenten Zellen Das Embryonenschutzgesetz von 1990 verbietet eindeutig die Diagnostik unter Verbrauch einer totipotenten Zelle. Darüber besteht unter Juristen Einverständnis. Nach diesem Gesetz gilt als Embryo „bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforder- lichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag“ (§ 8 Abs. 1). Totipotenz bedeutet die Fähigkeit zur Ausbildung eines voll- ständigen Individuums. Sie besteht jedenfalls bis zum Acht-Zell-Stadium. Wann sie endet, ist eine naturwissenschaftliche, keine normative Frage. Embryonen und damit auch totipotente Zellen bleiben von Rechts wegen einer naturwissenschaft- lichen oder medizinischen Nutzung entzogen, weil das Embryonenschutzgesetz in § 2 Abs. 1 bestimmt: „Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Ab- schluß seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“. Von den vier Tathandlungen ist bei der Präimplantationsdiagnostik regel- mäßig das „Verwenden“ einschlägig: der umfassende Auffangtatbestand, die lex generalis der „mißbräuchlichen Verwendung“. Der Kommentator Hans-Ludwig Günther ([9] § 2 Rdnr. 30, S 202) nennt als Beispiele einer objektiv tatbestands- mäßigen Verwendung, bei denen es an einem speziellen Verbot fehlt: „Kryokon- Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Adolf Laufs Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft, Arbeitsstelle für Medizinrecht, Universität Hei- delberg, Friedrich-Ebert-Platz 2, D-69117 Heidelberg

Die deutsche Rechtslage: zur Präimplantationsdiagnostik

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Rechtswissenschaftlicher Teil

Die deutsche Rechtslage: zur PräimplantationsdiagnostikA. Laufs

Ethik Med (1999) 11: S55–S61

Bei der Präimplantationsdiagnostik potenzieren sich die Probleme, welche die Verfahren der In-vitro-Fertilisation und der Pränataldiagnostik aufwerfen. KatjaRuppel und Dietmar Mieth haben die ethischen Bedenken in ihrem Beitrag zu einem weiterführenden Sammelband auf eindrucksvolle Weise vorgetragen [21].Diese Bedenken haben ihre Parallelen im Recht. Die Präimplantationsdiagnostikstößt in Deutschland auf verfassungs-, straf- und berufsrechtliche Hindernisse. Frei-lich erscheint noch nicht zu allen Punkten Klarheit gewonnen [17a], und rechtspo-litisch besteht keine Einigkeit, wenngleich die juristischen Reserven überwiegen.

Präimplantationsdiagnostik an totipotenten Zellen

Das Embryonenschutzgesetz von 1990 verbietet eindeutig die Diagnostik unterVerbrauch einer totipotenten Zelle. Darüber besteht unter Juristen Einverständnis.Nach diesem Gesetz gilt als Embryo „bereits die befruchtete, entwicklungsfähigemenschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einemEmbryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforder-lichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickelnvermag“ (§ 8 Abs. 1). Totipotenz bedeutet die Fähigkeit zur Ausbildung eines voll-ständigen Individuums. Sie besteht jedenfalls bis zum Acht-Zell-Stadium. Wannsie endet, ist eine naturwissenschaftliche, keine normative Frage. Embryonen und damit auch totipotente Zellen bleiben von Rechts wegen einer naturwissenschaft-lichen oder medizinischen Nutzung entzogen, weil das Embryonenschutzgesetz in§ 2 Abs. 1 bestimmt: „Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Ab-schluß seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryoveräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbtoder verwendet, wird mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafebestraft“. Von den vier Tathandlungen ist bei der Präimplantationsdiagnostik regel-mäßig das „Verwenden“ einschlägig: der umfassende Auffangtatbestand, die lexgeneralis der „mißbräuchlichen Verwendung“. Der Kommentator Hans-LudwigGünther ([9] § 2 Rdnr. 30, S 202) nennt als Beispiele einer objektiv tatbestands-mäßigen Verwendung, bei denen es an einem speziellen Verbot fehlt: „Kryokon-

Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Adolf LaufsInstitut für geschichtliche Rechtswissenschaft, Arbeitsstelle für Medizinrecht, Universität Hei-delberg, Friedrich-Ebert-Platz 2, D-69117 Heidelberg

servierung, Embryonenspende, Wegschütten des Embryos, Experimente an undmit ihm, Präimplantationsdiagnostik“. Das Gesetz verlangt freilich ein einschrän-kendes subjektives Tatbestandsmerkmal, nämlich als Absicht des Täters einen nichtder Erhaltung des Embryos dienenden Zweck.

Die Präimplantationsdiagnostik mittels totipotenter Zellen verstieße auch ge-gen das strafbewehrte Verbot des Klonens. § 6 Abs. 1 des Embryonenschutzge-setzes bestimmt: „Wer künstlich bewirkt, daß ein menschlicher Embryo mit dergleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Foetus, ein Mensch oder einVerstorbener entsteht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geld-strafe bestraft“. Weil die totipotente Zelle als Embryo unter dem Schutz des Ge-setzes steht, bedeutet ihre Abtrennung zum Zweck der genetischen Diagnose anihr in kultiviertem Zustand ein rechtswidriges und strafwürdiges Klonen ([9] § 2Rdn. 54, S. 208).

Die bisherigen Ergebnisse lassen sich auch verfassungsrechtlich begründen.Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt Menschenwürdeschon dem ungeborenen menschlichen Leben zu ([1] Leitsatz 1). Nach der berühm-ten Dürigschen Formel ist die Menschenwürde getroffen, „wenn der konkreteMensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewür-digt wird“ ([16] Art. 1 Abs. 1, Rdnr 28). Auch der ungeborene Mensch hat eingrundgesetzlich verbürgtes Recht auf körperliche Unversehrtheit. Der verfassungs-rechtliche Schutz körperlicher Unversehrtheit setzt wie das Lebensrecht mit derExistenz des Menschen ein, „gleich, in welchem Stadium und welcher Modalitätder Entwicklung er sich befindet … Als Objektivation und reale Basis sich ent-wickelnder menschlicher, mit Würde begabter Existenz kann der Körperlichkeitihr spezifischer verfassungsrechtlicher Schutz nicht versagt werden. Auch wennder ‚natürliche‘ Sprachgebrauch dem zu widerstreiten scheint, sind deshalb Mani-pulationen am befruchteten Ei – auch abgesehen von Bedenken aufgrund objekti-ver Verfassungsgrenzen hinsichtlich der Verfügung über die konkrete Erschei-nungsweise des Menschen – Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit des imEntstehen begriffenen Menschen; sie beeinträchtigen sein Recht auf störungsfreieEntwicklung gemäß den vorgegebenen Anlagen“, so der Öffentlichrechtler DieterLorenz im Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland ([15] S 15f).

Präimplantationsdiagnostik an Trophoblasten

Anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn Ärzte die Präimplantationsdiagnostikan bereits nicht mehr im Sinne von § 8 des Embryonenschutzgesetzes totipoten-ten Zellen des Trophoblasten, also am embryonalen Nährgewebe, vollzögen. De-ren Verbrauch verletzte § 2 Abs. 1 des Gesetzes nicht mehr, wenn die Überlebens-chancen des Restembryos gewahrt bleiben. Dabei gilt es, zwei verschiedene Fall-gruppen zu unterscheiden. Betrachtet seien zunächst die Sachverhalte, bei denendie Ärzte im Rahmen einer angezeigten Sterilitätstherapie mittels In-vitro-Fertili-sation die Methode der Präimplantationsdiagnostik anwenden, im Unterschied zuden Fällen, in denen die In-vitro-Fertilisation allein dem Zweck der Präimplanta-tionsdiagnostik dient. Dabei darf die kritische Betrachtung nicht beim Strafrechtdes Embryonenschutzgesetzes stehen bleiben. Das Strafrecht legt nur das ethischeMinimum fest, definiert nicht das ethische Optimum. Nicht alles, was der Gesetz-geber straffrei ließ, darf geschehen. Das gilt vornehmlich für die Ärzte, die in star-kem Maß ethisch geprägten Berufsregeln und Standards unterliegen.

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Die Präimplantationsdiagnostik kann jedenfalls in Deutschland noch nicht alseingeführt, als Standard gelten. „Standard in der Medizin repräsentiert den jewei-ligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfah-rung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sichin der Erprobung bewährt hat“ ([2] B 1737). Die Kombination von wissenschaft-licher Erkenntnis, ärztlicher Erfahrung und praktischer Bewährung im Hinblickauf das definierte Behandlungsziel macht den Standard aus und verpflichtet denArzt oder bezeichnet das, was der Patient erwarten und also auch von Rechts wegen verlangen darf ([7] S 9 f). Von einer professionellen Akzeptanz in diesemSinne kann noch keine Rede sein. Also gelten die Regeln zum Heilversuch. Sieverlangen im Einzelfall eine äußerst sorgfältige und gewissenhafte Abwägung derChancen gegen die Risiken sowie eine detaillierte Aufklärung der Eltern, die dasFür und Wider der Alternativen bezeichnet.

Präimplantationsdiagnostik in der ärztlichen Berufsordnung

Wenig hilfreich, ja rechtlich ungenügend, ist die Vorgabe, die der Deutsche Ärzte-tag 1997 zu Eisenach seiner neuen Muster-Berufsordnung einfügte ([4], 3081 DIV Nr. 14 S2): „Verboten sind diagnostische Maßnahmen an Embryonen vor demTransfer in die weiblichen Organe; es sei denn, es handelt sich um Maßnahmenzum Ausschluß schwerwiegender geschlechtsgebundener Erkrankungen im Sinnedes § 3 Embryonenschutzgesetz“: Dieser § 3 verbietet die Geschlechtswahl bei derartifiziellen Reproduktion dann nicht, „wenn die Auswahl der Samenzelle durcheinen Arzt dazu dient, das Kind vor der Erkrankung an einer Muskeldystrophievom Typ Duchenne oder einer ähnlich schwerwiegenden geschlechtsgebundenenErbkrankheit zu bewahren, und die dem Kind drohende Erkrankung von der nachLandesrecht zuständigen Stelle als entsprechend schwerwiegend anerkannt wor-den ist“. Zu den Ärztekammern, die den Beschluß des Deutschen Ärztetages zuSatzungsrecht erhoben, gehört auch die baden-württembergische1. Dadurch wur-den freilich die Mängel der Mustervorgabe nicht geheilt. Sie krankt daran, daß siedie erörterten §§ 2 Abs. 1 und 8 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes mißachtetund über die Unterschiede der Fallkonstellationen hinweggeht. Auch läßt sich fra-gen, ob die angegebene Indikation ausreicht.

Wenn die Pränataldiagnostik verantwortungsvolle ärztliche Hilfe bleiben undnicht eine Dienstleistung nach Wunsch werden soll, bedarf sie wie jede andereuntersuchende oder therapeutische Maßnahme des Arztes einer Indikation. Diefachliche Angezeigtheit und der Informed consent, also der ärztliche Imperativ unddie Einwilligung des aufgeklärten Patienten oder der aufgeklärten Patientin, legi-timieren den Arzt oder setzen ihn ins Recht. Die ständig wachsenden pränataldia-gnostischen Möglichkeiten verschärfen das Informationsproblem. Matthias Kett-ner bedenkt in dem von ihm soeben herausgegebenen Sammelband „Beratung alsZwang“ ([10] S 27): „Zwischen der Skylla unübersehbarer Diagnostik-Komple-xität und der Charybdis eines Diagnostikbegehrens, das sich jeder intersubjekti-ven Beurteilung entzieht, könnte Konsensbildung über einen Standardkatalog vonuntersuchungswürdigen, eine vorgeburtliche Diagnostik rechtfertigende Krank-heiten hindurch helfen“. Auch dieser ärztliche Standard wäre ein beweglicher,

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1 Neufassung der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 14. Jan.1998, D Nr. 14

dürfte aber nicht in den Sog überspannter Gesundheitsvorstellungen, eugenischerBedürfnisse und des Kosten-Nutzen-Denkens geraten. Immer muß dem Arzt dieberufsrechtliche grundsätzliche Pflicht vor Augen stehen, „das ungeborene Lebenzu erhalten“ ([4] S 3077, B III § 14 Abs. 1).

Die höchstrichterliche Spruchpraxis zum Familienplanungsschaden wirkt dementgegen (vgl. [14]). Mancher Arzt wird angesichts des Haftungsrisikos bei derGeburt eines unerwünschten behinderten Kindes im Zweifelsfall die Mutter mög-lichst umfassend diagnostisch beraten und aufklären, auch die Unzumutbarkeit einer Schwangerschaft bejahen – und Zweifelsfälle bestimmen auf diesem Feldden Alltag. Hinter der Humangenetik und der Präimplantationsdiagnostik lauertdie Gefahr einer Menschenauswahl, die dem Individuum die bedingungslose An-nahme in der Gesellschaft verweigert. Die tiefe philosophische und juristische Kon-troverse um den Status des Embryos2 steckt auch in dem Streit um die Familien-planungsschäden und die Pränataldiagnostik.

Der „Verbrauch“ menschlicher Embryonen in ethischer und juristischer Sicht

Wenden wir uns noch einmal der Präimplantationsdiagnostik an ausdifferenzier-ten Zellen im Zuge einer regulären In-vitro-Fertilisation zu. Der Eingriff am Em-bryo darf diesen nicht ernsthaft gefährden. Der Arzt darf auch nicht § 2 Abs. 2 desEmbryonenschutzgesetzes verletzen, der ihm verbietet, „zu einem anderen Zweckals der Herbeiführung einer Schwangerschaft“ zu bewirken, „daß sich ein mensch-licher Embryo extrakorporal weiterentwickelt“. Danach steht der Arzt unter einemzeitlichen Limit. Entwickelte er einen extrakorporal erzeugten Embryo länger alssieben Tage in vitro fort, könnte er deshalb schwerlich noch den Zweck verfolgen,eine Schwangerschaft herbeizuführen ([9] § 2 Rdnr. 63, S 211).

Geht die Absicht des Arztes wie des Paares auch dahin, über eine In-vitro-Fer-tilisation die Geburt des erhofften Kindes zu erreichen, so steht dieser Plan dochunter dem Vorbehalt eines günstigen Befundes der Präimplantationsdiagnostik: Einbelasteter Embryo soll dem Tod verfallen sein. Gewiß: die Verwerfung des Em-bryos nach fündig gewordenem diagnostischem Eingriff schließt das Verfahren derartifiziellen Reproduktion auf eine für alle Beteiligten höchst unerwünschte Weiseab. Auch andere, von vornherein in Kauf genommene Mißgeschicke können zudiesem unglücklichen Ausgang führen, so der planwidrige Verlauf der hormonel-len Stimulation oder makroskopisch sichtbare Fehlbildungen des Embryos. Aberes fragt sich doch, ob der Arzt jenseits der strafbaren Zone des Embryonenschutz-gesetzes die Erzeugung eines Embryos in vitro betreiben darf unter dem Vorbehaltder Tötung bei Qualitätsmängeln3.

Die Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungs-medizin hat in einer Stellungnahme 1997 erklärt, sie sei sich bewußt, „daß diePräimplantationsdiagnostik keine Screening-Methode bei reproduktionsmedizini-schen Verfahren sein kann und darf. Eine Präimplantationsdiagnostik sollte daherunter keinen Umständen ohne gesicherten humangenetischen Verdacht erwogen

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2 Die Literatur läßt sich kaum mehr überblicken. Bemerkenswert jüngst [8] trotz des aporeti-schen Ergebnisses der Statusdiskussion3 [13] S 79; anders Ratzel u. Heinemann in ihrem Aufsatz zur Zulässigkeit der Präimplanta-tionsdiagnostik [19] S 541

werden“ [4a]. Ein solcher Verdacht aber erhöhte das ohnedies methodisch bedingteLebensrisiko auf einen Grad, der dem Arzt die In-vitro-Fertilisation verbietet.Darum schließt die Anzeige zur Präimplantationsdiagnostik die Indikation zur in-vitro-Fertilisation aus. Der Arzt darf sich nicht selbst in eine Lage bringen, dieihm mit erhöhter Wahrscheinlichkeit das Verwerfen eines Embryos abverlangt. DieVerantwortung für die Verwerfung des Embryos liegt nämlich in der Hand des Arz-tes ([20] S 410).

Noch eindeutiger negativ muß das juristische Urteil über die Präimplantations-diagnostik im Rahmen einer nicht indizierten In-vitro-Fertilisation ausfallen, alsoin der zweiten zu untersuchenden Fallgruppe. Die Befruchtung menschlicher Ei-zellen zu diagnostischen Zwecken verstieße gegen das Berufsrecht, das die artifi-zielle Reproduktion allein „als Maßnahme zur Behandlung der Sterilität“ zuläßt.Schlüssig die Argumentation von Ruppel und Mieth ([21] S 361f): „Hinter der PIDsteht zwar die Absicht, Erbkrankheiten zu bekämpfen, jedoch können die Mitteldazu den üblichen Kriterien des ärztlichen Ethos nicht standhalten, da für diesesZiel nur deshalb menschliches Leben hergestellt wird, um es anschließend als ab-geleitetes Derivat (unter Umständen aber auch als Embryo) wieder zu vernichten“.Dagegen vermag auch das Argument nichts, die Pränataldiagnostik diene doch ge-rade dazu, spätere Schwangerschaftsabbrüche als schlimmeres Übel zu vermeiden.Denn mangels ausreichender Sicherheit kann die Präimplantationsdiagnostik Spät-abbrüche allenfalls verringern, nicht aber ausschließen. Vor allem aber ist ihr Preiszu hoch: „Wir haben die künstliche Befruchtung im Embryonenschutzgesetz mitdem Zweck verbunden, einen Kinderwunsch zu erfüllen“, so der Wissenschafts-politiker Wolf-Michael Catenhusen ([3] S 27). „Dies ist in der Gesellschaft tole-riert. Bei der Präimplantationsdiagnostik gerät die künstliche Befruchtung aber ineinen anderen Zusammenhang: Menschen sollen erzeugt werden, um auf technischeinfachem Weg über ihr Wegwerfen entscheiden zu können. Leben wird also her-gestellt, um es testen und selektieren zu können. Das ist eine sehr brutale Verän-derung gesellschaftlicher Werte“. Dies lasse das Embryonenschutzgesetz nicht zu.Darum könne die Präimplantationsdiagnostik nicht akzeptiert werden.

Das Embryonenschutzgesetz stellt in § 1 Abs. 1 Nr. 2 denjenigen unter Strafe,der „es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruch-ten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt“.Die Gesetzesmotive lassen sich von dem Gedanken leiten, daß die Erzeugungmenschlicher Embryonen zu fremdnützigen Zwecken Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ver-letze, denn „jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“. Ge-schütztes Rechtsgut ist also das menschliche Leben. Darüber hinaus dienenmenschliche Embryonen, die jemand „herstellt“, um sie für eigene Bedürfnisseoder Drittinteressen zu „benutzen“, „in geradezu klassischer Weise als Objekt fürandere. Deshalb kommt als weiteres geschütztes Rechtsgut die Menschenwürde(Art. 1 Abs. 1 GG) in Betracht“ ([9] § 1 Abs. 1 Nr. 2, Rdnr. 2, S 153).

Mag der Gesetzgeber über gewisse Grenzen des Lebensschutzes entscheidenkönnen, so setzt ihm die Menschenwürde unüberwindbare Schranken. Was Juri-sten, zuletzt des Bundesverfassungsgerichts, als von der Menschenwürde nach Art.1 Abs. 1 GG unantastbar umfaßt ausweisen, bleibt der Rechtspolitik verschlossen.Aber auch hier bewegen sich die Interpretationen und das abwägende Verständnis.Streng genommen erlaubt das Embryonenschutzgesetz selbst mit dem Mehrfach-transfer die Instrumentalisierung von Keimlingen. Der Arzt, der erlaubterweise biszu drei Embryonen pro Zyklus gleichzeitig überträgt, nutzt den Helping effect die-ser Pluralität im Interesse der erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Einnistung in der

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oft erfüllten Hoffnung auf den Untergang der nicht erfolgreichen Keimlinge. DerJurist Michael Pap hat in seiner preisgekrönten Tübinger Dissertation [18] denMißbrauch embryonaler „Starthelfer“ als Verstoß gegen die Menschenwürdedurchaus eindrucksvoll charakterisiert, ohne daß ihm freilich der Bundesgesetz-geber gefolgt wäre.

Werden Ethik und Recht die machtvollen, im internationalen wissenschaftlich-technischen wie wirtschaftlichen Wettbewerb vorandrängenden neuen medizini-schen Verfahren noch binden können oder wird die Theorie der Eigengesetzlich-keit des technischen Fortschritts an Wahrscheinlichkeit gewinnen? Sollte ArnoldGehlen richtig gesehen haben, wenn er den Naturforscher durch die naturwissen-schaftliche Forschung entmündigt erkannte? Denn weder stelle dieser die Pro-bleme, noch entschließe er sich zu der Anwendung des Erkannten: „Was Problemwerden muß, folgt aus dem schon Erkannten, und es liegt in der Logik des Experi-mentes, daß die exakte Erkenntnis bereits die Beherrschung des Effekts einsch-ließt. Der Entschluß zur Anwendung des Erkannten erübrigt sich, er fällt aus, erwird dem Forscher vom Objekt abgenommen“ ([6] S 54).

An verzagten Stimmen Gelehrter angesichts der Dynamik und der Eigengesetz-lichkeit der „technischen Realisation“4 fehlt es nicht. Dem Juristen indessen stehtResignation nicht an. Er hat vielmehr die Funktion, der Erweiterung der ärztlichenEingriffsmöglichkeiten durch die modernen biomedizinischen Wissenschaften ver-nünftige Grenzen zu setzen im Dienste der Humanität nach den Vorgaben unsererVerfassung. Das bedeutet, die Frage nach dem Menschenbild des Grundgesetzesneuerlich zu stellen. In seinem Aufsatz über die Aufgaben des Bundesverfas-sungsgerichts in Zeiten des Umbruchs hat Bundesverfassungsrichter Paul Kirch-hof ([11] S 1503) geurteilt, selbst die herkömmlichen Vorstellungen vom Beginnund Ende des menschlichen Lebens sowie von Gesundheit und Krankheit müßtenangesichts des heutigen Wissens über den Zusammenhang von Zeugung und Em-bryonalentwicklung sowie der Vital- und Hirnfunktionen im Vorgang des Sterbensneu überdacht werden. Die Gentechnik scheine den Auftrag, eine Krankheit zu heilen, hin zu dem Ziel zu verschieben, das Entstehen von Krankheiten im vorn-hinein zu verhindern. Das verlange aber die Definition der genetischen Normalitätund Gesundheit. Diese Definitionskompetenz begründe „außerordentliche, gegen-wärtig noch maßstabslose und deswegen potentiell maßlose Mächtigkeiten“. DasBundesverfassungsgericht werde sich, so Kirchhof, „darauf einzurichten haben,im Rahmen seiner Garantenstellung für Individualität, Identität, Freiheit undSelbstbestimmung des Menschen diese Entwicklung ohne Ängstlichkeit und ohnegestalterischen Ehrgeiz zu begleiten“. Wir Teilnehmer dieser Tagung haben unsdarauf ja bereits eingelassen5.

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4 [5] vgl im übrigen die Nachweise in [12] S 95f5 Rudolf Neidert beantwortet die Frage: „Brauchen wir ein Fortpflanzungsmedizingesetz?“ mitdem Hinweis darauf, daß das existentielle Thema des Embryonenschutzes der gewählten Volks-vertretung vorbehalten bleiben müsse. Im übrigen mündet seine Antwort „in eine unbestimmtePrognose“ [17]. Zur aktuellen Debatte um die Menschenwürde etwa C. Enders (1977) Die Men-schenwürde in der Verfassungsordnung. Mohr, Tübingen

Literatur

1. Bundesverfassungsgericht (1993) Verfassungsrechtliche Grenzen der Regelung der Schwan-gerschaftsabbruchs. MedR 8:301–322

2. Carstensen G (1989) Vom Heilversuch zum medizinischen Standard DeAeBl 36:B1736–1738

3. Catenhusen W-M (1998) 25 Jahre Gentechnik. Hoffnung oder Horror. Interview mit Wolf-Michael Catenhusen. Dr. med Mabuse. Zeitschrift im Gesundheitswesen 111:24–27

4. Deutscher Ärztetag (1997) Musterberufsordnung für deutsche Ärztinnen und Ärzte. NJW46:3076–3081

4a. Diedrich K, Runnebaum B, Ratzel R (1997) Positionspapier: Möglichkeiten und Grenzender Fortpflanzungsmedizin in Deutschland. Der Frauenarzt 6:902–904

5. Forsthoff E (1971) Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundes-republik Deutschland. Beck, München

6. Gehlen A (1969) Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in derindustriellen Gesellschaft. Rowohlt, Hamburg

7. Hart D ( 1998) Ärztliche Leitlinien – Definitionen, Funktionen, rechtliche Bewertungen.Gleichzeitig ein Beitrag zum medizinischen und rechtlichen Standardbegriff. MedR 1:8–16

8. Kaminsky C (1998) Embryonen, Ethik und Verantwortung. Eine kritische Analyse der Sta-tusdiskussion als Problemlösungsansatz angewandter Ethik. Mohr Siebeck, Tübingen

9. Keller R, Günther H-L, Kaiser P (1992) Kommentar zum Embryonenschutzgesetz. Kohl-hammer, Stuttgart Berlin Köln

10. Kettner M (1998) Beratung als Zwang. In: Kettner M (Hrsg) Beratung als Zwang. Schwan-gerschaftsabbruch, genetische Aufklärung und die Grenzen kommunikativer Vernunft. Campus, Frankfurt, S 9–44

11. Kirchhof P (1996) Die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts in Zeiten des Umbruchs.NJW 23:1497–1505

12. Laufs A (1991) Fortpflanzungsmedizin und Arztrecht. In: Günther H-L, Keller R (Hrsg)Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – strafrechtliche Schranken? Tübinger Bei-träge zum Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen. Mohr, Tübin-gen, S 89–108

13. Laufs A (1992) Fortpflanzungsmedizin und Arztrecht. Duncker und Humblot, Berlin14. Laufs A (1998) Schädliche Geburten – und kein Ende. NJW 12:796–79815. Lorenz D (1989) Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. In: Isensee J, Kirchhof

P (Hrsg) Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Bd VI. Müller, Heidel-berg, S 3–39

16. Maunz T, Dürig G, Herzog R (1958) Grundgesetz Kommentar. Beck, München17. Neidert R (1998) Brauchen wir ein Fortpflanzungsmedizingesetz? MedR 8:347–35317a. Netzer C (1998) Führt uns die Präimplantationsdiagnostik auf eine Schiefe Ebene? Ethik

Med 10:138–15118. Pap M (1987) Extrakorporale Befruchtung und Embryotransfer aus arztrechtlicher Sicht.

Insbesondere der Schutz des werdenden Lebens in vitro. Lang, Frankfurt Bern New York19. Ratzel R, Heinemann N (1997) Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik nach Abschnitt

D, IV Nr. 14 S. 2. Musterberufsordnung – Änderungsbedarf? MedR 12:540–54320. Reiter J (1998) Problematische Eigendynamik. Fortpflanzungsmedizin 20 Jahre nach dem

ersten Retortenbaby. HeKod 8:407–41221. Ruppel K, Mieth D (1998) Ethische Problem der Präimplantationsdiagnostik. In: Düwell M,

Mieth D (Hrsg) Ethik in der Humangenetik. Die neueren Entwicklungen der genetischenFrühdiagnostik aus ethischer Perspektive. Francke, Tübingen Basel, S 358–379

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