37
Die Diebin von Mbarara von El-El Ein Buch für Colobusaffen von Elfriede Ellmer

Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

Die Diebin von Mbarara

von El-El

Ein Buch für Colobusaffen

von

Elfriede Ellmer

Page 2: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

4

Inhalt

1. Einleitung ............................................................................................7

2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur ..........................9

3. Die Flucht mit der Ilias und die unheimliche Geschwindigkeit der Zeit .............................................................................................. 15

4. Die Bank von Tempelhof .................................................................27

5. Die Reise nach Casablanca und der Hemingwaytyp ....................... 30

6. Die Flowerlady und zwei alte Kameraden ....................................... 40

7. Drei Milzen zu Weihnachten ...........................................................47

8. Der große unendliche Plan ..............................................................50

9. Die „Bomber“ von Mombasa ............................................................56

10. Going to teach in Afrika ....................................................................58

11. Noch mehr Consultants ....................................................................64

12. Jumbos große Reise ..........................................................................66

13. Mercedes geht ins Kloster ................................................................70

14. Doctor for cows and people .............................................................76

15. Doctor for cats and people ...............................................................78

16. Doktor Boscos Fenstersturz und die Tabliques im Ruwenzori ...... 80

17. Hamilton Baileys Stuhl und der hohe Gradstand ............................83

18. Lake Mburo ...................................................................................... 86

19. Akuter Bauch und Malaria .............................................................. 88

20. Schwester Jane und ihre Kinder ......................................................97

21. The honourable Sir Peter Bewes ....................................................100

Page 3: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

5

22. Jumbos dritte große Reise ............................................................. 101

23. Spaziergang an der Ostsee .............................................................104

24. Lake Malawi ...................................................................................107

25. Das Programm DS / MO und DSE .................................................109

26. „A burnt out case“ – Das Ende einer Karriere ............................... 110

27. Ein Brief von Bushara Island ..........................................................113

28. Emin Pascha, Cook und Koch in Uganda – Ein Stück Medizingeschichte in Afrika ....................................... 116

29. Liebeslied an einen toten Baum ..................................................... 119

30. Ein Brief von Oliver .........................................................................121

31. Die Schrift oder eine Liebe in Afrika ..............................................123

32. Erikas letzter Tanz – eine arabische Geschichte ...........................140

33. Le Plan Azur – der blaue Plan und die Bevölkerungspyramide in Deutschland ................................................................................148

Abkürzungen ........................................................................................150

Bildteil ................................................................................................... 153

Page 4: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

7

1. Einleitung

Dieses Buch beschreibt die interkulturelle Zusammenarbeit an einer neuen Universität in Uganda, der Mbarara University of Science and Technology, die aus der Idee zweier Staatsmänner, des ugandischen Prä-sidenten Yoweri Museveni und seines kubanischen Freundes Fidel Cas-tro, entstanden ist.Kuba hat dem Land Uganda von Anfang an bei der Gründung dieser Uni-versität geholfen, indem es Lehrkräfte für das Studium der Medizin, zu-nächst in vorklinischen Fächern, entsandte.Für die klinische Ausbildung der Medizinstudenten wurden dann Lehr-kräfte für die Fächer Innere Medizin, Chirurgie, Geburtshilfe-Gynäko-logie, Kinderheilkunde, Psychiatrie, Neurologie, Dermatologie, Public Health etc. gebraucht, die das Land Uganda nicht zur Verfügung hatte, die sich der Vice Chancellor der Universität, Prof. F. Kayanja, also von draußen besorgen musste.Mein Arbeitsvertrag mit der GTZ (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, Eschborn) im Fort Portal Hospital im äußersten Wes-ten Ugandas lief 1990 gerade aus und das Gesundheitsministerium in Entebbe versetzte mich kurzerhand an die Universität Mbarara.Ich hatte die Chriurgische Abteilung des Universitätshospitals zu leiten, Studenten und junge Ärzte zu unterrichten bzw. weiterzubilden und Pläne für die Rehabilitation sowie für die Erweiterung des Hospitals zu erar-beiten. Letzteres ging nicht ohne eine enge Zusammenarbeit mit neuen Kollegen aus Uganda, England, Schottland, Irland, Indien, den Nieder-landen, USA, Frankreich, Palästina und Kuba.Die GTZ verweigerte eine Zusammenarbeit mit den Kubanern und damit meine weitere Finanzierung. Nachdem ich bereits mehrere Monate ohne finanzielle Unterstützung von deutscher Seite in Mbarara gearbeitet hatte, kam schließlich der Vertrag mit CIM (Centrum für internationale Migra-tion und Entwicklung) in Frankfurt am Main zustande. Diese Organisa-tion hatte meine Tätigkeit am Fort Portal Hospital bereits tatkräftig unter-stützt und mir einen deutschen Narkosearzt und einen Krankenhaus-techniker dort finanziert.Für Mbarara gelang es mir, über CIM eine deutsche Narkoseärztin, einen Hautarzt und eine Lehrhebamme und Lehrschwester zu bekommen.Die GTZ hingegen hielt sich von der Mbarara-Universität verschämt fern, obwohl gerade hier Ärzte für das Distriktgesundheitswesen, also für länd liche Gegenden, ausgebildet wurden.Die DSE (Deutsche Stiftung für Interantionale Eintwicklung, Berlin) hat das von mir konzipierte Programm zur Ausbildung von Ärzten in Chriur-gie für die Distriktkrankenhäuser tatkräftig unterstützt.Durch meine berufliche Tätigkeit in Uganda konnte ich mein Interesse

Page 5: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

8

an Umweltproblemen des Landes, insbesondere an der Problematik des Regenwaldes und der vom Aussterben bedrohten Tierwelt schulen und so kam es, dass sich mein Augenmerk vor und nach meiner Pensionie-rung zunehmend auf das Schicksal der Colobusaffen, der Berggorillas (von denen es nur noch 365 Individuen auf der ganzen Welt gibt), der Schimpansen und Leoparden ausrichtete.Vor zwei Jahren habe ich zusammen mit dem Vice Chancellor (Rektor) der Mbarara-Universität, Herrn Prof. F. Kayanja, die deutschen Zoos in Leipzig, Hannover und Münster besucht, um eine Zusammenarbeit zwischen den Zoos und dem Institute of Tropical Forest Conservation im Mgahinga Nationalpark im Südweseten Ungandas, das der Mbarara- Universität untersteht, zutande zu bringen. Es geht dabei um einen Aus-tausch von Wissenschaftlern, Doktoranden und Studenten sowie um ge-meinsame Forschungsprogramme.

Page 6: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

9

2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur

Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem Fernseher. Da wurde in den Abendnachrichten „El Achbar“ vom zweiten marokka-nischen Fernsehen über eine Theateraufführung in Marrakesch berich-tet, die abgebrochen worden ist, weil der Teufel auf der Bühne gestolpert und gestürzt war und sich einen Bruch seines linken Radius (seiner Spei-che) in der Nähe des Handgelenks zugezogen hatte. Man packte den Teufel auf eine Trage und transportierte ihn ins Kran-kenhaus. Die Zuschauer wurden nach Hause geschickt. „Pauvre Performance!“, rief ich empört. „Eine ärmliche Aufführung mit einem Teufel ohne jegliche Arbeitsmoral! Schau dir das an! Der Kerl bleibt liegen, als ob er sich ein Bein gebrochen hätte!“ „Was hast du denn erwartet?“, fragte mein Mann. „Dass er aufsteht, zwei Paracetamol-Tabletten schluckt und seine Rolle zu Ende spielt“, antwortete ich ihm. „Aber das ist doch unmenschlich!,“ protestierte mein Mann. „Nein“, erwiderte ich ihm, „nicht unmenschlich, sondern unteuflisch – oder bin ich etwa kein Mensch? Jedenfalls habe ich vor acht Jahren in Uganda meine Rolle in meinem Theater, dem Operation Theatre der Mbarara Universität, zu Ende gespielt. Mit einem frischen Radiusbruch an meinem linken Handgelenk. Mein Radiusbruch war erst fünfzehn Minuten alt, als ich bei einem vierzig-jährigen Unfallverletzten eine völlig zerrissene Milz entfernen musste.“„Bist du auch wie der „Teufel von Marrakesch“ auf der Bühne in deinem Theater gestürzt?“, fragte mich mein Mann und sah mich zweifelnd an. „Nicht in meinem Theater, sondern auf dem Weg ins Labor, unmittelbar vor der Operation.Das war so: Ein Lkw hatte uns von einem Verkehrsunfall auf dem Trans-african Highway acht Verletzte gebracht. Einer davon stand unter schwe-rem Schock – kein Puls, kein Blutdruck, kalter Schweiß, Zittern am gan-zen Körper und die Schleimhäute weiß wie die Wand. Sein aufgetriebener Bauch, Schürfstellen am linken Rippenbogen, Druckschmerz im linken Oberbauch und shifting dullness (ein typischer Befund für Flüssigkeits-ansammlung in der Bauchhöhle) ließen eine Milzverletzung mit einer massiven Blutung in die Bauchhöhle des Patienten vermuten. Außerdem hatte er einen Unterschenkelbruch rechts.Ich befand mich mit einem Studenten und einer Schwester allein in der Notaufnahme. Alle anderen Mitarbeiter und Studenten waren zur Be-erdi gung einer unserer Schwestern gefahren. Eine Beerdigung ist in Uganda wichtiger als das Leben. Jeder muss da hin. Die Lebenden interessieren nicht mehr, wenn es um eine Beerdi-

Page 7: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

10

gung geht. Ich bin deshalb in Uganda nie zu einer Beerdigung gegangen, sondern habe an solchen Tagen stets gearbeitet, wie auch Weihnachten und Neujahr. Mein Patient mit der Milzverletzung erhielt die übliche Schockbehand-lung und musste sofort operiert werden. Ich hatte beim Anlegen einer Infusion Blut zum Kreuzen abgenommen und den Studenten damit ins Labor geschickt. Er sollte mit zwei Beuteln Blutkonserven sofort in den Operationssaal zurückkommen und sich gleich waschen. Den Patienten brachte ich mit der Krankenschwester in das Operationsgebäude und der Anästhesist legte ihm eine zweite Infusion an. Die Operationsschwester war schon gewaschen. Da der Student mit den Blutkonserven noch nicht im Operationssaal angekommen war, lief ich ins Laborgebäude und im Dunkeln die zwei Treppen hoch ins Blutlabor. Es gab keinen Strom und daher auch kein Licht. Auf dem letzten Trep-penabsatz stolperte ich und fiel mit beiden Händen auf die nächste Trep-penstufe. Mein linkes Handgelenk gab ein Geräusch von sich, als ob ein Ast an einem alten Baum bricht. Ein wahnsinniger Schmerz schoss in mein Gehirn. ‚Oh no!‘, schrie ich. ‚Colles’ fracture!‘ Dann hallte mein langes ‚Shit!‘ durch den Korridor. Da kam der Student mit den beiden Blutkonserven. Er wollte sie abstel-len und mir auf die Beine helfen. ‚Nein, nein, bring das Blut sofort in den Operationssaal und fang an dich zu waschen!‘‚Sag keinem etwas von meinem Sturz!‘, hallte es durch das Treppenhaus, als ich mich langsam am Geländer die Treppe wieder hinab tastete. ‚Gott sei Dank ist es nicht rechts!‘, sagte ich laut, als ich über den Hof ins Op-Gebäude ging. Ich wusch mich sofort, legte sterile Kleidung an und bat die Schwester, mir den linken Handschuh anzuziehen. Als sie ihn mir übers Handgelenk streifte, schrie ich auf. ‚What’s the matter? – Was ist los?‘, fragte sie. ‚Fracture of radius‘, antwortete ich. ‚No, Professor, fracture of tibia and fibula right – Schien- und Waden-beinbruch rechts‘, meinte der Anästhesist und wies auf den rechten Un-terschenkel des Patienten. ‚Wie ist der Blutdruck?‘, lenkte ich ab. ‚60 zu 40‘, antwortete er und schloss gerade eine Blutkonserve an. ‚Stell Schüssel und Schöpflöffel bereit‘, bat ich die Op-Schwester. ‚Hab ich schon‘, war ihre Antwort. Ich eröffnete die Bauchdecke und das Blut des Patienten schoss wie eine Fontäne aus der Bauchhöhle. Die Op-Schwester und der Student füll-ten es mit einer großen Schöpfkelle in die Schüssel, während ich mit der rechten Hand nach der Milz griff, sie aus ihrem Lager hervor holte und sie mit der linken Hand so gut es ging vor der Bauchdecke fest hielt, um mit Hilfe des Studenten die großen Blutgefäße der Milz zu unterbinden

Page 8: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

11

und zu durchtrennen. Die Op-Schwester hatte in wenigen Sekunden zwei luftleere Blutflaschen mit dem Blut aus der Bauchhöhle des Patienten gefüllt, indem sie den Schlauch der Flasche an seinem fernen Ende in die Schüssel tauchte, die Klemme vom Schlauch öffnete und das Blut in die Flaschen zischen ließ. Der Anästhesist ließ sofort beide Flaschen Eigenblut in die Venen des Pa-tienten laufen. Der Student traute seinen Augen nicht. ‚Ist das deutsche Hexerei?‘, fragte er. ‚Nein. Ugandische. Willst du es etwa später nicht genauso machen?‘ ‚You may be sure‘, bestätigte er und lachte. Ich untersuchte die Bauch-höhle auf weitere Verletzungen, fand aber keine und legte die zerfetzte Milz in die Schüssel, in der wir vorher das Blut aufgefangen und für die Retransfusion vorbereitet hatten. ‚Schau her‘, sagte ich dem Studenten, ‚der Mann hat drei akzessorische Milzen im kleinen Netz. Sie werden die Funktion der entfernten Milz übernehmen.‘Nachdem wir alle Blutreste und Gerinnsel aus der freien Bauchhöhle entfernt hatten, verschlossen wir die Bauchwunde. Der Blutdruck des Patienten betrug 80:60 mm Hg. An seinen beiden Armen lief eigenes Blut in seinen Körper zurück. Wir reponierten die Unterschenkelbrü-che, legten eine Gipsschale an und den rechten Unterschenkel auf eine Braunsche Schiene. Als mir die Op-Schwester den Handschuh von der linken Hand zog, schrie ich wieder wie am Spieß. Mein Handgelenk war inzwischen stark angeschwollen und blau verfärbt. Meine Finger konnte ich aber bewegen. ‚Colles’ fracture?‘, fragte die Schwester. Der Anästhesist tastete dem Patienten das Handgelenk ab. ‚Oh Bob‘, klärte die Schwester ihn auf, ‚the Professor and not the man!‘‚Oh no!‘, rief er. ‚Wann ist das passiert?‘ ‚Auf dem Weg ins Labor‘, sagte ich ihm. Bob sah mich an. ‚Das ist ein Weltrekord, Professor. A Splenectomy with fracture of radius in twenty minutes only!‘‚Ach Bob, glaub nicht, dass mir dafür eine Goldmedaille gebührt. Wir sind doch hier im falschen Sportverein‘.“

Im zweiten Fernsehprogramm von Marokko lief gerade „Meteo“, die Wetter vorhersage. „Du musst noch ein Buch schreiben über Uganda“, schlug mein Mann vor. „Ein zweites Buch also, denn ich glaube, ich weiß noch längst nicht alles über dich.“ „Ja, eine Art Krimi könnte ich schreiben, über einen Diebstahl. ‚Die Die-bin von Mbarara‘ könnte ich es nennen.“ „Hast du etwas gestohlen? In Mbarara?“, fragte nun mein Mann, neugie-rig geworden, und umarmte mich.

Page 9: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

12

Ich war müde und musste gähnen. „Nicht in Mbarara, sondern in Fort Portal, auch Kabarole genannt, hat 1995 ein Diebstahl stattgefunden.“„Also gestehe, was du gestohlen hast!“, forderte mein Mann und zog mich scherzhaft an den Haaren die Treppe hoch ins Schlafzimmer. „Es war ein Komplott, in das ich verwickelt war. Merk dir das Suaheli-Wort ‚Jumbo‘. Jumbo kann ein Elefant oder ein Jumbo-Jet sein. Wel-cher von beiden ist dir lieber?“Ich trat ins Badezimmer unter die Dusche und drehte den Wasserhahn auf. Als ich mit dem Duschen fertig war, schlief mein Mann schon, so dass ich bis heute nicht zu sagen vermag, für welche Art Jumbo er sich entschieden hatte.

Einmal sah er mir über die Schulter, als ich auf der Terrasse unseres Ferien hauses in der Bucht von Taghazout schrieb. „Was schreibst du denn da?“, wollte er wissen. „Die Story aus Uganda. Du weißt schon, ‚Die Diebin von Mbarara‘. Ich bin erst beim ersten Kapitel, welches lautet: Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur.“„Ach diese alte Geschichte!“, war sein ganzer Kommentar. Ob mein Mann sie jemals lesen wird, diese alte Geschichte?Jedenfalls hatte sie ein Nachspiel in Uganda.

Wir, der Student und ich, waren damals zurück in die Notaufnahme gegangen. Ich ließ mir von der Schwester zwei Paracetamol-Tabletten geben, und wir versorgten die sieben Verletzten. Dann ließ ich mein lin-kes Handgelenk röntgen. Das war, wie vermutet, ein Bruch im handge-lenknahen Anteil des Radius, also eine quer verlaufende Bruchlinie, auf der eine senkrechte Bruchlinie bis ins Handgelenk verlief, das hieß: Der Radius war an dieser Stelle in drei Stücke zerbrochen und die beiden handgelenknahen etwas handrückenwärts abgeknickt. Mit den Paracetamol und einer Bandage konnte ich ganz gut schlafen und am nächsten Morgen nahm ich mein Röntgenbild mit in meine Acht-Uhr-Vorlesung. „Was ist der Unterschied zwischen einer Colles’ fracture, einer Smith’s und einer Gorband’s fracture?“, fragte ich meine Studenten. Es meldeten sich einige. „Was ist das hier auf dem Bild?“, forschte ich weiter. Die männlichen Studenten zögerten. Eine Studentin sagte: „It’s a Gorbands’ fracture.“ „Haben die Herren Zweifel?“, fragte ich. Doch keiner von ihnen hatte Zweifel. Ich fragte die Studentin, warum sie meinte, dass es eine Gorband’s frac-ture sei. „Weil das handgelenknahe Bruchstück noch einmal in sich gebrochen und streckseitenwärts abgeknickt ist.“

Page 10: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

30

5. Die Reise nach Casablanca und der Hemingwaytyp

Wir waren alle vier schon über sechzig, als wir 2001 von Agadir nach Casablanca fuhren. Für den ersten Abschnitt der Reise nutzten wir den Linienbus bis Marrakesch und begeisterten uns an den verschiedenfarbi-gen Gesteinsformationen des Hohen Atlas, dem Schnee auf seinen Gip-feln, den grünen Palmen, den rosa blühenden Mandelbäumchen in den Tälern und dem gelben Ginster an den Hängen. Gestein und Erde waren zunächst rot, wechselten dann zu gelb und grau-grün. Ab Marrakesch setzten wir die Reise bis Casablanca mit der Eisenbahn fort. Da waren vom Zug aus die alte Stadtmauer von Marrakesch, die Palmen-haine, verschiedenfarbige Gesteinsformationen in einer wüstenartigen Landschaft und schließlich die riesigen Grünflächen der Mais- und Wei-zenfelder zu sehen, je weiter wir nach Norden kamen. Meine Freundin Maureen, eine Engländerin irischen Ursprungs, hatte mit mir mehrere Jahre an der Mbarara-Universität in Uganda gearbei-tet und gelehrt. Unter anderem war sie die Leiterin der Kinderabteilung, während ich als Chirurgin und Leiterin der chirurgischen Abteilung des Universitätshospitals tätig gewesen bin. Mit von der Partie waren natürlich Hanna und Dieter, über die ich be-reits berichtet habe. Sie waren beide noch in ihrer Consulting Firma bei Frankfurt am Main tätig, obwohl sie auch schon fortgeschrittenen Alters waren. Mein Mann Mohamed würde uns in Casablanca in Empfang nehmen. Mit uns im Zugabteil reiste eine Art Zweitausgabe von Ernest Heming-way, eingehüllt in eine marokkanische Djellabah, einen weiten, braunen Mantel mit Kapuze. Er las in einem arabischen Buch und machte dabei auf arabisch Notizen. Er sah nicht wie ein Marokkaner aus und war auch keiner, wie sich bald herausstellte. Maureen tippte mich an und fragte: „Hemingway, Elvira, glaubst du an die Reinkarnation?“„Man möchte es fast glauben, Maureen. War es der Schnee auf dem Kili-mandscharo, der dich nach Afrika getrieben hat?“Sie schüttelte den Kopf und ich lenkte etwas ab, da der Hemingwaytyp zu lesen anhielt und lauschte. „Ja, ja, Maureen. Ich weiß schon, Hemingway und Jesus Christus, der eine Amerikaner, der andere Jude. Sie werden nie sterben.“Da fragte mich der Hemingwaytyp auf amerikanisch: „Haben Sie ‚Schnee auf dem Kilimandscharo‘ gelesen, Madame?“„Nicht nur gelesen“, antwortete ich, „sondern bin auch hingereist und habe nachgesehen.“

Page 11: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

31

„Und was haben Sie gefunden, Madame?“„Schnee natürlich! Übrigens auch auf dem Ruwenzori“, bestätigte ich ihm. „Und einen Leoparden, haben Sie den auch gefunden im Schnee?“, hakte der Typ nach. „Nein“, erwiderte ich. Weder auf dem Kilimandscharo noch auf dem Ru-wenzori. Nur die Geschichte von dem Leoparden von Kabarole und sei-ner Braut, die habe ich aufgeschrieben.“„Eine Geschichte von einem Leoparden und seiner Braut?“, zweifelte der Fremde. „Ja, ein junger Leopard hatte sich in ein junges Colobusäffchen verliebt, am Ruwenzori“, versuchte ich dem Mann – einem Amerikaner, wie sich herausstellte – zu erklären. Da funkte Maureen dazwischen: „Sie schreibt nämlich Märchen, afrika-nische Märchen. Heute haben wir übrigens Schnee auf dem Hohen Atlas gesehen. Wir kommen gerade aus Agadir und haben vor zwei bis drei Stunden den Hohen Atlas überquert.“„Also, Mister Hemingway“, adressierte ich den Amerikaner, „ ,Schnee auf dem Hohen Atlas‘ müssen Sie jetzt schreiben. Sie waren doch sicher schon von Marrakesch aus auf dem Djebel Toubkal? Ihre anderen afrika-nischen Bücher kennen wir schon.“„Gut, Madame“, sagte der Amerikaner. Er schlug vor: „Wenn Sie ‚Schnee auf dem Ruwenzori‘ schreiben, dann schreibe ich ‚Schnee auf dem Ho-hen Atlas‘.“ „Mein Buch ist schon fertig, Mr. Hemingway“, antwortete ich bescheiden und lächelte. Es heißt ‚Die Bettelfrau von Buhinga‘.“ „Und gegenwärtig arbeitet sie an der ‚Diebin von Mbarara‘“, klärte Mau-reen den Amerikaner auf. „Sie schreiben also auch Krimis?“, fragte mich der Hemingwaytyp. „Kri-mis und Märchen also?“„Ich sage Ihnen im Vertrauen, dass sie eben eine kriminelle Karriere hinter sich gebracht hat, meine deutsche Freundin. Es sind nämlich Au-tobiografien, deren Titel ich Ihnen gerade diskret mitgeteilt habe. Spre-chen Sie nicht darüber, Mr. Hemingway.“ Maureen sah ihn über die Bril-le hinweg an. Wir mussten alle zusammen herzlich lachen, bis Maureen uns stoppte. „Genug gelacht!“, rief sie. „Wir haben auf dieser Reise schon so viel gelacht, Mr. Hemingway. Jetzt möchte ich eine ernste Frage an Hanna und Dieter stellen. Sie stammen nämlich alle drei aus der ehe-maligen Deutschen Demokratischen Republik, aus Ostdeutschland also. Sie sind während ihres Studiums in den Westen, in die Bundesrepublik Deutschland, geflohen. Wie seid ihr geflohen und weshalb?“„Maureen“, ergriff Dieter das Wort, „du als Engländerin wirst nicht wis-sen, was eine ABF, eine Arbeiter- und Bauernfakultät, war. Dort haben jüngere Leute in der DDR, nachdem sie einen Beruf gelernt hatten, auf

Page 12: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

32

dem zweiten Bildungsweg das Abitur gemacht. So konnten sie sich auf ein Universitätsstudium vorbereiten. Eine ABF war aber vor allem eine politische Kaderschmiede, die Regimetreue voraussetzte – Treue also zum DDR-Regime und deren marxistischer Diktatur. Eine bittere Tat-sache, die wir nicht ernst genug genommen haben, Hanna und ich. Sie wurde uns zum Verhängnis.“ Dieter machte eine Pause und Hanna sprang ein. „Wir standen vier Mo-nate vor dem Abitur, als Dieter wegen seiner Kritik am DDR-Staat von der ABF in die ‚sozialistische Produktion‘ geschickt wurde. Das bedeu-tete: kein Abitur, sondern eine Arbeiterkarriere und laufende Bespitze-lung. Das wäre Dieters Zukunft gewesen. Wir fuhren zu meinen Eltern in den Thüringer Wald. Sie wohnten in dem Grenzdorf Lichtenhain, das von drei Seiten von der Grenze zur Bundes-republik umgeben war. Elvira und ich sind in dem Dorf aufgewachsen. Meine Eltern waren fassungslos. Es war Winter und es lag eine Menge Schnee. Russen und deutsche Grenzpolizisten bewachten von Türmen aus und auf Patrouillengängen mit Waffen und Hunden die Grenze. Sie schossen erbarmungslos auf Flüchtlinge. Im Schnee sahen sie jeden Fuß-abdruck. Gegen 20 Uhr traten wir aus dem Haus und gingen zunächst in entgegen-gesetzte Richtung bis zum Ortseingang. Dann schlug Dieter einen Bogen und rannte in Richtung Grenze, die etwa einen halben Kilometer entfernt war. Ich ging nach Hause, öffnete das Fenster und lauschte in die Nacht. Wenn ein Schuss fällt, weiß ich Bescheid. Nach einer halben Stunde hör-te ich Hundegebell. Zwei Stunden später zog mich meine Mutter vom Fenster weg. ‚Du erfrierst doch hier in dieser Kälte. Geh ins Bett!‘Ich legte mich hin und konnte doch nicht einschlafen. Die ganze Nacht dachte ich an ihn. Ich konnte nicht einmal weinen“, berichtete meine Freundin Hanna. Ihr schossen im Zug nach Casablanca die Tränen in die Augen. Maureen nahm sie in die Arme und sagte ihr: „Du brauchst nicht weiter-zureden, Hanna.“„Doch, doch“, unterbrach sie der Hemingwaytyp, „hat er es geschafft? Ist er in den Westen gekommen, meine ich?“„Ja natürlich, sonst wäre er wahrscheinlich jetzt nicht hier.“ Hanna sah den Amerikaner an. Unter Tränen fragte sie ihn: „Sie reden mit mir deutsch und mit Elvira und Maureen Englisch mit amerikanischem Slang. Sie haben also längst herausgefunden, dass mein Englisch etwas schwach ist. Warum wohl? Weil wir in der DDR Russisch statt Englisch lernen mussten.Ja, um ihre Frage zu beantworten, Dieter hatte es geschafft. Er war si-cher im Westen angekommen. Die Hunde waren nur hinter seinen Fuß-spuren her.“„Und was haben Sie gemacht?“, beharrte der Hemingwaytyp.

Page 13: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

33

„Ich fuhr nach zwei Tagen zurück nach Leipzig. Als Dieter nicht zum Un-terricht kam, wurde ich von der Stasi und der Parteileitung im Wechsel tagelang verhört, durfte nicht mehr am Unterricht teilnehmen und hatte Hausarrest. Ich durfte mein Zimmer nicht verlassen. Meinen Personal-ausweis hatte ich außerdem abgeben müssen. Ich durfte also auch nicht nach Hause fahren. Dann kam das Abitur, allerdings nur für die ande-ren. Ich konnte nicht teilnehmen, besaß demnach weder einen Nachweis über meine bisherigen Lernergebnisse, noch einen Pass. Immer wieder gab es stundenlange Verhöre. Als alle Studenten mit ihrem Abitur nach Hause in die Ferien fuhren, stieg auch ich in die Straßenbahn, fuhr zum Bahnhof, stieg in den Zug nach Thüringen, ging wie üblich vom Bahnhof in Gräfenthal zu Fuß nach Hause nach Lichtenhain. Dort stieß ich am Ortseingang auf zwei Grenz-polizisten. Sie kannten mich. „Na, hast du Ferien?“, fragten sie mich. Ich nickte und ging weiter. Zu Hause erzählte ich alles meiner Mutter. Mein Vater arbeitete noch. Dann ging ich zu Elviras Vater Paul. Nachdem ich mir die Tragödie von der Le-ber geredet hatte, ergriff er das Wort. ‚Hanna‘, sagte er, ‚hab keine Angst mehr. Unten im Dorbich steht schönes Gras für meine Kühe. Wir brin-gen morgen Früh die Kühe auf die Weide, du und ich. Die Grenze geht dort durch unseren Wald. Wenn die Luft rein ist, springst du in den Wald und über die Grenze.‘Ich hegte also einen Plan, dankte Paul, ging zu meiner Mutter und er-zählte, was ich vorhatte. ‚Das kannst du nicht machen, Hanna. Du weißt doch, was Paul riskiert und welche Strafe für Mithilfe zur Republikflucht steht: Enteignung und Zuchthaus für mindestens zehn Jahre. Das kannst du ihm nicht antun. Nein, nein, wenn dir einer hilft, über die Grenze zu kommen, dann bin ich das. Wir fahren morgen mit dem Handwagen in den Wald, Holz ho-len. Wenn wir fertig sind, läufst du los.‘In schwarze Kittelschürzen und Stofftücher gehüllt liefen wir am nächs-ten Tag los. Ich zog den Handwagen hinter mir her. Eine Grenzpatrouille war auf dem Weg ins Dorf zum Mittag. Meine Mutter gab ihnen ihren Spezialpass, der ihr erlaubte, im Sperrgebiet Holz zu holen. Dann gingen die Grenzer weiter. ‚Mutter‘, sagte ich, ‚ich laufe jetzt los, bevor sie wiederkommen. Ich muss dringend Wasser lassen‘, rief ich ihr zu und rannte in die Büsche. Zum Verabschieden blieb keine Zeit. Erst nach zehn Jahren habe ich meine Eltern wiedergesehen.Ich lief im Dauerlauf bis zur Polizei in Ebersdorf im Westen, mit Kittel-schürze und Kopftuch und war ein Niemand – kein Pass, keine Zeugnis-se.Eine Woche später durfte ich zu Dieter nach Würzburg fahren. Er hatte dort sein Studium an der Ingenieurschule aufgenommen und

Page 14: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

34

ich fand eine Arbeit als Krankenschwester. Vor dem geplanten Studium in Leipzig hatte ich Krankenschwester gelernt.“„What a terrible story!“, kam es aus dem Mund des Amerikaners. Er packte seine Bücher in seine Aktentasche. Wir fuhren in den Bahnhof von Casablanca ein. „Und Ihre Flucht?“, rief er mir beim Aussteigen zu. „Wann und wo höre ich von Ihrer Flucht?“„Lesen“ antwortete ich, „lesen in meinem Buch ‚Die Diebin von Mbara-ra‘. Es ist bald fertig.“ „Sagen Sie mir schnell, was Sie gestohlen haben“, forderte mich der He-mingwaytyp auf. „Einen Jumbo“, gab ich zur Antwort und fügte noch hinzu: „Jumbo ist das Kisuaheli-Wort für Elefant. Es handelte sich also nicht um ein Flug-zeug.“Wir liefen lachend meinem Mann entgegen. „Wie war die Reise?“, fragte er uns im Wagen, als wir in Richtung Stadt fuhren. „Ach Mohamed, sie war so wunderbar für die Augen“, sagte Hanna. „Die verschiedenen Gesteinsfarben im Hohen Atlas – rot, grün, blau, grau, gelb, der Schnee auf den Gipfeln, die üppige Vegetation in den Tä-lern, Palmenoasen und Mandelblüte im Tal von Imin. Wie hieß der Ort, Elvira?“„Imin Tanut“, sprang mein Mann ein. „Ja, Mohamed, Imin Tanut. Diesen Namen muss ich mir merken. Und einen herrlichen Sonnenuntergang gab es über einer grau-grünen wüs-tenartigen Landschaft, die sich allmählich rot färbte, wie der Himmel. Oh Gott, diese Menschenmassen auf der Straße. Was ist denn los in Casablana, Mohamed?“„Es ist Ramadan. Stell dich oben im Wohnzimmer ans Fenster. Da hast du einen herrlichen Blick auf die Stadt und ihre Menschen“, schlug mein Mann vor, als er uns mit dem Gepäck in den Fahrstuhl packte. „In Zehnerreihen gehen diese Menschenmassen, und es kommt kein Auto mehr durch. Wohin gehen sie denn, Elvira?“„Sie machen einen Bummel, ganz ziellos, nachdem sie ihre Ramadan-suppe geschlürft haben. Später gehen sie dann zum Essen nach Hause. Sie haben doch den ganzen Tag gefastet.“„Ramadan, das ist auf der Avenue Hassan II. in Casablanca immer so.“ Maureen war zu Mohamed in die Küche gegangen. Ich wollte ihnen hel-fen. Aber sie wehrten ab. „Ihr bekommt jetzt auch gleich eure Rama-dansuppe“, kündigte mein Mann an. „Danach machen wir uns über den großen Fisch her. Wenn wir den verschlungen haben, machen wir auch unseren Abendspaziergang. Mischen uns unter die Menge, die dann auf dem Rückweg ist, bummeln hinunter in die Stadt durch den Stadtpark mit seinen Palmen- und Maulbeeralleen, Grünanlagen und Blumenra-

Page 15: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

35

batten. Das ist ja alles beleuchtet. Danach gehen wir durch die Fußgän-gerzone und suchen uns ein Plätzchen für einen Schlummertrunk. Ich weiß schon wo.“ Mein Mann sah mich an. Ich schüttelte den Kopf. Er hatte verstanden. Als wir dann eine Stunde später den großen Platz Mo-hamed V. überquerten und vor dem besten Hotel der Stadt Casablanca standen, schlug ich vor: „Wie wäre es mit etwas Nostalgie vor dem Ein-schlafen? Wir stehen hier vor ‚Rick’s Bar‘. Erinnert ihr euch an Humphry Bogart und Ingrid Bergmann in dem Film ‚Casablanca‘? Gehen wir hin-ein und sehen wir nach, ob der alte, schwarze Klavierspieler noch da ist und Ingrid Bergmanns Lieblingsmelodie spielt!“„Da steht er am Klavier!“, rief Hanna. „Mensch, ist der groß. Alles ist groß an diesem Mann. Schaut euch die Hände an! Damit kann man na-türlich Klavier spielen.“„Der alte Fritz hätte ihn, wenn er noch am Leben wäre, vom Fleck weg für die Leibgarde rekrutiert“, warf Dieter ein. Der lange, schwarze Kerl fing an zu spielen. An den Wänden liefen Film-ausschnitte aus dem berühmten Film. ‚A dream is just a dream‘ spielte und sang der Klavierspieler. Als er dann eine kurze Pause machte, klatschten die älteren Herrschaften wie verrückt. Es waren Nostalgiker aus Schweden. Wir hatten die ganze Zeit geschwiegen und gelauscht, bis Hanna sag-te: „Dieses Hotel macht einen sehr jungen und teuren Eindruck, Elvira. ‚Rick’s Bar‘ – hat sie früher hier auch schon gestanden oder hat es sie gar nicht gegeben und war nur ein Einfall für den Film?“„Doch, doch. Es hat sie gegeben. Ganz hier in der Nähe. Die Touristen kamen häufig ins Hotel und fragten nach ‚Rick’s Bar‘. Da entschied der Besitzer, wieder eine solche Bar einzurichten und da ist sie.“„We call that good management, Hanna“, stellte Maureen im Brustton der Überzeugung fest.Wir nippten an unserem Pfefferminztee und schwelgten in Erinnerun-gen aus der Jugendzeit. Als der schwarze Klavierspieler wieder anfing zu spielen, redete keiner mehr.„Die unheimliche Geschwindigkeit der Zeit, Hanna! Dieser Klavierspie-ler ist gar nicht Ingrid Bergmanns Klavierspieler. Er spielt nur ihre Melo-dien. Wie lange noch? Die jüngeren Generationen, wollen Sie die auch noch hören?“, fragte ich. Wir brachen auf und bummelten nach Hause. Ich dachte an den Gins-ter im Hohen Atlas. Auf dem Rückweg begegneten wir kaum noch Men-schen. Sie saßen jetzt zu Hause bei ihrem Essen. Wir traten in der Wohnung in der sechsten Etage noch einmal ans Fens-ter. „Dort ist meine Kathedrale, die Sacre Coeur de Casablanca“, fing ich an. „Ich kenne sie seit 37 Jahren. Damals bin ich mit einer deutschen Reise gruppe nach Casablanca gekommen und hatte in einem Hotel in

Page 16: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

36

der Nähe der Markthalle gewohnt. Mein Gehirn hatte sich damals, 1963, noch nicht an die zwei Stunden Zeitunterschied gewöhnt und ich wachte wie üblich 6.30 Uhr deutscher Zeit auf. Das war in Casablanca aber erst 4.30 Uhr. Ich fing also an, in meinem Reiseführer zu lesen. Dann stand ich auf, ging ins Badezimmer und danach in die Hotelhalle. Da war keine Menschenseele, aber die Eingangstür stand offen und ich spazierte hin-aus in das noch dunkle Casablanca.Ich bog links ab, kam in eine herrliche Grünanlage mit Palmen, dann zur Post und schließlich sah ich in der Ferne zwei weiße Türme in der aufge-henden Sonne leuchten. Das war die Sacre Coeur de Casablanca, die gro-ße Kathedrale, welche die Franzosen während der Kolonialzeit gebaut hatten und über die ich gerade im Hotel vorher gelesen hatte. Orgelmusik lockte mich hinein. Die Musik und die ersten Sonnenstrah-len des frühen Morgens in den Kirchenfenstern ließen mich niedersetzen und lauschen. Da war außer mir keiner in dem riesigen Kirchenschiff. Ich war mit dem Organisten alleine in der Kirche, etwa eine Stunde lang. Dann hörte er auf zu spielen und ich schlich hinaus, machte mich auf den Rückweg zum Hotel. Dort kamen gerade die ersten Gäste zum Frühstück. Sacre Coeur, das war mein bestes Erlebnis damals vor 37 Jahren in Casab-lanca. Die große Moschee Hassan II ist ja erst seit vier Jahren fertig.“„In die gehen wir morgen“, schlug Dieter vor. „Wir besuchen aber auch deine Kathedrale, Elvira“, lenkte Maureen ein. „Also, was bist du nun, Elvira? Katholisch, evangelisch oder Moslem? Katholisch warst du früher nicht und als wir größer waren, so etwa 15, waren wir beide schon Marxistinnen. Unsere Schulen hatten uns dazu gemacht, Maureen“, erzählte Hanna. „Und ich bin katholisch, Hanna“, sagte Maureen. „Trotzdem besuchen wir morgen alle zusammen die Moschee.“„Danach gehst du in die Sacre Coeur beten, Maureen“, schlug ich vor. „Ich komme mit.“„Eine schöne Geschichte ist das: Eine Marxistin heiratet einen Moslem und geht erst in die Moschee und dann in die Sacre Coeur zum Beten. Wie findest du das, Maureen?“, fragte Hanna. „Und wo wirst du beten, Hanna?“, gab diese die Frage zurück. „Sie geht gar nicht beten. Sie ist immer noch Marxistin“, erwiderte ich. Ich hatte den Eindruck, ich war in unserer Unterhaltung zu weit ge-gangen. Schon in der Eisenbahn hatte ich den Eindruck und fuhr fort: „Marx istin ja oder nein? Da bewegt man sich doch in der besten Gesell-schaft. Seit die Kapitalisten ‚Das Kapital‘ von Karl Marx studiert haben, wissen sie, dass sie unschlagbar sind, wenn sie neben Produktionsmitteln auch die Produktivkräfte besitzen. Also haben sie sich Produktivkräfte gemacht Computer und Roboter. Und den proletarischen Internationa-lismus praktizieren sie doch auch schon längst. Sie nennen ihn Globali-sierung und lassen Arbeitskräfte zu Niedriglöhnen in Asien, Afrika und

Page 17: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

37

Südamerika für sich produzieren. Das ist proletarischer Internationalis-mus aus kapitalistischer Blickrichtung. Also globalistischer Imperialis-mus, der die Arbeitslosigkeit in Deutschland beispielsweise unterhält, die sie der rot-grünen Regierung anlasten. Nicht die Regierung vergibt Arbeitsplätze, sondern diejenigen, die die Produktionsmittel und nun auch die Produktivkräfte besitzen. Lebende Produktivkräfte raus, künst-liche und fremde rein in die Produktion. So macht man Gewinne. Ich bin gespannt, wie lange es noch dauert, bis rote und grüne Politiker auch ‚Das Kapital‘ lesen, um den Kapitalismus zu begreifen. Also: Wer sich heute mit dem Marxismus beschäftigt, ist in der Regel kein Linker, sondern Rechter, nur letzterer profitiert vom Marxismus.“ „Und was bist du nun, Elvira? Marxistin oder Moslem oder Globalistin?“, fragte Hanna. „Ich glaube wie Echnaton, der alte Ägypter, an die Kraft der Sonne. Des-halb lebe ich in Marokko. Ohne Sonne ist kein Leben möglich auf der Erde. Wer der Sonne diese Macht streitig macht und Leben zerstört, hat nicht verdient, dass er lebt.“„Und der große Fisch vom Abendessen. War der nicht auch Leben?“, gab Dieter zu bedenken. „Wen sollen wir dafür verantwortlich machen, dass wir nicht überle-ben können, ohne zu töten? Gott? Oder sollen wir uns alle entscheiden zu sterben? Seit Jahrtausenden haben wir uns doch gegenseitig umge-bracht, wir Menschen, ohne dass dazu immer Not war. Was die Religi-onen und Weltanschauungen angeht, so haben sie Kriege über Kriege herbeigeführt. Hat Gott diese Kriege gewollt? Will Gott jetzt, dass sich Islamisten und Amerikaner gegenseitig umbringen? Da ist es doch völlig gleichgültig, ob ich in eine Moschee oder eine Kathedrale gehe oder ‚Das Kapital‘ von Marx und ‚Das kommunistische Manifest‘, den ‚Koran‘, die ‚Bibel‘ oder die ‚Thora‘ lese. Kennen sollte man diese Bücher allerdings schon, denn aus ihnen lernen wir zu erkennen, weshalb heute noch Men-schen Menschen töten oder Kriege geführt werden.Alle Bücher der monotheistischen Religionen wurden geschrieben, um die Menschheit vor sich selbst zu retten. Alle drei werden und wurden benutzt, um Menschen umzubringen. Dasselbe gilt für die Bücher von Karl Marx. Er würde sich im Grab umdrehen, wenn er hören könnte, was man heute ‚Humankapital‘ nennt.

Am nächsten Morgen schliefen wir alle etwas länger und nach dem Früh-stück machten wir uns auf den Weg zur neuen Moschee Hassan II. Das ist marokkanische Architektur in höchster Vollendung. Das Geld wurde in Form von Spenden aufgebracht. „Hier hausen noch so viele Menschen in Elendsvierteln. Hätte man das Geld nicht den Armen zugute kommen lassen müssen?“, fragten mich meine Besucher.

Page 18: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

38

„Eine Menge, muss man zugeben. Der junge König Mohamed VI. hat mit seine Regierung ein enormes soziales Bauprogramm auf die Beine ge-stellt und die Elendsviertel im Lande weitgehend reduziert. Es schießen zwar immer wieder neue aus der Erde, weil die Landflucht ungebrochen anhält, aber die modernen Wohngebiete der Städte dehnen sich immer weiter aus. Marokko ist eine riesige Baustelle und hat einen sozialen Kö-nig. Er hat außerdem die allgemeine Schulpflicht eingeführt und eröffnet ständig neue Schulen, Heime für Waisenkinder, Frauenhäuser und hö-here Bildungsanstalten. Er hat die Foundation Mohamed VI. ins Leben gerufen, welche ein enormes Umweltprojekt ist. Das Parlament hat ein neues Familiengesetz beschlossen, welches Frau-en und Männer gleichstellt und Gewalt gegen Frauen strafbar ist. Män-ner müssen außerdem ihren Frauen und Kindern Unterhalt zahlen und Frauen haben das Recht auf Scheidung und Bildung.“„Um an unsere Diskussion von gestern Abend anzuknüpfen. Du bist also am Ende deiner marxistischen Phase hier in Marokko Monarchistin ge-worden?“, fragte Dieter. „Ja, Dieter. In Marokko bin ich für eine konstitutionelle Monarchie. Die Kombination von einem hoch verantwortungsvollen, sozial motivierten König und einer demokratischen Regierung ist ein gutes politisches Kon-zept für Marokko. Ich sage aber deutlich für Marokko und fordere nicht für Deutschland: Lasst uns unseren alten Kaiser Wilhelm wieder haben! Er war ein Kriegskaiser, deshalb musste er weg.“

Auf dem Rückweg von der Moschee bummelten wir an „meiner“ Kathe-drale vorbei, die von einem Grauschleier überzogen und leider geschlos-sen war. „Die Katholiken von Casablanca sind wohl finanziell etwas schwach auf der Brust, Elvira?“, fragte Dieter. „Ja, es sieht so aus. Aber vielleicht sind die französischen Katholiken von Casablanca immer weiter weggestorben und keine neuen mehr da-zugekommen. Darüber sollte man mal mit dem Bürgermeister und der Stadtverwaltung nachdenken. Was könnte man alles aus einer Kirche, die nicht mehr gebraucht wird, machen? Ein Museum vielleicht.“

Beim Abendessen fragte mein Mann: „Wer sieht mit mir gleich im Fern-sehen das Spiel Kamerun gegen Marokko?“Hanna stand vom Tisch auf und meinte: „Ach Fußball, wir würden eigentlich ganz gern noch einmal hinunterbummeln zu ‚Rick’s Bar‘. Be-kommen Dieter und ich den Haustürschlüssel?“„Natürlich. Geht ihr mal allein. Wir gehen nicht mit.“Als sie gegangen waren, fuhr Maureen fort: „Sie wollen alleine sein, Elvi-ra, lass sie nur. Sie gehen ihre Erinnerungen von der Flucht in den Wes-ten in Nostalgie ertränken. Ihre Flucht hat sie zusammengeschweißt.

Page 19: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

39

Mohamed, bist du einverstanden, wenn wir dich allein beim Fußball sit-zen lassen und nach nebenan gehen? Ich möchte Elvira bitten, mir von ihrer eigenen Flucht zu erzählen.“

„Oh Maureen, meine Flucht ging nicht nur von Ost nach West, sondern auch von Nord nach Süd und spann sich über einen Zeitraum von mehr als 45 Jahren“, antwortete ich. „Willst du damit sagen, dass deine Flucht noch gar nicht zu Ende ist nach all den Jahren? Wovor flüchtest du denn noch?“„Ich flüchte nicht mehr vor etwas, sondern suche nur noch Zuflucht nach Ruhe und Frieden. Hier in Marokko habe ich sie endlich gefunden.“„Ja, Elvira, ich habe den Eindruck, dass du hier glücklich bist. Aber wie ist es mit Deutschland? Kannst du in Deutschland nicht glücklich sein?“ „Doch Maureen. Ich lebe ja auch in den Sommermonaten in Deutsch-land. Aber wenn die Blätter fallen, muss ich wieder in die Sonne.“„Nach Uganda zieht es dich wohl nicht mehr?“, fragte Maureen. „Ziehen schon“, sagte ich. „Aber ich wage es nicht mehr wegen der Ma-lariagefahr. Wegen einer therapieresistenten Malaria musste ich 1999 Uganda verlassen. Ich hatte damals eine Tropica und es half keines der üblichen Malariamittel, auch nicht mehr das gute alte Chinin. Rein zu-fällig war gerade ein Arzt aus Würzburg gekommen, der das neue Mittel Malarone in der Tasche hatte. Ohne ihn hätte ich nicht überlebt. Es war eine üble Erfahrung.“„Siehst du, davon weiß ich gar nichts“, entgegnete Maureen. „Kannst du auch nicht. Du warst damals bereits in Malawi. Übrigens, meine Flucht, Maureen, vom Anfang bis zum Ende, das schaf-fen wir heue nicht mehr. Am besten, ich schreibe sie auf – für dich und den Hemingwaytyp.“ „Ja, da hast du Recht. Wir haben uns noch eine Menge zu erzählen. Jetzt lass mich noch in meinem Reiseführer lesen. Wir fahren doch morgen nach Rabat.“„Natürlich Maureen. Rabat tomorrow. Good night.“

Page 20: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

40

6. Die Flower Lady und zwei alte Kameraden

Wir fuhren von Casablanca nach Rabat über die Autobahn. „Maureen“, fragte Hanna, „wie hast du eigentlich Elvira kennen ge-lernt?“„Das war in Uganda, im ‚University Inn‘ in Mbarara 1994. Die Mbarara Universität hat ein kleines Hotel mit Restaurant aus der Kolonialzeit, das ‚University Inn‘, das früher ‚Planter’s Inn‘ hieß. Ich saß beim Mittages-sen, als eine blonde Lady in einem eleganten geblümten Kleid im Toyota Landcruiser von einem Chauffeur vorgefahren wurde. Sie unterhielten sich auf Englisch und ich verstand, dass sie, wie ich, im ‚University Inn‘ wohnen würde. Der Vice Chancellor (Rektor) der Universität hatte uns erzählt, dass wir eine deutsche Chirurgin bekommen. Die Flower-Lady also, dachte ich bei ihrem Eintreffen, ist die Neue. Und so war es dann auch. Am Nachmittag erzählte ich Vivian, die Public Health (öffentliches Gesundheitswesen) unterrichtete, dass die Flower-Lady höchstwahrscheinlich unsere neue Chirurgin sei. Am folgenden Tag hatten wir ein Council Meeting (Ratsversammlung) und der Vice Chancellor stellte uns, diesmal in einem anderen geblüm-ten Kleid, die Flower-Lady vor. Die Studenten freuten sich und ich mich auch. Ich brauchte sie für die Notfalloperationen unserer Kinder. George, unser ugandischer ärztlicher Leiter des Hospitals war etwas skeptisch. Elvira hatte den Fehler gemacht, sich nicht sofort bei ihm vor-zustellen.“„Ja“, unterbrach ich Maureen „das ist das englische System in einer ugandischen Universität. Da gibt es unter dem Rektor und dem Dekan noch einen Medical Superintendent (Chefarzt) und einen Verwaltungs-leiter des Hospitals. In Deutschland war das nicht so. George war im Ur-laub und als er zurückkam, rief er mich zu einem chirurgischen Notfall auf der gynäkologischen Abteilung. Er war der leitende Gynäkologe und Geburtshelfer. George stellte sich mit den Worten vor: „Ich bin Wasswa, der MS (Medical Superintendent) und habe schon von Ihnen gehört. Sie machen die Pläne für unseren neuen Operationstrakt und die operativen Abteilungen.“„Wenn Sie Wasswa sind“, fragte ich, „wo ist dann Kato?“ In Uganda heißt der erste Zwilling immer Wasswa und der andere, wenn er ein Junge ist, Kato. „Kato ist RAO (Reginal Administrative Officer) hier in Mbarara (das ist einem deutschen Ministerpräsidenten entsprechend)“. „Zwei kluge Boys“, bemerkte ich bewundernd.„Ach“, antwortete er, „ich hätte auch eine kluge Nakato (der ugandische Name für den zweiten Zwilling) genommen. Wie wäre es, wenn Sie als

Page 21: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

41

meine Zwillingsschwester einspringen?“„Blond und schwarz, nicht nur die Haare. George, als eineiiger Zwilling lässt uns keiner passieren, weißt du das ?“„Look who’s coming there! Schau, wer da kommt!“, sagte George Wass-wa. „Isn’t she the one of your tribe? Ist sie nicht von deinem Stamm?“, und er zeigte auf Abwoli, eine schwarze Krankenschwester aus Fort Portal, die nun die Wachstation in Mbarara leitete.Sie rannte auf mich zu, umarmte mich und sagte: „Gott sei Dank, dass du endlich da bist, Abwoli.“„Was denn, Abwoli und Abwoli?“, fragte George. „Zweimal Abwoli, eine weiß, die andere schwarz.“„Ja George, wir sind doch der beste Beweis dafür, dass das möglich ist. Abwoli, hast du gewusst, dass George mein Zwillingsbruder ist?“„Nein“, antwortete sie und fügte hinzu „aber ihr seht euch wirklich sehr ähnlich.“Wir lachten alle drei und dann machte George die Bemerkung: „Eine schwarze und eine weiße Katze. Wusstest du, dass Abwoli Katze heißt?“ „Natürlich weiß sie das, Dr. Wasswa“, sprang die schwarze Abwoli ein. „Sie war doch lange genug in Fort Portal.“Die Hebammen schoben die Trage mit der Frau von der gynäkologischen Station in Richtung OP. Wir drei folgten. „Hast du schon Akiiki getroffen?“, fragte mich Abwoli. „Ja natürlich. Und die Begegnung hier war ähnlich wie unsere. Wie sa-hen uns vor dem Hospital store, rannten aufeinander zu und die eine rief Akiiki, die andere rief Abwoli und wir umarmten uns. Der Ingenieur der Universität kam gerade des Weges und fragte: „And what about my hug? Und wie ist es mit meiner Umarmung?“

Ein paar Tage später schickte mich der Vice Chancellor in die Bauab-teilung. Ich solle mir im Büro des Ingenieurs die alten Baupläne von Hospital und Universität holen und feststellen, ob davon noch etwas zu gebrauchen sei. Der Ingenieur saß am Schreibtisch, rauchte und schrieb. „Wissen Sie, dass man Sie hier die Flower-Lady nennt? Ich weiß wes-halb.“ Er begrüßte mich und holte die alten Baupläne hervor. „Nein, ich weiß das nicht“, gestand ich. „Es ist, weil die englischen Ladies auf ihre schönen blumigen Kleider nei-disch sind.“Wir lachten. Ich breitete die Zeichnungen auf dem Sofa aus, welches in dem Büro des Ingenieurs stand und kniete mich davor. Ein junger Ugan-der im Anzug kam herein, kniete sich neben mich und legte seinen linken Arm um meine Schultern.

Page 22: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

42

„Hast du früher auch in Fort Portal gearbeitet?“, fragte ihn der Ingeni-eur. „Nein, weshalb?“, fragte der Mann auf Knien. „Kennst du diese Dame?“, hakte der Ingenieur nach. „Nein, aber vielleicht stellst du uns vor?“, antwortete der Mann. „Nur, wenn Sie sofort den Arm von meinen Schultern nehmen!“, fauchte ich ihn an. Er stand auf. „Die Lady auf den Knien neben dir ist Professor El Baz, die neue Chirur-gin“, griff der Ingenieur ein und fuhr fort. Zu mir gewandt sagte er: „Der Herr über Ihnen ist der Krankenhausverwalter.“„Dieser Herr ist bestimmt nicht über mir, wenn er jetzt auch steht“, konnte ich mir nicht verkneifen zu erwidern. Wir lachten. „Kennen Sie die alten Zeichnungen des Hospitals?“, fragte ich den Ver-walter. „Nein.“ Er wollte sich wieder neben mir niederlassen. Ich stoppte ihn mit den Worten: „Bleiben Sie stehen! Wie lange arbeiten Sie hier schon?“„Zwei Jahre“, antwortete er mir. „Na also, da konnten Sie ja noch gar keine Zeit finden, sich für die Weiter-entwicklung Ihres Hospitals zu interessieren“, stellte ich ironisch fest. Er drehte sich um und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und rief mir zu: „Sie sind ziemlich arrogant, Professor!“„Merken Sie sich bitte, dass ich hier keinen Boyfriend suche, sondern meine Arbeit tue. Legen Sie mir also kein zweites Mal den Arm um die Schultern!“Er verschwand. Der Ingenieur steckte sich eine Zigarette an und begab sich dann auch neben mich auf die Knie. Gemeinsam gingen wir die Pläne durch. „Sie haben den Kosenamen Abwoli aus Fort Portal mitgebracht. Sie sind also eine echte Mutoro?“, fragte er, als er wieder eine Zigarette brauch-te.„Ja, ja. Die Batoro, die Menschen von Toro aus dem ehemaligen König-reich im Westen Ugandas, haben mich gewissermaßen adoptiert. Sie sind ein echter Munyankole (Einwohner von Ankole, dem ehemaligen südlichen Königreich), vermute ich. Die Batoro (Mehrzahl von Mutoro) haben auch Kosenamen. Welcher ist ihrer? Araali?“„Ja. Wer hat Ihnen das gesagt?“, fragte der Ingenieur auf Knien. „Keiner. Mein Freund Patrick Kaboyo Olimi, der König von Toro, hat auch den Kosenamen Araali.“ „König Patrick ist Ihr Freund?“„Ja, mein Freund und Bruder. Nicht mein Boyfriend. Sie kennen doch den kleinen Unterschied?“, fragte ich. Wie lachten abermals.

Page 23: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

43

Dann bemerkte der Ingenieur: „Wenn wir dieses neue Krankenhaus bauen, werden wir noch viel zusammen lachen, glaube ich.“„Vielleicht“, antwortete ich. „Aber diese alten Pläne können uns nur we-nig nützen. Bitte machen Sie Kopien von diesen drei Plänen, damit ich die Abstände von den alten Gebäuden weiß. Dann setze ich mich zwi-schen Weihnachten und Neujahr hin und zeichne die neuen Pläne. Ich habe sowieso Dienst über die Feiertage, wie jedes Jahr und das schon seit zehn Jahren.“„Seit zehn Jahren? Feiern Sie denn nicht Weihnachten? Haben Sie keine Familie?“„Doch, doch, eine Tochter in Deutschland und einen Mann in Marokko“, antwortete ich, rollte die Pläne zusammen, gab sie ihm und ging.

Wir hatten den Stadtrand von Casablanca erreicht und Hanna als ehe-malige Op-Schwester fragte: „Diese beiden alten Kameraden, Abwoli und Akiiki, waren sie gute Schwestern? Ich meine gut ausgebildet und verantwortungsvoll?“„Nicht nur die beiden, sondern eine ganze Reihe von Schwestern und Hebammen war gut ausgebildet. Aber es gab dennoch einen Unterschied. Abwoli und Akiiki hatten ihre Ausbildung in einem der Missionshospi-täler in Kampala beziehungsweise Fort Portal erhalten. Sie hatten Ord-nung auf ihren Stationen, nahmen gelegentlich selbst Putzlappen in die Hand, brachten die Instrumente jeden Abend zum Sterilisieren in den Op und lehrten Schülerinnen, wie man Schwerkranke pflegt. Diejenigen Schwestern, die im Universitätsklinikum Mulago in Kampa-la ausgebildet worden waren, hatten ihre Schränke und Verbandswagen unordentlich und wussten nicht, wie man sauber macht. Das bedeutet, sie waren nicht imstande, das Putzpersonal richtig anzulernen. Meine erste Erfahrung mit dem Pflegepersonal des Op-Bereichs der Uni Mbarara wird dich interessieren, Hanna. Wir sind jetzt jedoch auf der Avenue Hassan II. und so gut wie zu Hause. Die Hähnchen sind gebraten. Ich habe heute die Küche, mache Chicken-Curry ugandisch. Setzt euch hin zur ‚Tagesschau und Wetterkarte‘, 20.45 Uhr dann ‚Le Journal‘, die marokkanische Version der Nachrichten auf Französisch. 21.25 Uhr gibt es einen amerikanischen Film auf Arabisch: Schießerei, Explosionen, Tote, Feuer, Brandleichen und noch mehr Schießerei.“„Nein danke“, sagte Hanna und stand auf. Sie fragte mich, ob wir das sehen wollten. Eigentlich wollte das keiner. „Die Ankündigungen dieser Art von Filmen laufen schon am Nachmit-tag, mitten im Kinderprogramm. Ägypten und Brasilien verkaufen bes-sere Filme an Marokko.“„Aber“, wandte Maureen ein „ich habe ganz großartige Frauen bei dir in Agadir im Fernsehen gesehen. Nachrichtensprecherinnen und Polit-

Page 24: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

47

7. Drei Milzen zu Weihnachten

In den ersten Oktobertagen 1994 hatte ich meine Tätigkeit an der Uni-versity of Science and Technology in Mbarara im Süden von Uganda auf-genommen. Ich hatte neben der Leitung der chirurgischen Abteilung des Mbarara University Teaching Hospital Studenten in den drei klinischen Studien-jahren zu unterrichten und unter anderem dafür zu sorgen, dass zwölf Studenten, die im August desselben Jahres durch das Staatsexamen ge-fallen waren, beim nächsten Anlauf in sechs Wochen durchkommen. Wie ich bald feststellte, war das Häuflein der unglücklichen Zwölf nicht etwa zu dämlich zum Studieren, es waren sogar ein paar sehr clevere Köpfe dabei, sondern sie hatten nur das Pech gehabt, dass sie einen ein-zigen Lehrer in Chirurgie hatten, der viel mit seiner Praxis in der Stadt beschäftigt war. Deshalb war er den größten Teil des Unterrichts nicht anwesend. Es herrschten also Zustände wie in der Secundary School meiner Tochter in Fort Portal, wo die Lehrer einfach nicht zum Unterricht erschienen. Ich sorgte dafür, dass es im zweiten Anlauf alle zwölf im Fach Chirurgie schafften, zwei davon sogar mit Auszeichnung. Die zwei Besten aus der Gruppe hatten inzwischen Gefallen an der Chir-urgie gefunden und machten ihre Internship (AP-Zeit) bei mir. Dann kam Weihnachten. Um die Weihnachtszeit gibt es in Uganda immer eine Menge Verkehrs-unfälle auf den Straßen. Es sind sehr viele Leute unterwegs, die von der Hauptstadt Kampala in ihre Dörfer zu den Angehörigen fahren, was manchmal bis zu 600 und 700 Kilometer weit sein konnte. Dabei ist Mbarara auf der Mitte dieser Strecke nach dem Westen oder dem äu-ßersten Süden ein kritischer Punkt. Viele Reisende schaffen es nicht zu ihrem Ziel und sind Opfer dieser Reisewut, das heißt dieser vielen Unfäl-le. So war es auch Weihnachten 1994. Ein Bus hatte sich überschlagen und wir bekamen zwölf Verletzte am Heiligen Abend gegen 16 Uhr. Einer hatte eine zerrissene Milz und be-reits eine Menge Blut in seine Bauchhöhle verloren. Ich nahm mir einen frisch gebackenen Intern, Dr. John Bosco, wie er sich nun nannte, um zu assistieren. Wir entfernten die Milz. Als ich Bosco den Bauch zunähen ließ, kam sein Freund Dr. Mukasa und meldete einen neuen Unfall, ebenfalls mit einer Milzverletzung. Ich ließ Mukasa Blut vorbereiten und den zweiten Patienten ins Narko-sezimmer vom Op bringen. Mukasas Diagnose war richtig und ich bat ihn, sich zu waschen und Bosco abzulösen. Als ich gerade den Milzstiel unterbunden hatte und ihn durchtrennte, kam Dr. Bosco und behaupte-te, er habe noch einen Patienten mit einem Milzriss.

Page 25: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

48

„Den operieren wir doch gerade“, sagte ich ihm. „Nein, Professor, da ist noch einer, also eine dritte Milzruptur“. Wir gingen vor wie bei dem zweiten Patienten und Boscos Diagnose stimmte ebenfalls. Als wir drei dann nach der dritten Milzoperation den Op verließen, sagte ich zu meinen beiden jungen Kollegen: „Ihr Ugan-der macht das richtig mit eurer Mitternachtsmesse zu Weihnachten. Bis Mitternacht sind alle Milzen, die so anfallen, operiert und der Rest der Reisenden zu Hause angekommen. Geht jetzt zu eurer Messe!“

Ein Weihnachtsgeschenk bekam ich nicht in Mbarara, so wie für mich überhaupt alle üblichen Festtage in Afrika ausfielen. Früher, als ich noch in Fort Portal gearbeitet hatte, hat mich zwar die deutsche Nonne und Hebamme Käthe jedes Jahr regelmäßig mit einem Adventskranz über-rascht und mich so daran erinnert, dass es auf Weihnachten zu geht. Aber Weihnachten an sich in Uganda war ein Mehr an Arbeit, da so viele Verkehrsunfälle und Schlägereien unter Alkohol anfielen und der einzige Gynäkologe von Fort Portal mit seiner Familie in sein Dorf in Kigesi im äußersten Süden des Landes abgereist war.Querlagen, Beckenendlagen, Blutungen vor und nach der Geburt und einsetzende Wehen bei vorausgegangenen Kaiserschnitten waren also „meine Weihnachtsgeschenke“. Silvester und Neujahr wurde das nicht etwa besser, sondern eher schlim-mer, denn auch Hebammen und Schwestern zogen es vor, mit ihren Fa-milien und nicht mit ihren Patienten in das neue Jahr zu feiern.Eine Situation wie in der Silvesternacht 1992 hat sich in Mbarara aller-dings nicht wiederholt. Damals hatte ich noch einen letzten Rundgang durch die Station gemacht, also eine Art Bestandsaufnahme. Als ich durch die Tür der Entbindungsstation trat, kam mir ein Mann entgegen, der ein Neugeborenes auf dem Arm hielt. „Kommen Sie schnell zu mei-ner Frau, Doktor, das zweite Baby ist noch drin.“Ich folgte ihm in den Kreissaal. Keine Hebamme weit und breit. Eine abgeklemmte Nabelschnur hing aus der Scheide der Frau. Der zweite Zwilling lag in Querlage. Die Herztöne waren aber soweit gut. Seit der Geburt des ersten Zwillings seien zweieinhalb Stunden vergangen. Die Hebamme habe das Baby auf das nächste leere Bett gelegt und sei ge-gangen! Ich konnte den zweiten Zwilling auf die Füßchen wenden und es nach Brachte entbinden. Der Vater hatte nun beide Zwillinge im Arm und freute sich wie ein Kind.

Eine Woche später wurde nachts ein 52-jähriger deutscher Straßenbau-ingenieur von seiner Frau ins Hospital gebracht. Er war blau, schwitzig, hatte keinen Puls, keinen messbaren Blutdruck und kein Fieber. Aber er stöhnte über starke Schmerzen in der Herzgegend und war nicht bei vollem Bewusstsein. Nach Anlegen einer Infusion und der Gabe eines

Page 26: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

49

Schmerzmittels konnten wir einen Herzinfarkt durch EKG ausschließen. Malariaparasiten hatte er nicht im Blut. Vier Stunden später ging es ihm aber nicht wesentlich besser. Er war im-mer noch im Schockzustand, aber er hatte immer noch kein Fieber. Jetzt konnten wir aber Malariaparasiten nachweisen. Wir leiteten die Malariabehandlung ein und nach weiteren vier Stunden ging es ihm bes-ser, er konnte sogar mit uns erzählen.Er war zuständig für den Bau einer Straße von Mbarara nach Ibanda am George-See und ich fragte ihn: „Haben Sie Tabliques in der Nähe von Ibanda gesehen?“„Ja, gar nicht weit von Mbarara. Ich fuhr früh um 6 Uhr wie üblich zur Baustelle. Da war ein Bus geparkt und Kindersoldaten bewachten etwa zwanzig Leute, die wie Sardinen am Straßenrand lagen. Die Gesichter zeigten nach unten. Ich musste mich dazu legen, Gesicht auch nach un-ten und sie nahmen mir meine Uhr ab. Dann stoppten sie ein öffentliches Taxi. Den Insassen wurden Habe und Geld abgenommen, dann verlän-gerten sie die ‚Sardinenreihe‘. Kurz darauf kam ein Jeep und die Sonne ging auf. Da fuhren die Gangs-ter im Jeep davon. Wir stiegen auch in unsere Autos und Busse und fuh-ren weiter.“

Dieser deutsche Ingenieur ist ein Beispiel dafür, wie eine Malaria bei Europäern, die ein Präparat zur Vorbeugung nehmen, gelegentlich ver-laufen kann und wie wichtig es ist, eine Blutuntersuchung auf Malaria mit negativem Ausfall nach ein paar Stunden oder am folgenden Tag zu wiederholen.

Page 27: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

50

8. Der große unendliche Plan

Beim Planen werden häufig Fehler gemacht. Man steckt beispielsweise keinen zeitlichen Rahmen oder man stellt die Finanzierung für die Rea-lisierung des Planes nicht sicher. Wie attraktiv Planungsworkshops für viele Leute in einem Entwicklungs-land sind, sollte ich bald begreifen lernen. Aber zunächst hatte ich mich am Heiligen Abend 1994 nach meinen drei Milzen in meiner Miniwohnung auf dem Campus der Mbarara Univer-sität an meinen Ess-, Bügel- und Schreibtisch gesetzt, den Flächenplan studiert, den neuen Op auf Karopapier nach den Gesetzen der Apsis ge-staltet und den Bedürfnissen für das Einzugsgebiet des Hospitals ent-sprechend vergrößert, zwischen die bestehenden chirurgischen alten Stationen neue gezeichnet, getrennt nach aseptischen und septischen Operationen, und die alten bestehenden Stationen in Hörsäle umgewan-delt, denn dafür waren sie gut geeignet, da sie aus jeweils zwei großen Krankensälen und fünf kleineren Zimmern bestanden. Vorlesungssäle und Seminarräume konnte ich da ideal unterbringen. Die Intensivstation würde ich durch die Vergrößerung der bisherigen Wachstation erhalten und interdisziplinär einrichten. Meine neuen Bet-tenstationen hatten für die Chirurgie 200 Betten auf dem Plan. Bisher waren da nur 70 chirurgische Betten, aber auf jedes Bett kamen drei Pa-tienten, zwei neben bzw. unter dem Bett. Gegen Mitternacht des zweiten Weihnachtsfeiertages war Weihnachten zu Ende, alle Notfälle versorgt und ich hatte meinen Plan auf dem Pa-pier. Nach den Feiertagen bat ich den Ingenieur der Universität, die Kosten für die Realisierung meines Planes errechnen zu lassen.Wir würden 300.000 US-Dollars brauchen, erfuhr ich im neuen Jahr. Woher das Geld kommen sollte, sagte mir jedoch zunächst keiner und ich äußerte dem Vice Chancellor und dem Ingenieur gegenüber, dass wir, wenn wir uns mit der Bitte um finanzielle Unterstützung an die Europäer wenden wollten, es sinnvoll sei, das Hospital nicht zu groß zu planen. Für Krankenhäuser mit einer Bettenkapazität über 400 hätten die Euro-päer erfahrungsgemäß kein Verständnis.Kinderabteilung und Geburtshilfe seien groß genug und bedürften nur der Sanierung. Wir kämen insgesamt gerade auf genau 400 Betten.Die Tb-Abteilung brauchte eine eigene Lösung, da dort die Raumknapp-heit ein Riesenproblem sei. Es sei zu überlegen, ob man für die Tuber-kulose nicht ein eigenes Hospital außerhalb der Uni errichte, da für Tb-Bekämpfung ein Programm des Gesundheitsministeriums besteht und dafür Mittel zur Verfügung stünden. Auf diese Weise könnte man die beiden Gebäude der Tb-Station zur Er-

Page 28: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

51

weiterung von Röntgenabteilung und Ambulanz nutzen und für Augen- und HNO-Arzt eine Station errichten. Dann war Ende Januar eine Sitzung des University Council, dessen Vor-sitzender aus Kampala kam und der mich wissen ließ, dass mein Plan viel zu bescheiden sei.Die Universität brauche eine ganze Reihe von Spezialabteilungen, wie Herz- und Gefäßchirurgie, Hirnchirurgie, plastische Chirurgie, Lungen-chirurgie, Orthopädie, Urologie und dergleichen mehr. Jede dieser Ab-teilungen benötige etwa 100 Betten. Er habe eine englische Consulting Firma eingeladen, die in den nächsten Wochen nach Mbarara komme.

Ich gab zu bedenken, dass in Uganda vorerst keine Spezialisten für diese Spezialabteilungen vorhanden seien und bat ihn mir mitzuteilen, wer für die finanziellen Mittel der Baumaßnahmen aufkomme und wie der zeit-liche Rahmen sei. „Wie viel Finanzmittel haben Sie zur Verfügung?“, wollte ich wissen. „Wir haben Sie nicht beauftragt, für die Finanzmittel zu sorgen und ich bitte Sie, mit der Consulting Firma zusammenzuarbeiten, Professor“, sagte mir der Vorsitzende des Councils etwas von oben herab. Wie viel die Consulting Firma kostete und wer sie bezahlte, wollte ich noch wissen und ob sie bereits für Krankenhausbauten gearbeitet habe, sie also wisse, wie ein Op beschaffen sein muss und ob sie bereits in Af-rika gearbeitet habe. Auf all diese Fragen bekam ich keine Antwort, nur dass die African De-velopment Bank (ADB) die Consulting Firma bezahlen wird, die voraus-sichtlich die gesamten Baumaßnahmen übernehmen werde.Ich brachte noch zweimal meine Bedenken wegen der Finanzierungskos-ten zum Ausdruck: „Wenn noch nicht ganz sicher ist, wie viel an Geld-mitteln und ob Sie überhaupt welche von der ADB bekommen, so beden-ken Sie bitte, dass Europäer in der Regel Krankenhausobjekte mit über 400 Betten nicht übernehmen. Wer wird für die laufenden Kosten für das Hospital Ihrer Vorstellung zu-ständig sein, also für Gehälter, Einrichtung, Betten, Geräte, Instrumente? Woher werden die Fachkräfte kommen? Wenn wir davon ausgehen, dass die Fachkräfte für die Spezialabteilungen, die Sie in Ihren Vorstellun-gen haben, frühestens in zehn bis zwanzig Jahren zur Verfügung stehen werden, ist es unwirtschaftlich, jetzt im Jahr 1995 die Bausubstanz da-für hinzustellen und sie dann über Jahrzehnte leer stehen zu lassen. Die Medizin entwickelt sich doch weiter und wir können nicht wissen, was wir in zwanzig Jahren brauchen. Ich sehe ein, dass Sie sich vorstellen, in einem Universitätshospital sollte das vorhanden sein. Jeder von uns beiden hat jedoch eine andere Vorstellung von diesem Hospital. Ich be-fürchte, dass die Ihrige für immer ein Traum bleiben wird. Mein Traum lässt sich, glaube ich, mit der Realität besser vereinbaren.

Page 29: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

52

Das Allerbeste, worüber wir sprechen sollten, ist das Schicksal des Op-Gebäudes. Es ist in einem miserablen Zustand, außerdem viel zu klein und es ist sehr gefährlich für Patienten und Personal wegen seiner Rein-kulturen von Aspergillus an den Wänden und der Decke. Wir werden an der Stelle, wo sich der Op befindet, ein neues, größeres Gebäude mit vier Op-Räumen, zentraler Sterilisationsanlage, Anästhe-sieräume, einem Blutlabor, einem Aufwachraum und einem Seminar-raum für Studenten errichten. Also müssen wir den alten Op wegreißen, bevor wir anfangen können, dieses große Gebäude zu bauen. Es wird zentral gelegen sein mit denkbar kurzen Wegen zu den operativen Sta-tionen. Aber wo soll ich operieren, wenn wir den alten Op wegreißen? Ich schla-ge vor, die Privatstation vorübergehend in einen Op umzufunktionieren. Sie ist sowieso unwirtschaftlich. Wir beschäftigen rund um die Uhr Per-sonal dort, obwohl sie die meiste Zeit des Jahres leer steht.Wenn wir uns den Luxus leisten, für die Frau des RAO, für ihn selbst oder einen Priester ein Dreivierteljahr fünf Leute Personal zu bezahlen, so frage ich mich, ob wir so weitermachen können.“„Und wo wollen Sie Ihre Privatpatienten unterbringen, wenn tatsächlich welche kommen?“, fragte mich der Vorsitzende. „Wir können von jeder allgemeinen Station zwei der kleinen Zimmer da-für einrichten, den Store zwischen beiden Zimmern als Bad mit Toilette umfunktionieren.“„Und wenn der Präsident Museveni hier nach einem Attentat eingelie-fert wird? Seine Farm ist nicht weit von hier“, gab der Vorsitzende zu bedenken. „Fragen wir ihn doch, was er von meiner Idee hält. Schließlich ist er der Chancellor der Universität“, schlug ich vor. Ich machte dennoch eine Skizze von den drei großen Räumen der Privat-station, die ich in Ops umbauen lassen wollte, die Stationsküche plante ich als Steri-Raum, das kleine Schwesternzimmer und einen kleinen An-bau plante ich zusammen als Vorbereitungsraum. Dann skizzierte ich die neuen Privatzimmer mit Bad und Toilette auf den Stationen. „Würden Sie die Skizzen bitte dem Präsidenten Museveni vorlegen, wenn er zu den Examensfeierlichkeiten kommt? Ich stehe ihm auch gern Rede und Antwort.“

Wir alle, Studenten und Lehrkörper, waren auf dem Sportplatz von Mbarara versammelt, als der Präsident Museveni im roten Talar, der Vice Chancellor im blauen, beide reichlich mit Goldbordüren, ins Stadi-on kamen. Der Vice Chancellor hielt seine Ansprache und hieß den Präsidenten herzlich willkommen. Dann ergriff Museveni das Wort. Nach der all-

Page 30: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

53

gemeinen Begrüßung der Anwesenden, adressierte er mich persönlich: „Professor El Baz, stehen Sie bitte auf! Ich möchte Ihnen meinen be-sonderen Dank ausdrücken für die Arbeit an dieser Universität und Ihre herausragenden Ideen für die Planung und Sanierung des Hospitals! Sie sollen gesagt haben, dass Sie mich im Falle eines Attentats auf mein Le-ben hier mit all Ihrer Kraft vor dem Ausscheiden aus dem Leben bewah-ren und mir die bestmögliche Behandlung angedeihen lassen werden. Es ist vollkommen richtig, dass man einem Präsidenten zumuten muss, dass er die vorhandenen Möglichkeiten in diesem Hospital mit den Sol-daten teilt, die für ihn ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Sie werden die Privatzimmer in einen Op für die Phase der Bauperiode umfunktionie-ren und die Privatpatienten auf den großen Stationen unterbringen. Sie haben meine volle Unterstützung. Sie dürfen sich setzen.“Das Volk brüllte. Der Vorsitzende des Council rutschte unruhig auf sei-nem Stuhl hin und her. „Auch ein blindes Huhn findet manchmal eine Perle“, sagte ich zu mei-ner kubanischen Kollegin Mercedes, die neben mir saß. Wenig später bekam auch sie ihren großen Auftritt. Der Präsident Museveni hatte von seiner Funktion als Chancellor der Universität den neu gebackenen Ärzten ihre Examenszeugnisse ausge-händigt und ihre Doktorhüte aufgesetzt. Dafür gab es einen roten Tep-pich, über den jeder Kandidat einzeln zum Präsidenten schritt. Dann brach der große Jubel aus: Mütter, Väter und Geschwister der Kandida-ten saßen unter den Zuschauern und fingen zu jubilieren an, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter mit dem Doktorhut auf dem Kopf den Rückweg antraten. Bald war die Begeisterung nicht mehr zu bändigen. Die Mütter stürzten hinab auf den roten Teppich, jubilierten und tanzten. Auch Mercedes war von diesen Begeisterungsstürmen sehr ergriffen und lief hinab, um mitzutanzen. Der Präsident rief Mercedes zu sich, dankte ihr für ihre Verbundenheit mit den Müttern und lud sie zu einem Empfang auf seine Farm ein. Dann spielte die Musikkapelle vom Gefängnis die Melodie ‚Quanda la mera‘ und marschierte aus dem Stadion. Der akademische Lehrkörper, alle in schwarzen Talaren und Hüten, folgte im Gleichschritt und wie beim Einmarsch spielte die Kapelle auch anschließend ‚Du, du liegst mir am Herzen, du, du liegst mir im Sinn‘. Mercedes und Maureen marschierten an meiner Seite im Schleifschritt, und dabei sangen wir aus vollen Kehlen. Ich hatte ihnen während der Feierlichkeiten den deutschen Text aufge-schrieben. Ein paar Tage nach den Feierlichkeiten flog Präsident Museveni auf Staatsbesuch in die USA und die große Tragödie der kubanischen Mikro-biologin Mercedes nahm ihren Anlauf.

Page 31: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

56

9. Die „Bomber“ von Mombasa

Die Mbarara Universität, die zunächst nur aus der Medizinischen Fakultät bestand, wird durch eine Durchfahrtsstraße, dem Transafrican Highway, der von Mombasa an der kenianischen Küste über Uganda, Ruanda, Bu-rundi und den Kongo quer durch Afrika führt, von dem Teil ihres Campus, auf dem sich die Wohnungen der Lehrkräfte befinden, getrennt. Unsere Wohnungen lagen also dicht an dieser Straße als 1994 der Bür-gerkrieg in Ruanda ausbrach und Verwundete bis zu uns transportiert wurden. Außerdem wurden Hilfslieferungen aus Übersee von INHCR und FAO, auf kenianischen Lastzügen an unseren Häusern vorbei in Richtung Ruanda transportiert und fuhren die gleiche Strecke wieder leer zurück. Sie kamen meist nachts nach Mbarara und weckten uns regelmäßig, in-dem sie mit ihren langen Hängern und den schweren Lasten zu schnell über die Bumps (Straßenschwellen) hüpften, die dafür gedacht waren, dass die Laster langsam fuhren und uns beim Überqueren der Straße das Überleben sichern sollten. Wenn man jedoch aus einem Bürgerkriegsgebiet umgezogen und an den Einschlägen der Granaten und schwerere Munition gewöhnt ist, kann man nachts im Schlaf nicht einfach umschalten und den Lärm, den die hüpfenden Laster machen, für ein friedliches Manöver halten. Also träumte ich, durch die ‚Bomber von Mombasa‘ veranlasst, weiter vom Bürgerkrieg am Ruwenzori und wachte immer wieder davon auf. Eines Nachts, als gerade der Kosovokrieg in Jugoslawien in vollem Gan-ge war, war dann bei mir in Uganda noch eine Malaria Tropica mit Be-wusstseinsstörungen, hohem Fieber und Halluzinationen hinzugekom-men und ich hörte und sah im Fieberwahn deutsche Starfighter den Gar-ten des Campus der Uni hinunter auf mein Haus zukommen und schrie wie am Spieß. Später schrieb ich diese Story meinem jugoslawischen Kollegen, Profes-sor Paulus nach Göttingen. Er war schon längst Deutscher. Ich dachte mir aber, dass die Ereignisse in seinem Geburtsland ihm nicht gleichgül-tig sein können.Wie er auf die Rolle der Deutschen anlässlich der Ereignisse in Jugo-slawien damals reagiert hatte, erfuhr ich erst viel später. Er hatte seinen Protest sogar schriftlich an die Bundesregierung gerichtet.

An der Spitze der Kämpfe in Ruanda stand Fred Rugyema, ein Tutsi-flüchtling, der es zunächst im Bürgerkrieg von Uganda unter Yoweri Museveni zu Rang und Namen gebracht hatte und in Folge dessen der Unterstützung von ugandischer Seite, seien es Waffen oder Soldaten, si-cher sein konnte.

Page 32: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

57

Es gab ja noch genügend Tutsiflüchtlinge in den Lagern von Uganda, die seit mehr als zwanzig Jahren, seit Habyarimanas Zeiten, auf ihre Rück-kehr in ihre Heimat Ruanda hofften. Fred Rugyema war damals im ugandischen Bürgerkrieg 1985 Musevenis Sicherheitsoffizier und dabei, als ich eine Luftbrücke über die Bürger-kriegsfront hinweg von Entebbe nach Kasese organisiert hatte und wir auf der Flugpiste von Kasese die Landung der ersten Maschine vom In-ternationalen Roten Kreuz aus Entebbe erwarteten. Rugyema war damals bereits ein Idol für junge Ugander. Die Kindersol-daten in Musevenis NRA (National Resistance Army) waren die Seele des ruandischen Bürgerkriegs. Seine Mitstreiter im Bürgerkrieg von Ruanda und junge Ugander, auch unsere Studenten, trugen Shirts mit Rugyemas Guerillaportrait auf der Brust. Wir bekamen auch die Verwundeten aus den Kämpfen in Ruanda, die-jenigen, die die ersten Stunden überlebten und einen Transport nach Mbarara bekommen hatten. Die meisten Verwundeten waren in ihrem Land umgekommen.

Ich erinnere mich an einen jungen Soldaten, der auf Fred Rugyemas Sei-te gekämpft hatte und zweimal im Abstand von sechs Monaten mit Ver-wundungen bei uns eingeliefert wurde. Das erste Mal kam er mit einem vereiterten Bauchschuss, einer Bauchfellentzündung und einer Stuhlfis-tel, das zweite Mal mit einem Oberschenkelschussbruch. Ein drittes Mal wurde er mit einem akuten Bauch und einem Darmverschluss infolge von Verwachsungen nach dem Bauchschuss eingeliefert. „Nun ist es vorbei, Professor“, sagte er mir bei der dritten Begrüßung. „Diesmal schaffe ich es nicht.“Er hat alle drei Krankenhausaufenthalte überlebt und musste wieder an die Front zurück.

Page 33: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

58

10. Going to teach in Africa

„Die Leitung der Mbarara Universität lag in ugandischer oder deutscher Hand?“, fragte mein Sohn Alexandre, als wir wieder einmal den Strand von Taghazoute entlang bummelten. „Sie ist ein Kind des Staatspräsidenten Museveni und seines Freundes Fidel Castro aus Kuba. Museveni ist 1986 als Guerillakämpfer an die Macht gekommen. Er hatte sich gewissermaßen an die Macht geschos-sen, wie viele afrikanische Präsidenten. Seine Kampfausbildung hatte er auf Kuba und in Mosambik erhalten. Er beabsichtigte später als Präsi-dent, mit Hilfe der Deutschen, die finanzielle Mittel für das von mir in Westuganda geleitete Fort Portal Hospital geliefert hatten, eine Univer-sität aufzubauen. Musevenis Idee war, dem enormen Ärztemangel im Land durch die Er-richtung einer zweiten Universität, einer Konkurrenz der Makarere Uni-versität in Kampala, Einhalt zu gebieten. Gegen eine Universität im Wes-ten, das heißt in Fort Portal, sprach Folgendes:1. Die Tatsache, dass die Deutschen (GTZ und BMZ) nicht in die Spitze der Gesundheitspyramide, sondern nur in deren Basis investieren woll-ten.Die Verbesserung des Gesundheitswesens auf dem Lande ist also das Ziel der deutschen Entwicklungshilfe gewesen. Außerdem wollten sie die Sa-nierung und den Ausbau von kleinen Gesundheitszentren auf dem Lande fördern, wobei das Schwergewicht auf der Vorbeugung lag. Einbezogen wurde höchstens ein Krankenhaus als ländliches Überwei-sungszentrum für die Fälle, die man in den Landpraxen nicht managen konnte. Das Fort Portal Hospital lag in einer Kleinstadt. Sein Einzugsge-biet war also ländlicher Bereich. Dass es gleichzeitig ein Ausbildungszentrum für Clinical Officers, also eine Art Hilfsärzte, war, die später die Leitung der Landpraxen überneh-men sollten, wurde von deutscher Seite nicht richtig gewürdigt. 2. Als Museveni 1986 auf Staatsbesuch zu seinem alten Freund Fidel Castro flog, kamen auch die Probleme des ugandischen Gesundheitswe-sens zur Sprache.Uganda hatte bis dahin viel zu wenig Ärzte ausgebildet, die zu 80 Prozent gar nicht im Land geblieben waren, sondern in England, Saudi-Arabien oder Südafrika arbeiteten. Schuld daran war zum Teil die miserable Be-zahlung im eigenen Land. Von Castro lernte Museveni, dass Uganda den Fehler machte, mit einer einzigen Universität einen viel zu geringen Output an Ärzten zu haben und dass er zudem die jungen Ärzte nicht zu Beginn ihres Studiums durch Verträge an das Land band und sie verpflichtete.Wie in der DDR so hatten auch auf Kuba die Ärzte in ihrem Lande zu

Page 34: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

59

bleiben, bekamen keine Pässe, um ihr Land zu verlassen, es sei denn, Fidel Castro schickte sie gewissermaßen politisch begründet weg. 3. Uganda hatte auch gar nicht die finanziellen Mittel für die Sanierung seiner Krankenhäuser. Es konnte sie nicht als Ausbildungszentren nut-zen und auch nicht das erforderliche Personal ausbilden. Hier konnte Castro zunächst helfen. Die finanziellen Mittel besorgte sich Museveni über die Finanzhilfen, die Uganda nach dem Bürgerkrieg zum Wieder-aufbau seiner Infrastruktur über die Weltbank, den IMF und bilateralen Wirtschaftshilfen erhielt. Er brauchte also nur noch einen Parlaments-beschluss für die Notwendigkeit einer zweiten Universität, den er leicht bekam. Auf diese Weise konnte er, was die Mbarara Universität anging, die deut-sche Bremse umgehen und das Projekt der zweiten Universität von ei-nem gescheiterten bilateralen auf einen internationalen Level heben. Dass es also Mbarara wurde und nicht Fort Portal, lag an der deutschen Verweigerung, an der Bereitschaft Kubas, mit Personal einzuspringen, an einer richtigen Entscheidung des ugandischen Parlaments und an der Tatsache, dass Museveni seine Heimat in der Nähe Mbararas und die französische NGO MSF gerade sechs Monate lang eine Art Basissanie-rung des Mbarara District Hospital beendet hatte. Damit war das Krankenhaus von Mbarara noch weit unter dem Niveau von Fort Portal und weit unter dem eines deutschen Krankenhauses, was die Grundversorgung anging. Von einer Universität konnte man vorerst noch träumen. Aber Fidel Cas-tro erwies sich als guter Freund und schickte bald Fachpersonal für die zweijährige vorklinische Ausbildungsphase der Studenten. Probleme wa-ren vorprogrammiert, weil die kubanischen Lehrkräfte, die nun aus ih-rem Inselgefängnis heraus durften, um zwei Jahre in Uganda zu lehren, zwar mit den besten Absichten kamen, jedoch der englischen Sprache nicht mächtig waren und so keine Unterrichtsgespräche führen konnten oder nur unzureichend dazu in der Lage waren. Noch größer wurde die Problematik, als sich die vorklinische Ausbil-dungsphase der Studenten ihrem Ende näherte. Kuba hatte nämlich auch nicht genügend Klinikärzte für Uganda und so mussten die Lehr-kräfte von der Makarere Universität in Kampala angefordert werden, die aber dort selbst zu knapp waren und eine zusätzliche finanzielle Entschä-digung forderten. Als dann 1994 das erste Staatsexamen an der neuen Uni in Mbarara eine totale Niederlage wurde, über die Hälfte der Studenten ist nämlich durchgefallen, zudem mein Vertrag in Fort Portal mit der GTZ auslief und von deutscher Seite wegen der schon zehnjährigen Dauer meines Einsatzes dort nicht verlängert werden sollte, erfolgte kurzerhand mei-ne Versetzung durch das Gesundheitsministerium in Entebbe an die Mbarara Universität. Ich hatte bis dahin bereits mehr als zehn Jahre in

Page 35: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

153

Yoweri Maguta Museveni,Ugandas Präsident und Chancellor der Mbarara Universität.

Bed-side teachingProf. E. El Baz mit Studenten beim Unterricht am Krankenbett.

Page 36: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

167

Das Dreigestirn der Mbarara UniversitätVon Links nach Rechts: Vice Chancellor, Prof. Kayanja (Rek-tor), Academic Registrar Mr. Bazirake (Prorektor) und der University Secretary Dr. Kibirige (Verwalter).

Prof. El Baz auf dem Weg zu den Examensfeierlich-keiten.

Einfahrt zur Mbarara Universität.

Page 37: Die Diebin von Mbarara - amicus-verlag.de · 9 2. Der Teufel von Marrakesch und die Radiusfraktur Wir waren beide schon ziemlich alt, mein Mann und ich, und saßen in Agadir vor dem

168

Eine deutsche Ärztin leistete in Afrika Großartiges im huma ni tären Be-reich. Ihr medi zi nisches Können, gepaart mit dem vollen Einsatz ihrer Person für die Menschen und die Menschlichkeit haben an Wunder Grenzendes geschaffen. Eine kluge, couragierte Frau kämpft für die Menschlichkeit, trotzt allen kriegerischen Machtkämpfen, arbeitet unter Beschuss und mehr als einmal unter Einsatz ihres Lebens, manchmal eingeschlossen, unerschütterlich weiter.Dabei verliert Sie niemals den Blick für die Schönheit von Flora und Fauna in ihrem Umfeld.Spannend und erfrischend aufgeschrieben von der in Thüringen gebo-renen Elfriede Ellmer.

Zu beziehen über jede Buchhandlung oder am schnellsten direkt vom Verlag.amicus-Verlag • Lindenstraße 41 • 96524 Föritz-WeidhausenTel.: 03675/744582 • Fax: 03675/7581008 • E-Mail: [email protected]: www.amicus-verlag.de

Von Elfriede Ellmer ist bereitsim amicus-Verlag erschienen:

EL - EL

Die Bettelfrauvon BuhingaArztroman mit politischen Hintergedanken

350 S., kart., 125 farbige Abb.ISBN 978-3-935660-18-1