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LEADERSHIP Die Dimension Macht: Funktion bei Veränderungen Siefan Kühl 20 _ •.. ~ ..~---------_.~_.~_._~~~ -+ Nüchtern betrachtet ist Macht eine Sozial- technik, um Einfluss auf andere Menschen aus- zuüben und eigene Vorstellungen durchzusetzen. f-- Macht kommt in jeder sozialen Beziehung vor - also auch in Organisationen. Aber in der Manage- mentrhetorik gilt Macht mehr und mehr :11setwas Heikles, das überwunden werden muss. Gerade im Change Management wird die Ausübung von Macht oft tabuisiert. Macht besitzt jedoch eine wichtige Funktion. Weil es sinnvoll ist, dass die Mächtigen qua ihrer Rolle in Vorlage gehen und damit Blocka- den aufbrechen. -+ Ihre drei Stellschrauben in Organisationen sind neben der "Macht" das "Vertrauen" zu an- deren Beteiligten sowie die "Verständigung" mit anderen Interessen. Wie gelingt dieser Dreiklang beiVeränderungsprozessen? f-- Change Management gelingt, wenn keine der drei Dimensionen absolut gesetzt wird. Macht :11- lein funktioniert nicht, ebenso wenig nur Vertrau- en oder nur Verständigung. Wer ausschließlich auf seine Macht oder auf das Vertrauen in andere Per- sonen oder auf die Kraft eines sachlichen Dialogs setzt, übersieht, dass zur Kooperation stets alle drei Dimensionen relevant sind. Deshalb muss man sich changement '

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Die Dimension Macht:Funktion beiVeränderungenSiefan Kühl

20

_•..~..~---------_.~_.~_._~~~

-+ Nüchtern betrachtet ist Macht eine Sozial-technik, um Einfluss auf andere Menschen aus-zuüben und eigene Vorstellungen durchzusetzen.

f-- Macht kommt in jeder sozialen Beziehung vor -also auch in Organisationen. Aber in der Manage-mentrhetorik gilt Macht mehr und mehr :11setwasHeikles, das überwunden werden muss. Gerade imChange Management wird die Ausübung von Macht

oft tabuisiert. Macht besitzt jedoch eine wichtigeFunktion. Weil es sinnvoll ist, dass die Mächtigenqua ihrer Rolle in Vorlage gehen und damit Blocka-den aufbrechen.

-+ Ihre drei Stellschrauben in Organisationensind neben der "Macht" das "Vertrauen" zu an-deren Beteiligten sowie die "Verständigung" mitanderen Interessen. Wie gelingt dieser DreiklangbeiVeränderungsprozessen?

f-- Change Management gelingt, wenn keine derdrei Dimensionen absolut gesetzt wird. Macht :11-lein funktioniert nicht, ebenso wenig nur Vertrau-en oder nur Verständigung. Wer ausschließlich aufseine Macht oder auf das Vertrauen in andere Per-sonen oder auf die Kraft eines sachlichen Dialogssetzt, übersieht, dass zur Kooperation stets alle dreiDimensionen relevant sind. Deshalb muss man sich

changement'

Tim C. Völker
Schreibmaschinentext
In: changement!, 2/2017, S.20-23.
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eine Situation sehr genau ansehen: Welcher Aspektist gerade wichtig? Das ist immer wieder die Macht,kann aber stattdessen auch das Vertrauen sein undist nicht selten die Verständigung.

-+ Macht wird oft als Taktieren und Powerplay ver-standen. Mit normativen Fingerzeigen wird vonden Mächtigen deshalb Selbstlosigkeit, Verantwor-tung und Anstand eingefordert. Denn Macht haf-'tet ein anrüchiger Beigeschmack an. Dabei machtMacht - wie Erfolg und rote Lippen - ziemlich sexy.Und jede Führungskraft wäre doch dumm, vonihrem Einfluss abzulassen. Brooklyn Derr nennt"getting ahead", das Fortkommen auf der Karrie-releiter, als zentrale berufliche Motivation, verbun-den mit Macht und hierarchischem Status.

f- Macht und Hierarchie müssen auseinandergehal-ten werden. Hierarchie ist die Zuweisung formalerMachtquellen. Man darf Anweisungen geben und dieAngewiesenen zeigen eine hohe Folgebereitschaft.In Organisationen gibt es jenseits dieser formalenMacht weitere wichtige Machtquellen: Expertenwis-sen, der Zugang zu wichtigen Kunden oder die Kon-trolle informaler Kommunikationswege. Nicht selten

sind diese Machtquellen in Organisationen wichtigerals die Hierarchie. Diese besitzt aber weiterhin einedoppelte Funktion: die Auflösung von Entschei-dungsblockaden durch den Boss sowie die Möglich-keit zum Aufstieg im Organigramm. Gerade diesmotiviert viele Mitarbeiter. Wenn nun Hierarchienabgebaut werden, sind solche Aufstiegswege deutlicheingeschränkt und Karrierechancen gehen verloren.

-+ Macht kann immer auch missbraucht werden.Was ist das - Machtmissbrauch?

f- Der Einsatz von Macht im Change Managementist kein Machtmissbrauch. sondern Machtgebrauch.Für mich gehört der Einsatz von Macht - im Sinneder Organisation - zur Professionalität der Verant-wortlichen. Da sage ich: "Herzlichen Glückwunsch,gutes Management, Sie haben begriffen, wie IhreOrganisation funktioniert." Machtmissbrauch istetwas anderes: Wenn etwa ein Vorgesetzter die hi-erarchische Position dazu verwendet, "seinen" Mit-arbeitern sexuelle Beziehungen aufzuzwingen, oderwenn der Chef die Ressourcen der Organisation fürseinen persönlichen Bedarf nutzt. ur in solchenFällen spreche ich von Maehtmissbrauch.

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~ Mit dem angestaubten Begriff "Geschäftsver-teilungsplan" wird die organisatorische Machtformal geregelt. An seine Stelle treten immermehr die drei "autoritären C" - Controlling,Compliance und Consistency, Letztere als unter-nehmensweite Harmonisierung. Mir kommt es sovor, als ob die Mächtigen damit die Zügel nochtougher in ihren Händen halten.

~ Controlling und Compliance sind die Wächter überdie Formalstrukturen der Organisation. Sie verstehensich - nach ihren eigenen Kriterien - dann als erfolg-reich, wenn sämtliche Formalismen einer Organisati-on in professioneller Weise durchgesetzt werden.

" Nicht die Überwachungvon Untergebenen,son-dern die, Unterwachung c

von vorgesetzten ist diehohe Kunst des Macht-spiels in Organisationen.

~ Für Mitarbeiter haben Entscheidungen desManagements, so Ihre These, eine entlastendeFunktion. Sie sollen fast nicht mehr denken, son-dern "dürfen" entsprechend handeln. Mitarbei-ter können sich auch gegen eine Entscheidungstemmen, müssen dann aber den Beweis antre-ten, dass ihrer Abänderung richtig ist. Risiko!Sie nennen dies "brauchbare Illegalität". Was istdenn das? Sie meinen damit gewiss kein Fehlver-halten wie im Dieselskandal?

~ Unter dem LabelOrganisationskultur werdenheute leider vorrangig "attraktive" Werte wie Fle-xibilität, Nachhaltigkeit, Kundenorientierung pro-pagiert. Schaut man jedoch genau darauf, gehörtzur Kultur auch der Bruch mit formalen Regeln.Der Clou, den die Organisationswissenschaft her-ausgearbeitet hat, ist, dass Regelverstöße nicht perse schlecht sind. Sie machen Organisationen häufigbesser, etwa durch lokale Anpassurigen oder durch

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innovative Neuerungen. Regelverstöße sind aberimmer mit einem persönlichen Risiko verbunden:"Wenn es schiefgeht und das herauskommt, dannbin ich dran und werde bestraft oder gefeuert." DieKunst im Management besteht gerade nicht darin,stupide auf die Einhaltung von Formalien zu po-chen, sondern eine sinnvolle Balance zwischen For-malität und Informalität zu finden.

~ Manchen gilt Change Management als Alibi zurMachtsicherung, mit der das Leadership in Zei-ten des Wandels Widerstand und Aufbegehrenkleinhält. Bei Veränderungen bräuchte es abereine echte Organisationsentwicklung, die dasbisherige Machtgefüge zur Disposition stellt.Derzeit gibt es mal wieder eine große Sehnsuchtnach Demokratie in der Wirtschaft, samt breitangelegter Partizipation. Die vermeintlichenBelege für machtfreie Zonen - in einer HandvollKMU oder in der Start-up-Szene - werden beju-belt. Hinter den Kulissen geht es dort meist rup-piger zu bis hin zu dem, was Kollegen von Ihnenals "Grausamkeit des Teams" bezeichnen. IstPartizipation nun eine moderne Inszenierung vonMacht als Fortsetzung misslungener Bestrebun-gen der 68er-Generation?

~ Ja, dies ist hochgradig naiv. Es gab in den 1970erndie Vorstellung, dass durch breit angelegte Par-tizipation ein vernünftiges Argument sich schondurchsetzen und Machtkämpfe vermieden würden.Gerade weil es damals keine Hierarchien gab, zeig-ten sich aber heftige Konflikte. Manche der älterenKollegen mussten das schmerzhaft begreifen undhaben sich mühsam ein weniger romantisch ver-klärtes Verständnis von Macht erarbeitet. Allerdingsgibt es im Moment viele Newcomer, die die Utopievon reduzierter Macht munter weiterträumen. MitBegriffen wie Soziokratie und Holacracy rutschtdie Debatte erneut in dieses naive Verständnis vonMacht. Da muss man Warnhinweise in Großbuch-staben draufschreiben! Denn Machtspiele lassensich verändern, aber Macht verschwindet niemalsaus einer Organisation.

~ Veränderungen erfolgen oft in Übergangssi-tuationen, etwa wenn eine Führungskraft frischins Amt kommt. Fungieren Veränderungen alsein Mittel zur Machtsicherung?

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f- Wenn Manager neue Rollen bekommen, wirdvon ihnen ein Wandel des Bisherigen erwartet, häu-fig unabhängig davon, ob dies für die Organisationrichtig oder unnötig ist. Veränderung gilt als Wertan sich. Dadurch entsteht der Aktivismus neuerFührungskräfte. Oft trauen sie sich nicht, einfachzu sagen, dass vieles eigentlich schon recht gut istund man weitgehend so weitermachen kann wie bis-her. Weise Führungskräfte sind daran zu erkennen,dass sie registrieren, wenn im Grunde gar nicht vielverändert werden muss, und sie den Change deswe-gen nur auf der symbolischen Schauseite ihrer Orga-

.nisation proklamieren.

~ Organisationen haben einen dominantenZweck. Bei Unternehmen heißt der "profitablegrowth" und deswegen muss das gemeinsameHandeln daraufhin ausgerichtet werden. Sie sa-gen, es gäbe im Grunde zwei Möglichkeiten: Ent-weder man entscheidet sich für das Bestehende(Stabilität/Routine) oder man bringt etwas Neu-es (Flexibilität/Innovation). Bei Veränderungs-projekten geht es um dieses Neue. Das bringtUnruhe in die Organisation. Die Sicherheit desGewohnten gerät in Gefahr und erst recht dieMacht. Die momentan viel beschworene Agilitätmuss doch ein Horror für das Leadership sein.Wie können Mächtige lernen, loszulassen, damitsich die Organisation öffnet und verändert? Müs-sen sie es überhaupt lernen?

f- Unter Agilität - oder wie man es bis vor Kurzemauch nannte: Postbürokratie - werden drei Entwick-lungen propagiert: Entformalisierung der Prozes-se, Abbau der Hierarchieebenen und Auflösung derBereichsgrenzen. Was dabei häufig übersehen wird:Dies bedroht die Stellung des mittleren Manage-ments und keineswegs die Macht im Top- Manage-ment! Unsere Forschung über agile Vorreiterfirmenzeigt, dass dort die Organisationsspitze keineswegsentmachtet wird, sondern dass das Middle Manage-ment an Einfluss verliert. Provokant zugespitzt:Agile Organisationen erleben häufig eine Zentrali-sierung der Macht, weil die mittlere Ebene wenigerbedeutsam wird.

~ Macht ist asymmetrisch, in Beziehungen hatfast immer einer mehr Macht als der andere.Aber niemals ist jemand völlig ausgeliefert, kann

02 MÄRZ; APRI L 2017

Weisungsbefugnis und Sanktionsdrohung garnichts entgegensetzen. In den Firmen sind vieleMitarbeiter pfiffig genug, dass sie Entscheidun-gen mit zumindest halbwegs plausiblen Argu-mente ausbremsen können. Wie wehren sich dieSchwachen gegen die Macht durch Hierarchie?

f- Die pauschale Vorstellung, dass etwa Eltern mehrMacht haben als ihr Nachwuchs, ist ein Trugschluss.Denn Kinder wissen genau: Sie können nicht gekün-digt werden und nutzen das aus. Was ich in Organi-sationen beobachte, ist die enorme Professionalitätvon Untergebenen im Umgang mit Vorgesetzten .Wenn der Chef nicht spurt, werden Informationenzurückgehalten, die Wichtigkeit von Expertenwis-sen angedeutet und informelle Kommunikations-wege mobilisiert.

~ Wo lernt man denn solche Mikropolitik ambesten?

f- Sicherlich nicht im BWL-Studium. Da wird manin Bezug auf die realen Prozesse in Unternehmeneher naiver. Mein Eindruck ist, dass diejenigen, diespäter in Organisationen mit den drei DimensionenMacht, Vertrauen und Verständigung gut zurecht-kommen, sehr früh entsprechende Erfahrungen inOrganisationen gesammelt haben - in politischenBewegungen, bei Parteiversammlungen, in Schüler-vertretungen oder in Kirchengemeinden.

~ Zum Abschluss und als Schlussakkord: Was istIhr persönlich liebstes Machtspiel bei Verände-rungen?

f- Ich finde besonders solche Machtspiele elegant,bei denen Untergebene ihre Führungskraft mit Ge-schicklichkeit zu etwas bringen, was diese eigentlichnicht möchte, was aber die Organisation als Ganzesweiterbringt: durch Lancieren von Informationen,Gestaltung von Vorlagen, Einbeziehung der exter-nen Kooperationspartner. Nicht die Überwachungvon Untergebenen, sondern die "Unterwachung"von Vorgesetzten ist die hohe Kunst des Machtspielsin Organisationen.

-I Herr Kühl, wir dankenIhnen für das Gespräch.

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