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DIE ENTWICKLUNG DER GESAMTWIRTSCHAFfLICHEN UNO IHRE AUSWIRKUNGEN AUF DIE GENOSSENSCHAFfLICHEN STRUKTUREN von Professor Dr. Eduard MANDLE. Rektor der Fachhochschule Niirtingen, Lehrbeauftragter fur Genossenschaftswesen an der Universitiit Hohenheim A. EINLEITUNG Gegen das Genossenschaftswesen wird gegenwartig immer wieder der Vorwurf erhoben, es harte seine urspriinglichen Grundsatze verlassen und es wiirde sich in eine von den Genossenschaftsgriin- dem - F.W. Raitfeisen und H. Schulze-Delitzsch - nicht gewollte Richtung entwickeln. Es iiberrascht dabei, daB viele Kritiker Genos- senschaften im Sinne haben. die unter ganz anderen gesamtwirtschaf- tlichen. technischen wirtschaftspolitischen und infrastrukturellen Be- dingungen im vergangenen Jahrhundert geschatfen wurden. Wenn man jedoch davon ausgeht. daB die Tatigkeit der Genossenschaft den Bediirfnissen der Mitglieder zu entsprechen hat. dann muB man eben auch zur Kenntnis nehmen. daB sich gegeniiber dem 19. Jahrhundert die Rahmenbedingungen der genossenschaftlichen Aktivitat grund- satzlich verandert haben. Es ist selbstverstandlich. daB aus den ge- wandelten Verhiiltnissen von Wirtschaft und Gesellschaft auch die genossenschaftlichen Strukturen eine Veranderung vollzogen haben. ja vollziehen muBten. Ware eine solche Anpassung nicht erfolgt. dann wiirden zum einen die Genossenschaften ihrem Grundauftrage - der Mitgliederforderung - nicht ausreichend nachkommen und zum anderen wiirde es wahrscheinlich iiberhaupt keine Genossen- schaften mehr geben. Mit dem EintluB der veranderten gesamtwirtschaftlichen und ge- sellschaftlichen Rahmenbedingungen auf die Genossenschaften werde ich mich in meinem Referate auseinandersetzen. Es ist selbst- verstandlich, daB dabei nur die grundsatzlichen Aspekte und in gro- ben Kreidestrichen aufgezeigt werden konnen. Es ist mein Anliegen vor allem auf die Veranderungen in der Personenvereinigung. des Geschiiftsbetriebes. der Mitgliederforderung. der Willensbildung und der Wettbewerbssituation einzugehen. Dabei kommt es mir insbeson- dere darauf an. die Tatsache und die Notwendigkeit der Dynamisie-

DIE ENTWICKLUNG DER GESAMTWIRTSCHAFTLICHEN RAHMENBEDINGUNGEN UND IHRE AUSWIRKUNGEN AUF DIE GENOSSENSCHAFTLICHEN STRUKTUREN

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DIE ENTWICKLUNGDER GESAMTWIRTSCHAFfLICHEN

~NBEDINGUNGEN

UNO IHRE AUSWIRKUNGENAUF DIE GENOSSENSCHAFfLICHEN STRUKTUREN

von

Professor Dr. Eduard MANDLE.

Rektor der Fachhochschule Niirtingen,Lehrbeauftragter fur Genossenschaftswesen an der Universitiit Hohenheim

A. EINLEITUNG

Gegen das Genossenschaftswesen wird gegenwartig immer wiederder Vorwurf erhoben, es harte seine urspriinglichen Grundsatzeverlassen und es wiirde sich in eine von den Genossenschaftsgriin­dem - F.W. Raitfeisen und H. Schulze-Delitzsch - nicht gewollteRichtung entwickeln. Es iiberrascht dabei, daB viele Kritiker Genos­senschaften im Sinne haben. die unter ganz anderen gesamtwirtschaf­tlichen. technischen wirtschaftspolitischen und infrastrukturellen Be­dingungen im vergangenen Jahrhundert geschatfen wurden. Wennman jedoch davon ausgeht. daB die Tatigkeit der Genossenschaft denBediirfnissen der Mitglieder zu entsprechen hat. dann muB man ebenauch zur Kenntnis nehmen. daB sich gegeniiber dem 19. Jahrhundertdie Rahmenbedingungen der genossenschaftlichen Aktivitat grund­satzlich verandert haben. Es ist selbstverstandlich. daB aus den ge­wandelten Verhiiltnissen von Wirtschaft und Gesellschaft auch diegenossenschaftlichen Strukturen eine Veranderung vollzogen haben.ja vollziehen muBten. Ware eine solche Anpassung nicht erfolgt.dann wiirden zum einen die Genossenschaften ihrem Grundauftrage- der Mitgliederforderung - nicht ausreichend nachkommen undzum anderen wiirde es wahrscheinlich iiberhaupt keine Genossen­schaften mehr geben.

Mit dem EintluB der veranderten gesamtwirtschaftlichen und ge­sellschaftlichen Rahmenbedingungen auf die Genossenschaftenwerde ich mich in meinem Referate auseinandersetzen. Es ist selbst­verstandlich, daB dabei nur die grundsatzlichen Aspekte und in gro­ben Kreidestrichen aufgezeigt werden konnen. Es ist mein Anliegenvor allem auf die Veranderungen in der Personenvereinigung. desGeschiiftsbetriebes. der Mitgliederforderung. der Willensbildung undder Wettbewerbssituation einzugehen. Dabei kommt es mir insbeson­dere darauf an. die Tatsache und die Notwendigkeit der Dynamisie-

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rung und Fortentwicklung genossenschaftlicher Strukturen aufzuzei­gen. Urn eine abgerundete Beurteilung abgeben zu konnen. ist esjedoch auch notwendig, die Ausgangssituation des modemen Genos­senschaftswesens und die typischen Elemente in der Veranderungvon Volkswirtschaft. Landwirtschaft und Gesellschaft anzusprechen.

B. RAHMENBEDINGUNGEN DER GENOSSENSCHAFTEN UMDIE MITTE DES 19. JAHRHUNDERTS

I. Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hintergrund

Bewirkt durch die Franzosische Revolution. die Aufklarungsphi­losophie und die klassische Nationalokonornie wurde das Strebennach Freiheit. d.h. nach einer moglichst uneingeschrankten Betati­gung des Individiums, zum zentralen Anliegen und zum Zauberwortdes 19. Jahrhunderts. 1m Rahmen der Stein-Herdenbergischen­Reformgesetze kam es bereits 1807 in PreuBen zur Bauembefreiung:es wurde grundsatzlich das Untertanigkeitsverhaltnis der bauerli­chen Bevolkerung unter die Gutsherren aufgehoben. der erleichterteErwerb und der freie Gebrauch des Grundeigentums wurde festge­legt, jedoch gleichzeit eine Entschadigungsregelung fur die ehemali­gen Grundherren in Form von Geld oder Landabgabe bestimmt. 1mJahre 1810 ergab sich dann die gesetzliche Regelung zur vollen Ge­werbefreiheit und der Aufhebung des Gewerbezwanges in denHandwerkerzunften. Der Liberalismus als politische und okonorni­schen Bewegung war die bestimmende Kraft des letzten Jahrhun­derts. Nach dem Wirtschaftshistoriker H. Kellenbenz entfaltete er"seine Krafte am starksten im zweiten Drittel des 19.Jahrhunderts •• (I) also in einer Zeit. in der mit der Grundung desmodemen Genossenschaftswesens begonnen wurde.

I. ERWERBS- UNO REGIONALSTRUKTUR

Trotz der steigenden Bedeutung der Industrie als Foige der tech­nischen Erfindungen, des Handwerks. des Verkehrswesens und desHandels war Deutschland urn die Mitte des vergangenen Jahrhun­derts in erster Linie durch die Landwirtschaft gepragt. So erwirt­schafteten urn 1850 rd. 55 % der Erwerbsbevolkerung 45 % desdamaligen Sozialprodukts. Oem gegenuber erlangten 25 % der imWarenproduzierenden Gewerbe und 20 % der im Dienstleistungsbe-

(') H. KEl.I.ENBENZ. Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Bd. II. Miinchen. 1981. S. 13.

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reich Beschaftigten einen Anteil von 21 % bzw. 34 % am damaligenSozialprodukt. (2) Dies weist insbesondere auf die niedrige Produkti­vitat im Handwerk hin.

Das 19. Jahrhundert kann auBerdem durch ein auBerordentlichstarkes Wachstum der Bevolkerung gekennzeichnet werden. Dabeiist von Bedeutung. daB der uberwiegende Anteil der Bevolkerung inDorfern und Einzelgehoften lebte. In der ersten Halfte des 19.Jahrhunderts entfielen auf die landliche Bevolkerung rd. 90 % derGesamtbevolkerung: die restlichen 10 %. die man als Stadtbevolke­rung bezeichnen konnte, lebte fast zur Halfte in Stadten bis zu 20000Einwohnern, davon nur 15 % in eigentlichen Grofsstadten. Die So­zialstruktur in Dorfern und Stadten war verhaltnismalsig einheitlichund die durch Traditionen bestimmte Verhaltensweise auBerorden­tlich homogen. Die auf dem Land lebende Bevolkerung, deren Sozia­lordnung in den verschiedenen Regionen Deutschlands selbstverstand­lich Unterschiede aufwies, lebte in erster Linie von der Landwirt­schaft. (3)

Trotz der sehr starken Entwicklung des Verkehrswesens im 19.Jahrhundert durch den Aufbau eines Eisenbahnnetzes, der Verbesse­rung des StraBenbaus und dem Ausbau der WasserstraBen war dieverkehrsmafsige Mobilitat im Vergleich zur heutigen Zeit auBerordent­lich gering entwickelt. Die VerkehrserschlieBung war verstandli­cherweise in erster Linie auf die Verbindung der damaligen Bal­lungszentren gerichtet und lieB den landlichen Raum weitgehendunberuhrt. (4) Dies bewirkte, daB sich die Bevolkerung in den einzel­nen Dorfern in einer hohen verkehrsmabigen Isolierung befand.

2. AGRARISCHE PRODUKTIONSSTRUKTUR

Die landwirtschaftliche Betatigung war urn die Mitte des 19.Jahrhunderts in erster Linie Ackerbau im Sinne der Drei-Felder­Wirtschaft: rund 60 % des landwirtschaftlich genutzten Bodens wa­ren Ackerland. Demgegenuber war die tierische Veredlungspro­duktion. die selbstverstandlich damals ausschlieBlich flachenbezogenwar. auBerordentlich bescheiden. Die Produktionsertrage derLandwirtschaft waren sehr niedrig: dies galt sowohl fur die pflanz­liche Produktion als auch fur die tierische Produktion, wo in PreuBendie Milchleistung einer Kuh pro Jahr rd. 1000 Liter erreichte. (5)

<2) VgI.W.G. HOFFMANN u.a .. Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit derMitte des 19. Jahrhunderts, Berlin/Heidelberg/New York. 1965. S. 33 If.

(l) Vgl. F. LUTGE. Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. 3.Autl ..Berlin/Heidelberg/New York. 1976. S. 421.

(4) Vgl. H. BECIITEL. Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, Miinchen. 1956. S. 48 If.(s) Vgl. W. ABEL. Die drei Epochen der deutschen Agrargeschichte. 2.Autl.

Hannover. S. 102 If.

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Die landwirtschaftliche Erzeugung wurde auch nicht in ersterLinie fur den Absatzmarkt erwirtschaftet, sondem sie diente vorallem der Selbstversorgung der landwirtschaftlichen Bevolkerung.

Die agrarische Betriebsstruktur war - vor allem auf Grund derunterschiedlichen Erbrechte : Realteilung. Anerbenrecht, Gutswirt­schaft - in Deutschland sehr verschieden. Wahrend in den Realtei­lungsgebieten im Westen und Sudwesten Deutschlands der klein­bauerliche Besitz - mit intensivem Anbau und einem Hausgewerbe(Nebenerwerb) - typisch war, entstanden damals auch grobbauerli­che Wirtschaften - bei den en die Produktion fur den Markt schoneine wichtiger werdende Rolle spielte - in den AnerbengebietenNord-Westdeutschlands. Bayems und Oberschwabens. In den Kem­gebieten der Gutswirtschaft - in Holstein, Mittel und Ostdeut­schland - blieb eine groBbetriebliche Produktionsstruktur erhalten.Diese vergroberte sich sogar noch im Rahmen der Landabgaben derBauern. die sich aus den Regelungen der Bauembefreiung ergab. (6)

Wahrend in den kleinbauerlichen Betrieben die gerade entste­hende Landtechnik eine geringe Rolle spielte , kam es bereits urn dieMitte des vergangenen Jahrhunderts in den grolsbauerlichen Betrie­ben Nord- und Ostdeutschlands zu einer gewissen Mechanisierung.Erst durch den Einsatz von Mineraldunger in der zweiten Halfte desvorigen Jahrhunderts konnten die zuvor geringen Produktionsertragein der ptlanzlichen Produktion gesteigert werden. Wichtig ist jedoch,daB sowohl die Investitionen. die technischen Fortschritte als auchder steigende Einsatz des Mineraldungers in den Gutswirtschaftenund grolibauerlichen Betrieben erfolgte. wahrend die kleinen undmittleren Bauem nur ganz langsam zu einer Erhohung ihrer pro­duktionellen Leistungsfahigkeit kam.

3. AGRARISCHE MARKTSTRUKTUR

a) Unterschiedliche Marktintegration

Entsprechend der differierenden landwirtschaftlichen Betriebs­struktur ergab sich fur die Landwirte im vergangenen Jahrhundertauch eine unterschiedlich starke Einfugung in das Marktgeschehen. C)Wah rend in den Realteilungsgebieten in erster Linie fur den Eigenbe­darf produziert wurde. stieg in den Anerbengebieten mit grollbauerli­cher Wirtschaft die Marktproduktion an. wahrend in den Guterwirt­schaften von vomherein die Marktbeschickung. ja der Export, insbe­sondere von Getreide , typisch war.

(') c. V. DIF.TZE. Grundziige der Agrarpolitik, Hamburg und Berlin. 1%7. S. "'27 fT.(') Vgl. W. WV(iO()ZINSKV!A. SK.~IWEIT. Agrarwesen lind Agrarpolitik: Berlin und

Leipzig. 19"'2H. S. 60 fT.

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b) Wettbewerbssituation

Die Wettbewerbsstruktur auf den Agrarmarkten des vergangenenJahrhunderts kann fur Deutschland im Sinne einer atomistischenKonkurrenz gesehen werden. Von Ausnahmen, wie etwa bei derAusfuhr abgesehen, war die Absatzkette auBerordentlich klein. DieZahl der marktschwachen Anbieter war dagegen auBerordentlichgroB. Die Vielzahl der Anbieter auf regionalen Markten bewirkte einereduzierte Wettbewerbsintensitat. Insgesamt ist festzustellen, daBauf Grund der unzureichenden Verkehrsverhaltnisse bei Unterver­sorgung oder Uberproduktion auch kein ausreichender Marktaus­gleich stattfand. so daB sich erhebliche Preisschwankungen ergaben.•• Die schlechte Kartoffelemte von 1844 war mit Schuld am Aufstandder schlesischen Weber. und Unzufriedenheit mit einer auf halbenWege stehengebliebenen Agrarreform veranlaBte 1848 nicht die ober­schlesischen und polnischen Taglohner und Landarbeiter, sich amAufstand zu beteiligen, sondem die wohlhabenderen niederschlesi­schen Bauem. Hier harte die Krise bei giinstigeren Transportrnog­Iichkeiten abgeschwacht werden konnen... (8)

c) Agrarpreise

Gernaf der liberal-kapitalistischen Wirtschaftskonzeption gab esauch keine Marktstabilisierung (Preissicherung, Einkommens­sicherung) durch Marktordnungen. Die Agrarpreise kamen somit ineinem freien Wettbewerb zustande, bei dem insbesondere auf der derLandwirtschaft gegeniiberliegenden relativ starken Marktseite ­dem privaten Landhandel - eine oligopolistische Nachfragestrukturvorhanden war. Diese bedingte , daB mehr oder weniger denLandwirten die Preisvorstellungen der Abnehmer aufgedrangt wer­den konnte. aus der dann letztlich Ausbeutung und Wucher entstanden.

II. Genossenschaftswesen und iuHere Rahmenbedingungen im 19.Jahrhundert

Aus den urn die Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland herr­schenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingun­gen ergaben sich dann auch die damaligen Genossenschaftsstruktu­ren. Ohne Zweifel waren die Griindungen der modemen Genossen­schaften durch H. Schulze-Delitzsch und F. Raiffeisen urn die Mittedes vergangenen Jahrhunderts eine Reaktion auf die groBe materielleund immaterielle Not geratenen Bevolkerungsschichten derLandwirte und Handwerker. deren Existenz durch die Auswirkungen

(8) H. KEI.I.ENBENZ. a.a.O. S. 71.

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ralismus und des Industrialismus hart getroffen wurde. Die Genos­senschaften in der damaligen Zeit waren somit .. Kinder der Not ..und sie erbrachten Leistungen. die den Bedurfnissen der Mitgliederdes 19. Jahrhunderts entsprachen: sie erfullten ihren Funktionen ineiner Zeit des .. Fehlens einer einheitlichen Volkswirtschaft .. (9),einer geringen Produktionsspezialisierung, des Vorherrschens vonvielen Klein- und Kleinstbetrieben. einer eindeutigen Dominanz desAgrarsektors, einer geringen auBenwirtschaftlichen Integration unddes Vorhandenseins des okonornischen Liberalismus. der dem Staatnur geringe Aufgabe in der Wirtschaftspolitik zuwies. Innerhalb die­ser Rahmenbedingungen entwickelten sich dann Strukturen des Ge­nossenschaftswesens. die bis in die jungste Vergangenheit - wennauch mit gewissen Modifikationen beibehalten werden konnten. 1mfolgenden soli dabei speziell auf die Situation der landlichen Genos­senschaften eingegangen werden. eO)

I. UNMITIELBARE FORDERUNG

Der Bauer in der damaligen Zeit benotigte vor allem billigenKredit und den preiswerten Bezug eines verhaltnismafsig bescheide­nen landwirtschaftlichen Bedarfs (Saatgut, Zuchttiere. Olinger undMaschinen): in geringerem Umfange war auch eine einfache Ab­satzhilfe notwendig. Diese Leistung konnte die landwirtschaftlicheGenossenschaft erbringen : zum einen errnoglichte sie dem Landwirtuberhaupt den Zugang zum Kredit: zum anderen waren die verhalt­nismafiig wenigen Funktionen der Genossenschaften mit den Lei­stungen der privaten Einrichtungen - des Handels und der Banken- eindeutig vergleichbar. Fur den Bauem ergab sich somit auch eineunmittelbare und erkennbare Forderung seiner Wirtschaft.

2. ORTSGENOSSENSCHAFf

Da der Bauer Personalkredit fur die verschiedensten Zweckebrauchte. wobei vor allem seine Kreditwurdigkeit maBgebend war.die die Nachbam gut beurteilen konnten. wurden die Raiffeisen Ge­nossenschaften jeweils fur den Lebensbereich eines Dorfes oder eini­ger weniger Dorfer eingerichtet. « In einem engen Nachbar­schaftsverhaltnis sah Raiffeisen eine gute Gewahr fur eine uber­sehbare und risikolose Geschaftspolitik. » (II)

(9) F. LUTGE. a.a. 0 .. S. 417.(10) Vgl. W. KREBS. F.W. Raiffeisen - Ein Kapitel biiuerlicher Selbsthilfe , 3.Auf­

lage. Neuwied. 1955. S. 19 fT. - H. FAUST. Geschichte der Genossenschaftsbe ...e­gung . Frankfurt/Main. 1965. S. ~6l! fT.

1") T. SONNEMANN. " RaifTeisen ». in Hand...orterbuch des Genossenschatfs...e­sens . Wiesbaden, 19l!O. Sp. 1396.

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3. UNIVERSALGENOSSENSCHAFTEN .

Es ging Raiffeisen darum, die umfassende Not der landlichen Be­volkerung zu mindem. Dies bewirkte, daB die eine im Ort oder imFianbezirk bestehende Genossenschaft samtliche Funktionen imSinne einer Erganzung der Mitgliedswirtschaft iibemahm. Es warenrelativ wenige Aufgaben, die auBerdem iibersichtlich waren und ohnegroBe Fachkenntnisse erfiillt werden konnten.

4. GENOSSENSCHAFTLICHE SELBSTVERANTWORTUNG

Die Griinder des modemen Genossenschatfswesens waren derAuffassung, daB iiber die Genossenschaften die einzelnen Mitgliederaus einer Resignation durch die tatige Mithilfe befreit werden sollten.Dies bedeutete jedoch auch, daB die Genossenschaft fiir ihre wirt­schaftlichen Handlungen geradestand. Da der Einzelne dafiir iiberfor­dert gewesen ware, wurde nach dem Grundsatz " Einer fiir Aile,Aile fiir Einen " eine solidarische und unbeschrankte Haftung ges­chaffen. Wer also einer Genossenchaft beitrat, muBte damit rechnen,daB er mit seinem gesamten Vermogen fiir die Tatigkeit der Genos­senschaft einzustehen hatte. Dies bewirkte natiirlich eine auBer­ordentlich enge Bindung des einzelnen Mitglieds an die Genossen­schaften und ein hohes Interesse fiir deren Arbeit.

5. GENOSSENSCHAFTLICHE SELBSTVERWALTUNG

Die Geschaftsfuhrung der landlichen Genossenschaften war iiber­sichtlich und einfach, weil sie nur einer Berufsgruppe ihre Dienstezur Verfiigung stellten. Den Grundsatz der genossenschaftlichen selbst­verwaltung faBte Raiffeisen dahin auf, daB die Geschaftsfuhrungehrenamtlich wahrgenommen wiirde von Mitgliedem, die vorn Ge­schaftsergebnis selbst betroffen wurden. Nur der Rechner solltehauptamtlich tatig sein und besoldet werden. Da die Geschafte rela­tiv einfach waren, sie sich auf wenige Vorgange beschrankten unddie relativ wenigen Mitglieder einer Genossenschaft unmittelbar be­trafen. bestand die Moglichkeit, in hohem MaBe eine Mitspracheund Mitentscheidung innerhalb der genossenchaftlichen Selbst­verwaltung durch die Mitglieder vorzunehmen. Dies bedeutet jedochnicht, daB in der damaligen Zeit eine genossenschaftliche Basisde­mokratie realisiert war, da von vomherein darauf geachtet wurde,daB die Kompetenzen der Entscheidung, der Kontrolle und dergrundsatzlichen Geschaftpolitik eindeutig verteilt wurden. (,2)

(12) Vgl. F.W. RAIFFEISEN. Die Darlehnskassen-Yereine. 7.Auflage. 1951. S. 39.65 und 77.

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6. GENOSSENSCHAFfLlCHER VERBUND

EDUARD MANDLE

Da die lokalen Genossenschaften relativ klein waren. ergab sichvon vorne herein die Notwendigkeit. sie in ein Verbundsystem zuintegrieren. Damit wurde der Notwendigkeit entsprochen. die Wett­bewerbsposition auf einer hoheren Stufe des Marktes zu verstarken.Daruberhinaus ging jedoch auch aus der genossenchaftlichen Ver­bundorganisation auf die Ortsgenossenschaften standig Impulse hin­sichtlich der Geschaftsfuhrung und der Kontrolle aus. (D)

C. VERANDERUNG GESAMTWIRTSCHAFTLICHER RAHMEN­BEDINGUNGEN BIS ZUR GEGENWART

Unsere gegenwartige gesamtwirtschaftliche Situation kann durchfunf typische Entwicklungstendenzen gekennzeichnet werden (14) :

( I) durch ein starkes Wirtschaftswachstum und damit verbundeneine zunehmende Produktionsspezialisierung:

(2) durch einen starken Wandel der Wirtschaftsstruktur. insbeson­dere der Branchen- und Regionalstruktur:

(3) durch eine starke Unternehmcns- bzw. Betriebskonzentrationund damit verhunden eine Veranderung der Markstrukturen:

(4) durch die starke Integration unserer Wirtschaft in die Weltwirt­schaft und

e'i) durch das Vorhandensein einer ordnungspolitischen Leitidee inder Wirtschaftspolitik. der sozialen Marktwirtschaft.

Durch diese funf Einflul3faktoren gehen entscheidene Auswirkun­gen auf die Situation der Genossenschaften aus. die genotigt waren.sich diesen - gegenuber dern 19. lahrhundert - neuen Rahmenhe­dingungen anzupassen.

I. Wirtschaftswachstum und Produktionsspezialisierung

I. GESAMTWIRTSCHAFfLlCHES WACHSTUM

Wahrend es his Anfang des 19. Jahrhunderts mehr oder wenigereine statische Volkswirtschaft gab, die ihre Produktionsleistung

(") Vgl. F.W. R~IFFFISFN. a.a.O .. S. 1.19 fT.(14) Vgl. Kommission fur wirtschaftlichen lind sozialen Wandel. Wirtschllftlicher

und sozioler WlIndei in der Bundesrepublik Deutschland, 197h. S. 35 fT. - c.-I..HOI TFRERICH ... Wachsturn I : Wachvturn der Volkvwirtschaften ". in Handworter­buch der Wirtschl!(tsll'iuenschllfi (HdWW). Achter Band. S. 4 U fT.

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tiber Jahrhunderte hinweg nicht oder nur wenig steigerte , kam esunter dem EinfluB der Industrialisierung und des Liberalismus in derFolgezeit zu einem starken Anwachsen des gesamtwirtschaftlichenProduktionsvolumens. Die steigende Giitermenge konnte nur tiberdie Markte abgesetzt werden und ging somit in das Sozialproduktein. Das real steigende Sozialprodukt wird als Wirtschaftswachstumangesehen und ist ein wesentliches Merkmal der modemen Volkswirt­schaft. Auch wenn wir uns gegenwartig in einer Stagnationsphasebefinden, kann davon ausgegangen werden. daB das Wirtschafts­wachstum auch zukunftig vorhanden ist und ein typisches Element inder modemen Volkswirtschaft darstellt.

Die Grunde fur den langfristigen Anstieg des realen Sozialpro­dukts und damit verbunden des Volkseinkommens sind bekannt. Esist dies die steigende Nachfrage der Verbraucher. das Bevolke­rungswachstum. die Vomahme von Erweiterungsinvestitionen, dieDurchfiihrung staatlicher Investitionen. die Realisierung Techni­scher Fortschritte (neue Produkte und Produktionsverfahren) und dieverstarkte weltwirtschaftliche Integration unserer Volkswirtschaft.Auch wenn der eine oder andere dieser Faktoren im Gegensatz zurVergangenheit nicht mehr so wachstumsbestimmt ist, werden diewachstumsfordernden Elemente doch zukunftig das Ubergewicht ha­ben.

2. WIRTSCHAFTSWACHSTUM DES AGRARSEKTORS

Auch die von der Landwirtschaft erzeugte Produktionsmenge istim vergangenen Jahrhundert , insbesondere jedoch in den letzten 30Jahren. auBerordentlich stark gestiegen. So hat sich im Zeitraum1950-80 die die Getreideeinheiten ausgedruckte Nahrungsmittel­erzeugung verdoppelt. In gleicher Weise haben die tiber den Marktgehenden agrarischen Urnsatze und der absolute Beitrag derLandwirtschaft zum Sozialprodukt uberproportional zugenommen.Die Ursachen fur dieses starke Wachstum der Landwirtschaft liegenin dem steigenden Einsatz technischer Fortschritte (der tierischenund pflanzlichen Produktion sowie der Landtechnik), dem Ersatz derweniger leistungsfahigen Produktionsfaktoren Arbeit und Bodendurch den produktivitatsstarkeren Faktor Kapital, der Spezialisie­rung auf eine oder wenige Produktionsarten sowie dem verbessertenEinsatz der vorhandenen Produktionsfaktoren. insbesondere der Ar­beit und des Bodens, begrundet.

II. Starker Wandel der Wirtschaftsstruktur

Der starke Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktionslei­stung ist begleitet und zuruckzufuhren auf eine nachhaltige Verande-

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rung des gesamten Gefuges der Volkswirtschaft, also des Aufbausbzw. der Struktur der Volkswirtschaft.

I. VERANDERUNG DER BRANCHENSTRUKTUR

So wie in allen sich entwickelnden Volkswirtschaften hat sichauch in Deutschland eine grundlegende Veranderung der Branchen­struktur ergeben. (15)

• Der Primdre Sektor (Landwirtschaft und Forstwirtschaft) erfuhr einestarke relative Schrumpfung in seinem Beitrag zum Sozial­produkt und einen starken Ruckgang in der Zahl der Erwerbstatigen.

• Der Sekundiirsektor (Industrie und produzierendes Handwerk)vergroberte seinen absoluten und relativen Anteil zum Sozialpro­dukt sehr stark und hatte auBerdem eine erhebliche Zunahme inder Zahl der Erwerbstatigen .

• Der tertiiire Sektor (Dienstleistungen, einschlieBlich Staat) hattegerade in jungster Zeit die starkste Zunahme im Beitrag zum So­zialprodukt und im Anteil der Erwerbstatigen aufzuweisen. Dagegenwartig uber 50 o/r- des Sozialprodukts vom Dienstleistungsbe­reich erwirtschaftet werden. kann die Bundesrepublik Deutschlandohne weiteres als Dienstleistungsgesellschaft bezeichnet werden.

Bereits in den 50er Jahren hatte sich der Franzose J. Fourastiemit dieser Veranderung der Branchenstruktur befasst und prognosti­ziert. daB als Folge der Produktivitatssteigerungen in Landwirtschaftund Industrie letztlich nur noch 10 o/r- aller Erwerbstatigen in diesenSektoren und 90 o/r- im Dienstleistungssektor beschaftigt sein wurden.die dann jedoch den dominierenden Anteil des Sozialprodukts erstel­len wiirden . .. So werden die tertiaren Werte immer mehr das Wirt­schaftsleben bestimmen: deshalb kann man sagen. daf die Zivilisa­tion des technischen Fortschritts eine tertiare Zivilisation seinwird ... (It,) Man braucht nicht besonders phantasiebegabt sein. urnzu erkennen. daB in unserer Wirtschaft die Entwicklung in dieserRichtung lauft.

~. VERANDERUNG DER REGIONALSTRUKTUR

Begleitet von dem Wandel der Branchenstruktur in unseremLande war eine grundlegende Veranderung der Regionalstruktur. Derursprunglich sehr starke Gegensatz zwischen Stadt und Land wurdedurch das regionale Zusammenwachsen von landlichen undstadtisch-industriellen Raurnen weitgehend aufgehoben. (17) Die von

(") Vgl. E. MANDl F. Einfiihrung in die Volkswirtschuftslehre, lYle. S. IYI fT.(Ih) J. FOl'RASTIf::. Die grotll' Hoffnung des 20. Lahrhunderts, Koln/Deut z , IY'i4

S, Ill:!.(17) K. NFL'MANN. Strukturwandet nnd Strukturpolitik, Frankfurt. 1'J7f,. S. ~ I fT

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ENTWICKLUNG DER GENOSSENSCHAFfLICHEN STRUKTUREN 407

der Landwirtschaft gepragten Gebiete kamen somit aus ihrer Isolie­rung heraus. Die noch vorhandenen regionalen Strukturunterschiede- im Sinne von Produktivitats- und Einkommensdifferenzierungen- zeigen eine deutliche Tendenz zur Nivellierung.

Die Ursachen fur diese Entwicklung sind leicht erkenntlich. Sieliegen vor allern in der Verbesserung und dem starken Ausbau desStraBennetzes sowie der beinahe totalen Motorisierung unserer Ge­sellschaft. Die Folge davon ist eine sehr hohe Mobilitat der Pro­duktionsfaktoren Arbeit und Kapital (Pendlerstrome in die wirtschaft­lichen Ballungszonen und die Mittelpunktorte von Unterregionen,Industrieansiedlung auf dem Lande) und eine hohe Verbindung vonAngebot und Nachfrage auf den Markten. Die grundsatzliche Veran­derung der Verkehrsverhaltnisse durch das Auto hat jedoch auchdazu gefuhrt. daB in vielen Regionen der Bundesrepublik Deutsch­land eine Stadttlucht stattfand und urspriinglich ausschlieBlich vonder Landwirtschaft gepragte Orte zu Arbeitnehmerwohngemeindenwurden, in denen die Agrarwirtschaft okonomisch eine untergeord­nete Rolle spielt. Der gesamte regionale NivellierungsprozeB hatteletztlich zum Ergebnis, daB auch eine weitgehende Vereinheitlichungder Verhaltensweisen aller Bevolkerungsschichten auftrat.

3. VERANDERUNG DER AGRARSTRUKTUR

Die Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland war durch diegesamtwirtschaftliche Wachstumdynamik. die daraus resultierende Ein­kommensentwicklung und die Strukturverschiebungen genotigt. ihreProduktionsstruktur anzupassen. Dies geschah durch die Produktions­spezialisierung, die Steigerung der landwirtschaftlichen Betriebsgrolse.den Einsatz agrartechnischer Fortschritte. die Verwendung neuer Be­triebsfonnen (Maschinenringe, Erzeugergemeinschaften) und vor aHemdurch den steigenden auBeriandwirtschaftlichen Einkommenserwerb.Dariiberhinaus wurden selbstverstandlich - auch durch die staatlicheAgrarpolitik begiinstigt - groBe Anstrengungen untemommen. die agra­rischen Produktionsbedingungen zu verbessem (Aussiedlung, Wegebau.Flurbereinigung, Hofarrondierung u.a.), (,8) Makrookonornisch erfolgtdie Anpassung der Landwirtschaft an die veranderte gesamtwirt­schaftliche Situation wie folgt :

• Es wurde versucht. sich an die gestiegenen auBeriandwirtschaftli­chen Einkommen auszurichten : Einkornrnensparitat.

• Dies erfolgte bei stagnierenden Erzeugerpreise und steigendenPreise fur Beschaffungsgiiter (Kosten).

(.") Vgl. E. MANDI.E. •• Agrarpolitik ". in Handworterbuch der Yolkswirtschuft.Wieshaden. 19!!(). ~.Autl .. s. Iii fT.

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• Mit der Absicht der Senkung der Durchschnittskosten und derEinkomrnensparitat wurde dann die agrarische Produktionsmengeausgedehnt.

• bei gleichzeitiger starker Reduzierung der landwirtschaftlichenErwerbstatigen. die in andere Berufe abwanderten. die bessereEinkommenschancen boten.

• Damit bestand die Voraussetzung. daf die Urnsatze und Einkorn­men auf weniger Erwerbstatige aufgeteilt wurden.

• Trotzdem wurde keine Einkornrnensparitat mit den ubrigen Berei­chen der Wirtschaft erreicht.

III. Konzentration und Marktstruktur

Ein charakteristisches Merkmal der Entwicklung einer Volkswirt­schaft vom Agrarstaat tiber die industrielle .Volkswirtschaft zurDienstleistungsgesllschaft ist die Konzentration. Sie wird von E.Arndt als .. Ballung okonornischer Grolsen " bezeichnet. die nichtnur Betrieben und Unternehmen. sondern auch bei Einkommen.Verrnogen, Verfugungsmacht und Standorten zu beobachten ist. (19)

Fur unsere Betrachtung ist jedoch insbesondere die Unternehmens­und Betriebskonzentration von Wichtigkeit. die sich als das Wachs­tum des Umsatzanteils der oberen Untemehmens- und Betriebsgro­Benklassen gegenuber den kleineren Grofsenklassen darstellt. Es istzu erkennen. daf sich dieser Konzentrationsprozess in allen Bran­chen der modernen Volkswirtschaft eingestellt hat. Bei der Unter­nehmenskonzentration ist von Belang. daf sich der Umsatz. dasKapital und die Anzahl der Mitarbeiter auf immer weniger" geson­dert bilanzierende und rechtlich selbstandige Wirtschaftseinheiten ..bezieht: bei der Betriebskonzentration wird davon ausgegangen. dafsich die wirtschaftlichen Aktivitat auf immer weniger Produktions­statten - unabhangig von ihrer unternehmensrechtlichen Situation ­konzentriert.

Die Konzentration von Untemehmen und Betriebe hat selbstver­standlich auch eine Veranderung der Marktstrukturen bewirktWahrend im 19. lahrhundert auf den zumeist regional begrenztenMarkten eine Vielzahl von Anhietem und Nachfragem mit relativkleinen Marktanteilen - also in einer atomistischen Markstruktur ­auftrat. ist fur die modeme Volkswirtschaft im nationalen und inter­nationalen Rahmen das Oligopol die dominierende Marktform. Dabeiist fur Markte von industriellen Konsumgutern und Dienstlei­stungen grundsatzlich das Angebotsoligopol. fur Markte mit Investi-

(10) Vul. H. AR~J)T. Die Konz.entration in der Wirt.>chl/fi. Schriftcn des Vercin-,fur So/ialpolitik. NF. Rd. ~O. I - III. Berlin. 1971. .

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ENTWICKLUNG DER GENOSSENSCHAFfLICHEN STRUKTUREN 409

tionsgutern das zweiseitige Oligopol und fur agrarische Markte dasNachfrageoligopol typisch. Hier steht einer Vielzahl von Anbieterneine relativ kleine Anzahl von Nachfragem von Agrarprodukten ge­genuber.

IV. Au8enwirtschaftliche Integration

Das Marktgeschehen spielte sich im 19. Jahrhundert in ersterLinie auf dem Binnenmarkt abo Abgesehen von einzelnen Auslands­geschaften, etwa beim Getreideexport. spielte der grenzuberschrei­tende Warenverkehr eine untergeordnete Rolle. Dies hat sich fur diemeisten Branchen. insbesondere fur die Industrie. grundsatzlich ver­andert. Fast 30 % des deuschen Sozialprodukts werden heute expor­tiert: das Prognos-Institut. Basel geht davon aus, daB bis zum Jahre2000. 44 % unseres Sozialprodukts in den Export gehen und davonletztlich unser Wohlstand abhangt eO). Unsere Untemehmen sindeben so produktivitatsstark geworden. daB die im Inland erzeugteProduktionsmenge auf dem Binnenmarkt nicht mehr abgesetzt wer­den kann. sondem ins Ausland verkauft werden muB. Diese Feststel­lung gilt in hohem MaBe auch fur die Landwirtschaft. die eine sehrhohe Exportorientierung aufweist. Interessant ist dabei. daB deruberwiegende Anteil des Exports und Imports auf die EG-Landerentfallt. so daB die Funktionsfahigkeit der EG fur unsere Wirtschaftund Landwirtschaft von existentieller Bedeutung ist.

V. Soziale Marktwirtschaft a1s ordnungspolitische Leitidee

Ein letzter und bedeutsamer Wandel der gesamtwirtschaftlichenRahmenbedingungen hat gegenuber dem 19. Jahrhundert im ord­nungspolitischen Denken stattgefunden. Wahrend damals die Vor­stellung vorherrschte. die von StaatseingrifTen freie kapitalistischeMarktwirtschaft als selbst tragendes Steuerungsmodell der Wirt­schaft wurde letztlich zu einem hochstrnoglichen individuellen undgesellschaftlichen Wohlstand fuhren, ist die Wirtschaftsordnungspoli­tik heute anders ausgerichtet. Man geht davon aus. daB neben denordnungspolitischen Prinzipien der Marktwirtschaft. der Staat ausgesellschaftspolitischen und okonornischen Notwendigkeiten herausin das Wirtschaftsgeschehen eingreifen muB. eI) Die ordnungs­politische Konzeption der sozialen Marktwirtschaft. die gegenwartig

en) Vgl. Prognos-Repon , Die Bundesrepublik Deutschland /9H511990/2()()(). Basel.19X3,

(,,) Vgl. E, MANDI.E .•• Sozial« Marktwirtschaft ". in Handworterhuch des Ge­nossenschaftswesens. Wieshaden. 19XO. Sp. 1476 ff.

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wieder in den Mittelpunkt des ordnungspolitischen Denkens gerucktist. will zum einen die Funktionsfahigkeit der Marktwirtschafterhal­ten und fordern. jedoch zum anderen die Wirtschaft durch den Staatoder die Verbande steuem und lenken. wenn wirtschafts- oder gesell­schaftspolitische Anliegen durchzusetzen sind. Oem Staat und denEintluB- bzw. Marktverbanden, zu denen die Genossenschaftenzahlen, wird somit heute eine vollig andere Funktion als im vergange­nen Jahrhundert beigemessen. (22)

D. EINFLU8 GEANDERTERGESAMTWIRTSCHAFTLICHER RAHMENBEDINGUNGENAUF DIE GENOSSENSCHAFTSSTRUKTUR

I. Eintlu8 des Wirtschaftswachstums auf die Genossenschafts­struktur

Das wirtschaftliche Wachstum bedeutet. daB im Zeitablaufimmer mehr an Waren und Dienstleistungen am Markt unterzu­bringen sind. Die industrielle und auch agrarische Massenpro­duktion bewirkt. daB die Guter nicht nur verteilt werden konnen.sondem im Sinne eines aktiven Marketings verkauft werden rnus­sen und daB das Absatz- aber auch das BeschatTungsrisiko erheb­lich gestiegen ist.

Genossenschaften rnussen nun dazu beitragen. daf sie in einerSituation des standig steigenden Guterumschlages rnarktfahig sindund bleiben. Fur den gemeinsamen Geschaftsbetrieb mussen Ein­richtungen geschatTen und Personal eingesetzt werden, damit denAnforderungen des Kauferrnarktes (Kaufer sind in einer starkerenPosition als die Verkaufer. weil zu dem herrschenden Preis dieangebotene Warenmenge grober ist als die nachgefragte. so dafeine Tendenz der Preissenkung besteht) entsprochen werdenkann. Der genossenchaftliche Geschaftsbetrieb muB mit seinerTatigkeit auch dazu beitragen, daB fur die Mitgliederwirtschaftendie Marktfahigkeit herbeigefuhrt und gesichert wird.

I. WESEN DER GENOSSENSCHAFTLICHEN FORDE­RUNG

Die Mitgliederforderung ist ohne Zweifel das primare Ziel derGenossenschaft. Gemeint damit ist die dauemde wirtschaftliche

(~~) Vgl. E. MANDI.F Marktwirtschaft lind Genossenschaften ". in Handworter-buch des Genossenschafts esens. Wiesbaden. 19XO. Sr. 1166 fT.

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ENTWICKLUNG DER GENOSSENSCHAFTLICHEN STRUKTUREN 411

Nutzenstiftung fur das Mitglied - individuelle Forderung - mittelseines gemeinschaftlichen Geschaftsbetriebes, (23) In Untemehmens­genossenschaften wird die Forderung des Erwerbs durch Senkungder Kosten oder durch Steigerung der Erlose bzw. beides angestrebt.Die Forderung der Haushaltswirtschaften bedeutet eine Senkung derHaushaltsausgaben und eine Steigerung des Konsumnutzens (bei ge­gebenem fiir Konsumzwecke verwendbaren Einkommen). Mitglie­derforderung in der Unternehmensgenossenschaft, die uns hier vorallem interessiert. heiBt somit Gewinnermoglichung bzw. Steigerungdes Gewinnes beim Mitglied oder Gewinnerzielung bzw. Erloserwirt­schaftung beim genossenschaftlichen Geschaftsbetrieb, damit dieserseinen Forderungsaufgaben gegeniiber dem Mitglied bessernachkommen kann. Bei wachsendem Giiterumschlag auf Absatz- undBeschaffungsmarkten hat sich eine Verschiebung des Forderungmo­dus ergeben, namlich von der unmittelbaren zur mittelbaren Forde­rung.

2. BEDEUTUNG DER UNMITTELBAREN FORDERUNG

Es ist verstandlich, daB das Genossenschaftsmitglied das Forde­rungsplus gleich nach dem AbschluB des Geschaftes mit dem Genos­senschaftsbetrieb feststellen mochte. Man will hohere Verkaufser­lose fur die Produkte und geringe Preise fur die zu be­schatTenden Waren und niedrigere Zinse fur die nachgefragten Kre­dite. e4

) Bei dieser Verhaltensweise vergleicht man dann die Lei­stungen der Genossenschaft mit den Leistungen der Wettbewerberund beurteilt dariiber das Vorhandensein bzw. das AusmaB der For­derung. Auf Kaufermarkten und auf wachsenden Markten steigt je­doch verstandlicherweise das Geschaftsrisiko erheblich an: diesmacht es notwendig, daB sich die Genossenschaft gegeniiber diesenRisiken durch Eigenkapitalbildung iiber Gewinn - also durch Selbst­finanzierung - absichert. Den Aufgaben eines wachsenden Giite­rumschlags mit den Mitgliedem kann man auBerdem nur nachkom­men. wenn man den Geschaftsbetrieb kapitalrnalsig. organisatorisch,technisch und personell langfristig optimal ausstattet.

3. STEIGENDE BEDEUTUNG DER MITTELBAREN INDIVI­DUELLEN FORDERUNG

1m Gegensatz zur unmittelbaren Forderung wird die mittelbareForderung erst spater - meist nach AbschluB der Wirtschaftsperiode

(~1) Vgl. H. SElISTFR.•• Forderungsgenossenschaft ". in Handworterbuch desGenossenschaftswesens . Wiesbaden. 191\0. Sp. 503 IT. und die dort genannte Literatur.- W. CROll:' Fiirderungsauftrag und Gegenwartserfordemisse ". in ZfRG: Bd. 31(19Xll.S.195IT,

(~4) Vgl. E.-B. BUIMIF... Geschaftsergebnis und Rechnungslegung der Genossen­schaften ". in Hondworterbuch des Genossenschaftswesens, Wiesbaden. 19l!O. Sp. 1\05 IT.

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oder mehrerer Geschaftsperioden - erkennbar. Sie ist auf eine lang­fristige Existenzssicherung der Mitgliederwirtschaften ausgerichtetund manifestiert sich in den einzelnen Funktionen, welche der genos­senschaftliche Geschaftsbetrieb gegeniiber den Genossen im alltagli­chen Geschaftsverkehr erfullt eS

) . Sie kann aber auch im Sinne einer.. Gewinnverteilung-ex-post .. als Ruck- oder Nachvergutung bzw.als Dividende in Erscheinung treten.

Bei wachsenden Guterrnengen, die entweder auf dem Beschaf­fungsmarkt zu besorgen oder auf dem Absatzmarkt zu verkaufensind. wo jeweils noch eine harte Wettbewerbskonfrontation besteht ,hat in allen Genossenschaftsarten die mittelbare Forderung der Mit­glieder durch den gemeinsamen Geschaftsbetrieb deutlich an Bedeu­tung gewonnen.

a) Beispiel landwirtschaftliche Hauptgenossenschaft

( I) Aufnahme gro13er Mengen durch hohe Lagerkapazitat(2) Abgestufter Verkauf der Mengen uber das Geschaftsjahr mit der

Absicht der Erzielung eines optirnalen Durchschnittspreises(3) Export gro13er Mengen ins Ausland lind damit inlandische Preis­

stabilisierung(4) Relativ billige und geeignete Importe aus dem Weltmarkt (Furrer­

mittel. Saatgut)(5) Grundsatzliche Abnahmegarantie fur die Erzeugnisse der Genos­

sen(6) Grundsatzliche Liefergarantie fur Beschaffungsguter(7) Bildung gegengewichtiger Marktmacht durch gro13e Genossen­

schaftsbetriebe und im Genossenschaftsverhund(H) Preisdruck auf die Wetthewerher(9) Hohe Innovationsfahigkeit im Genossenschaftshetrieh und Hi­

neinwirken in die Mitgliederbetriehe

h) Beispiel Kreditgenossenschaft

( I) Darbietung eines umfassenden Angehots einer Universalhank zuleistungsgerechten Konditionen. die hei der Genossenschaftshanknicht auf Gewinnmaximierung ahzielen.

C) Entwicklung von Problernlosungen fur die Mitglieder auch uberdie ublichen Bankleistungen hinaus

(3) Gewahrung eines vollen Bankservices uber den genossenschaftli­chen Verhund

(") Vgl. Deutscher RaifTeisenverhand e V.. Dcr genossenschaftliche Forde­rungsauftrag ails der Sicht des Deutschcn Raiffeisenl"l'rhandl's. Bonn. 19tn. S. 10 fT.

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ENTWICKLUNG DER GENOSSENSCHAFfLlCHEN STRUKTUREN 413

(4) Spezielle Unterstiitzung der Angehorigen mittelstandischer Grup­pen

(5) Umfassende Mitgliederinformation uber gesamtwirtschaftliche,betriebswirtschaftliche und kreditgenossenschaftliche Probleme

(6) Ausrichtung und Kenntnis des regionalen Marktes(7) Marktregulativ gegeruiber den offentlich-rechtlichen. gemeinwirt-

schaftlichen und privaten Banken

c) Beispiel Molkereigenossenschaft

( I) Grundsatzliche Abnahmegarantie fur Milch der Erzeuger(2) Aufnahme groBer Milchmengen durch hohe Verwertungskapazi-

tat(3) Technische Verarbeitung von Milcherzeugnissen(4) Schaffung neuer Produkte(5) Durchfuhrung von Exporten in EG-Uinder und Drittlander(6) Eroffnung neuer Vermarktungswege(7) Schaffung von Marktenartikeln anstelle eines anonymen Produkts(8) Schaffung der Wettbewerbsfahigkeit auf einem intemationalen

oligopolistischen Markt(9) 1m Verbundsystem : Abwicklung von Interventionen. Schaffung

und Betreuung von bundesweit distributierten Marktenartikeln,Beratung in allen Marketingsfragen, Zentraleinkauf vonMolkerei-bedarfsartikeln und Maschinen (DMK)

d) Beispiel Winzergenossenschaft

(I) Grundsatzliche Abnahmegarantie fur die angelieferten Trauben,sofem sie den vorgegebenen Qualltatsgrundsatzen entsprechen(der Abnahmegarantie der Genossenschaft entspricht die Abliefe­rungsptlicht des Mitglieds)

(2) EintluBnahme auf die Traubenqualitat (Klassifizierung der Wein­berge , Rebsorten. Festlegung der Lesetermine , Kontrolle desLesegutes Mitgliederschulung u.a.)

(3) Aufbau genossenschaftlicher Kellereien mit dem Ziel der Schaf­fung optimaler Verwertungs- und Lagerungseinrichtungen

(4) Durchfiihrung einer optimalen Vermarktung (Wahl geeigneterAbsatzwege , Einsatz des absatzpolitisches Instrumentariums.z.B. Werbung und Produktgestaltung), die von einzelnen Win­zem in diesem Sinne nicht vorgenommen werden kann.

(5) Bildung von gegengewichtiger Marktmacht gegenuber der Ab­nehrnerseite , vor allem dem Handel.

(6) Heranfuhrung der Produktionsleistung der Mitglieder an denMarkt und damit Schaffung einer Wettbewerbsfahigkeit fur dieWinzer

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(7) Wahmehmung von Absatzmoglichkeiten auf Auslandsmarktendurch das genossenschaftliche Verbundsystem.

Es wird haufig der Fehler gemacht, die mittelbare Forderung mitder gemeinwirtschaftlichen Zielsetzung zu verwechseln. MittelbareForderung ist immer individuelle Forderung, wahrend in der Gemein­wirtschaft die Absicht verfolgt wird, allen Wirtschaftssubjekten einenwirtschaftlichen Nutzen zu verschatTen e6

) .

II. Eintlu8 des gesamtwirtschaftlichen Strukturwandels auf die Genos­senschaftsstruktur

Aus den insbesondere in den vergangenen 30 Jahren erfolgtengrundsatzlichen Veranderungen der Branchen-. Erwerbs-, Regional­und Agrarstrukturen haben sich auch prinzipielle Wandlungen derGenossenschaftsstrukturen ergeben. Hatten sich die Genossenschaf­ten an diese Veranderungen nicht angepasst, dann wurden sie ihreTatigkeit auch nicht entsprechend der Bedurfnisse ihrer Mitgliederausrichten. Es ergaben sich vor allem Einwirkungen auf die genos­senschaftliche Mitgliederstruktur und die Leistungsstruktur des Ge­schaftsbetriebes (27).

I. VERANDERUNGEN IN DER GENOSSENSCHAFTLICHENMITGLIEDERSTRUKTUR

Sicherlich gibt es auch noch heute die traditionellen mitgliederbe­zogenen Genossenschaften. Bei den heute jedoch vorherrschendenMarktgenossenschaften oder integrierten Genossenschaften habensich jedoch die Merkmale der Mitgliederzusammensetzung aufgrundder geanderten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen geandert.

a) Objektive Merkmale der Mitgliederstruktur

Die objektiven Merkmale der Mitgliederstruktur sind(I) die groBe Zahl der Genossenschaftsmitglieder:(2) die unterschiedliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung

der Mitglieder aufgrund der Veranderung der Branchen- undErwerbsstruktur : In einer landlichen Kreditgenossenschaft sindneben Landwirten auch Arbeitnehmer und gewerbliche Selbstan­dige vertreten:

('.) Vgl. E. MilNDl.E. " Gemeinwirtschaft und Genossenschaft ". in Handworter­buch des Genossenschaftswesens , Wiesbaden. 19XO. Sp. 594 fT.

(27) Vgl. H. PAULI ... Mitgliederstruktur ". in Handworterbuch des Genossen­schaftswesens . Wiesbaden. 19!!0. Sp. 1202 fT.

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ENTWICKLUNG DER GENOSSENSCHAFfLlCHEN STRUKTUREN 415

(3) die Herkunft der Mitglieder aus einem uberregionalen Einzugsge­biet aufgrund der veranderten Regionalstruktur : die Genossenkommen nicht nur aus einem Ort, sondem aus einer groBerenRegion mit teilweise recht unterschiedlichen wirtschaftlichen.landmannschaftlichen und gesellschaftlichen Verhaltnisse.

b) Subjektive Merkmale der Mitgliederstruktur

Zu den geanderten subjektiven Merkmalen der gewandelten Mit­gliederstruktur sind zu rechnen :( I) Keine oder eine geringe personliche Kenntnis der Mitglieder : Bei

tausenden von Mitgliedem ist dies nicht verwunderlich.(2) Sehr unterschiedliche Interessenslage der Genossen aufgrund

ihrer verschiedenartigen okonomischen Position : In der landli­chen Kreditgenossenschaft wollen die Landwirte die Aufrechter­haltung des Warengeschafts, die gewerblichen Selbstandigen einebestrnogliche Kreditversorgung und die Arbeitnehmer hochstrnog­liche Zinsen auf ihre Spareinlagen. - In einer erhaben die spezia­liserten Schweineproduzenten andere Anforderungen an die Ge­nossenschaft als Milchkuhhalter oder Saatgutspezialisten '

(3) Es gibt heute kein fur die gesamte Mitgliedschaft der Genossen­schaft einheitlich genormtes Mitgliederverhalten - wie dies inder traditionellen Ortsgenossenschaft sicherlich noch der Fallwar.

(4) Ruckgang oder Verlust der Identifikation der Mitglieder mit derGenossenschaft und Entwicklung zu einer reinen Kundenbezie­hung.

Aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Strukturwandlungen hatsich somit vor allem in den landlichen Kredit- und Warengenossens­chaften eine sehr heterogene Mitgliederstruktur ergeben. wahrend inden Molkereigenossenschaften durch ihr Untemehmenswachstumeine Anonymisierung in den Mitgliederbeziehungen auftrat.

.., VERANDERUNGEN IN DER LEISTUNGSSTRUKTUR DESGESCHAFTSBETRIEBES

Die gesamtwirtschaftlichen Strukturveranderungen haben auchdazu gefuhrt. daB sich die Leistungsstruktur des genossenschaftli­chen Geschaftsbetriebes verandert hat :

(I) Urn den Bedurfnissen der Mitgliederwirtschaften zu entsprechenmuBte bei heterogen werden der Mitgliederstruktur die Lei­stungspalett verandert und erheblich ausgeweitet werden. Beispiel:Landliche Kreditgenossenschaft oder BAG. die sich vermehrt aufnichtlandwirtschaftliche Mitglieder oder Kunden eingestellt ha­ben.

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(2) In der traditionellen mitgliederbezogenen Genossenschaft (kleineMitgliederzahl, homogene Mitgliederstruktur) war die Sortiments­politik vorwiegend von den Interessen der Mitglieder gesteuert ,und das Genossenschaftsmanagement war lediglich ausfuhrendesOrgan des zusammengefaBt Mitgliederwillens. In den Marktgenos­senschaften bzw. integrierten Genossenschaften ist die Sortiments­politik mehr und mehr ausschlieBlich Anliegen des Managements.das die Interessen der Mitglieder aufnimmt. Interessen der Mit­glieder erst weckt und innovativtatig wird.

III. Einflu8 von Konzentration und veranderter Marktstruktur auf dieGenossenschaftsstruktur

I. FORMEN UNO AUSMAB GENOSSENSCHAFfLICHER KON­ZENTRATION

Es ist nicht verwunderlich, daf der gesamtwirtschaftlichenUnternehmens- und Betriebskonzentration auch im Genossenschafts­wesen eine Konzentration folgen muBte. Oabei resultierte der genos­senschaftliche Konzentrationsprozess in erster Linie aus Ver­schmelzungen von Genossenschaften (Fusionen) mit der Zielsetzungzur Erhaltung von genossenschaftlichen Geschaftsstellen, zur Erho­hung der Wettbewerbsfahigkeit der genossenschaftlichen Geschafts­betriebe und zur Erreichung einer optimalen Betriebsgrofle. Zur Ab­grenzung im auBergenossenschaftlichen Bereich kann festgestellt wer­den. daB es sich urn eine .. konzentration der Kleinen .. zu einerVerbesserung ihrer Marktstellung gegenuber ihren Konkurrenten han­delte , wahrend an sonsten der Konzentrationsvorgang eine Ver­schmelzung der GroBen zu noch mehr Marktmacht mit dem Ziel derGewinnmaximierung ist.

Oer Konzentrationsprozess im Genossenschaftswesen ergab sichwir folgt :( I) Ruckgang der Zahl selbstandiger Genossenschaften:(2) bei Erhohung des Umsatzes eine uberproportionale Steigerung des

Umsatzes je Genossenschaft (Urnsatzkonzentration):(3) bei steigender Mitgliederzahl bei den KG mWV eine uberpropor­

tionale Zunahme der Mitglieder je Genossenschaft (Mitgliederkon­zentration) :

(4) bei rucklaufiger Mitgliederzahl und stark reduzierter Genossen­schaftszahl eine kleinere Mitgliederkonzentration bei den BAGs.

Es soli an dieser Stelle keine weitere Auseinandersetzung mit derKonzentration im Genossenschaftswesen - als Foige der gesamtwirt­schaftlichen Konzentration erfolgen. Es sei nur ein Satz vonW. Swoboda zitiert. die die ganze Problematik aufzeigt. .. Allerdings

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ENTWICKLUNG DER GENOSSENSCHAFTLICHEN STRUKTUREN 417

ist das Streben nach GroBe durch Konzentration zunehmend auchkritisch zu sehen, weil die genossenschaftliche Rechtsform auf regio­nale Uberschaubarkeit und engen Kundenkontakt angelegt ist. Diesegenossenschaftlichen Wettbewerbsvorteile nehmen mit zunehmen­dem Wachstum abo .. (28)

2. AUSWIRKUNGEN DER GENOSSENSCHAFTSKONZEN­TRATION AUF DIE WILLENSBILDUNG

a) Direkte bzw, unmittelbare Demokratie in der Genossenschaft

Die Begriinder des modemen Genossenschaftswesens - H.Schulze-Delitzsch und F.W. Raiffeisen - hatten ohne Zweifel diedirekte bzw. unmittelbare Demokratie in der Genossenschaft als ZieI.Diese war unter den damaligen Verhaltnissen der traditionellen Ge­nossensehaft - geringe Zahl der Mitglieder, Zugehorigkeit zum glei­chen Berufsstand (Landwirte, Handwerker). kleiner genossenschaftli­cher Geschaftsbetrieb, gleichartige Interessenslage der Mitglieder,Homogene Mitgliederstruktur u.a. - auch ohne groBere Schwie­rigkeiten praktizierbar. Die Willensbildung von .. unten nach oben ..schlug sich auch in entsprechenden Regelungen des Genossenschafts­gesetzes von 1889 nieder. Allerdings ist die direkte Genossenschafts­demokratie nicht mit der Vorstellung von der .. Basisdemokratie ..identisch, bei der die Gesamtheit der Mitglieder die wichtigsten undalleinigen Entscheidungstrager in der Genossenschaft sind. BereitsF.W. Raiffeisen erkannt das Problem. daB die Entscheidungs- undKontroll- bzw. Verantwortungskompetenzen nicht eindeutig abge­grenzt sind. Er fiihrt dazu folgendes aus. .. Hiemach sollte manannehmen und so ist auch von einzelnen Beurteilem behauptet wor­den daB jedes Mitglied das Recht haben musse, stets Einsicht von derganzen Geschatsfuhrung, vor allen Verhandlungen. von Bucher. Briefusw. zu nehmen. Nach dem Geiste des Gesetzes sowie der Statuten istdies indes nicht der Fall. Die Mitglieder wahlen sich in dem Vorstand,dem Rechner und dem Verwaltungsrat ihre Vertrauensmanner, wel­che aile Geschafte besorgen. Den einzelnen Mitgliedem auBerdemnoch eine besondere Einwirkung dabei zu gestatten, hieBeder Unord­nung sowie Streitigkeiten und anderen Unannehmlichkeiten aller Artru- und Tor offnen .:: (29)

b) Entwicklung zur repriisentativen Genossenschaftsdemokratie

Die steigende Mitgliederzahl (durch Beitritte oder Fusionen), dasGroBerwerden der Versammlungen. die Schwierigkeit der Entschei-

<28 ) W. SWOBODA. .. Fusion/Konzentration im Genossenschaftswesen .. , inHandworterbuch des Genossenschaftswesens. Wiesbaden. 1980. Sp. 551.

<29) F.W. RAIFFEISEN, a.a.O.; S. 39.

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dung in einem graBen BeschluBgremium (etwa in Personalfragen), dieNotwendigkeit der Losung komplizierter Sachfragen (die umfassendeBetriebskenntnisse verlangten), das fur die Masse der Mitgliederhaufig nicht uberschaubare Risiko u .a. machten einen Wandel derGenossenschaftsdemokratie fur unabdingbar. Ahnlich der Ent­wicklung graBer demokratischer Staaten hat sich dann auch im Genos­senschaftswesen eine Veranderung von der direkten zur reprasentati­yen Demokratie ergeben. Dieser Trend in der Genossenschaftspraxishat seinen Niederschlag in der Genossenschaftsnovelle von 1973gefunden. Wahrend bis zum 31.12.1973 der Vorstand bei der Geschafts­fuhrung dem Willen der Generalversammlung grundsatzlich un­terworfen war. ist er nach der Neufassung des *Tl Abs.l. GenGlediglich dann an deren Entscheidung gebunden. wenn dies durch dieSatzung festgelegt ist. 1m ubrigen kommt dem Vorstand die eigenver­antwortliche Leitungsmacht - unter Berucksichtigung des Forde­rungsauftrages - zu. So konnen ihm insbesondere keine Dienstanwei­sungen vorn Aufsichtsrat und/oder der Generalversammlung erteiltwerden. (,0)

Der Grundsatz der reprasentativen Demokratie in der Genossen­schaft kommt darin zum Ausdruck. daB die Mitglieder in der General­versammlung bzw. Vertreterversammlung(I) aus ihrer Mitte Personen in den Vorstand als Entscheidungsorgan

und evtl. in den Aufsichtsrat als Kontrallorgan wahlen:(2) diese Personen werden auf Zeit beauftragt , die Interessen der

Genossenschaftsmitglieder. d.h. die Forderung ihrer Betriebehzw. Haushalte wahrzunehmen:

(3) erfullen sie die Erwartungen der Mitglieder nicht oder wirtschaftensie im Geschaftsbetrieb schlecht. dann konnen sie ihrer Funktio­nen wieder enthohen werden:

(4) auch hesteht die Moglichkeit. daB sich die Konzeption einerMinderheit in personellen oder Sachfragen innerhalb der Genos­senschaftsgremien durchsetzt und zur Mehrheit wird:

(5) letztlich ist in der Genossenschaft die demokratische Gewaltentei­lung vorhanden.

Die Vorteile der reprasentativen Genossenschaftsdemokratie lie­gen vor allem darin, daB der Entscheidungsspielraum des Vorstandesvergrollert und ein rasches Fallen von sachgerechten Entscheidungenmoglich wird. Die Nachteile dieser Form der Genossenschaftsdemo­kratie liegen darin. daf eine reine Scheindemokratie praktiziert wird ,in der die Mitglieder den zuvor gefassten Beschlussen ohne Diskus­sion nur noch zustimmen konnen, daf sich die Untemehmensleitung

(10) Vgl. H.-W. WINTER! E. MMI,nu. " Demokraticprintip, Genossenschaftliches ". inHandworterbuch des Genosscnschaftswescns, Wiesbaden. I'JXO, Sp. 2'i'i If.

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ENTWICKLUNG DER GENOSSENSCHAFTLICHEN STRUKTUREN 419

zu sehr auf den Geschaftsbetrieb und zu wenig auf die Mitgliederwirt­schaften konzentriert, daB in personeller Hinsicht keine ausreichendeLeistungsauslese stattfmdet und bestimmte Positionen im Sinne von" Erbhofen " besetzt werden und daB letztlich die Organe ihre Aufgabeninnerhalb der Genossenschaft als Untemehmen sui generis el) nichternst nehmen.

Bei den aus dem Konzentrationsprozess hervorgegangenen relativgroBen Genossenschaften mit heterogener Mitgliederstruktur kanneine direkte Mitgliederdemokratie oder eine Basisdemokratie nicht mehrfunktionieren. Die gegenwartig vorherrschende reprasentative Demokra­tie im Genossenschaftswesen ist somit letztlich ein Ergebnis gesamtwirt­schaftlicher Strukturveriinderungen und vor allem des auch das Genos­senschaftswesen nicht ungeschoren gelassen Konzentrationsprozesses.

3. VERANDERTE WETTBEWERBSLAGE AUS DER GENOS­SENSCHAFfSKONZENTRATION

Der konzentrative Prozess im Genossenschaftswesen hat auch dazugefuhrt, daB sich die Marktstrukturen, in denen Genossenschaften tatigsind, grundsatzlich verandert haben. Begleitet davon war auch ein Wan­del des genossenchaftlichen Marktverhaltens. Grundsatzlich kann fest­gestellt werden, daB in der urspriinglichen atomistischen Marktform,bei denen jede Genossenschaft nur einen minimalen Marktanteil hatte.kaum eine Konkurrenzbeziehung bestand und keine grofere Marktaktivi­tat vorhanden war; diese Marktform wurde von den oligopolistischenMarktstrukturen sowohl auf der Absatz- als auch der Beschaffungsseitedes Marktes abgelost, Die Tendenz zum Oligopol, mit relativ wenigenMarktteilnehmem, ergab sich bei den Prirnargenossenschaften auf regio­nalen und den Zentralgenossenschaften auf nationalen bzw. intemationa­len Markten, 1meinzelnen konnte dabei die folgenden typischen Entwic­klungen festgestellt werden. ( 2)

a) Wettbewerbsermoglichung durch genossenschaftliche Marktintegra­tion

1m Wettbewerb mit groBen Untemehmen haben die Klein- undMittelbetrieb - neben einer Reihe von Vorteilen - produktionelle undadministrative Nachteile, vor allem wegen der groBeren Marktmacht,gunstigeren Kostensituationen, Moglichkeit des Einsatzes von Verfahrender Massenproduktion und deren Erfahrungsvorsprung in allen Berei­chen des Managements.

(") VgI. G. DRAHEIM. Die Genossenschaft als Unternehmungstyp ; Gottingen,1952. S. 17.

e~) VgI. E. MANDLE.:: Zur Wettbewerbssituation von Genossenschaften ". in Wirl­schaftspolitik in Theorie und Praxis. Wiesbaden. 1979. S. 247 If.

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Durch die" Uberwindung von Markthindemissen .. e3) ermoglichen

jedoch die grober gewordenen Genossenschaften ihren zumeist mittel­standischen Mitgliedem eine Teilnahme am Marktgeschehen. Die Bunde­lung der ursprunglich isolierten Marktkrafte im Genossen­schaftsuntemehmen bewirkt haufig erst die heute benotigten groBenAngebots- und Nachfragernengen zu einer entsprechenden Qualitat.

So verlangen etwa die gewerblichen Nachfrager nach landwirt­schaftlichen Produkten i.d.R. groBe Mengen von einheitlicher Qualitat.deren Lieferungen uber einen langeren Zeitraum hinweg zu garantierenist. Der Grund fur diese Nachfrageerfordernisse liegt darin. daB sich eineweitgehende Anderung der Einkommen- und Konsumgewohnheiten derVerbraucher (Einkauf im SB-Laden. Nahrungseinnahme in Gemein­schaftskuchen oder Gaststatten), eine starke Untemehmenskonzentra­tion im Vermarktungssektor (Freiwillige Handelsketten. Filialgeschaftemit zentralen Beschaffungsstellen, Konzentration in der Ernahrungs­industrie) und eine Rationalisierung der Belieferung des Einzelhandelsmit Nahrungsmittel ergeben hat. Der einzelne Landwirt konnte dieseNachfragerfordemisse nicht erfullen und er ware somit vom Marktausgeschlossen bzw. er konnte keine ausreichenden Mengen absetzen.Die Marktintegration wird erst durch den oligopolistischen Genossen­schaftsbetrieb herbeigefuhrt. der auch bewirkt daB eine hohes Pro­duktionsvolumen verkauft werden kann. Eine ahnliche Situation kann beiMolkerei- und Wintergenossenschaften festgestellt werden.

b) WettbewerbsverstiirkllnR dutch Genossenschaften

Genossenchaften sind durch den KonzentrationsprozeB somit in oli­gopolistische Marktstrukturen hineingewachsen. Damit hat jedoch keineWettbewerbsreduzierung stattgefunden. wie dies fruher immer befurchtetwurde. 1m Gegenteil : Nach neuen Wettbewerbsvorstellungen und ­erkenntnissen erfullt der Wettbewerb in der Marktwirtschaft am bestenseine Funktion, wenn Oligopole als Marktteilnehmer auftreten. FurGenossenschaften ergibt sich dies auf Beschaffungs- und Absatzrnarktenin doppelter Weise :( I) Bei einer relativ geringen Anzahl von Konkurrenten ergibt sich eine

oligopolistische lnterdependenz: bei der die Aktionen und Reaktio­nen der Wettbewerber - aber auch der Marktpartner - mit in daswettbewerbspolitische Kalkul aufgenommen werden rnussen. Somu13 bei einer Preiserhohung oder Zinserhohung berucksichtigt wer­den. wie zum einen die Wettbewerber und zum anderen die Kundendarauf reagieren.

(2) Die Genossenschaft als Angebots- bzw. Nachfrageoligopolist tritt aufMarkten mit hohem Monopolisierungsgrade haufig als zusiurlicher

In) G. FI.EISCHMANN. Genossrnschaften lind Wetthe ..-erb. in Zfr:G. Rd. 22 1/972).

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Anbieter oder Nachfrage in eine Konkurrenz zu den bereits am Marktvorhandenen Marktteilnehmem und intensiviert somit den Wettbe­werb. Dies gilt typischerweise fur Kreditgenossenschaften.

Die Genossenschaften sind selten in der Lage, ihre privatwirt­schaftliche Konkurrenten vorn Markt zu verdrangen. Eine derartige" Vergenossenschaftlichung der Markte" ware ordnungspolitischauch gar nicht wunschenswert, da hierdurch der Wettbewerb einge­schrankt oder vollig beseitigt wiirde. Es ist auch falsch die positivenWettbewerbswirkungen von Genossenschaften von vomherein mitdem Hinweis in Frage zu stellen, sie hatten hohe Marktanteile undwiirden zur Vermachtung der Markte zum Nachteil ihrer Mitgliederund Kunden beitragen - wie dies 1977 von der Monopolkommissionbehauptet wurde (34). Es ist im Gegenteil immer wieder erkennbar,daB durch den Wettbewerbsdruck der Genossenschaften das Markt­verhalten der Konkurrenten wesentlich beeinfluBt wird.

AuBerdem ergibt sich bei genossenschaftlichen Oligopolist. auchals Marktfuhrer. noch eine Besonderheit. Zum einen muB er auf dieReaktionen der Genossenschaftsmitglieder achten, die sich in Diskus­sionen in den Gremien und in der Benutzung des Geschaftsbetriebesletztlich niederschlagen, zum anderen ergibt sich bei ihm eine gewisseUnflexibilitat dadurch, daB er - im Absatzbereich - groBe Mengenam Markt unterbringen muB. Kleinere private Untemehmen konnendagegen immer wieder Markttechniken ausfindig machen und fur ihreKunden kurzfristige Vorteile erwirtschaften.

c) Gegengewichtige Marktmacht und Genossenschaften

Ohne Zweifel sind Genossenschaften in allen Sparten im vergange­nen lahrhundert als Reaktion auf die entsprechende iibergewichtigeoriginare Marktmacht entstanden. Obwohl das Wirksamwerden derGewnossenschaften als Marktgegengewichte heute z.T. in Frage ges­tellt wird, iiben sie auf verschiedenen Markten deutlich erkennbar dieFunktion einer gegengewichtigen Marktmacht aus. Die Gegengewicht­sbildung ist nach C.A. Andreae sicherlich dann vorhanden, " wennauf einem Markt ein wirtschaftliches Ungleichgewicht ent­steht, das es den Marktiiberlegen gestattet, dem unterlegenen Markt­partner seinen Willen aufzuzwingen " (35). Dies tritft sicherlich auflandwirtschaftliche Absatz- und Beschaffungsmarkte zu, wo die Ge­nossenschaften die isolierten Marktkrafte zusammenfassen und derjeweils gegeniiberliegenden Marktseite ein Gegengewicht entgegen­stellen.

("'4) Vgl. Monopolkommission. Sondergutachten 7... MiBbrauche der Nachfrage­macht und Moglichkeiten zu ihrer Kontrolle im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbe­werbsbeschrankungen ", Baden-Baden. 1977, S. 90 fT.

("',) Vgl. C.-A. ANDREAE... Das Prinzip der gegengewichtigen Marktmacht ". inGrundlagen der Wettbe ...erbspolitik, Berlin, 1%8. S. 85.

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Die Konzentration im Genossenschaftswesen hat also drei typi­sche Wirkungen auf die Wettbewerbslage gehabt :(I) den Mitgliedern wurde eine Integration in den oligopolistischen

Wettbewerb ermoglicht:(2) Genossenschaften bildeten fur die Mitglieder ein wirksames Ge­

gengewicht gegen die starkere Martkgegenseite ;(3) Genossenschaften verstarken den funktionsfahigen Wettbewerb

in der Marktwirtschaft - haufig nicht zur Freude der Mitgliederund der Genossenschaftsorganisation.

Letztlich ist noch von Bedeutung. daB im Oligopol der Wettbe­werb haufig nicht tiber den Preis bzw. Zins. sondern tiber erganzendeLeistungen ausgetragen wird. Dies unterscheidet etwa auch die Si­tuation der heutigen Kreditgenossenschaften von jenen zu Raiffei­sens Zeiten.

IV. EINFLUB DER AUBENWIRTSCHAFTLICHEN INTEGRA­TION AUF DIE GENOSSENSCHAFT

Es uberrascht nicht , daB die hohe auBenwirtschaftliche Integra­tion unserer Volkswirtschaft nicht ohne Auswirkungen auf das Ge­nossenschaftswesen blieb. 1m Gegensatz zum vergangenen Jahrhun­dert oder noch zu einer Zeit vor 30 Jahren sind auch die genossen­schaftlichen Absatz- und Beschaffungsmarkte nicht mehr prirnar re­gional oder national. sondern international ausgerichtet. Dies fuhrtezu einer steigenden Bedeutung des genossenschaftlichen Verbundes,da relativ kleine Prirnargenossenschaften bei Im- bzw. Export oderbei internationalen Bankgeschaften uberfordert waren. DieseFunktion wird hauptsachlich von den Zentralgenossenschaften oderden Bundeszentralen ubernommen. die so dazu beitragen, daB dieGenossenschaftsmitglieder an der Basis eine Forderung erfahren. EsmuB davon ausgegangen werden, daB bei steigender weltwirtschaftli­cher Integration dieser Aufgabenbereich des Genossenschaftswesensnoch wesentlich an Bedeutung gewinnen wird. Somit kann es als eindeutlicher Widerspruch angesehen werden, wenn zur Verwirklichungeiner genossenschaftlichen Basisdemokratie die Auflosung vonHauptgenossenschaften gefordert wird - wie man dies in jungsterZeit bisweilen in landwirtschaftlichen Versarnrnlungen. in der tiberGenossenschaftsfragen diskutiert wurde, vernehmen kann. Dieswurde dazu fuhren. daB die Mitglieder ein Forderungsrninus er­fahren: so konnen eben auch die steigenden produzierten Mengennur dann ins Ausland verkauft werden, wenn entsprechende Organi­sationen vorhanden und befahigt sind. im Auslandsgeschaft tatig zuwerden.

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V. EINFLUB DER SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFf AUF DIEGENOSSENSCHAFf

Die kapitalistische Marktwirtschaft des 19. Jahrhunderts wurde inder Bundesrepublik Deutschland durch die wirtschaftspolitischeKonzeption der Sozialen Marktwirtschaft abgelost. In ihr sind dieOrdnungsprinzipien der Marktwirtschaft mit der Notwendigkeitstaatlicher Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen zur Realisierunggesellschaftspolitischer Ziele gepaart. Die Soziale Marktwirtschaftbewirkt eine gegenseitige Erganzung von marktwirtschaftlicher Lei­stungsfahigkeit und den gesellschafts- bzw. sozialpolitischen Zielendes Staates und der Gesellschaft (36). Es wurde sicherlich zu weitfuhren. auf den Gesamtkomplex " Soziale Marktwirtschaft und Ge­nossenschaft " hier einzugehen. Einen typischen Aspekt rnochte ichjedoch herausstellen.

Wenn man im Rahmen der Agrarpolitik den bauerlich­rnittelstandische Familienbetrieb als Leitbild angestrebt und eineEntwicklung zur kapitalistischen Agrarfabrik zu verhindem versuchtwird. dann entspricht dies zum einen der Sozialen Marktwirtschaft­da hierdurch auch gesellschaftspolitischen Zielen entsprochen wird :Nahrungssicherung. umweltschonende Produktion, Dezentralisierungder Agrarproduktion. Versorgung der Bevolkerung mit hochqualitati­yen Nahrungsmitteln zu niedrigen Preisen u.a. - es hat dies jedochauch nachhaltige Auswirkungen auf das Genossenschaftswesen. Die­ses kann sich langfristig in seiner gegenwartigen Struktur namlich nurdann erhalten, wenn es auf mittelstandischen Wirtschaftskreise ba­siert. Bei agrarischen GroBbetrieben besteht immer die Gefahr, daBsie auf Beschaffungs- und Absatzrnarkten an der Genossenschaftvorbei agieren. Nicht wenige Beispiele beweisen dies. Diese Betriebe- die haufig nicht den gesellschaftlichen Anforderungen der SozialenMarktwirtschaft entsprechen - sind so marktstark, daB sie die Ge­nossenschaft als Hilfs- oder Erganzungsbetrieb nicht mehr benotigen.Die Wirtschaftskonzeption der Sozialen Marktwirtschaft und mit ihrdas agrarpolitische Leitbild des bauerlichen Familienbetriebes habensomit auch eine entscheidende Auswirkung auf die Situation deslandwirtschaftlichen Genossenschaftswesens.

Eo AUSBLICK

I. Die Rahmenbedingungen der Gesamtwirtschaft haben sich veran­dert und daran muBten sich die Genossenschaften anpassen. Da

('6) Vgl. E. MANDIE. .. Soziale Marktwirtschaft "'. a.a.O .. Sp. 1476 fT.

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sie auf diese Rahmenbedingungen der Gesamtwirtschaft keinenunmittelbaren EintluB hatten und haben, ist dies fur sie eineNotwendigkeit.

2. Da unsere Volkswirtschaft und Gesellschaft heute grundsatzlichanders aussieht als vor 30 oder gar vor 100 Jahren, muBte sichauch das Gesicht der Genossenschaften wandeln. Es ist deswegenfalsch, die heutigen Genossenschaften mit den traditionellen Ge­nossenschaften zu vergleichen und eine Ruckkehr zur guten altenZeit zu verIangen!

3. Beim genossenschaftlichen AnpassungsprozeB an die verandertenRahmenbedingungen von Wirtschaft und Gesellschaft ist jedochzu berucksichtigen, daB sich die Genossenschaften nicht zu Un­ternehmen wie aile anderen entwickeln. sondern daB die Genos­senschaftscharakteristika mit neuen Inhalten versehen und erhal­ten werden. Hier ist m.E. in der Genossenschaftspraxis bei Mit­gliedern und Funktionstragern ein gro13er Nachholbedarf vorhan­den.

4. Die geanderten Rahmenbedingen haben• den Grundauftrag von der unmittelbaren zur mittelbaren indivi­

duellen Mitgliederforderung verschoben:• sie haben eine Entwicklung von der direkten zur reprasentati­

yen Genossenschaftsdemokatie notwendig gernacht:• die Wettbewerbsstellung der Genossenschaften als Angebots­

und Nachfrageoligopolisten verandert:• eine auBenwirtschaftlichen Orientierung der Genossenschaften

notwendig und eine Starkung des Genossenschaftsverbundesunabdingbar gemacht ;

• in der Ordnungspolitik der Sozialen Marktwirtschaft den Ge­nossenschaften einen festen Standort zugewiesen.

5. Ein Zunick zu den alten Genossenschaftsprinzipien des 19.Jahrhunderts. deren Grundanliegen selbstverstandlich zu beachtenist. gibt es nicht mehr. Ich bin auch uberzeugt, daB wenn Mannerwie F.W.RaitTeisen. H. Schulze-Delitzsch oder W. Haas heuteleben wurden, dann wurden sie als Manner der praktischen Ver­nunft - Genossenschaften grunden wie sie heute vorhanden sind.Sie wurden aber auch sicherlich darauf achten, daB die neuenInhalte der Genossenschaftsgrundsatze ernst genommen werden.

(36) Vgl. E. MANDLF... Soziale Marktwirtschaft ". a.a.O.. Sp. 1476 fT.