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Die Klagemöglichkeiten der Umweltverbände im Natur- und Um- weltschutzrecht sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich erwei- tert worden. Seit 2002 gibt es eine bundesweit geltende Regelung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage, die zuvor nur nach lan- desrechtlichen Vorschriften erhoben werden konnte, was nicht in al- len Bundesländern vorgesehen war. Außerdem eröffnet seit 2006 das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz die Möglichkeit, eine Umweltver- bandsklage gegen bestimmte Industrieanlagen und Bebauungspläne zu erheben. Diese Klagebefugnisse beruhen auf EU-Recht und der Europäische Gerichtshof hat im Mai 2011 entschieden, dass den Umweltverbänden danach die Möglichkeit gegeben werden muss, die Verletzung von umweltrechtlichen Vorschriften uneingeschränkt gel- tend zu machen. Das führt erneut zu einer Ausweitung der Klage- befugnisse, weil das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz insoweit Ein- schränkungen vorgesehen hatte und daher bis Mitte 2012 an das EU-Recht angepasst werden muss. Dabei stellt sich im Hinblick auf die zukünftige Ausgestaltung der Klagemöglichkeiten unter anderem die Frage, ob deren Erweiterung eine möglicherweise problematische Zunahme von Verbandsklagen bewirken könnte. In diesem Beitrag wird eine empirische Studie zur Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010 1 vorgestellt, nach deren Ergebnissen nicht mit einer solchen Zunahme zu rechnen ist. Vielmehr kann angenommen werden, dass die Umweltverbände ihre Klagemöglichkeiten weiterhin nur in wenigen ausgewählten Fällen, in denen erhebliche Vollzugsdefizite bei der Anwendung umweltrechtlicher Vorschriften vorliegen, einsetzen werden. 1. Einleitung Die Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden werden seit Ende der 1970er Jahre, als sie mit der Regelung ei- ner naturschutzrechtlichen Verbandsklage in Bremen ein- geführt wurden, immer wieder diskutiert. Es geht dabei zum einen um rechtsdogmatische Fragen, weil das deutsche Verwaltungsrecht nach Art. 19 Abs. 4 GG und § 42 Abs. 2 VwGO vor allem auf den Individualrechtsschutz ausgerich- tet ist. Zum anderen spielen aber auch Befürchtungen, es könne durch die ergänzend dazu geschaffenen Verbandskla- geregelungen zu einer Überlastung der Gerichte sowie zu gravierenden Verzögerungen wichtiger Infrastruktur- oder Wirtschaftsprojekte kommen, eine bedeutende Rolle. 2 Ob diese Befürchtungen zutreffen, kann nur durch empirische Untersuchungen geklärt werden. Es sind deswegen schon mehrere Studien zur Entwicklung der naturschutzrechtli- chen Verbandsklagen durchgeführt worden, insbesondere Prof. Dr. Alexander Schmidt, Hochschule Anhalt (FH), Bernburg, Deutschland; Michael Zschiesche; Alexandra Tryjanowski, Unabhängiges Institut für Umweltfragen e. V. (UfU), Fachgebiet Umweltrecht & Partizipation, Berlin, Deutschland auch eine nach Einführung einer bundesweiten Regelung im Jahr 2002. 3 Bisher lagen aber noch keine Daten dazu vor, wie sich das Ende 2006 in Kraft getretene Umwelt- Rechtsbehelfsgesetz 4 (UmwRG), aus dem sich zusätzliche Klagemöglichkeiten der Umweltverbände bei bestimmten Industrieanlagen und Bebauungsplänen ergeben, auf deren Klagetätigkeit ausgewirkt hat. Die Lücke bei den empirischen Daten wird jetzt für die Zeit von 2007 bis 2010 durch eine Studie geschlossen, mit der vor allem geklärt werden sollte, wie die neben der neu eingeführten Umweltverbandsklage weiter bestehenden Regelungen für die naturschutzrechtlichen Verbandskla- gen in diesem Zeitraum genutzt worden sind. 5 Um einen Überblick über die gesamte Entwicklung zu erhalten, er- fasst die Studie aber auch die Umweltverbandsklagen und zeigt damit, wie die Klagetätigkeit der Verbände durch die mit dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz verbundene Auswei- tung ihrer Klagebefugnisse beeinflusst worden ist. Darüber hinaus sind Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung der Verbandsklagen möglich, die durch das Urteil des Eu- ropäischen Gerichtshofs vom 12. 5. 2011 6 geprägt sein wird. Darin wird festgestellt, dass die bisher in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG enthaltene Beschränkung der Rügebefugnisse bei einer Verletzung umweltrechtlicher Vorschriften dem EU- Recht widerspricht, weil danach eine uneingeschränkte Geltendmachung solcher Rechtsverstöße durch die Um- weltverbände möglich sein muss. Deswegen ist eine Novel- lierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes bis Mitte 2012 notwendig. Im Zusammenhang damit wird bereits wieder die Befürchtung geäußert, dass sich durch die Ausweitung der Rügemöglichkeiten die Rahmenbedingungen für In- vestitionsentscheidungen in Deutschland weiter verschlech- DOI: 10.1007/s10357-012-2210-7 Die Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010 – Ergebnisse neuer empirischer Untersuchungen Alexander Schmidt, Michael Zschiesche und Alexandra Tryjanowski © Springer-Verlag 2012 NuR (2012) 34: 77–85 77 123 AUFSäTZE 1) Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski, Die Studie „Entwicklung der Ver- bandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010“, ist im August und September 2011 im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) durch das Unabhängigen Institut für Um- weltfragen e. V. (UFU), Berlin, erstellt worden. Im UfU hat auch Fabian Stolpe an der Ausarbeitung mitgewirkt. 2) Vgl. zur Entwicklung der Diskussion und zu den Pro- und Con- tra-Argumenten Koch, NVwZ 2007, 369 ff. 3) Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek, Die Entwicklung der natur- schutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, Untersu- chung der Hochschule Anhalt (FH), Bernburg, und des Unab- hängigen Instituts für Umweltfragen e. V., Berlin, im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz, 2007 (Abschlussbericht unter www.bfn.de/0320_veroe.html). 4) Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Um- weltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Um- welt-Rechtsbehelfsgesetz) vom 7. 12. 2006, BGBl. I S. 2816. 5) Das Bundesamt für Naturschutz hat die Studie beauftragt (siehe Fn. 1), um die Ergebnisse in der nächsten Ausgabe der „Daten zur Natur“ berücksichtigen zu können, die 2012 erscheinen werden. 6) EuGH, Urt. v. 12. 5. 2011 – C-115/09, NuR 2011, 423 ff. – näher dazu noch unten 2.2.

Die Entwicklung der Verbandsklage im Naturund Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010 – Ergebnisse neuer empirischer Untersuchungen

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Die Klagemöglichkeiten der Umweltverbände im Natur- und Um-weltschutzrecht sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich erwei-tert worden. Seit 2002 gibt es eine bundesweit geltende Regelung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage, die zuvor nur nach lan-desrechtlichen Vorschriften erhoben werden konnte, was nicht in al-len Bundesländern vorgesehen war. Außerdem eröffnet seit 2006 das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz die Möglichkeit, eine Umweltver-bandsklage gegen bestimmte Industrieanlagen und Bebauungspläne zu erheben. Diese Klagebefugnisse beruhen auf EU-Recht und der Europäische Gerichtshof hat im Mai 2011 entschieden, dass den Umweltverbänden danach die Möglichkeit gegeben werden muss, die Verletzung von umweltrechtlichen Vorschriften uneingeschränkt gel-tend zu machen. Das führt erneut zu einer Ausweitung der Klage-befugnisse, weil das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz insoweit Ein-schränkungen vorgesehen hatte und daher bis Mitte 2012 an das EU-Recht angepasst werden muss. Dabei stellt sich im Hinblick auf die zukünftige Ausgestaltung der Klagemöglichkeiten unter anderem die Frage, ob deren Erweiterung eine möglicherweise problematische Zunahme von Verbandsklagen bewirken könnte. In diesem Beitrag wird eine empirische Studie zur Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010 1 vorgestellt, nach deren Ergebnissen nicht mit einer solchen Zunahme zu rechnen ist. Vielmehr kann angenommen werden, dass die Umweltverbände ihre Klagemöglichkeiten weiterhin nur in wenigen ausgewählten Fällen, in denen erhebliche Vollzugsdefizite bei der Anwendung umweltrechtlicher Vorschriften vorliegen, einsetzen werden.

1. Einleitung

Die Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden werden seit Ende der 1970er Jahre, als sie mit der Regelung ei-ner naturschutzrechtlichen Verbandsklage in Bremen ein-geführt wurden, immer wieder diskutiert. Es geht dabei zum einen um rechtsdogmatische Fragen, weil das deutsche Verwaltungsrecht nach Art. 19 Abs. 4 GG und § 42 Abs. 2 VwGO vor allem auf den Individualrechtsschutz ausgerich-tet ist. Zum anderen spielen aber auch Befürchtungen, es könne durch die ergänzend dazu geschaffenen Verbandskla-geregelungen zu einer Überlastung der Gerichte sowie zu gravierenden Verzögerungen wichtiger Infrastruktur- oder Wirtschaftsprojekte kommen, eine bedeutende Rolle. 2 Ob diese Befürchtungen zutreffen, kann nur durch empirische Untersuchungen geklärt werden. Es sind deswegen schon mehrere Studien zur Entwicklung der naturschutzrechtli-chen Verbandsklagen durchgeführt worden, insbesondere

Prof. Dr. Alexander Schmidt, Hochschule Anhalt (FH), Bernburg, Deutschland;

Michael Zschiesche; Alexandra Tryjanowski, Unabhängiges Institut für Umweltfragen e. V. (UfU), Fachgebiet Umweltrecht & Partizipation, Berlin, Deutschland

auch eine nach Einführung einer bundesweiten Regelung im Jahr 2002. 3 Bisher lagen aber noch keine Daten dazu vor, wie sich das Ende 2006 in Kraft getretene Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz 4 (UmwRG), aus dem sich zusätzliche Klagemöglichkeiten der Umweltverbände bei bestimmten Industrieanlagen und Bebauungsplänen ergeben, auf deren Klagetätigkeit ausgewirkt hat.

Die Lücke bei den empirischen Daten wird jetzt für die Zeit von 2007 bis 2010 durch eine Studie geschlossen, mit der vor allem geklärt werden sollte, wie die neben der neu eingeführten Umweltverbandsklage weiter bestehenden Regelungen für die naturschutzrechtlichen Verbandskla-gen in diesem Zeitraum genutzt worden sind. 5 Um einen Überblick über die gesamte Entwicklung zu erhalten, er-fasst die Studie aber auch die Umweltverbandsklagen und zeigt damit, wie die Klagetätigkeit der Verbände durch die mit dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz verbundene Auswei-tung ihrer Klagebefugnisse beeinflusst worden ist. Darüber hinaus sind Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung der Verbandsklagen möglich, die durch das Urteil des Eu-ropäischen Gerichtshofs vom 12. 5. 2011 6 geprägt sein wird. Darin wird festgestellt, dass die bisher in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG enthaltene Beschränkung der Rügebefugnisse bei einer Verletzung umweltrechtlicher Vorschriften dem EU-Recht widerspricht, weil danach eine uneingeschränkte Geltendmachung solcher Rechtsverstöße durch die Um-weltverbände möglich sein muss. Deswegen ist eine Novel-lierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes bis Mitte 2012 notwendig. Im Zusammenhang damit wird bereits wieder die Befürchtung geäußert, dass sich durch die Ausweitung der Rügemöglichkeiten die Rahmenbedingungen für In-vestitionsentscheidungen in Deutschland weiter verschlech-

DOI: 10.1007/s10357-012-2210-7

Die Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010 – Ergebnisse neuer empirischer UntersuchungenAlexander Schmidt, Michael Zschiesche und Alexandra Tryjanowski

© Springer-Verlag 2012

NuR (2012) 34: 77–85 77

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AU F S äT Z E

1) Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski, Die Studie „Entwicklung der Ver-bandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010“, ist im August und September 2011 im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) durch das Unabhängigen Institut für Um-weltfragen e. V. (UFU), Berlin, erstellt worden. Im UfU hat auch Fabian Stolpe an der Ausarbeitung mitgewirkt.

2) Vgl. zur Entwicklung der Diskussion und zu den Pro- und Con-tra-Argumenten Koch, NVwZ 2007, 369 ff.

3) Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek, Die Entwicklung der natur-schutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, Untersu-chung der Hochschule Anhalt (FH), Bernburg, und des Unab-hängigen Instituts für Umweltfragen e. V., Berlin, im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz, 2007 (Abschlussbericht unter www.bfn.de/ 0320_veroe.html).

4) Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Um-weltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Um-welt-Rechtsbehelfsgesetz) vom 7. 12. 2006, BGBl. I S. 2816.

5) Das Bundesamt für Naturschutz hat die Studie beauftragt (siehe Fn. 1), um die Ergebnisse in der nächsten Ausgabe der „Daten zur Natur“ berücksichtigen zu können, die 2012 erscheinen werden.

6) EuGH, Urt. v. 12. 5. 2011 – C-115/09, NuR 2011, 423 ff. – näher dazu noch unten 2.2.

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tern würden, weil eine Zunahme von Klagen sowie der Verfahrensdauer bei den Gerichten zu erwarten sei und eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch die Verbände nicht ausgeschlossen werden könne. 7

Im Folgenden sollen daher nicht nur die Ergebnisse der empirischen Studie zur Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010 vorge-stellt werden. Ausgehend von den daraus und aus anderen Studien ableitbaren Erkenntnissen über die Klagetätigkeit der Umweltverbände ist außerdem zu untersuchen, ob die angesprochenen Befürchtungen hinsichtlich der Folgen ei-ner erneuten Ausweitung der Verbandsklagebefugnisse als berechtigt angesehen werden können. Dafür werden zu-nächst die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erhebung von Verbandsklagen kurz dargestellt (dazu 2.). Es folgt eine Erläuterung der bei der empirischen Untersuchung ange-wandten Methodik (dazu 3.). Danach werden die Ergeb-nisse der Untersuchung vorgestellt und diskutiert (dazu 4.). Am Schluss stehen dann eine Zusammenfassung und ein Ausblick auf die anstehende Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (dazu 5.).

2. Gesetzliche Grundlagen der Verbandsklage

2.1 Klagemöglichkeiten nach dem Naturschutzrecht

Bisher bilden vor allem die Regelungen zur naturschutz-rechtlichen Verbandsklage die Grundlage für die Klagetä-tigkeit der Umweltverbände. Die aktuelle Untersuchung, die hier vorzustellen ist, betrifft den Zeitraum von 2007 bis 2010 und die erfassten Klagen beruhen daher ganz über-wiegend auf § 61 BNatSchG 2002 8. Diese Vorschrift hat erstmals bundeseinheitliche Verbandsklagemöglichkeiten im Bereich des Naturschutzrechts geschaffen. Sie wird – mit wenigen änderungen – durch § 64 BNatSchG 2010 9 fortge-schrieben. Ergänzend gab und gibt es teilweise noch landes-rechtliche Klageregelungen, die nach § 61 Abs. 5 BNatSchG 2002 bzw. § 64 Abs. 3 BNatSchG 2010 unberührt bleiben. Der Bundesgesetzgeber wollte die seit 1979 in vielen Bun-desländern schrittweise eingeführten und ausgebauten Kla-gemöglichkeiten 10 also nicht einschränken, sondern nur ei-nen bundeseinheitlichen „Mindeststandard“ schaffen. 11

Nach § 61 Abs. 1 BNatSchG 2002 konnten die anerkannten Naturschutzvereine gegen folgende von Bundes- 12 oder Lan-desbehörden getroffene Verwaltungsentscheidungen klagen:

Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Naturschutzgebieten, Nationalparken und sons-tigen Schutzgebieten im Rahmen von § 33 Abs. 2 BNatSchG 2002;

Planfeststellungsbeschlüsse über Vorhaben, die mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind, sowie Plangenehmigungen, sofern für diese eine Öf-fentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist.

In § 64 Abs. 1 BNatSchG 2010 wird der Anwendungsbe-reich der Klage etwas ausgeweitet. Das ergibt sich durch die dort enthaltene Bezugnahme auf die ebenfalls erweiterte Regelung der Mitwirkungsrechte der Naturschutzver-bände an bestimmten Verwaltungsverfahren in § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG 2010. Danach sind die Verbände insbeson-dere an Entscheidungen über Befreiungen in Natura 2000 – Gebieten, Naturschutzgebieten und Nationalparks auch dann zu beteiligen, „wenn diese durch eine andere Ent-scheidung eingeschlossen oder ersetzt werden“. Diese Er-gänzung stellt sicher, dass – im Gegensatz zu der vor 2010 von der Rechtsprechung vertretenen Auffassung 13 – ein Mitwirkungs- und Klagerecht z. B. auch bei der mit Kon-zentrationswirkung ausgestatteten immissionsschutzrecht-lichen Genehmigung einer Anlage besteht, die in einem der genannten Schutzgebiete errichtet werden soll. In die-sen Fällen ist die erforderliche Befreiung ein Bestandteil dieser Genehmigung (oder müsste darin enthalten sein), so dass sich eine Klage nur dagegen richten kann.

Die Klageregelungen des Landesnaturschutzrechts spielen neben den Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes zu-nehmend nur noch eine untergeordnete Rolle. Es gab zwar vor 2002 einige erheblich über das Bundesrecht hinaus ge-hende Klageregelungen auf Landesebene, diese sind jedoch im Laufe der Zeit weitgehend eingeschränkt oder aufgeho-ben worden (das gilt insbesondere für Hessen, Sachsen-An-halt und Nordrhein-Westfalen). Aufgrund dieser Entwick-lung konnten die Verbände ihre Klagen von 2007 bis 2010 nur noch auf wenige landesrechtliche Regelungen stüt-zen, die einen weiteren Anwendungsbereich als § 61 Abs. 1 BNatSchG 2002 bzw. § 64 Abs. 1 BNatSchG 2010 hatten. Bedeutsam waren vor allem die Klagemöglichkeiten gegen Maßnahmen an geschützten Alleen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie z. B. gegen wasserrecht-liche Erlaubnisse und gegen Genehmigungen für Bauvor-haben im Außenbereich in Hamburg und Niedersachsen. Seit 2010 ist es durch die von den Ländern erlassenen Aus-führungsgesetze zum neuen Bundesnaturschutzgesetz teil-weise zu weiteren Einschränkungen gekommen (das be-trifft vor allem Niedersachsen).

Die Anforderungen an die Zulässigkeit von Verbandskla-gen in § 61 Abs. 2 bis 4 BNatSchG 2002 bzw. § 64 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BNatSchG stimmen teilweise mit denen in landesrechtlichen Vorschriften überein. Danach muss der (anerkannte) Naturschutzverband in seinem satzungsgemä-ßen Aufgabenbereich berührt sein und sich im Rahmen der bei den Verfahren bestehenden Mitwirkungsmöglichkei-ten in der Sache geäußert haben. Darüber hinaus verlangen § 61 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG 2002 bzw. § 64 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG 2010, dass ein Verstoß gegen naturschutzbezo-gene Vorschriften gerügt wird. Damit werden nicht nur die in den Naturschutzgesetzen selbst enthaltenen oder auf diesen Gesetzen beruhenden Regelungen erfasst, sondern es kann die Verletzung aller Vorschriften geltend gemacht werden, die auch den Belangen von Naturschutz und Land-schaftspflege zu dienen bestimmt sind.

2.2 Klagemöglichkeiten nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz

Seit Dezember 2006 stehen den anerkannten Verbände ne-ben den naturschutzrechtlichen Klageregelungen auch die Rechtsschutzmöglichkeiten nach dem Umwelt-Rechts-behelfsgesetz zur Verfügung. Nach § 1 Abs. 1 UmwRBG

Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski, Die Entwicklung der Verbandsklage im Naturschutzrecht

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7) Siehe dazu Bundesverband der Deutschen Industrie, Positions-papier zur änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes vom 11. 10. 2011, unter I., www.bdi.eu/download_content/Klima Und Umwelt/ Pos.pap.pdf (abgerufen am 9. 11. 2011).

8) Siehe Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Natur-schutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften vom 25. 3. 2002, BGBl. I, S. 1193 ff.

9) Siehe Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Na-turschutzes und der Landschaftspflege vom 29. 7. 2009, BGBl. I, S. 2542 ff.

10) Vgl. die Übersicht bei Koch, NVwZ 2007, 372 f.11) Es gab vor 2002 (und gibt bis heute) in den Bundesländern Bayern

und Baden-Württemberg keine Klageregelungen im Naturschutz-recht. Das galt auch für Mecklenburg-Vorpommern, das aber 2002 eine landesrechtliche Regelung eingeführt hat, die etwas weiter geht als das Bundesrecht (vor allem im Bereich des Alleenschut-zes). Zudem überlagern die bundesrechtlichen Vorschriften die in Sachsen und Thüringen geltenden Klagevorschriften, die einen etwas engeren Anwendungsbereich hatten bzw. haben.

12) Durch die Vorschrift sind Entscheidungen von Bundesbehörden wie z. B. Planfeststellungsbeschlüsse des Eisenbahnbundesam-tes, gegen die vor 2002 nach den landesrechtlichen Vorschrif-ten nicht geklagt werden konnte, in den Anwendungsbereich der Verbandsklage einbezogen worden.

13) Siehe insbesondere VGH München, Beschl. v. 25. 6. 2008 – 22 CS 07.2023, NuR 2008, 593 ff.; zuvor auch schon VGH München, Urt. v. 13. 5. 2005 – 22 A 9640091, ZUR 2005, 542 ff., ausgehend von BVerwG, Beschl. v. 17. 12. 2002 – 7 B 119.02, NuR 2003, 544.

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können Umweltverbandsklagen gegen alle einer Umwelt-verträglichkeitsprüfung unterliegenden Vorhaben sowie gegen die nach Spalte 1 der 4. BImSchV genehmigungsbe-dürftigen Anlagen erhoben werden. Dadurch werden vor allem Industrieanlagen und bestimmte Bebauungspläne er-fasst, bei denen vorher keine Verbandsklage möglich war. Es besteht aber auch eine Überschneidung mit dem An-wendungsbereich der naturschutzrechtlichen Klagerege-lungen bei den planfeststellungsbedürftigen Vorhaben.

Im Hinblick auf die Rügebefugnisse unterscheiden sich die Regelungen zur umweltrechtlichen Verbandsklage bis-her von denen des Naturschutzrechts. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRBG konnten die Verbände nur die Verletzung von Umweltschutzvorschriften geltend machen, die „Rechte Einzelner begründen“. Damit sollte erreicht werden, dass die Klagemöglichkeiten der Umweltverbände vor allem bei In-dustrieanlagen nicht weiter gehen, als die von betroffenen Bür-gern, die (nur) bei der Verletzung bestimmter Schutznormen klagen können. Die Geltendmachung von Verstößen gegen lediglich dem Allgemeinwohl dienende Vorschriften z. B. für den Naturschutz oder die Umweltvorsorge sollte ausgeschlos-sen sein. 14 Diese Einschränkung ist allerdings von vornherein kritisiert worden, weil das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz zur Umsetzung der Vorgaben der EG-Öffentlichkeitsrichtlinie 15 und der Aarhus-Konvention 16 dient, nach denen insbeson-dere Umweltschutzorganisationen einen „weiten“ Zugang zu Gerichten erhalten sollen. Die rechtswissenschaftliche Lite-ratur ist deshalb überwiegend davon ausgegangen, dass die Einschränkung der Rügebefugnis in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG dem EU-Recht widerspricht. 17

Aufgrund einer Klage des BUND gegen das von der Firma Trianel geplante Kohlekraftwerk in Lünen hatte das OVG Münster 18 die Frage nach der gebotenen Reich-weite der Rügebefugnisse dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Nach dessen Urteil vom 12. 5. 2011 sind die Einschränkungen, die das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz dazu vorsieht, nicht mit EU-Recht vereinbar. 19 Das Urteil stellt klar, dass die Umweltverbände vor Gericht die Ver-letzung von Vorschriften, die aus dem Unionsrecht her-vorgegangen sind und dem Umweltschutz dienen, unein-geschränkt geltend machen können. Auf die gerichtlichen Entscheidungen über Umweltverbandsklagen, die in der hier vorzustellenden Studie erfasst worden sind, hat sich dieses Urteil nicht ausgewirkt, da der Untersuchungszeit-raum nur bis Ende 2010 reicht. Die Anfang Dezember 2011 vom OVG Münster über die Genehmigung des Trianel-Kraftwerks getroffene Entscheidung zeigt jedoch, dass eine Umweltverbandsklage bei Industrieanlagen aufgrund der erweiterten Rügebefugnisse nunmehr auch in Fallkonstel-lationen erfolgreich sein kann, in denen es um die Verlet-zung naturschutzrechtlicher Vorschriften geht. 20

3. Methodik und Vorgehensweise der Untersuchung

Die Erhebung und Auswertung der Daten beruht bei der hier vorzustellenden Studie auf dem gleichen methodischen Ansatz, wie bei der Studie zur Entwicklung der natur-schutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006. 21 Es ist die Zahl der Verbandsklagen und der damit zusammen-hängenden Verfahren im Zeitraum 2007 bis 2010 sowie die dabei von den Umweltverbänden erzielte Erfolgsquote ermittelt und mit den für Klagen vor den Verwaltungs-gerichten (ohne Asylverfahren) verfügbaren Daten vergli-chen worden. Durch die einheitliche Methodik wird die Vergleichbarkeit der Ergebnisse der verschiedenen Studien gewährleistet und es ist eine Gesamtbetrachtung der Ent-wicklung von 2002 bis 2010 möglich.

3.1 Erhebung der Daten

Die Erfassung der Verbandsklagen, über die im Zeitraum von 2007 bis 2010 durch die Verwaltungsgerichte entschie-

den worden ist, beruht in der vorliegenden Untersuchung vor allem auf Recherchen in juristischen Datenbanken ( ju-ris und beck-online), in Fachzeitschriften (ZUR, NuR, NVwZ) und im Internet (insbesondere auf den homepages der Umweltverbände und der Verwaltungsgerichte). Auf Grundlage der ermittelten Daten ist außerdem bei eini-gen Landesverbänden des BUND (Bayern, Hamburg, Hes-sen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) und des NABU (Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) sowie bei der die Berliner Landesar-beitsgemeinschaft der Naturschutzverbände (BLN), im Lan-desbüro der Umweltverbände Nordrhein-Westfalen und bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) nachgefragt worden, ob weitere Hinweise auf nicht oder unzutreffend erfasste Fälle oder Verfahren gegeben werden können. Es sind allerdings nicht alle Anfragen beantwortet worden und es war inner-halb des begrenzten Zeitrahmens für die Bearbeitung auch nicht möglich, alle Verbände, die bisher Klagen geführt ha-ben, zu befragen. Deswegen und aufgrund der Tatsache, dass die genutzten Datenbanken vor allem Entscheidungen über Klagen gegen kleinere Vorhaben sowie die Erledigung von Fällen nur teilweise erfassen, ist die Datenerhebung in-soweit vermutlich nicht ganz vollständig. Außerdem konnte bei manchen Klagen, die erfasst worden sind, der aktuelle Stand nicht näher ermittelt werden. Das betraf insbesondere die Frage, ob sie inzwischen z. B. durch Erledigung oder durch einen Vergleich abgeschlossen werden konnten. 22

3.2 Auswertung der Daten

In der Studie sind zur Ermittlung der Anzahl abgeschlos-sener Klagen in der Regel nur die Fälle gewertet worden, bei denen im Zeitraum 2007 bis 2010 mindestens eine Ent-scheidung in der Sache ergangen ist. Eine Ausnahme ist die Klage gegen das Kohlekraftwerk Lünen, bei der das OVG Münster bis Ende 2010 noch nicht abschließend entschieden hatte, weil hier durch das infolge eines Vorlagebeschlusses ergangene EuGH-Urteil vom 12. 5. 2011 die verbandliche Klagebefugnis bestätigt worden war (siehe schon 2.2). Die-ses Urteil ist als erste Entscheidung in der Sache angesehen worden, obwohl auch danach der Ausgang des Verfahrens noch offen war. 23 Neben den Beschlüssen in Verfahren des

NuR (2012) 34: 77–85 79Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski, Die Entwicklung der Verbandsklage im Naturschutzrecht

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14) Vgl. die Begründung des UmwRG-Entwurfs, BT-Drs. 16/2495, S. 12; vgl. außerdem Wegener, ZUR 2011, 363 – m. w. N.; bei Individualklagen ergibt sich die beschränkte Rügebefugnis aus § 42 Abs. 2 VwGO, wonach der Kläger – im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG – eine Verletzung „seiner Rechte“ geltend machen muss; näher zur daraus abgeleiteten „Schutznormtheorie“ z. B. Kloepfer, Umweltrecht, 2008, § 5 Rdnr. 9 ff.

15) Richtlinie 2003/35/EG vom 26. 5. 2003, Abl. EG Nr. L 156 v. 25. 6. 2003, S. 17.

16) Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öf-fentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zu-gang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25. 6. 1998.

17) Zum Stand der Diskussion zuletzt Wegener, ZUR 2011, 363 ff. – m. w. N. (auch zur Gegenmeinung).

18) Siehe den Vorlagebeschluss v. 5. 3. 2009, NuR 2009, 369 ff.19) EuGH, Urteil vom 12. 5. 2011 – C-115/09, NuR 2011, 423 ff.20) Durch Urteil vom 1. 12. 2011 (8 D 58/08.AK) hat das OVG Münster

den Vorbescheid und die erste Teilgenehmigung für dieses Kraft-werk aufgehoben, weil die Kraftwerksbetreiberin den aufgrund des europäischen Naturschutzrechts erforderlichen Nachweis, dass ein nahe gelegenes Natura 2000-Gebiet durch die zu erwartenden Schwefeldioxidemissionen nicht erheblich beeinträchtigt wird, we-der durch die – erst nachträglich erstellte – FFH-Verträglichkeits-prüfung noch durch ergänzende Gutachten führen konnte.

21) Siehe Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski (Fn. 1), S. 8 ff., sowie Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 3), S. 8 ff.

22) Siehe insgesamt dazu Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski (Fn. 1), S. 8.

23) Vgl. Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski (Fn. 1), S. 8 f.

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einstweiligen Rechtsschutzes und Urteilen in Hauptsache-verfahren sind ferner die durch Rücknahme der Anträge oder Klage oder durch Erledigung abgeschlossenen Ver-fahren berücksichtigt worden. Die ermittelten Klagen und Verfahren sind aufgegliedert nach Bundesländern erfasst und mit den Ergebnissen der Studie für die Zeit von 2002 bis 2006 verglichen worden. Dadurch werden Veränderun-gen in der Klagetätigkeit bezogen auf die einzelnen Bun-desländer erkennbar. Außerdem kann eine Gesamtbilanz der für den Zeitraum von 2002 bis 2010 ermittelten Klagen gezogen werden. Außerdem ergibt sich aus der Studie, wie viele Klagen in einer Instanz abgeschlossen und wie viele über mehrere Instanzen geführt worden sind.

Um die Erfolgsquote der Verbandsklagen festzustellen, werden in der Studie die Ergebnisse der einzelnen Verfahren sowie die Endergebnisse der Klagen aus Sicht der Verbände als „gewonnen“, „Teilerfolg“ oder „verloren“ gewertet. Für das Endergebnis war in den Fällen, in denen mehrere Ent-scheidungen vorliegen, in der Regel die letzte Hauptsache-entscheidung im Zeitraum 2007 bis 2010 maßgebend. Die Klagen gegen Planfeststellungen sind auch dann als „ge-wonnen“ eingestuft worden, wenn sie (nur) zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Planung geführt haben, weil das Vorhaben dann nicht auf der Grundlage der angegriffenen Zulassungsentscheidung realisiert werden kann. In diesen Fällen lassen sich die festgestellten Abwägungsfehler aller-dings durch eine Planergänzung beheben und in der Pla-nungspraxis wird diese Möglichkeit in aller Regel auch ge-nutzt. 24 Außerdem gibt es Klagen, in denen das Ergebnis als „Teilerfolg“ gewertet worden ist, obwohl die Verbände das zuletzt geführte Verfahren (meist eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht) verloren haben. Hier handelt es sich um Fälle, bei denen in erster Instanz z. B. zusätzli-che Kompensationsmaßnahmen für Natur und Landschaft durchgesetzt werden konnten und bei denen die dann wei-ter geführten Klagen lediglich im Hinblick auf zusätzliche Forderungen erfolglos waren. 25 Darüber hinaus sind in der vorzustellenden Studie alle durch Vergleich abgeschlossenen Klagen generell als „Teilerfolg“ gewertet worden, unabhän-gig davon, inwieweit die Verbände dabei im Einzelfall zu-sätzliche Umweltschutzmaßnahmen durchsetzen konnten. Die Ergebnisse der Vergleiche sind hierbei also nicht kon-kreter betrachtet worden, dazu liegt aber bereits eine an-dere Studie vor, in der die von den Umweltverbänden abge-schlossenen Vergleiche eingehend analysiert werden. 26

4. Darstellung und Diskussion der Ergebnisse

Die ermittelten Daten und die daraus ableitbaren Erkennt-nisse über die Klagetätigkeit der Umweltverbände werden in der vorzustellenden Studie wie folgt dargestellt und dis-kutiert: Zunächst wird auf die Entwicklung bei der Zahl der Klagen und Verfahren eingegangen (dazu 4.1), es folgen Zahlen und Überlegungen zur Dauer der Verfahren (dazu 4.2), die Analyse der Erfolgsquote für alle Verbandsklagen (dazu 4.3) sowie schließlich eine nähere Betrachtung der Entwicklung und Erfolge bezogen auf die verschiedenen Klagegenstände (dazu 4.4).

4.1 Anzahl der Klagen und Verfahren

Für den Zeitraum 2007 bis 2010 hat die Untersuchung er-geben, dass die Verwaltungsgerichte bei insgesamt 100 Ver-bandsklagen mindestens eine Entscheidung getroffen haben, wobei 191 Verfahren in der Hauptsache oder im einstwei-ligen Rechtsschutz in allen Instanzen geführt worden sind (siehe Tabelle 1). Die Voraussetzungen, unter denen eine Klage oder Entscheidung mitgezählt worden ist, sind be-reits erläutert worden (siehe 3.2). Es sind auch dreizehn Klagen erfasst worden, deren Ausgang in der Hauptsache noch offen ist, weil gegen die in einem Eil- oder Hauptsa-cheverfahren in erster Instanz getroffenen Entscheidungen

Rechtsmittel eingelegt worden sind (in der Erfolgsbilanz werden diese Fälle allerdings nicht gewertet – siehe 4.2).

Bei dem Vergleich der in Tabelle 1 enthaltenen Zahlen ist zu berücksichtigen, dass sich die Erhebung der aktuel-len Daten nur über vier Jahre erstreckt hat (2007 bis 2010), während in der Studie für die Zeit von 2002 bis 2006 fünf Jahre erfasst worden sind. Sowohl die Daten für die ein-zelnen Bundesländer als auch die absoluten Zahlen lassen sich daher nur bedingt miteinander vergleichen. Bei den meisten Bundesländern kann allerdings davon ausgegan-gen werden, dass die Klagetätigkeit im gesamten Zeitraum von 2002 bis 2010 ungefähr auf dem gleichen Niveau liegt. Das gilt z. B. für Bayern und Nordrhein-Westfalen (hohes Niveau) oder Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt (mittleres Niveau) sowie für Baden-Württemberg und Bremen (niedriges Niveau). Bei einigen Bundeslän-dern zeichnet sich hingegen seit 2007 ein Rückgang der Klagetätigkeit im Verhältnis zum Zeitraum von 2002 bis 2006 ab (vor allem Brandenburg und Sachsen sowie z. B. in geringerem Umfang auch Rheinland-Pfalz). Nur für Nie-dersachsen und für Schleswig-Holstein deutet sich eine sig-nifikante Steigerung an. Über die möglichen Gründe für diese Veränderungen oder auch für die Unterschiede zwi-schen den Bundesländern lässt sich aus der rein quantitati-ven Erfassung der Klagezahlen nichts ableiten.

Der für die Gesamtentwicklung der Verbandsklagen maßgebliche Indikator ist die Zahl der durchschnittlich pro Jahr erfassten Klagen und Entscheidungen. Daraus lässt sich unabhängig von der Situation in den einzelnen Bun-

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24) Siehe dazu den Überblick über die durch Planfeststellung zugelas-senen Vorhaben, bei denen in der Zeit von 2002 bis 2006 geführte Verbandsklagen erfolgreich waren, die dann aber nach einer Plan-ergänzung (und der Abweisung von dagegen erhobenen Klagen) realisiert werden konnten, bei Schmidt, NuR 2008, 549 ff.

25) Vgl. Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski (Fn. 1), S. 9.26) Schmidt/Sperfeld, Vergleich oder Urteil bei umweltrechtlichen

Verbandsklagen?, Studie für das Unabhängige Institut für Um-weltfragen (UfU), Berlin, im Auftrag der Umweltstiftung Da-vid, 2010.

27) Vgl. Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski (Fn. 1), S. 11.28) Siehe dazu Tabelle 1 bei Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek

(Fn. 3), S. 11.

Tabelle 1: Zahl der Klagen und Verfahren (Entscheidungen)

Länder Klagen (Verfahren)

2007 bis 201027

Klagen (Verfahren) 2002 bis 200628

Baden-Württemberg 3 (5) 4 (6)Bayern 14 (32) 14 (21)Berlin 2 (2) 4 (4)Brandenburg 9 (18) 20 (37)Bremen 2 (5) 2 (4)Hamburg 2 (5) 4 (11)Hessen 6 (13) 7 (15)Mecklenburg- Vorpommern

7 (8) 6 (11)

Niedersachsen 17 (30) 15 (22)Nordrhein-Westfalen 12 (20) 14 (22)Rheinland-Pfalz 8 (13) 13 (23)Saarland 1 (2) 3 (3)Sachsen 5 (13) 19 (36)Sachsen-Anhalt 7 (15) 8 (11)Schleswig-Holstein 5 (10) 3 (6)Thüringen 0 2 (2)Gesamt 100 (191) 138 (234)Klagen pro Jahr 25 27,6

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desländern insbesondere ersehen, ob die vor allem auf Bun-desrecht und EU-Recht beruhende Ausweitung der Kla-gebefugnisse seit 2002 eine Zunahme der Klagetätigkeit bewirkt hat. Aus der Tabelle 1 ergibt sich, dass im Zeit-raum 2007 bis 2010 etwas weniger geklagt worden ist (25 Klagen pro Jahr) als von 2002 bis 2006 (gut 27 Klagen pro Jahr). Da die Daten für 2007 bis 2010 möglicherweise nicht ganz vollständig sind (siehe 3.1), kann es zwar sein, dass der tatsächliche Durchschnittswert in diesem Zeitraum et-was höher ist als 25 Klagen pro Jahr. Aufgrund der breit gefächerten Datenerhebung (siehe 3.1) kann jedoch davon ausgegangen werden, dass nur wenige Klagen nicht erfasst werden konnten und dass daher jedenfalls nicht mehr als 27 Klagen pro Jahr erhoben worden sind. Es ist demnach nicht ganz sicher, ob die Klagetätigkeit von 2007 bis 2010 tatsächlich zurückgegangen ist, eine Zunahme kann aber auf jeden Fall ausgeschlossen werden. Damit steht zugleich fest, dass die mit dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ver-bundene Ausweitung der Klagemöglichkeiten – anders als die Einführung einer bundesweiten Regelung der natur-schutzrechtlichen Verbandsklage (§ 61 BNatSchG 2002) 29 – bisher nicht zu einer Zunahme der Verbandsklagen geführt hat. Gleich geblieben ist auch die Zahl der pro Jahr durch-geführten Verfahren (ca. 47). Daher bleibt es auch bei einer im Verhältnis zu den insgesamt von den Verwaltungsge-richten abgeschlossenen Verfahren weiterhin sehr geringen Zahl von Verbandsklagen. 30 Von einer starken Belastung der Gerichte oder gar von einer „Klageflut“ kann somit nach wie vor nicht die Rede sein.

Diese Ergebnisse der vorliegenden Studien zur Entwick-lung bei der Anzahl von Fällen und Entscheidungen spre-chen dafür, dass die aus Wirtschaftskreisen geäußerte Be-fürchtung, es sei aufgrund der erneuten Ausweitung der Klagebefugnisse in Folge der Trianel-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (siehe 2.2) mit einer Zunahme der Verbandsklagen zu rechnen, 31 unbegründet ist. Es kann zwar nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG enthaltene Beschränkung der Rü-gebefugnis mit dazu beigetragen hat, dass bisher nur rela-tiv wenige Umweltverbandsklagen erhoben worden sind (siehe dazu noch 4.4). Da die Zahl der Verbandsklagen im Jahresdurchschnitt nach 2006 trotz der zusätzlichen Kla-gebefugnisse insgesamt gesehen eher gesunken als ge-stiegen ist, kann jedoch davon ausgegangen werden, dass auch die Ausweitung der Rügebefugnisse keine nennens-werte Zunahme der Verbandsklagen bewirken wird. Da-für spricht auch eine nähere Betrachtung der Situation bei der Einführung von bundesweiten Klagerechten durch § 61 BNatSchG 2002. Dadurch war eine deutliche Zunahme der Klagezahlen veranlasst worden (von 20 auf 27 Klagen pro Jahr), wofür allerdings vor allem der Umstand maßgeb-lich gewesen sein dürfte, dass damit in mehreren Bundes-ländern überhaupt erstmals effektive Klagebefugnisse für die Umweltverbände eröffnet und somit neue Kläger ak-tiviert worden sind. 32 Das ist bei den 2006 in Kraft getre-tenen Klagevorschriften nicht der Fall. Diese Tatsache und die für 2007 bis 2010 vorliegenden Daten deuten deshalb darauf hin, dass eine weitere Steigerung des seit 2002 er-reichten (quantitativen) Klageniveaus nicht ohne weiteres möglich ist. Dafür spricht nicht nur, dass die durch das Um-welt-Rechtsbehelfsgesetz erweiterten Klagemöglichkeiten keine Zunahme bewirkt haben. Zu berücksichtigen ist au-ßerdem, dass sowohl die zur Vorbereitung von Verbands-klagen erforderliche Beteiligung an den Planungs- und Zu-lassungsverfahren als auch die Klageverfahren selbst für die Umweltverbände in der Regel mit einem erheblichen Auf-wand verbunden sind. Die dafür zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Ressourcen sind begrenzt und werden bereits stark beansprucht, so dass eine Ausweitung der Klagetätigkeit der Umweltverbände unter den beste-henden Rahmenbedingungen kaum möglich und daher nicht zu erwarten ist. 33

4.2 Dauer der Verfahren

Es ist bereits in verschiedenen Studien untersucht worden, wie viele Verbandsklagen über mehrere Instanzen geführt werden, weil sich daraus ein Hinweis auf Verzögerungen bei der Realisierung der angegriffenen Vorhaben ergeben könnte. 34 Die Studie zur Entwicklung der naturschutzrecht-lichen Verbandsklagen von 2002 bis 2006 hat ergeben, dass in diesem Zeitraum ca. 67 % der Klagen nur über eine In-stanz geführt worden sind. Nach der alle altruistischen Ver-bandsklagen von 1979 bis 2002 erfassenden Untersuchung von Radespiel galt das auch für diesen Zeitraum. 35 Durch die aktuelle Studie ist insoweit für 2007 bis 2010 eine deutliche Veränderung festgestellt worden, denn hier haben die Um-weltverbände ihre Klagen nur noch in 45 % der Fälle über eine Instanz und somit überwiegend über mehrere Instanzen geführt. 36 Welche Gründe es für diese Entwicklung geben könnte, lässt sich aus den erhobenen Daten nicht entnehmen, weil dadurch die Gerichtsentscheidungen nur quantitativ er-fasst werden. Es ist also nicht ermittelt worden, welche Um-stände für das Klageverhalten im Einzelfall maßgeblich wa-ren. Feststellen lässt sich lediglich, dass die Zunahme der über mehrere Instanzen geführten Klagen vor allem bei Fällen zu verzeichnen ist, in denen naturschutzrechtliche Verbandskla-gen erhoben worden sind. Bei den Umweltverbandsklagen liegen vermutlich auch aufgrund der kurzen Geltungsdauer des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes bisher nur relativ wenige Entscheidungen vor, die ganz überwiegend zu einem Ab-schluss in erster Instanz geführt haben. 37

NuR (2012) 34: 77–85 81Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski, Die Entwicklung der Verbandsklage im Naturschutzrecht

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29) Siehe den Vergleich der Ergebnisse für die Zeit von 2002 bis 2006 mit den Zahlen aus den davor durchgeführten Untersu-chungen bei Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 3), S. 11 f.

30) Im Jahr 2009 sind von den Verwaltungsgerichten – Allgemeinen Kammern (ohne Asylverfahren) – insgesamt 115 509 Hauptsa-cheverfahren und 29 221 Verfahren des einsteiligen Rechtsschut-zes erledigt, bei den Oberverwaltungsgerichten waren es insge-samt (1. Instanz und Rechtsmittelinstanz) 16 531 Hauptverfahren, siehe Statistisches Bundesamt (2010), Fachserie 10 „Rechtspflege“, Reihe 2.4 Verwaltungsgerichte 2009, www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/ Content/Publikatio nen/Fachveroeffentlichungen/Rechtspflege/GerichtePersonal/Verwaltungsgerichte2100240097005, property=file.xls, S. 18 f.; 34 f., 50 f. und 70 f.; im Jahr 2010 waren es bei den Verwaltungs-gerichten 110 795 Hauptsacheverfahren und 27 757 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sowie bei den Oberverwaltungs-gerichten insgesamt 16 149 Hauptverfahren, siehe Statistisches Bundesamt (2011), Fachserie 10 „Rechtspflege“, Reihe 2.4 Ver-waltungsgerichte 2010, www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/ Publikationen/Fachver oef fentlichungen/Rechtspflege/GerichtePersonal/Verwaltungsgerichte2100240107005,property=file.xls, S. 14 f., 36 f.; 58 f. und 72 f.; daraus ergibt sich ein Durchschnitt von 157 984 erledigten Verfahren pro Jahr – die ca. 47 Verfahren pro Jahr bei Verbands-klagen entsprechen somit einem Anteil von ca. 0,03 %.

31) So das Positionspapier des BDI (Fn. 7).32) Diese Möglichkeiten haben einige (Landes)Verbände, die sich

vorher gar nicht oder nur in Einzelfällen an Klagen beteiligt hat-ten, genutzt und ihre Klagetätigkeit deutlich ausgeweitet; siehe im einzelnen dazu die Analyse bei Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mi-schek (Fn. 3), S. 11 f.

33) Siehe im einzelnen dazu die Analyse zur Wahrnehmung der Be-teiligungs- und Klagemöglichkeiten durch die Umweltverbände auf der Grundlage von Interviews mit Verbandsvertretern bei Schmidt, ZUR 2011, 296 ff.

34) Siehe Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 3), S. 12 ff.35) Siehe Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, theo-

retische Grundlagen und empirische Analysen, 2007, S. 341.36) Siehe Tabelle 2 bei Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski (Fn. 1), S. 13.37) Soweit ersichtlich ist bisher nur bei der Klage gegen die Geneh-

migung eines Ersatzbrennstoff-Heizkraftwerks im Industriepark Hoechst beim Bundesverwaltungsgericht eine gegen das abwei-sende Urteil des VGH Kassel vom 16. 9. 2009 (6 C 1005/08, NuR 2010, 428) eingelegt worden; zu den übrigen Fällen Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski (Fn. 1), S. 17.

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Darüber hinaus ist fraglich, welche Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Daten zu den über mehrere Instanzen ge-führten Verbandsklagen hinsichtlich einer möglichen Verzö-gerung bei der Realisierung von Vorhaben gezogen werden können. Es spricht zwar viel dafür, dass die über mehrere In-stanzen geführten Klagen in der Regel länger dauern als die nach einer Instanz abgeschlossenen Verfahren. Es gibt dazu bisher aber keine konkreten Zahlen, weil die Dauer der Kla-geverfahren in den vorliegenden Studien aufgrund fehlen-der Daten über die genauen Zeitpunkte der Einleitung und Beendigung nicht ermittelt worden ist. Außerdem ist zu be-rücksichtigen, dass das Einlegen eines Rechtsmittels nicht ohne weiteres zu einer Verzögerung bei der Realisierung von Vorhaben führt. Vor allem die Klagen gegen Planfest-stellungsbeschlüsse haben grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, so dass trotz einer Klage mit dem Bau begonnen werden kann. Außerdem sind die auf eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichteten Eilverfahren nur in we-nigen Fällen erfolgreich. Teilweise gehen auch nur diese Eil-verfahren über mehrere Instanzen und die Gerichte entschei-den hierbei meist relativ kurzfristig. Davon abgesehen gibt es einige Fälle, in denen die Verbände zwar solche Eilverfahren oder auch die Klagen in erster Instanz verloren haben, dann aber mit der eingelegten Berufung oder Revision erfolgreich gewesen sind. In solchen Fällen kann die Fortführung der Klage nicht negativ bewertet werden, weil sie rechtlich be-gründet war. 38 ähnlich ist die Situation im Fall des Trianel-Kraftwerks, bei dem die Umweltverbandsklage gegen die erste Teilgenehmigung keine aufschiebende Wirkung hatte, so dass die Anlage – trotz der sich über Jahre hinziehenden Gerichtsverfahren – inzwischen weitgehend fertig gestellt ist. Dabei hat sich der Investor offenbar darauf verlassen, dass eine auf die Verletzung des Naturschutzrechts zielende Klage entweder aufgrund der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG vorge-sehenen Einschränkungen unzulässig oder zumindest nicht begründbar sein wird. Dies hat sich allerdings als Fehlein-schätzung erwiesen, da die Klage in Folge des EuGH-Ur-teils vom 12. 5. 2011 zulässig und angesichts der vorliegenden Vollzugsdefizite im Naturschutzrecht schließlich auch beim OVG Münster erfolgreich war (siehe schon 2.2). Damit er-geben sich nun doch Konsequenzen für die weitere Realisie-rung des Vorhabens, die dem klagenden Umweltverband aber nicht angelastet werden können. Hinzuweisen ist schließlich noch darauf, dass von 2007 bis 2010 insgesamt 17 Klagen durch Vergleich beendet worden sind, so dass in vielen Fällen ein weiteres gerichtliches Verfahren vermieden und die Rea-lisierung der Vorhaben beschleunigt werden konnte.

4.3 Erfolgsbilanz

Die in der Studie für die Zeit von 2007 bis 2010 vorgenom-mene Auswertung der Klagen und Verfahren im Hinblick auf die von den Umweltverbänden gegenüber den beklagten Behörden erzielten „Erfolgsquote“ lässt Rückschlüsse darauf zu, ob die Verbände ihre Klagemöglichkeiten verantwor-tungsvoll zum Abbau von Vollzugsdefiziten genutzt haben. 39 Maßgebend für die Wertung war in der Regel das Ergebnis der zuletzt getroffenen Entscheidung in der Hauptsache im Zeitraum 2007 bis 2010 (siehe 3.2). Es gab allerdings meh-rere Fälle, in denen die Ergebnisse aus dieser Zeit durch im Jahr 2011 ergangene Entscheidung abgeändert worden sind. In solchen Fällen sind auch diese an sich außerhalb des Untersuchungszeitraums getroffenen Gerichtsentschei-dungen berücksichtigt worden, um den tatsächlichen Er-folg der Klagen abzubilden. Außerdem lagen bei Abschluss der Studie für 13 Klagen zwar Entscheidungen aus der Zeit von 2007 bis 2010 vor (es handelt sich überwiegend um Eil-verfahren), der Ausgang in der Hauptsache war jedoch noch offen, so dass sie für die Erfolgsbilanz nicht gewertet wer-den konnten. Das betrifft insbesondere sechs von insgesamt zwölf Klagen, die sich auf das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz stützten. In einigen dieser Fälle ist vermutlich die Entschei-

dung des EuGH zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG abgewartet worden, die erst am 12. 5. 2011 erging (siehe 2.2).

Die Umwelt- und Naturschutzverbände sind im Zeitraum von 2007 bis 2010 mit ihren Klagen in 42,5 % der Fälle ganz oder teilweise erfolgreich gewesen (siehe Tabelle 2). Es be-steht daher kein erheblicher Unterschied zu der Erfolgs-quote von etwa 40 %, die für die Zeit von 2002 bis 2006 ermittelt worden ist. 40 Die Verbandsklagen sind demnach weiterhin wesentlich erfolgreicher, als die insgesamt von den Verwaltungsgerichten in Deutschland entschiedenen Hauptsacheverfahren (ohne Asylverfahren), bei denen die Erfolgsquote 2009 und 2010 nur bei etwa 10 bis 12 % gele-gen hat. 41 Deswegen kann davon ausgegangen werden, dass die Verbände die Fälle, in denen geklagt wird, nach wie vor sehr sorgfältig im Hinblick auf gute Erfolgsaussichten aus-wählen. Damit setzen sie ihre Klagerechte weiterhin gezielt und wirksam zu dem vom Gesetzgeber angestrebten Zweck ein, die bestehenden Vollzugsdefizite abzubauen.

Bei der Auswertung der in den einzelnen Eil- und Haupt-sacheverfahren erzielten Ergebnissen hat sich für 2007 bis 2010 (siehe Tabelle 3) ebenfalls praktisch keine Verände-rung gegenüber der für die Zeit von 2002 bis 2006 er-mittelten Zahlen ergeben. In beiden Zeiträumen haben die Verbände etwa 36 % der einzelnen Verfahren ganz oder teilweise gewonnen. 43

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38) Allerdings sind die Vorhaben dann teilweise schon während der noch laufenden Berufungs- oder Revisionsverfahren realisiert worden, so dass trotz der dort erzielten Erfolge insbesondere Maßnahmen zur Vermeidung einer Beeinträchtigung von Natur und Landschaft nicht mehr durchgesetzt werden konnten (so z. B. im Fall der CCT-Werft am Flughafen Frankfurt/Main).

39) Siehe dazu und zum Folgenden Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski (Fn. 1), S. 13 ff.

40) Siehe Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 3), S. 14 ff.; die Er-folgsquote der Verbände war damit auch wesentlich höher als z. B. im Zeitraum 1996 bis 2001, wo sie bei 27 % lag, siehe dazu Schmidt/Zschiesche/Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Ver-bandsklage, Status Quo und Perspektiven, 2004, S. 35.

41) Die Allgemeinen Kammern (ohne Asyl) der Verwaltungsgerichte haben 115 509 Hauptsacheverfahren im Jahr 2009 und 110 795 Hauptsacheverfahren im Jahr 2010 durch Urteil, Gerichtsbescheid oder Beschluss beendet (siehe die Nachweise in Fn. 25), wobei die Behörden 2009 nur in 6632 Fällen und 2010 nur in 6228 Fällen ganz oder teilweise unterlegen sind, siehe Statistisches Bundesamt (2010 – Fn. 30), S. 20, und (2011), S. 22 (dort jeweils Zeile 25 und 26); hinzu kommen ca. 7346 Fälle pro Jahr, in denen Vergleiche abgeschlossen worden sind, siehe Statistisches Bundesamt (2010 – Fn. 30), S. 16 und (2011 – Fn. 30) S. 18 (dort jeweils Zeile 24); das entspricht bei einer Wertung der Vergleiche als „Teilerfolg“ einer Erfolgsquote der gegen die Behörden gerichteten Klagen von etwa 12 %; bei den erstinstanzlich von den Senaten für technische Großvorhaben bei den Oberverwaltungsgerichten entschiedenen Hauptsacheverfah-ren sind die Behörden bei 250 Fällen in 2009 nur 14 Mal und bei 153 Fällen in 2010 nur 5 Mal ganz oder teilweise unterlegen, außerdem sind 9 bzw. 10 Vergleiche abgeschlossen worden, siehe Statistisches Bundesamt (2010 – Fn. 30), S. 56, und (2011 – Fn. 30), S. 58, so dass sich ein Verhältnis von 403 zu 38 und eine Erfolgsquote der Behördengegner von 9,5 % ergibt; insgesamt gesehen liegt demnach die Erfolgsquote der Behördengegner bei etwa 10 bis 12 %.

42) Als Teilerfolg wurden auch alle durch Vergleich beendeten Fälle gewertet (siehe 3.2)).

43) Vgl. Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski (Fn. 1), S. 14, und Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 3), S. 15.

Tabelle 2: Ergebnisse der Klagen im Zeitraum 2007 bis 2010

Gesamtzahl der abge­schlossenen Klagen

Gewonnen Teilerfolg42 Verloren

87 (von 100 Fällen bei 13 noch offenen Klagen)

17 20 50

100 % 19,5 % 23 % 57,5 %

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Demnach liegt die Erfolgsquote bei den Verfahren et-was niedriger, als bei den Klagen (dort sind es 42,5 % – siehe Tabelle 2). Das lässt sich darauf zurückführen, dass die Verbände in mehreren Fällen zunächst in den Verfah-ren des vorläufigen Rechtsschutzes oder in erster Instanz verloren haben, dann aber im Hauptsacheverfahren oder in der nächsten Instanz noch einen Erfolg erzielen konnten (siehe schon 4.2).

4.4 Auswertung nach Klagegegenständen

In der für 2007 bis 2010 vorliegenden Studie sind die er-mittelten Fälle auch differenziert nach Klagegegenständen ausgewertet worden. 44 Aus den Ergebnissen lässt sich ab-leiten, wo die Schwerpunkte der Klagetätigkeit liegen und bei welchen Fallgruppen die Verbandsklagen statistisch ge-sehen größere oder geringere Erfolgsaussichten haben. Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse sicher zu stellen, ori-entiert sich die Unterscheidung der Klagegegenstände an der Vorgehensweise in älteren Studien zur Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage. 45 Deshalb sind anknüpfend an den Anwendungsbereich dieser Verbands-klage drei Kategorien gebildet worden: Neben den in allen Bundesländern nach § 61 Abs. 1 BNatSchG 2002 (64 Abs. 1 BNatSchG 2010) möglichen Klagen gegen Planfeststellun-gen und gegen Befreiungen werden Klagen gegen „sons-tige“ Verwaltungsentscheidungen erfasst. Der Kategorie „Sonstige“ sind zum einen alle Verbandsklagen zugeordnet worden, bei denen sich die Zulässigkeit aus über das Bun-desrecht hinaus gehende Regelungen des Landes-Natur-schutzrechts (z. B. zum Schutz von Alleen) ergibt. Zum an-deren sind hier in der Studie für 2007 bis 2010 auch die auf das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz gestützten Klagen erfasst worden, die sich bisher vor allem gegen nach dem Bun-des-Immissionsschutz genehmigte Kraftwerke und Tier-haltungsanlagen und – teilweise damit im Zusammenhang stehende – Bebauungspläne richten.

Maßgeblich für die Einordnung der Klagen in die ge-nannten Kategorien war dabei in Anlehnung an die bei den Verwaltungsgerichten im Rahmen der Zulässigkeitsprü-fung üblichen Vorgehensweise meist die Art der angegrif-fenen Verwaltungsentscheidung. In den Fällen, in denen sich eine Klage mit der Begründung, es hätte ein Plan-feststellungsverfahren durchgeführt werden müssen, gegen eine Plangenehmigung richtete, ist diese allerdings der Ka-tegorie „Planfeststellung“ zugeordnet worden.

Die Verteilung der ermittelten Fälle auf die verschie-denen Kategorien der Klagegegenstände (siehe Tabelle 4) macht deutlich, bei welchen Fallgruppen die Verbandskla-gen besonders erfolgreich sind. Insgesamt gesehen ergeben sich für 2007 bis 2010 nur wenige Veränderungen im Ver-hältnis zu den ebenfalls dargestellten Ergebnissen der für 2002 bis 2006 vorliegenden Studie. Bemerkenswert ist al-lerdings, dass die von 2002 bis 2007 sehr hohe Erfolgsquote bei den Klagen gegen Befreiungen gesunken ist, während die in jenem Zeitraum relativ niedrige Erfolgsquote bei den „sonstigen“ Klagen sich deutlich erhöht hat.

Die Klagen gegen Planfeststellungen haben mit ca. 49 % den größten Anteil an den insgesamt von 2007 bis 2010 geführ-ten Verbandsklagen. Der Schwerpunkt der Klagetätigkeit lag auch früher schon in diesem Bereich und die Aktivität

der Verbände hat hier im Verhältnis zu 2002 bis 2006 (etwa 44 % Klagen gegen Planfeststellungen) 47 sogar noch etwas zugenommen. Die Erfolgsquote hat sich hingegen kaum verändert und liegt bezogen auf Erfolge und Teilerfolge bei 42 % (im Zeitraum von 2002 bis 2006 waren es 43,8 %).

Die Klagen gegen Befreiungen haben weiterhin einen An-teil von ca. 21 % an den insgesamt geführten Verbandskla-gen. Insoweit ergeben sich für die Zeit von 2007 bis 2010 keine Veränderungen gegenüber der Studie für 2002 bis 2006. Die Erfolgsquote ist allerdings von ca. 78 % in je-nem Zeitraum auf nur noch etwa 55 % gesunken. Sie liegt damit wieder auf einem Niveau, dass in etwa den Ergeb-nissen der für die Zeit von 1997 bis 1999 durchgeführten Untersuchung entspricht, die eine Erfolgsquote von 58 % ermittelt hat. 48 Es sind für 2007 bis 2010 vor allem weni-ger Fälle ermittelt worden, in denen die Klagen gegen Be-freiungen vollständig gewonnen worden sind. Allerdings ist der Anteil dieser Fälle immer noch deutlich höher als bei den Klagen gegen Planfeststellungen, wo überwiegend (nur) Teilerfolge erzielt werden konnten. Das gilt auch für die Erfolgsquote insgesamt. Demnach haben die Klagen gegen Befreiungen nach wie vor erheblich bessere Erfolgs-aussichten als andere Verbandsklagen.

Die Klagen gegen „sonstige“ Verwaltungsentscheidungen ha-ben im Zeitraum von 2007 bis 2010 nur noch einen Anteil von ca. 30 % gegenüber ca. 35 % in der Zeit von 2002 bis 2006. Bei dieser Differenz könnte an sich von einer signifi-kanten Veränderung gesprochen werden, es ist allerdings zu berücksichtigen, dass es vor allem bei den auf das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz gestützten Klagen, die in dieser Fall-gruppe berücksichtigt werden, einige noch offene und daher für die Erfolgsbilanz nicht gewertete Fälle gibt. Eine erheb-liche Veränderung ist bei der Erfolgsquote festzustellen, die sich von nur ca. 13 % im Zeitraum von 2002 bis 2006 auf fast 35 % für 2007 bis 2010 nahezu verdreifacht hat. Die Gründe für diese Veränderung sind in der Studie nicht näher unter-

NuR (2012) 34: 77–85 83Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski, Die Entwicklung der Verbandsklage im Naturschutzrecht

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44) Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski (Fn. 1), S. 15 ff.45) Die Vorgehensweise entspricht im wesentlichen der bei Schmidt/

Zschiesche/Rosenbaum (Fn. 40), S. 36 f., während Radespiel (Fn. 35), S. 342 ff., sowohl bei Planfeststellungen und Befreiungen als auch bei den sonstigen Klagegegenständen eine etwas andere und zu-gleich detailliertere Differenzierung vornimmt.

46) Die kursiv gesetzten Daten sind aus Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 3), S. 16.

47) Das gilt nach der Untersuchung von Radespiel (Fn. 35), S. 343, auch im Verhältnis zu den für die Zeit von 1979 bis 2002 ermit-telten Zahlen (dort werden für direkt gegen Planfeststellungen gerichtete Klagen 46,4 % angegeben).

48) Siehe Schmidt/Zschiesche/Rosenbaum (Fn. 40), S. 36; nach Radespiel (Fn. 35), S. 349, betrug die Erfolgsquote bei den direkt gegen Be-freiungen gerichteten Verfahren in der Zeit von 1979 bis 2002 sogar nur gut 46 %.

Tabelle 3: Ergebnisse der gerichtlichen Entscheidungen (Verfahren) 2007 bis 2010

Gesamtzahl der Entscheidungen

Gewonnen Teilerfolg Verloren

173 (von 191 bei 18 offenen Verfahren)

41 21 111

100 % 23,7 % 12,1 % 64,2 %

Tabelle 4: Erfolgsbilanz nach Klagegegenständen für den Zeitraum 2007–2010 (2002–2006)46

Klagege­genstände

Planfest­stellungen

Befrei­ungen

Sonstige (in­klusive der

Klagen nach dem UmwRG)

Gesamt

43 (57) 18 (27) 26 (46) 87 (130) % 49,4 (43,8) 20,7 (20,8) 29,9 (35,4) 100Gewonnen 7 (6) 8 (17) 2 (5) 17 (28) % 16,3 (10,5) 44,4 (63) 7,7 (10,9) 19,5 (21,5)Teilerfolg 11 (19) 2 (4) 7 (1) 20 (25) % 25,6 (33,3) 11,1 (14,8) 26,9 (2,1) 23 (18,5)Verloren 25 (32) 8 (6) 17 (40) 50 (77) % 58,1 (56,2) 44,4 (22,2) 65,4 (87) 57,5 (60)

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sucht worden. Teilweise ist sie wohl darauf zurück zu füh-ren, dass in der Zeit von 2002 bis 2006 relativ viele Klagen erfolglos geblieben sind, bei denen es sich hinsichtlich der Zulässigkeit um „Grenzfälle“ gehandelt hat. 49 Solche Fälle gab es von 2007 bis 2010 eher selten, stattdessen sind relativ häufig die Klagemöglichkeiten des Landesnaturschutzrechts z. B. für den Schutz von Alleen erfolgreich genutzt worden. Die ebenfalls als „sonstige“ Fälle eingeordneten Klagen nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz haben hingegen nicht zu der guten Erfolgsquote beigetragen. Bei den sechs – von insge-samt zwölf – erfassten Fällen, bei denen von 2007 bis 2010 eine abschließende Entscheidungen getroffen worden ist, konnten die Verbänden nur einen Teilerfolg erzielen. 50 Das lässt sich auch darauf zurückführen, dass die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG enthaltene Einschränkung der Klagebefug-nisse zunächst teilweise für mit dem EU-Recht vereinbar gehalten worden ist. 51 Einen Erfolg haben die Umweltver-bände dann allerdings Ende 2011 beim OVG Münster im Fall des Trianel-Kraftwerks erzielt (siehe 2.2).

5. Zusammenfassung und Ausblick

Die Daten zur Entwicklung der Verbandsklagen im Um-welt- und Naturschutzrecht von 2007 bis 2010 zeigen, dass die Umweltverbände ihre Klagebefugnisse weiterhin nur in ausgewählten Fällen nutzen und damit maßvoll zum Ab-bau von Vollzugsdefiziten beitragen. Dadurch werden die Ergebnisse früherer Untersuchung – z. B. für die Zeit von 2002 bis 2006 – bestätigt. Es ergeben sich aus den empi-rischen Studien auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verbandsklagemöglichkeiten als solche zur unangemesse-nen Verzögerung von Vorhaben führen oder missbräuch-lich genutzt werden, wie es in Wirtschaftskreisen noch im-mer befürchtet wird. 52 Insbesondere die hohe Erfolgsquote der Verbandsklagen spricht dafür, dass sie in der Regel nur in Fällen erhoben werden, in denen gute Erfolgsaussichten bestehen, weil es erhebliche Zweifel an der ordnungsgemä-ßen Umsetzung umweltrechtlicher Vorschriften gibt. So-fern sich in solchen Fällen aufgrund eines Klageerfolgs die Realisierung von Vorhaben verzögert, ist das eine Folge der vorliegenden Vollzugsdefizite, die vielleicht dem Vor-habenträger oder den zuständigen Behörden, nicht jedoch den Umweltverbänden angelastet werden können.

Die 2006 mit dem Erlass des Umwelt-Rechtsbehelfsge-setzes verbundene Ausweitung der Klagemöglichkeiten auf bestimmte Industrieanlagen und Bebauungspläne hat nicht zu einer Zunahme der Verbandsklagen geführt. Für die Zeit von 2007 bis 2010 konnten nur 25 Klagen pro Jahr ermittelt werden, während es im Zeitraum von 2002 bis 2006 durch-schnittlich noch mehr als 27 Klagen pro Jahr waren. Maß-geblich sind dafür insbesondere die beschränkten personel-len und finanziellen Ressourcen der Umweltverbände. Eine Analyse der Wahrnehmung von Beteiligungs- und Klage-rechten durch die Umweltverbände in den vergangenen Jah-ren zeigt, dass sie ihre Vorgehensweise unter den gegebenen Rahmenbedingungen, die eine Beteiligung an den Verwal-tungsverfahren erschweren, kaum optimiert werden kön-nen. 53 Insoweit könnte sich zwar aufgrund der durch „Stutt-gart 21“ ausgelösten Diskussion über eine Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung eine Veränderung ergeben, so-fern der Gesetzgeber die Erschwernisse zumindest teilweise beseitigt. 54 Es spricht jedoch viel dafür, dass die Verbände schon aufgrund der durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz stark gestiegenen Zahl der Verwaltungsverfahren, an denen sie sich zur Vorbereitung einer Klage beteiligen müssten, in-zwischen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Insgesamt ge-sehen gibt es daher keinen Grund zu der Annahme, es sei aufgrund der durch die Trianel-Entscheidung des Europäi-schen Gerichtshofs 55 ausgeweiteten Rügebefugnis eine Zu-nahme der Umweltverbandsklagen zu erwarten. 56 Es gibt auch keine Anhaltspunkte für eine drohende Überlastung der Gerichte, da der Anteil von Verbandsklagen an den ins-

gesamt vor den Verwaltungsgerichten geführten Verfahren auch nach den Ergebnissen der Studie für 2007 bis 2010 weiterhin sehr gering ist (ca. 0,03 % – siehe 4.1).

Der nächste Schritt bei der Entwicklung der Verbands-klagen wird die Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsge-setzes an die Vorgaben des EU-Rechts sein. Es ist bereits absehbar, dass das Gesetzgebungsverfahren durch eine Dis-kussion darüber geprägt sein wird, inwieweit die Rügebe-fugnisse der Umweltverbände ausgeweitet werden müssen und ob als Gegengewicht dazu z. B. eine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte geboten ist. 57 Umstrit-ten ist insbesondere, ob sich die Rügebefugnis ausgehend von der Formulierung, die der Europäische Gerichtshof in der Trianel-Entscheidung gewählt hat, nur auf die aus dem Unionsrecht hervor gegangenen Vorschriften 58 oder auf alle umweltrechtlichen Vorschriften (auch) des nationalen Rechts erstrecken muss. 59 Nach Art. 10a UVP-Richtlinie, aus dem die weite Rügebefugnis der Umweltverbände ab-geleitet wird, spricht sogar einiges dafür, dass eine vollstän-dige Kontrolle von verfahrens- und materiell-rechtlichen Vorschriften verlangt werden kann. 60 Außerdem wird vor dem Hintergrund des EU-Rechts eine Umgestaltung des deutschen Rechtsschutzsystems durch Angleichung der Rü-gebefugnisse bei Individualklagen an die bei den Verbands-klagen diskutiert, die allerdings mit Einschränkungen der Kontrolldichte einhergehen soll. 61 Darüber hinaus ist bei der Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes auch noch eine EuGH-Entscheidung vom März 2011 62 zur Bedeutung von Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention 63 für den Zugang zu Gerichten zu berücksichtigen. In dieser Entscheidung wer-den die Gerichte der Mitgliedstaaten aufgefordert, die nati-onalen Rechtsschutzvorschriften hinsichtlich der Verbands-

Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski, Die Entwicklung der Verbandsklage im Naturschutzrecht

123

84 NuR (2012) 34: 77–85

49) Siehe Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 3), S. 17.50) Das betrifft den Fall „Port Olpenitz“, in dem nach erfolgreicher

Klage beim OVG Schleswig, Urt. v. 12. 3. 2009 – 1 KN 12/08, NuR 2009, 498 ff., das von der beklagten Stadt eingeleitete Re-visionsverfahren durch einen Vergleich, der eine Verkleinerung der Baufläche in dem angegriffenen Bebauungsplan vorsah, be-endet werden konnte.

51) So z. B. VGH Kassel, Urt. v. 16. 9. 2009 – 6 C 1005/08, NuR 2010, 428 ff.; im Ergebnis zustimmend Schrödter, NVwZ 2009, 157 ff. (mit Nachweisen zu weiteren Beispielen).

52) Siehe das Positionspapier des BDI (Fn. 7).53) Im einzelnen dazu Schmidt, ZUR 2011, 296 ff.54) Siehe dazu u. a. Böhm, NuR 2011, 619 ff., Durner, ZUR 2011,

354 ff.; Gärditz, GewArch 2011, 273 ff.; Petersen/Zschiesche, Öf-fentlichkeitsbeteiligung und Umweltmediation bei großen In-frastrukturprojekten, Studie des UfU, Berlin, 2011; Schmidt ZUR 2011, 297 und 304 f. – m. w. N.

55) Siehe dazu 2.2 bei Fn. 19.56) Dies wird aber im Positionspapier des BDI (Fn. 7) als ein maß-

geblicher Grund für Einschränkungen z. B. bei der gerichtlichen Kontrolldichte genannt.

57) Siehe dazu einerseits die zahlreichen Vorschläge im Positionspapier des BDI (Fn. 7) sowie andererseits das Fünf-Punkte-Programm zum Ausbau und zur Effektivierung der Bürger- und Verbands-beteiligung des BUND (www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/sonstiges/ 20110124_fuenf_punkte_programm_buergerbeteiligung.pdf – abgerufen am 30. 10. 2011).

58) So Henning, NJW 2011, 2765, 2767 f.59) Siehe dazu Bunge, NuR 2011, 605, 608 f.; Wegener, ZUR 2011,

363, 365 f., m. w. N. 60) Vgl. Bunge, NuR 2011, 605, 608 f.; Wegener, ZUR 2011, 363,

365 f.61) Siehe Leidinger, NVwZ 2011, 1345, 1348 ff.62) EuGH, Urt. v. 8. 3. 2011 – C-240/09, NuR 2011, 346 ff.63) Diese Vorschrift gilt ergänzend zu Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konven-

tion (der konkret Klagemöglichkeiten für bestimmte umweltre-levante Vorhaben fordert und durch das Umwelt-Rechtsbehelfs-gesetz umgesetzt wird) und regelt allgemein, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbe-hördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben sollen.

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klagebefugnisse so weit wie möglich im Einklang mit den Zielen des Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention auszulegen. Es ist allerdings umstritten, ob die Vorschrift überhaupt eine Ausweitung dieser Klagebefugnisse verlangt und welche Kompetenzen die Europäische Union insoweit hat. 64

Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber diese Diskus-sion aufnehmen und die Vorschriften des Umwelt-Rechts-behelfsgesetzes umgestalten wird. Nach den Erfahrungen, die mit der viel zu restriktiven Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG gemacht worden sind, sprechen aber auch prakti-sche Überlegungen dafür, die Rügebefugnis möglichst weit zu fassen. Es wäre nicht zuletzt für ein betroffenes Industrie-unternehmen wenig hilfreich, wenn – wie im Fall des Tria-nel-Kraftwerks – erneut eine Verbandsklage erfolgreich sein sollte, weil sie sich auf Vorschriften stützt, deren Geltend-

machung ausgeschlossen worden war, nach EU-Recht aber möglich sein musste. Daher erscheint zumindest eine Aus-weitung der Rügebefugnis auf alle umweltrechtlichen Vor-schriften geboten. Dass dadurch eine erhebliche Zunahme der Verbandsklagen bewirkt wird, ist nicht zu erwarten. Die vorliegenden Daten und Erfahrungen sprechen vielmehr da-für, dass die Umweltverbände auch (noch) weiter gehende Klagebefugnisse zukünftig nur in wenigen ausgewählten Fällen mit guten Erfolgsaussichten nutzen werden.

Die sich im Aufwind befindliche maritime Raumordnung der eu-ropäischen Staaten bedarf dringend der Harmonisierung, um grenz-überschreitende Abstimmungen und gesamteuropäische Raumstra-tegien zu Wasser bewältigen zu können. Insoweit ist absehbar mit einem Richtlinienentwurf der EU zu rechnen. Der Beitrag beschäf-tigt sich mit nötigen bzw. wünschenswerten Vorgaben eines solchen unionalen Regelwerks, dies unter rechtsdogmatischen und rechtspo-litischen Aspekten.

I. Einleitung

Die maritime Raumordnung hat nicht nur durch Festset-zungen in Raumordnungsplänen der Küstenbundesländer 2, sondern inzwischen auch aufgrund der früher kaum vor-stellbaren Aufstellung solcher Pläne für die deutsche aus-schließliche Wirtschaftszone (AWZ) in Nord- und Ostsee 3 Bedeutung erlangt und Anschaulichkeit gewonnen. Damit erweist sich die Raumordnung zugleich als Speerspitze der dringlichen Entfaltung eines Infrastrukturrechts zur See 4, hat sich doch die vordem allein landseitig verortete Kon-kurrenz verschiedenster Nutzungs- und Schutzansprüche an den Raum auch im Meeresbereich eingestellt, und zwar auf unerwartet rasche Weise 5.

An anderer Stelle ist Näheres zur Entwicklung einer ma-ritimen Raumordnung in Europa dargestellt worden. 6 Da-nach ist damit zu rechnen, dass die EU-Kommission an ihrem Vorhaben, für eine Vereinheitlichung jener Raum-ordnung Sorge zu tragen, festhalten wird. 7 Da die Untersu-chung ebenfalls ergeben hat, dass der Vertrag von Lissabon selbst durch die Aufnahme des territorialen Zusammen-halts u. ä. m. jedenfalls keine Grundlage für eine eigene, gleichsam zentralisierte Raumordnung der EU geschaffen hat 8, wird sich die Strategie der Kommission vorrangig auf die Harmonisierung und Weiterentwicklung des einschlä-gigen Rechts der Mitgliedstaaten richten. 9

Prof. Dr. Wilfried Erbguth, Universität Rostock, Rostock, Deutschland

Dann aber stellt sich die Frage, welche Strukturen und Inhalte dergestalt zu erwartende Vorgaben der EU haben werden bzw. sollten. Da wegen besagten Ausfalls einer EU-Raumordnung diesbezüglich europäische Maßstäbe nicht zur Verfügung stehen, ist auf mitgliedstaatliche Erfahrun-gen mit dem planerischen, insbesondere raumordnerischen Rechtsbereich zu rekurrieren 10; diese gilt es nicht nur kri-

Europarechtliche Vorgaben für eine maritime Raumordnung: Empfehlungen 1

Wilfried Erbguth

© Springer-Verlag 2012

NuR (2012) 34: 85–91 85Erbguth, Europarechtliche Vorgaben für eine maritime Raumordnung: Empfehlungen

123

64) Siehe dazu Schlacke, ZUR 2011, 312 ff., die hier Ansätze zur Stär-kung des überindividuellen Rechtsschutzes sieht und eine EU-Kompetenz befürwortet; kritisch hinsichtlich der EU-Kompe-tenzen hingegen Wegener, ZUR 2011, 366.

1) Der Beitrag beruht auf einem Rechtsgutachten für das Ministe-rium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung Meck-lenburg-Vorpommern.

2) Vgl. nur: Landesraumentwicklungsprogramm Mecklenburg-Vor-pom mern, 2005.

3) Dazu Erbguth, UPR 2011, 207.4) Dazu die Beiträge in: Erbguth (Hrsg.), Infrastrukturrecht zur See –

neue Wege der Meeresraumordnung, 2008; ders., DVBl. 2009, 265.5) Etwa Kment, DV 40 (2007), 53, 54; aus Sicht der Fischerei vgl. die

Beiträge in: v. Lukowicz/ Hilge (Hrsg.), Marine Raumordnung – Interessenkonflikt; näher sogleich.

6) Erbguth unter Mitarbeit von Schubert, Möglichkeiten und Grenzen einer instrumentellen Einführung bzw. Umsetzung von Mariti-mer Raumplanung auf EU-Ebene, mschrftl., Januar 2011 (nach-folgend: Erbguth/Schubert, Maritime Raumplanung); demnächst in: AöR 137 (2012), Heft 1; auch Erbguth, DÖV 2011, 373.

7) Vgl. nachdrücklich Europäische Kommission (Generaldirektion Maritime Angelegenheiten und Fischerei), Maritime Raumord-nung in der EU – aktueller Stand und Ausblick, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu-ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, KOM 2010, 771(2011), S. 12 f., deutlich(st), S. 13: „Legislativvorschläge“; zu diesbzgl. (Unterstützungs-)Program-men der EU näher daselbst, S. 11 f.

8) Auch Durner, in: Akademie für Raumforschung und Landespla-nung (Hrsg.), Grundriss der Raumordnung und Raumentwick-lung, 2011, S. 395, 396, 401.

9) Insoweit zu kompetenzrechtlichen Problemen bei einem ver-stärktem Einsatz auch lediglich „weicher“ Instrumente zur Ein-wirkung auf mitgliedsstaatliche Planungs- und Gestaltungsspiel-räume durch die EU vgl. Durner, wie vor, S. 403.

10) So auch EU-Kommission (Fn. 7), S. 4: Mitgliedstaaten mit einge-henden Erfahrungen können diese im Rahmen eines gemeinsa-men maritimen Raumordnungsansatzes mit anderen teilen.