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Die Finanzkrise und die Kommunen Info-aktuell Oktober 2008

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Die Finanzkrise und die Kommunen

Info-aktuellOktober 2008

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Herausgeber:kommunalpolitisches forum Land Brandenburg e. V.Kontakt: Heinersdorfer Straße 8, 16321 BernauTel./Fax: 03338-459293-94; 459295e-mail: [email protected].: Steffen FriedrichRedaktionsschluss: Oktober 2008

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Die Finanzmarktkrise und der drohende wirtschaftliche Abschwung in DeutschlandArgumente und Forderungen der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Seit Mitte des Jahres 2007 hat die jahrelange Weiterreichung von unzureichend besicherten US-Immobilienkrediten an die internationalen Kapitalmärkte zu einer weltweiten Krise im Finanzsektor geführt. Längst beschäftigen sich nicht mehr nur die Wirtschaftsseiten der Zeitungen mit dieser Krise und für die Bundesregierung ist sie willkommener Anlass, um vom Versagen der eigenen Wirtschafts- und Finanzpolitik abzulenken. Je nach Lust und Laune schiebt sie der Weltkonjunktur, den gestiegenen Rohstoffpreisen oder den schludrigen USA den schwarzen Peter zu. Nachdem sie lange Zeit verkündet hat, Deutschlands Konjunktur sei robust, erklärt Finanzminister Steinbrück jetzt, die Finanzkrise sei das größte konjunkturelle Risiko für die deutsche Volkswirtschaft, statt die eigene Verantwortung für die Rezession einzugestehen.Während die USA bereits mit einem Konjunkturprogramm reagieren, lehnt Steinbrückdiese Maßnahmen als „verbranntes Geld“ ab. Der Chefvolkswirt der Financial TimesDeutschland warnt mit Blick auf Äußerungen von Finanzminister Steinbrück und Wirtschaftsminister Glos: „Der Absturz der Wall Street wird von der deutschen Politik in diesen Tagen nur als eine hochwillkommene Ausrede genutzt, um endlich einen Abschwung öffentlich einzugestehen, der sich schon seit Längerem abzeichnet und der ingroßen Teilen durch Fehler der Regierung in Berlin und der Notenbank in Frankfurthausgemacht ist.“

Was die Finanzmarktkrise ausgelöst hatAusgehend von den USA, hat seit dem Sommer 2007 die Durchreichung von schlechtbesicherten Immobilienkrediten an den Finanzmärkten zu einer weltweiten Krise im Finanzsektor geführt. So führten in den USA kontinuierliche Zinserhöhungen bei einemzuletzt massiven Verfall der Immobilienpreise dazu, dass mehrere Millionen Kreditverträge, die in den letzten zehn Jahren geschlossen wurden, von den Kreditnehmern nicht mehr bedient werden konnten.Ein Großteil dieses Kreditvolumens (und somit auch die damit verbundenen Risiken)wurde in der Form sogenannter forderungsbesicherter Wertpapiere an die internationalenFinanzmärkte weiter gereicht. In Folge der dort vorhandenen überreichen Liquiditäterfuhren diese Forderungsverbriefungen einen schwunghaften und spekulativ geprägtenHandel: Diese Wertpapiere wurden immer wieder aufs Neue umstrukturiert, so dasszum Schluss auch für erfahrene Händler kaum noch zu überschauen war, welche Sicherheiten tatsächlich den gehandelten Papieren zu Grunde lagen. Dass der Handel mitdiesen „Wundertüten“ dennoch nicht zum Erliegen kam, lag zum einen daran, dass dieHändler sich auf das Urteil von Ratingagenturen stützten. Zum anderen lagen den gehandelten Papieren auch Kreditversicherungen zu Grunde. Während sich die Kreditversicherer von den guten Bonitätsbewertungen der Ratingagenturen beeindrucken ließen, trug umgekehrt das Vorhandensein dieser Versicherungen wiederum zu den guten Urteilen der Ratingagenturen bei. Zudem wurden auch die Kreditversicherungen selbstverbrieft, umstrukturiert und ihrerseits selbst Gegenstand der Finanzspekulation. Dieganze Unübersichtlichkeit dieser Spekulation gipfelte darin, dass die Kreditinstitute dieseGeschäfte über eigene Zweckgesellschaften abwickelten, die in den Bankbilanzenaber gar nicht dargestellt werden mussten.Unbestritten ist, dass das Aufblähen der Spekulationsblase mit der fahrlässigen Kreditvergabe der US-Hypothekenbanken und deren unzureichender Kontrolle durch die USFinanzmarktaufsicht begonnen hat. Insbesondere aber der Umstand, dass es auchdeutschen Kreditinstituten möglich war enorme Risiken unbehelligt von den deutschen

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Finanzaufsichtsbehörden außerhalb der Bilanz in Zweckgesellschaften anzuhäufen,verdeutlicht die Mitschuld der politisch Verantwortlichen hierzulande – allen voran Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, in dessen Verantwortungsbereich die Finanzaufsicht fällt. Diese Mitschuld besteht keineswegs darin, dass versäumt wurde den renditehungrigenFinanzhaien das eine oder andere Hintertürchen zu schließen. Vielmehr war esder immer wieder erklärte und umgesetzte Wille der Regierungen Schröder und Merkel,das Geschäft mit Kreditverbriefungen, welches ohne Zweckgesellschaften gar nichtfunktioniert, intensiv zu fördern. (Anpassung des Gewerbesteuerrechts 2003 und desUmsatzsteuerrechts 2004, Anpassung des Kreditwirtschaftsgesetzes 2005 sowie dererklärte Wille im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD den Verbriefungsmarktweiter fördern zu wollen.)

Die eigentliche Ursache der Finanzmarktkrise: Die Umverteilung von unten nachoben

Die wesentliche Ursache der Spekulationsblase und ihr Platzen sind aber letztlich ineinem weltweiten Übermaß an nach renditeträchtigen Anlagen suchendem Kapital begründet.Diese Überliquidität ist das Ergebnis einer seit Jahrzehnten anhaltenden Umverteilungdes gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben. In Deutschland hatdiese Entwicklung in den letzten Jahren eine besondere Dynamik erfahren. MassiveLeistungskürzungen im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherungen, eine Steuerpolitik,die systematisch Unternehmensgewinne und große Vermögen privilegiert und einerückläufige Reallohnentwicklung haben hier zu Lande in besonderem Maße dazu geführt,dass der private und öffentliche Konsum dramatisch eingebrochen ist. Damit wurdenzugleich realwirtschaftlich geprägte Investitionen zunehmend unattraktiver, währenddie Verwalter großer Vermögensmassen sich mangels Alternativen zunehmend zuhochspekulativen Anlagestrategien verleiten ließen. Die fortgesetzte Beschneidung derumlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung und der damit verbundene Zwangfür Millionen Beschäftigte, ihren Lebensstandard im Alter über kapitalmarktbasierte Versorgungssysteme wie Riester-Rente, Pensionsfonds etc. zu sichern, hat zudem dieKaufkraft geschwächt und zum Anwachsen der Überliquidität beigetragen.

Der beginnende Abschwung in Deutschland ist hausgemacht

Ebenso ist der bereits einsetzende wirtschaftliche Abschwung bedingt durch eine falscheWirtschaftspolitik der Regierung. Neben der Beschneidung von Sozialleistungensetzt sie seit Jahren einseitig auf den Exportsektor und fördert Lohndumping. Das begünstigt die Exporte, belastet aber die Binnennachfrage. In der Folge ist die konsumtiveBinnennachfrage viel zu schwach. Die Finanzmarktkrise ist hingegen nicht die entscheidende Ursache für den sich abzeichnenden Abschwung. Jedoch droht, dass derAbschwung durch die Finanzmarktkrise verschärft wird. Die Exporte laufen für die deutschen Unternehmer mit plus sieben Prozent im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum nach wie vor gut. Auch eine Kreditklemme, also eine deutliche Verschlechterung der Kreditversorgung, ist vorerst nicht feststellbar.Der jetzige, sich im Abschwung befindliche Wirtschaftszyklus begann im Jahr 2004 miteinem Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen um preisbereinigt 4,6 Prozent. Dieser warangetrieben durch Ersatzbedarf, nachdem über mehrere Jahre hinweg die Investitionenrückläufig waren. Zusätzlich machte die Ausweitung der Exporte den Anstieg der Investitionen notwendig. Die Bauinvestitionen blieben bis einschließlich 2005 zurück. Ab2006 steigen dann die gesamten Anlageinvestitionen um fast acht Prozent. Die

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gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit war sehr stark geprägt durch Ersatz- und Nachholbedarf.Der ist jedoch im Wesentlichen gedeckt. Im zweiten Quartal 2008 waren dieInvestitionen zum ersten Mal rückläufig.

Die Strangulierung öffentlicher und privater Nachfrage

Ein anhaltender Aufschwung müsste von der inländischen Konsumnachfrage getragenwerden. Dazu hätte sie im Laufe des Zyklus deutlich ausgeweitet werden müssen, wiedas in früheren Konjunkturzyklen auch der Fall war. Eine Voraussetzung dafür wäre eindeutlicher Anstieg der Löhne. Der wurde auch immer wieder prognostiziert, doch er fielaus. Der Aufschwung ist nicht bei den Menschen angekommen. Mit dieser erstmaligenEntwicklung droht die konjunkturelle Entwicklung vorzeitig abzubrechen. Vor dem Musterfrüher Konjunkturzyklen hätten eigentlich Chancen bestanden, dass der gegenwärtigeZyklus bis 2013 trägt.Im ersten Halbjahr 2008 stiegen die Einkommen der Unternehmer um acht Prozent an.Die Löhne und Gehälter stiegen dagegen nur um 3,5 Prozent – trotz besserer Tarifabschlüsse und trotz gut einer halben Million mehr Jobs. Die durchschnittlichen Tarifeinkommen wurden um 3,3 Prozent erhöht; in der Stahlindustrie und im öffentlichen Dienst wurden die Tarife um über 5 Prozent gesteigert. Das durchschnittliche Einkommen je Beschäftigten stieg jedoch nur um 1,7 Prozent. Dies macht deutlich, dass für Millionenvon Beschäftigten die Löhne nicht oder nur geringfügig erhöht wurden, für viele es sogarzu Lohnsenkungen kam. Ursache ist die Lohndrückerei durch Minijobs, Leiharbeit,Befristungen und den Druck auf Erwerbslose, jeden Job annehmen zu müssen.Berücksichtigt man dann noch die auf rund 3 Prozent im ersten Halbjahr gestiegeneInflation bleibt für die Beschäftigten überhaupt kein Einkommenszuwachs mehr übrig.Entscheidend für diese Entwicklung ist aber nicht die um 1 Prozentpunkt angestiegeneInflation, sondern die schwache Lohnentwicklung. Wären die Einkommen der abhängigBeschäftigten in gleicher Höhe wie die Unternehmens- und Vermögenseinkommen angestiegen– um acht Prozent –, hätte der Anstieg der Inflation lediglich zu einer geringfügigenBeschneidung der Binnennachfrage geführt, jedoch nicht zum kompletten Ausfall.Parallel zur privaten wurde die öffentliche Nachfrage stranguliert. Der Anteil öffentlicherInvestitionen am Bruttoinlandsprodukt sank von 4,7% 1970 auf 1,5% 2007. Deutschlandist auch hier, wie bei der Lohnentwicklung oder den Bildungsausgaben, europäischesSchlusslicht. 2008 sollen die öffentlichen Investitionen des Bundes auf 24,7 Mrd. Euroverringert werden und in den Folgejahren mit 25,9 Mrd. Euro gleichbleiben. Damit wür4de sich der Anteil an den Gesamtausgaben des Bundes auf einen historischenTiefstand von 8,4% im Jahre 2012 reduzieren. Das Geld fehlt für Bildung, Krankenhausinvestitionen, den ökologischen Umbau und die öffentliche Infrastruktur.

Finanzmarktgetriebener Kapitalismus als Ursache für Demokratie- und Sozialabbau

Das wesentliche Merkmal des gegenwärtigen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus istnicht das, was nicht funktioniert, die Spekulation, die zur Finanzkrise geführt hat. Vielwichtiger ist das, was bislang funktioniert hat: die dramatische Verschiebung der MachtundKräfteverhältnisse zugunsten des Kapitals.Im traditionellen Industriekapitalismus waren die Unternehmer und Manager die entscheidenden Figuren und die Finanzierung der reichlich vorhandenen Investitionsgelegenheiten stellte den Engpass der Entwicklung dar. Heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt: Finanzmittel sind reichlich vorhanden – eben die akkumulierten, verwertungssuchenden Vermögen – aber die Investitions- und Verwertungsgelegenheiten

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werden knapp. Unter diesen Umständen wurde der Finanzinvestor zur neuen Leitfigurdes Kapitalismus. Neben der Finanzspekulation in immer abenteuerlicheren Bahnenbesteht eine weitere und langfristig wirksamere Strategie in der Durchsetzung neuerStandards für schnellere und höhere Gewinne in den Unternehmen. Die Umsetzungdieser Strategie erfolgt durch massiven Druck der Finanzinvestoren auf das Managementder Unternehmen, in denen sie Kapital anlegen: Löhne müssen gesenkt, Arbeitszeitenverlängert, unbezahlte Überstunden geleistet werden, Sozialleistungen werdengekappt, langfristige Entwicklungsausgaben gestrichen. Wenn auf diese Weise die Ansprüche auf höhere Renditen erst einmal bei einigen strategischen Unternehmendurchgesetzt sind, sorgt die Konkurrenz dafür, dass sie zu allgemeinen Standards fürdie gesamte Branche werden und sich auch in Unternehmen festsetzen, an denen keineFinanzinvestoren beteiligt sind. Es ist deren zweifelhaftes Verdienst, eine Pionierrollebei der Verschlechterung der Bezahlung und der Arbeitsbedingungen in einer immergrößeren Zahl von Betrieben und Unternehmen in Deutschland zu spielen. Sie sind wesentlich verantwortlich für eine Neuausrichtung der Unternehmenskultur und der Unternehmenssteuerung, die sich immer mehr auf die Maximierung des Wertes des Unternehmens für die Aktionäre konzentriert. Soziale Verantwortung, Arbeitsschutz, Mitbestimmung etc. sind in diesem Zusammenhang lästiger „Sozialklimbim“, der möglichstabzuschaffen ist.Mit dem Fortbestehen der Finanzmarktkrise und dem einsetzenden wirtschaftlichen Abschwung droht eine erneute Welle der Banken- und Unternehmenskonzentration auf dieBeschäftigten zuzurollen. Damit diese nicht erneut die Zeche für ein undurchsichtigesManagement zahlen müssen, gilt es deshalb die Wirtschaft jetzt zu demokratisieren undmindestens für eine gesellschaftsrechtliche Gleichstellung von Kapital und Arbeit einzutreten.Denn jedes Wirtschaften ist seiner Natur nach gesellschaftlich und darf deshalbnicht allein vom Gewinnstreben bestimmt sein. Von unternehmerischen Entscheidungensind insbesondere die abhängig Beschäftigten betroffen. Deshalb müssen sie und ihreGewerkschaften gleichberechtigt an der Gestaltung der Wirtschaft beteiligt werden. Diewirtschaftliche Mitbestimmung der Beschäftigten ist eine der Grundlagen für eine demokratische und soziale Gesellschaftsordnung. Die Mitbestimmung der abhängig Beschäftigten in den Unternehmen und in der gesamten Wirtschaft muss die politische Demokratie ergänzen. Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus braucht eine wirksame Kontrolle.Diese kann nur durch Gegenmachtbildung erreicht werden. Dazu muss der FaktorArbeit mit Macht ausgestattet werden. Denn: Arbeit ist Ursache allen Wohlstandes,des privaten wie des öffentlichen.

Die Forderungen von „DIE LINKE“ Sofortprogramm zur Stabilisierung und Reform der Finanzmärkte

1. Gewährleistung ausreichender und zinsgünstiger Kreditversorgung durch die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der EZB und den öffentlich-rechtlichen Banken;wenn erforderlich mit einem Sonderprogramm für kleine und mittelständische Unternehmen.

2. Garantie der Bankeinlagen in unbeschränkter Höhe durch obligatorische Aufstockungder Einlagensicherung von Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken;zusätzlich Einrichtung eines von den privaten Finanzinstituten gespeisten Sicherungsfondszur Vermeidung von Serienzusammenbrüchen, damit Rettungsaktionen nicht vomStaat bezahlt werden müssen.

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3. Dauerhaftes Verbot von Leerverkäufen.

4. Harte Spielregeln und dadurch drastische Reduzierung des Handels mit derivativenund sonstigen „innovativen“ Finanzinstrumenten einschließlich des Verbots besondersriskanter und spekulativer Instrumente (z.B. Credit Default Swaps, außerbörsliche Termingeschäfte, Kreditverbriefungen etc.).

5. Rücknahme der Zulassung von Hedgefonds in Deutschland wegen ihrer destabilisierenden Wirkung, Verbot von Geschäften deutscher Banken mit ausländischen Hedgefonds und Verbot von Geschäften ausländischer Hedgefonds in Deutschland; erhebliche Verteuerung von Geschäften mit hohem Kredithebel durch deutlich höhere Pflichten zur Eigenkapitalunterlegung.

6. Abschaffung falscher Anreize bei Managervergütungen: Verbot von Aktienoptionen,Mindesthaltefristen für Aktienbeteiligungen des Managements, Verschärfung der Haftungvon Managern.

7. Einführung eines internationalen Kreditregisters.

8. Weitgehende Beschränkung der Aktivität von Banken auf das Einlagen- und Kreditgeschäft; Zurückdrängung und strenge Kontrolle des Investmentbankings.

9. Verschärfte Beschränkungen für kapitalgedeckte Altersvorsorgemodelle (z.B. privatePensionsfonds): keine spekulativen Geschäfte z.B. mit Devisen; Verringerung der Notwendigkeit privater und betrieblicher kapitalgedeckter Altersvorsorge durch Stärkungder gesetzlichen, umlagefinanzierten Rentenversicherung.

10. Öffentliche Zulassung und Aufsicht von Ratingagenturen; Trennung von Beratungund Bewertung; Finanzierung durch einen Pool, in den die Unternehmen einzahlen;Aufbau öffentlicher Ratingagenturen.

11. Zulassungspflicht für bestehende und neu entwickelte Finanzprodukte und Dienst-leistungen durch einen Finanz-TÜV, der das Gefahrenpotenzial und die Zweckmäßigkeit der Produkte umfassend überprüft.

12. Transaktionsteuern auf den Handel mit Wertpapieren (an den Börsen und außerbörslich) und Devisen zur Entschleunigung der Finanzmärkte.

13. Absicherung globaler Regulierungsstandards mittels Schließung von Steueroasen.

Diese Maßnahmen sollten mittelfristig auch auf europäischer und internationaler Ebeneumgesetzt werden. Mit Ausnahme des Kreditregisters, das es in Deutschland schongibt, können und müssen die Maßnahmen schon vorher auf nationaler Ebene eingeführtwerden. Um das anfängliche Voranschreiten auf nationaler Ebene zu flankieren, könnenbei Bedarf Kapitalverkehrskontrollen nach Art. 59 des EU-Vertrag eingesetzt werden.Auf europäischer Ebene müssen alle Versuche gestoppt werden, die Kapitalmärkte weiterzu liberalisieren. Stattdessen sollten europäische Regulierungs- und Aufsichtsstrukturenaufgebaut bzw. gestärkt werden, die vorrangig die obigen Punkte umsetzen.Auf der internationalen Ebene ist darüber hinaus eine Reform des Währungssystemserforderlich, die die Wechselkurse, z.B. durch Zielzonen, deutlich stabilisiert und dieAbhängigkeit von Leitwährungen wie dem US-Dollar überwindet. Ebenso braucht es einunparteiisches System zur Lösung von Überschuldungskrisen im Sinne eines

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internationalen Insolvenzrechts.

Konjunkturprogramm für öffentliche Zukunftsinvestitionen

Ein Konjunkturprogramm in einer Größenordnung von mindestens 30 Mrd. Euro Mehrausgaben für öffentliche Zukunftsinvestitionen muss unverzüglich aufgelegt werden. Im Einzelnen muss dieses Programm beinhalten:

1. 15 Mrd. Euro Mehrausgaben: Zum Ausbau der Ganztagsschulen, der Sanierung vonSchulen und für eine Verbesserung der Hochschulbildung.

2. 4 Mrd. Euro für eine Energiewende mit den Bereichen Energiesparfonds, Förderungerneuerbarer Energien und CO2-Gebäudesanierung, die vor allem einkommens-schwachen Familien zukommen soll.

3. 7,5 Mrd. Euro im Bereich Verkehr und Infrastruktur für eine kommunale Investitionspauschale, zur Förderung strukturschwacher Regionen, den Ausbau des ÖPNV und den Sanierungsbedarf bei Brücken, Straßen und dem Ausbau der Schiene.

4. 3,5 Mrd. Euro im Bereich Gesundheit zur Beseitigung des Investitionsstaus bei denKrankenhäusern sowie für Prävention und Gesundheitsförderung.

Durch die Auflage dieses Investitionsprogramms können 1 Million zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Es leitet die notwendige Kehrtwende zur Stärkung der Binnennachfrage durch öffentliche Investitionen ein, stabilisiert die öffentlichen Einnahmenund solidarischen Sicherungssysteme und finanziert sich mittelfristig selbst. Es ist einSchritt zur Beseitigung des langjährig aufgebauten Investitionsstaus und leitet endlichden sozial-ökologischen Umbau ein.

Sofortprogramm zur Stärkung der Nachfrage von unteren und mittleren Einkommensbeziehern1. Der Niedriglohnsektor muss trockengelegt werden. Entscheidend hierfür ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von 8 Euro sofort, der in schnellen Schrittenauf 10 Euro steigt. So kann die Binnennachfrage um 11 bis 18 Mrd. Euro gestärkt werden.Bei einem wie in Frankreich üblichen Mindestlohn von 8,71 Euro stünden den betroffenenBeschäftigten zusätzliche 13 Mrd. Euro für die Bestreitung ihres Lebensunterhaltszur Verfügung. Entsprechend würde die Binnennachfrage gesteigert. Darüber hinausmüssen Mini-Jobs und Leiharbeit zurückgedrängt und beseitigt werden. Wenn derfreie Fall der Löhne am unteren Ende gestoppt wird, werden auch die Lohnstrukturennicht weiter wegrutschen.

2. DIE LINKE. fordert die Anhebung des Arbeitslosengeld II auf 435 Euro sowie die Anhebung der Regelsätze für Bezieherinnen und Bezieher von Sozialhilfe und für Asylbewerberinnen bzw. -bewerbern. Die sofortige Anhebung würde die Lebenslage der Betroffenen deutlich verbessern und die konsumtive Binnennachfrage um 7 Mrd. Eurostützen.

3. DIE LINKE. fordert die Wiederherstellung der alten Rentenformel sowie Maßnahmenzur Vermeidung von Altersarmut. Dazu gehört, dass die bislang den Rentnern undRentnerinnen vorenthalten Rentenerhöhungen – im Wesentlichen die sogenannte„Riester-Treppe“ – sofort nachgezahlt wird. Dies wäre zusätzlich zu der bereits gezahltenErhöhung von 1,1 Prozent eine Erhöhung von 3 Prozent. Die Binnennachfrage würde

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hierdurch um 7 Mrd. Euro gestärkt.

4. Die Gewerkschaften müssen in den anstehenden Tarifrunden massiv unterstützt werden. Gerade wegen der drohenden Rezession sind jetzt deutliche Steigerungen derTarifeinkommen notwendig. Dies betrifft insbesondere die Tarifrunde im Herbst in derMetall- und Elektroindustrie sowie die der öffentlich Beschäftigten bei den Ländern imFrühjahr 2009. Die IG Metall hat für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrieeine Forderung von 8 Prozent aufgestellt. Die Durchsetzung bedeutet einen Kaufkraftschub von 16 Mrd. Euro.Durch diese Sofortmaßnahmen im Bereich der Einkommen ließe sich innerhalb von 6Monaten die Binnennachfrage um rund 40 Mrd. Euro stärken.Zusätzliche Ausgaben der öffentlichen Hand, insbesondere im Rahmen der Zukunftsinvestitionen, müssen gegebenenfalls zunächst kreditfinanziert werden. Unverzüglich sind jedoch die Weichen zu stellen, die Mehrausgaben durch eine stärkere Besteuerung von Reichen und Vermögenden zu finanzieren. Die LINKE. hat dazu umfangreiche Vorschläge vorgelegt.

Ulla Lötzer, MdB

Die US-Finanzkrise kommt bei deutschen Kommunen an!Die Finanzkrise in den USA hat unmittelbare Auswirkungen auf die Haushalte deutscher Kommunen – nämlich dann, wenn sie Cross Border Leasing Geschäfte mit US-Investoren abgeschlossen haben.In den Jahren 1995 bis 2004 wurden von ca. 160 deutschen Kommunen zahlreiche grenzüberschreitende Leasinggeschäfte mit Anlegern in den Vereinigten Staaten geschlossen. Im November 2004 verfügte der US-Kongress, dass künftig solche Transaktionen nicht mehr steuerlich anerkannt werden. Im Februar 2005 einigten sich der International Revenue Service (IRS), die oberste Steuerbehörde der USA und das US-Finanzministerium, dass auch die bestehenden Verträge gestoppt und gegenüber Investoren Bußgelder verhängt werden können.Damit gilt das Gesetz von 2004 auch für bereits abgeschlossene Verträge.Mit Cross Border Leasing (CBL) sollten die unterschiedlichen Steuergesetz-gebungen zum Vorteil beider Vertragsparteien genutzt werden. Die Kommune vermietete oder verkaufte ihre kommunale Infrastruktur (Abwassernetze, Messehallen, Schulen, etc.) an US-Anleger und mietete die Infrastruktur von dem Anleger zurück. Die Laufzeit der Verträge schwankt zwischen20 und 99 Jahren. Ist der deutsche Vertragspartner eine kommunale GmbH oder AG können beide Vertragsparteien dasselbe Objekt gleichzeitig steuerlich abschreiben. Theoretisch eine Finanzspritze für kommunale Haushalte in Deutschland auf Kosten der amerikanischen SteuerzahlerInnen, de facto auch auf Kosten der deutschen SteuerzahlerInnen.Die Intransparenz der Cross Border Leasing Verträge behindern eine genaue Abschätzung der Folgen der Finanzkrise für die betroffenen Kommunen. Die Verträge, allesamt in englischer Sprache und bis zu 2000 Seiten umfassend, wurden nur auszugsweise übersetzt und in nicht-öffentlichen Sitzungen beraten. Teilweise wurde KommunalpolitikerInnen die Einsicht in die Originalverträge ganz verwehrt, sie bekamen nur eine ca. 35-seitige Transaktionsbe-schreibung zu Gesicht.

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Sollte sich eine Kommune nicht strikt vertragsgemäß verhalten – und dazu gehört auch die absolute Verschwiegenheit über die Vertragsinhalte - wird sie schadenersatzpflichtig. Nicht einmal die Namen der beteiligten Finanzinstitute dürfen genannt werden. Gerichtsstand ist New York. Sämtliche Rechtsstreitigkeiten müssen mit amerikanischen Anwälten nach amerikanischem Recht ausgetragen werden.Nur ein kleiner Teil der Verkaufs- bzw. Vermietungssumme – je nach Vertragsgestaltung ca. 2,5 bis 6 % - floss direkt in den kommunalen Haushalt, der Rest wurde auf sogenannten Depot- und Schuldenübernahmebanken platziert. Diese bezahlen für die Gemeinde die Leasingraten und am Ende der Vertragslaufzeit den Rückkauf der Infrastruktur. Alle Banken, die in den Deal eingeschaltet sind, müssen über die gesamte Vertragslaufzeit existieren und lautden Verträgen ihr Rating behalten. (Das Rating ist eine Beurteilung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners, der Bank oder eines Staates. Wird der Betreffende im Rating heruntergestuft werden die Kosten für die Kapitalbe-schaffung teuerer, da höhere Zinsen bezahlt, zusätzliche Absicherungen getroffen oder eine Verschlechterung der Rückzahlungsbedingungen hingenommen werden muss).

Die Kommunen sind von der aktuellen Finanzkrise in zweierlei Hinsicht betroffen:Erstens über die Banken, die als Depotbanken für CBL-Geschäfte fungieren. Betroffene Banken werden im Rating herunter gestuft. Die Verträge schreiben für diesen Fall vor, dass die Kommune die Bank wechseln muss. Die Kosten dafür trägt allein die Kommune. Schlimmsten Falls kann die Depotbank sogar insolvent gehen. Für die deponierten Gelder trägt allein die Kommune das Risiko. Obwohl diese den gesamten Mietzins für die volle Laufzeit der Miete zuzüglich Rückkaufswert in einer einzigen Summe bei einer Bank deponiert hat, bleibtsie alleine für die Zahlung der Jahresmieten verantwortlich. Meldet die Bank Insolvenz an muss die Kommune trotz des erheblichen Geldverlustes die vollen Leasingbeträge weiter bezahlen und ggfs. die vereinbarte Rückkaufsumme.

Zweitens über die Versicherungen, die das CBL-Geschäft gegen obige Risiken versichert haben. Werden die Versicherungsagenturen im Rating herabgestuft müssen die Kommunen den Versicherungsschutz aufstocken oder neue Policen abschließen. Denn die Kommune ist dazu verpflichtet, die Garantie dafür aufrecht zu erhalten, dass der US-Investor sein Geld zurückbezahlt bekomme.

Nur um ein Beispiel zu nennen: Die angeschlagene AIG ist in mehrfacher Hinsicht in Cross Border Leasing Verträge involviert. Selbst wenn sie durch das 700 Mrd. Dollar–Programm aus amerikanischen Steuergeldern vor der Insolvenz gerettet werden würde, hat sie ihr gutes Rating verloren. Bei der österreichischen Tiwag fungierte die AIG als Investor, bei den Innsbrucker Kommunalbetrieben als Depotbank. Die Städte Bochum, Gelsenkirchen, Wuppertal und Recklinghausen haben ihre CBL-Verträge bei der AIG versichert.Erste Schätzungen haben ergeben, dass auf die betroffenen Kommunen eine Belastung von jeweils einer halben bis einer ganzen Million Euro zukommen wird. Allerdings ist das aufgrund der Geheimhaltung nur schwer abschätzbar. Die

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österreichische Bundesbahn, z.B. die in größerem Umfang zwischen 1995 und 2002 11 Cross Boarder Leasing Verträge abgeschlossen hatte musste nun für neue Absicherungen aufgrund der US-Finanzkrise insgesamt zwischen 82,8 und 108,3 Mio. Euro nachschießen.Was kann getan werden? Cross Border Leasing – Verträge sind nach amerikanischem Recht seit dem 12. März 2004 verboten. Die US-amerikanische Steuerbehörde haben Steuerverfahren gegen amerikanische Cross-Border-Partner wegen Steuerumgehung eingeleitet.Bisher wurden alle Gerichtsverfahren dazu gewonnen. Die US-amerikanische Finanzverwaltung soll inzwischen allen Investoren einen Vergleich angeboten haben falls diese die Investments vorzeitig beenden würden.Auf kommunaler Ebene muss versucht werden zumindest in nichtöffentlicher Sitzung

● genauere Details der Transaktionen und der aus der Finanzkrise folgenden finanziellen Belastungen zu bekommen. Wir empfehlen dazu Anfragen in in den betreffenden Ausschüssen zu stellen (siehe anhängende Musteran-frage).

● Beachtet werden muss in jedem Fall die vertraglich vereinbarte strikte und extrem weitreichende Geheimhaltung. Bei Nichteinhaltung könnte die Kommune mit erheblichen Schadenersatzforderungen durch den Investor konfrontiert werden.

● Die Verträge müssen überprüft werden: Wie ist die Lastenverteilung bei einer Änderung der US-Steuergesetzgebung geregelt; inwieweit ist ein Ausstieg aus ihnen möglich und sinnvoll; welche rechtlichen und finanziellen Auswirkungen hat ein Vergleich zwischen den US-Finanzbehörden und dem US-Investor auf die deutsche Kommune; welche Handlungsspielräume hat diese im Einzelfall.

● Es ist zu prüfen, ob es sinnvoll ist, dass sich mehrere Kommunen zusammenschließen und versuchen, eine gemeinsame Lösung, eine gemeinsame Vertragsänderung oder Vertragsbeendigung auszuhandeln. Insbesondere wenn es sich um denselben US-amerikanischen Vertragspartner handelt, könnte so ein abgestimmtes Vorgehenund eventuell eine größere Verhandlungsmacht aufgebaut werden.

● Da CBL eine höchst komplizierte Materie ist, ist zu empfehlen, sich Hilfestellung und Unterstützung bei, Städtetag bzw. Städte- und Gemeindebund (sie haben sich in der Vergangenheit sehr intensiv mit diesen Fragen befasst) oder anderen Fachleuten zu holen.

Cross Border Leasing ist nur ein Beispiel dafür, wie teuer Privatisierungen für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind. Auch bei Öffentlich-Privaten-Partnerschaften (Public Private Partnerships) ist es in der Regel die öffentliche Hand, die die Lasten und die Risiken trägt, während die Privaten die Gewinne einstreichen. Zugunsten kurzfristiger Entlastung des Kommunalhaushaltes wird der kommunale Handlungsspielraum mittel- und langfristig extrem eingeschränkt. Eine Variante von Cross Border Leasing ist das innerdeutsche Sales-and-Lease Back Geschäft. Auch hier sind die finanziellen Risiken größer als die dadurch erhoffte Haushaltssanierung.

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Katrin Kunert, MdB

Muster-Anfrage zur Beantwortung in nichtöffentlicher Sitzung:Im Zuge der Bankenkrise in den USA sind die Cross-Border-Leasing-Partner der Kommunen von Insolvenz bedroht, bzw. im Ranking herabgestuft worden. Dies hat zur Folge, dass auf die betroffenen Kommunen zusätzliche Belastungen zukommen, da sie entweder die Depotbanken wechseln müssen oder ihre Absicherung des Cross Border Geschäftes aufstocken müssen. Zeitgleich laufen Verfahren der US-amerikanischen Steuerbehörde gegen die US-amerikanischen Anleger wegen missbräuchlicher Steuerumgehung, die zur Abschöpfung der Steuervorteile bis hin zur vorzeitigen Beendigung des Cross Border Vertrages führen können. Aus diesem Grund ist es dringend erforderlich, dass diebetroffenen Kommunen tätig werden.

Dazu fragen wir die Verwaltung:1. Sind die CBL-Partner der Gemeinde/Stadt von der Bankenkrise betroffen und

in welcher Weise (Insolvenzdrohung, Abwertung im Ranking oder anderweitig)? Falls die Verwaltung darüber noch keine Erkenntnisse hat, welche Möglichkeiten sieht sie, entsprechende Informationen zu beschaffen?

2. Welche Maßnahmen hat die Verwaltung bisher getroffen?3. Gesetz den Fall, CBL-Partner der Gemeinde/Stadt sind von der Bankenkrise

betroffen, welche finanziellen Risiken ergeben sich daraus für die Stadt?4. Müssen zusätzliche Absicherungen getroffen werden, muss die Depotbank

oder der Versicherer gewechselt werden oder gibt es andere Auswirkungen?5. Welche Möglichkeiten sieht die Verwaltung, die Verträge vorzeitig zu

beenden?6. Die US-amerikanische Steuerbehörde hat gegen amerikanische Cross-

Border-Leasing-Partner Steuerverfahren eingeleitet. Trifft das auch auf die Partner der Gemeinde/Stadt zu?

7. Welche finanziellen Auswirkungen kann das Vorgehen der US-amerikanischen Steuerbehörde auf die Gemeinde/Stadt haben?

8. Gibt es hierfür eine Risikoabschätzung der Verwaltung? 9. Wird sie eine Erstellen und wenn nein, warum nicht?10.Gibt es vertragliche Klauseln, die eine einseitige Kündigung der Verträge

durch den Usamerikanischen Partner vorsehen und wer trägt in diesem Fall das finanzielle Risiko?

11.Falls der US-Investor an einer einvernehmlichen Aufhebung der Verträge interessiert wäre, wäre die Verwaltung für diesen Fall bereit Verhandlungen mit dem CBL-Partner über Konditionen zur Aufhebung der Verträge führen?

12.Sind der Verwaltung Fälle aus anderen Städten und über das Vorgehen der dortigen Verwaltung bekannt?

13.Welche Erfahrungen gibt es in anderen Städten zum Umgang mit CBLwenn CBL-Partner von der Bankenkrise betroffen sind?

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Aus: Junge Welt 30.09.2008 Zittern und Schachern hinter den KulissenCross Border Leasing: Die Finanzkrise bringt Städten und Staatsunternehmen nochmehr Risiken. Offenlegung problematischer Klauseln wird als VertragsverletzunggeahndetWerner RügemerIn der öffentlichen Märchenversion ist Cross Border Leasing (CBL) folgendes: Städte verkaufen für mindestens 30 Jahre ihre wertvolle Infrastruktur wie Kanalisationen, Schienennetze, Wasserwerke, Müllverbrennungsanlagen, Messehallen, Straßenbahnen u. ä. an US-amerikanische Investoren und mieten dieAnlagen zurück. Die Investoren erhalten in den USA für diese staatlich geförderte Auslandsinvestition 30 Jahre lang einen Steuervorteil. Die Städte bekommen dafür am ersten Tag eine bare Einmalzahlung(»Barwertvorteil«) in Höhe von vier bis fünf Prozent des Kaufpreises; mit diesem einfachen Trick können sie auf schwerelose Art ihre Verschuldung mindern. In Wirklichkeit handelt es sich bei CBL um ein typisches Produkt der neoliberal entfesselten Finanzakteure, nämlich um eine hochkomplizierte »strukturierte Finanzierung« mit verborgenen Mittätern undunkalkulierbaren Risiken. Den Mitgliedern der Parlamente und Stadträte wurde aber nur die Märchenversion präsentiert. Die 1 000-Seiten-Vertragswerke, die es nur in englischer Sprache gibt, enthalten strafbewehrte Geheimhaltungsklauseln. Nur Oberbürgermeister und Kämmerer durften reinsehen, verstanden aber kaumetwas und waren abhängig von der Interpretation, die ihnen die Nadelstreifen-anwälte großer US-Kanzleien gaben. Vielfach unterliegen sogar die Namen der Investoren der absoluten Geheimhaltung. Von 1994 bis 2004 schlossen in Westeuropa etwa 700 Kommunen und staatliche Unternehmen solche Verträge, in Deutschland sind es etwa 200.

Rolle der BankenGegenwärtig verhandeln in Deutschland zahlreiche Kommunen wie Wuppertal, Recklinghausen, Gelsenkirchen und Bochum und kommunale Zusammenschlüsse wie die Bodensee- und die Landeswasserversorgung Baden- Württemberg über den Wechsel beteiligter Banken. Banken spielen nämlich bei dem Geschäft hinter den Kulissen die entscheidende Rolle. Darüber wurde öffentlich nicht informiert. Der von den Investoren gezahlte Kaufpreis – er lag zwischen 80 Millionen und zwei Milliarden Euro, je nach Wert der Anlage – wurde nämlich gar nicht an die Städte ausbezahlt, die erhielten als kleine Mitmachprämie lediglich den »Barwertvorteil«. Für 95 Prozent des Kaufpreises waren die Städte nur eine Durchlaufstation. 80 Prozent gingen an zwei Schuldübernahmebanken, die daraus namens der Städte 30 Jahre lang, also bis etwa 2030 oder 2034, die Leasingraten bezahlen sollen. 15 Prozent gingen an eine Depotbank, die damit während derselben Laufzeit fürdie Städte den Rückkaufpreis an den Investor erwirtschaften soll. Die Verträge besagen aber, daß die Treuhänderbanken diese Beträge als unwiderrufliches Eigentum erhalten. Wenn sie pleite gehen, bleiben die Städte letztlich zahlungs-pflichtig.Weil darin natürlich ein Risiko steckt, enthalten die Verträge weitsichtig folgende Regelung: Wenn die in den USA lizenzierten drei großen Ratingagenturen Standard&Poors, Moody's oder Fitch die Investoren herabstufen, müssen die Städte umschulden und eine neue Bank suchen. Zu den einschlägigen Banken

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gehören vor allem europäische Banken wie vor allem die United Bank of Switzer-land (UBS), Barclays, Dexia und deutsche Landesbanken, darunter am häufigsten die SachsenLB, die WestLB und die BayernLB, ebenso die bundeseigeneKreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die in Mannheim, Bonn, Nürnberg und Düsseldorf den Treuhänder spielt.Mit diesen Banken wird teilweise schon seit vielen Monaten über einen Wechsel verhandelt. Dem muß allerdings auch immer der Investor zustimmen.Ein solcher Wechsel ist wegen der langen Laufzeiten, großen Summen und vielen Beteiligten eine komplizierte und aufwendige Prozedur. Deshalb ziehen die Städte wieder die meist US-amerikanischen Anwaltskanzleien bei, die schon die Verträge ausgehandelt haben. Die Rechtsgutachten kosten ein gewisses Honorar, einBankwechsel kostet leicht eine Million Euro. Die Städte wurden aber auch verpflichtet, sich gegen Risiken zu versichern. Kürzlich ging der häufigste Versicherer von CBL-Verträgen, die American International Group (AIG),pleite bzw. wurde von der US-Regierung provisorisch gerettet. Deshalb wurde auch das Rating von AIG auf einen niedrigeren Wert (A-) herabgestuft. Also muß auch die Versicherungspolice neu verhandelt oder es muß mit einem anderen Versicherer eine neue Versicherung abgeschlossen werden: Das kostet wieder. Dabei ist die Krise noch nicht zu Ende, und die Verträge laufen noch gut 20 Jahre.

GeheimhaltungspflichtDann werden noch zusätzliche »Sicherheiten« verlangt, die von den Städten in bestimmten Krisensituationen zu stellen sind. Eine Formulierung im Geschäftsbericht 2004 der Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH (LVV), die das Leipziger Trinkwassersystem verkauft hat, gibt einen gewissenEindruck: »Entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen zu der 2003 abgeschlossenen Cross-Border-Leasing- Transaktion hat die KWL (Kommunale Wasserwerke Leipzig) für bestimmte Grundstücke beschränkt persönlicheDienstbarkeiten zugunsten des Trusts (= die vom Investor Security Pacific Leasing Corporation eingerichtete Briefkastenfirma – WR) im Grundbuch eintragen lassen. Darüber hinaus übernimmt die Stadt Leipzig bestimmte Freistellungsverpflich-tungen für Ansprüche gegen andere Transaktionsteilnehmer. Zu diesenFreistellungsverpflichtungen zählen Schadenersatzansprüche Dritter gegen den Trust im Zusammenhang mit dem Betrieb der Anlagen sowie steuerliche Risiken.« Aus Köln, das seine Messehallen verkauft hat, wurde dazu folgendes bekannt: Weil das Rating von Standard&Poors für das Land Nordrhein-Westfalen als Gewährs-träger der Stadt Köln sank, mußte die KölnMesse GmbH dem Investor, der US-Versicherung John Hancock, eine zusätzliche Sicherheit bieten: Ins Grundbuch wurde ein Messe-Betriebsrecht zugunsten des Investors eingetragen, die Stadt mußte die Grundbucheintragung bezahlen. Für den Konfliktfall behält der Investor es sich also vor, selbst die Betriebsführung der Messe zu übernehmen. Eine ähnliche Dienstbarkeit mußte auch die Messegesellschaft Berlin bieten.In einer zwischen den vier genannten Ruhrgebietsstädten abgestimmten Erklärung heißt es, daß sie sich an die absolute Verschwiegenheitspflicht gebunden fühlen. Diese bezieht sich sogar auf die Namen der beteiligten Investoren und Banken. Gebe man der Öffentlichkeit Genaueres bekannt, mache man sich schadenersatzpflichtig und schwäche die eigene Verhandlungsposition. Allerdings wurde aus Österreich dazu einiges bekannt: Die Österreichischen Bundesbahnen

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(ÖBB) haben in elf Verträgen zwischen 1995 und 2002 Schienenanlagen, Bahnhöfe und »Rollmaterial« (Loks, Güter- und Personenwaggons) an US-Investoren verkauft. Die ÖBB mußten für die Mitte 2008 eingetretene Krisensitu-ation »82,8 bis 108,3 Millionen Euro« an zusätzlichen Sicherheiten aufbringen.Die »strukturierte Finanzierung« CBL ist häufig noch wesentlich komplexer. Auf der Basis der CBL-Leasingraten haben die ÖBB von der Deutschen Bank für 612,9 Millionen Euro »Collateralized Debt Obligations« (CDO) gekauft. Das sind Derivate, die einen zusätzlichen Gewinn bringen sollten. Sie bringen allerdings in derFinanzkrise jetzt Verluste. Die eilig mit einem teuren Gutachten beauftragten Wirtschaftsprüfer von Deloitte & Touche empfehlen nun – wer hätte es gedacht – den ÖBB, aus den CDO auszusteigen. Das bringe zwar einen Verlust, aber ein späterer Ausstieg könne noch verlustreicher sein.

Steuervorteile aufgehoben2004 beschloß der US-Gesetzgeber, daß neue CBL-Verträge keine steuerlichen Vorteile mehr bekommen. Dieser Beschluß kam aus zwei Gründen zustande: Zum einen wurde die lange Zeit praktizierte Geheimhaltung unfreiwillig durchlöchert. Einzelheiten der Verträge wurden bekannt. Zudem bildeten sich in Deutschland undÖsterreich Bürgerinitiativen, bei Bürgerentscheiden wie in Kulmbach (Bayern) und Bergisch Gladbach (Nordrhein-Westfalen) machten überwältigende Mehrheiten der Bürger die entsprechenden Ratsbeschlüsse unwirksam. In zahlreichen Städten wie Frankfurt am Main und Köln zogen die Stadtväter und -mütter schon aufgrund angekündigter Bürgerentscheide ihre Pläne angstvoll zurück. Zum anderen brauchte die US-Regierung wegen des Irak-Krieges Geld und stopfte das Steuerloch. Der Stopp 2004 bedeutet allerdings nicht, wie vielfach in der Öffentlichkeit geglaubt, daß damit CBL überhaupt aus der Welt ist. Es gibt seit 2004 lediglich keine neuen Verträge mehr, aber die bis dahin abgeschlossenen laufen weiter, die letzten bis etwa 2034. So hatten die Befürworter zumindest gedacht.Der US-Kongreßbeschluß von 2004 hat den steuerrechtlichen Hintergrund, daß es sich bei CBL um Scheingeschäfte »ohne ökonomische Substanz« handelt – der einzige Zweck ist ja die Steuerabschreibung. Diese steuerbegünstigte Auslands- »Investition« ist aber gar keine Realinvestition. Sie führt als typisches»strukturiertes Finanzprodukt« zu keinem einzigen neuen Arbeitsplatz, zu keiner einzigen neuen Dienstleistung. Kein Zentimeter Kanalrohr wird neu verlegt oder repariert. Deshalb überprüfen die USFinanzämter auf der Grundlage des Kongreßbeschlusses die Verträge seit 2004 neu und lehnen inzwischen dieGewährung der Steuervorteile in vielen Fällen zumindest teilweise ab. Dagegen gingen betroffene Investoren vor Gericht. In einigen Fällen hat das zuständige Gericht in New York – die US-Metropole ist in allen Verträgen als Gerichtsort vereinbart – das Urteil gesprochen: Die Investoren seien nicht wirkliche Eigentümer, sie könnten deshalb keine Steuerabschreibungen auf ihre »Investitionen« und auf die Zinsen für die Darlehen bekommen, die sie für den Kauf aufgenommen haben. Die Steuerbehörden bieten deshalb einen Vergleich an: DieSteuervorteile werden noch im laufenden Jahr gewährt, zumindest teilweise, wenn die Verträge dann aber definitiv beendet werden.

Städte gründen NotgemeinschaftNun haben die Investoren die Möglichkeit, den Vergleich anzunehmen oder gegen

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die Urteile in die nächste Instanz zu gehen. Das ist in vielen Fällen noch nicht entschieden. Der bequemste und lukrativste Exit für die Investoren wäre aber folgender: Wenn sie den europäischen Vertragspartnern eine Vertragsverletzungnachweisen können. Das ist nach den Vertragsbedingungen, die den Investoren weit mehr Rechte einräumen als den Städten, eigentlich nicht besonders schwer. Solche Vertragsverletzungen sind z. B. schon gegeben, wenn die oben geschilderten Verhandlungen mit den herabgestuften Banken und Versicherungen nicht rechtzeitig aufgenommen und in der meist 90 Tage währenden Frist nicht zu Ende geführt werden. Oder wenn die jährliche Berichtspflicht der Städte an die Investoren nicht sorgsam genug erfüllt wird. Dann könnten die Investoren auf Kosten der Städte aus dem Vertrag herauskommen: Die Schadenersatzforderung kann leicht einen dreistelligen Millionenbetrag erreichen, so berichten, sorgsam dosiert und ohne Nennung von Namen, die Insider des Beratungsunternehmens Rebel Group Advisory. Sie stehen offensichtlich in engem Kontakt zubetroffenen Investoren.Die Probleme mit CBL sind allerdings nicht so neu, wie es gegenwärtig erscheint. Anfangs wurde behauptet, die Verträge stünden ja »nur auf dem Papier«. Aber schon von Beginn an sind die Städte in ihrer Verfügungsgewalt eingeschränkt. Bei Kanalisationen z.B. bestehen die Investoren darauf, daß die über den Kanälen liegenden Grundstücke zugänglich bleiben. Köln, Recklinghausen und Stuttgart etwa konnten deshalb Bebauungen nicht so ausführen wie geplant. In Stuttgart mußte eine vom Stadtrat schon beschlossene Neckarbrücke zwischen den Stadtteilen Mühlhausen und Aldingen gestoppt werden. Die Trasse wäre einigeMeter über das Gelände des verkauften Klärwerks Stuttgart-Mühlhausen verlaufen, was der Investor aber als schwerwiegenden Eingriff in sein Eigentum betrachtete und nicht zustimmte. Hätte Stuttgart die Brücke trotzdem gebaut, hätte die Stadt ein Mehrfaches der Baukosten als Schadenersatz an den Investor zahlen müssen. Die Brücke mußte verlegt werden und kostet nun wesentlich mehr. Einige öffentlicheVerkehrsbetriebe können Züge und Straßenbahnen, die sie wegen geringerem Fahrgastaufkommen nicht mehr brauchen, nun aber nicht wie geplant verkaufen, sondern müssen sie betriebsbereit im Depot halten. Diese Risiken haben sich schon sehr bald nach Abschluß der Verträge abgezeichnet – zur Überraschung derKämmerer und Oberbürgermeister, die ihren »renommierten« Beratern so gern die vollmundigen Versprechen über die risikolose Unterschrift glaubten. Deshalb haben bereits im Jahre 2005 im Rahmen des Deutschen Städtetages 25 Städte in aller Stille eine Art Notgemeinschaft mit einem unauffälligen Namen gegründet:»Arbeitskreis Cross Border Leasing«; die Geschäftsführung liegt bei den Stadtwerken Wuppertal. Da zahlen die Städte jährlich ein paar zehntausend Euro ein, um sich gegenseitig über »Strategien zur Risikovermeidung« auf dem laufenden zu halten. Das reicht in der jetzigen Krise aber nicht mehr aus, und alle müssen nun zusätzliche Berater engagieren.

Rechtsstaatlichkeit untergrabenDie Wirtschaftsprüfer von Deloitte&Touche haben in ihrem ÖBB-Gutachten festgestellt: CBL ist »komplex, hochdifferenziert und mit hohem administrativen Aufwand verbunden«. Die Städte müssen über jede Kleinigkeit an ihren Investor berichten und dessen Zustimmung einholen. Aus Recklinghausen etwa, das dieKanalisation verkauft hatte, wurde 2005 bekannt, daß der Umbau eines Tierheims,

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die Umbenennung eines Flurstücks, die Umwidmung einer Fabrikzufahrt und die Kaufanfrage für ein städtisches Grundstück dieser Berichtspflicht unterlagen und daß die Stadt zur Sicherheit rechtlichen Rat einholte, der allein für diese kleinen Problemfälle 6800 Euro kostete.Entgegen der bisherigen medialen Wahrnehmung sind übrigens nicht nur Städte solche Verträge eingegangen, sondern auch staatliche und staatsnahe Unternehmen. Neben den ÖBB haben auch die belgische und die französische Staatsbahn SNCB bzw. SNCF Züge und Ticketsysteme verkauft und zurückgemietet, ebenso die Metro in Paris und Lissabon. Millionen Reisende in Deutschland fahren in ICEs der Deutsche Bahn AG, die einem US-Investor gehören. Die Deutsche Flugsicherung GmbH wurde verkauft, Hard- und Software in den Towers der deutschen Flughäfen gehören einem US-Investor, wie übrigens auch die anderer europäischer Flugüberwachungen wie in Österreich und den Niederlanden. Die Deutsche Post AG hat wie andere europäischePostunternehmen ihre Postverteilzentren und Mobilfunkanlagen in CBL-Verträge eingebracht. Diese privatrechtlichen Unternehmen lassen bisher über ihre Probleme noch weniger öffentlich verlauten als die Städte.Zur Intransparenz und zur Untergrabung rechtsstaatlicher Standards tragen auch deutsche Gerichte bei. Bürger haben in manchen Städten wie Stuttgart und Köln gegen die Abwassergebührenbescheide geklagt, und zwar mit der Begründung: Die Gebühren seien weit überhöht, weil die Städte die hohen Anteile der Abschreibung weiter einrechnen, obwohl sie ja das Recht auf Abschreibung an die US-Investoren verkauft haben. Die Verwaltungsgerichte ließen sich aber alle auf die Argumentation der jeweiligen US-Anwaltskanzleien wie Clifford Chance ein, von denen sich die Stadtverwaltungen und Stadtwerke vertreten ließen: Die Kanalisationen seien nach deutschen Recht gar nicht verkauft worden. Alle Gerichte haben es abgelehnt, die Originalverträge beizuziehen, aus denen der Verkauf eindeutig hervorgeht. Das widerspricht dem Gerichtsverfahrensgesetz, wonach entscheidende Dokumente im Original beigezogen werden müssen und dieGerichte nicht auf die Erzählungen und Interpretationen der jeweiligen Partei vertrauen dürfen. Aber der Einfluß der US-Akteure ist auch hier stärker als deutsches Recht.Es ist das Landesgericht Innsbruck, das bisher als einziges die rechtsstaatlichen Prinzipien Europas aufrechterhält. Dies ist der nachhaltigen Aktivität des Innsbrucker Bürgers Markus Wilhelm zu verdanken. Er kritisierte die CBL-Verträge der Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG), mit denen die Wasserkraftwerke rund umInnsbruck an US-Investoren verkauft wurden. Wilhelm hat seit 2004 auf seiner website dietiwag.org Teile der geheim gehaltenen Verträge online gestellt. Die TIWAG wollte zunächst eine Einstweilige Verfügung erwirken, scheiterte aber. Dann klagte sie auf Unterlassung, Streitwert 500000 Euro. Das kürzlich nach umfangreichen Ermittlungen und Zeugenvernehmungen und nach dreieinhalb Jahren ergangene Urteil vom 23.September 2008 besagt: Markus Wilhelm ist nicht BLC-Vertragspartner, also ist er nicht an die Geheimhaltungspflicht gebunden.»Das Interesse an der Information der Öffentlichkeit ist höher zu bewerten als das Interesse der Klägerin (TIWAG) an der Geheimhaltung.« Die TIWAG hat die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen.

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Hintergrund: Cross Border Leasing und Finanzkrise in DeutschlandWenn Bundeskanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Steinbrück ebenso selbstgerecht wie populistisch tönen,Deutschland habe mit der Finanz- und Bankenkrise nichts zu tun, die USA hätten alle früheren deutschen Warnungen und Vorschläge zur Regulierung des Finanzsektors in den Wind geschlagen, so sagen sie die Unwahrheit. Die mindestens zwölf Milliarden Euro an Haushaltsmitteln und Staatsgarantien, die schon bisher in die Pleitebanken IKB, SachsenLB, WestLB und BayernLB gestopft wurden, sprechen eine andere Sprache. Diese Pleiten sind ja zu einem Teil durch hochspekulative US-Finanzprodukte, z. B. durch den Kauf von Bündeln fauler Hypothekenkredite, verursacht worden. Auch Cross Border Leasing (CBL) ist ein typisches neoliberales Finanzprodukt. US-Banken wie die Citigroup, USWirtschafts-prüfer wie KPMG und Price Waterhouse Coopers und US-Wirtschaftskanzleien wie Allen&Overy haben es entwickelt und verkauft. Bei diesen »strukturierten Finanzierungen« wird kein einziger Arbeitsplatz geschaffen, die Finanzakteure organisieren zwischen sich spekulative Karussellgeschäfte. Die Staaten verlierenSteuern. Zwischen 1994 und 2004 haben etwa 700 westeuropäische Städte, staatliche und auch private Unternehmen CBL-Verträge abgeschlossen. Deutschland war auch hier der Musterknabe: Mit über 200 Verträgen liegt die Bundesrepublik bei weitem an der Spitze, mit Abstand gefolgt von Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich.Dabei waren gerade die staatlichen und öffentlichen Banken die aktivsten, noch vor der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und Daimler Chrysler Financial Services: z. B. die SachsenLB mit den Städten Jena, Stuttgart, Kassel, Erfurt, Halle, Magdeburg (Straßenbahnen), Frankfurt (Messehallen), Leipzig, Bonn, Dresden, Herford, Ruhrverband, Erftverband, Wupperverband, Emschergenossenschaft (Kanalisation), Düsseldorf (Müllverbrennungsanlage), die BayernLB mit Stuttgart (Kanalisation, Trinkwassersystem), Deutsche Post (Briefverteilsysteme), die zentralstaatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit Mannheim, Bonn,Nürnberg (Straßenbahnen), Deutsche Post (Briefverteilzentren), Düsseldorf (Verkehrsinfrastruktur).Gleichzeitig waren diese jetzigen Pleitebanken auch bei CBL-Transaktionen in anderen Staaten aktiv: z. B. In Frankreich (Metro Paris), in den Niederlanden (Gas- und Stromnetze, Kraftwerke), Österreich (Eisenbahnen, Fernwärmenetz, Wiener Kanalisation), Hongkong (Eisenbahn), Kanada (Flugzeuge), Luxemburg (Flugzeuge).Dabei übernahmen die deutschen Mittäter auch die typischen Praktiken und Forderungen der US-Akteure. Die Städte verkauften ihre Infrastruktur nicht direkt an die US-Investoren, sondern an Briefkastenfirmen, die für jedes Projekt eigens gegründet wurden. Genauso wie etwa die IKB die spekulativen Hypothekenbündel über »Trusts« namens »Rheinbridge« und »Rhineland« in der US-Finanzoase Wilmington im Bundesstaat Delaware kauften, so verkaufte auch jede Stadt ihre Kanalisation usw. an einen »Trust« in Wilmington/Delaware oder auf den Cayman Islands. Diese Briefkastenfirmen sind nach dem US-Vorbild der »Special Purpose Entities« (SPE) gestrickt und ermöglichen es mit dem Testat der Wirtschaftsprüfer, die Transaktion »außerbilanziell« vorzunehmen und der Kontrolle zu entziehen. Zu den Praktiken gehört auch die absolute Geheimhaltung: Die CBL-Verträge wurden nicht ins Deutsche übersetzt. Die damaligen Bundesregierungen – ob von CDU

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oder SPD geführt – verkauften seit 1997 auch direkt Bundeseigentum mit Hilfe von CBL-Verträgen, so bei der Deutschen Flugsicherung GmbH (Hard- und Softwareder Flugüberwachung), bei der Deutsche Bahn AG (Verkauf von ICE- und Doppelstockzügen) und der Deutsche Post AG (Verkauf von Briefverteilzentren).• Von Werner Rügemer erschien im Frühjahr: »Heuschrecken« im öffentlichen

Raum. Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments, transcript Verlag, Bielefeld 2008, 168 S., kart., 16,80 Euro. Auch im jW-Shop erhältlich

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