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DIE FREMDERREGTE SYNCHRONMASCHINE POTENZIALE IN DER ELEKTROMOTOREN-ENTWICKLUNG Die fremderregte Synchronmaschine (SSM) ist dem Status eines teuren High-Tech-Gimmicks für Technik-Enthu- siasten entwachsen. Brose-SEW hat das Grundkonzept dieses E-Maschinentyps mit induktivem Drehübertrager und die zur Realisierung spezieller Aggregate erforderliche Entwicklungskette soweit evaluiert, dass heute bereits Maschinen-Entwicklungsprogramme verlässlich prognostiziert und umgesetzt werden können. Laufende Entwick- lungsarbeiten dienen der weiteren Optimierung für kommende Großserienfertigungen, die aus heutiger Sicht auch in puncto Kosten als marktfähig angesehen werden können. Im Hinblick auf funktionale Sicherheit und Rege- lungsverhalten distanziert die wartungs- und verschleißfreie SSM alle Alternativen deutlich. 286 ENTWICKLUNG ELEKTROMOTOREN

Die fremderregte Synchronmaschine Potenziale in der Elektromotoren-entwicklung

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Page 1: Die fremderregte Synchronmaschine Potenziale in der Elektromotoren-entwicklung

DIE FREMDERREGTE SYNCHRONMASCHINEPOTENZIALE IN DER ELEKTROMOTOREN-ENTWICKLUNGDie fremderregte Synchronmaschine (SSM) ist dem Status eines teuren High-Tech-Gimmicks für Technik-Enthu-

siasten entwachsen. Brose-SEW hat das Grundkonzept dieses E-Maschinentyps mit induktivem Drehübertrager

und die zur Realisierung spezieller Aggregate erforderliche Entwicklungskette soweit evaluiert, dass heute bereits

Maschinen-Entwicklungsprogramme verlässlich prognostiziert und umgesetzt werden können. Laufende Entwick-

lungsarbeiten dienen der weiteren Optimierung für kommende Großserienfertigungen, die aus heutiger Sicht auch

in puncto Kosten als marktfähig angesehen werden können. Im Hinblick auf funktionale Sicherheit und Rege-

lungsverhalten distanziert die wartungs- und verschleißfreie SSM alle Alternativen deutlich.

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NEUE DIMENSION

In der Frühphase der Elektromobilität adaptierte und integrierte die Fahrzeug-industrie zunächst bewährte traditi-onelle E-Maschinen, zumeist übernom-men aus existierenden indus triellen Antriebsapplikationen. Heute gilt es, spe-zifisch auf den automobilen Einsatz abgestimmte E-Motoren zu entwickeln. Technische Innovationen mit ungleich anspruchsvolleren Kennwerten treiben diesen neuen Markt, aber auch die Erkenntnis risikoreicher Abhängigkeits-verhältnisse zu Material-Monopolisten. Es gilt, sich möglichst unabhängig von Metallen seltener Erden zu machen. Mit der nun gestarteten Offensive stoßen Entwickler in neue Dimensionen vor, die eine über einhundert Jahre alte Elektro-motorhistorie regelrecht revolutioniert.

Historisch gewachsene Erfahrungen aus dem Industriebereich sind hier hilf-reich. So wie bei dem Joint Venture von Brose-SEW. Das Mutterhaus SEW Eurodrive entwickelt und produziert seit Jahrzehnten im Bereich klassischer Asynchron- und permanenterregter Syn-chronmaschinen mit abgesicherten Hochdrehzahlkonzepten und darüber hinaus Systemlösungen zur induktiven Rotorerregung.

FREMDERREGTE SYNCHRONMASCHINE – SSMEinleitend eine rudimentäre Erläute-rung zur generellen Funktionsweise einer fremderregten Synchronma-schine, auch stromerregte Synchron-maschine (SSM) genannt, ➊: Das Maschinengehäuse beherbergt den Sta-tor, bestehend aus einem drahtbewickel-ten Blechpaket. Dieser elektrisch als dreiphasige Stern- oder Dreieckschaltung ausgeführte und typischerweise in Wickelgruppen und Polpaare aufgeteilte Stator erzeugt ein magnetisches Dreh-feld. Das Drehfeld schleppt den frei dreh-baren Rotor synchron entsprechend der Frequenz der Stator-Drehfeldbewegung. Daher die Na mensgebung Synchron-maschine. Bei permanenterregten Ma -schinen erreicht man über den Einsatz von Magneten höchster magnetischer Energiedichte (Neodym, Dysprosium etc.) stärkste Rotor-Magnetisierungen mit entsprechenden resultierenden Maschinen-Spitzenleistungswerten.

Nun ist aber nicht in allen Maschinen-betriebszuständen je nach Drehzahl und

gewünschtem Drehmoment ein maxima-les Rotor-Magnetfeld optimal. Hier liegt der entscheidende Vorteil einer fremder-regten Synchronmaschine. Bei dieser ist auch der Rotor, ähnlich dem Stator, als bewickelter Blechkörper ausgeführt. Über die Regelung des Spulenstroms kann eine Veränderung des Rotor-Mag-netfelds vorgenommen werden. Insbe-sondere die sogenannte Feldschwächung durch gezielte Absenkung des Rotor-Erregerstroms führt zu einer gravieren-den Verbesserung des Maschinenverhal-tens in dezidierten Betriebsbereichen.

Der gravierende Vorteil einer SSM liegt im Vergleich zur permanenterregten Maschine somit nicht primär in der er -zielbaren Spitzenleistung, sondern in der Kombination von Leistung und Wir-kungsgrad über den gesamten Maschi-nen-Betriebsbereich hinweg. In Anbe-tracht des zumeist instationären Betriebs von Antrieben in Fahrzeugen ist dies ein entscheidender Vorteil.

LEISTUNG, GEWICHT UND THERMIK

Brose-SEW realisierte bislang Maschinen in einem Spitzenleistungsbereich bis 200 kW. Die Umsetzung derartiger Werte bei Aggregatgewichten unter 80 kg zwingt zu maximalen Energiedichten. Die auf-tretenden Verluste gilt es konsequent zu minimieren, was einerseits den resultie-renden Wirkungsgrad verbessert, primär jedoch das Temperaturniveau der Maschine senkt.

Als prinzipieller Leitfaden für das Ver-ständnis zur Erzielung größter Leistung in einer solchen E-Maschine gilt die Denk-weise der Leistungslimitierung durch das in den Maschinen-Aktivteilen gege-bene Temperaturniveau. Je niedriger die auftretenden Maximaltemperaturen in Rotor und Stator gehalten werden, umso größere Leistungen kann das Aggregat abgeben. Mit Wirkungsgraden von bis zu 96 % und Drehzahlabsicherungsgrenzen von 15.000/min bei den größten bislang entwickelten Maschinen ist die Messlatte seitens des Unternehmens bereits sehr hoch gelegt.

ANTRIEBSSTRANG-ARCHITEKTUR

Die fremderregten Synchronmaschinen eignen sich für eine Vielzahl gängiger Antriebsarchitekturen in gegenwärtigen Fahrzeugen ebenso wie in zukünftigen Fahrzeugkonzepten. Die Antriebe unter-

AUTOREN

OLAF JOHANNist Leiter Produktbereich

Antriebs systeme bei der Brose-SEW Elektro mobilitäts

GmbH & Co. KG in Bruchsal.

JOHANNES MÜLLERist Projektmanager bei der

Brose-SEW Elektromobilitäts GmbH & Co. KG in Bruchsal.

287 04I2013 8. Jahrgang

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stützen gleichermaßen longitudinale wie laterale Integrationen, sie können ein-zeln oder im Sinne von Zwillingsmaschi-nen als Paar eingesetzt werden. Eine Besonderheit liegt in der optionalen Ausführung als Hohlwellenmaschine, wodurch hoch kompakte Achsantriebe, lateral in Fahrschemeln integriert, er -möglicht werden. Die Kombination der E-Maschine mit direkt angeflanschtem Getriebe ergibt eine homogene integ-rierte Einheit. Der dabei erzielte extrem niedrige Massenschwerpunkt liefert exzellente Fahrdynamik-Rahmen-bedingungen.

DER ELEMENTARE UNTERSCHIED

Die fremderregte Synchronmaschine, ①, weist eine Reihe von Vorteilen auf, die sie insbesondere für den Einsatz als Fahrzeugantrieb qualifizieren.

Gegenüber den über lange Zeit mit hoher Begeisterung verfolgten perma-nenterregten Maschinen steht an erster Stelle das Argument des vollständigen Entfalls seltener Erden. Die geopolitische Gesamtsituation mit Rohmaterial-Mono-polen und schwer prognostizierbaren Preisentwicklungen bis hin zu der Ge -fahr einer vorsätzlichen Materialver-knappung lassen die zwangsläufige Not-wendigkeit für Abhängigkeitsverhält-nisse zu gleichermaßen wirtschaftlich und strategisch inakzeptablen Risiken in Gesamtfahrzeugprogrammen werden. Neben weiteren materialbezogenen Fak-toren, wie den ökologischen Aspekten

beim Abbau seltener Erden, existieren aber auch rein technische Argumente, die den Einsatz fremderregter Synchron-maschinen als das konzeptionelle Opti-mum erscheinen lassen. Das womöglich wichtigste Kriterium liegt in der hohen Eigensicherheit einer fremderregten Syn-chronmaschine, die im Fehlerfall durch Deaktivierung von Stator- und Rotor-erregung in kurzer Zeit in einen dreh-momentfreien Zustand versetzt werden kann. Außerhalb der stetig wachsenden Relevanz der funktionalen Sicherheit überzeugt die SSM durch ihre praktisch uneingeschränkte Regelbarkeit in sämt-lichen Betriebszuständen.

Die traditionelle Lösung zur fremder-regten Synchronmaschine sieht eine Rotor-Energieeinspeisung über Schleif-ringe vor. Hierdurch lässt sich der ge -wünschte Erregerstrom der Rotorwick-lung zuführen, wodurch das mit dem Stator-Drehfeld interagierende Magnet-feld aufgebaut wird. Technologisch ist das zwar einfach umsetzbar, man

erkauft sich mit Schleifringen eine Reihe bekannter Nachteile. Hierzu gehö-ren zum Beispiel die Abriebthematik und die Beschränkung des maximalen Wellendurchmessers beziehungsweise der Drehzahl.

Brose-SEW setzte zum Startzeitpunkt aller Automotive-SSM-Entwicklungen auf das Konzept einer induktiven Rotor-Energieübertragung. Im Lauf verschiede-ner Maschinenrealisierungen wurde hierbei die Grundlösung immer weiter verfeinert. Ergebnis ist ein heute vorlie-gendes, skalierbares und auf Derivate anpassbares Konzept.

Das Brose-SEW-eigene induktive Dreh-übertragersystem bietet eine vollständig berührungsfreie Energieübertragung in typischen Anwendungsbereichen von bis zu 12.000/min (20 A).

Aufgrund dieser Lösung existieren mit den beiden Rotorwellenlagern sowie den Wellendichtringen nur noch vier berüh-rende Maschinenteile. Damit kann die fremderregte Synchronmaschine im Ver-ständnis eines Fahrzeuglebens als voll-ständig verschleißfrei angesehen werden – ein entscheidender Vorteil, im Vergleich zu Thermodynamikmaschinen und auch zu alternativen E-Maschinen-Konzepten.

LEISTUNGSELEKTRONIK –INTEGRIERT ODER AUTONOM?

Um die Vorteile der fremderregten Syn-chronmaschine optimal zu nutzen, kommt der dazugehörigen Leistungs-elektronik eine entscheidende Aufgabe zu. Dabei bieten sich zwei Architektur-varianten an, die separate Anordnung oder die Integration der Leistungselekt-ronik in das Gehäusekonzept der Maschine. Die Integration der Leistungs-elektronik in das Gehäusekonzept der Maschine bedingt einen größeren zusammenhängenden Bauraum für Maschine inklusive Leistungselektronik.

Zwischenkreis

Bus, InterlockKühl-kreislauf

Statorphasen U, V, W

Rotorerregung

Sensorik (Temperatur, Rotorlage)

Kühl-kreislauf

SSM Leistungselektronik

❷ Stromerregte Synchronmaschine mit autonomer Leistungselektronik

❶ Schnittbild einer stromerregten Synchronmaschine (SSM)

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Dabei ergeben sich signifikante Einspa-rungen im Gesamt volumen, da kein komplettes eigenes Ge häuse für die Leistungselektronik inklusive der zusätzlichen Verbindungstechnik zwi-schen Elektronik und Maschine in Form von Anschlussfeld, Steckverbin-dern, Verkabelung und zusätzlicher Kühlwasserversorgung benötigt wird.

➋ zeigt die typische Architektur und Schnittstellen für die getrennte Leis-tungselektronik. Die zusätzlich benö-tigten externen Schnittstellen einer separat verbauten Leistungselektronik sind dabei grün hinterlegt. Diese ent-fallen bei einer Integration ersatzlos.

➌ zeigt die typische Architektur und die Schnittstellen für die integ-rierte Leistungselektronik. Eine von der Maschine getrennte Leistungselekt-ronik mit eigenem Gehäuse bietet die Möglichkeit, den Bauraum flexibler zu gestalten, da die beiden Baugruppen innerhalb der vom Fahrzeug vorgege-benen Grenzen frei platziert werden können.

Der elektrischen Verbindung zwi-schen Leistungselektronik und Maschine kommt in verschiedener Hin-sicht eine große Bedeutung zu. Die Länge dieser Verbindung nimmt maß-geblich Einfluss auf die elektrischen Eigenschaften hinsichtlich Regelverhal-ten, EMV, Sicherheit und nicht zuletzt Kosten. Verallgemeinernd kann man sagen, dass eine möglichst kurze Ver-bindung hier erhebliche Vorteile bringt.

Deshalb punktet die Integration der Leistungselektronik. Die Leitungslän-gen werden nur geringfügig länger, als dies ohnehin durch die Verbindung von Maschine zum Anschlussterminal mit Steckverbinder notwendig ist.

Der Anteil der kostenintensiven HV-Steckverbinder und HV-Verkabelung kann durch die entfallende Schnitt-stelle gesenkt werden. Zusätzliche Ein-sparungen ergeben sich durch die ver-miedenen Steckverbindungen für Sen-sorik (zum Beispiel Rotorlagegeber, Temperatursensoren), Abdichtungen sowie Kühlwasserversorgung. Diese erfolgt direkt aus dem Maschinenkühlkreislauf.

Durch die Realisierung der HV-Ver-bindung zwischen Elektronik und Maschine innerhalb des Maschinenge-häuses, ❹, besteht auch im Fehlerfall (beispielsweise Crash) immer eine elektrische Verbindung und somit die Regelungsmöglichkeit für die Maschine. Dies ist unter anderem hin-sichtlich der Entladung des Zwischen-kreises und Entregung des Rotors eine wichtige Reduzierung der Risiken. Auf diese Art und Weise ist es möglich, die Erregung des Rotors und damit auch die rückinduzierte Spannung in den Stator im Schleppbetrieb innerhalb von Sekundenbruchteilen auf ein sicheres Spannungsniveau zu reduzieren und die Maschine in einen drehmoment-

und hochspannungsfreien Zustand zu versetzen.

Durch die direkte Anbindung der integ-rierten Leistungselektronik an die ther-mische Masse der Maschine kann selbst bei Ausfall der externen Kühlung ein Notlaufbetrieb mit eingeschränkter Leis-tung sichergestellt werden. Die hierbei zur Verfügung stehende Leistung der Maschine wird im Vorfeld durch Simula-tion ermittelt und gegebenenfalls weiter optimiert.

Bei einer Integration der Leistungs-elektronik ist bereits in einem frühen Entwicklungsstadium eine Testbarkeit des Gesamtsystems gegeben. Dies ver-ringert den späteren Abstimmungsauf-wand des Systems hinsichtlich Schnitt-stellen, Leitungsführung und EMV, da diese Punkte komplett innerhalb des Sys-tems bereits vor der Auslieferung und Fahrzeugintegration betrachtet und opti-miert werden können. Es ergibt sich dar-über hinaus eine höhere Komplexität in der Montage beim Motorenhersteller. Dies ermöglicht allerdings auf der ande-ren Seite eine komplette Testbarkeit des gesamten Antriebssystems vor Aus-lieferung, sodass dieses dann als fertig geprüfte Baugruppe geliefert wird.

Im Servicefall muss hier immer das Gesamtsystem getauscht beziehungs-weise repariert werden. Der Montageauf-wand ist im Fall eines Elektronikfehlers höher als bei einer getrennten Anord-nung. Durch die bereits geschilderten geringeren Fehlerrisiken relativiert sich dieser Schwachpunkt.

Im Rahmen der Fahrzeugintegration punktet die integrierte Leistungselektro-nik, da die zusätzliche Montage der Leistungselektronik und die Verlegung von Hochvolt- und Sensorleitungen zwi-schen Leistungselektronik und Maschine innerhalb des Fahrzeugs vollständig ent-fallen. Dies erfolgt unter optimierten Bedingungen bereits bei der Montage des Antriebssystems.

SSM

Statorphasen U, V, W

Rotorerregung

Sensorik(Temperatur,Rotorlage)

Zwischenkreis

Bus, Interlock

LE

Kühlkreislauf

❸ Stromerregte Synchronmaschine mit integrierter Leistungselektronik

❹ In den Elektromotor integrierte Leistungselektronik

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289 04I2013 8. Jahrgang