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Die Geschichte des Schlagzeugs Hallo und ein gesundes neues Jahr! Da das gemeinsame Spielen auch im Januar coronabedingt ausfallen muss, möchte ich euch auf diesem Wege etwas Literatur mit auf den Weg geben, damit ihr das Schlagzeug als Instrument besser verstehen könnt. Eigentlich ist es falsch, das Schlagzeug als „ein“ Instrument zu betrachten. Vielmehr handelt es sich um eine Zusammenstellung aus vielen einzelnen Bestandteilen. Wie das Schlagzeug in seiner heutigen Form Gestalt annahm, möchte ich euch auf den folgenden Seiten zeigen. 1. Vorgeschichte Ganz ehrlich – draufgehauen hat der Mensch schon immer irgendwo :-) Die Geschichte der Trommeln ist so alt wie die Menschheit selbst. Überall auf der Welt dienten und dienen Trommeln zu rituellen Zwecken oder zur Kommunikation. Trommeln geben den Rhythmus vor: Beim Militär wird zum Rhythmus der kleinen Trommel marschiert, auf großen Ruderbooten gibt ein Trommler den Takt an. Menschen tanzen zu Trommelschlägen, egal ob es sich dabei um indigene Völker handelt, die damit Geister beschwören wollen, oder um Raver auf einer Technoparty. Immer wieder kehrende Schlagfolgen, sogenannte Patterns, versetzen uns in Trance und damit unwillkürlich in Bewegung. Durch Völkerwanderungen, Kreuzzüge, Handel und Sklaverei verteilten sich die unterschiedlichen Arten der Schlaginstrumente aus ihren Ursprungsländern auf die ganze Welt. Die kleine Trommel entstand zum Beispiel aus den mittelalterlichen Rahmentrommeln in Europa, Becken haben ihren Ursprung in der heutigen Türkei, unterschiedlich hoch gestimmte Handtrommeln gibt es in Afrika seit Jahrtausenden und verschiedenste Glockenspiele stammen aus Ostasien. Das Schlagzeug in seiner heutigen Form wurde erstmals in den Vereinigten Staaten von Amerika zusammengestellt. 2. 1865 Das Jahr 1865 spielt in der Geschichte des Schlagzeugs eine besondere Rolle. Mit dem Ende des Sezessionskrieges in den Vereinigten Staaten wurde die Sklaverei abgeschafft und die schwarze Bevölkerung begann langsam, ihre Kultur und somit auch ihre Musik in die Öffentlichkeit zu tragen. „Weiße“ Marschmusik vermischte sich auf einmal mit den afrikanischen Rhythmen zu völlig neuen Klangbildern. Marching Band (Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:University_of_Minnesota_Cadet_Band.jpg )

Die Geschichte des Schlagzeugs - Paul-Robeson-Schule

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Page 1: Die Geschichte des Schlagzeugs - Paul-Robeson-Schule

Die Geschichte des Schlagzeugs

Hallo und ein gesundes neues Jahr! Da das gemeinsame Spielen auch im Januar coronabedingt ausfallen muss, möchte ich euch auf diesem Wege etwas Literatur mit auf den Weg geben, damit ihr das Schlagzeug als Instrument besser verstehen könnt. Eigentlich ist es falsch, das Schlagzeug als „ein“ Instrument zu betrachten. Vielmehr handelt es sich um eine Zusammenstellung aus vielen einzelnen Bestandteilen. Wie das Schlagzeug in seiner heutigen Form Gestalt annahm, möchte ich euch auf den folgenden Seiten zeigen.

1. Vorgeschichte

Ganz ehrlich – draufgehauen hat der Mensch schon immer irgendwo :-) Die Geschichte der Trommeln ist so alt wie die Menschheit selbst. Überall auf der Welt dienten und dienenTrommeln zu rituellen Zwecken oder zur Kommunikation. Trommeln geben den Rhythmus vor: Beim Militär wird zum Rhythmus der kleinen Trommel marschiert, auf großen Ruderbooten gibt ein Trommler den Takt an. Menschen tanzen zu Trommelschlägen, egal ob es sich dabei um indigene Völker handelt, die damit Geister beschwören wollen, oder um Raver auf einer Technoparty. Immer wieder kehrende Schlagfolgen, sogenannte Patterns, versetzen uns in Trance und damit unwillkürlich in Bewegung. Durch Völkerwanderungen, Kreuzzüge, Handel und Sklaverei verteilten sich die unterschiedlichen Arten der Schlaginstrumente aus ihren Ursprungsländern auf die ganze Welt. Die kleine Trommel entstand zum Beispiel aus den mittelalterlichen Rahmentrommeln in Europa, Becken haben ihren Ursprung in der heutigen Türkei, unterschiedlich hoch gestimmte Handtrommeln gibt es in Afrika seit Jahrtausenden und verschiedenste Glockenspiele stammen aus Ostasien. Das Schlagzeug in seiner heutigen Form wurde erstmals in den Vereinigten Staaten von Amerika zusammengestellt.

2. 1865

Das Jahr 1865 spielt in der Geschichte des Schlagzeugs eine besondere Rolle. Mit dem Ende des Sezessionskrieges in den Vereinigten Staaten wurde die Sklaverei abgeschafft und die schwarze Bevölkerung begann langsam, ihre Kultur und somit auch ihre Musik in die Öffentlichkeit zu tragen. „Weiße“ Marschmusik vermischte sich auf einmal mit den afrikanischen Rhythmen zu völlig neuen Klangbildern.

Marching Band(Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:University_of_Minnesota_Cadet_Band.jpg)

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Um eine Revolution zu verhindern, wurde es den ehemaligen Sklaven per Gesetz verboten, ihre Handtrommeln zu spielen. Diese „No Drumming Laws“ konnten die Kreativität der Musiker jedoch nicht aufhalten. Erste Drummer begannen damit, mehrere Trommeln gleichzeitig mit Trommelstöcken (mit der Hand war ja verboten) zu spielen und beschränkten sich schließlich auf die große Bass- und auf die kleine Trommel. Das sogenannte „Double Drumming“ war geboren und auf einmal begannen Trommler zu improvisieren. Das sparte Platz – und Geld. Marschkapellen brauchten riesige Flächen, ganze Orchester einen Orchestergraben vor der Bühne. Durch das Double Drumming fanden erste Bands ihren Weg in kleine Clubs, Bars, Bordelle oder Flussdampfer. Dort spielten sie zur Unterhaltung die ganze Nacht, gegen oftmals miese Bezahlung.

Double Drumming(Quelle: https://culturalhistoryofthedrumset.wordpress.com/origins/)

3. 1887

Bis zu diesem Jahr spielten Drummer ihre Instrumente ausschließlich mit Trommelstöcken.Damit waren die technischen Möglichkeiten jedoch stark begrenzt und das Spiel wurde schnell eintönig. J.R. Olney kam 1887 schließlich auf die Idee, die Füße in das Schlagzeugspiel mit einzubinden und entwickelte den ersten Prototypen einer Fußmaschine. Der deutsche Einwanderer William F. Ludwig griff diesen Prototypen 1899 auf und entwickelte eine Fußmaschine in Serie. Diese wurde immer wieder überarbeitet und schließlich 1909 patentiert. Bis heute hat sich am Aufbau der Fußmaschine für die Bass Drum fast nichts verändert.

Ein Vorgänger des modernen Bass Drum Pedals(Quelle: http://www.vintagedrumguide.com/pedal_60.html)

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Werbung für das Bass Drum Pedal von Ludwig(Quelle: https://www.notsomoderndrummer.com/not-so-modern-drummer/2019/9/27/percussion-creative-looking-for-vintage-drum-photos-for-genesis-of-drums-poster)

Dieses Pedal machte einen Aufbau verschiedenster Trommeln, Glocken, Becken, Klanghölzern und Metallplatten um die Bass Drum herum möglich. Das Personal für Trommler in Orchestern konnte auf einmal drastisch reduziert werden. Plötzlich gab es keine „Trommler“, „Glockenspieler“ oder „Zymbelspieler“ mehr, sondern nur noch den „Schlagzeuger“. Der Aufbau eines Schlagzeugs war riesig, denn Schlagzeuger gaben nicht nur den Rhythmus vor, sondern lieferten für Film-, Radio- und Theateraufführungen auch sämtliche Geräusche. Sie waren also die „Sounddesigner“ dieser Zeit – und vornehmlich weiß.

Kleiner Aufbau, Anfang 20. Jhd.(Quelle: https://medium.com/@casciomusic/history-of-ludwig-drums-3209ffb21c46)

Großer Aufbau für Film-, Radio- und Theateraufführungen(Quelle: https://www.spiegel.de/geschichte/trommelverbote-in-den-usa-no-drumming-laws-a-1083840.html)

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4. Die 1920er und 1930er Jahre

Das bedeutete jedoch nicht, dass schwarze Musiker gänzlich untätig blieben. Sie spielten im Untergrund, auf illegalen, oftmals alkoholgetränkten Parties, in verrauchten Clubs und Bars und schufen einen Musikstil, der seinen Ursprung in New Orleans hat und als Jazz bezeichnet wird. Jazz war die angesagte Tanzmusik zu dieser Zeit. Da Tanzveranstaltungen und Alkoholkonsum damals in den USA verboten waren, brauchte man natürlich Codewörter, um nicht aufzufallen: Wer auf einen „Rave“ ging, hatte die Absicht, eine Tanzveranstaltung mit Jazzmusik zu besuchen. Die Drummer hatten jedoch ein Platzproblem: Da Kneipen und Bars nur kleine Bühnen hatten, mussten sie ihre Drumsets reduzieren. Dafür war die Musik, energischer, dynamischer, enthemmter und improvisierter. Dieser aufregende und wilde Stil setzte sich gegen jede Verbote durch und drängte Anfang der 1930er Jahre auch auf große Bühnen. Dort wurde der Jazz von großen Besetzungen, sogenannten Big Bands, gespielt. Geräusche und Soundeffekte seitens des Schlagzeugers waren nicht mehr gefragt. So beschränkte sich das Schlagzeug auf Becken, Tom Toms, Snare Drum und Bass Drum – im Grunde war der Aufbau schon so, wie wir ihn heute kennen.

Jazz Band in klassischer Besetzung(Quelle: https://www.discogs.com/artist/339881-Sam-Morgans-Jazz-Band)

Big Band auf der Bühne(Quelle: https://www.wmky.org/post/count-basie-orchestra)

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5. Die 1950er Jahre

Die Musik der Big Bands war der dominierende Stil der 1940er und 1950er Jahre und wurde erst durch den Rock'n'Roll wieder abgelöst. Diese Zeit brachte legendäre Drummer hervor, deren Stil und Spielweise Schlagzeuger aller Musikrichtungen bis heute beeinflussen. Dazu zählen unter anderem Buddy Rich (der sich bei einem Auftritt so verausgabte, dass er während eines Drumsolos einen Herzinfarkt erlitt – und trotzdem unter quälenden Schmerzen weiterspielte), Papa Jo Jones (er legte den Mittelpunkt seinesSpiels auf die HiHat und spielte leiser als andere Schlagzeuger, seine Solos gestaltete er dafür unglaublich humorvoll) und Louie Bellson (welcher als erster Schlagzeuger überhaupt mit zwei Bass Drums spielte, was wir heutzutage vor allen Dingen bei Metal-Drummern immer wieder sehen) – um nur einige zu nennen.

Buddy Rich(Quelle: https://www.sticks.de/lessons/steve-gadd-und-buddy-rich/)

Papa Jo Jones(Quelle: https://www.pinterest.de/pin/325033298098521732/)

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Louie Bellson(Quelle: https://mydrumlessons.co.uk/2016/02/gretsch-salutes-louie-bellson-and-gretsch-drums-partners-in-innovation/)

6. Die 1960er Jahre bis heute

An welchen Drummer denken wir, wenn wir uns an die 60er Jahre erinnern. Beatmusik, Pilzköpfe... Richtig! Ringo Starr von den Beatles. Man kann mit Fug und Recht behaupten,dass Ringo das moderne Schlagzeugspiel definiert hat. Dabei war er kein besonders guterTechniker. Er spielte als Linkshänder an einem „normal“ aufgebauten Set und entwickelte erst im Laufe der Beatles-Geschichte seinen eigenen, unverkennbaren Sound. Er war der erste Schlagzeuger überhaupt, der mit der parallelen Stickhaltung spielte. Er holte die Figur des Drummers ins Zentrum der Band. Sein Set war klein und minimalistisch, damit man ihn auf der Bühne gut sehen konnte.

Ringo Starr(Quelle: https://www.thefest.com/tag/ringo-starr/)

Durch die Entwicklung von Verstärkern und elektronischen Instrumenten konnten Bandbesetzungen auf ein Minimum reduziert werden. Dem Schlagzeuger kam somit eine zentrale Rolle zu.Hier wurde der „klassische“ Aufbau eines Schlagzeugs ein für alle Mal festgelegt. Das Schöne daran: Er ist universell einsetz- und beliebig erweiterbar. Moderne Hardware (wie Beckenständer oder ganze Racks, an denen Beckenarme und Toms montiert werden können) erlaubt einen flexiblen Auf- und Abbau, sodass das Schlagzeug an jede Bühne

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angepasst werden kann. Mit verschiedenen Stimmungen können sämtliche Musikstile bedient werden. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts Trommelfelle noch aus kostbarer Tierhaut bestanden, werden diese heute aus Kunststoff produziert und für jeden Anwendungsbereich angepasst. Das Schlagzeug ist trotz seiner Größe eines der flexibelsten Instrumente überhaupt. Deshalb macht es so großen Spaß, Schlagzeug zu spielen!

Wenn ihr tiefer in die Geschichte des Schlagzeugs eintauchen wollt, empfehle ich euch den Film „The Century Project“ des amerikanischen Schlagzeugers und Musikhistorikers Daniel Glass: https://www.youtube.com/watch?v=BH-jVncTJbg