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BERICHTE Totgesagte leben länger – so oder so ähnlich lässt sich der wissenschaftliche Diskurs in Deutschland über die künftige Macht und Rolle der USA zusammenfassen. Der viel- fach konstatierte Ansehensverlust der USA scheint durch die Wahl von Barack Obama zum 44. Präsidenten der USA aufgefangen zu sein. Dennoch bleibt die Frage nach dem Rest der US-amerikanischen internationalen Gestaltungsmacht bestehen. Die zwei jüngs- ten Ereignisse von großer Tragweite – der Georgienkrieg und die weltweite Finanzkrise – haben gezeigt, dass die amerikanische Regierung kaum in der Lage war, Führung zu übernehmen, geschweige denn umfassende Lösungen herbeizuführen. Während der Krise in Georgien waren die USA maßgeblich auf Europa angewiesen, um Russland an den Verhandlungstisch zurück zu bringen. Als im September die ersten Banken in den USA zusammen brachen, mühte Präsident Bush sich um einen Hilfsplan, der aber letztlich erst durch den Kongress zustande kam. Ungeachtet der Tatsache, dass die Finanzkrise ihren Ursprung in der amerikanischen Hypothekenkrise hat, berief die US-Regierung erst mit großer Verspätung einen Sondergipfel ein, um eine Neuordnung des Finanzsystems zu koordinieren. Ist diese Führungsschwäche Sinnbild für die verlorene Gestaltungsmacht der USA? Sehen sich China und Russland schon in den Startblöcken, um die einstige Supermacht zu beerben? Bei der internationalen Expertentagung „Who Will Lead the World?“ der BMW Stiftung Herbert Quandt am 15. und 16. Oktober 2008 in München ging es genau um die Frage, ob die USA vor der Ablösung ihrer Rolle als größte Ord- nungsmacht stehen – und wenn ja – durch wen. Wie den Niedergang abwenden? Jürgen Chrobog, Vorsitzender des Vorstands der BMW Stiftung, machte in seiner Ein- führung deutlich, dass die USA trotz aller Krisen noch immer die mächtigste Nation der ZFAS (2009) 2:118–122 DOI 10.1007/s12399-008-0022-x Die Grenzen der Gestaltungsmacht. Ein Bericht über die Expertentagung „Who will lead the world?“ der BMW Stiftung Herbert Quandt Kerstin Meerwaldt © VS-Verlag 2009 K. Meerwaldt () Leiterin des Referats Gesellschaftspolitik der BMW Stiftung Herbert Quandt Hanauer Straße 46, 80788 München, Deutschland E-Mail: [email protected]

Die Grenzen der Gestaltungsmacht

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Berichte

totgesagte leben länger – so oder so ähnlich lässt sich der wissenschaftliche Diskurs in Deutschland über die künftige Macht und rolle der USA zusammenfassen. Der viel-fach konstatierte Ansehensverlust der USA scheint durch die Wahl von Barack Obama zum 44. Präsidenten der USA aufgefangen zu sein. Dennoch bleibt die Frage nach dem rest der US-amerikanischen internationalen Gestaltungsmacht bestehen. Die zwei jüngs-ten ereignisse von großer tragweite – der Georgienkrieg und die weltweite Finanzkrise – haben gezeigt, dass die amerikanische regierung kaum in der Lage war, Führung zu übernehmen, geschweige denn umfassende Lösungen herbeizuführen. Während der Krise in Georgien waren die USA maßgeblich auf europa angewiesen, um russland an den Verhandlungstisch zurück zu bringen. Als im September die ersten Banken in den USA zusammen brachen, mühte Präsident Bush sich um einen hilfsplan, der aber letztlich erst durch den Kongress zustande kam. Ungeachtet der tatsache, dass die Finanzkrise ihren Ursprung in der amerikanischen hypothekenkrise hat, berief die US-regierung erst mit großer Verspätung einen Sondergipfel ein, um eine Neuordnung des Finanzsystems zu koordinieren. ist diese Führungsschwäche Sinnbild für die verlorene Gestaltungsmacht der USA? Sehen sich china und russland schon in den Startblöcken, um die einstige Supermacht zu beerben? Bei der internationalen expertentagung „Who Will Lead the World?“ der BMW Stiftung herbert Quandt am 15. und 16. Oktober 2008 in München ging es genau um die Frage, ob die USA vor der Ablösung ihrer rolle als größte Ord-nungsmacht stehen – und wenn ja – durch wen.

Wie den Niedergang abwenden?

Jürgen chrobog, Vorsitzender des Vorstands der BMW Stiftung, machte in seiner ein-führung deutlich, dass die USA trotz aller Krisen noch immer die mächtigste Nation der

ZFAS (2009) 2:118–122DOi 10.1007/s12399-008-0022-x

Die Grenzen der Gestaltungsmacht.Ein Bericht über die Expertentagung „Who will lead the world?“ der BMW Stiftung Herbert Quandt

Kerstin Meerwaldt

© VS-Verlag 2009

K. Meerwaldt ()Leiterin des referats Gesellschaftspolitik der BMW Stiftung herbert Quandt hanauer Straße 46, 80788 München, Deutschlande-Mail: [email protected]

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Welt sind, die zwar ihre Grenzen aufgezeigt bekommen hat, aber auch künftig eine füh-rende rolle in einer multipolaren Welt einnehmen wird. Gleiches gelte für die wirtschaft-liche Stärke der größten Volkswirtschaft der Welt. Dennoch sei ein deutlicher Mangel an Gestaltungsmacht zu konstatieren: Die pax americana, mit der die USA lange ihr ein-flussgebiet definierten, ist nicht mehr durchsetzbar. Gerade im Nahen Osten zeige sich, dass dieses instrument für die USA ausgedient habe, so chrobog.

Mitveranstalter christian hacke (Bonn) konstatierte für die USA sogar eine entwick-lung vom „trouble-Shooter“ zum „trouble Maker“. Die bisherige rolle als globale Ord-nungsmacht ist für ihn fundamental in Frage gestellt. Wie erklärt sich diese ausgeprägte Schwäche Amerikas? ist es eine zeitweise Krise, ausgelöst von unklugen entscheidungen der Bush-Administration? Oder sind die Ursachen in Veränderungen der internationalen Mächtekonstellation zu suchen, damit also struktureller Natur? Welche rolle wird die europäische Union in der künftigen Konstellation spielen?

Die Welt hat sich radikal verändert, aber die USA haben dies noch nicht begriffen, so John hulsman, Oppenheim Scholar bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Poli-tik (DGAP). im aktuellen Niedergang sei die einzige chance der USA, die aufstrebenden Mächte mit Zuckerbrot und Peitsche dazu zu bewegen, gemeinsame interessen mit den USA zu erkennen. Ziel der USA müsse es sein, die Bric-Staaten (Brasilien, russland, indien, china) in ein globales europäisch-amerikanisch geführtes Post-Bretton-Woods-System zu integrieren, um so die aktuelle Weltordnung zu stabilisieren. Dazu seien die USA massiv auf die hilfe europas angewiesen: „Die USA brauchen hilfe, wirtschaftlich, intellektuell und militärisch – egal durch welche institution“, erklärte hulsman.

Ob sich diese Unterstützung durch europa in Form einer Juniorpartnerschaft zu den USA abbilden sollte, wie es Stephan Bierling (regensburg) vorschlug, wurde vor allem von den politischen Praktikern bezweifelt. Gunter Pleuger (ehemaliger UN-Botschafter Deutschlands) erklärte, dass Europa in einer Juniorpartnerschaft de facto keinen Einfluss auf die politischen entscheidungen der USA hätte, wie das britische Beispiel im irakkrieg zeigt. rüdiger von Fritsch (Auswärtiges Amt) ergänzte, dass Deutschland und europa zwar sehr enge Beziehungen zu den USA pflegen, aber nicht nur auf diese Option setzen könnten; auch das Verhältnis zu russland sei von fundamentaler Bedeutung.

Was will Russland?

Seit ende des Kalten Krieges musste russland einen kontinuierlichen rückgang seines Einflussbereichs hinnehmen. Mit einer eindrucksvollen Demonstration von Stärke und Gesprächsbereitschaft meldete Präsident Putin auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2007 die russische Föderation als wichtigen Akteur zurück. Wird die rus-sische Föderation nach dem Fünftagekrieg in Georgien ihre Politik der Stärke weiter fort-führen? Wird russland trotzdem die Partnerschaft mit der eU suchen?

Anatol Lieven (Kings college London) erklärte, dass russlands invasion als reak-tion auf die Vorfälle in Südossetien nichts Neues sei, diese Politik gebe es bereits seit 1990 und Präsident Jelzin hätte ähnlich reagiert. Das russland von heute wisse, dass es niemals wieder die Position einer zweiten Supermacht neben den USA erreichen werde, gleichwohl möchte es aber „ein Pol in einer multipolaren Welt“ sein, so Lieven. russ-

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land möchte sich also von europa differenzieren, ohne dabei gleich in chinas Arme zu fallen. Dabei nutze es seinen reichtum an Öl- und Gasvorkommen ganz unverblümt als strategischen hebel, sei aber mindestens genauso abhängig vom europäischen Markt wie umgekehrt. Fraglich sei jedoch, wie russlands starke Position bei fallenden Ölpreisen zu halten sein werde.

Alexander rahr (DGAP) warnte, dass russland weiter versuchen werde, ein „empire through energy“ aufzubauen. Da russland immer noch wie der Verlierer des Kalten Krieges behandelt werde, gebe es viel Frustration auf russischer Seite. er bezeichnete es als historischen Fehler, dass russland nicht in die europäische Architektur eingegliedert und stattdessen die NAtO weiter gen Osten ausgedehnt worden sei. Für russland sei nun im Kaukasus eine rote Linie erreicht, die der Westen keinesfalls überschreiten dürfe. rahr empfahl deshalb eine strategische Partnerschaft zwischen europa und russland und hob dabei Präsident Medwedjews Vorschlag eines neuen europäischen Sicherheitspaktes und andere Angebote der Zusammenarbeit hervor, die ohne Antwort geblieben seien. Die Schwierigkeiten lägen vor allem in tiefen Meinungsverschiedenheiten zwischen alten und neuen eU-Mitgliedstaaten über die einbindung russlands.

Die Konferenzteilnehmer waren sich uneins darüber, ob sich europa von russland abgewandt habe oder eher umgekehrt. Präsident Putins kämpferische rede vor der Mün-chener Sicherheitskonferenz und sein Angebot an die USA während des G8 Gipfels in heiligendamm sprachen eine jeweils andere Sprache. einigkeit bestand aber darüber, dass langfristige Stabilität in europa nur über eine strategische Partnerschaft mit russ-land zu erreichen ist – der Preis dafür sei das ende der NAtO-expansion.

China – regionale oder globale Ambitionen?

china hat sich zur viertgrößten Volkswirtschaft der erde entwickelt und ist zum stärksten Akteur in Asien aufgestiegen. Dieser erfolg basiere auf chinas unideologischem Pragma-tismus und der Bereitschaft, vom Westen zu lernen, ohne dabei den eigenen Weg aus den Augen zu verlieren, so Ulrike reisach (Neu-Ulm). Durch die Finanzkrise schwächeln die USA als wichtigster exportmarkt, aber Peking zeigt keine eile bei der Bewältigung der Krise. Als größter Gläubiger der USA kann china diesen hebel nutzen, um Forderungen an Washington zu stellen, die Peking mehr Einfluss in internationalen Institutionen wie z. B. dem internationalen Währungsfonds (iWF) gewähren. ist china damit bereits auf dem Weg zu einer globalen Supermacht?

Der in Peking lebende Publizist Frank Sieren deutete auf den fundamentalen Wan-del hin, der sich durch diese Machtverschiebung abzeichne. er sieht china schon jetzt als globale Macht – wenn auch nur als eine von mehreren – die ihre Position auf dem originär chinesischen Weg erreicht habe: durch handelsbeziehungen. china werde zwar nie den Supermacht-Status der USA erreichen, aber seine zentrale rolle in der globalen Finanzkrise führe zu einer Position der Stärke, die sich nachhaltig auf das künftige Kräf-teverhältnis zwischen den USA und china auswirken werde.

ist china bereit, seine wirtschaftliche Macht in Verantwortung und politische Führung umzusetzen? Bin Yu (Wittenberg, Ohio) betonte, dass china in diversen aktuellen Krisen Kompromisse vorangetrieben hat. Dies kam vor allem bei den Korea-Gesprächen zum

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tragen. Frank Sieren erklärte dazu weiter, dass china neue regeln für internationales Krisenmanagement suche: Statt eines Boykotts wählt china stets die Option der einbin-dung, um zu einer Lösung zu kommen. china habe kein interesse an einer antiwestlichen Allianz, betonte Yu.

Wer wird die Welt regieren?

Bei der Suche nach der künftigen Ordnungsmacht ging Gunter Pleuger nach dem Aus-schlussprinzip vor. er sieht keinen einzelnen Staat in der Lage, in einer Führungsrolle voranzugehen: Die USA sind stark geschwächt und russland hat seine rolle in der internationalen Gemeinschaft noch nicht gefunden. china zeigt sich verantwortungsbe-wusst, ist aber oft weit weg von Krisengebieten und eher zögerlich, sich einzumischen. Die europäische Union erwirke in vielen Krisen Kompromisse und gelte als politisches Schwergewicht. Aber mangelnde einigkeit in vielen außenpolitischen Fragen führe zu einer strukturellen Schwäche. Damit bleiben nach Pleuger letztlich nur die Vereinten Nationen (United Nations, UN), um multilaterale Lösungen für globale Probleme zu erwirken. Die UN spiegeln jedoch, ähnlich wie iWF und Weltbank, die Welt von 1945 wider, was zu einer tiefgreifenden Legitimitätskrise geführt habe. Für Pleuger liegt die Lösung deshalb in einer neuen internationalen Ordnung mit neuen regeln, die das man-gelnde internationale Krisenmanagement verbessern sollen. ihr Forum könnten einzig die UN sein, da praktisch alle Staaten der Welt am entscheidungsprozess beteiligt sind und damit die erfolgreiche Anwendung der getroffenen entscheidungen sicher gestellt sei.

Der Neorealist John Mearsheimer (chicago) offerierte eine andere Perspektive. Die USA werden seiner Meinung nach auf lange Sicht der mächtigste Akteur im internatio-nalen System bleiben und es dadurch weiter prägen. Der hauptgrund hierfür sei demo-graphischer Natur. Die immense Machtfülle hat dazu geführt, dass Amerika sich nicht durch das Potential anderer Akteure disziplinieren lässt. Es denkt häufig, es könne tun, was immer es möchte, so Mearsheimer, und wird seine eigenen interessen auch unilateral verfolgen. Ganz anders im Kalten Krieg: Durch die bipolare Systemkonkurrenz mit der Sowjetunion war die Fehlertoleranz für die USA klein, jede Fehlentscheidung hätte weit-reichende Folgen haben können. Deshalb gingen die USA zu der Zeit auch strategischer und umsichtiger vor. heute dagegen ist selbst das Debakel im irak und in Afghanistan zwar teuer – im Sinne hoher monetärer Kosten und verlorener Menschenleben – aber praktisch irrelevant für die relative Überlegenheit der USA im globalen Mächtegleichgewicht.

Mearsheimer hegte Zweifel daran, dass die USA ihre Führungsrolle in der Welt klug ausfüllen werden. Neben den benannten strukturellen Gründen sprächen auch politische Gründe dagegen, wie z.B. die Überzeugung eines Großteils der politischen elite, dass die USA das recht haben, die Welt nach ihren Vorstellungen zu formen. Während hierüber in den USA weitgehender Konsens bestehe, gäbe es aber eine politische Spaltung im Land über die konkrete Ausgestaltung der überambitionierten außenpolitischen Agenda. Die Diskussion über die richtige Strategie sei vielfach ideologisiert und umstritten, ein rationaler Diskurs kaum möglich.

Mearsheimers eindruckvolle Analyse der strukturellen amerikanischen Stärke blieb nicht unwidersprochen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike reisach hegte deut-

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liche Zweifel an der künftigen wirtschaftlichen Vormachtstellung der USA angesichts der Finanzkrise. im ergebnis bestand aber einigkeit darüber, dass kein anderes Land in naher Zukunft die Position der USA einnehmen werde. Gleichwohl müsse der Westen sich darauf einstellen, dass die aufstrebenden BRIC-Staaten weiter an Einfluss gewinnen – der Westen werde den relativen Verlust an Gestaltungsfähigkeit nicht mehr abwenden können.