7
(Aus dem Gerichtsgrztlichen Institu~ der Universit~tt t~reslau. Direktor: Prof. Dr. Karl Reuter.) Die Ha~tung. des Arztes fiir Fehlgutachten ~. Von 1)rofl Dr. Georg Strassmann~ Breslau. Unter grztliehen Fehlgutaehten sind keine Gutaehten zu verstehen, bei denen mehrere Saohverstgndige ein verschieden lautendes Gut- achten abgeben, weil es sieh mn Dinge handelt, die einer verschiedenen Beurteilung unterliegen kSnnen. Fehlgutaehten sind vielmehr Mle jene grztlichen Gutaehten, Zeugnisse und Atteste, bei denen die naehtrgg- liehe Untersuchung des Lebenden oder der Leiehe, die Vornahme erggnzender Untersuehungen physikaliseher, mikroskopiseher, ohemi- sober, bakteriologiseher oder sonstiger Art, bei denen der weitere Krank- heitsverlanf, die Umstgnde des Falles oder neue medizinische Erkennt- nism6glichkeiten mit Sieherheit beweisen, dal~ das zuerst abgegebene Gutaehten falseh war. Jeder grztliehe Gutaehter kann sieh in der Dia- gnose irren, auoh wenn er noch so gewissenhaft die notwendigen Unter- suehungen vorgenommen hat. Daher sind aueh glfieklieherweise die M6gliehkeiten, einen Arzt fiir ein Fehlgutachten haftbar zu maehen, naeh den geltenden strafreehtliohen und zivilreohtliehen Bestimmungen gering. Aueh naeh dem Straigesetzentwurf wird eine ttaftbarmaehung des Arztes fiir ein solehes Fehlgutaehten nut in den seltensten Fiille,1 m~Sglieh sein. Wiirde dies erleichtert, so hgtten gerade die Geriehts- grzte eine Verfolgung in h6herem Mal~e zu befiirehten air es bisher ge- sohieht dutch alle jene Personen, die sie begutaehtet haben, und die duroh dieses Gutaohten eine Seh~digung in irgendeiner ttinsieht erlitten zu haben glanben. Sehon jetzt kommt es gelegentlich zu Strafanzeigen wegen Meineids, zur Androhung yon Zivilprozessen wegen Sohaden- ersatzforderung, die dem Gu{aehter Kosten verursachen und Arbeits- zeit rauben k6nnen. Doeh werden im Mlgemeinen derartige Anzeiger, nieht verfolgt, da ihre Aussiehtslosigkeit yon vornherein klar ist, ebenso wie die Bewilligung des Armenreehts oder die Durehfiihrnng des 1)ro- zesses wegen Zweifel an der Prozei3fghigkeit des Anzeigenden nichlb erfolgt, da dem Gerioht meist klar ist oder wird, dal~ es sieh um geisteskranke 1 u gehalten gut der 18. Tagung der Dtsch. Ges. geriehtl. Med. irt Heidelberg, September 1929.

Die Haftung. des Arztes für Fehlgutachten

Embed Size (px)

Citation preview

(Aus dem Gerichtsgrztlichen Institu~ der Universit~tt t~reslau. Direktor: Prof. Dr. Karl Reuter.)

Die Ha~tung. des Arztes fiir Fehlgutachten ~. Von

1)rofl Dr. Georg Strassmann~ Breslau.

Unter grztliehen Fehlgutaehten sind keine Gutaehten zu verstehen, bei denen mehrere Saohverstgndige ein verschieden lautendes Gut- achten abgeben, weil es sieh mn Dinge handelt, die einer verschiedenen Beurteilung unterliegen kSnnen. Fehlgutaehten sind vielmehr Mle jene grztlichen Gutaehten, Zeugnisse und Atteste, bei denen die naehtrgg- liehe Untersuchung des Lebenden oder der Leiehe, die Vornahme erggnzender Untersuehungen physikaliseher, mikroskopiseher, ohemi- sober, bakteriologiseher oder sonstiger Art, bei denen der weitere Krank- heitsverlanf, die Umstgnde des Falles oder neue medizinische Erkennt- nism6glichkeiten mit Sieherheit beweisen, dal~ das zuerst abgegebene Gutaehten falseh war. Jeder grztliehe Gutaehter kann sieh in der Dia- gnose irren, auoh wenn er noch so gewissenhaft die notwendigen Unter- suehungen vorgenommen hat. Daher sind aueh glfieklieherweise die M6gliehkeiten, einen Arzt fiir ein Fehlgutachten haftbar zu maehen, naeh den geltenden strafreehtliohen und zivilreohtliehen Bestimmungen gering. Aueh naeh dem Straigesetzentwurf wird eine t taf tbarmaehung des Arztes fiir ein solehes Fehlgutaehten nut in den seltensten Fiille,1 m~Sglieh sein. Wiirde dies erleichtert, so hgtten gerade die Geriehts- grzte eine Verfolgung in h6herem Mal~e zu befiirehten air es bisher ge- sohieht dutch alle jene Personen, die sie begutaehtet haben, und die duroh dieses Gutaohten eine Seh~digung in irgendeiner t t insieht erlitten zu haben glanben. Sehon jetzt kommt es gelegentlich zu Strafanzeigen wegen Meineids, zur Androhung yon Zivilprozessen wegen Sohaden- ersatzforderung, die dem Gu{aehter Kosten verursachen und Arbeits- zeit rauben k6nnen. Doeh werden im Mlgemeinen derartige Anzeiger, nieht verfolgt, da ihre Aussiehtslosigkeit yon vornherein klar ist, ebenso wie die Bewilligung des Armenreehts oder die Durehfiihrnng des 1)ro- zesses wegen Zweifel an der Prozei3fghigkeit des Anzeigenden nichlb erfolgt, da dem Gerioht meist klar ist oder wird, dal~ es sieh um geisteskranke

1 u gehalten gut der 18. Tagung der Dtsch. Ges. geriehtl. Med. irt Heidelberg, September 1929.

G. Strassmann: Die Haftung des Arztes fiir Fehlgutachten. 599

Personen oder um v611ig aus der Luft gegriffene unriehtige Behaup- ~ungen und Anzeigen handelt. Ausnahmen, bei denen trotzdem Sehaden- ersatzprozesse gegen Sachverstgndige durehgefiihrt wurden, sind vor- gekommen.

Naeh dem geltenden Reeht ist die Verfolgung tines Arztes wegen eines Fehlgutachtens im allgemeinen nur auf Grund des w 478 StGB. mSglieh, wonaeh der Arzt bestraft wird, der wider besseres Wissen ein unrichtiges Zeugnis fiber den Gesundheitszustand einer Person zum Gebraueh bei einer BehSrde oder Versieherungsgesellschaft aus- steltt.

Der w 213 des StGB. erweitert diese Bestimmung. Darnach werden bestraft diejenigen, die bei berufsmgf3iger Ausfibung der tteil- kunde, Geburtshilfe oder Leichensehau wissentlich ein unriehtiges Zeugnis zum Gebraueh im l~echtsverkehr ausstellen. Aueh im neuen Strafgesetz wird nur die vorsgtzliehe Ausstellung eines unriehtigen ~rztliehen Zeugnisses strafbar skin, nicht die fahrl~ssige. Denn naeh der Begriindung des Entwurfes ist der Arzt nicht strafbar, wenn er an seine Diagnose glaubt, aber mit der M6gliehkeit eines Irrtums reehnet. Eine Strafverfolgung wegen Begfinstigung wird nur dann erfolgen kSn- nen, wenn das /~rztliche Zeugnis zu dem Zweek ausgestellt worden ist, um den Tgter der Strafverfolgung zu entziehen. Auch wegen Betrugs oder Meineids kSnnte eine Verfolgung nur durchgeffihrt werden, wenn absichtlieh ein falsehes Gutachten abgegeben wurde. Dieser Nachweis ist bei Fehlgutaehten im allgemeinen nicht zu fiihren, so dal~ auf Grund des w 478 oder anf Grund anderer Bestimmungen eine ]~estrafung des Arztes kaum erfolgen kann, aueh wohl kaum jemals erfolgt ist. Eher w~re eine zivilrechtliche Haftung mSglich, d~ hier auch ftir die Folgen einer fahrlgssigen Fehlbegutachtung und den daraus entstehenden Schaden der Arzt haftbar gemacht werden kSnnte. Die Durchfechtung dieser Ansprfiche erfolgt auf Grund des w 823, gelegentlieh des w 824 BGB. ,,Wer vors~tzlieh oder fahrlgssig das Leben, den KSrper, die Gesundheit, die FreiJaeit, das Eigentum oder ein sonstiges Reeht eines anderen widerreehtlieh verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Sehadens verpfliehtet". Iqaeh w 824 ist ,,derjenige, wer der Wahrheit zuwider eine Tatsache behauptet oder verbreitet, die geeignet ist, den Kredit eines andern zu gef~hrden, oder sonstige Naehtefle ffir seinen Erwerb oder skin Fortkommen herbeizufiihren, zum Ersatz des dem anderen entstandenen Schadens verpfliehtet, wenn er dig Un- wahrheit der Behauptung kennen mul~."

Ein Tell der Fehlbegutaehtungen erklgrt sich aus dem Mangel ~n Kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen. Das gilt insbesondere ffir die Begutaehtung tier Verhandlungs-, Termins- und Haftf~higkeit. Allerdings ist kS schwer, den guten Glauben dem Arzt zuzubilligen,

600 G. Strassmann :

der cinem AngekI~gten oder Zeugen cine Krankheit bescheinigt, die den Kranken ans Bert fesselt, wenn der Arzt den Kranken nieht in seiner Wohnung aufgesueht, sondern diesor ihn in der Sprechstnnde besucht hat, und wenn der Gerichtsarzt bei der unvermuteton Nach- priifung auf gericht]iches Ersuchen den bettl~gerig Kranken, wie das wiedorholt vorgekommen ist, nieht zu I-Iause antrifft. Bei der Beschei- nigung der ttaftunf~higkeit werden ebenso wie bei der Annahmo dor Vorhandlungsnnf~higkeit leichte Krankheitszust~nde, insbesondere neu- msthenische Erscheinungen, subjektive Beschwerdsn, allzu hoch be- wetter, well nicht bok~nnt ist, dab im Mlgemeinon nur schworste lebens- gef~hrliehe Erkr~nkungen, Geisteskrankhsiten oder jene k6rperliehen Erkrsnkungen, die sich in einem Gefgngnis nicht s~chgem~tB behgndeln lassen, v o n d e r Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausschliegen. Wemx eine Haftentlassung auf Grund sines grztlichon Attestes erfolgt nnd der Verurteilte trotz dsr angeblichen I-Iaftunfghigkeit neue Str~ftaten begeht, wird m~n den Arzt kaum d~fiir verantwortlich mgchen k6nnen, wenn ihm nicht grebe F~hrlassigkeit bei der ]~enrteilung naehgewiesen werden k~nn und ebensowenig ist das Umgekehrte m6glieh, wonn jemand Ms haftfghig erkl~rt, im Gof~ngnis stirbt, well die Kr~nkheit nieht erkannt worden ist. Itior kann h6chstens im Disziplinarwego gegell den Arzt vorgogangen werden, falls nicht ein Kunstfehler vorliegt. Abet aneh, wenn ein richterliches Urteil im Straf- oder Zivilvorfahren auf Grund einos f~lschen arztlichen Gutachtens erfolgt ist, kann dsr Vet- urteiIte doeh niemals den Arzt daffir haftbar machon, d~ jg der Richter an oin ~rztliches Gntachten nieht gebunden ist, sondern nach freiem Ermessen nrteilt. So wird auch der auf Grund eines Fehlgut- uchtens Vernrteilte zwar, wenn or im Wiederaufnuhmeverfahren frei- gesprochen wird, oder wenn er unschuldig in Untersuchungshaft ge- nomraen worden war, eine Entsch~digung veto Staat verlangen k6nnen, den ~rztlichen Gut~chter wird sr, selbst wenn dieser ein Fehlgntachten ~bgegeben hat, das er nieht h~tte abgeben diirfen, zu einer Sch~den- orsatzforderung kaum hergnziehen kSnnen, da fiir alas Urteil nicht der Saehverst~ndige, sondern der Richter vergntwortlich ist. Wghrend his- her iiberhaupt keine M6gliehkeit gegeben w~r, den Arzt fiir die fatsche Ausstellung des Totenseheins in irgendeiner Weise strafrochtlieh zu bel~ngen und daher in dieser I-Iinsieht gerade grebe Irrt~imer h~ufig begangen wurden, gibt theoretisch der w 213 des StGB eins so]the Vor- lolgungsmSglichkoit. Aber such das none Strafgesetz verlangt den Nachweis, dag der Totenschein wissentlich unrichtig ausgestellt worden ist. Es wird sich aber auch in Zukunft ein solcher Nachweis, der zu einer Strafverfolgung n6tig ist, kaum erbringen lassen. Dabei worden dis Totenscheine vielfach in einer Woise ausgestollt, wie man sie nur als grob-f~hrl~ssig bezeichnsn kann. Stgtt dag an Stelle des nichts-

Die Haftung des Arztes fiir Fehlgutachten. 601

sagenden Ausdrueks: , , tIerzschl~g", der allzu beliebt ist, der Arzt, der zu einem Verstorbenen gerufen wird, Todesursache unbekann t herein- schriebe! Aufkl~rung yon Straft~ten, Durchf i ihrung bereehtigter Schadenersatzanspri iehe oder versicherungsreehtlieher Forderungen kann gerade dureh diese nichtssagende Diagnose , ,Herzsehlag" ersehwert oder un te rbunden werden.

So wurde in einem mit~ Pietrusky zusammen sezierten Falle bei einem auf dem Bahnhof plStzlich verstorbenen ~anne ,,HerzscMag" diagnostiziert, wahrend es sich um eine Cyankaliumvergiftung handelte.

Bei einem elektrischen Todesfall wurde gleichfalls diese Diagnose gestellt und die Strommarke fibersehen.

Bei einer jungen Frau, die in der Wohnung einer Bekannten pl6tzlich ver- starb, s tellte der hinzugerufene Arzt Tod durch Herzschlag test, w~hrend es sich um eine Luftembolie infolge krimineller Fruchtabtreibung handelte.

'Bei einem mit Dr. Schmidt jtingst sezierten Fall war gleichfalls Herzschlag diagnostiziert. Als Todesursache ergab die Sektion einen Sch~delbruch mit aus- gedehnter subduraler Blutung und starken Blutungen in die IIirnrinde, Ver- letzungen, die durch einen Sturz auf das tIinterhaupt erzeugt waren. Wiederholt wurden Sch~tdelbriiche mit epiduralen Blutergiissen oder Apoplexien als Alkohol- vergiftungen angesehen, die Betreffenden angeblich betrunken auf die Polizei einge]iefert, wo sie am n~chsten Tage tot aufgefunden wurden. J~rztliche Diag- nose: Alkoholvergiftung. Sektion: Sch~delbruch mit entsprechender Blutung in die Sch~delhOhle.

Bei einem yon Prof. Reuter und mir sezierten Fall hatte der Arzt ,,Herz- l~hmung" bei Gallensteinkolik im Totenschein vermerkt, wahrend es sich um eine tSdliche Vergiftung mi~ konzentrierter Schwefelsaure handelte. - - Auch in F~llen yon Erhgngungstod wird tterzschlag diagnostiziert und die Strangmarke iibersehen, die ers~ bei der amts/~rztlichen Besichtigung ftir die Feuerbestattung entdeckt wurde, wodurch die Kls der Todesursache mSgIich war (F. Strass- mann). Derartige F~lle lassen sich leicht in grSBerer Zahl anftihren.

Bei Todesf~tl]en info]ge kriminellen Aborts wird oft absichtlieh - - und zwar aus ethiseh durehaus verstgndl ichen Grfinden - - in der Rubr ik : Grundkrankhei t die Bezeichnung , ,Abort" fortgelassen und s~att dessen die harmlose Bezeiehnung: Lungenentzi indung, Bauchfell- entziindung, Unterleibsleiden gew~hl~, die an sich richtig ist und daher selbst nach Einff ihrung des neuen Strafgesetzbnchs keine strafreeht- fiche Verfo]gung des Arztes nach sich ziehen kann. Und doch wird durch solehes absichthches Weglassen der Grundkrankhei t die Verfolgung krimineller Abtreibungsfhlle erhebheh ersehwert.

Bei der Durchsieht yon Obdukt ionsprotokol len f~]lt immer wieder auf, mi t welcher Bes t immthei t aus Befunden Sehliisse ant eine gewalt- same TStung gezogen werden, die sieh bei den verschiedensten natiir- lichen Todesar ten linden. Dies gilt insbesondere fiir den Befund der sub- serSsen Ecehymosen bei Neugeborenen oder S~uglingen, die aueh, wenn ein nati irhcher Tod infolge Bronchit is oder Lungenentz i indung vorliegt, als Zeichen der gewaltsamen Ers t ickung angesehen werden, ebenso wie aus der gelbliehen Besehaffenheit des Kindsl0echs bei

602 G. Strassmann :

faulen Leichen Neugeborener die unrichtige Schhgfolgerung gezogen wird, dem Kind sei Milchnahrung zugefiihrt worden.

Kohlenoxydvergiftungen werden immer noeh zu wenig erkannt und stat t dessert an andere Vergiftungen gedacht, obwohl naeh der ganzen Sachlage yon vornherein, insbesondere welm mehrere Personen in dem- selben l~aum erkrankten, nnr eine Kohlenoxydvergiitung in Betracht kommen konnte.

Bei allen gewaltsamen Todesarten kommen dnrch mangelhafte ge- richtsgrztliche Erfahrung Fehlgutaeh~en vor, die leicht zu einer Ver- urteilung eines Unschnldigen fiihren k6nnen, zumal wenn die mangelnde Erfahrung dutch die Bestimmtheit verdeckt wird, mit der das Cu~aehten abgegeben und besehworen wnrde.

Wenn bei einer Schu~verletzung die Platzwnnde in der Stirn far eine Schnittverletzung gehalten wird, weft die Kugel yon den Obdu- zenten nieht gefunden wurde, obwohl sie bei der Nachuntersuehung im Hinterhauptsknoehen steckte und die Frau des Erschossenen des- halb nnter Mordverdaeht in Untersuchungshaft genommen wird, so muB dieses grztliche Gutaehten, das dahin lautete, ,,die Kugel sei aus der Stirnwunde herausgeschnitten worden", wohi als grob fahrlgssig angesehen werden, da das f3bersehen der Kugel nut dadureh m6glich war, dab die Dura nicht vom Sehgdelgrunde abgezogen wnrde.

Aueh in dem Falle 1~I. 1 ist eine Verurteilnng zum Tode anf Grnnd eines unrichtigen ~rztliehen GuLaehtens erfolgt, wobei die Platzwunde in der Kleidung und Brust vorn f~lsehlieherweise fiir die Aussehug- 6ffnung gehalten wurde, obwohl es sieh offenbar um eine Platzwunde dutch Sehu8 mit aufgesetzter Waffe handelte, aus der irrigen Meinung heraus, der Anssehug miiBte stets gr68er sein als der EinsehuB. Dabei waren weder auf Pulver, noeh auf Kleidungsfasern die SchuglSeher der Kleidung oder Haut nntersucht worden.

Nieht viel seltener sind die Fehlbegutaehtungen am Lebenden, die abet nieht derartige Folgeerseheinungen naeh sieh ziehen, wie es die Verur~eilung eines Unsehuldigen auf Grnnd eines Fehlgutaehtens ist. Immer noch werden ohne Aktenkenntnis Atteste tiber die geistige Ge- sundheit eines Mensehen ausgestellt, aueh wenn es sieh um geistig kranke querulatorisehe paranoide Pers6nliehkeiten handelt, die dieses Attest, das die geistige Gesundheit beseheinigt, nun in ihren Prozessen als Gegengutaehten verwenden.

Als ti'ehlgutaehten mul3 ieh es aueh ansehen, wenn der Vertrauens- arzt einer Versiehernngsgesellsehaft einen Uiffallverletzten, ohne ihn je untersueht zu haben, auf Grund des Akteninhal~s als t~enten- neurotiker mit Begehrungsvorstellungen hinstellt, obwohl bei dem Un- fall ein Seh~delbrueh entstand, der sieh noeh im R/Sntgenbild naeh-

Dtsch. Z. gerichtl. Ned. 14, H. 1 (1929).

Die Haftung des Arztes fiir Fehlgutachten. 603

weisen lieB, und obwoh] alle Nervenarzte die organischen Grundlagen der Verletzungsfolgen anerkannten. In den Akten der Versicherungs- gesellschaft land sieh auBerdem folgender bezeichnender Vermerk des Vertrauensarztes, ,,der lqervenarzt Prof. S. wird in seinen Gutachten immer ungfinstiger, gibt 'es nieht einen geeigneten Neurosenfacharzt in L.?".

DaB Hymenalkerben mit Verletzungen dutch geschleehtliche Gewalt- akte verwechselt werden, ist uns bei kleinen Madehen, bei denen wohl eine ~nzfichtige Berfihrung, niemals aber naeh dem Aussehen des virginellen Hymens ein vo]lendeter Beischlaf stattgefunden haben konnte, mehrfaeh begegnet. - - Ebenso wie es a]s unriehtig ange- sehen wird und Anzeigen wegen Freiheitsberaubung zur Folge haben kann, wenn ein Arzt einen Kranken, ohne ihn se]bst untersucht zu haben, nur auf Grund der Angaben der Angeh6rigen als gemeingefahr- lieh geisteskrank in eine Irrenanstalt unterbringen laBt, ebensowenig sollte es zulassig sein, Gutachten fiber Personen ohne Untersuehung abzugeben, sei es fiber den Geisteszustand, sei es fiber Unfallfolgen, wenn die MSglichkeit besteht, diese zu untersuehen, wobei yon jenen Fallen abgesehen wird, we die Betreffenden sieh der Untersuchung entziehen.

Nicht a]s Fehlgutachten kSimen jene Gutachten angesehen werden, die der Wandel mediziniseher Anschauung sp~ter als vie]leieht irrtfim- lich abgegeben naehweist. Feh]gutachten sind nur objektiv unrichtige Gutachten, deren Unriehtigkeit dureh Tatsachen bewiesen wird. Fehl- gutachten kSnnen auch dadureh zustandekommen, daB Untersuchungs- objekte oder auch die zu untersuehenden Personen verweehse]t werden. DaB der Gutachter absiehtlieh fiber PersSnliohkeiten bei der Unter- suehung getauscht wird und getauscht werden kann, darauf hat H. Fischer hingewiesen. Bei den Blutgruppenuntersuchungen werden besondere Anforderungen an die Feststellung der Ident i ta t der Beteilig- ten geste]lt. Auch hier sind Fehlgu~aehten vorgekommen, sei es dutch mangelhafte Technik, sei es dutch Verweehslung der Untersuchungs- objekte, was bei einer groBen Zahl gleiehzeitig vorgenommener Unter- suehungen vorkommen karm, die die Methode bei den Geriehten in MiBkredit brachten und zum Tell aueh die ablehnenden Urteile des 8. Zivilsenats des Kammergeriehts bedingten. Sollte wegen eines sol- ehen Irr tums der zur Alimentenzahlung Verurteilte oder der Berufs- vormund Schadenersatzansprfiche an den Gutachter ste]len wollen, so mfil~te er ihm die Fahrlassigkeit bei der Erstat tung des Gutaehtens nachweisen. Das wird ihm kaum jemals geHngen. DaB aber ein Arzt ffir ein Guthaben haftbar gemacht werden kann, erkennt man aus einer Mitteilung yon Jose/1, wonach ein Verletzter einen ProzeB wegen Un- fallfolgen anstrengte, da der behandelnde Arzt seine Erkrankung auf

x )~rztl. Sachverst.ztg 19~6, 327.

604 G. Strassmann: Die Haftung des Arztes fiir Fehlgutachten.

Unfallfolgen zuriiekffihrte und ihm ein entspreehendes Attest ausstellte. Die Anspriiche des Verletzten wurden abgewiesen, da die vernommenen Sachverst~ndigen dieses ~rztliche Zeugnis als leichtsinnig und sehuld- haft unriehtig ausgestellt erkl~rten. Der Verletzte machte den Arzt sehadenersatzpflichtig fiir die ihm entstandenen Prozel~kosten.

Jeder Geriehtsarzt mit gr61~erer Erfahrung wird F~lle yon Fehl- gutachten, yon falsohen Attesten und Zeugnissen kennen, die sieh bei grttndlieher Bearbeitung und gr6f~erer Sachkenntnis hgtten vermeiden lassen. Eine straf- und zivilrechtliche Haftung des grztlichen Gutachters fiir solche Fehlgutachten, selbst wenn sic erheblichen 8chaden gestiftet haben, ist nach geltendem Recht im 8traf- oder Zivilverfahren selten mSglieh, wird es aueh im kiinftigen Strafrecht kaum sein. 8trafreeht- lich muff der Vorsatz, die absichtliche, wissentlieh falsche Ausstellung naehgewiesen werden, was praktisch nie mSglich sein wird, aber anch zivilreehtlich ist eine Haftung fiir Fehlgutaehten nur in ganz beschritnk- tern Umfange m6glieh, aueh bier mul~ das sehuldhafte Verhalten naeh- gewiesen werden, ein Naehweis, der dem Klgger, dem Verletzten nnd Begutaehteten kaum je gelingen wird. Durch eine Xnderung der straf- oder zivilreehtliehen Bestimmungen wird eine Vermeidung yon Fehl- gutaehten sich nieht erzielen lassen. Es ist auch eine solche Xnderung nieht zn empfehlen, da gerade der stiindig als Gutachter tgtige Ge- richtsarzt dann noch mehr Angriffen nnd Anfeindungen, 8trafanzeigen, zivilreehtlichen Fordernngen ausgesetzt sein wiirde als er es schon ist. Eine Besserung wird sich nut dadnrch erzielen lassen, dab die Gerichte in sehwierigen F~llen die richtigen Gutachter, erfahrene Gerichtsgrzte, zuziehen, und daG die Xrzte selbst fiber die MSglichkeiten gerichts~rzt- lieher Untersuehungen aufgekl~irt werden und yon sieh aus in schwierigen F~illen, insbesondere wenn es sieh um Obduktionen und die daran sieh anschliel~enden Untersuchnngen handelt, sieh an die geriehtsarztliehen Universit~tsinstitute wenden. Irrtiimer in der Diagnose werden ira- met vorkommen, solange Xrzte und Saehverst~ndige t~tig sind. Es liegt dies an dem begrenzten menschlichen Wissen und unseren begrenzten Untersuchungsmethoden, aber so grebe Irrtiimer, wie die erwiihnten, die bei Ausstellung der Totenscheine und bei der Beurteilnng yon Sek- tionsergebnissen vorkamen, mii~ten sich doeh vermeiden oder wenig- stens auf ein ertrggliches MaG zurfickschrauben lassen.