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Die Höhle der Berserker

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Nr. 351

Die Höhle der Berserker

Der Dimensionswanderer in einemfremden Körper

von H. G. Francis

Pthor, das Stück von Atlantis, dessen Horden Terra überfallen sollten, hat sichlängst wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Konti-nent des Schreckens urplötzlich materialisiert war.

Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdingsnicht, Pthor vor dem Start zu verlassen. Der ungebetene Besucher ging wieder aufeine Reise, von der niemand ahnt, wo sie eines Tages enden soll.

Doch nicht für lange! Denn der überraschende Zusammenstoß im Nichts führte da-zu, daß der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor sich nicht länger im Hyperraum haltenkonnte, sondern zur Rückkehr in das normale Raum-Zeit-Kontinuum gezwungenwurde.

Und so geschieht es, daß Pthor auf dem Planeten der Brangeln niedergeht, nach-dem der Kontinent eine Bahn der Vernichtung über die »Ebene der Krieger« gezo-gen hat.

Natürlich ist dieses Ereignis nicht unbemerkt geblieben. Sperco, der Tyrann derGalaxis Wolcion, schickt seine Diener aus, die die Fremden ausschalten sollen. Dar-auf widmet sich Atlan sofort dem Gegner. Um ihn näher kennenzulernen und seineMöglichkeiten auszuloten, begibt sich der Arkonide zu den Spercoiden.

Während nun Atlan im All und auf fremden Welten seine gefährlichen Abenteuerbesteht, ist nicht nur der seltsame Kundschafter mit seiner noch seltsameren, exoti-schen Begleiterin auf der Suche nach Atlan befindlich, sondern auch USO-SpezialistSinclair Marout Kennon, der zuletzt als Lebo Axton eine wichtige Rolle im Kampf ge-gen Orbanaschol spielte.

Nach dem Sturz des Usurpators beginnt Axton-Kennon seine Odyssee durch Zeitund Raum, die ihn schließlich in Atlans Nähe führt. Der USO-Agent materialisiert in

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einem fremden Körper und gelangt in DIE HÖHLE DER BERSERKER …

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Die Hautpersonen des Romans:S. M. Kennon alias Lebo Axton - Der Dimensionswanderer auf Atlans Spur.Tirque - Axtons Gefährte auf dem Planeten Yamolquoht.Caidon-Rov - Neuer Herr der Feste Grool.Grizzard - Ein ehemaliger Schläfer wird übernommen.Orzmoran - Anführer der Berserker von Kelschostra.Razamon und Kolphyr - Atlans Freunde begegnen Berserkern.

1.

Sinclair Marout Kennon kämpfte verzwei-felt um seine Existenz. Er trieb im hype-renergetischen Strom durch die Dimensions-korridore, ohne irgendwo Halt zu findenoder sich ausreichend orientieren zu können.

Hin und wieder empfing er hyperdimen-sionale Impulse, von denen er glaubte, daßsie von dem Zellaktivator Atlans stammten.Er war sich jedoch nicht darüber klar, ob siewirklich von dem Arkoniden kamen, oderob er sich das nur einbildete.

Er fühlte, daß die übergeordneten Energi-en ihn in zunehmendem Maße beherrschten.Während er sich zu Anfang noch relativleicht aus ihnen befreien konnte, zeigte sichnun, daß es ihm immer schwerer wurde, sichin materialisierter Form zu erhalten.

Er dachte an Tirque.Den Einsamen hatte er mit dem Sand-

wurm alleingelassen. Das war durchausnicht seine Absicht gewesen. Er hatte beiihm bleiben wollen, weil er sich dessen be-wußt war, daß der fluchtartige Aufbruch ausder Oase Simquerz Tirque als Schuldge-ständnis ausgelegt werden konnte. Und derEinsame war zu schlicht von Gemüt, umsich gegen solche Verdächtigungen wehrenzu können.

Daher konzentrierte sich Axton-Kennonimmer wieder auf Tirque, weil er hoffte, mitparamentalen Energien die hyperenergeti-sche Dimensionsschranke durchbrechen undzu dem Einsamen zurückkehren zu können.

Ohne daß er sagen konnte, wie lange sei-ne Anstrengungen gedauert hatten, erreichteer sein Ziel. Er materialisierte auf demRücken des Sandwurms bei Tirque, dem

einsamen Reiter von Yamolquoht. Der Ha-gere wandte ihm den Rücken zu. Er bemerk-te ihn nicht. Doch Zaquetel, der Sandwurm,reagierte.

Er schnaufte und wühlte sich halb in denSand, so daß nur noch die obere Rundungseines etwa zehn Meter langen Rückens dar-aus hervorsah.

Axton-Kennon wollte etwas sagen, aberer brachte keinen Laut über die Lippen.Noch hatte sich sein Körper nicht ausrei-chend stabilisiert.

»Zaquetel, was ist denn?« rief Tirquejammernd. »Warum läßt du mich im Stich?Es ist doch nicht mehr weit bis Querzkont.«

Axton hob seine Hände und sah, daß sietransparent waren. Er fühlte einen starkenSog, der ihn in die Unendlichkeit zurückzie-hen wollte. Er konzentrierte sich auf seineMaterialisation, bis es ihm endlich gelang,die drohende Verflüchtigung abzuwenden.

Er schlug die Augen auf.Tirque kauerte dicht vor ihm und musterte

ihn erstaunt.»Wenn du dich entschlossen hast, hierzu-

bleiben, sage es mir, bitte«, forderte er. »Ichfinde dein Benehmen etwas ungewöhnlich.«

Axton-Kennon seufzte.»War ich lange weg, Tirque?« fragte er,

mühsam formulierend, da er die Sprache desanderen nur unzureichend beherrschte.

»Das will ich meinen«, antwortete derEinsame. »Acht Wochen bin ich allein durchdie Wüste gezogen. Zwölf Oasen habe ichbesucht und befriedet. Alle Menschen aufYamolquoht sind glücklich. Die Kunde vonmeinen Heldentaten in der Oase Simquerzeilt mir voraus. Überall werde ich mit offe-nen Armen empfangen.«

»Das glaube ich dir«, sagte Axton mit un-

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bewegtem Gesicht. Er stand Tirque mit ge-mischten Gefühlen gegenüber. Auf der einenSeite tat er ihm leid, weil er so naiv war, daßer bei all seinem Eifer nicht merkte, daß ihnniemand ernst nahm. Man ließ ihn schaltenund walten und machte doch, was man woll-te, sobald er weitergezogen war.

Auf der anderen Seite bewunderte er Tir-que auch, weil dieser unbeirrbar war undüberall versuchte, Ordnung zu schaffen. Erschien der einzige auf diesem Planeten zusein, der sich überhaupt Gedanken über dieAnforderungen des gesellschaftlichen Zu-sammenlebens machte.

Jetzt hatte Axton Angst. Er fürchtete, daßder Waffenproduzent der Oase Simquerzsich rächen würde. Daher machte er sichVorwürfe, weil er Tirque nicht rechtzeitiggenügend abgesichert hatte.

»Ich bleibe«, erklärte Axton. »Und wieich hoffe, auch für einige Zeit.«

»Was soll das heißen?« fragte der Einsa-me. »Kannst du mir keine klare Auskunftgeben?«

»Das würde ich gern tun, aber ich kann esnicht.« Axton lächelte flüchtig. »Hin undwieder reißt es mich fort. Ich kann nichts da-gegen tun.«

Tirque nickte, als habe er nichts andereserwartet.

»Das ist mein Schicksal«, sagte er. »Ichbin der einzig Vollkommene von Yamol-quoht. Warum kann es nicht auch andereVollkommene geben? Kannst du mir das sa-gen?«

»Ich wünschte, ich könnte es«, entgegneteder Verwachsene. Er blickte an Tirque vor-bei. In einer Entfernung von etwa einem Ki-lometer hoben sich sieben weiße Türme ausder Wüste. Axton schätzte, daß sie etwahundert Meter hoch waren. Sie wuchsen ausdem dichten Grün einer Oase empor. »Wosind wir?«

Tirque deutete mit dem Daumen über dieSchulter auf die Türme.

»Das ist Querzkont«, erklärte er. »Meinnächstes Ziel. Ich weiß nun, daß die Waffen,die in Simquerz gebaut werden, von hier aus

zu anderen Planeten gebracht werden. Dortverbreiten sie Tod und Verderben. Es ist al-so meine Aufgabe, die vier Raumschiffe zuvernichten, die es in Querzkont gibt.«

»Wie willst du das erreichen?« fragte Ax-ton erschrocken. Tirque ahnte nicht, daß ersich auf ein lebensgefährliches Abenteuereinlassen wollte. Wenn man ihn verdächtig-te, an der Zerstörung der Anlagen von Sim-querz beteiligt gewesen zu sein, dann war zubefürchten, daß die Herrscher von Querz-kont ihn kurzerhand umbrachten, sobald ersich in der Oase blicken ließ.

Der Einsame richtete sich stolz auf.»Mit Zaquetels Hilfe werde ich die vier

Raumschiffe in Grund und Boden reiten«,erwiderte er. »Ich werde ihre zerbrechlichenHüllen mit dem Schwert zerschmettern. Siewerden zerplatzen wie Eierschalen.«

»Würdest du mir erlauben, dir zu helfen?«fragte der Verwachsene.

»Wie könntest du mir helfen?« Tirque lä-chelte mitleidig. »Du bist klein, schwachund verkrüppelt. Du bist noch nicht einmalin der Lage, ein Schwert zu heben.«

»Es würde mir genügen, wenn ich deinDiener sein darf«, erklärte der Terraner.

»Nun gut«, sagte der Hagere. »Du hastrecht. Es steht einem Edlen an, einen Dienerzu haben. Wir reiten nach Querzkont, unddu kommst mit.«

Er sprang auf und hieb dem Sandwurmdie Schwertspitze in die Haut. Zaquetelzuckte überrascht zusammen und schnelltesich so heftig aus dem Sand, daß Tirque undAxton fast heruntergefallen wären.

»Auf, auf«, schrie der Hagere. »SeineKaiserliche Majestät Querzkont von Querz-kont soll das Fürchten lernen. Tirque, derGerechte, kommt. Er wird die Werkzeugedes Bösen vernichten.«

Der Sandwurm schob sich mit schnellenBewegungen auf die Turmoase zu.

»Woher hat Querzkont eigentlich die vierRaumschiffe?« fragte Axton.

Tirque setzte sich wieder ihm gegenüber.»Ich weiß es nicht genau«, erwiderte er.

»Es heißt, daß sie ein Geschenk eines frem-

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den, mächtigen Volkes sind. Ich glaube abereher, daß er sie gestohlen hat. Man sagt vonihm, daß er einem Mächtigen für lange Zeitgedient hat. Auf einer anderen Welt. Vondort hat er die Raumschiffe mitgebracht.«

Er wandte Axton den Rücken zu und gabihm damit zu verstehen, daß er nicht mehrreden wollte. Der Terraner glaubte, sich zu-sammenreimen zu können, wie Querzkontzu den Raumschiffen gekommen war. Ervermutete, daß er einige Jahre als Söldnerbei einer raumfahrenden Macht gedient hat-te. Während dieser Zeit hatte er sich kosmo-nautische Kenntnisse erworben. Vielleichthatte er auch entdeckt, daß es Raumschiffs-depots gab, die unbewacht waren. Axtonwußte, daß auch das Solare Imperium solcheDepots auf unbewohnten Planeten angelegthatte. Die Absicht dabei war, das militäri-sche Abwehrmaterial zu dezentralisieren,damit es im Angriffsfall nicht mit einemSchlag vernichtet werden konnte.

Solche Depots waren grundsätzlich starkabgesichert, so daß sie nicht so ohne weite-res geplündert werden konnten. Dennoch er-gab sich grundsätzlich für einen Eingeweih-ten die Möglichkeit, aus ihnen Material zuentwenden.

Axton konnte sich nicht vorstellen, daßQuerzkont auf anderem Wege zu vier Raum-schiffen gekommen war. Er hielt es für mög-lich, daß man ihm eines zu Belohnung ge-schenkt hatte, nicht aber vier.

Da Querzkont die Raumschiffe dazu be-nutzte, Vernichtungswaffen in Krisengebietezu bringen, die er selbst zusammen mit Sim-querz erst zu solchen Krisengebieten ge-macht hatte, hatte Axton keine moralischenBedenken, diese Raumschiffe zu vernichten.

Die Frage war nur, ob das überhaupt mög-lich war. Allein konnte Tirque es nichtschaffen, zumal er überhaupt keine Vorstel-lung davon hatte, was zu tun war, wenn manein Raumschiff an weiteren Starts hindernwollte.

Etwa zweihundert Meter von der Oaseentfernt, begann Zaquetel plötzlich, sich inden Boden zu wühlen. Tirque ergriff sein

Schwert und sprang ab. Axton folgte seinemBeispiel, da der Hagere keinen Versuchmachte, den Sandwurm von seinem Vorha-ben abzubringen. Innerhalb weniger Sekun-den verschwand der riesige Körper unterdem Sand. Nur noch die buschartigen Fühlerblickten heraus.

Tirque deutete wortlos auf einen ähnli-chen Busch in der Nähe. Damit war klar,weshalb Zaquetel sich weigerte, weiterzu-kriechen. Er hatte Gesellschaft gefunden.

Die beiden Männer schritten nebeneinan-der auf die Türme zu. Axton sah, daß unterden hochaufragenden Bäumen ein buntesTreiben herrschte. Die Klänge einer exoti-schen Musik wehten zu ihm herüber.

»Man feiert«, sagte er.»Es ist Frühling«, erklärte der Hagere.

»Man feiert den Beginn der wärmeren Jah-reszeit.«

Der Terraner fuhr sich mit dem Ärmelüber die schweißnasse Stirn. Er stöhnte.

»Da bin ich aber froh, daß ich jetzt hierbin«, entgegnete er. »Im Hochsommer ist esvermutlich zu heiß für mich.«

Tirque blickte prüfend auf ihn herab.»Du bist zu fett«, sagte er. »Das ist es.

Wenn du eine Idealfigur hättest, so wie ich,wäre alles anders.«

»Die habe ich leider nicht«, bemerkte Ax-ton. »Habe ich etwas zu beachten bei demFest? Du weißt, daß ich fremd hier bin undmich nicht besonders gut auskenne. Als deinDiener sollte ich die wichtigsten Regeln be-herrschen.«

»In den nächsten sieben Tagen gibt es nureinen Herrscher«, erläuterte Tirque. »Das istder Hohepriester. Querzkont verzichtet wäh-rend dieser Zeit auf seine Macht. Alles ande-re ist unwesentlich für dich. Mehr brauchstdu nicht zu wissen.«

»Woran erkenne ich den Priester?«»Er trägt rote Kleider und hat sich vom

Kopf bis zu den Füßen mit roter Farbe be-malt. Du kannst ihn nicht übersehen.«

Sie hatten die ersten Bäume der Oase er-reicht. Sie hatten eine gewisse Ähnlichkeitmit terranischen Palmen, doch überwucher-

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ten zahllose, winzige Bäume die Blätter, diesich über den schlanken Stämmen wölbten.

Axton sah den Priester schon wenig spä-ter. Er stand auf einem gezimmerten Podestund sang mit lauter Stimme vor einer Men-ge, die sich unter den Bäumen versammelthatte. Tirque schien sich nicht für ihn zu in-teressieren, denn er führte Axton an einemder Häuser vorbei zu einem freien Platz, dersich zwischen den Turmhäusern dehnte.

»Das sind die Maschinen des Bösen«, riefer und zeigte auf vier Raumschiffe, die aufdem Platz standen.

Es waren Raumer, wie Axton sie noch niezuvor gesehen hatte. Sie erinnerten in ihrerForm an die Schiffe der terranischen Wikin-ger der Frühzeit, hatten jedoch neben demeigentlichen Schiffsrumpf zwei Ausleger,über denen sich die tonnenförmigen Trieb-werke erhoben. An der Spitze des hoch auf-steigenden Bugs befanden sich mehrere An-tennen und Beobachtungssysteme.

Die Schiffe widersprachen in ihrem Auf-bau allen Tendenzen, die sonst beim Bauvon Raumschiffen verfolgt wurden. Axtonwar nicht in der Lage, sie irgendeinem derihm bekannten Völker zuzuordnen.

Männer und Frauen, die durch ihre far-benprächtige Kleidung auffielen, hieltensich zwischen den Raumschiffen auf, dievon bewaffneten Soldaten bewacht wurden.

»In diesen Tagen kommen Besucher ausallen Ländern hierher, um den Beginn derwärmeren Jahreszeit zu feiern«, erläuterteTirque mit zornbebender Stimme.»Querzkont scheut sich nicht, ihnen die Ma-schinen des Bösen zu zeigen. Er will mit ih-nen protzen.«

Axton sah sich um. Alle vier Raumschiffewaren gut abgesichert. Die Schleusen warengeschlossen. Davor standen jeweils vier oderfünf Soldaten mit schußbereiten Waffen. Eserschien ausgeschlossen, an diesen Wachenvorbei in die Schiffe zu kommen.

»Ist das immer so?« fragte Axton. »Ichmeine, werden die Maschinen des Bösen im-mer so gut bewacht?«

»Das war schon immer so«, bestätigte

Tirque. Er riß sein Schwert hoch und stießeinen gellenden Schrei aus. »Hier ist der Rä-cher der Betrogenen. Kämpft, wenn euch eu-er Leben lieb ist.«

Bevor Axton es verhindern konnte, rannteer los. Er stürzte sich mit erhobenemSchwert auf eines der Raumschiffe. Ver-blüfft beobachtete der Verwachsene, daß dieWachen zur Seite traten. Tirque schlug seinSchwert mit voller Wucht auf eines derTriebwerke, ohne allerdings Schaden anzu-richten. In der Metall-Kunststofflegierungzeigte sich noch nicht einmal ein Kratzer.

Die Zuschauer eilten aus allen Richtungenherbei, um sich den Kampf des Einsamengegen das Raumschiff nicht entgehen zu las-sen. Axton hörte ihre spöttischen Bemerkun-gen.

Tirque tat ihm leid.Am liebsten wäre er ihm in den Arm ge-

fallen, um ihn von seinem sinnlosen Tun ab-zuhalten. Er wußte jedoch, daß er damitnichts erreicht hätte. Tirque war davon über-zeugt, daß er das Böse vernichtete, undnichts konnte ihn von dieser Überzeugungabbringen.

Axton zog sich bis in die Nähe der ande-ren Raumschiffe zurück. Er hoffte, daß dieAchtsamkeit der Wachen nachlassen würde,doch er wurde enttäuscht. Die Soldaten stan-den schweigend vor den Raumern, hieltenlangläufige Schußwaffen in beiden Händenund ließen sich nicht ablenken.

»Verschwinde, Krüppel«, rief einer vonihnen, als er einem der Raumschiffe zu nahekam.

Axton blieb stehen, als habe er nichts ge-hört.

Der Soldat sprang förmlich auf ihn zu undtrat ihm mit dem Fuß gegen die Brust. Erschleuderte Axton weit zurück. Hilflosstürzte der Terraner in den Sand. Er war wiebetäubt. Minutenlang war er nicht in der La-ge, sich zu erheben. Der Soldat schien ihmdie Rippen zertrümmert zu haben.

Doch dann erholte er sich allmählich.Keiner der Zuschauer beachtete ihn, und

niemand kam auf den Gedanken, ihm zu hel-

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fen.Axton richtete sich mühsam auf. Er ging

auf den Soldaten zu, der ihn getreten hatte.Fünf Schritte von ihm entfernt blieb er ste-hen.

»Du wirst es nicht glauben«, sagte er mitkrächzender Stimme, »aber du wirst bereu-en, was du getan hast. Niemand macht so et-was mit mir, ohne dafür bezahlen zu müs-sen.«

Der Soldat lachte.»Verschwinde, Krüppel«, befahl er.

»Deine Faust fürchte ich nicht.«»Man muß nicht mit der Faust kämpfen,

man kann auch seinen Verstand gebrau-chen«, erwiderte der Terraner. »Damit er-reicht man meistens mehr.«

Der Soldat trat drohend auf ihn zu. Axtonwich zurück und flüchtete bis in die Nähedes Einsamen. Er stutzte, als er diesen sah.Tirque stand noch immer vor dem Raum-schiff. Er stützte sich jetzt jedoch auf denGriff seines Schwertes. Die Augenbrauenhatte er tief heruntergezogen. Mit finstererMiene blickte er auf einen Mann, der ebensodünn war wie er. Der Mann trug zerlumpteKleider, die seinen stark behaarten Körpernur dürftig bedeckten.

»Querzkont«, rief Tirque. »Du wagst esalso doch, in meine Nähe zu kommen?«

Axton glaubte, sich verhört zu haben. DerZerlumpte konnte unmöglich der mächtigsteMann des ganzen Planeten sein. Er konntenicht der Eigentümer der Raumschiffe sein,auf denen sich seine Macht aufbaute.

Der Zerlumpte sank vor Tirque auf dieKnie.

»Verzeih mir«, rief er. Seine Stimme warüberraschend dunkel und kraftvoll. »Nachdeinem letzten Besuch bei mir bin ich inmich gegangen.«

Die Zuschauer drängten sich um die bei-den Männer. Alle schienen nur auf diesesEreignis gewartet zu haben. Der Terranerhörte ihre Bemerkungen, und er hörte sie la-chen.

»Du hast mir bewußt gemacht, wievielBöses ich getan habe«, fuhr der Zerlumpte

fort. »Seitdem habe ich keine Minute mehrschlafen können. Die Raumschiffe sind nichtmehr gestartet. Ich finde keine Ruhe mehr,bis du mir verziehen hast.«

Die Zuschauer bogen sich vor Lachen,und Axton begriff endlich, daß Querzkontden Einsamen nur verhöhnte. Er machte sichüber ihn lustig, um die Besucher zu unter-halten. Tirque aber merkte nicht, daß Querz-kont ihn nicht ernst nahm. Würdevoll hob erdas Schwert, blickte einige Sekunden lang indie Sonne, senkte dann das Schwert auf denKopf des Zerlumpten herab und verkündetegerührt, daß er ihm verziehen habe.

Querzkont erhob sich, warf die Arme indie Höhe und jubelte. Die Zuschauer spen-deten ihm schreiend Beifall. Und Tirque lä-chelte glücklich. Er wähnte sich an seinemZiel.

Axton schämte sich für ihn. Er zog sichzurück bis an den Rand der Oase. Er setztesich in den Sand und dachte über das nach,was er erlebt hatte.

Tirque war ein gütiger Mensch. Er warzutiefst davon überzeugt, daß sein Friedens-zug sinnvoll war. Dabei merkte er nicht, daßdie Menschen des ganzen Planeten über ihnlachten.

Axton-Kennon stieß einen Fluch aus. Ermußte irgend etwas tun. Querzkont mußtebestraft werden für das, was er tat.

Er versuchte, einen Plan zu entwickeln.Bevor er sich jedoch ausreichend konzen-triert hatte, setzte plötzlich ein hyperenerge-tischer Sog ein. Axton-Kennon stemmte sichihm entgegen, richtete jedoch nichts gegenihn aus.

Er entmaterialisierte. Der Verflüchti-gungseffekt war wieder einmal stärker alser.

2.

Als Axton wieder körperlich wurde, erin-nerte er sich daran, deutliche Zellaktivator-Im-pulse empfangen zu haben. Er glaubte sogar,vorübergehend das Gesicht Atlans gesehenzu haben.

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Doch er konnte nicht darüber nachdenken.Tirque beugte sich über ihn und blickte

ihn prüfend an.»Ich habe auf dich gewartet«, sagte er.

»Ich wußte, daß du kommen würdest.«Der Terraner brauchte einige Sekunden,

bis er wieder wußte, wo er war.»Wieviel Zeit ist vergangen?« fragte er.»Ein paar Stunden nur. Es ist dunkel ge-

worden«, antwortete der Einsame. Er setztesich neben dem Verwachsenen in den Sandund seufzte. »Ich glaube, sie machen sichüber mich lustig.«

Axton fuhr verblüfft herum. Sollte derEinsame plötzlich wach geworden sein?

»Was ist geschehen?« fragte er.»Ich habe versucht, die Raumschiffe zu

zerstören«, erklärte Tirque mit überraschendklarer Stimme. »Es ist mir nicht gelungen.Nicht einmal Schrammen sind an den Schif-fen. Nur mein Schwert hat ein paar Schartenmehr.«

»Was willst du damit sagen?« fragte derVerwachsene. »Zweifelst du an dir selbst?«

»Ich habe nachgedacht«, gestand er. »Undmir ist etwas aufgefallen. Ich hätte die Waf-fenfabrik von Simquerz nicht ohne deineHilfe zerstören können. Nein. Im Grunde ha-be ich sie gar nicht lahmgelegt, sondern duwarst es. Ich habe mir nur eingebildet, daßich es war.«

»Ist das so wichtig?« fragte Axton.»Sehr sogar«, erwiderte Tirque. Axton

hatte den Eindruck, daß der rätselhafteMann neben ihm eine Phase völliger geisti-ger Klarheit durchlebte. Und er begann sichzu fragen, ob Tirque wirklich frei war, oderob er von einer fremden Kraft beeinflußtwurde:

Deutete nicht alles darauf hin, daß es sowar?

Mehr als einmal hatte Axton den Ein-druck gehabt, daß der Hagere für irgend et-was bestraft wurde, was er getan hatte.

»Das mußt du mir erklären«, sagte er.»Ich weiß, daß die Raumschiffe von

Querzkont zerstört werden müssen«, eröff-nete ihm Tirque. »Ich weiß aber auch, daß

ich allein es niemals schaffen kann. Deshalbfrage ich dich. Gibt es eine Möglichkeit, siezu zerstören?«

»Es gibt eine«, antwortete der Terraner.»Dazu brauche ich deine Hilfe.«

»Die hast du.«»Gut«, entgegnete der Verwachsene und

sprang erregt auf. Die kriminalistische Lei-denschaft übermannte ihn. »Wir wollen kei-ne Zeit verlieren. Glaubst du, daß Querzkontdich einladen wird, wenn du ihn darum bit-test?«

»Das wird er ganz sicher tun.«»Dann los«, rief Axton und packte Tirque

am Arm. »Zu ihm. Und bestehe darauf, daßich dabei bin. Weißt du, wo er ist?«

»In seiner Wohnung. Er gibt ein Fest fürdie Besucher, die von überallher gekommensind. Auch der Hohepriester ist dort.«

»Dann darfst du nicht fehlen.«Die beiden ungleichen Männer kehrten in

die Oase zurück. Überall brannten großeFeuer, an denen Fleischstücke gegrillt wur-den. Die Besucher der Oase tranken Weinaus Holzfässern. Tirque kannte sich in derOase aus. Er führte Axton zu einem derHochhäuser, das von Soldaten bewacht wur-de. Er sprach mit einem der Offiziere undteilte ihm seinen Wunsch mit. Der Manngrinste herablassend, ging ins Haus undkehrte nach einigen Minuten mit der Nach-richt zurück, daß sie an dem Fest teilnehmensollten.

»Paß aber auf, daß Sitte und Moral ge-wahrt werden«, brüllte er dem Einsamen un-ter dem Gelächter der anderen zu.

Tirque führte Axton wortlos ins Haus. Ei-ner der Soldaten begleitete sie. Er brachtesie zu einem Fahrstuhl. Mit diesem ging esbis in das oberste Geschoß des Hauses hin-auf. Zwei Offiziere empfingen Axton undTirque und eskortierten sie bis in den Fest-saal.

Als die beiden neuen Gäste eintraten,herrschte auffallende Stille unter den Gä-sten. Querzkont stand am Ende einer langenTafel. Er trug jetzt prachtvolle Kleider, diemit Edelsteinen verziert waren.

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»Tirque, der Rächer der Entrechteten«,brüllte er.

Die Gäste brachen in ein wildes Gelächteraus. Zahllose Spottrufe flogen durch denRaum. Darauf hatte Axton seinen hagerenBegleiter vorbereitet. Er selbst hatte oft ge-nug ähnliche Szenen im altarkonidischenImperium erlebt, wo man sich über seinekörperlichen Unzulänglichkeiten lustig ge-macht hatte.

Tirque ging hochaufgerichtet zu demPlatz, den Querzkont ihm an der Tafel an-wies. Der Beherrscher der Oase machtenoch eine Reihe von weiteren Bemerkungen,mit denen er den Hageren verhöhnte, dochbald wandte sich das allgemeine Interessewieder anderen zu. Tirque und Axton aßenund tranken, was man ihnen anbot.

»Ich glaube, ich habe zuviel gegessen«,sagte der Terraner, als etwa eine Stunde ver-strichen war. Er erhob sich und ging tau-melnd zu einem der Diener, der ihn bedienthatte. »Kann ich mich irgendwo für ein paarMinuten erholen? Vielleicht haben Sie einenRaum, in dem ich mich ein wenig hinlegenkann?«

Er hatte beobachtet, daß einige der ande-ren Gäste sich ebenfalls kurzzeitig zurück-gezogen hatten und danach erholt wiederge-kommen waren. Der Diener schöpfte keinenVerdacht. Er führte Axton aus dem Saal ineinen abgelegenen Raum.

»Hier ist es ruhig«, sagte er. »Wenn Siewieder an die Tafel wollen, lassen Sie esmich wissen. Sie brauchen nur diesen Knopfhier zu drücken.«

»Danke.« Axton legte sich in einen Ses-sel. Durch das offene Fenster wehte ein war-mer Wind herein. Darauf baute sich seinPlan auf. Er hatte schon vorher gesehen, daßdie meisten Fenster des Hauses offen waren.

Er eilte zum Fenster und blickte hinaus.Unter dem Fenster lief ein schmaler Simsentlang. Über ihn konnte er alle anderenRäume der Wohnung erreichen. Axton klet-terte hinaus. Der Sims war gerade breit ge-nug für ihn. Vorsichtig schob sich der Ver-wachsene darauf entlang bis zum nächsten

Zimmer. Er sah, daß einer der Gäste darinlag. Er schlich sich weiter von Fenster zuFenster, bis er endlich vor einem Raumstand, der unschwer als Arbeitszimmer zuerkennen war. Er war äußerst großzügig an-gelegt, so daß Axton von vornherein aus-schloß, daß er für einen der Mitarbeiter vonQuerzkont vorgesehen war.

Das Fenster war auch hier offen.Axton kletterte hindurch. Er merkte, daß

seine Knie vor Schwäche zitterten, und ermußte sich für einige Minuten auf den Bo-den setzen, um sich zu erholen.

Dabei sah er sich um.Der Raum enthielt verschiedene Kommu-

nikationsgeräte und einen Computer. An denWänden hingen Sternenkarten und Zeich-nungen der Landschaften von Yamolquoht.

Als Axton sich wieder kräftig genug fühl-te, richtete er sich auf und begann, das Zim-mer zu untersuchen. Er hatte weitaus schnel-ler Erfolg, als er erwartet hatte. Schon nachwenigen Minuten, als er eine Schublade ge-öffnet hatte, stieß er auf eine Landkarte, indie ein Lageplan eingezeichnet war. Er verg-lich sie mit anderen Karten, skizzierte auf ei-nem Zettel, worauf es ihm ankam und brach-te danach alles wieder in Ordnung.

Er kletterte durch das Fenster auf denSims hinauf. Wind war aufgekommen underste Regentropfen fielen. Axton erschrak.Er wußte, daß er sich beeilen mußte. Dochjede unachtsame Bewegung konnte dazuführen, daß er das Gleichgewicht verlor undin die Tiefe stürzte.

Als er etwa die Hälfte des Weges zurück-gelegt hatte, hörte er, daß hinter ihm dieFenster geschlossen wurden. Jemand gingvon Zimmer zu Zimmer und schob die Fen-ster zu, so daß es nicht hereinregnen konnte.

Axton glitt schneller voran. Er hatte keineandere Wahl. Das immer wiederkehrendeKlappern der Fenster und das Einschnappender Schlösser zeigte ihm an, daß ihm dieDiener immer näher kamen. Er mußte vorihnen sein Zimmer erreichen, sonst würdensie ihn entdecken.

Er schaffte es gerade noch, sein Zimmer

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zu erreichen und sich dort hinzulegen, bevordie Diener eintraten und auch hier das Fen-ster schlossen. Er erhob sich.

»Oh«, sagte er und fuhr sich mit den Hän-den über das Gesicht. »Ich bin wohl etwaseingeschlafen.«

»Ich hoffe, Ihnen ist jetzt etwas besser«,entgegnete einer der Diener höflich. SeinTon verriet Axton, daß er nichts bemerkthatte.

»Danke. Ich möchte jetzt zurück.«Der Diener führte ihn an die Tafel zurück.

Axton blinzelte Tirque zu, um ihm zu ver-stehen zu geben, daß er erfolgreich gewesenwar.

*

»Was tun wir jetzt?« fragte Tirque, als siedas Haus im Morgengrauen verließen.

»Wir verschwinden von hier«, antworteteAxton. Sie eilten zu Zaquetel, dem Sand-wurm, stiegen auf seinen Rücken und ließensich von ihm in die Wüste hinaustragen.

Axton zeigte dem Hageren die Skizze, dieer angefertigt hatte, so daß er Zaquetel in dierichtige Richtung lenken konnte.

»Was hast du vor?« fragte er verwirrt.»Wie willst du die Raumschiffe zerstören,wenn du nicht in der Oase bist?«

»Wir können keinen direkten Angriff aufdie Raumschiffe führen«, erklärte Axton,»sondern nur einen indirekten. Paß auf. Sim-querz hat die Raumschiffe irgendwo gestoh-len. Das halte ich für absolut sicher. Er hatein Depot geräumt, aber er war klug genug,nicht nur die Raumschiffe zu nehmen, son-dern auch die dazu notwendigen Wartungs-maschinen und Ersatzteile.«

Lebo Axton hatte große Mühe, Tirque dieZusammenhänge auseinanderzusetzen, da erdie Sprache nur unzureichend beherrschteund manche Dinge umständlich umschrei-ben mußte.

»Zaquetel trägt uns jetzt dorthin, wo dieMaschinen stehen. Querzkont muß dieRaumschiffe in gewissen Abständen immerwieder von den Maschinen bearbeiten las-

sen. Wenn er das nicht mehr macht, kann erdie Raumer früher oder später nicht mehrfliegen, weil die Systeme nicht mehr richtigaufeinander abgestimmt sind oder ganz aus-fallen.«

»Ein kluger Plan«, lobte Tirque. »Die Ma-schinen des Bösen stehen ihm also nur nochfür eine kurze Zeit zur Verfügung.«

Axton bemerkte, daß ihnen ein andererSandwurm folgte. Er erinnerte sich daran,daß Zaquetel in der Oase mit einem anderenWurm Freundschaft geschlossen hatte.

»Vorausgesetzt, daß es uns gelingt, denPlan durchzuführen«, antwortete er.

Er war optimistisch. Zaquetel trug sie un-ermüdlich durch die Wüste. Gegen Abend,als sich die Sonne dem Horizont zuneigte,sahen sie die Werft Querzkonts. Sie wurdevon schwarzen Mauern umgeben. Axtonschätzte, daß sie etwa zwanzig Meter hochwaren. Er veranlaßte Zaquetel, sie einmalum die Werft herumzutragen. Dabei stellteer fest, daß es keinen Eingang gab.

»Wir kommen nicht hinein«, rief Tirquebestürzt. »Welch eine Torheit! Wie kannman so etwas machen.«

»Du irrst dich«, versetzte Axton.»Querzkonts Raumschiffe fliegen hinein. Erbraucht keine Tore.«

»Und was machen wir jetzt?«»Ich weiß es nicht.« Axton ließ sich von

dem Sandwurm bis an die Mauer herantra-gen. Sie war so glatt, daß er nicht daranhochklettern konnte. Er wollte Tirque fra-gen, ob Zaquetel sich nicht daran aufrichtenund sie auf diese Weise hochheben konnte,doch er verzichtete darauf, weil auch derSandwurm nicht groß genug war. Sie konn-ten mit seiner Hilfe die Mauerkrone nicht er-reichen.

»Dann müssen wir aufgeben«, sagte Tir-que niedergeschlagen. »Wir müssen nachQuerzkont zurückkehren und die Raum-schiffe direkt angreifen.«

Er richtete sich stolz auf und hob seinSchwert gegen die untergehende Sonne.»Und wenn es mich das Leben kosten soll-te«, rief er pathetisch, »ich werde es tun. Ich

Die Höhle der Berserker 11

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werde das Böse vernichten.«Der Terraner blickte ihn mitleidig an. Da

war wieder der alte, wirklichkeitsferne Ton,der anzeigte, daß Tirque sich in eine Schein-welt rettete.

»Na schön«, sagte er, »dann kehren wireben zur Oase zurück und gehen zu Querz-kont, um mit ihm zu palavern, währendZaquetel sich in den Sand eingräbt und miteiner schönen Sandwurmdame plaudert.«

Axton stutzte.»Moment mal«, rief er dann. »Wie tief

kann Zaquetel sich eigentlich in den Sandgraben?«

»So tief, wie er will«, antwortete Tirque.»Dann könnte er sich auch unter die Mau-

er hindurchgraben?«»Natürlich könnte er das«, erwiderte der

Hagere gleichgültig. »Aber was hätten wirdavon?«

»Kann Zaquetel uns nicht mitnehmen?«Tirque schüttelte den Kopf.»Ausgeschlossen«, sagte er. Seine Augen

weiteten sich vor Überraschung. »Jetzt be-greife ich endlich. Ja, gewiß, Zaquetel könn-te einen von uns mitnehmen. In seinemMaul.«

Axton fuhr unwillkürlich zusammen. Erblickte nach vorn, konnte jedoch wegen derbuschartigen Fühler nichts vom KopfZaquetels sehen. Die Vorstellung, zwischendie scharfen Zähne des Sandwurms zu krie-chen, erschreckte ihn.

»Hast du so etwas je getan?« fragte er.»Nein – noch nie. Aber einmal ist ja im-

mer das erste Mal.« Er glitt vom Rücken desSandwurms herab und sprach beschwörendauf das Tier ein. Axton ging zu ihm. Erblickte erschaudernd auf die hornigen Lip-pen und die Zähne des Sandwurms. Zaquetelblickte ihn an, und Axton glaubte, ein spötti-sches Funkeln in seinen Augen zu bemer-ken.

»Zaquetel wird es tun«, erklärte Tirque.»Du zuerst. Er nimmt dich ins Maul undwühlt sich mit dir unter der Mauer hindurchauf die andere Seite. Es wird etwa eine Mi-nute dauern. Kannst du so lange die Luft an-

halten?«»Kein Problem«, antwortete Axton. Er

war davon überzeugt, daß das Atmen wirk-lich keine Schwierigkeit darstellte. »Wichtigist nur, daß Zaquetel nicht plötzlich Appetitbekommt.«

Tirque lachte.»Keine Angst«, sagte er. »Zaquetel wird

dir nichts tun. Die meisten Sandwürmer sindbissig. Ich würde dir nicht raten, in das Mauleines anderen zu steigen. Bei Zaquetel aberkannst du es ruhig wagen.«

Der Sandwurm öffnete das Maul. »Steigein«, forderte Tirque. »Wir wollen keineZeit verlieren.«

»Ich glaube, daß ich es allein schaffe«,sagte der Verwachsene. »Du brauchst miralso nicht zu folgen. Es genügt, wenn duhier bleibst und dafür sorgst, daß Zaquetelmich später wieder abholt.«

»Kann ich mich auf dich verlassen?«»Du kannst«, erwiderte der Terraner.Tirque stieß sein Schwert in den Boden

und stützte seine Hände auf den Griff.»Dann will ich hier Wache halten«, ver-

kündete er.Lebo Axton stieg zögernd über die horni-

gen Lippen des Sandwurms hinweg und leg-te sich auf die Zunge des Tieres. Er atmeteeinige Male tief durch. Plötzlich schloßZaquetel das Maul. Axton spürte den Druckder Zunge und des Gaumens. Dann warf derSandwurm den Kopf ruckend hin und her.Axton glaubte, verschlungen zu werden. Erklammerte sich an einen Zahn, wurde nachvorn geworfen und fühlte dann, daß Zaque-tel den Kopf hob. Unmittelbar darauf öffnetesich das Maul, und kühle Luft strich herein.

Axton kletterte eilig über die Zahnreiheund die Unterlippe hinweg und ließ sich inden Sand sinken. Er atmete heftig. Zaquetelhatte ihn tatsächlich in die Werft gebracht.Nur sein Kopf ragte aus dem Sand hervor.Wiederum glaubte Axton, ein spöttischesFunkeln in den großen Augen zu sehen.

»Warte hier auf mich«, sagte er. »Ichkomme bald zurück.«

Verbrannte Sandflächen zwischen drei

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Page 13: Die Höhle der Berserker

flachen Gebäuden und einigen Kränen zeig-ten an, daß Axton sein Ziel gefunden hatte.Er befand sich in der Werft Querzkonts. Inden Häusern brannte Licht. Außerhalb derGebäude hielt sich niemand auf, so daß derVerwachsene sich relativ gut bewegen konn-te, ohne eine Entdeckung zu befürchten.

Einige Männer kamen aus einem der Häu-ser und gingen zu einem anderen hinüber.Aus der Art der Anlagen schloß Axton, wodie wichtigsten waren. Er vermutete sie indem Haus, das die Männer verlassen hatten.Er eilte zu ihm hinüber und blickte durch dieFenster hinein. Im Innern stand ein blitzen-der Roboter. Er war von humanoider Ge-stalt, hatte aber vier mit Werkzeugen verse-hene Arme. Durch mehrere Kabel war er miteinem Steuergerät an der Tür der Halle ver-bunden. In zahlreichen Containern lagertenallerlei Ersatzteile.

Axton war das Wartungssystem augen-blicklich klar. Die Einsatzbereitschaft derRaumschiffe Querzkonts hing einzig und al-lein von dem Roboter ab. Wenn er ausfiel,konnten die Schiffe nicht mehr gewartet undrepariert werden. Er vermutete, daß der Ro-boter – wie in solchen Fällen üblich – einemehrfache Funktionsabsicherung besaß.Wenn bei ihm ein System ausfiel, wurde esautomatisch durch ein anderes ersetzt.

Axton blickte den Roboter an. Er fürchte-te sich nicht vor ihm, da er davon überzeugtwar, daß die Maschine gar nicht kämpfenkonnte. Dennoch erfüllte es ihn mit Unbeha-gen, sich mit einem Roboter auseinanderset-zen zu müssen. Man konnte niemals vorherwissen, wie sie programmiert waren. Die ge-samte Macht Querzkonts basierte im Grundegenommen, auf der Funktionstüchtigkeitdieses Roboters. Daher mußte Axton davonausgehen, daß Sicherungen gegen Sabotage-akte eingebaut worden waren.

Er eilte zur Tür und öffnete sie. Nachdemer sich davon überzeugt hatte, daß niemandihn gesehen hatte, betrat er die Halle undschloß die Tür hinter sich. Ihm schien, daßder Roboter ihn beobachtete. Die Linsenfunkelten kalt im Licht der Deckenlampen.

Axton trat einige Schritte zur Seite. Er-leichtert stellte er fest, daß sich der rundeKopf des Roboters nicht drehte. Vorsichtignäherte er sich dem Schaltkasten des Robo-ters, der durch Kabel mit diesem verbundenwar. Nachdem er ihn untersucht hatte,glaubte er nicht mehr daran, daß Fallen an-gelegt worden waren. Er sagte sich, daßQuerzkont diesen Roboter irgendwann ge-stohlen und dabei auch keinen Alarm ausge-löst hatte.

Er löste die Schrauben der Deckplatte desKastens und legte ein Gewirr von Kabelnfrei. Auf den ersten Blick erkannte er, daßder Schaltkasten so gut wie bedeutungsloswar. Er war nicht weiter als ein Ablenkungs-manöver für einen technisch Unkundigen.Auf diesen hätte er fraglos den Eindruck ei-ner besonderen Wichtigkeit gemacht, nichtaber auf einen Spezialisten wie Axton-Kennon, der in Quinto-Center, dem Haupt-quartier der United Stars Organisation, einequalifizierte Ausbildung genossen hatte.

Er wandte sich dem Roboter zu und über-zeugte sich davon, daß dieser ausgeschaltetwar. Mühelos fand er heraus, wie die Ma-schine aktiviert wurde. Dazu war lediglichein kleiner Hebel in seinem Nacken umzule-gen.

Auf dem Rücken des Roboters befandsich eine Platte, die mit Magnethalterungenversehen war. Kleine Veränderungen in derMetallstruktur der Platte zeigten Axton an,daß man sie vor längerer Zeit einmal gewalt-sam entfernt hatte. Er vermutete, daß Querz-kont es getan hatte.

Axton wollte kein Schweißgerät einset-zen. Daher untersuchte er den Kopf undfand, wie erhofft, daß man ihn ablösenkonnte, wenn man eine geschickt versteckteMechanik betätigte.

Er hob den Kopf ab und blickte hinein.Triumphierend lächelte er, als er sah, daßsich darin kleine Platten mit aufgedrucktenSchaltungen befanden. Sie bildeten das ei-gentliche Herz des Roboters. Er nahm sieheraus. Es waren sieben Stück.

Plötzlich hörte er Schritte, die sich der

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Halle näherten. Hastig stülpte er den Kopfüber das Halsstück des Roboters und warfsich hinter einem Container auf den Boden.

Die Tür öffnete sich.Einer der Mechaniker trat ein. Er pfiff lei-

se vor sich hin, ging dicht an Axton vorbei,ohne ihn zu bemerken, und holte aus einemSchrank an der Wand eine Flasche hervor.Dann drehte er sich um, kehrte zur Tür zu-rück, löschte das Licht und verschloß dieTür. Axton hörte, wie sich ein Schlüssel imSchloß drehte.

Durch die Fenster kam nur noch wenigLicht herein. Es genügte Axton jedoch. Erbefestigte den Robotkopf nun wieder undeilte dann zur Tür. Sie hatte ein einfachesSchloß. Nachdem er einige Minuten lang ge-sucht hatte, fand er ein Gerät, das er als Er-satzschlüssel benutzen konnte. Damit öffne-te er die Tür.

Als sie aufsprang, heulten die Sirenen auf.Überrascht blieb Axton in der Tür stehen.

Damit hatte er zu diesem Zeitpunkt nichtmehr gerechnet. In den anderen Gebäudenwurden Stimmen laut.

Axton rannte quer über den Platz auf dieStelle zu, an der er Zaquetel verlassen hatte.In der Dunkelheit konnte er den Sandwurmnicht sehen. Aus dem Mittelgebäude kamenmehrere Männer. Axton hörte sie schreien.

»Die Tür ist offen«, brüllte einer von ih-nen. »Jemand hat sie aufgeschlossen.«

»Da drüben ist etwas«, schrie ein anderer.»Da läuft jemand.«

Axton konnte die Männer gegen den hel-len Hintergrund der Fenster gut erkennen. Ersah, daß sie sich ihm näherten. Einige vonihnen trugen lange Stangen in den Händen.

»Er kann uns nicht entkommen«, rief ei-ner der Männer. »Nur ruhig. Den erwischenwir.«

Axton blieb stehen. Der Lauf hatte ihn an-gestrengt. Er hatte stechende Schmerzen inder Lunge.

Zaquetel war nicht zu sehen. Auch ragtenkeine Büsche aus dem Boden, die ihm dieStelle anzeigten, wo der Sandwurm sich ver-barg.

»Zaquetel«, rief er.Wenige Meter vor ihm hob sich der Bo-

den. Sand rieselte zur Seite. Die buscharti-gen Fühler des Sandwurms tauchten auf.Axton sah die großen Augen des Tieres. Errannte darauf zu.

Ein Schuß fiel, und eine Kugel flog sir-rend an ihm vorbei.

Der Sandwurm öffnete das Maul. Axtonwarf sich mit einem Satz zwischen die mes-serscharfen Zähne.

In der gleichen Sekunde bemerkte er denKopf eines anderen Sandwurms, der nur et-wa zehn Meter von ihm entfernt war. Ausdem offenen Maul ragte der Kopf Tirqueshervor.

Und im gleichen Augenblick begriff Ax-ton, daß er in den Rachen des falschen Sand-wurms gesprungen war. In panischer Angstversuchte er, wieder daraus hervorzukom-men. Es gelang ihm nicht. Die Zähne schlos-sen sich. Er spürte den Druck der Zunge, dieihn herumwälzte.

Voller Entsetzen warf er sich gegen dieZähne. Er fühlte plötzlich den Sog der hype-renergetischen Dimensionskraftfelder. Alsder Sandwurm ihn mit der Zunge tiefer inden Rachen drückte, um ihn zu verschlin-gen, entmaterialisierte er.

3.

Er wußte nicht, wieviel Zeit verstrichenwar, als er wieder materialisierte. Plötzlichfand er sich inmitten einer Eiswüste wieder.Eisiger Wind peitschte ihm ins Gesicht.

Axton legte die Arme um den Oberkör-per. Er fror. Die Kälte durchdrang die leich-te Kleidung, die er am Hof Orbanaschols III.getragen hatte.

Der Boden unter seinen Füßen schwankte.Er blickte nach unten und stellte fest, daß ermit den Füßen im Wasser stand. Er befandsich auf einer Eisscholle.

Bevor der Terraner Zeit hatte, sich weiterumzusehen, erfaßte ihn wieder ein hype-renergetischer Sog und riß ihn mit sich. Erentmaterialisierte. Haltlos trieb er im Strom

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der übergeordneten Energien.Immer wieder hoffte er, die Aktivatorim-

pulse aufzufangen, doch es schien, als habeer sich im rätselhaften Gewirr der Dimensi-onskorridore verirrt. Nirgendwo zeigten sichImpulse, die ihm einen Hinweis gegebenhätten. Er versuchte, sich darauf zu konzen-trieren, als er sich überraschend mitten in ei-ner Menschenmenge wiederfand, die einSportstadion füllte. Auf einem blutigrotenRasen kämpften bizarre Gestalten miteinan-der.

Bevor Axton Zeit hatte, die Situation zuanalysieren, riß es ihn wieder mit sich fort.

Als er später abermals materialisierte,flatterten Segel über seinem Kopf. Ein ange-nehmer Wind blies ihm ins Gesicht. Holz-planken schwankten unter seinen Füßen. Erblickte zum Himmel hinauf und sah zweirötliche Sonnen.

Hinter ihm ertönten die Stimmen vonfremden Geschöpfen, die ihn entdeckt hat-ten. Er fuhr herum und sah, daß sie sich mitMessern bewaffnet hatten. Sie sahen nurentfernt humanoid aus.

Es kam jedoch nicht zum Kampf, weilAxton abermals entmaterialisierte.

Jetzt verlor er die Hoffnung, doch noch zuAtlan zu kommen. Er wurde sich klar dar-über, daß er nicht die Kraft hatte, sich demständigen Wechsel zwischen Materialisationund Entmaterialisation zu widersetzen. Erwar zum Spielball übergeordneter Energiengeworden.

Axton-Kennon sah keinen Sinn mehr dar-in, sich diesen Kräften entgegenzustellen. Ergab auf.

Dabei war er sich durchaus darüber klar,daß sich sein Bewußtsein mehr und mehrauflösen und schließlich ganz verflüchtigenwürde. Er würde dann seine Persönlichkeitverlieren und in das Energiegefüge des Uni-versums eingehen. Das würde seinen end-gültigen Tod bedeuten.

Axton bedauerte nicht, daß er diese Ent-wicklung nahm. Er war zutiefst deprimiert,weil es ihm nicht gelungen war, seine Wün-sche zu verwirklichen. Was bedeutete schon

ein Leben wie jenes, das er auf Yamolquohtgeführt hatte? Ihm war es gelungen ein un-menschliches Spiel von Simquerz undQuerzkont zu beenden. Das bedeutete wahr-scheinlich Frieden für eine andere Welt, dienun keinen Waffennachschub mehr hatte.Doch bedeuteten ihm die Yamolquohter imGrunde genommen kaum etwas, und das an-dere Volk war ihm völlig unbekannt.

Er wurde sich klar darüber, daß er diesemVolk nicht geholfen hatte, weil er Mitleidmit ihm gehabt oder weil ihn Simquerz undQuerzkont empört hatten. Es war Tirque ge-wesen, der ihn beeindruckt hatte. Für ihnhatte er sich spontan entschieden, und nurihm hatte er geholfen. Er wußte aber, daß ernicht ewig mit ihm durch die Wüsten hätteziehen können. Das wäre keine Aufgabe fürihn gewesen, für die zu leben sich lohnte.

Das war der Grund dafür, daß Axton-Kennon aufgab. Er hatte mehr als fünfhun-dert Jahre gelebt, und in dieser Phase seinesLebens glaubte er nicht daran, daß es nochirgend etwas geben könnte, worauf er neu-gierig war.

Mitten in diese Phase tiefster Depressionhinein kam eine Reihe von hyperenergeti-schen Impulsen.

Axtons Stimmung änderte sich schlagar-tig. Er geriet in eine freudige Erregung, inder er versuchte, die Impulse zu halten undihnen bis zu ihrer Ursprungsquelle zu fol-gen. Mehr denn je glaubte er daran, daß sievon Atlan kamen.

Doch dann verschwanden die Impulseplötzlich wieder, so als hätte Atlan einenOrtswechsel vorgenommen.

Axton-Kennon war grenzenlos verwirrt.Er fragte sich, wie Atlan innerhalb der Di-mensionskorridore einen Ortswechsel vor-nehmen konnte. Dabei mußte er davon aus-gehen, daß der Arkonide nicht zu der glei-chen Existenzform gekommen war wie erselbst.

Axton-Kennon irrte sich jedoch nicht.Atlan nahm tatsächlich einen Ortswechsel

vor. Der Verwachsene erfaßte, wie Pthor dieErde verließ und davonraste. Er war hell-

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wach und wartete auf neue Hinweise. Plötz-lich war er wieder fest davon überzeugt, daßsie kommen würden. Er konnte nicht erken-nen, daß da irgendwo Pthor in den Dimensi-onskorridoren war. Daher konnte er sichauch nicht erklären, was geschehen war. Ge-rade das aber machte ihn neugierig und ließsein Interesse weiter ansteigen.

Er wußte nicht, wieviel Zeit verstrichenwar, als er plötzlich wieder Impulse auffing.Sie waren stationär, so daß er sich daraufeinpeilen konnte. Und schließlich gelang esihm auch, sich ihnen zu nähern.

Doch dann verstummte die Impulsquelleerneut.

Axton-Kennon rätselte an der ihm ver-worren erscheinenden Situation herum. Ervermutete, daß Atlan – falls er es überhauptwar – abermals einen Ortswechsel vorge-nommen hatte.

Und er irrte sich nicht.Tatsächlich hatte Atlan Pthor verlassen

und danach auch den Planeten Loors, aufdem Pthor gelandet war.

Kennon war verzweifelt, und er wolltewenigstens zu dem Platz gehen, den er alsletzten angepeilt hatte. Er hoffte, von dortaus die Spur Atlans aufnehmen zu können.

Während er darauf zutrieb, konzentrierteer sich. Er wollte sich auf keinen Fall von ei-ner Materialisation überraschen lassen unddann auf irgendeiner Welt landen, die in kei-ner Beziehung zu Atlan stand. Er wollte denArkoniden finden. Dieses Mal sollte alles soverlaufen, wie er es sich vorstellte.

Axton-Kennon hatte plötzlich das Gefühl,in eine Strömung geraten zu sein. Eine un-sichtbare Kraft ergriff ihn und riß ihn mit. Ererkannte, daß der Materialisationsprozeßeinsetzte.

Vor seinen Augen flimmerte es. Er ver-nahm das Rauschen des Windes. Er schloßdie Augen. Ihm war übel. Irgend etwasstimmte nicht. Er fühlte es, konnte abernicht sagen, was dieses Mal anders war alssonst.

Er schlug die Augen wieder auf. Über ihmwölbte sich ein grauer Himmel. Er befand

sich in einem seltsamen Gefährt, das sichmit hoher Geschwindigkeit bewegte. Erkonnte die Geschwindigkeit annähernd ab-schätzen, als einige Vögel über ihm hinweg-zogen.

In seiner Nähe saß ein geschupptes Rie-senwesen, das unglaublich massig wirkte.Aus seinem Schädel wuchs ein Büschel füh-lerartiger Gebilde hervor. Als es sich um-drehte und ihn ansah, glaubte Axton-Ken-non, daß das Wesen ihn anlächelte. Der Ge-schuppte drehte sich jedoch schnell wiederum und wandte ihm den Rücken zu, so daßAxton den Gedanken an eine Sympathie-kundgebung zur Seite schob. Er glaubte, daßdieses Wesen von Natur aus so aussah, daßder Eindruck des Lächelns entstand.

Auch das andere Wesen blickte kurz zuihm herüber. Es hatte einen stechendenBlick. Das war zunächst das einzige, wasAxton an ihm auffiel, da dieser Fremdedurch nichts vom Bild des Menschen ab-wich.

Axton schloß die Augen erneut. Sein Be-finden besserte sich allmählich, wenngleicher sich noch nicht so gut fühlte, daß er auf-stehen konnte. Er beschloß, sich genügendZeit zu nehmen, bis er durch nichts mehr be-einträchtigt wurde.

Er legte eine Hand auf die Brust.Eisiger Schrecken durchfuhr ihn, als er

merkte, daß er seine Blusenjacke nicht mehrtrug. Unwillkürlich griff er sich auch mit deranderen Hand an die Brust. Dann glitten sei-ne Hände an ihm herunter.

Er war nackt!Axton schlug die Augen wieder auf, hob

den Kopf und blickte an sich herunter.Er sah nicht seinen verwachsenen Körper

mit der aufgewölbten Trommelbrust, dendünnen Beinen und den unproportioniertgroßen Füßen. Er sah den schlanken Körpereines noch jungen Mannes. Es war ein wohl-geformter, menschlicher Körper ohne jedenFehler und ohne Anzeichen von überstande-nen Verletzungen. Axton schätzte, daß er et-wa 1,80 m groß war. Seine Hände strichenüber das Haar. Es war lang, so daß er es se-

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hen konnte. Es hatte eine dunkelbraune Tö-nung.

Erst jetzt traf Axton-Kennon der Schock.Er begriff, was geschehen war. Er war

nicht in seinem eigenen Körper materiali-siert, sondern in dem eines anderen Men-schen, der in diesem Fahrzeug zusammenmit den beiden Wesen war.

Was war mit seinem eigenen Körper ge-schehen? War dies die Welt, auf der Atlanoder ein anderer Zellaktivatorträger sich auf-gehalten hatte?

Axton versuchte, dem Gehirn des Frem-den Informationen zu entlocken, aber erstieß ins Leere.

Axton wollte nicht akzeptieren, daß alleAnstrengungen vergeblich sein sollten. Ersagte sich, daß da ein lebendes Gehirn war,das sein eigenes Bewußtsein in sich aufge-nommen hatte, das aber das eigene nicht zu-gleich verloren haben konnte.

Kaum hatte er diesen Gedanken zu Endegebracht, als ihm ein neuer, schrecklicherGedanke kam. Wo war sein echter Körpergeblieben, jener verwachsene, schwacheKörper, den er so liebte? Er glaubte nichtdaran, daß er irgendwo in den hyperenerge-tischen Dimensionskorridoren gebliebenwar. Er mußte hier auf dieser Welt sein. Undwahrscheinlich befand sich in ihm das Be-wußtsein des nackten Fremden, in dessenKörper er jetzt existierte.

Der Gedanke erschien ihm so zwingendlogisch, daß er ihn nicht wieder verwarf. Ernahm als Tatsache hin, daß es so war, wie erüberlegt hatte. Eine andere Möglichkeitschied mit hoher Wahrscheinlichkeit aus.

Er richtete sich auf und blickte zur Seite.Er sah, daß das Fahrzeug durch eine wüsten-artige Landschaft raste, die eine gewisseÄhnlichkeit mit Yamolquoht hatte. Befander sich noch auf der Welt des einsamen Tir-que?

Die beiden anderen im Wagen sprachenmiteinander. Aus ihren Gesten schloß Ax-ton, daß sie sich über ihn unterhielten. IhreSprache klang hart und rauh. Er hatte nie ei-ne ähnliche Sprache gehört. Doch sie inter-

essierte ihn zur Zeit auch noch nicht.Seine Gedanken richteten sich auf seinen

Originalkörper. Er hatte nicht vor, diesenGnomenkörper aufzugeben. Er war ent-schlossen, ihn zu suchen und zu beschützen.

*

»Sie kommen«, meldete Sakkaga, derTechno. Er machte eine genau abgezirkelteVerbeugung, so wie stets, wenn er den dü-steren Raum betrat, in dem Caidon-Rov sichdie überwiegende Zeit des Tages aufhielt.

»Danke«, entgegnete der Mann, der in derEcke über einem Wust von Papieren lag. Erlegte einen Stift, mit dem er geschrieben hat-te, zur Seite und erhob sich. Er ordnete diedunklen Kleider, die seinen Körper umga-ben, und verließ den Raum. Er schritt eineSteintreppe nach unten. Sakkaga folgte ihm.

In der Feste Grool war es ruhig.Nur hin und wieder ertönte mal ein Ham-

merschlag, oder eine Tür fiel ins Schloß.Vereinzelt hörte Caidon-Rov flüchtigeSchritte. Seit dem Ende Porquetors hattesich viel verändert. Auch Caidon-Rov waranders geworden. Er war jetzt still und insich gekehrt. Er wirkte auf die Technos undDellos, die bei ihm waren, noch rätselhafterals sonst.

Die meisten von ihnen hatte er in einefragwürdige Freiheit entlassen. Nachdem sieden Wunsch geäußert hatten, nach draußenzu gehen, hatte er das Tor für sie geöffnet.Er wollte niemanden mehr um sich haben,der ihm nicht freiwillig diente. Daher fühlteer sich nun als unumschränkter Herrscherder Feste Grool.

Als er das Tor der Feste über die nach un-ten führende Spirale erreicht hatte, warendie Dalazaaren schon fast dort. Auf ein Zei-chen von ihm öffnete Sakkaga das Tor. Cai-don-Rov trat aus der Feste und blieb stehen.

Fünf Dalazaaren kamen. Sie brachtenFleisch und verschiedene andere Nahrungs-mittel. Stolz grüßten sie den großen, hagerenCaidon-Rov, der die Versorgungsgüter mitsichtlichem Interesse musterte. Er stellte

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fest, daß sie auch eine bauchige Tonflaschedabei hatten, und er ahnte, was darin war. Inseinen Augen leuchtete es auf.

»Wir brauchen bestimmte Werkzeuge«,eröffnete ihm Corlonpon, der Anführer derDalazaaren. »Das Metall unserer Messer istzu weich. Daher werden sie zu schnellstumpf.«

Caidon-Rov nickte.»Ihr benötigt einen Metallhärter. So etwas

haben wir da. Das ist kein Problem. UnserVorrat ist allerdings klein, so daß wir eucheinen hohen Preis abverlangen müssen.«

Corlonpon grinste.»Klar«, erwiderte er. »Und, wenn die gan-

ze Feste Grool davon voll wäre, würdest dusagen, daß es äußerst knapp ist. Du hast unsimmer betrogen, warum solltest du es nichtauch jetzt tun?«

Seine Worte nötigten Caidon-Rov nur einmüdes Lächeln ab. Eigentlich hätte er diekleine Abwechslung genießen müssen, diesich durch den Besuch der Dalazaaren er-gab. Sein Interesse am Handel mit ihnen hat-te sich jedoch längst bis auf ein Minimumreduziert, das notwendig war, ihn und diewenigen Diener zu versorgen. Caidon-Rovging jedoch nicht soweit, auf Feilschen zuverzichten. Er handelte den Preis sorgfältigaus, wobei ihm gerade sein mangelndes In-teresse zugute kam. Da die Dalazaarenmerkten, daß er nur wenig haben wollte, lie-ßen sie in ihren Forderungen immer mehrnach. Nur eines verkauften sie wirklich teu-er. Die bauchige Flasche mit dem Wein, dermit Auszügen aus dem Blut ihrer Stiere ver-setzt war. Sie wußten, daß Caidon-Rov dar-auf besonders erpicht war.

Nach mehr als zwei Stunden war der Han-del beendet. Beide Seiten waren zufrieden.Caidon-Rov kehrte in die Feste zurück. Ertrug die Tonflasche selbst. Die anderen Din-ge ließ er auf einen Elektrokarren verladenund in die Feste fahren.

Er zog sich in seine Kammer zurück undschenkte sich ein Glas Wein ein. Als ertrank, hörte er es in der Nähe rumoren. Erblickte überrascht auf. Alle Diener wußten,

wie wichtig ihm die Ruhe war. Ungehaltenstand er auf und verließ seinen Arbeitsraum,in dem er an einem literarischen Werk arbei-tete, seit er der alleinige Herr der Feste war.

Auf dem Gang vor dem Zimmer war esruhig. Doch Caidon-Rov hörte, daß sich je-mand von ihm entfernte. Er vermeinte, auf-geregte Stimmen zu vernehmen. Eine Türklappte.

Caidon-Rov fühlte sich plötzlich unsicher.Er hatte sich lange Zeit überhaupt keine

Gedanken um seine Sicherheit und um dieMacht in der Feste gemacht. Er hatte es alsselbstverständlich angesehen, daß sich alleanderen nach seinen Worten richteten.

Jetzt fragte er sich, ob er es sich wirklichleisten konnte, Sakkaga blindlings zu ver-trauen. Der Techno hatte ihm nie widerspro-chen und immer das getan, was er ihm be-fohlen hatte. Er hatte ihm jedoch schon lan-ge keine Vertrauensfalle mehr gestellt, sowie er es sonst hin und wieder gemacht hat-te, um ihn zu überprüfen. Caidon-Rov eiltelautlos über den Gang. Er folgte dem Ge-räusch, das er sich nicht erklären konnte.

Als er an eine Tür kam, hinter der eineTreppe nach oben führte, ertönte ein Schrei.Der Hagere fuhr zusammen. Unwillkürlichgriff er nach seiner Hüfte. Sonst pflegte einMesser in seinem Gürtel zu stecken, das erbenutzte, um Obst zu schälen, oder mit demer hin und wieder schnitzte. Er hatte es lie-gengelassen.

Caidon-Rov öffnete die Tür. Er sah, daßsich im gleichen Augenblick über ihm eineandere Tür schloß. Er hatte einige Sekundenzu lange gezögert, sonst hätte er diejenigengesehen, die sich vor ihm bewegten.

Entschlossen stürmte er die Treppe hochund stieß die Tür auf. Drei seiner Dienerstanden vor ihm. Sie blickten ihn bestürztan. Zwischen ihnen krümmte sich eine selt-same Gestalt auf dem Boden. Caidon-Rovhatte nie zuvor ein Geschöpf wie dieses ge-sehen. Der Mann war klein, hatte einenübergroßen Kopf mit schütteren, blondenHaaren. Seine Hände waren klein und zier-lich wie die eines Kindes, während die Füße

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unproportioniert groß waren.Bekleidet war der Fremde mit einer hell-

blauen Blusenjacke, die mit Metallfädenverziert war. Ein Gürtel aus einem fremdar-tigen Material spannte sich um seine Hüften.Die Beine steckten in engen Hosen.

»Wo kommt dieser Krüppel her?« fragteer.

»Wir wissen es nicht«, antwortete einerder Diener. »Sakkaga …«

Eine Tür öffnete sich und Sakkaga gesell-te sich zu ihnen. Er hatte die Worte gehört.

»Ich habe den Kerl in der Nähe Ihrer Türerwischt«, erklärte Sakkaga. »Ich habe ihnsofort wegbringen lassen, weil ich Sie nichtstören wollte.«

Die Erklärung klang akzeptabel.»Wie kommt er in die Feste?«»Er muß sich unter den Waren versteckt

haben, die die Dalazaaren gebracht haben«,erwiderte Sakkaga, »obwohl ich alles kon-trolliert habe. Ich wüßte sonst nicht, wie erhereingekommen sein sollte.«

»Bringt ihn dorthin«, befahl Caidon-Rovund zeigte auf eine Tür, hinter der ein großerRaum lag. In diesem arbeiteten hin und wie-der die Diener an großen Teppichen. Jetztaber hielt sich niemand darin auf.

Der Verwachsene leistete keinerlei Wi-derstand, als die Diener ihn aufrichteten undin den Raum führten, den der Hagere ihnenbezeichnet hatte. Aus ihrem Verhaltenschloß Caidon-Rov, daß sie die Wahrheitgesagt hatten. Sie hatten ihn nicht hinterge-hen, sondern ihn vor Störungen bewahrenwollen.

Er beobachtete den Verwachsenen, derauf so rätselhafte Weise in die Feste gekom-men war. Der Fremde machte einen völligverstörten Eindruck. Es schien, als stehe erunter einem schweren Schock. Caidon-Rovsah, daß es ihm schwerfiel, sich richtig zubewegen. Die Hilflosigkeit des Fremdenverdrängte den Verdacht, es mit einem ge-fährlichen Gegner zu tun zu haben, schnell.

Die Diener führten den Verwachsenen zueinem Sessel und setzten ihn hinein. Siemußten ihn stützen, weil er sich nach vorn

neigte und dabei fast aus dem Sessel gefal-len wäre. Als er die Rückenlehne als Stützeerkannt hatte, blieb er ruhig sitzen. SeineAugen bewegten sich ruckend hin und her.Die Lippen bewegten sich, ohne einen ver-ständlichen Laut zu formen.

»Wer bist du?« fragte Caidon-Rov. SeinInteresse war erwacht. Er langweilte sichplötzlich nicht mehr.

Caidon-Rov glaubte, jemanden zu haben,der seine Hilfe benötigte, und dessen Per-sönlichkeit so ungewöhnlich war, daß essich lohnte, sich mit ihr zu befassen. Dazuwar allerdings notwendig, daß der Verwach-sene seinen Schock überwand.

»Wer bist du?« fragte der Hagere erneut.Er sprach ruhig und freundlich, weil er demFremden das Gefühl geben wollte, daß ersich in Sicherheit befand. »Hast du keinenNamen?«

Der Eindringling gab einige gestammelteLaute von sich. Caidon-Rov glaubte,»Grizzard« herauszuhören.

»Grizzard?« fragte er. »Sagtest du Griz-zard?«

Der Fremde antwortete stammelnd undkeuchend. Abermals glaubte Caidon-Rov,»Grizzard« zu verstehen.

»Also gut«, sagte er daher. »Ich werdedich Grizzard nennen. Gebt ihm etwas zuTrinken. Am besten Wasser. Das verträgt ermit Sicherheit. Wir werden für ihn sorgen.«

Caidon-Rov, der eine lange Zeit nur fürPorquetor dagewesen war, sah nun endlichwieder eine Aufgabe vor sich. Wenn er anPorquetor dachte, dann identifizierte er die-sen nur selten mit dem Namen Yunthaal,sondern fast immer nur mit dem Namen Por-quetor, der ihm wesentlich vertrauter war.

Er setzte sich auf einen Hocker Grizzardgegenüber und betrachtete ihn eingehend.Dabei versuchte er zu rekonstruieren, wieder Wagen mit den Waren ausgesehen hatte,die sie von den Dalazaaren gekauft hatten.Nach einiger Zeit schüttelte er den Kopf. Erhielt es für ausgeschlossen, daß die Dalazaa-ren Grizzard in die Feste Grool geschmug-gelt hatten. Doch damit wurde der Fall für

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ihn noch rätselhafter.»Untersucht die Feste«, befahl er Sakka-

ga. »Vielleicht hat sich durch Verfall irgend-wo eine Schwachstelle gebildet, durch die ereingedrungen ist. Seht euch um. Innen undaußen. Ich will wissen, wie er hereingekom-men ist.«

Sakkaga gab den anderen Dienern einenWink und eilte mit ihnen hinaus.

Der Hagere ließ seine Finger über denArm Grizzards gleiten. Er stellte fest, daßder Stoff der Blusenjacke von außergewöhn-licher Qualität war. Er war so kostbar, wieCaidon-Rov ihn noch nie in seinem Lebengesehen hatte. Aufgrund der Verzierungendaran glaubte der Herr der Feste Grool, daßGrizzard aus einem Lebenskreis mit beson-ders hochstehendem Niveau stammte. So et-was aber gab es, wie er meinte, auf Pthornicht. Selbst in der FESTUNG nicht.

Caidon-Rov streckte Grizzard freundlichlächelnd die Hände entgegen.

»Komm«, sagte er. »Steh auf. Bewegedich.«

Grizzard blickte ihn an. Deutlich erkenn-bar versuchte er, aufzustehen. Es gelang ihmaber nicht, das Spiel seiner Muskeln richtigzu koordinieren.

»Entweder leidest du unter einer schwe-ren Gehirnstörung«, sagte Caidon-Rov mit-leidig, »oder dir ist dein eigener Körperfremd geworden. Du hast einen Schock, undes wird meine Aufgabe sein, dich daraus zulösen.«

Caidon-Rov war vereinsamt, seit er alleinmit den Dienern in der Feste lebte. Er wardurchaus nicht unglücklich, daß nun jemandgekommen war, den er umsorgen konnte.

4.

Es wurde diesig und kühl.Lebo Axton fröstelte. Er wurde sich sei-

ner Nacktheit bewußt. Unwillkürlich beweg-te er die Arme und Beine, um den Kreislaufanzuregen.

Eigentlich hätte er froh über den neuenKörper sein müssen, der unendlich viel lei-

stungsfähiger war als der andere. Doch Ax-ton erfuhr, welch tiefe Bedeutung das Worthatte: Niemand kann heraus aus seinerHaut.

Das Gefühl der Fremdheit war übermäch-tig, und Axton spürte die Furcht in sich,schon bald wieder aus diesem Körper ver-trieben zu werden. Bisher waren er und derverwachsene Körper eine Einheit gewesen.Diese Einheit konnte er nicht einfach ver-gessen. Sie war ein bestimmtes Element sei-nes Lebens.

Alles war ganz anders gewesen, als er imRobotkörper gelebt hatte. Zu keiner Zeit hat-te er das Gefühl der Fremdheit gehabt. Dar-über hinaus aber hatte er stets in der Über-zeugung gelebt, daß eine Rückkehr in seinennatürlich gewachsenen Körper unmöglichwar.

Als Axton sich jetzt aufrichtete und aufden Boden kauerte, nahm er unwillkürlichdie Haltung an, zu der ihn sein anderer Kör-per gezwungen hätte. Er zog die Schulternhoch, krümmte den Rücken ein wenig undließ die Schultern sinken. Er glaubte, unterAtemnot zu leiden.

Die beiden Fremden drehten sich hin undwieder um. Aus dem Tonfall, in dem siesprachen, schloß er, daß sie sich über ihn un-terhielten. Er glaubte, aus ihren Worten her-aushören zu können, daß sie ihm ohne emo-tionelle Beteiligung gegenüberstanden. Eini-ge Male fiel der Name Grizzard.

Axton schloß daraus, daß er im Körper ei-nes Mannes namens Grizzard lebte.

Er versuchte, sich über die Situation klar-zuwerden, kam in dieser Hinsicht jedochnicht weiter. Ihm schien, daß sein Körperden geistigen Befehlen nur zögernd oder garwiderstrebend folgte. Er hatte Schmerzen inden Gelenken, und die Muskulatur erschienihm unnatürlich verhärtet. Unwillkürlichdachte er daran, wie es ihm ergangen war,wenn er körperlich hart beansprucht wordenwar. Dabei hatte er jedoch nicht das Gefühl,einen Muskelkater zu haben. Er meinte, die-ser Grizzard müsse entweder paralysiertworden sein oder besonders lange geschla-

20 H. G. Francis

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fen haben.Das seltsame Gefährt jagte mit hoher Ge-

schwindigkeit auf drei Berge zu, von denender höchste etwa 7500 Meter war. Die ande-ren beiden Gipfel waren dagegen deutlichkleiner. Der Wagen fuhr durch eine Gras-landschaft, die hin und wieder von Tannen-wäldchen unterbrochen wurde.

Als sie sich einem Hohlweg näherten,verringerte das Fahrzeug seine Geschwin-digkeit. Der Mann mit dem stechendenBlick machte eine ausholende Bewegung.Axton hatte den Eindruck, daß er beunruhigtwar und nicht durch den Hohlweg fahrenwollte. Fürchtete er, in eine Falle zu fahren?

Axton wünschte, man hätte ihm endlichetwas zum Anziehen gegeben. Ihm war kalt,und er fürchtete, daß die Fahrt höher und hö-her in die Berge hinaufführen würde. Er ver-spürte wenig Lust, nackt im Schnee herum-zulaufen.

Er wollte den Dunkelhaarigen mit demstechenden Blick bitten, ihm etwas zu ge-ben, doch dann wurde er sich dessen be-wußt, daß dieser ihn nicht verstehen würde.Es wäre sinnlos gewesen, Interkosmo oderArkonidisch mit ihm zu reden. Er sprach ei-ne andere Sprache, wie Axton sie nie zuvorgehört hatte.

Bevor er sich dazu entschließen konnte,mit Hilfe der Gestensprache etwas zu erbit-ten, sackte der Wagen plötzlich weg. Errutschte in eine raffiniert angelegte Fallehinein, die etwa hundert Meter vor demHohlweg lag. Das Fahrzeug prallte gegenden Sand, und seine drei Insassen flogenhinaus.

Lebo Axton überschlug sich, stürzte aufdie Schulter, prallte mit dem Kopf gegeneinen Ast und blieb einige Sekunden langbetäubt auf dem Boden liegen.

Er hörte das Gebrüll einiger Männer. Esschreckte ihn auf. Er fuhr hoch und sah sichvon etwa zwanzig Angreifern gegenüber.Sie trugen zerlumpte Kleider und sahen demDüsteren mit dem stechenden Blick ähnlich.Sie waren mit Messern und Holzknüppelnbewaffnet. Bevor Axton wußte, wie ihm ge-

schah, erhielt er einen Schlag über den Kopfund stürzte zu Boden. Er sah einen der Zer-lumpten über sich. Der Mann hob einendicken Holzknüppel hoch über den Kopf.

Axton wälzte sich zur Seite. Der Hiebverfehlte ihn nur knapp. Er hörte, wie dasHolz sich klatschend in den Waldbodengrub. Er erkannte entsetzt, daß der Schlagihn getötet hätte, wenn er ihn am Schädelgetroffen hätte.

Instinktiv warf Axton sich nach vorn. Erpackte die Beine des Zerlumpten und riß ihnzu Boden, bevor er zu einem neuen Schlagansetzen konnte. Überraschend kraftvollfuhr seine Faust hoch. Er schlug sie seinemGegner unter das Kinn und setzte ihn außerGefecht.

Axton richtete sich staunend auf. Er riebsich die Faust. Dabei veränderte sich seineKörperhaltung wieder. Er sackte in sich zu-sammen, als könne er sich nicht halten, under machte ein paar unbeholfene Schritte aufeinen anderen Mann zu, der von dem Düste-ren ausgeschaltet worden war.

Fassungslos beobachtete er, wie dieserund der Geschuppte kämpften. Sie schlugenunglaublich kraftvoll auf die Angreifer ein.

Jemand sprang Axton von hinten an undwarf ihn zu Boden. Vom gleichen Momentan verwandelte er sich in eine Kampfma-schine. Er dachte nicht mehr und beobachte-te nicht mehr, sondern kämpfte um sein Le-ben. Da er in seinem verwachsenen Körperallen Kämpfen ausgewichen und in seinemRobotkörper stets grenzenlos überlegen ge-wesen war, hatte er jetzt Mühe, seine Kräfterichtig einzusetzen.

Einmal schlug er so hart zu, daß er glaub-te, sich die Hand gebrochen zu haben. DerSchmerz fuhr ihm durch den ganzen Körperund zwang ihn zu Boden. Er sah nichtsmehr. Vor seinen Augen schien sich alles inflimmerndem Licht aufzulösen. Gerade indiesen Sekunden, in denen er praktischwehrlos war, rissen ihn zwei Gegner hoch.Er versuchte sie abzuwehren, schlug jetztaber viel zu schwach zu. Zwei Hiebe trafenihn an der Brust. Sie warfen ihn zu Boden.

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Er riß die Augen auf. Einer seiner beidenGegner setzte sich ihm auf die Beine, wäh-rend der andere mit einem Messer ausholte,um ihn zu erstechen.

In höchster Not grub Axton dem Mann,der auf ihm saß, die Finger in die Haare undriß ihn mit ganzer Kraft zu sich heran. Zu-gleich stieß der andere zu. Beide erkanntenden gefährlichen Trick Axtons. Sie schrienauf vor Entsetzen, aber der eine konnte sichnicht aus dem Griff des Nackten befreien,während der andere von seinem eigenenSchwung mitgerissen wurde.

Die Klinge fuhr dem Mann, der auf Axtonsaß, tief in die Schulter.

Der Terraner nutzte den Moment derÜberraschung für sich und stieß den Mannvon sich. Dabei gelang es ihm, das Messeran sich zu bringen. Er sprang auf und stelltesich an einen Baum, um den Rücken frei zuhaben.

Der Düstere und das geschuppte Wesenhatten etwa zehn Männer zu Boden geschla-gen. Die anderen zogen sich einige Schritteweit zurück. Sie zögerten, erneut anzugrei-fen. Axton erkannte, daß sie warten wollten,bis die Bewußtlosen wieder zu sich kamenund weiterkämpfen konnten.

Er eilte zu dem Düsteren und dem Ge-schuppten hin und stellte sich zu ihnen, sodaß sie sich gegenseitig den Rücken decktenund die Angreifer beobachten konnten.

Axton beobachtete, daß einige von ihnenihre Messer an langen Ästen befestigten. DieAbsicht war klar. Da sie im direkten Zwei-kampf kein Übergewicht erlangten, wolltendie Zerlumpten Speere werfen. Damit wur-den sie fraglos noch gefährlicher, als sie be-reits waren.

Doch wenig später zeigte sich, daß dieWegelagerer nur geblufft hatten. Sie tatennur so, als seien sie mit Vorbereitungsarbei-ten beschäftigt. Sie griffen an, während Ax-ton noch glaubte, daß sie wenigstens zehnMinuten benötigten, die Lanzen fertigzustel-len.

Er streckte den Angreifern die Faust mitdem Messer drohend entgegen …

Plötzlich ertönte ein schriller Pfiff.Schlagartig blieben die Zerlumpten stehen.Sie blickten sich unsicher um.

Unter den Bäumen kam eine hochge-wachsene Gestalt hervor. Sie war in kostba-re Pelze gehüllt. Auf ihrer Schulter hockteein kleiner, weißer Geier. Axton vermutete,daß es ein noch junges Tier war. Der Mannsah dem Düsteren so ähnlich, daß er einZwillingsbruder von ihm hätte sein können.Er verfügte über eine überragende Autorität.

Während er sich den drei Überfallenennäherte, machte er den Zerlumpten mit derHand ein Zeichen. Er befahl ihnen mit dieserGeste, sich zurückzuziehen.

Und sie gehorchten widerspruchslos.Dann geschah etwas, womit Axton nicht

gerechnet hatte.»Verdammt«, sagte der Düstere.Axton war, als ob er von einem elektri-

schen Schlag getroffen worden sei. Der Dü-stere hatte Interkosmo gesprochen. Axtonwar so überrascht, daß er nicht in der Lagewar, auch nur einen Laut über die Lippen zubringen.

*

Nicht nur Axton war wie vom Schlag ge-troffen.

Die Überraschung war für Razamon nichtweniger groß. Er hatte nicht damit gerech-net, einem echten Berserker zu begegnen.So entfuhr ihm unwillkürlich der terranischeFluch: »Verdammt.«

Er ahnte nicht, welche Wirkung er damitauf den Nackten erzielte. Diesen beachteteer gar nicht. Sein ganzes Augenmerk richte-te sich auf den Berserker.

Er erinnerte sich an die Gerüchte, in de-nen es hieß, daß in den unzugänglichen Ge-bieten des Taambergs noch echte Berserkerlebten. Diese Gerüchte schienen sich nun zubestätigen.

Aber auch der Bepelzte schien grenzenlosüberrascht zu sein, ihn zu sehen.

»Du bist ein echter Berserker«, sagte er zuRazamon. »Aber wir haben dich nie gese-

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hen.«Er trat näher an Razamon heran und

blickte ihm prüfend in die Augen. Kolphyrund den unbekleideten Grizzard schien ernicht zu beachten.

»Ich bin Orzmoran«, fuhr der Bepelztefort. Er deutete auf den Geier auf seinerSchulter. »Und der Stormock heißt Kirzo.«

»Ich bin Razamon«, erwiderte der Beglei-ter Kolphyrs. »Man hätte uns beinahe über-wältigt. Viel hat nicht gefehlt.«

»Davon bin ich nicht überzeugt«, sagteOrzmoran lächelnd. »Ich hatte eher den Ein-druck, daß der Kampf bald zu Ende gewesenwäre. Mit dir als Sieger.«

Er deutete auf Kolphyr und Grizzard.»Ihr steht unter meinem Schutz. Du und

deine Freunde. Ihr habt keinen weiteren An-griff zu befürchten.«

Razamon betrachtete die Zerlumpten, diein respektvollem Abstand von ihnen blieben.Er zweifelte nicht daran, daß es Nachkom-men von Berserkern waren. Orzmoran bestä-tigte ihm seine Vermutung.

»Jetzt leben sie als Wegelagerer und über-fallen alle, die sich hier sehen lassen«, er-klärte er. »Es ist ein hartes Leben, bei demdie Faust mehr im Vordergrund steht als derKopf.«

Verächtlich verzog er die Lippen. Ermacht damit deutlich, daß er sich mit diesemLeben auf keinen Fall identifizierte.

»Leben außer dir noch weitere Berser-ker?« fragte Razamon.

»Allerdings.« Orzmoran antwortete be-reitwillig auf die Fragen. »Die letzten Ber-serker haben lange Zeit zurückgezogen ge-lebt. Erst die jüngsten Ereignisse haben sieveranlaßt, nach unten zu kommen.«

Er lächelte flüchtig.»Wir wollen natürlich wissen, was vor-

geht«, fuhr er fort. »Das Berserkertum habenwir längst abgelegt, obwohl wir – wenn eseinmal sein muß – kräftig zuschlagen kön-nen.«

Er zwinkerte Razamon verständnishei-schend zu. Mit seinen Worten verriet er die-sem, daß es ihm ähnlich ging wie ihm selbst.

Auch Razamon hatte sein Berserkertum ab-gelegt. Da er immer wieder in gewaltsameAuseinandersetzungen geriet, waren seineAnfälle schon lange nicht mehr aufgetreten.Es kam nicht mehr zu einem Aggressions-stau bei ihm.

»Was geschieht jetzt?« fragte Razamon.»Ich lade dich und deine Begleiter an, mit

mir nach oben zu gehen und dort Wiederse-hen zu feiern«, antwortete Orzmoran freund-lich. »Sodann möchte ich mehr über dichwissen. Ich möchte hören, wer du bist, wo-her du kommst, und was dir widerfahrenist.«

Razamon hatte den Eindruck, daß diePhase der größten Gefahr vorbei war. Er hat-te keine Bedenken, Orzmoran zu folgen. Erwußte, daß er seinem Wort vertrauen durfte.

Orzmoran gab den Wegelagerern einenWink. Einige von ihnen traten ehrfürchtig anihn heran.

»Gebt ihm ein paar Sachen«, befahl er.»Ich will nicht, daß er hier nackt herumläuft.Es ist zu kalt.«

Die Zerlumpten diskutierten kurz. Dannlegten einige von ihnen einfache Kleidungs-stücke ab und reichten sie Axton. Dieserstreifte sie hastig über. Er war froh, endlichetwas zu haben, was ihn gegen die Kälteschützte. Zu seinem Entsetzen begann esaber schon wenig später, auf seiner Haut zujucken. Er spürte die Stiche und Bisse vonParasiten, und er nahm sich vor, die Klei-dungsstücke so schnell wie möglich zu reini-gen.

Razamon grinste, als er sah, wie»Grizzard« sich kratzte.

*

»Wir steigen hier hoch«, sagte Orzmoranund zeigte auf einen Pfad, der durch denTannenwald führte. »Es geht steil bergan.«

Damit war für Razamon klar, daß sie denTorc nicht mehr benutzen konnten. Er über-ließ sich der Führung Orzmorans. Schonnach kurzer Zeit verließen sie den Tannen-wald. Der Pfad stieg danach tatsächlich steil

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an.»Es scheint auf den Schubath zu gehen«,

raunte Razamon Kolphyr zu. Er war über-rascht, denn es hieß, daß dieser 7500 m hoheBerg noch niemals bestiegen worden war.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß daoben jemand lebt«, entgegnete der Bera. Sei-ne Blicke wanderten nach oben. Die Schnee-grenze lag schon bei etwa 1500 Metern. Siehatten sie bald erreicht. Ein eisiger Windstrich an den Flanken des Berges entlang.Die Kälte kroch durch die Kleider.

Razamon beobachtete Grizzard. DerFremde machte ihm Sorgen. Er sah deutlich,daß es ihm immer wieder Schwierigkeitenmachte, sich richtig zu bewegen. Einige Mi-nuten lang ging alles gut, dann aber verdreh-te er den einen oder den anderen Fuß undstolperte. Doch er stürzte nicht, sondern fingsich immer wieder ab.

Hin und wieder ließ er die Schultern nachvorn kippen, so als leide er unter Rücken-schmerzen. Dann schleiften die Füße so be-ängstigend über den Boden, daß Razamonmeinte, er werde gleich zusammenbrechen.Doch Grizzard richtete sich immer wiederauf, so als ob ein Ruck durch ihn ginge. Da-nach bewegte er sich einige Minuten langvöllig normal. Seine Schritte wirkten danngeschmeidig und sicher.

Es war, als müsse er sich ständig auf dieBewegungsabläufe seiner Extremitäten kon-zentrieren.

Razamon machte sich kaum Gedankendarüber. Für ihn war Grizzard ein Mann, derfür Jahrhunderte oder gar noch mehr in einerNische in künstlichem Schlaf gelegen hatte.Daher wäre er eher überrascht gewesen,wenn er keine Schwierigkeiten mit seinemKörper gehabt hätte.

Er bedauerte, daß Grizzard nicht an-sprechbar war. Mehrfach hatte er es mitPthora versucht, aber ohne den geringstenErfolg. Er hatte keinerlei Reaktionen an demErwachten bemerkt, so daß er nun davonüberzeugt war, daß Grizzard nie pthorischeLaute gehört hatte. Er kam nicht auf den Ge-danken, es in einer anderen Sprache zu ver-

suchen. Das wäre aus seiner Sicht auch völ-lig widersinnig gewesen.

Als sie die Schneegrenze erreicht hatten,blieb Orzmoran stehen. Er wartete, bis Raza-mon, Kolphyr und Grizzard bei ihm waren.Razamon blickte ins Tal zurück. Die Tan-nenwälder, in denen sie überfallen wordenwaren, lagen in einer Nebelbank. Von denWegelagerern war nichts mehr zu sehen.

»Von hier an geht es in das Innere desBerges«, erklärte Orzmoran.

»Die letzten Berserker leben also in einerHöhle«, stellte Razamon fest. »Nun. Dasnenne ich eine Überraschung.«

»Warte ab. Du wirst noch mehr über-rascht.«

Orzmoran bückte sich und legte eineHand an die Unterseite eines vorspringendenFelsens. Dieser wich zur Seite und gab denBlick in einen Gang frei, der in den Bergführte. Orzmoran betrat den Gang. Er nahmeine Fackel aus einem Felsspalt und zündetesie an. Als sie etwa zehn Meter weit gegan-gen waren, drückte er einen Hebel, der ausder Wand ragte, in die Wand hinein. Knir-schend schloß sich der Gang hinter ihnen.

»Man hat schon versucht, uns zu folgen«,berichtete Orzmoran amüsiert, »doch keinerhat herausgefunden, wo wir bleiben. Nie-mand hat bisher entdeckt, wie sich der Fel-sen da draußen bewegen läßt. Und sollte tat-sächlich jemand Glück haben, wird es ihmnicht bekommen.«

Er legte eine Hand gegen den Felsen, die-ser wich zurück, und Orzmoran betrat einegeräumige Höhle, die nach oben hin offenwar. Von dort hingen zwei aus Stricken undLederstücken geflochtene Körbe an Zugsei-len herab.

»Steigt ein«, forderte Orzmoran Raza-mon, Kolphyr und Grizzard auf. »Die Körbetragen euch. Man wird euch hochziehen.«

Damit wurde Razamon endlich klar, wes-halb der bepelzte Berserker vorher in so selt-samem Ton gesagt hatte, sie sollten ihmnach oben folgen. Als Orzmoran den Fels-gang betreten hatte, da hatte Razamon damitgerechnet, daß er sie in die Tiefe führen

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würde.Orzmoran half Razamon, Kolphyr und

Grizzard dabei, in die Körbe zu steigen. Erkletterte als letzter hinein. Der Geier bliebauf seiner Schulter sitzen, als ginge ihn allesgar nichts an.

Orzmoran zog an einem Lederseil, das ne-ben den Körben herabhing, und irgendwoweit über ihnen setzte jemand ein Räder-werk in Bewegung. Die Körbe stiegen laut-los nach oben. Zunächst schwebten siedurch einen relativ engen Schacht, aber dannweitete sich die Höhle mehr und mehr. Raz-amon hatte den Eindruck, daß der BergSchubath in seinem Gipfelbereich hohl war.

Staunend blickte er nach oben.An den Innenwänden der gigantischen

Höhle, die teils von Fackeln, teils durch Öff-nungen von draußen hereinfallendem Lichterhellt wurde, klebten zahllose Plattformenmit hausähnlichen Gebilden darauf. Sie sa-hen Schwalbennestern ähnlich und warendurch ein Gewirr von geflochtenen Hänge-brücken und Korbsystemen miteinander ver-bunden. Staunend sah Razamon, daß auf ei-nigen Plattformen sogar Anbauflächen er-richtet worden waren, auf denen Obst undGemüse gezogen wurde. In Käfigen lebtenzahlreiche Haustiere der unterschiedlichstenArt. Von den Käfigen führten vielfach Gän-ge nach draußen, so daß die Tiere die Höhleauch verlassen konnten.

»Hier leben wir«, erklärte Orzmoranstolz.

»Wir?« fragte Razamon. »Wieviele seidihr noch?«

»Wir sind siebenunddreißig Männer undsechsundzwanzig Frauen. Kelschostra istunsere Stadt.«

»Ich nehme an, daß du der Anführer bist«,sagte Razamon.

»Allerdings«, antwortete Orzmoran. »Siehören auf mich. Es ist nicht schwer, ihr An-führer zu sein. Probleme ergeben sich nuräußerst selten. Meistens werden sie vondraußen hereingetragen.«

Razamon lächelte.»Wir kommen von draußen«, bemerkte

er.»Bei euch rechne ich nicht mit Proble-

men«, erwiderte Orzmoran.Sie schwebten mit den Körben bis zu ei-

ner Plattform, die sich in halber Höhe derHöhle befand. Die Öffnung, durch die siegekommen waren, lag nun mehr als zwei-hundert Meter unter ihnen. Orzmoran pfiffauf den Fingern, und von allen Seiten näher-ten sich ihnen stolze Gestalten. Sie alle hat-ten eine verblüffende Ähnlichkeit mit Raza-mon, die Frauen ebenso wie die Männer. Siewaren mit kostbaren Pelzen bekleidet.

Orzmoran zeigte auf Razamon.»Das ist Razamon, ein Berserker«, rief er

mit hallender Stimme. »Er ist zu uns zurück-gekehrt. Das ist ein Grund für uns zu feiern.Bereitet alles vor.«

Razamon bemerkte, daß man ihn wohl-wollend betrachtete, während man Grizzardmit haßerfüllten Blicken bedachte. Ihn sahman offenbar als Unwürdigen an, der keinRecht hatte, in der Höhle Kelschostra zusein. Kolphyr dagegen behandelten sie neu-tral. Er war so fremdartig, daß er ihren Wi-derwillen nicht erregte.

*

Axton spürte die Abneigung der Männerund Frauen in der Halle. Der Kosmokrimi-nalist hatte Feingefühl genug, um zu mer-ken, daß er nicht willkommen war. Er warvon der seltsamen Stadt im Berg fasziniertund hätte sich am liebsten ausschließlich da-mit beschäftigt, sie zu erforschen. Dochwollte er ihre Bewohner nicht mehr stören,als unvermeidbar war.

Er erfaßte, daß der Anführer einen Befehlgegeben hatte, dem alle nur zu gern folgten.Er beobachtete Orzmoran und Razamonsorgfältig. Die Namen hatte er mittlerweilemitbekommen. Zwischen Razamon undOrzmoran entwickelte sich ein lebhaftes Ge-spräch, bei dem beide in ausgelassener Stim-mung waren.

Er beobachtete, daß Razamon eine jungeFrau fast ständig im Auge behielt, die ihm

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und Orzmoran einen Krug mit einem Ge-tränk brachte. Sie bot auch Kolphyr davonan, doch dieser lehnte schweigend ab. Aufden Gedanken, auch ihm den Krug zu bie-ten, kam sie nicht.

Die anderen Höhlenbewohner eilten überdie Hängebrücken davon. Axton sah, daß siesich wuschen, Krüge mit Getränken aus ih-ren Hütten holten oder sich andere Pelzeüberstreiften. Überall herrschte geschäftigesTreiben.

In der Nähe befand sich eine Hütte, dieoffenbar nicht bewohnt war. Sie klebte wieein halbmondförmiges Schwalbennest an derWand. Von einer Plattform aus führte einschmaler Gang ins Freie. Er war mit Netzenverhängt.

Da sich niemand um ihn kümmerte, erhobsich Axton. Er ging über eine Hängebrückezu der Hütte hin und blickte hinein.

Sie war tatsächlich leer.Axton schob das Netz zur Seite und trat

durch den Gang ins Freie hinaus. Frische,kühle Luft wehte ihm entgegen. Draußen lagmeterhoher Schnee. Seine Hoffnung, etwasvon dem Land zu sehen, in dem er materiali-siert war, erfüllte sich nicht. Nebel lag überdem Land. Aber selbst wenn er etwas gese-hen hätte, hätte ihm das nicht viel geholfen.

Als er sich umdrehte, stand einer der Höh-lenbewohner vor ihm. Er erkannte ihn an ei-ner Narbe wieder, die seine Unterlippe ver-unstaltete. Der Mann blickte ihn drohend an.Axton versuchte, sich harmlos zu geben, umdadurch die Angriffslust der anderen zudämpfen. Er lächelte.

»Ich habe keine Ahnung, wo ich bin«,sagte er. »Ich wollte mich ein wenig umse-hen.«

Er sprach Interkosmo, wobei es ihm aller-dings unerwartete Mühe machte, die Wortezu formulieren.

Der Berserker schien jedoch kein Interes-se daran zu haben, sich mit ihm zu verstän-digen. Er sprang ihn aus dem Stand herausan. Axton beobachtete, daß er in den Knienleicht einknickte. Er war erfahren genug, umzu wissen, was kam. Er warf sich zur Seite.

Der Düstere schnellte sich an ihm vorbei.Seine ausgestreckten Hände verfehlten ihn.Er landete bäuchlings auf dem Schnee undrutschte etwa vierzig Meter weit ab, bevor ersich abfangen konnte. Bleich vor Zornsprang er wieder auf die Beine und blicktezu Axton hoch.

»Tut mir leid, Freund«, sagte der Terranerspöttelnd. »Ich habe dich nicht gebeten, mirderart stürmisch die Hand zu geben.«

Der Höhlenbewohner rannte das Schnee-feld hoch auf ihn zu, kam jedoch nur lang-sam voran, weil der Schnee immer wiederunter seinen Füßen wegrutschte.

Lebo Axton wollte sich nicht auf einenKampf mit ihm einlassen. Er zog sich in dieHöhle zurück. Er wollte zu Razamon undKolphyr gehen, doch die beiden Freundewaren verschwunden. Sie mußten eine derHütten an den Wänden betreten haben.

Bevor er nach ihnen rufen konnte, erschi-en der vor Wut tobende Berserker hinter ihmim Gang.

Axton flüchtete über eine Hängebrückeauf ein Haus zu, bei dem sie mit dem Auf-zugskorb angekommen waren.

Als er mitten auf der Hängebrücke war,schleuderte sein Verfolger einen Tonbehäl-ter auf ihn. Er traf ihn im Genick. Axtonstürzte benommen auf die Knie. Seine Beinewaren plötzlich kraftlos, als wären sie ge-lähmt.

Der Höhlenbewohner eilte auf ihn zu,packte ihn unter den Armen und hob ihn vonder Brücke. Er lachte triumphierend auf undließ Axton fallen.

5.

Caidon-Rov fuhr aus dem Schlaf auf.Er horchte in die Dunkelheit. Wispernde

Stimmen erklangen an der Tür seinesSchlafraums.

Der Herr der Feste Grool schlüpfte vonseiner Liege und schaltete das Licht an. Ereilte lautlos zur Tür. Dort blieb er stehen.Wieder ertönten Stimmen. Dann klappte ei-ne Tür, und es wurde ruhig. Caidon-Rov

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fuhr sich mit beiden Händen über das Ge-sicht. Er war müde, und er fühlte sich leer.

Doch dann erinnerte er sich daran, daß eres sich zur Aufgabe gemacht hatte, über denFremden zu wachen und ihn zu pflegen.

»Grizzard«, murmelte er.Er lief zu einer anderen Tür und öffnete

sie leise, um den Verwachsenen nicht zu stö-ren. Der Lichtschein der Deckenlampe fieldurch die offene Tür auf das Lager Griz-zards.

Es war leer.Caidon-Rov erschrak. Hastig schaltete er

das Licht im Nebenraum an. Vor dem Lagerbefanden sich einige rote Flecken auf demBoden. Er bückte sich und strich mit denFingern darüber hinweg. Es waren Blut-flecke.

In höchster Sorge kehrte der Hagere inseinen Schlafraum zurück und holte sich ei-ne Energiestrahlwaffe. Er hatte sie in denRäumen Porquetors gefunden. Zu keinerZeit hatte er daran gedacht, daß Grizzard inder Feste einer Gefahr ausgesetzt sein könn-te. Er vertraute seinen Dienern, die sich bis-lang immer als absolut zuverlässig erwiesenhatten. Jetzt aber hatte jemand den Ver-wachsenen verschleppt und dabei verletzt.

Caidon-Rov konnte sich den Vorgangnicht erklären. Er konnte sich keinen ver-nünftigen Grund denken, der dazu geführthatte, seine Helfer zu so einer Tat zu verlei-ten.

Er wollte bereits aus seinem Schlafraumstürzen, als ihm Bedenken kamen. Wer auchimmer Grizzard geraubt hatte, der hatte sichdamit zugleich auch gegen ihn erhoben. Daskam einer Revolte gleich. Wer so etwaswagte, der war sich darüber klar, daß seinHandeln Folgen hatte. Daher blieb ihm garkeine andere Wahl, als ihm Fall einer Ent-deckung mit ganzer Härte zuzuschlagen.

Caidon-Rov kam zu dem Schluß, daß dieVerantwortlichen wenigstens eine Wachevor seinem Schlafraum zurückgelassen hat-ten. Dazu waren sie schon aus Sicherheits-gründen gezwungen. Er weilte zu einer ver-steckten Tür, öffnete sie, kam auf einen

schmalen Gang, auf dem gerade Platz genugfür einen schlanken Mann wie ihn war, eilteihn entlang und verließ ihn durch eine eben-falls versteckt angebrachte Tür wieder.

Inzwischen war er davon überzeugt, daßdie Täter versuchen würden, Grizzard ausder Feste zu bringen.

Was aber bezweckten sie?Er konnte sich das Geschehen nicht erklä-

ren, da Grizzard seiner Ansicht nach keinenrealisierbaren Wert darstellte.

Verstört fragte er sich, ob Sakkaga odereiner der anderen Technos über Informatio-nen verfügte, die er nicht hatte. Wenn dasder Fall war, dann war seine Position in derFeste Grool stark gefährdet, denn seine Au-torität und seine Macht beruhten nicht nurauf der Tatsache, daß er die besseren Waffenhatte. Es war vor allem sein überlegenesWissen, das ihm Macht verlieh.

Er schlich sich durch leere Gänge nachunten. Früher oder später hoffte er, auf dieEntführer zu treffen und sie zu überraschen.Doch erst als er die in weitem Bogen biszum Tor führende Spirale erreicht hatte, saher sie. Es waren drei Technos. Sie schlepp-ten Grizzard auf einer Trage auf das Tor zu.

Durch eines der Fenster fiel Licht nachunten. Caidon-Rov sah, daß die TechnosGrizzard mit Stricken an die Trage gefesselthatten. Er blutete aus einer Wunde an derStirn.

Lautlos eilte er hinter ihnen her. Er ließsie bis zum Tor kommen. Einer von ihnenschaltete Licht an, so daß er sie besser sehenkonnte. Sie standen beieinander und disku-tierten. Er vermutete, daß sie nicht wußten,wohin sie sich wenden sollten.

Er trat aus der Dunkelheit heraus auf siezu. Die Strahlenwaffe hielt er schußbereit inder Hand. Sie sank ihm nach unten, als erSakkaga erkannte, der die Gruppe der Tech-nos anführte.

»Verräter«, sagte er zornig. »Das ist alsodeine Antwort auf meine Güte.«

»Verzeih mir, Herr«, rief Sakkaga ent-setzt. »Ich konnte nicht anders.«

Caidon-Rov wollte seine Worte nicht hö-

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ren. Er schoß und tötete ihn. Danach richteteer die Waffe auf die anderen.

»Wohin wolltet ihr ihn bringen?« forschteer.

»In die FESTUNG«, antwortete einer derTechnos. Er trat furchtlos auf Caidon-Rovzu. Dabei zeigte er auf den Verwachsenen.»Man sieht schon an der Kleidung, daß die-ser Mann etwas Besonderes ist. Niemand hatje eine solche Kleidung auf Pthor gesehen.Daher ist es ein Verbrechen, ihn in der FesteGrool gefangenzuhalten. Die neuen Herren,die Söhne Odins, müssen wissen, daß er hierist. Deshalb hat Sakkaga befohlen, ihn in dieFESTUNG zu bringen.«

Das waren ungewöhnliche Worte füreinen Techno. Sie bewiesen nicht nur, daßdieser Techno über eine beachtliche Intelli-genz, sondern auch über Mut und Entschluß-kraft verfügte. Beides war Caidon-Rov unterden gegebenen Umständen nicht recht.

Er selbst war längst auch zu den Schlüs-sen gekommen, die die Technos gezogenhatten. Doch hatte er im Gegensatz zu ihnendaraus nicht abgeleitet, daß er den Verwach-senen in die FESTUNG bringen mußte. Tat-sächlich hatte er auch diesen Gedanken er-wogen, aber sogleich wieder verworfen. Erwollte nicht den neuen Herren der FE-STUNG einen Dienst erweisen, sondernendlich seine Einsamkeit durchbrechen. Erbrauchte jemanden, für den er sorgen konn-te.

Dazu reichte einer der Technos nicht aus.Diese Geschöpfe waren für ihn zu wenigentwicklungsfähig. Ein geheimnisvollerMann wie jener Grizzard aber war genaurichtig für ihn. Was interessierten ihn dieSöhne Odins. Er war egoistisch genug, denVerwachsenen ganz allein für sich zu bean-spruchen.

Die verräterische Initiative der Technosversetzte ihm einen schweren Schlag. Er er-kannte, daß er sie zu freundlich behandelthatte. Sie waren aufgrund ihrer psychologi-schen Struktur nicht in der Lage, so etwas zuwürdigen. Sie brauchten eine strenge Hand.

»Ihr werdet eure Strafe bekommen«, er-

klärte er. »Bringt ihn zurück.«Sie verstanden, was er meinte. Und er

wußte, weshalb er ihnen in diesem Ton ge-droht hatte. Er wollte einen Angriff auf sichprovozieren. Tatsächlich ließen die Technossich herausfordern, als er so tat, als wolle ersich abwenden.

Sie stürzten sich schreiend auf ihn. Siesuchten eine schnelle Entscheidung undglaubten, ihn überwinden zu können.

Er fuhr herum und erschoß sie mit derStrahlenwaffe.

Ein zorniges Lächeln glitt über seine Lip-pen. Niemand sollte glauben, daß er soleicht zu überlisten war.

Über die spiralförmige Treppe kamenzehn Technos herbeigelaufen. Sie warfensich vor ihm zu Boden, um ihm zu zeigen,daß sie nicht an Widerstand dachten.

»Bringt ihn wieder nach oben«, befahl er.»Beeilt euch. Und versorgt seine Wunde.«

Er trat zur Seite und überwachte denTransport. Zunächst befürchtete er noch, daßdie Technos sich dem Aufstand anschließenwürden, dann aber zeigte sich, daß die Re-bellion der Diener bereits beendet war. DieTechnos beugten sich seiner Macht.

*

Axton-Kennon schrie gellend auf, als ervon der Hängebrücke stürzte. Er schlug mitArmen und Beinen um sich.

Unter ihm gähnte ein Abgrund von zwei-hundert Metern Tiefe.

Seine Hand schlug gegen einen Strick undumklammerte ihn. Er warf sich mit ganzerVerzweiflung nach vorn, packte einen zwei-ten Strick und rutschte an beiden einige Me-ter herunter. Seine Hände brannten, als habeer sich die Haut abgerissen. Das war jedochnicht der Fall. Er merkte, daß er sich nichtverletzt hatte, als er etwa zehn Meter unterder Hängebrücke zwischen den Seilen pen-delte.

Sein Gegner beugte sich über die Brücke.Er lachte boshaft zu ihm herunter und riefihm etwas zu.

28 H. G. Francis

Page 29: Die Höhle der Berserker

Axton sah sich um. Er konnte sich in die-ser Lage nicht lange halten. Links und rechtsvon ihm führten Stricke in die Höhe und zuden Seiten hin. Sie dienten größtenteils derHalterung der Plattformen, die an den Felsenbefestigt worden waren. Sie führten an ihnenvorbei zu Felsvorsprüngen, an denen sie ver-ankert waren.

Axton erkannte, daß es für ihn nur eineeinzige Möglichkeit gab, sich zu retten. Ermußte sich zu einem der Ankertaue hinüber-schwingen und daran hochklettern. Wenn erdas tat, konnte der andere ihn nicht so ohneweiteres erreichen.

Doch sein gefährlicher Gegenspielerdachte gar nicht daran, ihm eine Chance zugeben.

Ein schriller Pfiff ertönte. Ein Schrei ant-wortete, und dann schwebte mit ausgebreite-ten Flügeln ein riesiger, weißer Geier ausder Höhe herab. Er landete neben dem Ber-serker auf der Hängebrücke. Dieser sprachleise auf ihn ein und deutete auf Axton.

Der Terraner kletterte an den Seilen hoch,bis er glaubte, einen Sprung riskieren zukönnen. Er warf sich zur Seite, löste sich,flog etwa zwei Meter weit durch die Luft,klammerte sich an ein anderes Seil undrutschte etwa drei Meter daran herunter, bises ihm endlich gelang, sich abzufangen. Ent-setzt erkannte er, daß das Seil eingefettetwar.

Der Berserker lachte schallend. Er gabdem Geier einen Stoß in die Seite. DerRaubvogel ließ sich nach vorn fallen, breite-te die Flügel aus und glitt lautlos an Axtonvorbei. Das Tier hatte eine Spannweite vonmehr als vier Metern.

Der Terraner sah den scharfen Raubtier-schnabel und wußte, daß er nur eine winzigeChance hatte, sich gegen das Tier zu be-haupten, wenn es ihn angriff. Er beobachtetees. Ohne die Flügel zu bewegen, zog eseinen weiten Kreis, stieg dann auf, bis es et-wa zwanzig Meter über ihm war und stürztesich auf ihn herab.

Ein schriller Pfiff hallte durch die Höhle.Der messerscharfe Geierschnabel zuckte zur

Seite und fuhr an Axton vorbei. Das Tierzog die Flügel ein und ließ sich abfallen.Erst etwa fünfzig Meter tiefer breitete es dieFlügel wieder aus und ging zum Segelflugüber.

Axton blickte nach oben.Der Berserker, der versucht hatte, ihn zu

töten, lag auf dem Boden der Hängebrücke.Orzmoran beugte sich über ihn. Seine Händewaren noch jetzt zu Fäusten geballt.

Er hatte den aufsässigen Höhlenbewohnerniedergeschlagen und Axton dadurch dasLeben gerettet.

Eilig kletterte der Terraner an demschlüpfrigen Seil in die Höhe. Er hatte dasGefühl, daß er keine Zeit verschwendendurfte. Allzu leicht, so meinte er, konntesich das Blatt wieder wenden. Er erreichtedie Plattform mit der verlassenen Hütte.Kolphyr beugte sich über ihren Rand, packteseine Arme und hob ihn mit spielerischleichter Bewegung hinauf.

Axton ließ sich auf den Boden sinken. Erblickte zur Hängebrücke hinüber, die beina-he sein Ende bedeutet hätte.

Er brachte kein Wort über die Lippen.Jegliche Kraft schien aus seinem Körper ge-wichen zu sein. Mit Entsetzen dachte er dar-an, wie es ihm ergangen wäre, wenn er sichnoch in seinem eigenen, verwachsenen Kör-per befunden hätte.

Vielleicht wäre es dann wieder zu einerEntmaterialisierung gekommen, dachte er.

Vor diesem Gedanken schrak er zurück.Er wollte sich mit aller Macht auf dieserWelt halten, obwohl er sich nicht in seinemeigenen Körper befand. Er glaubte, eineSpur gefunden zu haben, und diese wollte erauf keinen Fall verlieren.

Er ließ sich auf den Boden sinken. Dank-bar nickte er Kolphyr zu. Dieser beugte sichüber ihn, nahm seinen Kopf zwischen diemächtigen Hände und drückte ihm diefeuchten Lippen auf das Gesicht.

*

Die Vorbereitungen für das Fest gingen

Die Höhle der Berserker 29

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weiter. Axton-Grizzard versuchte nun, stän-dig in der Nähe von Kolphyr zu bleiben. Erwußte, daß er sich mit den Berserkern aufkeinen Kampf einlassen durfte.

Auch Razamon bemühte sich, bei ihm zubleiben, wurde jedoch immer wieder vonOrzmoran weggeholt. Der Anführer derHöhlenbewohner befand sich in einer ausge-zeichneten Stimmung.

»Wir haben schon lange nicht mehr gefei-ert«, rief er Razamon zu. »Du hast uns end-lich einen unwiderlegbaren Grund dazu ge-geben.«

Axton verfolgte das Geschehen und ver-suchte, etwas von der Sprache zu erfassen,doch das gelang ihm nicht besonders gut. Erhatte zwar bald einige einfache Begriffe her-aus, aber das genügte nicht. Für eine Ver-ständigung mit den Berserkern im Notfallreichte es nicht aus, wenn er Ja oder Neinsagen konnte.

Und er ahnte, daß dieser Notfall bald ein-treten würde.

Während er neben dem Geschuppten aufder Plattform saß und die Vorbereitungenfür das Fest beobachtete, stellte er fest, daßsich einige Berserker auf einer benachbartenPlattform versammelten. Sie redeten mitein-ander und blickten dabei immer wieder dro-hend zu ihm herüber.

Noch befand sich Kolphyr bei ihm. Hinund wieder war Razamon da. Und Orzmoranschien auch auf ihn zu achten.

Doch was – so fragte sich Axton – würdegeschehen, wenn das Fest erst einmal ablief?Würde es berauschende Getränke geben, diedann die noch bestehenden Hemmungen beieinigen Berserkern aufhoben?

Er wurde sich darüber klar, daß er völligauf sich allein gestellt war. Razamon konntesich den Festlichkeiten nicht entziehen. WieKolphyr reagieren würde, wußte er nicht. Erhatte noch nicht gesehen, daß der Geschupp-te irgend etwas zu sich genommen hatte,während Razamon sich von einer jungenFrau, die er Zorvara nannte, hin und wiederein Stück gegrilltes Fleisch zustecken ließ.

Immer wieder beschäftigte Axton sich mit

der Frage, ob das Wort »Verdammt« ein Zu-fall gewesen war, oder ob es doch aus demInterkosmo stammte.

Er entschloß sich, Razamon direkt daraufanzusprechen, als Orzmoran Kolphyr vondrei Frauen abholen und über einige Hänge-brücken zu einer anderen Plattform bringenließ. Gleichzeitig bedeutete der Anführer derBerserker Axton, daß er sich keine Sorge zumachen brauchte. Seine Gesten sagten, erhabe alles unter Kontrolle, und niemandwerde es wagen, ihn noch einmal anzugrei-fen.

Axton antwortete mit einer freundlichenGeste, glaubte Orzmoran jedoch nicht.

Er erhob sich und ging zu Razamon. Dochim gleichen Moment kam auch das MädchenZorvara zu dem Atlanter, hakte sich lachendbei ihm unter und entfernte sich mit ihm.Axton blickte ihnen nach.

Ihm blieb keine andere Wahl. Er mußtesich so absichern, daß jeder Angriff auf ihnvon vornherein aussichtslos wurde. Er zogsich nun auf eine höher gelegene Plattformzurück. Sie war ihm aufgefallen, weil sievon den Höhlenbewohnern nicht beachtetwurde. Als er sie über eine Hängebrücke er-reichte, wußte er auch, warum. Sie war altund brüchig. Es knisterte im Gestein, als ersie betrat.

Axton lächelte zufrieden. Diese Plattformwar genau richtig für ihn. Wenn man ihnhier angriff, würde die Plattform zu stark be-lastet werden und abbrechen. Er stellte fest,daß er sich in einer solchen Situation an ei-nigen Stricken festhalten konnte.

In der halbverfallenen Hütte auf der Platt-form fand er einige Töpfe, Felle, Tuche undein Messer. Er steckte das Messer zu sichund setzte sich an den Rand der Plattform.

Er wartete ab.In den ersten Minuten blickten die Berser-

ker noch zu ihm hoch. Sie waren überrascht,daß er sich diese Plattform ausgesucht hatte.Razamon begriff jedoch, welche Absicht erdamit verfolgte, und er gab ihm mit einemHandzeichen zu verstehen, daß er einver-standen war.

30 H. G. Francis

Page 31: Die Höhle der Berserker

Dann ließ das Interesse der Höhlenbe-wohner nach. Axton begann damit, die Tra-geseile der Hängebrücke mit dem Messer zubearbeiten. Dabei ging er so vorsichtig vor,daß keiner der Berserker etwas bemerkte.

Die Höhlenbewohner zündeten Feuer aufeinigen benachbarten Plattformen an, stell-ten Sitzmöbel auf oder breiteten Felle aufdem Boden aus und brachten große Krügemit Getränken.

Dann wurde es still. Die Höhlenbewohnerrückten eng zusammen. Sie setzten sich. NurOrzmoran blieb stehen. Er ließ sich einenKrug reichen und hielt eine Rede. Axton er-faßte nur, daß Orzmoran von Razamonsprach und ihn zu seiner Rückkehr beglück-wünschte. Dann prostete er Razamon mitdem Gebräu zu, das er Arzer-Tyrs nannte.

Die Männer und Frauen tranken.Danach blickte Orzmoran zu Axton hoch,

sagte etwas zu einem zierlichen Mädchen,und dieses eilte mit einem kleinen Krug zuihm. Dem Terraner stockte der Atem. DasMädchen wollte ihm etwas zu Trinken brin-gen. Dabei mußte es über die Hängebrücke,die er beschädigt hatte.

Ihm blieb keine andere Wahl. Er mußteihr entgegengehen.

Vorsichtig stieg er auf die Brücke, wobeier die Füße so setzte, daß die geschwächtenStellen am wenigsten belastet wurden. DasMädchen lächelte freundlich. Es war völligahnungslos. Wenn die Brücke unter ihrwegsackte, würde sie völlig überrascht wer-den.

Axton spürte, daß einige der Stricke ris-sen. Das Mädchen blieb stehen. Ihre Augenweiteten sich. Sie begriff. Ängstlich setztesie den Krug ab, flüchtete jedoch nicht, son-dern wartete, bis er bei ihr war. Er nickte ihrdankend zu und lächelte beruhigend. Dannhob er den Krug auf und trank etwas.

Überrascht stellte er fest, daß das Getränkkeinerlei Eigengeschmack hatte. Er setzteden Krug wieder ab. Das Mädchen eilte da-von. Axton ließ den Krug stehen und kehrtezur Plattform zurück. Dabei riß ein weitererStrick, die Brücke stürzte jedoch nicht ein.

Die anderen Berserker hatten nichts be-merkt. Sie konzentrierten sich auf ihr Fest,während Axton darüber nachdachte, daß sieetwas tranken, was ohne Geschmack war. Esdauerte jedoch nicht lange, bis ihm bewußtwurde, daß er sich geirrt hatte. Während erbereits eine berauschende Wirkung verspür-te, sagte er sich, daß Arzer-Tyrs sicherlichein schmackhaftes Getränk war, daß seineGeschmacksnerven jedoch versagt hatten.

Er dachte über sich und seinen Körpernach, während unter ihm das Fest weiter-ging. Ihm fiel nicht auf, daß einige weißeGeier ihre Horste hoch über ihm verließenund im Inneren der Höhle zu kreisen began-nen.

Wieso war er nackt gewesen? Warum be-herrschte er die Sprache der Männer nicht,in dessen Wagen er gewesen war? Wiesowar er überhaupt bei ihnen gewesen? Hattensie ihn irgendwo aufgelesen? War er ausge-raubt worden? Wieso beherrschte er seinenKörper nicht immer? Warum versagten dieGeschmacksnerven? Hatte dieser Körperkeine, oder aktivierten sie sich nur allmäh-lich?

Das waren alles Fragen, auf die er keineAntwort wußte. Dabei fühlte er, daß eswichtig für ihn war, möglichst bald die rich-tigen Antworten zu bekommen.

Als er aufblickte, stellte er fest, daß mehrals zehn Geier in der Höhle kreisten. Diegroßen, weißen Vögel schwebten in majestä-tischer Ruhe durch die Höhle, wichen denSeilen scheinbar mühelos aus und schienenschwerelos zu sein. Weitere Stormocks ge-sellten sich zu ihnen. Axton zählte schonbald zwanzig, dann dreißig Vögel.

Voller Unbehagen beobachtete er sie.Die feiernden Männer und Frauen blick-

ten nur hin und wieder auf das seltsameSchauspiel, das die Tiere ihnen boten. Abund zu gellte ein Pfiff durch Kelschostra.Dann stiegen die Geier höher auf, und weite-re Vögel stießen zu ihnen.

Axton zog sich bis zum Eingang der Hüt-te zurück. Er stellte fest, daß das Fenster mitTüchern verhängt war. Die Tür bildete den

Die Höhle der Berserker 31

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einzigen Eingang.Voller Unruhe fragte er sich, was er tun

sollte, falls die Stormocks sich auf ihn stürz-ten.

6.

Razamon war arglos.Er beobachtete das Schauspiel der in der

Höhle kreisenden Vögel, ohne an eine Ge-fahr zu denken. Ihm war zwar aufgefallen,daß die Höhlenbewohner Grizzard haßerfülltgegenüberstanden. Der Angriff auf Grizzardhatte ihn erschreckt, aber da Orzmoran ihmversicherte, daß nun alles in Ordnung sei,glaubte er an keine weitere Gefahr.

Außerdem zeigte das Mädchen Zorvarastarkes Interesse für ihn, und er ließ sichgern durch sie ablenken.

»Die Männer werden einen Scheinkampfin der Höhle zeigen«, verkündete Orzmoran.»So etwas hast du noch nicht gesehen.«

»Wann wird das sein?«»Sobald wir genügend Krüge geleert ha-

ben«, antwortete der Anführer der Berserkervergnügt.

Einige Frauen erschienen im Kreis derMänner. Sie spielten auf hölzernen Instru-menten, denen sie eine fröhliche Melodieentlockten. Ein Pfiff ertönte, der sich in dieMelodie einfügte. Die Geier begannen, mitden Flügeln zu flattern. Sie stiegen auf.

Razamon blickte nach oben. Er spürte dieWirkung des Alkohols. So dauerte es einigeZeit, bis er erkannte, daß die Stormocks diePlattform angriffen, auf die Grizzard sichzurückgezogen hatte.

Er sprang auf.Das Lachen auf dem Gesicht Orzmorans

erstarb. Er erhob sich ebenfalls.Razamon konnte Grizzard sehen, der mit

einem großen Tuch um sich schlug. Er standmitten im Vogelschwarm und trieb die wildflatternden Geier immer wieder zurück. DieStormocks versuchten, ihn mit Schnabelhie-ben zu erreichen.

Orzmoran pfiff auf den Fingern, doch nureinige der Tiere gehorchten. Die meisten

griffen Grizzard weiter an. Dieser zog sichbis in den Eingang der Hütte zurück. Erkämpfte verbissen weiter. Razamon hielt esnicht mehr auf seinem Platz. Er rannte übereine schwankende Hängebrücke und hangel-te sich an Seilen bis zur nächsten Plattformhoch. Nun trennten ihn nur noch zwei Hän-gebrücken von Grizzard.

Grizzard schrie ihm etwas zu. Razamonstutzte. Er glaubte gehört zu haben: »Bleibdort!«

Doch das konnte nicht sein. Er war über-zeugt, sich in all dem Lärm, den die kämp-fenden Vögel und die wütend schreiendenBerserker in der Höhle veranstalteten, ver-hört zu haben.

Ein brennender Pfeil stieg auf. Gleichzei-tig pfiff Orzmoran auf den Fingern.

Mit einem Schlag zogen sich die Geiervon Grizzard zurück. Der Pfeil fuhr einemvon ihnen durch die Federn eines Flügelsund versengte ihn. Schreiend ließ sich dasTier in die Tiefe fallen. Es fing sich erst et-wa hundert Meter tiefer wieder ab.

Grizzard sank erschöpft auf die Knie.Razamon sah, daß er heftig atmete. SeineKleidung war zerrissen. An der Schulter hat-te er eine blutige Wunde, sonst aber hatte erden Kampf gut überstanden.

»Razamon, komm her zu mir«, schrieOrzmoran. »Du brauchst dir keine Sorgen zumachen. Ihm wird nichts geschehen.«

Razamon nickte Grizzard zu. Er glaubtenicht, daß sich ein Gespräch mit ihm jetztlohnte. Für ihn war Grizzard einer der Schlä-fer. Daher glaubte er, daß eine Unterhaltungmit ihm ein hohes Maß an Konzentration er-forderte, zumal er von erheblichen Verstän-digungsschwierigkeiten ausgehen mußte.

Er kehrte zu Orzmoran und Zorvara zu-rück. Der Anführer der Berserker entschul-digte sich bei ihm.

»Trink Arzer-Tyrs«, rief sie und reichteihm einen gefüllten Becher.

»Nicht ohne dich«, entgegnete er undwartete, bis sie sich ebenfalls einen Bechergefüllt hatte.

»Da möchte ich mich aber anschließen«,

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bemerkte Orzmoran. Zorvara bediente ihn.»Auf eine gute Zukunft«, rief Razamon.»Auf eine gute Zukunft«, antwortete der

Anführer der Berserker und trank zusammenmit Razamon und Zorvara die Becher aus.

Razamon deutete nach oben. »Deine Leu-te scheinen ihn nicht zu mögen«, sagte er.

»Er ist nicht wie wir, uns aber doch ähn-lich«, versetzte Orzmoran unwillig. »Das istalles.«

»Ich konnte nicht wissen …«, begannRazamon, aber Orzmoran unterbrach ihn so-fort wieder.

»Es ist nicht deine Schuld, daß er hierist«, sagte er. »Ich habe euch hierher ge-bracht. Nicht nur dich und den grünen Exo-ten, sondern auch ihn. Meine Leute werdendas akzeptieren. Es dauert nur ein bißchenbei ihnen, bis sie soweit sind.«

Razamon glaubte ihm. Das dunkle Ge-bräu, das Zorvara ihm immer wieder reichte,tat seine Wirkung.

Ein Schrei ertönte. Augenblicklich tratStille ein. Razamon blickte nach oben, als ersah, daß es die anderen auch taten. Hochüber ihnen an der höchsten Wölbung derHöhlendecke stand ein junger Mann auf ei-nem Felsvorsprung. Zu seinen Füßen kauer-ten vier Stormock-Geier.

»Was hat er vor?« fragte Razamon, derbefürchtete, daß der Junge betrunken warund nicht mehr wußte, was er tat.

»Warte ab und paß auf. Es lohnt sich«, er-widerte Orzmoran. Er stand auf und recktedie Arme in die Höhe. Dann antwortete ermit einem lauten Pfiff.

Die Männer und Frauen standen schwei-gend auf. Sie traten an die Ränder der Platt-formen heran.

Orzmoran pfiff abermals.Der junge Mann an der Höhlendecke brei-

tete die Arme wie ein Vogel aus und stießsich ab. Er stürzte in die Tiefe und riß dievier weißen Geier mit. Sie waren mit dünnenSeilen mit ihm verbunden.

Razamon hielt den Atem an. Er erriet,was der Junge vorhatte, glaubte aber nichtdaran, daß er es schaffen konnte. Immer

schneller stürzte der Junge an Razamon vor-bei. Die Stormocks flatterten wild mit denFlügeln, konnten den Sturz aber noch nichtaufhalten.

Razamon beugte sich ebenso wie die an-deren über den Rand der Plattform undblickte nach unten. Er war entsetzt über das,was der Springer wagte.

Hundert Meter unter Razamon verlang-samte sich der Sturz deutlich, ging aber im-mer noch weiter.

Die Männer und Frauen in der Höhle be-gannen zu schreien, als dem Springer nurnoch fünfzig Meter bis zum felsigen Bodender Höhle blieben. Der Flügelschlag derStormocks war langsamer, zugleich aberauch wirksamer geworden. Etwa fünf Meterüber dem Boden hatten die Vögel den Sturzendlich abgefangen. Der jugendliche Berser-ker sank jedoch noch bis zum Boden herun-ter. Razamon sah, daß er ihn mit den Füßenberührte, in den Knien einknickte und sichdanach kräftig abstieß. Er schrie triumphie-rend auf. Die vier weißen Geier hoben ihnmit mächtigem Flügelschlag an. Sie stiegenmit ihm auf.

Die Berserker jubelten. Sie trampelten be-geistert mit den Füßen, so daß die Plattfor-men zu schwingen begannen. Razamon be-fürchtete, sie könnte abreißen und abstürzen,aber die Höhlenbewohner fühlten sich voll-kommen sicher auf ihnen.

Sie jubelten, bis der Springer eine Platt-form erreicht und sich von den Stormocksbefreit hatte. Ein Mädchen reichte ihm einenKrug. Er trank ihn aus, ohne einmal abzuset-zen und erntete dafür noch einmal Beifall.

*

Axton beobachtete das Geschehen vonseiner Plattform aus. Er war froh, daß sichdie allgemeine Aufmerksamkeit von ihm ab-wandte. Er hoffte, daß die feiernden Berser-ker ihn allmählich vergessen würden.

Doch schon bald bemerkte er, daß dasnicht der Fall war. Ihm fielen einige jungeMänner auf, die zusammensaßen, miteinan-

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der tranken und hin und wieder zu ihm hin-aufblickten. Einige von ihnen machten Ge-sten, die absolut eindeutig waren. Sie woll-ten ihn mit einem Messer töten.

Axton beschloß, Razamon zu sich zu ru-fen und um Hilfe zu bitten. Da es ihm zuvornicht gelungen war, einige Worte in Inter-kosmo zu formulieren, übte er in seiner Hüt-te einige Worte. Doch wiederum zeigte sich,daß er den neuen Körper nur unzureichendbeherrschte. Die Muskulatur der Zunge warso vielfältig und kompliziert, daß es beson-ders schwer war, sie richtig zu steuern.

Er brachte nicht mehr als unartikulierteLaute hervor.

Unter diesen Umständen konnte er nichtin der Höhle bleiben. Die Sicherung mit denangeschnittenen Seilen reichte nicht. Wenndie Berserker ihn angreifen wollten, konntensie sich von den Geiern zu ihm tragen las-sen.

Axton kroch bis zum Rand der Plattformvor und blickte nach unten. Die Berserkerschwatzten wild durcheinander. Alle saßenan Feuern, aßen und tranken. Die Frauen be-dienten die Männer. Das Bild war friedlich.

Axton drehte sich um, weil er sehen woll-te, auf welche Weise er Kelschostra am be-sten verlassen konnte. Da entdeckte er einenMann, der bäuchlings über eine Hänge-brücke auf ihn zukroch. Es war die Hänge-brücke, die er beschädigt hatte. Der Berser-ker wußte offenbar Bescheid, daß es daraufankam, das Gewicht zu verteilen, um dieeinzelnen Seile auf diese Weise zu entlasten.

Axton sprang hoch. Er warf sich zur Hän-gebrücke hinüber. Dabei riß er das Messerheraus.

Der Angreifer kroch schneller. Axtonrutschte etwa einen Meter über den Boden,erreichte die Hängebrücke und hieb dasMesser in eines der angeschnittenen Seile.Der Berserker erkannte die Gefahr und ver-suchte, sich auf ihn zu schnellen.

Die Seile rissen. Die Brücke sackte ab.Der Angreifer warf sich herum und griffblitzschnell in die Seile. Er schwang mit derabbrechenden Brücke zurück. Wütend

schreiend drohte er Axton mit der Faust.Der Terraner hockte auf dem Boden und

senkte den Kopf. Er hatte Glück gehabt.Hätte er den Angreifer Sekunden später erstbemerkt, dann wäre alles zu spät gewesen.

Er blickte zu den anderen Höhlenbewoh-nern, doch diese hatten nichts bemerkt. Nurin der Gruppe der jüngeren Männer, die Ax-ton schon vorher aufgefallen war, hatte manbeobachtet, was geschehen war. Die Männersteckten die Köpfe zusammen, während dergescheiterte Angreifer sich an den Seilennach unten hangelte und zu seinen Freundenzurückkehrte. Als er eine der Plattformen er-reichte, blieb er schwankend stehen.

Er war betrunken, doch das hatte ihn beimKlettern kaum gestört. Axton erschauerte.Diese Männer waren noch weitaus gefährli-cher, als er angenommen hatte.

Sein Messer war mit der Brücke ver-schwunden. Er war waffenlos. Noch immerhoffte er, Razamon auf sich aufmerksammachen zu können. Deshalb setzte er sichauf den Rand der Plattform und wartete, bisder Düstere nach oben blickte. Rasch gab erihm mit den Händen ein Zeichen, doch Raz-amon beachtete sie nicht. Er stand schon zusehr unter dem Einfluß des berauschendenGetränks.

Axtons Hoffnung, Kolphyr irgendwie an-sprechen zu können, erfüllte sich auch nicht.Der Bera lag auf einem Fellbündel vor einerHütte und schlief.

Axtons Blicke glitten an den Felsen hochbis zu einer Öffnung über seiner Hütte. Aneinigen Vorsprüngen konnte er hochsteigenund dann versuchen, über die verschneitenund vereisten Flanken des Berges zu ent-kommen.

Auf den ersten Metern war er durch diePlattform und die Hütte gedeckt. Erst aufden letzten beiden Metern konnten die Ber-serker ihn sehen. Er mußte diese Distanzschnell überwinden, damit sie gar nicht ersteinen Angriff gegen ihn starten konnten.

Er zog sich bis zur Felswand zurück undkletterte an ihr hoch. Schon auf dem unter-sten Stück merkte er, daß er sich verschätzt

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hatte. Es war weitaus schwerer, sich in dersteil aufsteigenden Wand zu halten, als ergedacht hatte. Doch er gab nicht auf.

Er mußte etwa zwölf Meter hoch klettern.Ein Sturz aus dieser Höhe bedeutete das si-chere Ende. Doch er hatte keine Wahl. Erwußte, daß er die Nacht auf der Plattformauch nicht überlebt hätte.

Er blickte nicht nach unten, sondern ar-beitete sich konzentriert nach oben, ohne anetwas anderes zu denken. Dann lagen dieletzten beiden Meter vor ihm. Er spürte, daßihm der Schweiß auf die Stirn trat. Jetzt kames darauf an.

Jeden Moment glaubte er, den wütendenSchrei zu vernehmen, der ihm anzeigte, daßman seine Flucht entdeckt hatte. Doch unterihm änderte sich nichts am Lärm der feiern-den Höhlenbewohner. Sie sangen, lachtenund brüllten durcheinander. Niemand be-merkte etwas.

Axton erreichte die Öffnung, kroch hineinund blieb erschöpft liegen. Sein Atem gingschnell und keuchend. Er spürte, daß er vorSchwäche zitterte, doch die Schwäche ver-ging rasch.

Nach etwa drei Minuten drehte er sich umund kroch so weit zurück, daß er in die Höh-le sehen konnte. Er atmete auf.

Die Berserker schienen ihn nach dem letz-ten, gescheiterten Angriff vergessen zu ha-ben.

Axton kroch nun in dem Felsgang weiter,bis er an eine Schneedecke stieß. Er schlugdie Faust dagegen und schuf eine Öffnung,die groß genug für ihn war.

Draußen war es dunkel, aber nicht so dun-kel, daß er überhaupt nichts mehr sehenkonnte. Der Schnee schien aus sich selbstheraus zu leuchten und ein gespenstischesLicht zu verbreiten.

Er pfiff vergnügt durch die Zähne. Er hat-te es geschafft. Er war frei und brauchte sichvor einer Bedrohung durch die Berserkernicht mehr zu fürchten.

Er nahm etwas Schnee auf und schob ihnin den Mund, um seinen Durst zu löschen.

Dann sah er sich um. Weit unter ihm la-

gen die Tannenwälder. Diese wollte er vorallem erreichen. Er machte sich noch keineGedanken darüber, was später sein würde.Zunächst einmal wollte er nur den lebensge-fährlichen Bereich der Berserker verlassen.

Er bedauerte, daß er Spuren hinterließ,aber das konnte er nicht ändern.

Der Hang, auf dem er sich befand, fielsteil ab. Axton hätte springend und rut-schend schnell vorankommen können, docher wollte kein Risiko eingehen. Allzu großwar die Gefahr, daß er dabei plötzlich überdie Kante eines senkrecht abfallenden Ab-hangs geriet und abstürzte.

Er war etwa fünf Minuten lang abgestie-gen, als er merkte, daß er die richtige Ent-scheidung getroffen hatte. Er stand plötzlichan einem Abhang und wäre rettungslos ver-loren gewesen, wenn er zu unvorsichtig ge-wesen wäre. Er zog sich Schritt für Schrittzurück. Um den Schnee nicht in Bewegungzu setzen, ging er langsam und achtete dar-auf, daß nichts unter seinen Füßen weg-rutschte. Er benötigte noch fast fünf Minu-ten, bis er endlich einen Felsen erreicht hat-te, hinter dem er sicher war. Aufatmendlehnte er sich dagegen.

Etwas strich über ihn hinweg.Er blickte hoch, konnte jedoch nichts ent-

decken. Dennoch war er sich dessen sicher,daß irgend etwas in seiner Nähe war. Erglaubte, etwas rauschen gehört zu haben.

Konzentriert horchend wartete er ab. Undwenig später spürte er, daß sich ihm etwasGroßes näherte. Er glaubte, den verändertenLuftdruck fühlen zu können, der durch dasgroße Wesen hervorgerufen wurde. Raschließ er sich auf die Knie fallen und hob dieArme über den Kopf.

Wiederum glitt etwas über ihn hinweg,und etwas Hartes streifte seine Hand.

Axton riß die Augen auf. Die Dunkelheitschien undurchdringlich zu werden, so alsob ein schwarzer Vorhang heruntergegangenwäre. Verzweifelt fragte er sich, ob es aufdieser Welt keinen Mond gab, und ob sie zuweit von anderen Sternen entfernt sei, alsdaß man diese sehen könnte.

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Dann aber wurde es wieder heller. DerSchatten schien zu weichen, ohne daß derTerraner erkennen konnte, ob er wirklich dagewesen war oder nicht.

Ein Schrei ertönte, wie er ihn noch nie zu-vor gehört hatte. Er war ungemein wild undurtümlich, und er stammte gewiß nicht voneinem Vogel.

Axton spürte, daß sich ihm die Haaresträubten.

Er hielt es nicht mehr bei dem Felsen aus.Für ihn gab es nur eine Möglichkeit. Ermußte zur Höhle der Berserker zurückkeh-ren und in der Öffnung über seiner Hütteden Tag abwarten. Dann erst durfte er flie-hen. Mitten in der Nacht war die Gefahr zugroß.

Mühsam kämpfte er sich durch denSchnee voran. Seine Füße sackten tief ein,so daß jeder Schritt zur Qual wurde. Dabeiblickte er sich ständig um.

Er arbeitete sich immer näher an die Spurheran, die er bei seinem Abstieg hinterlassenhatte, weil sie ihm anzeigte, woher er ge-kommen war.

Aus der Tiefe hallte wiederum jenerfremdartige Schrei zu ihm herauf, der ihmschon einmal Rätsel aufgegeben hatte. Erglaubte, heraushören zu können, daß er sichihm näherte. Er fuhr herum und setzte sichin den Schnee. Die Welt schien nur alsschwarz und weiß zu bestehen, ohne daß einÜbergang erkennbar gewesen wäre.

Wieder spürte er, daß sich ihm etwas nä-herte. Instinktiv streckte er die Arme ausund spreizte die Finger. Er hörte ein seltsa-mes Rauschen, und plötzlich tauchten zweigroße, rote Augen aus der Dunkelheit auf.

Axton warf sich zur Seite, stützte sich mitden Händen ab und stieß mit beiden Beinennach oben. Er fühlte, daß seine Hacken ge-gen etwas Hartes stießen. Ein wilder Schreiertönte direkt über ihm. Er war schrill unddrohend.

Axton schlug mit beiden Beinen um sich,und er traf abermals. Irgend etwas stürzte inden Schnee.

Er richtete sich keuchend auf. Unwillkür-

lich weitete er die Augen in der Hoffnung,besser sehen zu können. Er hielt die Händeschützend vor das Gesicht.

Aus dem Schnee heraus schoß etwas aufihn zu. Er fühlte, wie hornige Finger seineHände umklammerten, und etwas Hartesschlug von oben gegen seinen Schädel. Ax-ton fühlte sich hochgerissen. Er warf sichhin und her, konnte sich aber nicht imSchnee halten. Er rutschte aus, überschlugsich und glitt auf dem Schneebrett in dieTiefe. Sein unheimlicher Gegner klammertesich an ihn und versuchte, ihn zu betäuben,indem er ihm immer wieder auf den Kopfschlug.

Entsetzt dachte Axton daran, daß er sichdem Abhang näherte. Die Angst vor demtödlichen Absturz steigerte seine Kräfte. Erkonnte eine Hand aus der Umklammerunglösen. Er holte aus und schlug mit vollerKraft zu. Seine Faust schien gegen eineHornwand zu prallen.

Das Tier, das ihn angefallen hatte, schriewild auf. Nun löste sich auch die zweiteKrallenhand von ihm. Er fühlte, daß ihmFlügel ins Gesicht schlugen, und ein Dornriß ihm die Wange auf. Dann stürzte das un-heimliche Wesen über den Schnee in dieTiefe. Es überschlug sich immer wieder. Daskonnte er deutlich erkennen.

Und plötzlich – gar nicht so weit von ihmentfernt – verschwand es.

Axton begriff. Der Abhang war fast er-reicht. Das geflügelte Wesen konnte sichretten, so wie die Stormock-Geier es getanhatten, die von dem Springer in der Höhlemitgezerrt worden waren. Er aber hatte kei-ne Chance mehr, wenn er den Abhang ersteinmal erreicht hatte.

Panikartig stemmte er die Füße in denSchnee. Er rutschte in seiner alten Spur mitständig wachsender Geschwindigkeit nachunten. Er erfaßte, welchen Fehler er machte,und warf sich aus der Spur heraus. Er kralltesich mit den Fingern in den Schnee, stieß dieBeine nach unten und beendete seinen Sturzkurz vor dem Abgrund.

Dieses Mal kroch er schneller nach oben.

36 H. G. Francis

Page 37: Die Höhle der Berserker

Der Schnee rutschte unter ihm weg, aber erarbeitete sich so energisch voran, daß er ausder Gefahrenzone geriet.

Er hielt inne, als er plötzlich den wildenSchrei des Tieres aus der Tiefe hörte.

Mittlerweile war er sich klar darüber, daßer es mit einer Flugechse zu tun hatte. Siewar nicht besonders groß. Er schätzte, daßsie kleiner als die ausgewachsenen Stor-mocks der Berserker war. Dennoch war sieungemein gefährlich.

Er wunderte sich darüber, daß sie wäh-rend der kühlen Nacht angriff. Das war sonstnicht die Art der Flugechsen, die zu denReptilien gehörten und bei absinkendenTemperaturen in einer Schlafstellung erstarr-ten.

Doch dieses allgemeine Bild galt nur aufder Erde. Axton war auf vielen Welten ge-wesen, auf denen er Flugechsen ganz ande-rer Art begegnet war. Sie hatten zwar wieReptilien ausgesehen, waren aber keine ge-wesen und hatten sich daher in ihrem Ver-halten deutlich vom sonst gültigen Bild derFlugechsen unterschieden.

Das war hier auch der Fall. Die Echseverfügte über einen besonderen Kälteschutz.Sie hatte jedoch kein Gefieder. Das wußteAxton genau, da er ihren Körper in seinenHänden gefühlt hatte.

Der Schrei verriet ihm, daß die Echse denSturz lebend überstanden hatte. Er mußtemit weiteren Angriffen rechnen.

Je näher Axton seinem Ziel kam, destobeschwerlicher wurde der Aufstieg. Immerwieder rutschte er ab, so daß er nur langsamvorankam. Allmählich wurde es ein wenigheller, so daß Axton die Flugechse sehenkonnte, als sie lautlos heranglitt. Sie flog et-wa zwei Meter über der Schneedecke, hatteeine Spannweite von mehr als vier Metern,ihr Körper aber war kleiner, als er erwartethatte.

Axton erkannte, daß er den Felsgang nichtmehr rechtzeitig erreichen, und daß er einemKampf mit der Echse nicht ausweichenkonnte. Er verharrte auf einer Stelle, die ihmgünstig erschien und wartete auf den An-

griff.Die Sicht war immer noch schlecht. Den-

noch waren die Voraussetzungen wesentlichbesser als zuvor.

Die Flugechse umkreiste ihn in weitemBogen. Als sie über einen überhängendenFelsen flog, machte Axton eine Entdeckung.Vom Felsen hingen lange Eiszapfen herun-ter. Sie erschienen ihm wie Dolche. Eiligverließ er den Platz, den er sich ausgesuchthatte, und wenig später hielt er einen Eiszap-fen von etwa dreißig Zentimetern Länge inder Hand. Er war so hart, daß er nicht soleicht brach, wenn er damit zustieß.

Die Flugechse schien seinen Plan zu erra-ten. Sie griff plötzlich an, als wolle sie ver-hindern, daß er sich im letzten Moment nochmehr Waffen besorgte.

Lebo Axton erwartete sie. Er war jetztvöllig ruhig. Er hatte das Gefühl, seinenneuen Körper perfekt zu beherrschen. DieFlugechse flog in einer flachen Kurve an,stieg dann kurz vor ihm steil auf und ließsich mit angezogenen Flügeln und ausge-streckten Krallen abfallen. Axton sah, wiesie den langgezogenen Rachen öffnete.Scharfe Zähne drohten.

Er ließ sich jedoch nicht ablenken, son-dern stieß ihr den Eiszapfen mitten in dieBrust. Das Eis drang ein und tötete das Tierauf der Stelle. Warmes Blut floß dem Terra-ner über die Hände. Er schleuderte die Echsevon sich.

Tief unter ihm fiel sie in den Schnee, roll-te weiter, nahm dabei Schnee auf und lösteeine kleine Lawine aus, die rauschend überder Felskante verschwand.

Axton säuberte seine Hände im Schneeund stieg beruhigt weiter auf. Er war davonüberzeugt, daß er nicht mehr mit einem An-griff zu rechnen brauchte. Hin und wiedersah er sich um, doch alles blieb ruhig. Er er-reichte den Felsgang, kroch hinein undstreckte sich darin aus. Von innen schlugihm angenehm warme Luft entgegen. Erschob sich bis zur Felskante voran undblickte nach unten. Die Berserker warennoch lauter als zuvor. Und alle standen unter

Die Höhle der Berserker 37

Page 38: Die Höhle der Berserker

dem bewußtseinstrübenden Einfluß des Ge-bräus, das sie aus Krügen tranken.

Doch darauf achtete Axton gar nicht. Erblickte senkrecht nach unten. Unter ihm hät-te eigentlich eine kleine Plattform mit einerHütte darauf sein müssen. Sie war jedochnicht mehr vorhanden. Ihre Trümmer lagenmehr als zweihundert Meter unter ihm aufdem Grund der Höhle.

7.

Der Schrei ließ Axton zusammenfahren.Es war der Schrei einer Flugechse, doch

er klang wesentlich lauter als der der ande-ren. Unwillkürlich blickte der Terraner zuden Berserkern hinunter. Diese reagiertennicht auf den Schrei. Sie fühlten sich nichtbedroht.

Axton drehte sich um und kroch bis zumAusgang zurück. Vorsichtig spähte er hin-aus. Es war wiederum heller geworden. DieSicht reichte nun schon fast bis ins Tal derFichtenwälder.

Eine riesige Flugechse glitt über dieschneebedeckten Hänge. Axton schätzte,daß sie eine Flügelweite von mehr als zwan-zig Metern hatte. Ansonsten glich sie derkleineren Echse völlig.

Es ist die Mutter, die ihr Junges sucht,dachte er.

Sie machte eine Fortsetzung der Fluchtunmöglich. Er mußte warten, bis sie sich zu-rückgezogen hatte. Doch schien es, als habeer durch den Absturz der Plattform Zeit ge-wonnen. Er drehte sich erneut um und krochwieder in den Gang hinein, weil es dort wär-mer war.

Er wurde müde. Jetzt merkte er, wie sehrihn der Fluchtversuch angestrengt hatte. Erlegte sich auf den Bauch und schloß die Au-gen. Wenig später war er bereits eingeschla-fen.

Er wachte auf, als ihn etwas am Fuß be-rührte. Erschreckt fuhr er hoch. Er blickteder Flugechse direkt in die Augen. Zischendschnappte sie nach ihm, während sie sichmühsam durch den Gang voranschob.

Axton sprang entsetzt auf. Er wich vordem Raubtier zurück. Hilfesuchend blickteer in die Höhle. Er sah, daß die meistenMänner betrunken auf den Plattformen lagenund schliefen. Nur noch zehn Männer warenwach, aber sie waren so betrunken, daß ervon ihnen keine Hilfe zu erwarten hatte. Un-ter ihnen befand sich auch Razamon, dersichtlich Mühe hatte, sich aufrecht zu halten.

Von Kolphyr war nichts zu sehen.Axton fuhr herum, drückte die Hände ge-

gen die Felswände und stieß mit den Füßennach der Flugechse. Zischend schnappte sienach ihm, ohne auch nur einen Zentimeterzurückzuweichen. Dabei zwängte sie sichweiter durch den Felsgang auf ihn zu.

Axton wich zurück.Nur noch zwei Meter trennten ihn von

dem Abgrund. Er erfaßte, daß er das Tiernicht zurücktreiben konnte. Er mußte denAbstieg versuchen.

Kurzentschlossen schob er sich mit denFüßen voran über die Kante und suchte nacheinem Vorsprung, auf den er sich abstützenkonnte. Es schien, als sei die Wand inzwi-schen völlig glatt geworden. Axton begannzu schwitzen. Situationen wie diese warenihm fremd. Er war körperliche Anstrengun-gen nicht gewohnt. Der neue Körper hieltdiesen Belastungen zwar mühelos stand,doch war der psychische Druck entschei-dend. Als er in seinem verwachsenen Körperlebte, hatte Axton dafür gesorgt, daß solcheSituationen gar nicht erst entstanden. Er hat-te alle Einsätze so gut vorbereitet, daß kör-perliche Belastungen von dem RoboterGentleman Kelly übernommen wurden. Ge-fahrenmomente dieser Art schieden dadurchvon vornherein aus. Dennoch hatte es hinund wieder auch Zwischenfälle gegeben, diekörperliche Anstrengungen von ihm ver-langten. Selbst in ihnen hatte jedoch stets ei-ne intellektuelle Leistung den Ausschlag ge-geben.

Jetzt kam es nur auf körperlich richtigeReaktionen an.

Axton zwang sich zur Ruhe. Die Echsewar nur noch einen halben Meter von ihm

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entfernt, als sein Fuß endlich Halt fand. Erblickte nach unten und setzte auch den ande-ren Fuß auf. Erleichtert ließ er sich absin-ken, kletterte etwa zwei Meter tiefer und wardamit der Echse vorläufig entkommen.

Er war sich jedoch darüber klar, daß erkeine Pause einlegen durfte. In weniger alszwei Minuten würde die Echse frei sein, indie Höhle stürzen und sich dann ein Opferaussuchen. Wenn er dann noch an der Wandhing, mußte sie ein Angriff auf ihn mehr rei-zen als eine Attacke auf die Schlafenden.

Dennoch ließ Axton sich nicht dazu ver-führen, überhastet abzusteigen.

Als die Flugechse den Kopf aus der Öff-nung schob, befand er sich fast fünfzehnMeter unter ihr. Er war noch annähernd vierMeter von Seilresten entfernt, die an Eisen-ringen an der Wand hingen. Er sah, daß ersich an ihnen entlanghangeln und zu einerHängebrücke retten konnte, die etwa zwan-zig Meter seitlich von ihm lag.

Die Zeit wurde knapp.Axton stieß einige gellende Schreie aus,

weil er hoffte, dadurch die weißen Geieraufzuschrecken, aber es schien, als seiendiese Tiere ebenso alkoholisiert wie dieMänner und Frauen. Sie kauerten in ihrenHorsten und schliefen. Den Feind bemerktensie nicht.

Und auch die Berserker reagierten nichtauf die Schreie des Terraners. Dieser be-fürchtete, daß es ein Blutbad unter den Höh-lenbewohnern geben würde, wenn die Flug-echse erst einmal angriff. Verzweifelt fragteer sich, warum nicht wenigstens der Ge-schuppte aufwachte. Dieser konnte nicht be-trunken sein, denn er hatte nicht gesehen,daß Kolphyr irgend etwas zu sich genom-men hatte.

Als die Flugechse mit dem ganzen Körperaus dem Gang heraus war, sich nach vornfallen ließ und mit ausgebreiteten Flügeln indie Höhle fiel, hatte Axton die Seile endlicherreicht.

Er blickte über die Schulter und beobach-tete das riesige Tier, das sich überraschendgeschickt in dem Gewirr der Hängebrücken

und Zugseile bewegte, ohne irgendwo anzu-stoßen. Es flog einen weiten Kreis.

Axton hangelte sich an den Seilen ent-lang. Er kämpfte sich mit aller Energie vor-an. Es kam auf jede Sekunde an, denn wenndie Flugechse ihren Kreis vollendet hatte,würde sie angreifen. Daran zweifelte ernicht.

Axton sah, wie sie kam und die gewalti-gen Füße mit den messerscharfen Krallenausstreckte. Zwei Meter trennten ihn nochvon einer Hängebrücke und weitere zehnMeter von einer Hütte. Er warf sich verzwei-felt zum nächsten Seil vor und schnellte sichvon dort weiter, nutzte den Schwung und er-reichte die Hängebrücke. Er tauchte in dasGewirr der Seile, und die Krallen der Bestiefuhren hautnah an ihm vorbei.

Er blickte der Flugechse nach, die ruhigdavonglitt, als sei sie sich ihrer Beute abso-lut sicher. Er richtete sich auf und rannteüber die Brücke bis zur Hütte. Aufatmendrettete er sich hinein.

Doch damit war das Problem noch nichtgelöst. Obwohl ihm von Seiten der Höhlen-bewohner nur Haß entgegengeschlagen war,wollte er nicht zulassen, daß die Höhlenbe-wohner, Razamon und Kolphyr von derFlugechse zerrissen wurden.

Er sah sich in der Höhle um. Überall la-gen Männer und Frauen auf den Plattformenund in den offenen Hütten und schliefen.Die Stormock-Geier kauerten teilnahmslosin ihren Horsten. Überraschenderweiseschienen sie sich durch die Flugechse nichtherausgefordert zu fühlen.

Oder mußten sie erst mit befehlendenPfiffen aktiviert werden? Axton konnte sichihr Verhalten nicht erklären. Er hätte es alsnormal angesehen, wenn sie die Echse ange-griffen hätten.

Einige der Männer trugen Messer in ihrenGürteln, aber es wäre unsinnig gewesen, dieFlugechse nur mit einem Messer in derHand anzugreifen. Damit hätte er keine Er-folgsaussichten gehabt.

Axton entdeckte ein Bündel Speere, die ineinem Faß steckten. Es stand etwa hundert

Die Höhle der Berserker 39

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Meter von ihm entfernt auf einer Plattformneben einer Hütte. Wenn er dorthin kommenwollte, mußte er über fünf Hängebrückenvon beträchtlicher Länge laufen. Die Seiten-teile der Brücken bestanden aus geflochte-nen Seilen. Die Lauffläche war mit Holz-brettern ausgelegt. Die Brücken wurdendurch seitliche Spannseile gehalten. Den-noch würden sie stark schwanken, wenn erüber sie hinweglief. Dadurch würde er nurlangsam vorankommen, da er sich immerwieder ausbalancieren mußte.

Die Echse würde genügend Gelegenheithaben, ihn anzugreifen. Dennoch hatte erkeine andere Wahl. Die Speere boten ihmdie einzige Möglichkeit, das Raubtier zu tö-ten.

Axton wartete, bis die Flugechse bei ihrenKreisflügen durch die Höhle an ihm vorbeiwar. Dann rannte er hinter ihr her über dieerste Brücke. Die Echse reagierte augen-blicklich. Sie schlug flatternd mit ihren Flü-geln und stieß einen jener schrecklichenSchreie aus, die ihn draußen in Angst undPanik versetzt hatten. Auch jetzt spürte derTerraner, wie es ihm kalt über den Rückenlief.

Der Boden schien unter seinen Füßen zuweichen. Axton klammerte sich an die Seile.Er schrie auf.

Die Unendlichkeit griff nach ihm.Er fühlte den Sog der hyperenergetischen

Dimensionskorridore, in denen er so langeherumgeirrt war. Er hatte geglaubt, ihnenendgültig entkommen zu sein. Nun zeigtesich, daß er sich geirrt hatte. Zu keiner Zeithatte er sich so wild und leidenschaftlich ge-gen den Sog gewehrt wie in dieser Situation.Er wußte, was es für die Menschen in derHöhle bedeutete, wenn er jetzt verschwand.Es war ihr sicherer Tod.

Axton kämpfte mit ganzer Kraft gegen dieAuflösung. Er sah nicht, wo er war. Er hörtedie bedrohlichen Schreie der Bestie nichtmehr. Er konzentrierte sich nur noch aufsich und seine materielle Existenz.

Jedoch vergeblich.Die hyperdimensionalen Energien waren

ihm millionenfach überlegen. Sie rissen ihnan sich. Er konnte nichts dagegen tun.

Der Axton-Grizzard-Körper verschwandvon der Hängebrücke. Die Flugechse stießins Leere.

*

Das Entsetzen hätte nicht größer sein kön-nen.

Lebo Axton-Kennon tauchte in die hype-renergetischen Dimensionskorridore ein,wobei er sich voll dessen bewußt war, wasgeschehen war.

Er war verzweifelt und deprimiert. End-lich hatte er eine Spur gefunden, die ihmlohnend erschien. Er hatte jemanden ent-deckt, der Interkosmo sprach, und er war na-he an die Quelle der Aktivator-Impulse her-angekommen. Er hatte mehr als zehntausendJahre Zeit übersprungen und war von Alt-Arkon in eine Zeit gekommen, in der es be-reits eine Sprache gab, die in der gesamtenMilchstraße gültig war. Das bedeutete, daßer in die Zeit Perry Rhodans, in die Zeit desSolaren Imperiums gekommen war.

Nichts konnte wichtiger sein, als sich indieser Zeit zu halten.

Daher kämpfte er mit ganzer Kraft dage-gen, von den hyperenergetischen Strömenhinweggeschwemmt zu werden. Er wollte soschnell wie möglich wieder materialisieren.

Zu seinem Leidwesen empfing er keiner-lei Aktivator-Impulse. Doch das bedeutetefür ihn nicht, daß der Aktivatorträger, vondem sie ausgingen, nicht in jener Zeit undauf jener Welt existierte, auf der er gewesenwar. Er war fest überzeugt davon, daß er inder Gesellschaft Razamons und Kolphyrsden Anfang des Weges gefunden hatte, dener beschreiten mußte.

Axton-Kennon spürte, daß er die Krafthatte, sich selbst auf diese Welt zurückzuka-tapultieren. Er konnte und wollte nicht mitdem Gedanken leben, daß mehr als sechzigMenschen, die er hätte retten können, voneinem wilden Tier zerrissen worden waren.

Er sah sich selbst, und ihm schien, als be-

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fände er sich auf einer weiten Ebene. Erempfand sich als etwas, das wie eine Kugelüber diese Ebene raste und von unsichtbarenKräften mal in diese, mal in jene Richtunggerissen wurde. Er konnte nicht erkennen,ob sich etwas über der Ebene wölbte, und obsich überhaupt etwas über ihm befand. Bisauf die fugenlos glatte Ebene unter ihm schi-en alles unwirklich und mit seinen Sinnennicht faßbar zu sein.

Axton glaubte jedoch, jenen Punkt nocherfassen zu können, an dem er in dieser Ebe-ne existent geworden war.

Während die hyperdimensionalen Energi-en an ihm zerrten, konzentrierte er sich aufdiesen Punkt. Er ließ sich durch nichts ab-lenken. Und plötzlich stellte sich das Gefühlan, daß er sich diesem Punkt wieder näherte.

Er glaubte, über die Ebene zu rollen undsich an den Punkt heranzuarbeiten, auf denes ankam.

Je näher er ihm kam, desto unsichererwurde er jedoch. Es gelang ihm immer we-niger, sich ausreichend zu konzentrieren. Ei-ne übergeordnete Macht schien zerstörend inseine Gedanken einzugreifen, um ihn davonabzuhalten, sein Ziel zu erreichen.

Doch dann schien sich eine Mulde in derEbene zu bilden. Ihr tiefster Punkt senktesich immer mehr ab, und er rollte unaufhalt-sam darauf zu.

Der Boden unter ihm wich. Er stürzte –und fühlte plötzlich, daß er wieder einenKörper hatte.

Er lag in einem dunklen Raum. Die Luftwar heiß und stickig. Sein Gesicht warschweißbedeckt, und es fiel ihm schwer zuatmen.

Axton erschrak.Sein Herzschlag stockte.Er war nicht in der Höhle der Berserker

materialisiert. Alle Anstrengungen warenvergeblich gewesen.

Verzweiflung überkam ihn. Er schlug dieHände vors Gesicht und wünschte sich, wie-der in die hyperenergetischen Dimensions-korridore zurückzukehren. In diesen Sekun-den erinnerte er sich an Tirque, den Einsa-

men von Yamolquoht. War er nicht auch einWanderer wie dieser, der von einer unbe-kannten Kraft zur ewigen Ruhelosigkeit ge-trieben wurde?

Er hatte die Gewalt über sich selbst völligverloren. Wie hatte er sich nur einbildenkönnen, daß er Einfluß darauf hatte, wo undin welcher Zeit er materialisierte? Wie hatteer nur glauben können, daß er selbst be-stimmte, was geschah?

Er war wie Tirque, jene Gestalt, die DonQuichotte glich, der meinte, stets und überallgegen das Böse kämpfen zu müssen, ohnewirklich etwas zu erreichen.

Zum ersten Mal fragte er sich, ob es wirk-lich richtig gewesen war, daß er seinen Ro-botkörper aufgegeben hatte. In ihm hatte erselbst entscheiden können, was geschah. Inihm hatte er eine gewisse Macht repräsen-tiert, wenngleich er auf fast alles hatte ver-zichten müssen, was menschlich war.

Jetzt war alles viel schlimmer, als es vor-her gewesen war. Was hatte er denn schondavon, daß er hin und wieder in einem orga-nisch gewachsenen Körper lebte, wenn erdann doch keinen überzeugenden Kontaktmit dem Geschehen um ihn herum hatte?

Gewiß, zu Anfang der Entwicklung wares ihm gelungen, Tirque zu einigen Erfolgenzu verhelfen, zu denen dieser allein nie ge-kommen wäre. Aber das lag gefühlsmäßignun schon Äonen zurück. Die unbekannteKraft, die ihn nach einem unbegreiflichenSystem lenkte, erlaubte ihm nur noch kurzeKontakte mit der materiellen Welt. Axtonkam sich vor wie der Pinsel in der Hand ei-nes Malers, der, in Gedanken versunken,hier und da einen Farbtupfer auf die Lein-wand setzte und dem Pinsel weder überließ,die Farbe auszuwählen, noch den Punkt zusuchen, den der Pinsel auf der Leinwand be-rühren sollte.

Axton fühlte, daß er an einem Abgrundstand. Sein psychischer Zusammenbruchstand unmittelbar bevor.

Er hob die Hand zum linken Auge, weildas Lid quälend zuckte. Im gleichen Augen-blick brach ein Schrei aus ihm hervor. Er

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richtete sich ruckartig auf und schlug mitdem Schädel gegen ein Holzbrett, das sichüber seinem Lager befand. Er stöhnte vorSchreck und Schmerz auf und ließ sich zu-rückfallen, während er die Wahrheit erkann-te und von einem Glücksgefühl überwältigtwurde.

Er befand sich wieder in seinem eigenenKörper.

Seine Hände zitterten, als sie über seinGesicht, seine Brust und seine Hände glitten.Er spürte die feine arkonidische Kleidungunter seinen Fingern, die Verzierungen ausEdelmetall, die Auszeichnungen, die Orba-naschol III. ihm verliehen hatte, und denGürtel, den er in der Stunde der Entschei-dung im Kristallpalast von Arkon getragenhatte.

Axtons Hände ertasteten den Rand desLagers. Er richtete sich vorsichtig auf undschob die Beine zur Seite. Er ließ sie nachunten gleiten, bis sie den Fußboden berühr-ten. Er atmete auf, da die Ergebnisse seinerErkundung ihm sagten, daß er sich in einemnormal eingerichteten Raum befand, in demer offenbar nicht gefährdet war.

Er verfluchte die Tatsache, daß kein Lichtim Raum brannte. So mußte er sich vorsich-tig umhertasten, um sich zu orientieren. Daer fürchtete, irgendwo über eine im Dunkelnverborgene Kante abzustürzen, legte er sichflach auf den Boden und schob sich langsamvoran, bis er auf eine Wand stieß. Nun krocher an dieser entlang. Er stellte fest, daß dieWand aus Steinen bestand, die mit Mörtelmiteinander verbunden waren.

Wenig später berührten seine Finger Holz.Er atmete auf. Der Raum hatte also eine Tür.Er richtete sich daran auf, bis er den Türgrifffand und drückte diesen herunter. Die Türöffnete sich. Licht fiel ihm in die Augen.

Er blickte auf einen schmalen Gang, vondem zwei weitere Holztüren abzweigten.Am Ende des Ganges stieg eine Treppe hin-auf. Sie bestand aus einer Kunststoff-Me-tall-Legierung, wie er mühelos erkannte.

Axton zog die Tür ganz auf und verließden Raum. Er wußte nicht, wie er hierher

gekommen war. Er ging jedoch davon aus,daß sein Körper schon vorher hier gewesenwar. Hatte er das Bewußtsein jenes anderenMannes in sich geborgen, dessen Körper erübernommen hatte? Und was war inzwi-schen in diesen Räumen geschehen, in de-nen er sich nun aufhielt?

Axton war beunruhigt. Er suchte nach In-formationen. Er mußte wissen, wie die Si-tuation in seiner neuen Umgebung war, undmit wem er es zu tun hatte. Dabei verdrängteer die Gedanken an das Geschehen in derHöhle der Berserker, weil er glaubte, dochnicht dorthin zurückkehren zu können.

Er blieb stehen.Lebte das andere Bewußtsein jetzt in sei-

nem eigenen Körper? War es fähig, sich derSituation anzupassen? Konnte es die Gefahrbewältigen? Würde es die Speere entdeckenund begreifen, welche Bedeutung sie hatten?

Die Fragen, die auf ihn einstürmten, ver-wirrten Axton. Er stand neben einer Tür.

Man hatte ihn nicht eingeschlossen. Daherglaubte er, davon ausgehen zu können, daßer nicht als Gefangener angesehen wurde.

Er trat gegen die Tür, vor der er stand. Sieerzitterte dröhnend in ihren Angeln. Jemandfuhr erschreckt schreiend auf. Ein Pfiff er-tönte.

»Ist hier jemand?« brüllte der Verwachse-ne und trat noch einmal gegen die Tür.

Eilige Schritte näherten sich über dieTreppe.

»Hallo«, schrie Axton. »Wieso schlaft ihrdenn alle?«

Zwei hochgewachsene, muskulöse Män-ner kamen über die Treppe herab. Axtonschätzte, daß sie beide fast zwei Meter großwaren. Ihre Haut war rotbraun. Die Augenschwarz. Die ebenfalls schwarzen Haare fie-len ihnen bis in den Nacken herab. Ihre Ge-sichter hatten, wie es ihm schien, einenhochmütigen Ausdruck. Als die beidenMänner jedoch näher herankamen, merkteer, daß er sich getäuscht hatte. Sie sahen un-fertig aus. Beide waren einander so ähnlich,daß der Verwachsene sie für Zwillinge hielt.

»Hallo, ihr beiden«, sagte er herausfor-

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dernd. »Wieso liegt ihr auf der faulen Haut,wenn ich wissen will, wo ich bin?«

Er trat auf sie zu, stemmte die Fäuste indie Hüften und blickte zu ihnen hoch, als ha-be er vor, sie mit Faustschlägen zu strafen.

Sie blieben stehen und sahen sich verdutztan.

»Das verschlägt euch die Sprache, wie?«rief er keifend. »Los doch, sagt etwas. Ichmöchte wissen, ob ihr Interkosmo könnt.«

Sie trugen eine einfache Kleidung, die auseinem groben Hemd, einem verknotetenStoffgürtel und einer weiten Hose bestand.Die Füße steckten in Ledersandalen.

Axton trat rasch auf sie zu und trat einemvon ihnen gegen das Schienbein.

»Rede endlich«, befahl er, während derSchwarzhaarige aufschreiend zurückfuhr.»Hat es weh getan?«

Hinter ihm ertönte eine energische Stim-me. Lebo Axton zuckte zusammen. Er ver-nahm Laute jener Sprache, die auch Raza-mon, Kolphyr und die Berserker benutzt hat-ten. Enttäuscht ließ er die Arme sinken. Erbefand sich also noch auf der gleichen Weltwie zuvor. Das Wort »verdammt« schiennicht mehr als ein Zufall gewesen zu sein …

Er drehte sich um.»Ach, du meine Güte«, entfuhr es ihm, als

er die hagere, ganz in Schwarz gekleideteGestalt sah, die aus einem Seitenraum her-vorgekommen war. Der Mann sah unendlichtraurig und niedergeschlagen aus. Sein Ge-sicht wirkte eingefallen wie das eines Toten.»Wer bist du denn?«

»Caidon-Rov«, antwortete der Hagere,und ein glückliches Lächeln erhellte seinGesicht. »Caidon-Rov.«

»Ja, ja«, sagte der Terraner. »Einmal ge-nügt ja. Du bist also Caidon-Rov.«

»Caidon-Rov«, wiederholte der Hagere,der den Eindruck machte, als sei er völligverwirrt, aber sehr glücklich.

Der Kosmokriminalist schloß aus seinemVerhalten, daß er sich mit dem Körper be-schäftigt hatte, und daß das Bewußtsein desanderen in ähnlicher Weise gelähmt gewe-sen war wie der Körper. Jetzt glaubte der

Hagere offenbar, daß diese Lähmung über-wunden sei.

Er sank vor Axton auf die Knie, so daßsich ihre Augen auf gleicher Höhe befanden.

»Hör mal«, sagte der Verwachsene spöt-tisch. »So etwas habe ich aber gar nichtgern. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wennOrbanaschol vor mir auf den Knien herum-gerutscht wäre, aber du bist mir nicht bedeu-tend genug.«

Er sprach Interkosmo, weil er immer nochhoffte, daß man ihn verstehen würde. ImGesicht des Hageren zeichnete sich jedochkeine Reaktion auf seine Worte ab.

Axton seufzte.»Ich habe von Anfang an das Gefühl ge-

habt, daß dieses Intermezzo nicht das bringt,was ich mir davon versprochen habe«, fuhrer fort. Seine Stimme wurde lauter.»Verdammt, wo bin ich?«

Der Hagere lachte. Er sprang auf, klatsch-te in die Hände und rief den beidenSchwarzhaarigen etwas zu. Diese rannteneilfertig davon.

»Ja«, sagte Axton und sprach dieses Malin Pthora. »Richtig.«

Der Hagere fuhr herum. Seine Augenweiteten sich. Dann kam ein wahrer Schwallvon Worten über seine blassen Lippen. Erkniete sich wieder vor Axton hin, faßte ihnbei den Schultern und sprach auf ihn ein, alssei er ein Kind.

»Verdammt«, sagte Axton nun wieder inInterkosmo. »Das hat mir gerade noch ge-fehlt, daß mich so einer wie du bemuttert.Da wäre mir aber ein Roboter von der Klas-se eines Gentleman Kelly wesentlich lie-ber.«

Die erhoffte Reaktion auf diese Worteblieb aus. Caidon-Rov verstand ihn nicht.

Axton drehte sich zur Seite und trat ent-täuscht mit dem Fuß gegen die Wand. DerSchmerz ließ ihn aufschreien. Axton hattedas Gefühl, von einem Messer durchbohrtzu werden. Unwillkürlich streckte er die Ar-me aus. Er wollte sich an der Wand abstüt-zen.

Seine Hände stießen ins Leere. Ihm wurde

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schwarz vor Augen.Er erkannte, daß er abermals entmateriali-

sierte, aber dieses Mal sträubte er sich nichtdagegen. Er versuchte vielmehr, die Auflö-sungstendenz zu verstärken.

Doch wiederum gelang es ihm nicht, dieEntwicklung nach seinem Willen zu steuern.

8.

Der gierige Schrei der Flugechse schreck-te ihn auf.

Er riß die Augen auf und sah das riesigeTier direkt über sich. In dem weit geöffnetenSchnabel drohten fingerlange Reißzähne.

Axton sprang auf und stürzte sogleichwieder zu Boden, weil die Hängebrücke, aufder er sich befand, zu stark schwankte. Erwar dagegen noch immer auf den Steinbo-den eingestellt, auf dem er sich noch Sekun-den vorher befunden hatte.

Auf allen vieren kroch er aus dem Bereichder Krallen, die nach ihm schlugen.

Er blickte über die Schulter zurück undsah, daß die Flugechse sich mit einem Fußin den Seilen der Hängebrücke verfangenhatte. Sie schlug wild mit ihren Hautflügelnund zerrte an den Seilen. Diese zerrissen, alsbestünden sie aus morschem Material.

Axton sprang hoch. Er hielt sich mit denHänden an den Führungsseilen der Brückefest und rannte weiter. Er sah die Speere vorsich. Nur noch drei Brücken trennten ihnvon diesen Waffen.

Der andere, der vorübergehend in diesemKörper gewesen war, hatte die Gefahr alsoerkannt und war weitergelaufen. Er hatte au-genblicklich reagiert.

Axton lächelte verzerrt.Das ließ immerhin hoffen, daß der andere

auch in dem verwachsenen Körper versu-chen würde, drohenden Gefahren auszuwei-chen. Vielleicht brauchte er sich um seinenKörper daher gar nicht so viele Sorgen zumachen.

Der Flugsaurier war frei. Er ließ sich ab-fallen und stabilisierte seinen Flug mitmächtigen Flügelschlägen. Wieder stieß er

heisere Schreie aus, die mehrfach von denWänden der Höhle widerhallten. Damitschreckte er dieses Mal einige der weißenGeier auf. Die Vögel lösten sich aus ihrenHorsten, blieben jedoch dicht unter derDecke.

Axton jagte mit weiten Sprüngen über dieBrücken. Er spürte, daß er den fremden Kör-per von Sekunde zu Sekunde besser be-herrschte. Und er hoffte, daß die hyperener-getischen Energien ihn nicht noch einmalaus dieser Welt reißen würden, bevor dieEntscheidung gefallen war.

Erst wollte er die Echse töten. Danachmochte ihn das Schicksal wieder in die Be-reiche übergeordneter Energien entführen.

Er erreichte den Behälter mit den Speerenund riß das erste Wurfgeschoß heraus.

Der Flugsaurier stürzte sich wie ein Adlerauf ihn herab. Er streckte ihm die Krallenentgegen. Lebo Axton holte weit aus undschleuderte den Speer auf das Tier. Er sah,daß die Echse eine instinktive Abwehrbewe-gung machte und das Wurfgeschoß zur Seiteschlagen wollte. Doch die Speerspitze fuhrihm zwischen die Krallen und bohrte sichdurch einen Fuß.

Wild schreiend flüchtete das Tier nachoben. Die mächtigen Flügel peitschten durchdie Luft. Einer der Dornen an ihrer Außen-kante erfaßte Axton und schleuderte ihn zuBoden. Seine Pelzjacke zerriß an der Schul-ter. Die Echse stieß sich von der Felswandab und verschwand in dem Gewirr der Seileund Hängebrücken.

Axton eilte wieder zu den Speeren und rißeinen aus dem Faß heraus, in dem sie steck-ten. Er rannte zur Kante der Plattform undblickte nach unten. Der Flugsaurier befandsich etwa fünfzig Meter unter ihm. Mit weitausgebreiteten Flügeln segelte er durch dieHöhle.

Axton holte erneut aus und warf denSpeer nach unten. Seine Hände krallten sichum die Sicherheitsseile der Plattform, wäh-rend er verfolgte, welche Flugbahn die Lan-ze nahm. Ein Triumphschrei, drängte sichihm auf die Lippen. Für einen kurzen Mo-

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ment glaubte er, den Körper der Echse zutreffen, doch dann fuhr der Speer dicht amRumpf vorbei durch einen Hautflügel.

Er hinterließ nur eine kleine Öffnung, diejedoch heftig blutete.

Axton kehrte zu den Speeren zurück. Die-ses Mal zog er gleich vier heraus und liefmit ihnen bis zu den Sicherheitsseilen.

Der Flugsaurier stieg bereits zu einem er-neuten Angriff auf ihn auf. Die Höhle erzit-terte unter seinen wütenden Schreien. Diebetrunkenen Schläfer reagierten nicht dar-auf, wohl aber die Stormocks, die bisher mitstoischer Ruhe in ihren Nestern gehockt hat-ten.

Axton blickte nach oben. Fast alle Geierhatten ihre Horste verlassen. Kreischend zo-gen sie ihre Kreise unter der Decke der Höh-le. Damit reagierten sie endlich auf den ge-fährlichen Feind, der in ihr Reich eingedrun-gen war.

Ein ohrenbetäubender Lärm entstand, derjedoch noch immer nicht ausreichte, Raza-mon, Orzmoran oder die anderen Berserkeraus ihrem Schlaf zu wecken. Das Getränk,das sie zu sich genommen hatten, wirkte wieein Narkotikum.

Axton wartete ab, bis der Flugsaurierhoch genug gestiegen war, dann schleuderteer den nächsten Speer auf ihn, verfehlte ihnjedoch. Der Speer flog zum Entsetzen desTerraners auf eine Gruppe schlafender Frau-en zu.

Axton schrie auf. Er fürchtete, eine derFrauen zu töten. Auf sie hatte er in seinerErregung nicht geachtet.

Unmittelbar vor den Frauen kippte derSpeer ab. Er schlug mit der Spitze gegen dieKante der Plattform und prallte nach untenhin weg, ohne Schaden anzurichten.

Axton atmete auf. Er griff nach dem näch-sten Speer und wartete. Er wollte nicht nocheinmal durch Unachtsamkeit einen der Höh-lenbewohner gefährden.

Die Flugechse schien zu ahnen, vor wel-chem Problem der Terraner stand. Sie stiegplötzlich steil an, warf sich zur Seite undgriff Axton an. Hinter ihr befand sich die

größte Plattform der Höhle mit wenigstenszwanzig Frauen und Männern, so daß Axtonden Speer nicht werfen konnte.

Er wich zurück und lockte das Reptil hin-ter sich her. Heftig mit den Flügeln schla-gend, landete es auf einer Hängebrücke.Dann hüpfte es zischend auf ihn zu.

Lebo Axton legte sich nach vorn undschleuderte den Speer auf die Bestie. Dieseschlug nach dem Geschoß, verfehlte es je-doch. Der Speer drang ihr tief in die Brust.

Der Flugsaurier schrie schmerzgepeinigtauf. Er schnellte sich in die Höhe und schlugwild mit den Flügeln. Axton schleuderte denzweiten Speer auf das Tier. Die Waffe trafden Saurier dicht unter dem Kopf am Hals.

Das Tier zuckte wie unter einem elektri-schen Schlag zusammen, fuhr zurück undkippte über die Seile der Hängebrücke hin-weg. Es verschwand aus den Blicken desTerraners. Dieser vernahm noch einenSchrei. Dann wurde es ruhiger.

Er eilte zum Rand der Brücke und blicktenach unten. Der Flugsaurier kauerte tief un-ter ihm auf dem Grund der Höhle. Er be-mühte sich, die Speere mit den Zähnen undden Krallen herauszuziehen. Dabei wirkte erjedoch so geschwächt, daß Axton glaubte,ihn besiegt zu haben.

Er blickte zu den Stormocks hoch, weil ererwartete, daß sie das waidwunde Tier nunangreifen würden, aber das war nicht derFall. Die weißen Geier kehrten zu ihren Hor-sten zurück, als wüßten sie genau, daß essich nicht lohnte, eine Verletzung im Kampfmit der Flugechse zu riskieren, da diesedoch bald tot sein werde.

Axton ließ erleichtert die Speere sinken.Er sah sich um. Überall waren Spuren desKampfes zurückgeblieben. Einige Seile wa-ren zerfetzt worden. Blutlachen beschmutz-ten zwei Plattformen und mehrere Hänge-brücken.

Unter diesen Umständen erschien es Ax-ton wie ein Wunder, daß keiner der Höhlen-bewohner verletzt worden war.

Er ging zu Razamon und kniete bei die-sem nieder. Er schüttelte ihn einige Male,

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ohne ihn aufwecken zu können. Der Düsterelag in einem komaähnlichen Schlaf.

Axton sah ein, daß es sinnlos war, unterdiesen Umständen mit ihm sprechen zu wol-len. Razamon würde nichts verstehen, selbstwenn er für einige Sekunden oder Minutendie Augen aufmachte.

Auch von den Höhlenbewohnern warnichts zu erwarten. Voller Sorge dachte Ax-ton daran, daß sie besser an das Getränk ge-wöhnt sein konnten als Razamon. Wenn sievor ihm aufwachten, bestand die Gefahr, daßsich ihr Haß gegen ihn richtete, und daß sieihn umbrachten, bevor Razamon helfendeingreifen konnte.

Er ging zu Kolphyr hinüber und versuch-te, ihn zu wecken, doch ebenfalls vergeb-lich.

Da er nicht wußte, wie er unter den Ber-serkern überleben konnte, beschloß er, dieHöhle zu verlassen. Dieses Mal waren dieBedingungen erheblich besser als währendder Dunkelheit. Axton konnte hoffen, heilüber die Schneefelder ins Tal zu kommen.Alles weitere mußte sich dann ergeben.

Er wollte jedoch nicht darauf verzichten,Razamon ein Zeichen zu hinterlassen, dasihn elektrisieren mußte, wenn er tatsächlichInterkosmo sprach. Daher durchsuchte er ei-nige der Hütten, bis er Papier und einenSchreibstift fand.

Damit schrieb er eine Botschaft für denDüsteren auf und schob sie ihm in den Är-mel, so daß er sie auf jeden Fall bemerkte,wenn er wieder zu sich kam. Dann blickte eran den Felswänden entlang, um sich eineÖffnung zu suchen, durch die er flüchtenkonnte. Er entschied sich für ein Loch, dasetwa vierzig Meter von ihm entfernt war undnur einige Meter über einer Hütte lag. Erging über eine Hängebrücke zur Hütte undblickte hinein. Neben einem Tisch hing einGürtel mit zwei Messern. Er nahm sich einesheraus und steckte es ein, um nicht völligwaffenlos in die Wildnis hinausgehen zumüssen.

Dann kletterte er an der Außenwand derHütte hoch und stieg von hier aus über eini-

ge Vorsprünge bis zur Öffnung im Felshoch.

Sie war wesentlich größer als jene, durchdie die Flugechse hereingekommen war.Aufrecht konnte er durch den Gang bis zumSchnee gehen, der auch hier den Ausgangverschloß. Er wollte ihn mit dem Messerentfernen. Das ging jedoch nur teilweise.Auf der Innenseite war der Schnee weichund locker. An der Außenseite aber lag eineEisschicht über dem Schnee, die er nur müh-sam durchstoßen konnte.

Axton wunderte sich über das Eis, da esvorher nicht da gewesen war. Es leistete ihmerheblichen Widerstand, und fast eine halbeStunde verstrich, bis er eine Öffnung ge-schaffen hatte, die groß genug für ihn war.Er kroch halb hindurch und blickte dann be-stürzt auf den Hang, der sich unter ihmdehnte.

Er konnte die Spuren seines nächtlichenFluchtversuchs sehen. Sie führten bis zursenkrecht abfallenden Wand. Während derNacht hatte es geregnet. Das Wasser war so-gleich gefroren und hatte eine dicke Eis-decke über dem Schnee gebildet, soweit ernicht geschmolzen war.

Axton erkannte, daß er die Höhle der Ber-serker auf diesem Wege nicht verlassendurfte. Ohne Hilfsmittel wäre er nie heilüber die Eisfläche gekommen. Eine kleineUnachtsamkeit bedeutete zwangsläufig denAbsturz.

Er verfluchte sich, weil er nicht früher er-kannt hatte, wie aussichtslos ein Ausbruchauf dieser Seite war, und weil er Zeit ver-schwendet hatte. Er kroch zurück und klet-terte über die Hütte auf die Plattform.

Ihm blieb nur noch ein Weg.Er mußte über das komplizierte Abseilsy-

stem nach unten und die Höhle durch denSchacht verlassen, durch den OrzmoranRazamon, Kolphyr und ihn nach oben ge-bracht hatte.

Voller Unbehagen betrachtete Axton dienach unten führenden Seile. Sie hingenkaum zwei Meter von der Flugechse entferntherab, und diese lebte noch immer. Sie lag

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auf dem Grund der Höhle. Von den Speerenhatte sie sich befreit. Ihre Wunden blutetennicht mehr, und es war für Axton nicht zuerkennen, ob sie stark geschwächt oder nochimmer ein gefährlicher Gegner war.

Doch Axton blieb keine andere Wahl.Er mußte den Abstieg über die Seile ver-

suchen.

*

Als Axton in einen der Körbe stieg, umsich nach unten sinken zu lassen, stellte erfest, daß ein Metallgewicht bewegt werdenmußte. Damit wurde das Zugseilsystem ab-gesichert. Er hängt sich an das Gewicht,konnte es jedoch nur wenige Zentimeterweit bewegen.

Ärgerlich kletterte er wieder aus demKorb heraus, versuchte noch einmal, die Ge-wichtsperre zu betätigen, griff dann nach ei-nem Speer, den er sich bereitgestellt hatte,und setzte sich auf die Kante der Plattform.Von hier aus zog er sich den Tragkorb heranund ließ sich an ihm vorbei zum unterenFührungsseil sinken. Jetzt hing er unter demKorb.

Er ließ sich mit ruhigen Bewegungen amSeil herab, das er um die Beine gleiten ließ,so daß er jederzeit abbremsen konnte. Dabeibeobachtete er die Flugechse.

Das Raubtier wurde erst auf ihn aufmerk-sam, als er noch etwa zehn Meter über ihmwar.

Es hob den Kopf und blickte zu ihm hoch.Axton rutschte weiter am Seil herab. Er

hielt sich mit der linken Hand fest. Mit derRechten umklammerte er die Lanze. Am lie-bsten hätte er sich mehrere Meter weit abfal-len lassen, aber das konnte er sich nicht lei-sten, da er nicht wußte, ob er sich späterwieder abfangen konnte.

So blieb ihm nichts anderes übrig, als sielangsam an die Flugechse heranzuarbeiten.

Als seine Füße noch etwa anderthalb Me-ter von den Zähnen der Echse entfernt wa-ren, bäumte sich das Tier plötzlich zischendauf und schnappte nach ihm. Axton stieß mit

der Lanze zu. Er traf die hornigen Lippen.Das Metall drang jedoch nicht ein, sondernprallte davon ab. Axton erhielt einen Schlaggegen den Arm, der so schmerzhaft war, daßer den Speer verlor. Er griff nach dem Mes-ser und wehrte den nächsten Angriff der Be-stie damit ab. Doch er sah ein, daß er damitnichts gegen die Echse ausrichten konnte. Erschleuderte das Messer daher in den weit ge-öffneten Rachen des Sauriers und ließ sichgleichzeitig fallen.

Er stürzte etwa vier Meter tief.Das Raubtier warf sich auf ihn, packte je-

doch nur das Seil, an dem er hing. WährendAxton Arme und Beine um das Seil schlang,um sich abzufangen, zerrte der Flugsaurieres in die Höhe.

Der Terraner rutschte weiter daran herun-ter, bis er auf den Boden prallte. Er stürzteund rollte einige Meter weit über den Felsen,während das Seil im Schacht verschwand.

Zerschunden und zerschlagen blieb er lie-gen. Er hatte das Gefühl, sich das Schlüssel-bein gebrochen und beide Arme ausgerenktzu haben. Doch als er sich schließlich erhob,stellte er erleichtert fest, daß er unverletztwar.

Er trat unter den Schacht und blickte nachoben. Er konnte einen Teil des Echsenkop-fes sehen. Ein Zipfel des Seils baumelte imSchacht.

Axton pfiff leise durch die Zähne.Er hatte Glück gehabt.Jetzt arbeitete er sich langsam durch die

Gänge voran. Dazu benötigte er weitausmehr Zeit, als er gedacht hatte, denn es ge-lang ihm immer wieder nur nach langer Su-che, die Hebel zu finden, mit denen derGang geöffnet werden konnte.

Schließlich aber schwang auch der letzteFelsbrocken zur Seite, und Axton trat ausdem Gang in den Schnee hinaus. Die Luftwar klar und kalt. Die Sicht reichte mehrereKilometer weit. Er sah einen Fluß, der sichdurch die Landschaft schlängelte. Am Hori-zont bemerkte er einen See und dahintereinen Wald.

Er hatte dieses Land nie gesehen. Es erin-

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nerte ihn in keiner Weise an andere Welten,auf denen er gewesen war.

Ein langgezogener Schrei machte ihn aufeine Flugechse aufmerksam, die über dieschneebedeckten Hänge des Berges glitt.Axton fluchte.

»Von euch habe ich die Nase voll«, mur-melte er und stieß mit dem Fuß etwas Eis ab.Er schleuderte es in die Tiefe. Es prallte aufdie eisbedeckte Schneedecke und rutschtedaran herunter, wobei es immer schnellerwurde, bis es schließlich aus seinen Augenverschwand.

Axton kratzte sich am Hinterkopf. Erwußte nicht, wie er über das Eis nach untenkommen sollte, ohne sich zu verletzen.

Da er gewohnt war, auf den verwachse-nen und schwächlichen Körper Rücksicht zunehmen, in dem er bisher gelebt hatte, er-wog er, sich auf den Bauch zu legen und sonach unten zu rutschen. Doch dann sträubtesich alles in ihm dagegen.

Er blickte an sich herunter.Jetzt lebte er in einem athletischen und

kräftigen Körper. Sollte er wie ein Frosch zuTal kriechen?

Er dachte nicht daran. Auf den Bauch le-gen konnte er sich noch immer, wenn er garkeine andere Möglichkeit mehr hatte. Er trataufrecht auf die Eisdecke und drehte sichmit der Seite zum abfallenden Hang. Dannschob er sich vorsichtig über das Eis voran.Dabei zeigte sich, daß er weitaus wenigerrutschte als befürchtet. Er war zwar nicht be-sonders schnell, dafür aber fühlte er sich si-cher.

Bis die Flugechse angriff.Axton hörte den Schrei des Tieres, das

wie sein Körper auch über unbestimmte Zei-ten in einem der Glaspaläste geruht hatte. Erblickte zur Seite und sah, daß die Echsekaum zwei Meter über der Eisdecke schweb-te. Sie näherte sich ihm mit hoher Ge-schwindigkeit.

Axton warf sich nach vorn. Die Füßerutschten ihm weg, er hielt sich jedoch auf-recht. Mit ständig wachsender Geschwindig-keit jagte er über die Eisdecke. Nun konnte

er es sich nicht mehr leisten, die Flugechsezu beobachten. Er sah, wie sich ihm einSchatten näherte, und er bückte sich. DieKrallen des Raubtiers fuhren an ihm vorbei.

Axton glitt über einen Höcker, verlor dasGleichgewicht und stürzte. Er überschlugsich einige Male, versuchte, sich zu halten,fand jedoch nirgendwo etwas, was aus demEis ragte. Er wurde schneller und schneller.

Er sah ein, daß er nichts ändern konnte.Daher warf er sich herum, bis er auf demBauch lag und streckte Arme und Beine vonsich. Die Flugechse war verschwunden. Dergescheiterte Angriff schien sie entmutigt zuhaben.

Axton schoß über das Eis hinweg auf dieTannenwälder zu. Er machte die Schneiseaus, durch die Orzmoran sie geführt hatte,und er steuerte darauf zu. In ihr, so meinteer, konnte er sich langsam abfangen und denSturz beenden.

Rasend schnell kam sie näher. Axtonhüpfte hilflos über einen Eishöcker hinwegund prallte einige Meter tiefer wuchtig auf.Er zog die Arme unter den Kopf und verhin-derte so, daß er mit dem Gesicht aufs Eisschlug.

Als er den Kopf wieder hob, sah er dreiMänner, die sich ihm in den Weg stellten.Sie gehörten zu den Wegelagerern, die auchdas seltsame Fahrzeug überfallen hatten, indenen er aufgewacht war.

Axton krümmte sich zusammen.Wie ein Ball schoß er zwischen die Män-

ner und riß zwei von ihnen von den Beinen.Sie hieben mit Knüppeln nach ihm, verfehl-ten ihn jedoch im Sturz.

Er selbst aber fing sich endlich ab. We-sentlich früher als sie kam er auf die Beine.Er entriß einem von ihnen das Holz und hiebes ihm über den Schädel. Dann stürzten sichdie beiden anderen auf ihn.

Lebo Axton-Kennon lachte auf.Nach all den gefährlichen Situationen, die

er überstanden hatte, fürchtete er sich nichtvor diesen Männern. Er sprang zurück, neig-te sich nach vorn und streckte die Arme aus.

»Kommt doch«, rief er lachend. »Ich ken-

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ne mich mit diesem Körper zwar noch nichtso gut aus, wie es eigentlich sein müßte,aber das wird von Minute zu Minute besser.Ich fühle mich nach der Rutschpartie so, alshätten zwanzig USO-Spezialisten mich ver-prügelt, aber ich fühle mich immer noch gutgenug, euch aus den Stiefeln zu heben.«

Seine beiden Gegner blickten sich ver-blüfft an. Sie waren sichtlich verwirrt. Siehatten damit gerechnet, daß er eingeschüch-tert sein würde, nicht aber, daß er sie ausla-chen würde.

Sie schrien wütend auf und griffen an.Axton sprang nach vorn, schlug einmal

nach links, einmal nach rechts und tänzeltezwischen den beiden Wegelagerern hin-durch. Der Kampf machte ihm Spaß, und erdachte keine Sekunde daran, daß er dabeiauch unterliegen konnte.

Doch er wollte sich nicht lange aufhaltenlassen. Er übernahm den nächsten Angriff.Aus dem Stand heraus schnellte er sichhoch. Seine rechte Hacke traf einen der bei-den Männer unter dem Kinn und fällte ihn.

Nun blieb nur noch ein Gegner übrig.Dieser aber ließ sich keineswegs ein-

schüchtern. Er schob seine Hand unter dieFelljacke.

Axton ließ sich provozieren. Er glaubte,der andere habe ein Messer. Geschicktsprang er ihn an, jedoch nicht geschickt ge-nug. Der andere packte seinen Fuß, warfsich zu Boden und riß ihn mit. Gleichzeitigdrehte er sich um sich selbst, wobei er mitseinem ganzen Körper Druck auf das KnieAxtons ausübte.

Der Terraner schrie gellend auf vorSchmerz. Er fürchtete, daß der Wegelagererihm das Knie brechen würde. Er konntenicht anders. Er gab dem Druck nach undlag plötzlich unter dem anderen auf dem Eis.

Doch dann bot sich ihm eine Chance. Alssein Gegner bereits glaubte, gewonnen zuhaben, hieb er ihm die Handkante gegen denHals und betäubte ihn. Der Mann blieb aufihm liegen.

Axton arbeitete sich unter ihm heraus.Sein Knie schmerzte so stark, daß er in

den ersten Minuten, in denen er seine Fluchtfortsetzte, kaum auftreten konnte. Er stütztesich mit den Händen an den Bäumen ab undging stark hinkend durch den Wald.

Als er den Fluß erreicht hatte, fühlte ersich jedoch schon besser. Es war wärmer ge-worden. Der Boden war frei von Eis undSchnee. Axton ging ins Wasser und wuschsich Hände und Gesicht ab. Er merkte, daßsein Knie mit erneuten Schmerzen auf dasWasser reagierte, kehrte ans Flußufer zurückund folgte dann dem Fluß in westlicherRichtung.

Immer wieder blickte er in den Himmelhinauf. Obwohl es heller Tag war, konnte erdie Sonne nicht sehen. Die Wolken bildeteneine zusammenhängende Decke.

Flugechsen waren nicht zu sehen.Axton fragte sich, ob es viele dieser Tiere

auf dieser Welt gab. Er konnte nicht wissen,daß sie aus den gleichen Schlafkammernstammten wie der Körper, in dem er lebte,und daß sie gleichzeitig mit diesem Körperfrei geworden waren.

Er mußte abermals an Tirque denken.Was war aus ihm geworden?Hatte er sich im Rachen seines Sand-

wurms aus der Raumschiffswerft zurückge-zogen? Wanderte er jetzt schon wieder vonOase zu Oase, um dort zu kämpfen?

Stand ihm ein ähnliches Schicksal bevorwie ihm?

Obwohl Axton sich in seinem neuen Kör-per wohl fühlte, wollte er nach wie vor inseinen richtigen Körper zurückkehren. Dazuglaubte er demjenigen verpflichtet zu sein,der jetzt in diesem Körper lebte – und si-cherlich nicht mit ihm einverstanden war.Axton horchte in sich hinein.

Er spürte keinerlei Sog.Hatte sich sein Bewußtsein im hyperdi-

mensionalen Spiel kosmischer Energienendgültig stabilisiert? Würde er für längereZeit in diesem Körper bleiben?

Er wäre froh gewesen, wenn er einigeAntworten auf seine Fragen erhalten hätte.

Seine Gedanken gingen zurück zu Raza-mon. Er war überzeugt davon, daß dieser

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den Zettel finden würde, aber er glaubtenicht so recht daran, daß er mit den Zeilenauch wirklich etwas anfangen konnte.

*

Razamon hatte das Gefühl, mit dem Schä-del in eine Obstpresse geraten zu sein. Nochniemals zuvor in seinem Leben hatte er sol-che Kopfschmerzen gehabt. Er hatte einenunangenehm süßlichen Geschmack auf derZunge, ihm war unwohl, und vor seinen Au-gen drehte sich alles.

Er wälzte sich auf den Bauch herum. Da-bei bemerkte er, daß Zorvara neben ihm lag.Er erinnerte sich nur dunkel an sie.

Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil erseine eigentliche Aufgabe vollkommen ver-gessen hatte. Niemals wieder, so schwor ersich, wollte er etwas von dem Gebräu derBerserker trinken.

Vor seinem Gesicht erschien ein grünge-schuppter Fuß.

»Du hast etwas verloren«, sagte Kolphyrund schob ihm einen Zettel hin.

»Ich habe keinen Zettel gehabt«, antwor-tete Razamon unwirsch. Er schob die Handdes Bera zurück, doch dieser ließ sich nichtabweisen. Er erklärte, daß ihm dieser Zettelaus dem Ärmel gerutscht sei.

Razamon ließ sich fluchend darüber aus,daß es ein Fehler gewesen war, soviel zutrinken. Er faltete den Zettel auseinander.Dabei fragte er sich, wie dieser in seinen Är-mel gekommen war.

Die Buchstaben verschwammen vor sei-nen Augen. Er stöhnte gequält auf, schloßdie Augen und versuchte, seiner ÜbelkeitHerr zu werden. Dann las er: »Sie haben›verdammt‹ gesagt. Hat das etwas zu bedeu-ten?«

Er warf den Zettel weg.»So ein Quatsch«, sagte er mühsam. »Ich

habe mehr als einmal ›verdammt‹ gesagt.Ich habe die halbe Nacht lang geflucht. Obdas was zu bedeuten hat? Quatsch.«

Er ließ den Kopf sinken.»Grizzard ist weg«, erklärte Kolphyr.

Razamon glaubte, einen Schlag bekom-men zu haben. Er fuhr auf, riß den Zettel ansich und las erneut.

»Das ist Interkosmo«, schrie er.»Na und?« fragte der Bera.Razamon antwortete nicht. Ihm wurde

plötzlich klar, was es bedeutete, daß dieWorte in Interkosmo abgefaßt waren.

»Grizzard hat sie geschrieben«, sagteRazamon. »Wo ist er?«

»Weg«, antwortete Kolphyr. »Er ist weg-gelaufen.«

»Eine Nachricht in Interkosmo. Wir hät-ten ihn nie aus den Augen verlieren dürfen.Wer ist Grizzard? Und welche Chance ha-ben wir vertan? Kolphyr. Mir wirdschlecht.«

Razamon beugte sich über die Kante derPlattform und blickte nach unten. Er war da-von überzeugt, daß der merkwürdige Griz-zard nicht weit kommen würde.

Razamon dachte an die FESTUNG. Ermußte dorthin zurück, weil er dort am ehe-sten wieder mit Atlan zusammentreffen wür-de, falls der Arkonide jemals wieder auf-taucht. Razamon wollte Atlan von der merk-würdigen Botschaft berichten.

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen.»Ich bin noch so betrunken, daß ich da

unten einen toten Flugsaurier sehe, der vonOrzmorans Leuten weggeschleppt wird«,sagte er stöhnend. »Mann, Kolphyr, wiekannst du glücklich sein, daß du nichts ge-trunken hast!«

Er schloß die Augen und öffnete sie wie-der.

Er sah den Flugsaurier noch immer.Razamon war nun davon überzeugt, daß

er viel zu früh aufgestanden war. Er ließ sichzu Boden sinken und rollte sich abermalszusammen. Aber der Schlaf wollte sich nichtmehr einstellen.

ENDE

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