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Christian Werner 7.4.2008 Die mimetische Theorie von René Girard René Gierard Als Quelle dieser bibliografischen Skizze dient das Buch Wolfgang Palavers (2003, S. 20-31) zu René Girards mimetischer Theorie. Girard wurde 1923 in Avignon (Frankreich) geboren und promovierte nach dem Studium der mittelalterlichen Geschichte 1947 in Avignon. Seit dem lebt er in den USA und hatte dort verschiedene Lehrstühle und Professuren in Französischer Sprache, Französischer Literatur, Literaturwissenschaft, Humanwissenschaft und Kulturwissenschaft inne. Girard ist seit 1951 verheiratet und Vater von drei Kindern. Er lebt heute in Stanford. Als Literaturwissenschaftler dehnte er seine mimetische Theorie später in Richtung Ethnologie, Religions- und Bibelwissenschaft aus. Zu dieser Theorie gibt es eine eigene interdisziplinäre wissenschaftliche Gesellschaft („The Colloquium on Violence & Religion“). Bis zum zehnten Lebensjahr besuchte er mit seiner katholischen Mutter den Gottesdienst. Dann lies sein Interesse für die christliche Religion nach. Er war bis zum 38. Lebensjahr Agnostiker und folgte eher seinem Vater in einer antiklerikalen Einstellung. Politisch und intellektuell verstand er sich in dieser Zeit als Linker und Atheist. Eine intensive Auseinandersetzung mit bedeutenden Romanautoren führten ihn zurück zum christlichen Glauben und zur katholischen Kirche. Er entdeckte Gemeinsamkeiten zwischen den Werken von Marcel Proust, Cervantes, Stendhal, Flaubert und Dostojewski und zwar derart, dass sich deren großen Werke einer persönlichen Umkehr verdanken. Mit dieser Entdeckung vollzog sich eine solche Umkehr auch in seinem Leben. Er erkannte sich als Marionette seiner mimetischen Begierden, wandte sich von seinem Stolz ab und dem Christentum zu. In seiner wissenschaftlichen Arbeit entwickelte er ein neues Verständnis der christlichen Religion. Die entscheidenden Momente seiner Umkehr, die sein persönliches Leben und auch die Entwicklung seiner mimetischen Theorie beeinflusst haben sind die Entdeckung von Analogien seiner religiösen Erfahrungen mit dem religiösen Symbolismus von Romanschriftstellern. In dieser Phase tiefen religiösen Erlebens fällt die Heilung einer Krebserkrankung, die er als Zeichen Gottes deutet und die ihn trotz seines skeptischen Wesens im Glauben festigt und ihn fest an die Kirche bindet. In seinen Buchveröffentlichungen zwischen 1961 und 2002 entfaltet Girard seine mimetische Theorie, indem er zunächst gegen die „romantische Lüge von der Autonomie“ die Einsicht großer Romanschriftsteller stellt, dass die Menschen ihr Begehren nach dem Begehren anderer Menschen ausrichten – dem „mimetischen Begehren“. 1963, um die Zeit seiner persönlichen Bekehrung zum Christentum, entdeckt er in der Interpretation eines Romans von Dostojewski im Christentum die Antwort auf die mimetische Gefährdung des modernen Menschen. 1972 weitet Girard seine Theorie in Richtung einer allgemeinen Anthropologie und Kulturtheorie aus. Er versucht dem Wesen des Heiligen in primitiven Gesellschaften auf die Spur zu kommen und zeigt dessen Ursprung im Sündenbockmechanismus auf. Danach führt das mimetische Begehren eine Krise herbei – einen Krieg aller gegen alle – die durch die Zusammenrottung aller gegen einen gelöst wird. Das unschuldige Opfer wird nach dessen Tod oder Vertreibung gut und böse zugleich (=heilig) erfahren, weil es sowohl als Verursacher als auch als Überwinder der Krise angesehen wird. Diesen Sündenbockmechanismus bezieht Girard auf Religionen, Mythen, Riten, Tabus, politische und richterliche Gewalt, Heilkunst, Theater und Philosophie. 1978 wendet er die mimetische Theorie erstmals auf biblische Texte an und zeigt, dass zentrale Texte der Bibel im Gegensatz zu mythischen Texten nicht das Ergebnis des Sündenbockmechanismus sind, sondern eben den Opfern beistehen und den Sündenbockmechanismus aufdecken. Außerdem widmet er sich psychologischen Fragen. 1988 zeigt Girard die Parallelität zwischen mittelalterlichen Verfolgungstexten, die die Verfolgung jüdischer Sündenböcke aus der Licht der Verfolger erzählen zu mythischen Berichten kollektiver Lynchmob-Gewalt auf. Dabei geht er auf die feste Überzeugung der Täter über die Rechtmäßigkeit der Taten und auf die unterschiedliche Ausprägung der religiösen Verschleierung der kollektiven

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Christian Werner 7.4.2008 Die mimetische Theorie von René Girard René Gierard Als Quelle dieser bibliografischen Skizze dient das Buch Wolfgang Palavers (2003, S. 20-31) zu René Girards mimetischer Theorie. Girard wurde 1923 in Avignon (Frankreich) geboren und promovierte nach dem Studium der mittelalterlichen Geschichte 1947 in Avignon. Seit dem lebt er in den USA und hatte dort verschiedene Lehrstühle und Professuren in Französischer Sprache, Französischer Literatur, Literaturwissenschaft, Humanwissenschaft und Kulturwissenschaft inne. Girard ist seit 1951 verheiratet und Vater von drei Kindern. Er lebt heute in Stanford. Als Literaturwissenschaftler dehnte er seine mimetische Theorie später in Richtung Ethnologie, Religions- und Bibelwissenschaft aus. Zu dieser Theorie gibt es eine eigene interdisziplinäre wissenschaftliche Gesellschaft („The Colloquium on Violence & Religion“). Bis zum zehnten Lebensjahr besuchte er mit seiner katholischen Mutter den Gottesdienst. Dann lies sein Interesse für die christliche Religion nach. Er war bis zum 38. Lebensjahr Agnostiker und folgte eher seinem Vater in einer antiklerikalen Einstellung. Politisch und intellektuell verstand er sich in dieser Zeit als Linker und Atheist. Eine intensive Auseinandersetzung mit bedeutenden Romanautoren führten ihn zurück zum christlichen Glauben und zur katholischen Kirche. Er entdeckte Gemeinsamkeiten zwischen den Werken von Marcel Proust, Cervantes, Stendhal, Flaubert und Dostojewski und zwar derart, dass sich deren großen Werke einer persönlichen Umkehr verdanken. Mit dieser Entdeckung vollzog sich eine solche Umkehr auch in seinem Leben. Er erkannte sich als Marionette seiner mimetischen Begierden, wandte sich von seinem Stolz ab und dem Christentum zu. In seiner wissenschaftlichen Arbeit entwickelte er ein neues Verständnis der christlichen Religion. Die entscheidenden Momente seiner Umkehr, die sein persönliches Leben und auch die Entwicklung seiner mimetischen Theorie beeinflusst haben sind die Entdeckung von Analogien seiner religiösen Erfahrungen mit dem religiösen Symbolismus von Romanschriftstellern. In dieser Phase tiefen religiösen Erlebens fällt die Heilung einer Krebserkrankung, die er als Zeichen Gottes deutet und die ihn trotz seines skeptischen Wesens im Glauben festigt und ihn fest an die Kirche bindet. In seinen Buchveröffentlichungen zwischen 1961 und 2002 entfaltet Girard seine mimetische Theorie, indem er zunächst gegen die „romantische Lüge von der Autonomie“ die Einsicht großer Romanschriftsteller stellt, dass die Menschen ihr Begehren nach dem Begehren anderer Menschen ausrichten – dem „mimetischen Begehren“. 1963, um die Zeit seiner persönlichen Bekehrung zum Christentum, entdeckt er in der Interpretation eines Romans von Dostojewski im Christentum die Antwort auf die mimetische Gefährdung des modernen Menschen. 1972 weitet Girard seine Theorie in Richtung einer allgemeinen Anthropologie und Kulturtheorie aus. Er versucht dem Wesen des Heiligen in primitiven Gesellschaften auf die Spur zu kommen und zeigt dessen Ursprung im Sündenbockmechanismus auf. Danach führt das mimetische Begehren eine Krise herbei – einen Krieg aller gegen alle – die durch die Zusammenrottung aller gegen einen gelöst wird. Das unschuldige Opfer wird nach dessen Tod oder Vertreibung gut und böse zugleich (=heilig) erfahren, weil es sowohl als Verursacher als auch als Überwinder der Krise angesehen wird. Diesen Sündenbockmechanismus bezieht Girard auf Religionen, Mythen, Riten, Tabus, politische und richterliche Gewalt, Heilkunst, Theater und Philosophie. 1978 wendet er die mimetische Theorie erstmals auf biblische Texte an und zeigt, dass zentrale Texte der Bibel im Gegensatz zu mythischen Texten nicht das Ergebnis des Sündenbockmechanismus sind, sondern eben den Opfern beistehen und den Sündenbockmechanismus aufdecken. Außerdem widmet er sich psychologischen Fragen. 1988 zeigt Girard die Parallelität zwischen mittelalterlichen Verfolgungstexten, die die Verfolgung jüdischer Sündenböcke aus der Licht der Verfolger erzählen zu mythischen Berichten kollektiver Lynchmob-Gewalt auf. Dabei geht er auf die feste Überzeugung der Täter über die Rechtmäßigkeit der Taten und auf die unterschiedliche Ausprägung der religiösen Verschleierung der kollektiven

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Gewalttaten ein. Dem gegenüber zeigt er den radikalen Unterschied zentraler Texte des Neuen Testamentes (Passion Jesu, Enthauptung des Johannes, Verleugnung des Petrus, Dämonen von Gerasa, Teufel, Hl. Geist) zu den mythischen Texten auf – die Sicht der Opfer. 1985 widmet er sein Buch La route antique des hommes pervers (dt. 1990 : Hiob – ein Weg aus der Gewalt) ganz der Interpretation eines biblischen Textes. Nach Girards Ansicht stellt die Rahmenhandlung der Hiob-Geschichte eher einen Rückfall auf die Ebene des mythischen Verfolgergottes dar, während in den Dialogen zwischen Hiob und seinen Freunden das Opfer Hiob zu Wort kommt. 1994 zitiert er in einem Buchtitel Lk 21,28 Wenn [all] das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe. Er bringt damit sein apokalyptisches Geschichtsverständnis zum Ausdruck. Die jüdisch-christliche Offenbarung stelle die Menschen vor die Entscheidung, die totale Selbstvernichtung zu wählen oder auf mimetische Rivalität und Gewalt zu verzichten. Er äußert sich erstmals zu gesellschaftspolitischen Fragen (Demokratie, Nationalismus, Feminismus) – und auch zu seiner Konversion zum Christentum. 1999 versucht Girard in seinem Buch „Je vois Satan tomber comme l’éclair (dt. Girard, 2002; Zitat Lk 10,18: Ich sah den Satan vom Himmel fallen, wie einen Blitz) den intellektuell nachvollziehbaren Nachweis für die Einzigartigkeit der Bibel und des Christentums zu erbringen. Er stellt in dieser anthropologischen Apologie einen Vergleich der Mythen und der jüdisch-christlichen Offenbarung auf. 2001 und 2002 veröffentlicht er Essays und Aufsätze zur Entstehung zwischenmenschlicher Gewalt und verschiedener Themen der Anthropologie und Gegenwartsphilosophie. Girard gewinnt seine Erkenntnisse aus dem Studium der Literatur. Er gibt an, dass ein großer Teil davon bereits vom Kirchenvater Augustinus erkannt worden sei. (Kenntnis des selbstzerstörerischen Stolzes, Eitelkeit, Neid; Sünde als verkehrte Nachahmung Gottes – mit dem Wesen des Teufels identisch; christliche Güterlehre – ewige/zeitliche Dinge; Palaver 2003, S. 124ff. u. S. 129) Die mimetische Theorie Die mimetische Theorie beschäftigt sich mit der Entstehung, Ausbreitung und Eindämmung von Gewalt in Gesellschaften. Nach ihr können menschliche Kulturen nur überleben, wenn sie in der Lage sind, die Ausbreitung von Gewalt zu beschränken. Ursache der Gewalt ist mimetische Begehren – das eigene Begehren orientiert sich am Begehren anderer. Eine Übersicht der drei Momente des mimetischen Zyklus’ (vgl. Palaver 2003, S. 11f.):

1. Durch die mimetische Rivalität entsteht eine Krise. Das mimetische Begehren ist der anthropologische Kern der Theorie.

2. Aus der Krise heraus lässt die Kollektivgewalt des Sündenbockmechanismus eine neue Ordnung hervorgehen. – Eine grundlegende Kulturtheorie.

3. Die religiöse Verschleierung des Sündenbockmechanismus. Die Vergöttlichung des Opfers bildet den Ursprung heidnischer Religionen. Die mimetische Theorie als Religionstheorie.

Das dritte Moment erklärt die Entstehung archaischer Religionen und entdeckt in den biblischen Schriften eine Form von Religion, die sich grundsätzlich vom Heidentum unterscheidet: Mythische Religionen sind von der Perspektive der Verfolger geprägt, die biblischen Religionen solidarisieren sich dagegen mit den Opfern. Das mimetische Begehren führt meistens zur mimetischen Rivalität (vgl. Girard 2002, S. 24ff.) Die Nachahmung des Begehrens des Anderen erzeugt beim Anderen den Eindruck ,sein Begehren sei gut begründet, stärkt dessen Begehren und weckt Widerstand. Dieser Widerstand stachelt wiederum das eigene Begehren an. Dadurch entsteht Rivalität. Das Auftreten der Rivalität bestätigt die Berechtigung des Begehrens – den herausragenden Wert des begehrten Objektes. Das schürt die Feindseligkeit und verstärkt dadurch die Nachahmung. Die Ursache dieser Verstärkung verstecken beide Rivalen vor sich selbst und den anderen. Girard behauptet: „Mimetische Rivalität ist die Hauptquelle menschlicher Gewalt.“ (2002, S. 26). Dass Bürgerkriege und Bruderkriege zu den grausamsten Auseinandersetzungen der Menschen gehören erklärt Girard mit der geringen mimetischen Differenz (zunehmendes Konfliktpotential bei zunehmender sozialer Nähe (Palaver 2003, S. 96).

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Weiterführende Gedanken Girards zum mimetischen Begehren: Die Entdeckung des Individuums ist eine positive Folge des Christentums. Sie ist jedoch entartet in der modernen Ablehnung der Mimesis (Verachtung der Nachahmung, statt davor zu bangen). In einem Streben nach absoluter Selbstständigkeit wird die Erhebung der absoluten Selbstständigkeit zum Götzen. (vgl. Palaver 2003, S. 97f) Auch die Werbung als Phänomen des Neids verweist offenbar auf das Wirken der Mimesis. Das Paradoxon daran ist, dass sie sich gleichzeitig der modernen Antimimesis anpassen und daher Nachahmung leugnen muss: Es wird Einzigartigkeit versprochen, die aber nur über die Nachahmung erreichbar ist (vgl. Palaver 2002, S. 99) Das Zehnte Gebot: Du sollst nicht begehren ... Girard (vgl. 2002, S. 21-28) widmet sich dem zweiten Teil der Zehn Gebote und führt aus, wie das Zehnte Gebot sich in seiner Ausführlichkeit und Aussage von den anderen unterscheidet: Es geht nicht um eine Handlung sondern um ein Begehren. Die Beachtung dieses Gebotes schließt die vorhergehenden mit ein. Er erläutert (vgl. Girard 2002, S. 28ff.) dass Jesus sich an der Lehre des Zehnten Gebotes orientiert, indem er sich nie in Begriffen des Verbotes, sondern des Vorbildes und der Nachahmung ausdrückt. Die Aufforderung sein Begehren nachzuahmen bedeutet, ihm zu folgen in dem Begehren, Gott dem Vater so ähnlich wie möglich zu werden. Skándalon / Ärgernis = Bezeichnung der mimetischen Rivalität und deren Folgen im NT Mt 18,7: ...doch weh dem Menschen durch welchen Ärgernis kommt ... – Girard fasst das als Warnung Jesu vor der Gefahr der mimetischen Begierde auf (vgl. Girard 2002, S. 32f). Ärgernisse sondern zunehmend Neid, Eifersucht, Ressentiment und Hass ab. Jesu scharfe Warnung geht an die Erwachsenen, die es wagen „Kinder in das höllische Gefängnis des Ärgernisses hineinzuziehen.“ (Girard 2002, S. 33): Mt 18,8-9: Wenn aber deine Hand oder dein Fuß Dir Ärgernis schafft, so haue ihn ab... Und wenn dir dein Auge Ärgernis verschafft, reiß es aus ... . Girard identifiziert den Satan mit dem Ärgernis (s.u.) Erbsünde Die mimetische Dimension des Sündenfalls: Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören (Weish 2,23f). Das mimetische Begehren wird als Ursache des Sündenfalls angesehen und die Tendenz die Schuld auf andere abzuschieben (Schuldzuweisung Adams an Eva) als Beginn des Sündenbockmechanismus erkannt. (vgl. Palaver 2003, S. 263) Nur Gnade befreit aus der Sündenbocklogik Kein Denksystem kann seine eigene Zerstörung denken – so erhält sich der Sündenbockmechanismus – der Friede der Welt (Joh 14,27) während der gewaltfreie Friede Gottes von außen kommt und alles Verstehen übersteigt (Phil 4,7). (Palaver 2003, S. 290f) An der Passion wird deutlich, wie Gnade den Ausbruch aus dem Opfermechanismus ermöglicht: Juden und Heiden rotteten sich gegen Jesus zusammen und die Jünger konnten dem mimetischen Sog nicht widerstehen – sie flohen und verleugneten Jesus. Bis dahin wären nach Girard die Bedingungen für einen neuen Myhtos gegeben gewesen. Die Belegung des Schicksals Jesu in den Evangelien (nicht in den Mythen), die entstanden sind, weil sich eine zunächst kleine „protestierende Minderheit“ diesem mimetischen Sog entgegenstellte und zunächst ihren eigenen Anteil an der Verfolgung des Unschuldigen erkannte. Damit verbunden war eine radikale Umkehr, die Girard nicht mehr mit seiner Theorie zu erklären vermag – er führt sie auf die Gnadenerfahrung zurück. Beispiele dafür sind Petrus im Haus des Hohepriesters (Lk 22,16) und Paulus (Apg 9,4: Saul, Saul, warum verfolgst Du mich).(vgl. Palaver 2003, S. 291f) „Die Auferstehung lässt Petrus und Paulus und nach ihnen alle Gläubigen begreifen, dass jedes Gefangensein in der sakralisierten Gewalt Gewalt gegen Christus ist. Der Mensch ist niemals das Opfer Gottes, Gott ist stets das Opfer des Menschen.“ (Girard 2002, S. 238)

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Mit der Offenbarung geht Satans Sturz einher Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen. (Lk 10,18). Für Girard bedeutet das Kreuz Christi das Ende des Satans. Die Evangelien sind kein Mythos, der den Mord an Jesus verschleiert, sondern sie identifizieren sich mit dem unschuldigen Opfer. Gott durchbricht den Anschuldigungsmechanismus. Er hat den Schuldschein durchgestrichen (Kol. 2,14). Die Weisheit Gottes(2Kor 2,7) lies die Niederlage Jesu zum Sieg werden. (vgl. Palaver 2003, S. 327f.) Girards Identifikation des Satans mit dem Ärgernis (Mt 16,23; 1Joh 2,10 ...;s.o.) und der Interpretation als mimetische Rivalität (vgl. Palaver 2003, S. 324f.) vermeidet, den Teufel als real existierenden Gegengott aufzufassen oder ihn einfach als Aberglauben abzutun. (Palaver 2003, S. 328) Satan bietet sich unserem Begehren (wie Jesus) als Vorbild an – die Nachfolge fällt leicht, indem man allen Neigungen nachgibt. Satan vollzieht eine Metamorphose: Nach der Verführung erscheint er in der Form der mimetischen Krise als Gegner. (Ärgernis). Seine verblüffende Eigenschaft ist, sich selbst auszustoßen und die gesellschaftliche Ordnung wieder herzustellen. Dies zeigt Girard am Beispiel der Antwort Jesu an die, die ihn beschuldigen, den Teufel mit dem Beelzebub auszustoßen. Wie kann der Satan den Satan austreiben? Wenn ein Reich mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen .... Erhebt sich der Satan gegen sich selbst, so kann er nicht bestehen, sondern es ist aus mit ihm. (Mk 3,23-26) (vgl. Girard 2002, S. 51f.) Zu verstehen ist das erst über den rational erklärbaren Sinn des Opfermechanismus. Hier nennt Girard die Anspielung des Hohepriesters Kaiphas „Es ist euch besser, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe“ – und als Beweis, dass Kreuz und Satans Mechanismus identisch sind: „Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis“. (vgl. Girard 2002, S. 55) Schluss und Fazit Dies ist ein bruchstückhafter Ausschnitt aus Girards Lebenswerk. Für mich erschließt sich hier der Begriff „Sünde“ (bei Girard finde ich die Vokabel „Sünde“ beim ersten Lesen nur im Begriff „Sündenbock“) über das mimetische Begehren. Hier spielen die Begierde und der Neid eine wesentliche Rolle. Die Nachahmung des (negativen) Begehrens anderer führt in eine zunehmende konfliktbedingte Krise und endet in Gewalt. Eine Spirale des Bösen. – Der einzige Ausweg ist die Botschaft des Evangeliums, in dem die mimetische Rivalität und die Opferrollen (als Höhepunkt die Opferrolle Jesu/Gottes) aufgedeckt werden und so der mimetische Zyklus durchbrochen wird. Hierzu gibt es zahlreiche neutestamentliche Beispiele (Joh 8,1 – Verhinderung der Steinigung der Ehebrecherin, Heilung von Krankheiten die als Strafe für Sünden verstanden wurden, bis hin zur Passion und zu den Beispielen der Nachfolge Christi). Die Kraft dazu kann nicht der Mensch allein aufbringen (weil er Teil des mimetischen Systems ist), sie lässt sich nur mit Gottes Offenbarung und Gnade erklären, wird dem Menschen also von außen gegeben (vgl. Paulus). Mit dieser Erkenntnis bedeutet Nachfolge Christi (eine positive Mimesis; die Nachahmung des Begehrens Jesu, der Heil in die Welt bringt; das Streben nach einem unerschöpflichen Gut, aus dem keine Konkurrenz erwächst) die bewusste Abkehr vom falschen Begehren und das offene Eintreten für die Schwachen, Verfolgten und Opfer. Sünde dagegen wäre dem falschen Begehren anzuhängen und gegenüber erkanntem Unrecht zu schweigen. Hannover, 7.4.2008, Christian Werner Literatur. Palaver, Wolfgang: René Girards mimetische Theorie : Im Kontext kulturtheoretischer und gesellschaftspolitischer Fragen. Münster: Lit, 2003 (Beiträge zur mimetischen Theorie : Religion – Gewalt – Kommunikation – Weltordnung, Bd. 6). Girard, René: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz : Eine kritische Apologie des Christentums. München: Carl Hanser, 2002. (französische Originalausgabe: Je vois Satan tomber comme l’éclair. Paris, Éditions Grasset & Fasquelle, 1999)