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Topographie der Macht Was „Politische Geographie“ zu leisten imstande ist. Von Martin Heintel .................................................................... 35 Tüchtig und süchtig Wie aus Arbeitseifer leicht Arbeitssucht werden kann. Von Monika Spiegel .................................................................. 36 Christine Ostermayer Die Schauspielerin in einem ihrer seltenen Interviews. Von Christine Dobretsberger ................................................... 37 Im Bann des dunklen Hauses Amos Oz relativiert im Roman „Judas“ das Thema Verrat. Von David Axmann ................................................................... 38 Ozeanische Erzählprosa Die kongeniale Übersetzung des Epos „Horcynus Orca“. Von Lennart Laberenz ............................................................... 39 Gefühle in Zeiten der Krise Doris Knecht und ihr neuer Roman „Wald“. Von Irene Prugger ..................................................................... 41 Mehr als nur witzige Episoden „Irma“, ein autobiographischer Text von Tex Rubinowitz. Von Andreas Wirthensohn ....................................................... 42 Wegweisende Wurzelforschung „Unser Österreich“ von Ernst Molden und Nino aus Wien. Von Bruno Jaschke .................................................................... 44 Samstag, 14. März 2015 Als die Ökonomen des Internationalen Währungs- fonds im Oktober 2014 die neuen Daten des World Economic Out- look präsentierten, steckte darin eine Sensation: China hat die USA 2014 als größte Wirtschaftsmacht abgelöst. Das Bruttoinlandspro- dukt Chinas betrug im Jahr 2014 17,6 Billionen Dollar verglichen mit 17,4 Billionen Dollar für die USA. Und China zieht auch 2015 und in den darauf folgenden Jah- ren weiter davon – es handelt sich um die größte Verschiebung globaler Macht seit dem Ersten Weltkrieg. 1815, nach den Napoleonischen Kriegen und dem Ende des Wie- ner Kongresses am 9. Juni, war Großbritannien zur Führungs- macht der Welt aufgestiegen, das britische Imperium reichte von Australien über Teile des heuti- gen Malaysia, Indien, dem Kap der Guten Hoffnung und Sierra Leone an der Westküste Afrikas bis nach Kanada. Das britische Pfund war die globale Leitwäh- rung, London der wichtigste Fi- nanzplatz der Welt. In den 1870er Jahren überholten die Vereinigten Staaten Großbritannien wirt- schaftlich, aber erst nach dem Ersten Weltkrieg übernahmen die USA die Führungsrolle in der westlichen Welt. Nachdem der Zweite Weltkrieg den europäi- schen Kontinent, Japan und weite Teile von China und Asien ver- wüstet hatte, war Japan geschla- gen, Deutschland am Boden, Frankreich und Großbritannien erschöpft, und Osteuropa in den Orbit der Sowjetunion geraten. Die USA waren der Haupt-Ar- chitekt der neuen Weltordnung. In Bretton Woods wurde die Welt- wirtschaft neu geordnet, die Ver- einten Nationen sollten das zen- trale Forum der Weltpolitik wer- den. Der britische Ökonom John Maynard Keynes hatte damals die Vision einer Weltwährung „Ban- cor“, doch die USA setzten sich durch, und der Dollar wurde Welt-Reservewährung, der Sturz des britischen Pfunds vom Thron der Weltwährung hatte schon zu- vor begonnen. Nach Bretton Woods war er irreversibel. Der französische Präsident Charles de Gaulle machte die Dollar-Domi- nanz in den Sechzigern in Presse- konferenzen zu seiner cause célè- bre, die USA würden ein „exorbi- tantes Privileg“ genießen, meinte sein Finanzminister Valéry Gis- card d’Estaing. Denn wenn alle Welt Dollars halten muss, dann ist das wie ein zinsenfreier Kredit für die USA. Die USA konnten stets Geld zu ei- nem niedrigeren Zinssatz borgen als der Rest der Welt. Der Finanz- minister John Connally meinte Anfang der siebziger Jahre auf die Frage eines ausländischen Jour- nalisten zum Dollar: „Er ist unse- re Währung, aber euer Problem.“ Zuletzt argumentierten Ökono- men, dass der Dollar zu einer „ex- orbitanten Bürde“ für die USA ge- worden sei, weil Länder wie Chi- na – und die meisten anderen Überschussländer, also auch Deutschland – massiv in Dollar- Anleihen investiert sind und da- durch den Dollar-Kurs hochdrü- cken, womit das Leistungsbilanz- defizit, Arbeitslosigkeit und Schulden in die Höhe schnellen. Die Jahre von 1945 bis 1989 waren dominiert vom Block-Kon- flikt zwischen den USA und der UdSSR. In den westlichen Natio- nen gab es einen unausgespro- chenen Gesellschaftsvertrag, nach dem die Arbeitnehmer entspre- chend den Profiten der Unterneh- men Lohnsteigerungen erhalten. Großzügige Sozialstaaten waren Symbole der Überlegenheit des westlichen Systems. Das Weltfinanzsystem war fragmentiert, Länder wie Indien und China, aber auch die Staaten Südostasiens, Lateinamerikas und Afrikas waren nicht voll in das globale Finanzsystem integriert. Es war eine ruhige Zeit an den Weltmärkten. 1979 kam das Jahr der libera- len Wende: Nach dem Tod von Mao Zedong in China wurde der Wirtschaftsreformer Deng Xiao- ping neuer Machthaber, er been- dete 1979 die selbst gewählte Iso- lation des Landes und legte den Grundstein für die heutige wirt- schaftliche Macht Chinas. Mit Von Thomas Seifert China hat im Jahr 2014 die USA als größte Wirtschaftsmacht abgelöst. Auf dem Globus findet die größte Verschiebung der geopolitischen Plattentektonik seit dem Ersten Weltkrieg statt. Illustrationen: Peter M. Hoffmann Fortsetzung auf Seite 34

"DIe Pazifische Epoche", Wiener Zeitung EXTRA vom 14032015

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Essay von Thomas Seifert: Die Pazifische Epoche

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  • Topographie der MachtWas Politische Geographie zu leisten imstande ist.Von Martin Heintel .................................................................... 35

    Tchtig und schtigWie aus Arbeitseifer leicht Arbeitssucht werden kann.Von Monika Spiegel .................................................................. 36

    Christine OstermayerDie Schauspielerin in einem ihrer seltenen Interviews.Von Christine Dobretsberger ................................................... 37

    Im Bann des dunklen HausesAmos Oz relativiert im Roman Judas das Thema Verrat.Von David Axmann ................................................................... 38

    Ozeanische ErzhlprosaDie kongeniale bersetzung des Epos Horcynus Orca.Von Lennart Laberenz ............................................................... 39

    Gefhle in Zeiten der KriseDoris Knecht und ihr neuer Roman Wald.Von Irene Prugger ..................................................................... 41

    Mehr als nur witzige EpisodenIrma, ein autobiographischer Text von Tex Rubinowitz.Von Andreas Wirthensohn ....................................................... 42

    Wegweisende WurzelforschungUnser sterreich von Ernst Molden und Nino aus Wien.Von Bruno Jaschke .................................................................... 44

    Samstag, 14. Mrz 2015

    Als die konomendes Internationalen Whrungs-fonds im Oktober 2014 die neuenDaten des World Economic Out-look prsentierten, steckte darineine Sensation: China hat die USA2014 als grte Wirtschaftsmachtabgelst. Das Bruttoinlandspro-dukt Chinas betrug im Jahr 201417,6 Billionen Dollar verglichenmit 17,4 Billionen Dollar fr dieUSA. Und China zieht auch 2015und in den darauf folgenden Jah-ren weiter davon es handeltsich um die grte Verschiebungglobaler Macht seit dem ErstenWeltkrieg.

    1815, nach den NapoleonischenKriegen und dem Ende des Wie-ner Kongresses am 9. Juni, warGrobritannien zur Fhrungs-macht der Welt aufgestiegen, dasbritische Imperium reichte vonAustralien ber Teile des heuti-gen Malaysia, Indien, dem Kapder Guten Hoffnung und SierraLeone an der Westkste Afrikasbis nach Kanada. Das britischePfund war die globale Leitwh-rung, London der wichtigste Fi-nanzplatz der Welt. In den 1870erJahren berholten die VereinigtenStaaten Grobritannien wirt-schaftlich, aber erst nach demErsten Weltkrieg bernahmen dieUSA die Fhrungsrolle in derwestlichen Welt. Nachdem derZweite Weltkrieg den europi-schen Kontinent, Japan und weite

    Teile von China und Asien ver-wstet hatte, war Japan geschla-gen, Deutschland am Boden,Frankreich und Grobritannienerschpft, und Osteuropa in denOrbit der Sowjetunion geraten.

    Die USA waren der Haupt-Ar-chitekt der neuen Weltordnung.In Bretton Woods wurde die Welt-wirtschaft neu geordnet, die Ver-einten Nationen sollten das zen-trale Forum der Weltpolitik wer-den. Der britische konom JohnMaynard Keynes hatte damals dieVision einer Weltwhrung Ban-

    cor, doch die USA setzten sichdurch, und der Dollar wurdeWelt-Reservewhrung, der Sturzdes britischen Pfunds vom Thronder Weltwhrung hatte schon zu-vor begonnen. Nach BrettonWoods war er irreversibel. Derfranzsische Prsident Charles deGaulle machte die Dollar-Domi-nanz in den Sechzigern in Presse-konferenzen zu seiner cause cl-bre, die USA wrden ein exorbi-tantes Privileg genieen, meintesein Finanzminister Valry Gis-card dEstaing.

    Denn wenn alle Welt Dollarshalten muss, dann ist das wie einzinsenfreier Kredit fr die USA.Die USA konnten stets Geld zu ei-nem niedrigeren Zinssatz borgenals der Rest der Welt. Der Finanz-minister John Connally meinteAnfang der siebziger Jahre auf dieFrage eines auslndischen Jour-nalisten zum Dollar: Er ist unse-re Whrung, aber euer Problem.

    Zuletzt argumentierten kono-men, dass der Dollar zu einer ex-orbitanten Brde fr die USA ge-worden sei, weil Lnder wie Chi-

    na und die meisten anderenberschusslnder, also auchDeutschland massiv in Dollar-Anleihen investiert sind und da-durch den Dollar-Kurs hochdr-cken, womit das Leistungsbilanz-defizit, Arbeitslosigkeit undSchulden in die Hhe schnellen.

    Die Jahre von 1945 bis 1989waren dominiert vom Block-Kon-flikt zwischen den USA und derUdSSR. In den westlichen Natio-nen gab es einen unausgespro-chenen Gesellschaftsvertrag, nachdem die Arbeitnehmer entspre-chend den Profiten der Unterneh-men Lohnsteigerungen erhalten.Grozgige Sozialstaaten warenSymbole der berlegenheit deswestlichen Systems.

    Das Weltfinanzsystem warfragmentiert, Lnder wie Indienund China, aber auch die StaatenSdostasiens, Lateinamerikas undAfrikas waren nicht voll in dasglobale Finanzsystem integriert.Es war eine ruhige Zeit an denWeltmrkten.

    1979 kam das Jahr der libera-len Wende: Nach dem Tod vonMao Zedong in China wurde derWirtschaftsreformer Deng Xiao-ping neuer Machthaber, er been-dete 1979 die selbst gewhlte Iso-lation des Landes und legte denGrundstein fr die heutige wirt-schaftliche Macht Chinas. Mit

    Von Thomas Seifert

    China hat im Jahr 2014 die USA als grte

    Wirtschaftsmacht abgelst. Auf dem Globus findet

    die grte Verschiebung der geopolitischen

    Plattentektonik seit dem Ersten Weltkrieg statt.

    Illustrationen: Peter M. Hoffmann

    Fortsetzung auf Seite 34

  • analyse Samstag, 14. Mrz 201534

    dem neuen Machthaber und derkonservativen Wende von Marga-ret Thatcher (sie wurde 1979 Pre-mierministerin Grobritanniens)und Ronald Reagan (er wurde1980 zum US-Prsidenten ge-whlt) dmmerte das Zeitalter desIch herauf. Darauf folgte 1989ein Jahr der Revolutionen undUmbrche, in Berlin fiel die Mau-er, die Zune zwischen Ost undWest wurden durchtrennt, der Os-ten konnte sich aus dem Orbit derSowjetunion lsen. Es war dieZeit der Freiheit. Die USA hattennach dem siegreich geschlagenenZweiten Weltkrieg den nchstenErfolg errungen, die Unterstt-zung der Solidarnosc-Bewegungin Polen und der gegen die Sow-jets kmpfenden Mudschaheddindurch die USA trug genauso zumUntergang der Sowjetunion beiwie eine konzertierte Aktion derUSA und Saudi-Arabiens, die denlpreis 1986 von 26,8 auf unterzehn Dollar drckte. Letzeres einePolitik, die auch heute wieder mitgroem Erfolg gegen den Nachfol-gestaat der Sowjetunion, Russ-land, eingesetzt wird.

    Auch in China gingen die Men-schen auf die Strae, ein Besuchdes sowjetischen Perestroika- undGlasnost-Prsidenten Michail Gor-batschow motivierte die Studen-tenbewegung, am Tiananmen-Platz fr Freiheitsrechte zu de-monstrieren. Der liberale Ex-Pre-mier und Generalsekretr derKommunistischen Partei ChinasZhao Ziyang hatte Verstndnis frdie Forderungen der Studenten,doch Chinas starker Mann DengXiaoping lie die Proteste nieder-walzen.

    Nach dem Mauerfall 1989 odersptestens mit dem Ende des ers-ten Irakkrieges begann das unbe-schwerte Zeitalter des Optimis-mus und fr die USA die Jahreder unumschrnkten Hyper-macht. Die Sowjetunion der Erz-feind des Westens war 1991 kol-labiert, im selben Jahr gliedertesich Indien in den globalen Marktein. Das Zauberwort jener Jahrelautete Globalisierung. Und selbstdas Schlachten am Balkan konnteden europischen Integrations-prozess, der in diesen Jahren mitVolldampf lief, nicht bremsen.

    Erste Risse im Wirtschaftssys-tem waren aber schon sprbar:Der Brsencrash vom 19. Oktober1987 Black Monday war dererste Brsenkrach nach demZweiten Weltkrieg, der Dow Jonesfiel um 22,6 Prozent. Finanzkri-sen kamen mit immer raschererRegelmigkeit: Zuerst platzte1992 die japanische Immobilien-blase, dann schlitterte 1994 Mexi-ko in eine schwere Wirtschafts-

    krise, dann Asien 1997/98, undschlielich erklrte Russland1998 den Staatsbankrott. Der Kol-laps des Hedgefonds Long-TermCapital Management (LTCM) 1998htte beinahe die Weltwirtschaftmit in den Abgrund gerissen. Imselben Jahr dann die groe De-pression in Argentinien. 2001platzte die Internetblase, und am15. September 2008 kollabiertemit der Investment-Bank LehmanBrothers beinahe das Weltfinanz-system. Das Zeitalter des Optimis-mus war definitiv ebenso vorbeiwie der unipolare Moment fr dieUSA oder die EU-Phorie fr dieEuropische Union.

    Was die Welt seither erlebt, isteine Welle der Deglobalisierung,der Rckkehr des Nationalismusund der egoistischen Kleinstaate-rei in Europa samt von Grobri-tannien angefachter Zerfallser-scheinungen der EU. Vllig para-lysierte und polarisierte Vereinig-te Staaten. Eine vom Irak-Debakelund den Misserfolgen in Afgha-nistan demoralisierte US-Militr-streitmacht. Auf den ArabischenFrhling folgten die Reaktion undRestauration des Militrregimesin gypten, Libyen versinkt imChaos, und der Brgerkrieg imIrak und Syrien metastasierte zueinem schrecklichen regionalenKrieg im Nahen Osten, der ir-gendwann zu einem katastropha-len direkten Konflikt zwischenIran und Saudi-Arabien ausartenknnte.

    Rckkehr der FhrerDie Rckkehr mchtiger Fh-rungsfiguren mit autokratischenZgen auf die Weltbhne wieWladimir Putin, Recep Tayyip Er-dogan oder Xi Jinping ist ein wei-teres beunruhigendes Signal.Ebenso wie die Erfolge rechtspo-pulistischer Parteien in ster-reich, Ungarn, in einigen skandi-navischen Lndern, Frankreichund nun auch in Deutschland.Der dahinkchelnde Brgerkriegin der Ukraine und die schlei-chende Auferstehung des KaltenKrieges zwischen Russland unddem Westen. All das sind beunru-higende Alarmsignale fr diesera der neuen Weltunordnung.

    Der Westen steckt in einerDreifach-Krise: einer Krise deswestlichen Finanzkapitalismus,der Krise der westlichen Parteien-demokratie und der Krise des glo-balen Steuerungssystems.

    Finanzkapitalismus, Parteien-demokratie und das globale Steu-erungssystem mit den Bretton-Woods-Institutionen IWF, Welt-bank und WTO sowie den Verein-ten Nationen sind ebenfalls vomWesten ersonnen worden. Ist esZufall, dass sich die Triple-Krisegerade jetzt entfaltet? Oder hatsich der bergang von der atlanti-schen zur pazifischen Epochenicht schon lnger abgezeichnet?Diese Transitionsphase von deratlantischen zur pazifischen Epo-che ist die groe Story unsererZeit.

    Whrend der Groen Depres-sion ab dem Jahr 1929 haben dieMenschen das Vertrauen in dieMrkte verloren und begonnen,den Staat nach Empfehlungen vonJohn Maynard Keynes als Retter

    in der hchsten Not zu sehen. Alsdann die Kombination aus Stag-nation und Inflation in den siebzi-ger Jahren die Wirtschaft lhmte,schwand das Vertrauen in denStaat, die Regierungen setzten inden achtziger und neunziger Jah-ren auf ungezgelte Mrkte. 2008schlug die groe Rezession zu.Nun war der Glaube an den Markterneut schwer erschttert, dochdas Vertrauen, dass der Staat dieProbleme lsen kann, war eben-falls dahin. Die Krise des Kapita-lismus hat also direkt in die Kriseder Demokratie gefhrt.

    Das Wort von der Vetokratiemacht die Runde und beschreibteine USA, deren politisches Sys-tem durch ein Gewaltenteilungs-gewirr kaum mehr zu kollektivemHandeln fhig ist.

    Die westlichen Demokratienverkommen zu Postdemokra-tien, wie der britische Politikwis-senschaftler und Soziologe ColinCrouch das nennt: In Postdemo-kratien werden zwar nach wie vorWahlen abgehalten, die Wahl-kmpfe werden aber von den kon-kurrierenden Teams der Spin-Doktoren so stark kontrolliert,dass sie zu einem reinen Spekta-kel verkommen, bei dem nur berjene Themen diskutiert wird, diedie PR-Profis in ihrem Agenda-Setting ausgewhlt haben.

    Die Mehrheit der Brger spieltnur mehr eine passive Zuschauer-rolle, die Whlerschaft reagiertnur mehr reflexartig auf die hin-geworfenen Wort-Brocken. ImSchatten einer solchen Wahl-kampf-Inszenierung wird dannPolitik hinter verschlossenen T-ren gemacht.

    Das globale Steuerungssystemist seit langer Zeit dysfunktional:Wie kann etwa der UN-Sicher-heitsrat Legitimitt genieen,wenn Indien oder Indonesien,Sdafrika oder Nigeria, Brasilienund Argentinien keinen Sitz indiesem wichtigsten Gremium derWelt haben? Wie kann China demInternationalen Whrungsfondsvertrauen, wenn Europa den Pos-ten des IWF-Direktors als europi-sche Erbpacht versteht und dieUSA ein faktisches Vetorecht ge-nieen? Wie knnen andere Ent-wicklungslnder der Weltbankvertrauen, wenn der Weltbank-Prsident vom jeweiligen US-Pr-sidenten eingesetzt wird? Chinasetzt seit einiger Zeit auf Parallel-strukturen zu Weltbank und IWF,und die G20 der wichtigstenzwanzig Wirtschaftsmchte ber-nehmen immer mehr Aufgaben.

    Wie geht es also weiter? DieKonturen der pazifischen Epoche

    lassen sich bereits erahnen, dasSchwergewicht der Weltwirt-schaft wandert Richtung Osten.Das hat auch fr Europa und dieUSA Auswirkungen: Denn dieVereinigten Staaten sind nichtnur eine atlantische, sondernauch eine pazifische Macht. DieWestkste bereits heute der Mo-tor wirtschaftlicher Dynamik undInnovation in den USA wirdnoch weiter an Bedeutung gewin-nen. Ebenso knnten der Sdos-ten und Osten Europas eines Ta-ges von einer Landverbindungnach China profitieren, auch lo-gistische Knotenpunkte knntendort entstehen. Diese Infrastruk-tur-Herausforderung muss Euro-pa annehmen.

    Die EU muss eine eigenstndi-gere Auenpolitik (vor allem auchAsien-Politik) betreiben, denn dieVereinigten Staaten und Europahaben in dieser Region jeweils ih-re eigenen Interessen. Deutsch-land, die Niederlande, Spanienund Italien knnen etwa gegen-ber China eine positive Leis-tungsbilanz vorweisen, whrenddie USA ein Leistungsbilanzdefi-zit von fast hundert MilliardenDollar mit China aufweisen. DerBeginn der pazifischen Epocheheit fr den Westen aber auch,den wild gewordenen Finanzkapi-talismus wieder zu zhmen unddie Demokratie mit neuem Lebenzu erfllen.

    Das Ende der HegemonieDas druende Ende der westlichenHegemonie legt dem Westen zu-dem nahe, sich bereits heute aufdie Welt von morgen einzustellenund die Reformen an einem multi-lateralen System mit Hochdruckvoranzutreiben, solange Europaund die USA berhaupt noch Ge-hr finden. Die Blockadehaltungder USA, dem aufsteigenden Chinaseinen Platz in den Bretton-Woods-Organisationen zu verwei-gern, ist ein Kardinalfehler. DasReich der Mitte und die anderenaufstrebenden Lnder Asiens wer-den sich auf Dauer schlicht nichtmit einer ihnen vom Westen zuge-dachten minderen Rolle in der so-genannten internationalen Staa-tengemeinschaft zufriedengeben.

    Aber das pazifische Zeitalter(das gilt fr die Lnder des be-nachbarten Indischen Ozeans ge-nauso) ist nicht nur eine ra wirt-schaftlicher Vernderungen undgewaltiger Verschiebungen in dergeopolitischen Plattentektonik: Ei-ne lebendige Jugendkultur ist amEntstehen, und die Lnder Asiensgeben sich lngst nicht mehr mit

    der Rolle einer verlngertenWerkbank zufrieden. Einige re-portagehafte Episoden aus demjungen, innovativen und kreati-ven Asien mit allen Problemenund Herausforderungen, aberauch mit aller Energie und allemElan, bilden schlielich den drit-ten Teil des Buches.

    Das Faktum, dass China nun dieNummer eins in puncto Bruttoin-landsprodukt in Kaufkraftparit-ten ist, bedeutet nicht, dass dieserErfolg Chinas zulasten Europasoder der USA gehen muss. DieWeltwirtschaft ist kein Nullsum-menspiel, wie der Nobelpreistr-ger Joseph Stiglitz gerne sagt. Eu-ropa hat bewiesen, dass es Export-chancen nach Asien zu nutzenversteht. Europa hat den LndernAsiens Lsungen fr die Umwelt-probleme, Verkehrsprobleme unddie Schaffung sozialer Sicherungs-systeme anzubieten, die kein ande-rer Wirtschaftspartner mit derAusnahme Japans anzubietenhat. Der Westen muss die Weltwieder von der berlegenheit vonDemokratie und Marktwirtschaftberzeugen. Das kann aber nurfunktionieren, wenn die real imWesten gelebte Demokratie undMarktwirtschaft auch glaubwrdigsind und nicht zu Postdemokratienverkommen und der Markt nichtzu einer Arena der Gier perver-tiert. Es kommt nicht von unge-fhr, dass Stiglitz daran erinnert,dass China 500 Millionen Men-schen aus der Armut geholt hat,whrend die Mittelschicht Ameri-kas stagniert oder von Abstiegs-ngsten geplagt ist. Es bedarf einerwestlichen Renaissance. Die Krisevon 2008 htte dazu eine Chancegeboten: Das chinesische Wort frKrise besteht schlielich aus zweiSchriftzeichen: Wei steht fr Ge-fahr oder Risiko, Ji fr Chance oderGelegenheit. Rahm Emanuel, da-mals Stabschef im Weien Haus,hatte folgenden Ratschlag parat:Never let a serious crisis go to

    waste (Vergeude nie eine schwe-re Krise.) Leider wurde sie vertan.

    Der Westen steckt ineiner Dreifach-Krise

    Thomas Seifert, Jahrgang1968, ist stellvertretenderChefredakteur der WienerZeitung. Am 19. Mrz 2015um 19:00 Uhr wird sein BuchDie Pazifische Epoche imRahmen einesAlpbach-Talkin der Haupt-bcherei Wien(Urban Loritz-Platz 2a,1070 Wien)vorgestellt.

    Die pazifische EpocheDie Geschichte Asiens imSchnelldurchlauf, eine Analy-se des Aufstiegs Asiens inden vergange-nen Jahrzehn-ten und Repor-tagen aus demjungen, quirli-gen Asien.Deuticke Ver-lag, Wien2015, 304 S.,21,90 Euro.

    Fortsetzung von Seite 33

    Kapitalismuskritik und Politikverdrossenheit im Westen: Asien, hast du es besser? Mitnichten. Aller-dings braucht Europa wieder mehr Selbstbewusstsein und eine Renaissance der Demokratie.

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