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Die Recherche vom Plusminus- und Handelsblatt-Team im Detail Das neue Lieblingskind der Pharmaindustrie heißt Orphan Drugs. Dabei handelt es sich um Arzneimittel, die zur Behandlung seltener Krankheiten eingesetzt werden. Die Pharmaindustrie profitiert von einer EU-Sonderregelung, die den Einstieg auf den Markt vereinfacht. Doch diese Sonderregelung wird auch missbraucht. Gemeinsam mit dem Handelsblatt hat Plusminus zu dem Thema recherchiert. Einige unserer Recherchewege zeigen wir hier auf. Die Orphan Drugs stoßen nicht überall auf Gegenliebe. „Das Problem ist, dass die Pharmaindustrie gedacht hat, das ist für uns eine Lizenz zum Gelddrucken“, sagt Jan Salzmann von der Ärzteorganisation MEZIS. „Die haben teilweise Präparate entwickelt, die 25 000 Euro im Monat kosten, bei lebenslanger Behandlung.“ Deutliche Worte. Jan Salzmann stört noch etwas anderes: Die Gelder würden oft gar nicht für die seltenen Krankheiten ausgegeben, die eigentlich erforscht werden sollten. Auch der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte, Wolf-Dieter Ludwig, sieht das ähnlich. Auf einer Liste der Top 14 Medikamente für seltene Erkrankungen findet er nur vier Krankheiten, die er als selten bezeichnen würde. „Alle anderen sind per se zunächst keine seltenen Erkrankungen, sondern werden zur seltenen Erkrankungen gemacht, indem sie unterteilt werden durch spezielle Merkmale“, so Ludwig. Verband Forschender Arzneimittelhersteller Wir wollten genauer wissen, was es mit den Orphan Drugs auf sich hat und haben beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) angefragt. Der vfa antwortete uns schriftlich. Plusminus/Handelsblatt: Orphan Drugs kommen unter vereinfachten Zulassungsvoraussetzungen auf den Markt. Weder sind die Zulassungsstudien ähnlich umfangreich wie bei sonstigen Medikamenten noch muss ein Zusatznutzen belegt werden. Experten etwa des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) fordern, dass auch für Orphan Drugs die üblichen Anforderungen gelten sollen. Was sagt der vfa dazu? vfa: Den Status „Orphan Drug“ können Medikamente gegen schwerwiegende Krankheiten erhalten, an denen in der EU nicht mehr als fünf von 10.000 Bürgern leiden. Welches Medikament ihn erhält, entscheidet die EU, die den Status und die damit verbundenen Regularien im Jahr 2000 geschaffen hat, um die Entwicklung von Medikamenten gegen seltene Krankheiten zu verstärken. An solchen Krankheiten leiden zwischen 27 und 36 Millionen EU-Bürger (Quelle: EU-Kommission). Die Zulassungsanforderungen für Orphan Drugs sind nicht einfacher als für andere Medikamente, sie sind nur in ein paar Punkten anders: Hinsichtlich des Zusatznutzens sind die Zulassungsanforderungen an ein Orphan Drugs sogar höher als an normalen Medikamente. Denn zusätzlich zu den für alle Medikamente geltenden drei Zulassungs- kriterien (Wirksamkeit, Verträglichkeit und technische Qualität) müssen Orphan Drugs auch noch die Anforderung erfüllen, einen Zusatznutzen gegenüber den bisher vorhandenen

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Page 1: Die Recherche vom Plusminus- und Handelsblatt-Team im Detail · Die Orphan Drugs stoßen nicht überall auf Gegenliebe. „Das Problem ist, dass die Pharmaindustrie gedacht hat, das

Die Recherche vom Plusminus- und Handelsblatt-Team im Detail Das neue Lieblingskind der Pharmaindustrie heißt Orphan Drugs. Dabei handelt es sich um Arzneimittel, die zur Behandlung seltener Krankheiten eingesetzt werden. Die Pharmaindustrie profitiert von einer EU-Sonderregelung, die den Einstieg auf den Markt vereinfacht. Doch diese Sonderregelung wird auch missbraucht. Gemeinsam mit dem Handelsblatt hat Plusminus zu dem Thema recherchiert. Einige unserer Recherchewege zeigen wir hier auf. Die Orphan Drugs stoßen nicht überall auf Gegenliebe. „Das Problem ist, dass die Pharmaindustrie gedacht hat, das ist für uns eine Lizenz zum Gelddrucken“, sagt Jan Salzmann von der Ärzteorganisation MEZIS. „Die haben teilweise Präparate entwickelt, die 25 000 Euro im Monat kosten, bei lebenslanger Behandlung.“ Deutliche Worte. Jan Salzmann stört noch etwas anderes: Die Gelder würden oft gar nicht für die seltenen Krankheiten ausgegeben, die eigentlich erforscht werden sollten. Auch der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte, Wolf-Dieter Ludwig, sieht das ähnlich. Auf einer Liste der Top 14 Medikamente für seltene Erkrankungen findet er nur vier Krankheiten, die er als selten bezeichnen würde. „Alle anderen sind per se zunächst keine seltenen Erkrankungen, sondern werden zur seltenen Erkrankungen gemacht, indem sie unterteilt werden durch spezielle Merkmale“, so Ludwig.

Verband Forschender Arzneimittelhersteller Wir wollten genauer wissen, was es mit den Orphan Drugs auf sich hat und haben beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) angefragt. Der vfa antwortete uns schriftlich. Plusminus/Handelsblatt: Orphan Drugs kommen unter vereinfachten Zulassungsvoraussetzungen auf den Markt. Weder sind die Zulassungsstudien ähnlich umfangreich wie bei sonstigen Medikamenten noch muss ein Zusatznutzen belegt werden. Experten etwa des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) fordern, dass auch für Orphan Drugs die üblichen Anforderungen gelten sollen. Was sagt der vfa dazu? vfa: Den Status „Orphan Drug“ können Medikamente gegen schwerwiegende Krankheiten erhalten, an denen in der EU nicht mehr als fünf von 10.000 Bürgern leiden. Welches Medikament ihn erhält, entscheidet die EU, die den Status und die damit verbundenen Regularien im Jahr 2000 geschaffen hat, um die Entwicklung von Medikamenten gegen seltene Krankheiten zu verstärken. An solchen Krankheiten leiden zwischen 27 und 36 Millionen EU-Bürger (Quelle: EU-Kommission). Die Zulassungsanforderungen für Orphan Drugs sind nicht einfacher als für andere Medikamente, sie sind nur in ein paar Punkten anders: Hinsichtlich des Zusatznutzens sind die Zulassungsanforderungen an ein Orphan Drugs sogar höher als an normalen Medikamente. Denn zusätzlich zu den für alle Medikamente geltenden drei Zulassungs-kriterien (Wirksamkeit, Verträglichkeit und technische Qualität) müssen Orphan Drugs auch noch die Anforderung erfüllen, einen Zusatznutzen gegenüber den bisher vorhandenen

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Therapien zu haben oder eine Versorgungslücke zu schließen. Ist der Zusatznutzen nicht erwiesen oder wird keine Versorgungslücke geschlossen, wird auch keine Orphan-Drug-Zulassung erteilt. Deshalb kommen Orphan Drugs schon mit einem behördlich bestätigten Zusatznutzen auf den Markt. Im anschließenden Nutzenbewertungsverfahren im deutschen Gesundheitswesen wird dann noch das Ausmaß dieses Zusatznutzens bestimmt. Also: Anders, als Sie angenommen haben, wird der Zusatznutzen von Orphan Drugs im Zulassungsverfahren geprüft und belegt. Hinsichtlich der Teilnehmerzahl bei Studien mit Orphan Drugs nehmen die Zulassungsbestimmungen Rücksicht darauf, dass die Krankheiten selten sind: So viele Teilnehmer wie bei häufigeren Krankheiten können auch bei weltweiter Suche (die heute Standard ist) nicht gefunden werden. Schon die Rekrutierung der kleineren Teilnehmer-zahlen ist oft nur mit großem Aufwand über lange Zeiträume möglich. Um trotzdem schnellstmöglich die Erfahrungsbasis auszuweiten, wird die Zulassung einer Orphan Drug meist mit der Auflage verknüpft, nach der Markteinführung weitere Behandlungsdaten von Patienten zu sammeln, auszuwerten und den Arzneimittelbehörden zu liefern. Plusminus/Handelsblatt: Kritiker sprechen mittlerweile von einer Orphanisierung von Krankheiten, etwa durch Slicing mit einer schleichenden Indikationsausweitung. Treibt die Pharmaindustrie ihren Umsatz auf diesem Weg künstlich in die Höhe? vfa:

Zu „orphanisieren und „slicen“: Eine Krankheit, an der mehr Bürger als die genannten „fünf von 10.000“ leiden, lässt sich weder „orphanisieren“ (also irgendwie zur seltenen Krankheit erklären) noch “slicen“, also in viele seltene Unterformen der Krankheit unterteilen, für deren Behandlung ein Orphan-Drug-Status vergeben werden könnte. Anders gesagt: Selbst wenn ein Medikament nur für eine seltene Unterform einer häufigeren Krankheit geeignet ist, kann es doch keinen Orphan Drug-Status erhalten. Darüber wachen die Zulassungsbehörde EMA und die EU-Kommission. Man sieht das beispielsweise an Medikamenten gegen seltene Unterformen des häufigen nicht-kleinzelligen Lungenkrebses: Sie haben keinen Orphan Drug-Status. In der Liste aller Orphan Drugs unter www.vfa.de/orphans kann man sehen, dass es keinen Fall gibt, in dem ein Orphan Drug-Status bei einer nicht-seltenen Krankheit vergeben wurde.

Zu den Indikationserweiterungen: Wie andere Medikamente auch werden Orphan Drugs manchmal nach der Erstzulassung noch gegen eine weitere Krankheit zugelassen („in ihrer Indikation erweitert“, wie Ärzte sagen). So eine erweiterte Zulassung wird nur erteilt, wenn das Medikament in zusätzlichen klinischen Studien gezeigt hat, dass es auch Patienten mit der zweiten Krankheit helfen kann. Ist auch die zweite Erkrankung eine seltene Krankheit, erhält das Medikament einen zweiten, auf diese Krankheit bezogenen Orphan Drug-Status. So etwas ist schon einige Male vorgekommen. Hingegen wird der Orphan-Drug-Status aufgehoben, wenn das Anwendungsgebiet eines Orphan-Medikaments auf eine nicht-seltene Krankheit erweitert wird. Das zeigt das Beispiel eines Medikaments, das zunächst als Orphan Drug gegen fortgeschrittenes

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Adenokarzinom des Magens zugelassen war und den Status verlor, als es auch gegen bestimmte Stadien von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs und Kolorektalkarzinom zugelassen wurde. Dazu gibt es noch einen Sonderfall: Gibt es zwei Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff, von denen eines gegen eine häufige, das andere aber gegen eine seltene Krankheit zugelassen ist, dann kann das zweite einen Orphan Drug-Status haben. Der gilt aber nicht für das erste Medikament. So hatte bis 2014 ein Medikament zur Behandlung eines angeborenen Herzfehlers bei Neugeborenen, das Ibuprofen enthält, den Orphan Drug-Status. Der Status galt aber nicht für die zahlreichen Schmerzmittel mit dem gleichen Wirkstoff. Die Sonderkonditionen, die für Orphan Drugs gelten, lassen sich also in keinem Fall auf häufigere Krankheiten ausdehnen.

Plusminus/Handelsblatt: Wie erklärt der vfa, dass mittlerweile über ein Drittel aller neu zugelassenen Medikamente Orphan Drugs sind? vfa: In den letzten fünf Jahren (2011 bis 2015) waren im Schnitt 21 Prozent der neu eingeführten Medikamente Orphan Drugs. Zu diesem Anteil haben mehrere Dinge beigetragen:

In den Gebieten „Krebs“ und „Stoffwechselstörungen“, in die viele seltene Krankheiten fallen, ist das medizinische Wissen seit den 1990er-Jahren enorm gewachsen. Das hat die Grundlage dafür gelegt, dass Pharmaforscher geeignete Medikamente entwickeln konnten.

Die EU hat im Jahr 2000 eine Verordnung verabschiedet, die die Entwicklung von Orphan Drugs fördert. Ähnliche Regelungen gibt es auch in den USA, Japan und anderen Ländern.

Ärzte und Patienten betonen, wie hoch der Bedarf an geeigneten Behandlungsmöglichkeiten für die geschätzt 6.000 bis 8.000 seltenen Krankheiten ist. Derzeit sind erst rund 100 seltene Krankheiten in einer Weise behandelbar, die über eine unspezifische Symptomlinderung hinausgeht.

Weil dieser medizinische Bedarf noch lange nicht gedeckt ist, rechnen wir damit, dass die Unternehmen weiterhin in größerem Umfang an neuen Medikamenten gegen seltene Krankheiten arbeiten werden. Bei den Mitgliedsunternehmen unseres Verbands betreffen 13 Prozent der fortgeschrittenen Arzneimittelprojekte, die bei der Erprobung mit Patienten angekommen sind, Orphan Drugs. Plusminus/Handelsblatt: Wie hoch war 2015 der Umsatz (deutschlandweit und weltweit) der Pharmaindustrie mit Orphan Drugs?

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vfa: Wir sind noch dabei, den Umsatz für Deutschland zu berechnen und hoffen, Ihnen den Wert in den nächsten Tagen liefern zu können. Heute schon können wir Ihnen aber diese Informationen liefern: Bei den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) in Deutschland entfielen 2015 3,1 Prozent ihrer Arzneimittelausgaben auf Orphan Drugs. Bei 90 Prozent der Orphan Drugs lagen die Ausgaben der GKV 2015 unterhalb von 50 Millionen Euro, bei 70 Prozent sogar unter 10 Millionen Euro. Die Umsätze mit Orphan Drugs weltweit sind uns nicht bekannt. Sie wären auch schwierig zu bestimmen, weil die Listen der Orphan Drugs in den USA, in Japan und der EU nicht ganz übereinstimmen. Plusminus/Handelsblatt: Nahezu alle Orphan Drugs sind Krebsmittel. Warum kümmert sich die Pharmaindustrie im Sektor Orphan Drugs vor allem um diese Krankheit? vfa: Unter den Orphan Drugs, die seit 2000 zugelassen wurden, stellen Krebsmedikamente mit 44 Prozent zwar den größten Anteil; weitere dienen allerdings der Behandlung von Stoffwechselkrankheiten (21 Prozent), neurologischen Krankheiten (7 Prozent), Herz-Kreislaufkrankheiten (6 Prozent), Atemwegserkrankungen (ohne Krebs und Infektionen, 5 Prozent) und Infektionen (4 Prozent). Die übrigen 13 Prozent verteilen sich auf weitere medizinische Gebiete.

Onkologen haben es neben vergleichsweise wenigen häufigen Krankheiten (wie Brust- oder Prostatakrebs) mit einer großen Zahl seltener Krebsarten zu tun; dazu zählen beispielsweise sämtliche Leukämien, der Eierstockkrebs, das Multiple Myelom, der Leber- und der Bauch-speicheldrüsenkrebs sowie der Hirntumor Glioblastom.

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Plusminus/Handelsblatt: An welchem Punkt des Zulassungsverfahrens wird der Zusatznutzen geprüft - und von wem? In allen Experten-Publikationen dazu heißt es, dass der Zusatznutzen mit Erteilung des OD-Status unterstellt wird - und der G-BA dann nur noch das Ausmaß feststellt. vfa: Es sind zwei Verfahren zu unterscheiden: das Verfahren, in dem einem Medikament der Orphan Drug-Status zuerkannt wird, und das Zulassungsverfahren, in dessen Rahmen dieser Status überprüft wird. Zuerkennungsverfahren: Der Orphan Drug-Status kann für ein Medikament nur vor dem Start des Zulassungsverfahrens gegen eine Orphan-Krankheit beantragt werden. Typischerweise wird er sogar schon viele Jahre vor dem Zulassungsverfahren beantragt, wenn das betreffende Medikament noch in der Entwicklung ist. Das bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA (European Medicines Agency) eingesetzte Committee for Orphan Medicinal Products (COMP) entscheidet über den Antrag. Auf Basis der Empfehlung des COMP wird der Orphan Status von der Europäischen Kommission erteilt. Ein Medikament erhält den Orphan-Status der EU nur dann, wenn es voraussichtlich einen signifikanten/ erheblichen therapeutischen Nutzen im Vergleich zu bisher vorhandenen Behandlungen aufweist (englische Version der EU-Verordnung: „significant“; deutsche Version: „erheblich“). Entschieden wird darüber auf Basis der Ergebnisse aus der Laborforschung oder aus klinischen Studien, die der Hersteller dafür liefert. Für die weitere Entwicklung dieses Medikaments gegen die betreffende Krankheit bedeutet das unter anderem, dass unter bestimmten Bedingungen von der EMA Gebührenreduktionen gewährt werden. Zulassungsverfahren: Zulassungsanträge für Orphan Drugs werden wie andere Zulassungsanträge auch bei der EMA gestellt. Dort werden wie beschrieben Wirksamkeit, Verträglichkeit und technische Qualität geprüft. Zusätzlich muss im Fall eines Orphan Drugs das COMP noch einmal darüber entscheiden, ob die Kriterien für den Orphan Drug-Status weiterhin erfüllt sind. Nun aber, da die gesamten Daten aus der Arzneimittelentwicklung vorliegen, geht es nicht wie zuvor um einen voraussichtlichen Zusatznutzen, sondern einen belegten Zusatznutzen. Ist der nicht gegeben, wird dem Medikament noch vor der Zulassung der Orphan-Status aberkannt. Plusminus/Handelsblatt: Ein Blick auf die Bewertungen des G-BA zeigt, dass bei über 90 Prozent der zwischen 2011 und 2015 zugelassenen Orphan Drugs der Zusatznutzen mit „nicht quantifizierbar“ sowie „gering“ bewertet wurde. Wie rechtfertigt der vfa diese Situation angesichts der Tatsache, dass die Krankenkassen jährlich zig Millionen für diese Medikamente ausgeben müssen? vfa: Nach unserer Auswertung wurde der Zusatznutzen bei 86 Prozent der zwischen 2011 und 2015 zugelassenen Orphan Drugs mit "nicht quantifizierbar" oder "gering" bewertet. Die Einstufung "nicht quantifizierbar" bedeutet, dass der Zusatznutzen gegeben ist, aber auf Basis der aktuellen Datenlage noch nicht sicher in seinem Ausmaß zwischen gering und erheblich angegeben werden kann. Ein „geringer Zusatznutzen“ liegt laut Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung vor, „wenn eine gegenüber der zweckmäßigen

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Vergleichstherapie bisher nicht erreichte moderate und nicht nur geringfügige Verbesserung des therapierelevanten Nutzens im Sinne von § 2 Absatz 3 erreicht wird, insbesondere eine Verringerung von nicht schwerwiegenden Symptomen der Erkrankungen oder eine relevante Vermeidung von Nebenwirkungen.“ Damit bedeutet schon ein geringer Zusatznutzen für die betroffenen Patienten eine Menge. Zu den Ausgaben: Die Preise von Orphan Drugs werden wie bei anderen Medikamenten auch in Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Herstellern vereinbart. Der Umsatz der Pharma-Unternehmen mit Orphan Drugs betrug 2015 in Deutschland im ambulanten Bereich 910 Millionen Euro (von 30,5 Milliarden Euro Gesamtumsatz der Pharma-Unternehmen in diesem Bereich; Angaben zu Herstellerabgabepreisen). Auf Orphan Drugs entfielen also nur knapp 3 Prozent des Umsatzes. Plusminus/Handelsblatt: Sind die Voraussetzungen "Versorgungslücke schließen" und "Zusatznutzen" alternative oder kumulative Zulassungsvoraussetzungen? vfa: Für alle Orphan Drugs gilt als eins der Kriterien zur Aufrechterhaltung des Orphan Drug-Status, „that there exists no satisfactory method of diagnosis, prevention or treatment of the condition in question that has been authorised in the Community or, if such method exists, that the medicinal product will be of significant benefit to those affected by that condition.“ (Quelle: http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2000:018:0001:0005:en:PDF ) Dies bedeutet, dass das neue Medikament den bisher verfügbaren Medikamenten überlegen sein muss, und dass ein Medikament, das nur „gleich gut“ ist, keine Chance auf den Orphan Drug-Status hat. Nur in einem einzigen Fall wurde seit Inkrafttreten der Orphan Drug-Verordnung im Jahr 2000 aber auch einem solchen „gleich guten“ Medikament der Orphan Drug-Status zuerkannt, und zwar, weil das schon zugelassene Medikament seit längerer Zeit nicht verfügbar war (wegen Produktionsproblemen); das neue Medikament ermöglichte, die Patienten wieder zu therapieren. – Dieses Beispiel meinen wir mit „Versorgungslücke schließen“. Plusminus/Handelsblatt: Was würden die Pharma-Konzerne davon halten, dass alle Orphan Drugs nach der Zulassung weiter untersucht werden müssen und jeder Hersteller nach drei bis vier Jahren weitere Studiendaten liefern muss? Geschieht das nicht, könnte ein Medikament wieder vom Markt genommen werden. vfa: Genauso ist das doch heute schon geregelt: Die Arzneimittelbehörde EMA erteilt die Zulassung für ein Orphan-Medikament stets mit der Maßgabe an den Hersteller, bestimmte weitere Untersuchungen durchzuführen und die Daten nachzureichen. Diese Maßnahmen sind im Risikomanagementplan zusammengefasst und können im öffentlichen Bewertungsbericht EPAR auf der EMA-Website eingesehen werden. Das kann bedeuten, dass der Hersteller ein Patientenregister einrichten und auswerten muss, oder dass er weitere klinische Studien oder Anwendungsbeobachtungen durchzuführen hat. Für die Festsetzung des Einreichungstermins wird abgeschätzt, wie schnell die Untersuchungen abgeschlossen werden können. Für den Fall, dass keine Ergebnisse geliefert werden, ist

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vorgesehen, dass dem Medikament für die betreffende Krankheit die Zulassung entzogen werden kann. Die Hersteller führen die beauflagten Untersuchungen – entgegen den Befürchtungen einiger Ärzte – in der Tat durch. Diese dauern manchmal etwas länger als zunächst vorgesehen, weil überschätzt wurde, wie schnell man genügend teilnahmebereite Patienten mit der seltenen Krankheit finden kann. Bei einer Reihe von Orphan Drugs laufen diese Untersuchungen derzeit noch. Bisher mussten die Arzneimittelbehörden nur einem Orphan-Medikament wegen fehlender Beibringung weiterer Daten die Zulassung wieder entziehen. Die Pharma-Unternehmen entwickeln Medikamente gegen diese Krankheiten, weil hier noch bessere Medikamente dringend benötigt werden und neue wissenschaftliche Erkenntnisse den Pharmaforschern auch die Möglichkeit dazu geben, sie zu entwickeln (siehe http://www.vfa.de/digitorials/perspektive-2019/projekte-die-bis-2019-zu-einer-zulassung-fuehren-koennen.html ) Plusminus/ Handelsblatt: Wie hoch waren 2015 die Ausgaben der Pharmaindustrie (deutschlandweit und weltweit) für Werbung und Marketing, wie hoch die Ausgaben der Pharmaindustrie (deutschlandweit und weltweit) für Forschung und Entwicklung? vfa: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung der Pharmaindustrie betrug 2014 weltweit 138 Milliarden US-Dollar (Quelle: Scrip 100, 2016). In Deutschland wurden 2014 von vfa-Unternehmen 5,1 Milliarden Euro und 2015 5,3 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Angaben über die Ausgaben für Marketing und Vertrieb in Deutschland und weltweit liegen uns nicht vor.

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GKV-Spitzenverband Für die Patienten geht es bei den Medikamenten um die Wirksamkeit. Ein neues Medikament soll aber nicht nur wirken, es soll auch besser sein, als andere. Denn dieser Zusatznutzen rechtfertigt höhere Preise. Bei seltenen Krankheiten bekommen die Medikamente jedoch den Zusatznutzen zugesprochen, ohne dass die Hersteller ihn durch Studien belegen müssen. Der GKV-Spitzenverband hat auf unsere Anfrage ausgerechnet, wie viele Medikamente tatsächlich keinen belegbaren, beziehungsweise einen geringen Zusatznutzen haben. Plusminus/Handelsblatt: Können Sie quantifizieren, wie viel Gelder die Gesetzlichen

Krankenkassen jährlich für Orphan Drugs ausgeben, aufgeschlüsselt nach der Einstufung

des Gemeinsamen Bundesausschusses? Also: Wie viel Geld kosten die Kassen Orphan

Drugs, deren Zusatznutzen zum Beispiel als „nicht quantifizierbar“ bewertet wurde, wie

viel wird für Orphan Drugs mit „niedrigem“ Zusatznutzen ausgegeben?

Der GKV-Spitzenverband antwortet uns per E-Mail:

Wir haben jetzt für Sie eine Auswertung zu Umsätzen für Orphan Drugs zu Lasten der GKV

nach Zusatznutzenvotum berechnet.

Kurzgefasst: Nach unserer Auswertung hat die GKV im Jahr 2015 insgesamt 582 Mio. Euro

für AMNOG-bewertete Orphan Drugs ausgegeben.

194 Mio. Euro, knapp 1/3 der Ausgaben im OD Sektor (33 Prozent) im Jahr 2015 entfiel(en)

auf Arzneimittel mit einem unklaren Zusatznutzen („nicht quantifizierbar“).

Mit „Umsatz“ sind die Ausgaben der GKV auf Basis des sog.

Apothekenverkaufspreises (AVP), das heißt vor Abzug gesetzlicher

Herstellerabschläge, im Jahr 2015.

Eingeschlossen in die Umsatzabfrage wurden alle Orphan Drugs, die bis Ende 2015 in

Deutschland in den Verkehr gebracht wurden und damit zu Lasten der GKV

abgegeben werden konnten.

Die Zuordnung des Umsatzes des Arzneimittels zu den Zusatznutzen-Ausmaß-Gruppen

wurde vorgenommen auf Grundlage des Standes des G-BA-Zusatznutzenvotums mit

Gültigkeit im Jahr 2015, d.h. das bei Abrechnung des Arzneimittels gültige

Zusatznutzenausmaß wurde zugrunde gelegt, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt lag noch

kein Zusatznutzenbeschluss vor.

Dann wurde das Arzneimittel und sein Umsatz der Ausmaß-Gruppe aufgrund des im Jahr

2016 ergangenen Beschlusses zugeordnet.

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Im Detail: Von insgesamt 33 der im Jahr 2015 im Verkehr befindlichen Arzneimitteln mit

Orphan Drug Status hat die GKV

für 2 (6,1%) OD Arzneimittel mit dem Votum

„beträchtlicher“ Zusatznutzen

158 Mio. €

für 1 (3,0%) OD Arzneimittel mit einem zwischen Anwendungsgebieten

und Patientengruppen differenzierenden gemischten Voten mit

„geringem“ bzw. „beträchtlichem“ Zusatznutzen

35 Mio. €

für 11 (33,33%) OD Arzneimittel mit dem Votum „geringer“ Zusatznutzen

195 Mio. €

für 19 (57,6%) OD Arzneimittel mit „nicht quantifizierbarem Nutzen“ 194 Mio. €

Gesamtvolumen des Umsatzes 582 Mio. €

ausgegeben.

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Novartis/Roche Kritiker der Orphan Drugs stellen deren Wirksamkeit infrage, andere haben Zweifel an einer auszureichenden Kontrolle der europäischen Zulassungsbehörde. Manche Experten sehen die Gefahr, dass schlecht geprüfte Medikamente eingesetzt würden. „Plusminus“ wollte bei den Pharma-Unternehmen direkt nachfragen. Ein Interview vor der Kamera wollte man uns nicht geben. Schriftlich beantworteten uns Novartis und Roche einige Fragen.

Von der Firma Novartis wollten wir wissen:

1. Novartis produziert Glivec, eine frühere Orphan Drug, für das mittlerweile neben der ursprünglichen Indikation Leukämie zahlreiche andere Indikationen zugelassen sind. Wie viele Indikationen und welche (möglichst allgemeinverständliche Bezeichnung) gibt es für Glivec? 2. Halten Sie Leukämie für eine seltene Erkrankung? 3. Wann wurde der Status als Orphan Drug zurückgezogen und von wem? 4. Glivec wird als Musterbeispiel für das Slicing angesehen mit dem Ziel einer Indikationsausweitung. Was sagen sie dazu? 5. Welchen Umsatz jährlich erzielte Novartis 2015 mit Glivec? 6. Welche anderen Orphan Drugs produziert Novartis mit welchen Indikationen? 7. Wie hoch ist ihr Forschungs-Etat? 8. Wie viel Geld geben Sie pro Jahr für Werbung (bei Patienten und Ärzten) aus? Das Unternehmen antwortete per E-Mail: Glivec® (Imatinib) ist ein Tyrosin-Kinase-Inhibitor (TKI), der vor allem bei der Behandlung von zwei Krebsarten eingesetzt wird: von Philadelphia-Chromosom-positiver (Ph+) chronischer myeloischer Leukämie (CML) und von c-Kit-positiven, gastrointestinalen Stromatumoren (GIST).1 Seit Einführung von Glivec® hat sich die Ph+ CML in den meisten Fällen von einer einst tödlichen in eine behandelbare Erkrankung gewandelt. Heute verfügen neun von zehn CML-Patienten über eine normale Lebenserwartung.2 Weitere Informationen zu den weiteren Indikationen erhalten Sie auch auf www.fachinfo.de und www.patienteninfo-service.de. Glivec® ist nur für zwei Formen der Leukämie zugelassen – der chronischen myeloischen Leukämie und akuten lymphatischen Leukämie. Die Inzidenz der chronischen myeloischen Leukämie liegt bei etwa 0,6-2,0/100.000 Einwohner und Jahr.3 Die der akuten lymphatischen Leukämie bei 1,1/100.000 im Jahr.4 Laut Definition der European Medicines Agency gilt eine Erkrankung als selten, wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen in der EU betroffen sind.5 Für die Indikation chronische myeloische Leukämie endete der Orphan Drug Status automatisch 10 Jahre nach der Zulassung dieser Indikation am 12.11.2011. Der Orphan Drug Status und dessen Beendigung wird nach Verordnung (EG) Nr. 141/2000 über Arzneimittel für seltene Leiden geregelt. In 2015 hat Novartis einen weltweiten Gesamtumsatz von 49,4 Milliarden US Dollar gemacht. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung lagen bei 8,9 Milliarden US Dollar. Dies können Sie online in unserem Geschäftsbericht 2015 nachlesen.6

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1 Novartis Pharma GmbH. Fachinformation Glivec®, Stand Mai 2016 2 O'Brien S, et al. International Randomized Study of Interferon versus STI571 (IRIS) 7-year follow-up Sustained survival, low rate of transformation and increased rate of major molecular response in patients with newly diagnosed chronic myeloid leukemia in chronic phase treated with imatinib. Abstract # 186. American Society of Haematology 2008 Annual Meeting, San Francisco, CA. 3 Science Direct. Epidemiology of chronic myeloid leukaemia (CML). Verfügbar unter: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1521692609000401. Aufgerufen am 12.09.2016 4 Onkopedia. Akute Lymphatische Leukämie. Verfügbar unter: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/akute-lymphatische-leukaemie-all/@@view/html/index.html. Aufgerufen am 14.09.2016 5 European Medicines Agency. Orphan designation. Verfügbar unter: http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/regulation/general/general_content_000029.jsp&mid=WC0b01ac05800240ce Aufgerufen am 13.09.2016 6 Novartis. Geschäftsbericht 2015. Verfügbar unter: https://www.novartis.com/sites/www.novartis.com/files/novartis-annual-report-2015-de-low-res.pdf Aufgerufen am 12.09.2016

Plusminus/Handelsblatt: Von dem Unternehmen Roche wollten wir wissen, was es mit den Chancen von Patienten steht, die mit der Förderung von Orphan Drugs steigen. Aber auch um die Frage, wie mit angeblich nur selten gebrauchten Medikamenten so viel Geld verdient werden kann. Was ist dran an der Kritik der Orphanisierung oder des Slicings? Was sind die Vorteile der vereinfachten Zulassung? Und ist es dauerhaft gerechtfertigt, dass ein Zusatznutzen erstmal vorausgesetzt wird? Ganz generell haben wir es uns bei Roche zum Ziel gesetzt, durch die Bereitstellung von innovativen Arzneimitteln und Diagnostika das Leben von Menschen mit schweren oder lebensbedrohlichen Krankheiten zu verlängern oder deren Lebensqualität zu verbessern. Ein Grundpfeiler unserer Strategie ist dabei, solche Arzneimittel zu entwickeln, für die ein hoher medizinischer Bedarf besteht – also Medikamente, die einen hohen Nutzen für betroffene Patienten und die Gesellschaft haben. In unserem Forschungs- und Entwicklungsprogramm und bei der Fokussierung auf Therapiegebiete folgen wir den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Entstehung von Krankheiten. Roche gehört zu jenen Unternehmen, die weltweit mit am meisten in Forschung und Entwicklung investieren: Wir beschäftigen über 18.000 Mitarbeitende in diesem Bereich und haben 2015 rund 9,3 Milliarden Schweizer Franken in Forschung und Entwicklung investiert. Wir unterhalten ein breites Netzwerk und starke Allianzen mit anderen forschenden Unternehmen, Universitäten und Forschungsinstitutionen. Bisher hat Roche in Deutschland den Patienten zwei Orphan Drugs zur Verfügung stellen können. Einmal Esbriet® zur Behandlung der idiopatischen Lungenfibrose und Gazyvaro® zur Behandlung der chronisch lymphatischen Leukämie. Die Erforschung von Orphan Drugs unterscheidet sich stark von regulären Arzneimitteln. Beispielsweise müssen Teilnehmer für Studien weltweit gesucht werden und mit weitaus weniger Patienten durchgeführt werden, da die Krankheiten so selten vorkommen. Orphan Drugs werden ausschließlich gegen solche Krankheiten entwickelt, die genuin selten sind, d.h. in der EU definitionsgemäß bei weniger als einem von 2.000 EU-Bürgern auftreten. Medikamente gegen Unterformen häufiger Erkrankungen (etwa Lungenkrebs) können keinen Orphan Drug-Status erhalten. Darüber wachen die Zulassungsbehörde EMA und die EU-Kommission. Das Aufteilen häufigerer Krankheiten in "orphan-fähige" Teilgebiete - ein Slicing oder eine Orphanisierung - ist somit ausgeschlossen.

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Zugelassen werden Orphan Drugs wie andere Medikamente nur, wenn die Zulassungsbehörde EMA den Nutzen ihrer Anwendung bei den Patienten höher als das Risiko bewertet. Damit ein Medikament im Zulassungsverfahren den Orphan Drug-Status behalten kann, muss es sogar einen Zusatznutzen gegenüber den bisher vorhandenen Therapien aufweisen. Davon unberührt bleibt, dass jedes Orphan Drug in Deutschland das frühe Nutzenbewertungsverfahren durchlaufen muss. Da der Zusatznutzen als solcher bereits auf europäischer Ebene ermittelt wurde, bewertet der G-BA dabei dessen Ausmaß. Anschließend führt der GKV-Spitzenverband für diese Orphan Drugs Preisverhandlungen mit dem Hersteller. Da wir, wie oben beschrieben, nur zwei der aktuell rund 90 in der EU zugelassenen Medikamente mit einem Orphan Status haben, möchten wir uns als Unternehmen nicht anmaßen, hier als Experten in diesem Bereich aufzutreten und von einem Drehtermin absehen.