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Universität Zürich: Deutsches Seminar Prof. Dr. Christa Dürscheid lic. phil. Martin Businger Seminar: Norm und Variation HS 2007 Die unflektierten Adjektive im Deutschen Lisa Letnansky Weronika Lieberherr-Janczak Dennlerstrasse 4 Bahnhofstrasse 228b 8048 Zürich 8623 Wetzikon 079/508 17 13 079/403 17 59 [email protected] [email protected] Studiengang: Lizenziat Abgabedatum: 31. Januar 2008

Die unflektierten Ad#AECC80 - ds.uzh.ch · 1 1. Einleitung «‹Du Schatz, es wird heute wieder später›, sagt der geplagte Ehemann am Telefon, ‹hier ist wieder Hektik pur!›

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Universität Zürich: Deutsches SeminarProf. Dr. Christa Dürscheidlic. phil. Martin BusingerSeminar: Norm und Variation HS 2007

Die unflektierten Adjektiveim Deutschen

Lisa Letnansky Weronika Lieberherr-Janczak

Dennlerstrasse 4 Bahnhofstrasse 228b

8048 Zürich 8623 Wetzikon

079/508 17 13 079/403 17 59

[email protected] [email protected]

Studiengang: Lizenziat

Abgabedatum: 31. Januar 2008

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

2. Die prädikative, adverbiale und attributiv-prädikative

Verwendungsweise von Adjektiven 2

3. Anteponierte unflektierte Adjektive 5

3.1 Unflektierte Adjektive in festen Verbindungen 5

3.1.1 Poetische und volkstümliche Sprache, formelhafte Verbindungen 7

3.1.2 Warenbezeichnungen 8

3.1.3 Personennamen 8

3.1.4 Geografische Bezeichnungen 8

3.1.5 Übrige Vorkommensbereiche 9

3.2 Farbadjektive 10

3.3 Ableitungen auf -er 11

4. Die postnominalen unflektierten Adjektive 11

4.1 Postnominale Adjektive in der neuhochdeutschen Dichtung 11

4.2 Postnominale Adjektive in Inseraten und Kleinanzeigen 14

4.3 Postponierte unflektierte Adjektive in der Werbe- und Speisekartensprache 17

4.3.1 Produktbezeichnungen 17

4.3.2 Speisekarten und weitere Textsorten 21

4.3.3 Gründe für die Postposition unflektierter attributiver Adjektive

in Produktbezeichnungen, Speisekarten und ähnlichen Textsorten 24

4.4 Postnominale Adjektive in Zeitungsüberschriften 25

4.5 Erholung pur und Leidenschaft satt 28

5. Fazit 31

6. Literaturverzeichnis 33

1

1. Einleitung

«‹Du Schatz, es wird heute wieder später›, sagt der geplagte Ehemann am Telefon, ‹hier istwieder Hektik pur!› – ‹Du Armer›, seufzt sie verständnisvoll, ‹aber mach dir keine Sorgen ummich, ich bin nachher noch mit einer Schulfreundin verabredet, die ich heute in der Stadtgetroffen habe: Zufall pur!› – ‹Sonst alles klar zu Haus?› – ‹Jonas ist heute vom Klettergerüstgefallen, aber ihm ist nichts passiert.› – ‹Wer hat ihn denn da raufgelassen? Das war jaLeichtsinn pur!› – ‹Beim nächsten Mal ist er vorsichtiger. Du weißt doch: Nichts macht klügerals Erfahrung pur!›» (Sick 2004, 25)

Diese Arbeit befasst sich mit den unterschiedlichen Kontexten und Funktionen unflektierter

Adjektive in der deutschen Gegenwartssprache. Dabei handelt es sich in erster Linie um eine

deskriptive Untersuchung, die teilweise mit empirischen Belegen aus Tageszeitungen,

Katalogen und Websites illustriert und untermauert wird.

Im Zusammenhang des vorangegangenen Seminars «Norm und Variation» bei Frau

Dürscheid wurde die postnominale Stellung des Adjektivs als Variation oder, anders

formuliert, als markierte Stellung des adnominalen Adjektivs behandelt. Das Adjektiv als

prinzipiell flektierbare Wortklasse wurde unter dem Aspekt vorgestellt, dass es Stellungen

und Funktionen gibt, in denen das Adjektiv nicht flektiert wird. Aus dieser Beobachtung

entsprang die Frage, weshalb die postnominale Stellung des Adjektivs im Einzelfall der

unmarkierten Variante, dem anteponierten flektierten Adjektiv, vorgezogen wird.

In der vorliegenden Arbeit werden auch die Vorkommensbereiche der anteponierten

unflektierten Adjektive vorgestellt, um möglichst alle Fälle aufzuzeigen, in denen unflektierte

Adjektive vorkommen.

Ziel der Arbeit ist es aufzuzeigen, dass es sich bei der markierten Stellung des adnominalen

Adjektivs nicht bloss um ein archaisches, in der Volkslieddichtung verankertes Phänomen

(vom Typ Röslein rot) handelt, welches nur am Rande in gewissen Bereichen der

Gegenwartssprache auftreten kann, wie die Durchsicht der einschlägigen Grammatiken

suggeriert, sondern vielmehr um ein frequentes produktives Muster. Gerade die Presse- und

Mediensprache scheint immer mehr Gebrauch von dieser speziellen Positionierung des

Adjektivs zu machen, und es ist durchaus vorstellbar, dass diese Tendenz auch vermehrt in

die Alltagssprache wie den privaten Schriftverkehr (E-Mails, SMS etc.) oder die

Umgangssprache übergreifen könnte.

Zu Beginn werden die ‹normalen› Fälle unflektierter Adjektive vorgestellt: prädikativer,

adverbialer und attributiv-prädikativer Gebrauch. Danach richten wir unser Augenmerk auf

eine fest begrenzte Anzahl von Gruppen, deren besonderes Merkmal das unflektierte

anteponierte Adjektiv in der Nominationseinheit darstellt. Das Hauptgewicht dieser Arbeit

2

liegt jedoch auf den postnominalen Adjektiven in verschiedenen Kontexten wie Dichtung,

Anzeigen, Speisekarten, Katalogen oder Presse.

Wissenschaftliche Abhandlungen zur Thematik der nicht flektierten Adjektive sind bis anhin

sehr überschaubar geblieben. Vor allem die Untersuchungen von Brommer (2005), Dürscheid

(2002), Marschall (1992), Trost (2006) und Vogel (1997) sind in die vorliegende Arbeit

eingegangen. Dazu kommen unter anderem Kommentare aus der Duden-Grammatik (2005)

und der Textgrammatik von Weinrich (2005).

2. Die prädikative, adverbiale und attributiv-prädikative

Verwendungsweise von Adjektiven

Im Gegensatz zur häufig auftauchenden attributiven Verwendungsweise des Adjektivs

müssen Adjektive in einigen bestimmten Verwendungen ausserhalb der Nominalphrase

immer unflektiert stehen, nämlich in

(1) der prädikativen Verwendung (Peters Wände sind weiss),

(2) der adverbialen Verwendung (Peter streicht seine Wände sorgfältig) und in

(3) der attributiv-prädikativen Verwendung (Peter streicht seine Wände weiss).

Die Termini werden in der einschlägigen Literatur leider nicht einheitlich verwendet. Hier

wurden die Benennungen von Petra Maria Vogel (1997) übernommen; die gleiche

Unterteilung macht auch Igor Trost (2006), wobei er die hier attributiv-prädikativen

Verwendungen «koprädikativ-adverbial» (Trost 2006, 374) nennt. Die Duden-Grammatik

bezeichnet alle drei Beispiele, da sie selbständige Satzglieder darstellen, als «Satzadjektive»

(Duden 2005, 843), wobei in (1) der prädikative Gebrauch und in (2) der adverbiale Gebrauch

vorliegt; (3) wird als Satzadjektiv mit Subjekt- oder Objektbezug interpretiert, wobei es aber

weder explizit attributiv noch adverbial genannt wird (vgl. Duden 2005, 849ff). Gerhard

Helbig und Joachim Buscha (1993) interpretieren (1) als prädikatives Adjektiv, (3) als

prädikatives Attribut und (2) gar nicht als Adjektiv, sondern als Adverb (Helbig/Buscha 1993,

585). Peter Eisenberg (2004) schliesslich unterscheidet nur zwischen prädikativem und

adverbialem Gebrauch, wobei er (1) der ersten und (2) und (3) der zweiten Gruppe zuordnet.

Der Meinung, dass Adverbiale wie sorgfältig in (2) der Klasse der Adverben zuzuordnen

seien, wie es auch Helbig/Buscha annehmen, stimmen wir hier nicht zu. Adverbiale Adjektive

haben zwar einige Stellungsmöglichkeiten mit Adverbien gemeinsam, einige andere aber

auch nicht:

3

(4a) Peter ist Gärtner.

(4b) Peter ist hier Gärtner.

(4c) *Peter ist sorgfältig Gärtner.

Ausserdem sind Adverbien gerade nicht verbbezogen und unterscheiden sich auch

morphologisch von adverbialen Adjektiven, da sie nicht nur unflektiert auftreten, sondern

grundsätzlich nicht flektierbar sind.

Obwohl also die Einteilung in den Grammatiken nicht einheitlich ist, wird in den meisten

Fällen zwischen aktueller Nicht-Flektiertheit der Adjektive und grundsätzlicher Nicht-

Flektierbarkeit der Adverbien unterschieden. Das Prädikats-Adjektiv bestimmt durch die

Vermittlung eines Kopulaverbs1 ein Subjekt genauer, das als Basis der Prädikation zu

verstehen ist. Neben der Subjekt-Prädikation (Ich bin mit dem heutigen Tag zufrieden) gibt es

auch eine Objekt-Prädikation (Meine Ferien wünsche ich mir erholsam); bei reflexiven

Verben fallen Subjekt- und Objekt-Prädikation zusammen (Ich fühle mich ganz entspannt).

Da das Kopulaverb als semantisch ‹leichter› erscheint und hauptsächlich als Vermittler

zwischen der Basis und dem Prädikativum dient, haben Kopula und Prädikativum gemeinsam

die Funktion inne, die das Vollverb alleine hat. Das Adjektiv in adverbialer Funktion kann je

nachdem entweder ein Verb (Susi singt laut), ein anderes Adjektiv (Er ist schön dumm), oder

ein Adverb (Es passierte genau deshalb) bestimmen. Mit attributiv-prädikativen Adjektiven

schliesslich sind hier solche gemeint, die eine adverbiale Funktion zu haben scheinen, sich

aber gleichzeitig semantisch auf das Subjekt oder Objekt des Satzes beziehen. Auf den ersten

Blick scheint es so, dass es hauptsächlich vom Adjektiv abhängt, ob es adverbial oder

attributiv-prädikativ interpretiert wird:

(5) Anna ruft laut ihren Freund.

(6) Anna färbt ihre Haare rot.

Ein Vorgang wird eher mit dem Adjektiv laut in Verbindung gebracht als ein Ding oder eine

Person; ein Ding ist aber eher rot als ein Vorgang. Eine Kategorisierung dieser Art wäre aber

sinnlos, da die meisten Adjektive auf verschiedene Arten gebraucht werden können:

(7a) prädikativ: Hans ist laut.

(7b) adverbial: Hans ruft laut.

(7c) attributiv-prädikativ: Hans stellt den Fernseher laut.

Der prädikative Gebrauch eines Adjektivs kann sich auch mit dem attributiven Gebrauch

überlagern, nämlich dann, wenn ein Adjektiv ein Teil einer prädikativen Nominalphrase

1 Zweifelsfreie Kopulaverben sind nur sein, werden und bleiben. Andere Verben wie sich dünken, klingen oderschmecken kommen ihnen aber syntaktisch und semantisch nahe und werden hier auch zu den Kopulaverbengezählt.

4

darstellt, dessen substantivische Basis elidiert wurde: Diese Schülerin ist die beste. Das

Adjektiv beste wird hier nicht, wie man vielleicht auf den ersten Blick vermutet, prädikativ

gebraucht, sondern attributiv, was dann ersichtlich wird, wenn man den Satz mit der elidierten

Basis ergänzt: Diese Schülerin ist die beste [Schülerin]. Darum ist es auch flektiert, wie es bei

anteponierten attributiven Adjektiven üblicherweise der Fall ist.

Die Adjektiv-Verwendungen in (1), (2) und (3) entsprechen also durchaus der Norm, weshalb

auch deren Unflektiertheit nicht verwunderlich erscheint. Interessanter werden diese Formen,

wenn man die diachrone Entwicklung des prädikativen und adverbialen Gebrauchs betrachtet.

Historisch betrachtet besteht nämlich eine klare Trennung zwischen der adverbialen

Verwendungsweise einerseits und der attributiven und prädikativen Verwendung andererseits.

Im Althochdeutschen konnten attributive sowie prädikative Adjektive sowohl unflektiert als

auch flektiert auftreten, während adverbiale Adjektive immer das Suffix -lîhho2 als

Markierung mit sich trugen (vgl. Vogel 1997, 427ff.). Im Mittelhochdeutschen tauchte dann

in der attributiven (anteponierten) und der attributiv-prädikativen Funktion die flektierte Form

häufiger auf, während die prädikativen Formen meist nicht flektiert wurden. Anfangs

existierte immer noch die Adverbmarkierung -lîche/-liche, die dann aber im Laufe der

Zeit verloren ging, was laut Vogel mit der «Apokopierung des auslautenden -e im

Mittelhochdeutschen» (Vogel 1997, 428) zusammenhängt. Damit wurde die adverbiale

Verwendung gleichlautend mit den damals bereits unflektierten Formen des Adjektivs. Im

Neuhochdeutschen ist es nicht mehr möglich, zwischen Flektiertheit und Unflektiertheit zu

wählen: Im (anteponierten) Attribut steht heute die flektierte Form, während in prädikativer,

attributiv-prädikativer und adverbialer Funktion die unflektierte Form steht.

Eine Frage ist nun, wie es kommen konnte, dass das Neuhochdeutsche im Gegensatz zu

anderen Sprachen und Sprachstufen bei adverbial verwendeten Adjektiven Merkmallosigkeit

zulässt. Vogel (1997, 412ff.) sieht den Grund dafür in der Aktualität. Während Verben bereits

das Merkmal der grammatischen Temporalität in sich tragen, muss es bei Adjektiven erst von

aussen zugewiesen werden. Prädikativ, adverbial und attributiv-prädikativ verwendete

Adjektive (eigene Satzglieder) weisen im Gegensatz zu attributiven Adjektiven (als

Satzglieder zweiter Ordnung) einen syntaktischen Bezug zum Primärprädikat auf, wodurch

ihnen jenes Merkmal der Temporalität zugewiesen wird und sich so Aktualität einstellt. Somit

ist die Aktualität auch der gemeinsame Nenner der ‹traditionell› nicht flektierten Adjektive,

«so daß es plausibler erscheint, daß sich die unflektierte Form, die typisch für die prädikative

2 Klar erkennbar ist hier auch die Parallele zur englischen Adverbialmarkierung -ly, die anders als im Deutschennicht verloren ging.

5

Verwendung war, direkt auf die adverbiale und attributiv-prädikative Position ausgebreitet

hat» (Vogel 1997, 429). Das Verschwinden der Adverbialmarkierung wurde also dadurch

ausgeglichen, dass eine strengere Unterscheidung zwischen ‹flektiert› und ‹unflektiert›

eingeführt wurde.

3. Anteponierte unflektierte Adjektive

Unflektierte attributiv verwendete Adjektive finden sich in bestimmten Fällen auch im

Vorfeld der Nominalphrase, beispielsweise in

(8) kölnisch Wasser.

Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, aus welchen Gründen unflektierte

anteponierte Adjektive vorkommen. Den klassischen Fall der Attribution in der deutschen

Gegenwartssprache stellt das zwischen Determinativ und Nomen interponierte adnominal-

attributiv3 gebrauchte flektierte Adjektiv dar. So meint Weinrich (2005, 480f.), die

unflektierte Form des Adjektivs gebrauche man in prädikativer und in applikativer4 Funktion

sowie in der textuellen Isolierung einschliesslich der Zitierform. Daher sei die flektierte Form

dem attributiven Gebrauch vorbehalten. Das unflektierte anteponierte Adjektiv in der

Nominalphrase ist deshalb markiert.

Das Erklärungsmodell Trosts (2006, 378f.), wonach «die Nominalklammer die Flexion der

interponierten und damit auch anteponierten adnominalen Adjektive» steuert, liefert keine

Antworten auf die Frage der Nicht-Flexion bestimmter anteponierter unflektierter Adjektive.

Daher muss angenommen werden, dass noch weitere Kriterien für die Nicht-Flexion gelten.

Zunächst werden die verschiedenen Vorkommensbereiche der anteponierten unflektierten

Adjektive in der Nominalphrase vorgestellt. Die Duden-Grammatik (2005, 349f.) erwähnt

drei Gruppen, die ihrerseits teilweise in Untergruppen gegliedert sind: 1. Unflektierte

Adjektive in festen Verbindungen, 2. Farbadjektive und 3. Ableitungen auf -er.

3.1 Unflektierte Adjektive in festen Verbindungen

Einleitend heisst es in der Duden-Grammatik (2005, 349), dass unflektierte Adjektive in

«formelhaften Verbindungen, festen Wendungen und Sprichwörtern» vorkommen, und zwar

«besonders vor dem (meist neutralen) Substantiv im Nominativ und Akkusativ». Dabei

3 Der Begriff adnominal ist von Trost (2006, 376) adaptiert, der die adsubstantivische sowie die adpronominaleVerwendungsweise nicht flektierter attributiver Adjektive kennzeichnet. Beispiel für eine Nominalphrase mitpronominalem Kopf: Sie, dynamisch, kreativ […] sucht […].4 Dies ist eine andere Bezeichnung für adverbial.

6

handle es sich vorwiegend um Relikte eines historischen Sprachgebrauchs. Aber auch

Weinrich (2005, 486f.) erwähnt, dass die unflektierte Form des Adjektivs in attributivem

Gebrauch anzutreffen ist:

«Als Ausnahme von der großen und kleinen Adjektiv-Flexion ist zu verzeichnen, daßgelegentlich vor einem Nomen im Neutrum ein flexivloses Adjektiv stehen kann, was allerdingsder ganzen Attribution eine archaisch-poetische Konnotation gibt und fast nur in festenWendungen vorkommt.»

Die Duden-Grammatik nimmt eine Vierteilung vor. In der ersten Gruppe (Duden 2005, 349)

figurieren folgende Fälle:

(9) auf gut Glück, ruhig Blut, lieb Kind

(10) Kapitel A, I, 1 b (gelesen: groß A, römisch Eins, arabisch Eins, klein B)

(11) solch Verhalten

(12) Vor Eigennamen: Klein Michael; in ganz England, von halb Deutschland

(13) Sprichwörter: Abendrot, gut Wetter droht. Gut Ding will Weile haben.

(14) Volkslied: Kein schöner Land…(Komparativ).

Die zweite Gruppe (Duden 2005, 350) umfasst Beispiele aus der Sprache des 19.

Jahrhunderts. Nebenbei wird angemerkt, dass «vorher noch ein freierer Gebrauch dieses

Musters möglich» war.

(15) Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied! Ein leidig Lied! (J. W. Goethe)

(16) Vor Personennamen: Schön Suschen (J. W. Goethe), Schön Rotraut (E. Mörike)5

(17) Seltener vor maskulinen Substantiven: …ein tätig höflich Mann (J. W. Goethe)

In der dritten Gruppe (Duden 2005, 350) werden Adjektiv-Substantiv-Syntagmen aufgeführt,

die «teilweise zu einem einzigen, mehrteiligen syntaktischen Wort» zusammengewachsen

sind, wobei es sich dann um ein Kompositum handelt. Dies trifft vor allem auf Verbindungen

mit geografischen Eigennamen zu (19) oder auf Syntagmen, die als Ganzes einen

Eigennamen darstellen (20).

(18) der Altbundeskanzler (schweizerisch: alt Bundesrat)

(19) ein Andenken aus Alt-Wien, die Bahnverbindungen in Groß-Berlin

(20) Groß Schwabenhausen, Preußisch Oldendorf, Neuruppin

Schliesslich beinhaltet die vierte Gruppe (Duden 2005, 350) «unflektierte Adjektive auf -isch

von Länder- und Ortsnamen, die vor neutralen Farb-, Stoff- und anderen Bezeichnungen

5 Weshalb Klein Michael (12) nicht unter (16) aufgelistet wird, wird nicht erklärt. Trosts Gliederung der Fälle(2006, 387-390), in welchen unflektierte anteponierte Adjektive vorkommen, ist gut strukturiert und weist keineÜberschneidungen auf. So gibt es die Gruppe der «Adjektive in Nominationseinheiten mit Personennamen»(2006, 389), mit Beispielen wie unter (16), und eine eigene Kategorie für geografische Namen wie in ganzSpanien (2006, 390).

7

stehen». Dieser Gebrauch ist häufiger anzutreffen. Dabei variiert auch die Getrennt- und

Zusammenschreibung.

(21) holländisch Bütten, kölnisch Wasser6 (auch: Kölnischwasser); Englischleder

Die Duden-Grammatik (2005, 349f.) belässt es jedoch bei der Aufzählung von Beispielen in

verschiedenen Vorkommensbereichen.

Eine Erklärung dafür, weshalb es Fälle gibt, in denen flexionslose anteponierte Adjektive

vorkommen, liefert Trost (2006, 387–391). Für die nachfolgenden Erläuterungen wird daher

die Gruppeneinteilung Trosts übernommen, auch wenn sich diese augenscheinlich

grösstenteils an der Duden-Grammatik orientiert.7

3.1.1 Poetische und volkstümliche Sprache, formelhafte Verbindungen

Sowohl in poetischer und volkstümlicher Sprache als auch bei formelhaften Verbindungen,

Sprichwörtern sowie festen Wendungen, wie die Beispiele auf gut Glück (9), Abendrot, gut

Wetter droht (13) und (14) illustrieren, haben wir es laut Trost (2006, 388) mit

Phraseologismen zu tun, in welchen die unflektierten Adjektive «eine untrennbare

semantische Einheit mit dem attribuierten Substantiv» eingehen. Die Nicht-Flexion erklärt

sich aus dem Umstand, dass die Bestandteile von Phraseologismen ihre spezifische/primäre

Einzelbedeutung zugunsten einer Gesamtbedeutung ablegen. Damit entfalle, so Trost, jede

Möglichkeit zur Interposition des Adjektivs, da erst gar keine Nominalklammer zustande

komme. Beim anteponierten, aber nicht interponierten Adjektiv in den Beispielen (9), (13)

sowie (14) fehlt der Artikel und folglich die Flexion.

Best/Zhu (1993, 20) leiten anhand von Nominalphrasen wie auf gut Glück folgende Tendenz

ab: Adjektivattribute zu Bezugsnomina im Neutrum neigen stärker zur flexionslosen Form,

wenn sie nach Nullartikel oder nicht flektierten Formen der Artikelwörter stehen. Im

Gegensatz zu Trosts Ausführungen handelt es sich bei dieser Feststellung aber lediglich um

eine Beobachtung der Umgebung, in der das anteponierte unflektierte Adjektiv erscheint,

ohne Benennung des Auslösers.

6 Die unterstrichenen Silben sind jeweils betont.

7 Für die Anlehnung an die Duden-Grammatik spricht, dass die Beschreibung des Phänomens der anteponiertenunflektierten Adjektive beinahe in identischer Form auch in der 4. Aufl. der Duden-Grammatik von 1984enthalten ist. Trost: «Vergleiche auch zu den Beispielen Duden-Grammatik (2005), S. 349f.»Best/Zhu (1993, 19f.) nehmen im Gegensatz zur Duden-Grammatik und zu Trost eine formale Gliederung derFälle von unflektierten anteponierten Adjektiven vor. Unter der Bedingung, dass die Adjektive prinzipiellflektierbar sein müssen (also keine Farbadjektive oder prima), stellen die Autoren drei Erscheinungsformen fest:1. nach Nullartikel, hierzu zählen Personennamen, Ortsnamen, Gruss- und Wunschformeln, Parolen,Quantifizierungen bei geografischen Ausdrücken (ganz Deutschland) und Sprichwörter; 2. nach Präpositionen,wie in Redewendungen (die Präposition fordert einen obliquen Kasus); 3. nach Artikelwörtern, die keineFlexionsendung bzw. nur das Nullallomorph zeigen, beispielsweise ein gut Teil.

8

3.1.2 Warenbezeichnungen

Die Beispiele kölnisch Wasser oder holländisch Bütten (21) bilden ebenfalls eine

Gesamtbegrifflichkeit. Diese wird umso deutlicher, wenn die kompositionelle8 Schreibweise

wie bei Kölnischwasser angewandt wird. Diese nicht flektierten anteponierten Adjektive

kommen besonders in Warenbezeichnungen vor. Sie stellen restriktive Attribute dar, die

zusammen mit dem dazugehörigen Nomen eine semantische Einheit9 bilden (Trost 2006,

388). Des Weiteren argumentiert Trost, dass Adjektive wie kölnisch in kölnisch Was-

ser wegen ihres Vorstufencharakters zur Wortbildung flexionslos seien. Denn

Determinativkomposita können zwar Fugenelemente aufweisen, aber keine Binnenflexion. Da

diese Adjektive kompositionell-semantischer Bestandteil der rechten Nominalklammer sind,

wird die Flexion blockiert (Trost 2006, 389).

3.1.3 Personennamen

Die nicht flektierten Adjektive in Syntagmen mit Personennamen, beispielsweise Jung

Siegfried oder Schön Suschen (16), weisen aus dem gleichen Prinzip keine Flexion auf wie

kölnisch in kölnisch Wasser: Die Adjektive sind nicht klammerregiert, sondern schon in

gewisser Weise ein Namensbestandteil; ein Indiz dafür ist die Grossschreibung des Adjektivs

(Trost 2006, 389).

3.1.4 Geografische Bezeichnungen

Bei Orts- und anderen geografischen Bezeichnungen wie Groß-Berlin (19), Preußisch

Oldendorf oder Neuruppin (20) geht Trost nur auf die zusammengeschriebenen

Bezeichnungen ein und erklärt die Nicht-Flexion mit dem Umstand, dass hier «deutlich

der Übergang zu einem substantivischen Kompositum» vorliegt (2006, 388).

Nominationseinheiten, die getrennt geschrieben werden, wie Preußisch Oldendorf, haben

unseres Erachtens ebenfalls Gesamtbegriffscharakter. Das Adjektiv ist Bestandteil der rechten

Nominalklammer und bleibt daher unflektiert. Die Grossschreibung spricht ebenfalls dafür.

8 Im Gegensatz zur analytischen Schreibweise kölnisch Wasser. Interessant ist in diesem Zusammenhang die vonTrost durchgeführte Google-Abfrage Deutscher, österreichischer und Schweizer Websites vom 15. Oktober, dienachfolgende Resultate erbrachte: Für Deutschland ergibt die getrennte Schreibung 63'300 Treffer, diezusammengeschriebene bloss 1'280 Treffer – entspricht einem Verhältnis von 1:50. In der Schweiz ist dasVerhältnis 1:30. In Österreich hingegen ergeben sich 2,6 Getrenntschreibungen auf 1 Zusammenschreibung. InDeutschland und Österreich dominiert die Assoziation mit dem Herkunftsort Köln, während sich in Österreichdie Wahrnehmung zu einem reinen Produktnamen verschiebt. (2006, 388f.) Google-Ergebnisse vom 13.1.2007:D = 50'200 Getrenntschreibungen zu 5'100 Zusammenschreibungen, 1:10; A = 1'730 G. zu 172 Z., 1:10; CH =1'120 G. zu 144 Z., 1:7. Anhand dieser Ergebnisse muss allerdings Trosts Schlussfolgerung zur österreichischenTendenz zeitlich eingegrenzt werden.9 Trost sieht eine ähnliche Beschaffenheit bezüglich der semantischen Einheit bei den restriktiven nichtflektierten postponiert-adnominalen Adjektiven vom Typus Röslein rot, vgl. Kap. 4.1.

9

In Beispielen wie ganz Spanien oder halb England (12) bleiben die unbestimmten

Zahladjektive ganz und halb unflektiert, weil bei Namen ohne Oberflächendeterminativ keine

Nominalklammer zustande kommt10; der Nullartikel ist nicht vorhanden. Somit handelt es

sich nicht um eine Blockade der Adjektivflexion; nur deren Bedingung – die

Nominalklammer – fehlt. Die unflektierten Adjektive sind ante- und nicht interponiert (Trost

2006, 390).

Auch für die indefiniten Zahladjektive machen Best/Zhu (1993, 20) eine Tendenz aus:

Indefinite Zahladjektive, meistens vor Neutra, sollen stärker zur flexionslosen Form

tendieren. Wiederum ist diese Tendenz an die Position nach Nullartikel oder an ein

Artikelwort mit Nullallomorph geknüpft. Des Weiteren stellen sie fest, dass ganz und halb

stärker zur Nicht-Flexion neigen als viel und wenig.

3.1.5 Übrige Vorkommensbereiche

Auf folgende Fälle geht Trost nicht ein:

(10) Kapitel A, I, 1 b (gelesen: groß A, römisch Eins, arabisch Eins, klein B)

(11) solch Verhalten

(15) Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied! Ein leidig Lied! (J. W. Goethe)

(17) Seltener vor maskulinen Substantiven: …ein tätig höflich Mann (J. W. Goethe)

(18) der Altbundeskanzler (schweizerisch: alt Bundesrat).

Die anteponierten Adjektive in den Beispielen (15) und (17) sind wohl aus metrisch-

rhythmischen Gründen unflektiert, anders formuliert, liegt hier eine Elision der Endung vor.

Da es sich aber nicht um Beispiele aus der Lyrik, sondern um solche aus der Prosa handelt,

entspricht dies nicht dem Typus, der unter 4.1 abgehandelt wird, wofür auch Marschall votiert

(1992, 72).

Bei der zusammengeschriebenen Bezeichnung Altbundeskanzler (18) liegt die Nicht-

Flexion im Zusammenwachsen von Adjektiv und Substantiv zum Kompositum begründet,

vergleichbar mit Fällen unter (20) oder (21). Auch hier haben wir es mit Gesamt-

begrifflichkeit zu tun.

Die Beobachtung der Duden-Grammatik, dass unflektierte Adjektive seltener vor maskulinen

Substantiven (17) auftauchen als vor Neutra, deckt sich mit historischen Befunden. So

konstatieren Hartweg/Wegera (1989, 132):

10 Nur beim Vokativ wird eine Nominalklammer gebildet, weil der Nullartikel vorhanden ist: Ø schönes Spanien,jetzt muss ich dich verlassen!

10

«Im Frnhd. sind flexionslose Formen noch in attributiver Stellung belegt. Während sie bei Fem.im 15. Jh. lediglich im wobd.. Raum noch gelegentlich belegt sind, bei Mask. ebenfallsweitgehend auf das 14. Jh. begrenzt bleiben, spielen die unflektierten Formen bei den Neutra inTeilen (Omd. und Ohalem.) bis ins 18. Jh. eine erhebliche Rolle.»

Ein Lexikoneintrag aus dem 16. Jahrhundert zeigt die unflektierte Form der attributiven

Adjektive vor einem femininen Substantiv: Jungfrauw. Ein ungeschwecht. UnberFrt.

Unbefleckt Weibsbildt (zit. nach Hartweg/Wegera 1989, 161)11.

3.2 Farbadjektive

Es gibt eine Reihe von Farbadjektiven – viele sind aus Substantiven hervorgegangen – die

nicht flektiert werden.

(22) Ich bin schon gespannt, wie das lila Kleid zu mir passt.

(23) Wir ziehen uns alle ein rosa Hemd an.

Die Duden-Grammatik (2005, 351f.) führt noch andere Farben an, die nicht gebeugt werden:

orange, oliv, türkis, ultramarin, magenta, ocker und creme. Zudem stellt sie fest, dass

geläufige Farbwörter umgangssprachlich «immer öfter flektiert» werden, wie in folgendem

Beispiel ersichtlich wird:

(24) Lisa trägt immer eine weiße Perlenkette, ein oranges Kleid und rote Schuhe.

Flektierte Farbadjektive wie in (24) tauchen auch in der Zeitungssprache auf (Trost 2006,

390f.).12 Eine weitere Variation der Umgangssprache ist, dass teilweise ein n zwischen die

Vokale tritt:

(25) Da stand ein rosanes Wildschwein.

Trost (2006, 390) stellt fest, dass «die flexionslosen Farbadjektive eine morphologische

Blockade der Adjektivflexion» aufweisen. Die Blockade basiert einerseits auf einer

unvollständigen «Integration der durch desubstantivische adadjektivische Wortbildung

entstandenen» Farbadjektive, andererseits auf einer Übernahme fremdsprachlicher

unflektierter Farbadjektive. In der Standardsprache wird auf Zusammensetzungen mit -farben

oder -farbig (26) sowie mit Grundfarben wie -blau (27) etc. zurückgegriffen. Zudem behilft

man sich mit Präpositionalphrasen mit Substantivierungen (28) (Duden 2005, 351).

(26) ein rosafarbiges Kleid, eine cremefarbene Tasche

(27) ein olivgrüner Rock, eine rosarote Krawatte

(28) ein Kleid in Rosa, eine Überschrift in Orange

11 Hass, U.: Leonhard Schwarzenbachs Synonyma. Beschreibung und Nachdruck der Ausgabe Frankfurt 1564.Lexikographie und Textsortenzusammenhänge im Frühneuhochdeutschen. Tübingen 1986, LVIIa.12 «Doch sie würden enttäuscht, kündigte Saddam Hussein, gekleidet in seine olive Generalsuniform, an.»(Frankfurter Rundschau 1993, zit. nach Trost (2006, 391).

11

Die Flexion der Farbadjektive respektive Zusammensetzungen mit -farben oder -farbig sind

als Reflex darauf anzusehen, dass in diesen mit Determinativ (inklusive Nullartikel)

auftretenden Fällen flektierte Adjektive erwartet werden. Diese Tatsache lässt Trost die These

aufstellen, dass «die morphologische Blockade […] durch die Sprachentwicklung u. U.

beseitigt» wird (2006, 391).

3.3 Ableitungen auf -er

In der Standardsprache werden laut Duden-Grammatik (2005, 352) gegenwärtig «Ableitungen

von geographischen Eigennamen auf -er vor einem Substantiv» als nicht flektierte

Adjektive klassifiziert. Eine diachrone Betrachtung der Verhältnisse zeigt, dass diese auf

substantivische Einwohnerbezeichnungen auf -er zurückgehen, deren Ursprung vorangestellte

Genitivattribute waren. Beispiele sind:

(29) die Zürcher Altstadt, der Bad Dürkheimer Wurstmarkt, die Kieler Innenstadt.

4. Die postnominalen unflektierten Adjektive

4.1 Postnominale Adjektive in der neuhochdeutschen Dichtung

In der einschlägigen Literatur wird immer wieder betont, dass postponierte unflektierte

Adjektive vom Typ Röslein rot (Goethe) der poetischen Sprache zuzuordnen seien und eine

archaisierende Wirkung haben (vgl. z.B. Marschall 1992, 76; Dürscheid 2002, 58; Trost 2006,

382). Wie wir später sehen werden, ist diese Verwendungsweise der Adjektive zwar nicht nur

der Dichtersprache zuzuordnen, aber auch. In zeitgemässen, vergleichsweise neueren

Gebrauchsformen wie zum Beispiel Erbsen fein fällt auch die archaisierende Wirkung weg,

was aber wohl nicht an der Form selbst liegt, sondern am Gebrauchskontext.

Im Mittelhochdeutschen war die Stellung des Adjektivs nach dem Substantiv durchaus noch

gebräuchlich, später aber, bereits im Frühneuhochdeutschen, ging diese Varianz verloren.

Wenn nun im Neuhochdeutschen ein solches postnominales unflektiertes Adjektiv auftritt,

sticht es aus dem üblichen Sprachgebrauch heraus und wirkt markiert. Ein Bächlein hell

(Eduard Mörike: «Der alte Turmhahn»)13 scheint nicht dasselbe zu sein wie ein helles

Bächlein. Das Adjektiv wird durch seine Stellung betont und intensiviert, sodass das Bächlein

hell heller als das helle Bächlein wirkt.

13 Die Beispiele aus der neuhochdeutschen Lyrik sind aus den beiden Untersuchungen von Sarah Brommer(2005) und Gottfried R. Marschall (1992) entnommen.

12

Seine Blütezeit hatte das postnominale Adjektiv vom Ende des 18. Jahrhunderts bis etwa zur

Mitte des 19. Jahrhunderts, also zur Zeit der Romantik (Marschall 1992, 76). Auch damals

wirkte es durch seine besondere Positionierung bereits betont, sehr wahrscheinlich auch

archaisierend. Mögliche Gründe für die Nachstellung sollen im Folgenden aufgezeigt werden.

Neben den syntaktisch markierten Formen des postponierten unflektierten Adjektivs tauchen

in der Dichtung natürlich auch unmarkierte, syntaktisch ‹korrekte› Formen auf, wie:

(30) Appositionen:

Sprache, schön und wunderbar,

Ach, wie klingest du so klar!

(Max von Schenkendorf: «Muttersprache»)

(31) Adverbiale oder prädikative Adjektive:

Albrecht nahm das Fehdezeichen

Ruhig, und bestieg sein Roß.

(Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: «Romanze»)

Formulierungen wie (30) und (31) wirken weder syntaktisch noch stilistisch markiert und

stellen vollkommen übliche Verwendungsweisen von Adjektiven dar. In manchen Fällen ist

es aber nicht ganz so einfach zu entscheiden, welche syntaktische Position das unflektierte

Adjektiv einnimmt:

(32) Einer Dirne schön Gesicht

Muß allgemein sein, wie’s Sonnenlicht!

(Friedrich Schiller: «Wallenstein»)

(33) Der Ritter still saß bey der Braut,

Die schrie auf und schrie laut.

(Achim v. Arnim u. Clemens Brentano: «Ritter Peter v. Stauffenberg und die

Meerfeye»)

Im Beispiel (32) ist unklar, ob das unflektierte Adjektiv schön pränominal ist und sich auf das

Gesicht bezieht, oder ob es postnominal ist und sich auf die Dirne bezieht – oder vielleicht

auf beides. Wenn es pränominal ist, scheint der Grund für die Unflektiertheit in der Metrik zu

liegen, wenn es postnominal ist, darf es erst gar nicht flektiert werden, da es ausserhalb der

Nominalklammer liegt. Im Beispiel (33) kann das Adjektiv sowohl ein Adverbial zum

Prädikat saß als auch ein postponiertes attributives Adjektiv zum Subjekt Ritter darstellen. Im

ersten Fall wäre es durch seine Anteponierung markiert, da adverbiale Adjektive

13

üblicherweise hinter dem Prädikat stehen; im zweiten Fall wäre es durch seine Postponierung

markiert, da attributive Adjektive im Normalfall vor der Basis stehen.

In anderen Fällen ist das postponierte Adjektiv klar syntaktisch markiert, vor allem wenn es

attributiv verwendet wird und zäsurlos auf sein Bezugswort folgt:

(34) Ich hielt im Arm mein Liebchen schön.

(Heinrich Heine: «Junge Leiden. Traumbilder 6»)

Meist steht nach dem Bezugswort nur ein einziges Adjektiv. Wenn aber doch mehrere

auftreten, werden sie fast immer durch und verbunden oder umschliessen das Bezugswort,

indem ein Adjektiv oder mehrere anteponiert sind.

Syntaktisch markiert sind auch postponierte prädikative Adjektive, aber nur dann, wenn ihre

Kopula elidiert ist:

(35) Doch vielleicht an solchem Tage,

Wenn das Wetter schön und milde (Wenn das Wetter schön und milde [ist]).

(Heinrich Heine: «Gedächtnisfeier»)

Es handelt sich aber auch hier wieder um einen Zweifelsfall, da nicht klar entschieden werden

kann, ob die Adjektive wirklich prädikativ und nicht etwa attributiv verwendet wurden.

Gründe für die Nachstellung attributiver Adjektive in der Dichtung gibt es verschiedene. Eine

Motivation wäre eben die Tatsache, dass postponierte attributive Adjektive archaisierend oder

«volkstümelnd» (Dürscheid 2002, 58) wirken. Wie bereits gesagt, traten solche

Konstruktionen am häufigsten in der Zeit der Romantik auf, in der die Tendenz zu

«Schlichtheit, Liedhaftigkeit [und] ‹Volkston›» (Marschall 1992, 76) gerade angestrebt

wurde. Ausserdem lehnte sich die Romantik sehr an die mittelhochdeutsche Dichtung an,

indem sie mittelalterliche Stoffe und Themen verwendete und so wieder aufleben liess. Da

Adjektive im Mittelhochdeutschen ohne Weiteres auch postnominal verwendet werden

konnten, kann die Nachstellung im Neuhochdeutschen auch in dieser Anlehnung begründet

sein. Eine wahre Fundgrube für postponierte attributive Adjektive ist zum Beispiel «Des

Knaben Wunderhorn» von Achim von Arnim und Clemens Brentano, das eine Sammlung von

deutschen Volksliedtexten darstellt. Deutsche Volkslieder weisen oft einen rhythmischen,

jambischen Rahmen und Endreime auf. Das postponierte unflektierte Adjektiv steht auch

meist am Ende einer Zeile und wird so in den Reim integriert.14 Wenn es im Versinnern

auftritt, ist die Unflektiertheit meist wie in Beispiel (32) auf die Metrik zurückzuführen;

dadurch, dass die unflektierte Form benutzt wurde, wird eine Senkung eingespart, was gerade

14 Laut Brommer, die eine statistische Untersuchung postponierter Adjektive in der neuhochdeutschen Dichtungerstellt hat, stehen 94% der postnominalen Adjektive am Versende und dies fast ausschliesslich als Reimwort(vgl. Brommer 2005).

14

in den jambischen Formen von Volksliedern oft genutzt wird. An anderen Stellen ist das

Adjektiv in einen Binnenreim integriert:

(36) Das Mägdlein gut, bringt dir den Muth.

(Achim v. Arnim u. Clemens Brentano: «Schwere Wacht. Jungfrau und

Wächter»)

Als hauptsächliche Gründe für die Nachstellung des Adjektivs in der poetischen Sprache sind

also Reim, Metrik und Rhythmus aufzuführen.

Daneben trägt aber auch die Semantik ihren Teil zur Nachstellung der Adjektive bei. Sie ist

zwar nicht als primärer Auslöser dafür auszumachen, bei Syntagmen wie Röslein rot oder

auch Ritter gut muss man aber schon von einer «semantisch-syntaktische[n] Verbindung»

(Brommer 2005, 136) ausgehen. Typische Rosen scheinen immer rot zu sein, und die

mittelhochdeutsche Bedeutung von gut («tüchtig, brav, gut, von gutem Stande, vornehm»

(Lexer 1992, 78)) fasst die charakteristischen Eigenschaften eines Ritters zusammen. Diese

beiden Syntagmen tauchen so öfter auf als andere Verbindungen dieser Art, was wohl

hauptsächlich auf die Semantik zurückzuführen ist. Sie haben sich in der poetischen Sprache

quasi ‹eingebürgert›; von Phraseologismen kann man hier zwar nicht sprechen, aber gewiss

von einer Art formelhafter Verwendung.

Generell werden vor «längere[n] Adjektive[n] mit ‹abstraktem› semantischen Inhalt und

unregelmäßigem Rhythmus» eher «Farbadjektive und solche mit ‹bildhaft-konkretem› Inhalt»

(Marschall 1992, 77) bevorzugt. Auch laut Brommer machen Farbadjektive einen Grossteil

der postnominalen Adjektive aus (Brommer 2005, 128f.). Daneben gibt sie als die zehn am

häufigsten in unflektierter Form verwendeten Adjektive «gut, schön, still, groß, hoch, tief,

ruhig, glücklich, schwer und frei» an (Brommer 2005, 122), alles Adjektive mit konkreter,

‹einfacher› Bedeutung, was Marschalls These nur unterstützt.

Die drei wichtigsten Motivationen für die Nachstellung von Adjektiven in der

neuhochdeutschen Dichtung sind also erstens Reim, Metrik und Rhythmus, zweitens die

archaisierende, volkstümelnde Wirkung, die sie erzielt, und drittens die Semantik.

4.2 Postnominale Adjektive in Inseraten und Kleinanzeigen

Aufgrund der gängigen Gliederung von Inseraten und Kleinanzeigen treten in dieser Textsorte

besonders viele postnominale unflektierte Adjektive auf. Wenn jemand eine Kleinanzeige

aufschaltet, möchte er/sie ja den potenziellen Leser auf das Produkt, das er/sie anbietet,

aufmerksam machen. Daher sollte das angebotene Objekt im Vordergrund stehen. Die

Entlastung des pränominalen Bereichs wird durch die Nachstellung des Adjektivs erreicht.

15

Dies wird meist noch durch typografische Elemente unterstützt, indem das Subjekt fett

gedruckt oder für die Beschreibung ein Zeilenumbruch eingefügt wird. Eine Anzeige für

einen Wohnwagen könnte also etwa so aussehen:

(37) Verkaufe Wohnwagen, gross, sofort einsatzbereit.

Nun ist es aber so, dass die Kleinanzeigen aus den Printmedien weitgehend verdrängt und ins

Internet verlagert wurden, wo in jüngster Zeit riesige, internationale ‹Marktplätze› wie eBay

(www.ebay.com), Ricardo (www.ricardo.ch) oder Kalaydo (www.kalaydo.de) entstanden

sind. Dort sind die Inserate so aufgebaut, dass im ‹Titel› der Name des Produkts steht und die

Beschreibung (hier: gross, sofort einsatzbereit) kleiner auf einer nächsten Zeile angebracht ist

oder erst erscheint, wenn man auf den Titel klickt:

(37a) Wohnwagen gross, sofort einsatzbereit (eBay).15

Bei den Adjektiven in (37) handelt es sich um Appositionen, die der Interpunktionsregel nach

«durch Kommasetzung abgetrennt oder eingeschlossen» (Weinrich 2005, 530) werden

müssten. Wie verhält es sich nun bei (37a)? Dort handelt es sich nicht mehr um einen

syntaktisch vollständigen Satz, und die Adjektive sind nicht mehr durch Interpunktion,

sondern durch einen Zeilenumbruch von ihrem Bezugsnomen abgetrennt. Der Effekt ist

aber weitgehend derselbe. Unserer Meinung nach handelt es sich daher bei (37a)

um appositionsähnlich positionierte Adjektive, die «in die Stellung nach dem

klammerschließenden Nomen versetzt» wurden, um die Nominalklammer zu entlasten und

das Bezugsnomen in den Vordergrund zu stellen (Weinrich 2005, 530). Bei der Apposition

handelt es sich nicht um eine eigene Funktion, sondern nur um eine besondere Stellung des

Adjektivs; Appositionen können verschiedene Funktionen innehaben. Als Gruppe

(Appositionen treten selten einzeln auf, meist in einer mehr oder weniger längeren Reihung)

üben sie eine attribuierende Funktion im Hinblick auf das Nomen aus.

In Kleinanzeigen, die ein Produkt (keine Dienstleistung) wie in (37a) anbieten, sind

appositionsähnliche Adjektive ziemlich oft zu beobachten. Dabei handelt es sich aber nicht

ausschliesslich um Reihungen von Adjektiven, auch Präpositionalgruppen (38), Adverbiale

(39) und Konstruktionen mit einem weiteren Nomen (40) sind möglich:

(38) Mini Kamera 13 Gramm, mit Batterie nutzbar (eBay)

(39) sehr schönes Haus mit Pool in Bonn komplett renoviert, sofort bezugsfertig (eBay)

15 Alle folgenden Internetbelege wurden am 10. Januar 2008 gesichtet.

16

(40) Biedermeier-Standuhr traumhaft schön, seltenes Eichengehäuse, Werk funktionsgeprüft (eBay).

Hier werden Produkte angeboten, auf die man den potenziellen Käufer zuerst aufmerksam

machen muss. Dies geschieht durch die Hervorhebung des Subjekts. Danach wird das Produkt

mittels einer appositionsähnlichen Reihung beschrieben, damit sich der Interessent ein gutes

Bild davon machen kann. Ganz ähnlich wird dies bei Kontaktanzeigen praktiziert. Auch hier

wird zunächst mit dem ersten Wort klargestellt, worum es sich handelt (er, 30jähriger,

Junggeselle etc.). Anschliessend folgen die Beschreibungen:

(41) 19jähriger, männlich, sportlich und auf der Suche nach einer Tanzlehrerin […]. (www.kalaydo.de)

(42) Ich, alt (55), erfolglos, pedantisch, dennoch sympathisch und gefühlvoll […]. (www.kalaydo.de)

Bei Rollen-Pronomina wie in (42) sind attributive Adjektive jedoch nur als Appositionen

realisierbar (vgl. ein gefühlvoller 19jähriger vs. *ein gefühlvolles ich).

Nicht alle Adjektive können auf diese Weise verwendet werden. Ein appositiver postponierter

nicht flektierter Gebrauch ist «nur bei den Adjektiven uneingeschränkt möglich, die sowohl

attributiv als auch prädikativ auftreten können» (Trost 2006, 387).

Monoprädikative Zustandsadjektive wie zum Beispiel allein treten meist nur in einer

Adjektivphrase (schon länger allein) oder anderen Hilfskonstruktionen auf. Dürscheid merkt

ausserdem an, dass «die Adjektiv-Apposition […] in einen Relativsatz transformierbar sein»

(Dürscheid 2002, 62) muss. Bei unserem Beispiel (41) ist dies ohne Probleme möglich, bei

(42) scheint es aber zunächst so, dass ein Prädikativsatz zugrunde liegt:

(42a) Ich [bin] alt, erfolglos, pedantisch […].

Es handelt sich hier aber dennoch um Adjektiv-Appositionen. Die Umwandlung in einen

Relativsatz tönt mit dem Bezugswort ich zwar befremdend, ist aber nicht falsch, was

spätestens dann ersichtlich wird, wenn man es durch ein anderes Rollen-Pronomen ersetzt,

wie zum Beispiel er:

(42b) Er, [der] alt, erfolglos, pedantisch [ist].

Dass die Umwandlung in einen Relativsatz mehr Sinn macht als diese in einen Prädikativsatz,

liegt auch am Komma nach dem Bezugswort Ich. In (42b) ist Ich nach wie vor fokussiert und

betont, während in (42a) die Betonung auf den Adjektiven liegt und somit die

Informationsstruktur verändert wurde.

Immer wieder werden auch Beispiele aus dem Bereich der Stellenangebote in diesem

Zusammenhang behandelt. So auch bei Trost (2006):

(43) Mehrere Mitarbeiter, sprachkundig und schreibgewandt, werden gesucht (Trost

2006, 386).

17

Wenn man nun aber Stellenangebote durchsieht, sei es in den Printmedien oder im Internet,

merkt man, dass man so gut wie nie auf solche Formulierungen stösst. Heutzutage sind diese

meist nach ein und demselben Muster aufgebaut: Auf den Titel, der den zu vergebenden Job

beim Namen nennt (Informatiker, Consultant etc.), folgen zwei Punktelisten: eine, die die

Aufgaben auflistet und eine, die die Anforderungen aufzeigt, welche an den Bewerber gestellt

werden. Adjektive sind hier eher selten zu finden, noch weniger in appositiver Stellung. Die

Attribute werden in Nomen umgewandelt und so in die Listen eingefügt (Teamfähigkeit,

Kreativität etc.). Die zweite Struktur, die in diesem Zusammenhang oft auftritt, ist, dass das

Ganze (Angebot, Aufgaben, Anforderungen) in einem einzigen Text zusammengefügt wird.

Aber auch hier sind appositiv nachgestellte Adjektive eher selten anzutreffen.

Anders ist es bei den Stellengesuchen. Auch hier geht es darum, ein ‹Produkt›, eine

Dienstleistung zu verkaufen. Dieses muss man dem potenziellen Interessenten so schmackhaft

wie möglich darstellen, wobei man um eine detaillierte Darstellung nicht herumkommt. In

den Printmedien sind Stellengesuche dieser Art auch eher seltener geworden, nicht aber im

Internet. Wie bei den eBay-Kleinanzeigen folgen auch hier die Beschreibungen in einer

zweiten Zeile oder werden erst in einem weiteren Absatz ersichtlich, nachdem man auf den

Titel geklickt hat:

(44) Freiberufler 42 Jahre, dynamisch und flexibel, ziel- und ergebnisorientiert, konsequent und strukturiert arbeitend, hat noch Kapazitäten frei. (www.kalaydo.de)

Nadjia Hami nennt in diesem Zusammenhang das «‹Gesetz der wachsenden Glieder› (Havers

1931)», meint aber, es wäre richtiger, hier «von einer Tendenz oder von einer Präferenz zu

sprechen, die darin besteht, kürzere z.B. einsilbige Formen voran-, und mehrsilbige oder

erweiterte Formen nachzustellen» (Hami 2000, 144). Wir gehen hier noch einen Schritt

weiter: Es scheint so, dass gerade in Kleinanzeigen und Stellengesuchen, wo viele Attribute

aneinandergereiht werden, am Anfang normalerweise die ‹allgemeineren› stehen (vgl. gross

in (37), schön in (40), männlich (41) oder das Alter in (44)). Dann werden nach und nach

weitere, speziellere Attribute ergänzt, die das Bild komplettieren und spezifizieren. Es handelt

sich also nicht nur um eine Tendenz vom Einsilbigen zum Mehrsilbigen, sondern abstrakter

gesagt vom ‹Einfachen› hin zum ‹Komplizierten›/‹Spezifischen›.

4.3 Postponierte unflektierte Adjektive in der Werbe- und Speisekartensprache

4.3.1 Produktbezeichnungen

Wie bereits zu Beginn von Kapitel 4.1 angetönt wurde, treten unabgetrennte postponierte

unflektierte Adjektive keineswegs nur in archaisierenden und volkstümelnden Wendungen

18

auf, sondern sind in gewissen Textsorten der deutschen Gegenwartssprache weitver-

breitet. Marschall (1992, 72) erwähnt neben der poetischen Sprache als wesentlichem

Vorkommensbereich die Sprache von Warenverkehr, Handel, Werbung und Konsum.16

Beobachtungen der Sprache der Anzeigenwerbung beispielsweise, worunter auch

Produktaufschriften fallen, legen die Vermutung nahe, dass es sich bei der Verwendung der

unflektierten Adjektiv-Postposition um ein produktives Muster handelt.

Zunächst werden einige allgemeinere Fakten zur Werbesprache17 und der Bedeutung des

Adjektivs innerhalb der Werbesprache aufgezeigt, bevor auf die nähere Untersuchung der

postponierten nicht flektierten Adjektive eingegangen wird.

Nach der immer noch repräsentativen Studie von Römer (1980, S. 77f.) zur Werbesprache

stellt das Adjektiv18 die zweithäufigste Wortart nach dem Substantiv dar. Die Häufigkeit der

meist attributiven Adjektive19 liegt an «dem werbenden, anpreisenden Charakter dieser

Sprache, deren Erzeuger darauf bedacht sind, die Produkte auszuzeichnen und ihnen

besondere Eigenschaften zuzusprechen». Eine weitere wichtige Funktion attestiert Janich

(2001, 103):

«[…] dass Adjektive zumindest in Slogans entweder ganz alleine bzw. in Reihung stehen undimmer häufiger auch als Prädikatsnomen (x ist [Adj.] = prädikative Ergänzungen,‹Satzadjektive› nach der Duden-Grammatik) und als Modalangaben vorkommen (z.B. Sloganvon Daihatsu: Überraschend. Überzeugend. Anders.).»

Auch Baumgart ‹korrigiert› Römers Einschätzung, dass viele Substantive ein attributives

Adjektiv bei sich haben, dahingehend, dass beim aktuellen Gebrauch von Adjektiven eine

Reihe von Slogans beinahe ausschliesslich aus Adjektiven bestehen. «Die Emanzipation

dieser Wortart ist ein relativ neues Phänomen, das für die Gestaltung aktueller Slogans20

bezeichnend ist (Baumgart 1992, 108).»

16 Innerhalb der nicht poetischen Sprache nimmt Marschall Gruppenbildungen vor. Gruppe IV:Produktbezeichnungen, Etiketten; V: Warenbezeichnungen in Mengen auf Lieferscheinen (70 Nadelfeilen rund);VI: Essen, Trinken, Speisekarte (Machart oder Herkunft); VII: Sonderbereiche, lexemtypische Fälle (unserGroßvater selig); Zweifelsfälle: Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost. Die Gruppen I bis III gehören dem Bereichder poetischen Sprache an (1992, 72ff.).17 Hier ist mit ‹Werbesprache› die Sprache der Publikumswerbung gemeint und nicht die Berufssprache derWerbefachleute. Eine Kurzdefinition der Ersteren lautet: keine Sondersprache i.e.S., sondern eineinstrumentalisierte, zweckgerichtete und ausschliesslich auf Anwendung (nicht gesprochen) konzipierteSonderform sprachlicher Verwendung, zwar mit eigenen Gesetzmässigkeiten, aber äusserst an derAlltagssprache orientiert. Die Werbesprache ist zielgruppenorientiert. Folglich reicht ihr Spektrum, aus demMaterial bezogen wird, von Hoch- über Umgangs- bis zu Fach- u. Sondersprachen (Baumgart 192, 33f.).18 Die Wortartbestimmung erfolgt hier nach morphologischen und nicht syntaktischen Kriterien. Sowinski (1998,69) kommt zum selben Resultat.19 Attributive Adjektive waren in den 60er-Jahren, Römers Studie stammt aus dieser Zeit, häufiger alsprädikative Attribute (Römer 1980, 80).20 Die beabsichtigte Wirkung des Slogans liegt in der «Aufforderung und Auslösung einer Aktion» beimRezipienten. Auf den Slogan trifft die AIDA-Regel (Fachbegriff der Werber) zu: Attention, Interest, Desire,Action. (Baumgart 1992, 41).

19

Ein Beispiel hierzu lautet:

(45) Ritter Sport. Quadratisch. Praktisch. Gut.21

In diesem Slogan stehen die Attribute isoliert. Die Folge davon ist, dass sie weder eindeutig

prädikativ noch eindeutig attributiv sind. Dies ermöglicht wiederum alle Bezüge, was der

«spielerischen» Art der Werbesprache zugute kommt. Hier können die Adjektive entweder

attributiv (quadratische, praktische, gute Ritter Sport) oder prädikativ (Ritter Sport ist

quadratisch, praktisch, gut), aber auch adverbial (Ritter Sport ist praktisch, gut verpackt)

interpretiert werden. Baumgart (1992, 92) merkt hierzu an: «Das Fehlen der Kopula soll zum

einen die Aussage verdichten, zum anderen die Prägnanz und Einprägsamkeit steigern […].»

Bei Produktbezeichnungen und Markennamen ist folgender Typus beliebt: nicht flektiertes

Adjektiv im Nachfeld, welches nicht durch Komma abgetrennt ist und in attributiver Funktion

steht (Best/Zhu 1993, 21). Hierzu einige Belege:

(46) Söhnlein Brillant (Sektmarke)

(47) Jade Lindmild

(48) Clausthaler alkoholfrei.

Die Erklärung für die Nicht-Flexion des attributiven Adjektivs in (46) bis (48) liefert Trost

(2006, 379). Die Klammerrektion, die durch Determinativ und Substantiv ausgelöst wird,

kann sich nur auf interponierte, das heisst in der Nominalklammer befindliche Elemente

auswirken.

Marschall (1992, 75) formuliert die Regel bezüglich der «Invariabilität des nachgestellten

Adjektivs» mit anderen Worten als Trost, aber inhaltlich sinngemäss: «Die Inzidenz von

Kasus, Numerus und Genus der Basis N einer NG reicht nicht nach rechts über N hinaus.»

Weil in den obigen Beispielen das Adjektiv nicht mehr unter direktem Skopus des

Determinativs respektive Nulldeterminativs sowie Substantivs steht, kommt keine Flexion

zustande: [Ø Söhnlein] brillant.

In den Grammatiken werden nachgestellte unflektierte Adjektive unterschiedlich bewertet.

Weinrich (2005, 532) konstatiert, dass nur in wenigen Fällen eine archaische Nachstellung

des unflektierten Adjektivs vorkomme, und zwar bei bestimmten festen Verbindungen, die als

lexikalisiert angesehen werden können. Anschliessend räumt er jedoch ein, dass die neuere

Werbesprache und die journalistische Mediensprache gelegentlich22 die – von ihm als

archaisch eingestuft – Nachstellung des unflektierten Adjektivs aufnehme.

21 Das Beispiel stammt aus der Untersuchung von Baumgart (1992, 94), ebenfalls (48).22 Es handelt sich um eine Hervorhebung von unserer Seite.

20

Die Duden-Grammatik (2005, 350) bemerkt hierzu: «Nachgestellte unflektierte Adjektive

erscheinen öfter bei Produktbezeichnungen und in der Fachsprache.» Diese Aussage – ohne

Hinweis darauf, dass es sich um ein archaisches Phänomen handelt – legt die Interpretation

nahe, dass die Duden-Grammatik hierin ein produktives Muster sieht.

Engel (1991, 612f.) geht einen Schritt weiter, indem er explizit darauf hinweist, dass es sich

um einen produktiven Typ der Adjektivattribution handeln könnte:

«Es handelt sich hier möglicherweise um eine Tendenz, die sich längerfristig alsgleichberechtigte Alternative durchsetzen wird. Dafür sprechen nicht nur zahlreiche derartigeBildungen aus dem sozialpsychologisch wichtigen und stark sprachprägenden Bereich desKraftfahrtwesens (Aral Super, Benzin bleifrei…), sondern auch vergleichbare Konstruktionen inanderen Fachsprachen (Kamino rund, Putenschenkel bratfertig), die über Fachjargon undWerbesprache auch in den allgemeinen Sprachgebrauch übergreifen: Fahrspaß total, Natur purusw.»

Ergänzend sei hier Marschalls (1992, 77f.) Beobachtung angeführt, wonach die Auswahl an

möglichen Adjektivlexemen im Vergleich zur poetischen Sprache «generell größer und weiter

gefächert scheint». Bei den Adjektivlexemen handle es sich vorwiegend um ausdrucksstarke

Qualifikative mit ‹konkreter› Bedeutung, die einerseits auf sinnlich wahrnehmbare

Charakteristika (Farbe, Form, Duft, Geschmack (Henkell trocken) der attribuierten

Basiswörter hinweisen, andererseits über Herkunft und Machart (Clausthaler alkoholfrei)

informieren; hinzu komme eine kleine Gruppe von Wert- und Vergleichsgrössen (tausend

Mark bar/netto/brutto).

Die Funktion der Adjektive ist eine selektive und distinguierende. Dies lässt sich anhand

folgender Formel veranschaulichen: ClausthalerGattung alkoholfreiSpezifizierung/Untergattung.23

Marschall stellt für Produktbezeichnungen und Warenetiketten fest, dass Nomen und Adjektiv

nicht nur als Ober- und Unterbegriff interpretierbar sind, sondern als «feste oder erstarrte

Zuordnung». Demnach würde das Substantiv-Adjektiv-Syntagma ein einziges Lexem bilden,

vergleichbar mit einem Eigennamen (Zuname + Vorname). Er relativiert seine Aussage

dahingehend, dass dies von Fall zu Fall entschieden werden müsse aufgrund des

unterschiedlichen Grades der Determiniertheit von Gattungsnamen und Eigennamen (1992,

78). Eine feste Verbindung ist jedoch mit Sicherheit bei Markennamen wie Schauma mild

oder Henkell trocken gegeben. Dafür spricht, dass das Adjektiv dieser Nominationseinheiten

auch im Satzinnern immer ein Attribut darstellt, wie der folgende Werbeslogan illustriert:

(49) Die Feste ändern sich. Henkell trocken bleibt.24

23 Vgl. Dürscheid (2002, S. 62) legt folgendes Verfahren zugrunde: «Zunächst wird das Referenzobjekt benannt,dann steht der das Referenzobjekt näher bestimmende Zusatz. Die Struktur ist nach dem Schema [Gattungs-bzw. Produktname + X[Adjektiv] aufgebaut, folgt also dem Operand-vor-Operator-Prinzip.»24 Das Beispiel stammt von Baumgart (1992,89).

21

Ein mögliches Problem solcher Syntagmen stellt dennoch die Klassifizierung dar. So zeigt

die Feststellung Hamis (2002, 146), bei mild in der Produktaufschrift Kamille Shampoo

mild handle es sich um eine Adjektiv-Apposition, dass Trost (2006, 377) durchaus Recht

hat mit seiner Aussage, dass nicht flektierte postponierte adnominale Adjektive

«appositionsverdächtige Strukturen aufweisen». Selbst bei Syntagmen, die asyndetisch

gereihte Adjektive (50) aufweisen oder Adjektiv plus präpositionalen Zusatz (51) und in einen

Satz gebettet sind, handelt es sich nicht um Appositionen. Sie haben lediglich einen

appositionsähnlichen Charakter.25

(50) Porzellan, weiss, spülmaschinenfest

(51) Sideboard, 2-trg. mit 5 Schubkästen

Mögliche Gründe und Erklärungen für die Nachstellung der Adjektive werden unter 4.3.3

aufgeführt, da diese auch auf Syntagmen von Speisekarten und Katalogen zutreffen, die

nachstehend näher betrachtet werden.

4.3.2 Speisekarten und weitere Textsorten

In der Textgattung Speisekarten werden ebenfalls unflektierte Substantiv-Adjektiv-

Syntagmen produziert. Beispiele hierfür sind:

(52) Forelle blau; Kaffee verkehrt

(53) Whisky pur; Pfannkuchen böhmisch.

Diese Nominationseinheiten verleiten einen noch stärker als solche aus der poetischen

Sprache wie Röslein rot dazu, sie als Verkürzungen einer expliziteren Struktur zu betrachten:

(54) Pfannkuchen böhmisch […] auf böhmische Art.

Des Weiteren könnte man sie von Fall zu Fall in die Nähe des Adverbs rücken:

(55) Whisky pur […] Whisky, pur getrunken.

Es handelt sich aber auch hier um attributive Adjektive, das heisst sie erfüllen eine

distinguierende, selektive Funktion. Wiederum zeigt das Substantiv die Gattung an, während

das unflektierte nachgestellte Adjektiv die Untergattung respektive Spezifizierung des

Substantivs ist (Marschall 1992, 78). Die Nicht-Flektiertheit des Adjektivs ist regelkonform,

da sich das Adjektiv in den besagten Syntagmen ausserhalb der Nominalklammer und daher

nicht im direkten Skopus von Nulldeterminativ und Nomen befindet, welche die Flexion

auslösen.

25 Vgl. Kommasetzung laut der amtlichen Rechtschreibung § 77, E3 und § 77, (7): Bei fester Verbindung miteinem nachgestellten Adjektiv (Schauma mild) wird kein Komma gesetzt, hingegen bei zwei nachgestelltenAdjektiven, die innerhalb eines Satzes stehen, wird die Adjektivgruppe in Komma gesetzt. Die Beispiele (50)und (51) stammen von Dürscheid (2002, S. 62f.)

22

Werden solche Syntagmen in einen Satz eingegliedert, kann jedoch die attributive Lesart

schwinden und das unflektierte Adjektiv kann als freies Prädikativum angesehen werden:

(56) Er trinkt Whisky pur[Attribut oder freies Prädikativum].

Steht das Adjektiv in Verbindung mit dem definiten Artikel oder trennt ein Satzglied das

Adjektiv von seinem Bezugswort, ist nur die prädikative Lesart möglich:

(57) Er trinkt den Whisky pur[freies Prädikativum].

Er trinkt Whisky am liebsten pur[freies Prädikativum].

Schliesslich handelt es sich in Verbindung mit einem Quantor um die attributive Lesart. In

Analogie zu Syntagmen wie Whisky Soda [Substantiv + Substantiv] wird das Syntagma

[Substantiv + Adjektiv] als Nominationseinheit angesehen:

(58) Er trinkt einen/zwei Whisky pur[Attribut] (Dürscheid 2002, 64).

Einen speziellen, nicht unproblematischen Fall innerhalb des semantisch verdichteten

Speisekartendeutsch stellen (teil-)idiomatisierte Nominationseinheiten wie Forelle blau dar.

Während Dürscheid (2002, 65, 71f.) und Trost (2006, 383f.) für eine attributive

Verwendungsweise des Adjektivs plädieren, «handelt es sich» nach der IDS-Grammatik

(1997, Bd. 3, 1191) «aber offensichtlich um Adverbialkonstruktionen in elliptischer

Verwendung».

Die IDS-Grammatik argumentiert, dass Satz (59a) nicht durch (59b) paraphrasierbar sei, was

grundsätzlich möglich sein müsste. Bedingung ist, dass eine attributive Verwendung im

Vorfeld bei gleichbleibender Bedeutung vorgenommen werden kann, wie beispielsweise bei

Röslein rot/rotes Röslein.

(59a) Ich esse am liebsten die Forelle blau.

(59b) Ich esse am liebsten die blaue Forelle.

Konstruktionen wie Forelle blau deklariert Dürscheid (2002, 71) als attributiv, auch wenn

eine anteponierte attributive Verwendung in dieser spezifischen Bedeutung nicht möglich ist.

Der Grund hierfür ist nach Dürscheid der phraseologische Status der Nominationseinheit.

Phraseologische Konstruktionen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass deren

Gesamtbedeutung von der Bedeutung der einzelnen Elemente mehr oder weniger stark

abweicht. Zifonun et al. (1991, Bd. 3, 1191) führen noch ein weiteres Beispiel an, um

die Behauptung, es handle sich bei postponierten unflektierten Adjektiven um

Adverbialkonstruktionen, zu untermauern.

(60a) Im «Kleinen Rosengarten» gibt es Spaghetti italienisch.

(60b) Im «Kleinen Rosengarten» gibt es italienische Spaghetti.

23

Auch dieses Beispiel widerlegt Dürscheid (2002, 72) überzeugend. Sie argumentiert, dass nur

dann eine Adverbialkonstruktion vorliege, wenn italienisch auf ein elidiertes Prädikat

bezogen werde: Spaghetti – italienisch zubereitet. Die prädikative Lesart ist ihrer Meinung

nach aber im vorliegenden Fall nicht möglich:

«Eine prädikative Lesart des denominalen Adjektivs italienisch ist im gegebenen Kontextausgeschlossen, denn diese würde in Bezug auf das Basissubstantiv Italien die Herkunftbzw. Zugehörigkeit, nicht aber die Zubereitungsart implizieren. Das ist auch der Grunddafür, warum […] [(60b)] keine Paraphrase von […] [(60a)] ist: […] [(60b)] legt nahe, dassdie Spaghetti aus Italien stammen, in […] [(60a)] stellt sich diese Konnotation nicht ein.»

Trost (2006, 383f.) konstatiert, dass es an der Textsorte selbst liege. Im Speisekartendeutsch

haben die Bezugsnomen Forelle und Spaghetti die Funktion von Registerwörtern und

Zugriffindizes, woraus die Nachstellung der Adjektive blau sowie italienisch zwangsläufig

resultiere. Da diese syntaktische Stellung im Speisekartendeutsch konventionalisiert sei,

werde eine Interposition des Adjektivs von Vornherein ausgeschlossen (blockiert). Aus

diesem Grund kann es sich laut Trost nur um eine postponierte Attribuierung handeln.

Ebenfalls beliebt ist die Nachstellung des unflektierten Adjektivs in attributiver Funktion in

Angebotsanzeigen von Detailhändlern. So finden sich im Migros Magazin26 unter anderem

diese Syntagmen:

(61) Molfina (62) Luxor Forellenfilets

Binden Normal geräuchert

(63) Léger Gipfel gekühlt (64) Sauce

im Duo-Pack Bratensauce gebunden.

Dies sind nur einige Beispiele eines offensichtlich äusserst produktiven Musters27,

Lebensmittel und Haushaltsbedarf in Inseraten anzupreisen. Die Marke oder die Gattung wird

an erster Stelle angeführt, meist fett gedruckt, damit der potenzielle Konsument sofort weiss,

was im Angebot ist. Die Spezifikation der Aktionen folgt beinahe ausschliesslich auf der

nächsten Zeile, wie die Durchsicht von Migros Magazin, Coopzeitung, Otto’s und Pam ergab.

In Katalogen für Handwerksbedarf treten postponierte unflektierte Adjektive oft in einer

Reihung auf:

26 Migros Magazin, Nr. 4, 21. Jan. 2008. Die Typografie wurde sinngemäss übernommen, ausgenommen derKursivsetzung.27 Coopzeitung: Coop Biscuits assortiert; Coop Emmentaler, mild, verpackt; Äpfel Golden, Klasse 1, mild bissüsslich, Schweiz (Nr. 4, 22. Jan. 2008). Pam aktuell: Bauernschinken geschnitten; Papierservietten assortiert(22. Jan.). Otto’s: Nicky Haushaltrollen, bedruckt; Box stapelbar (23. Jan.).Diese Zeitungen und Broschüren wurden in den Januarwochen durchgesehen. Zwar wurde keine statistischeAuswertung vorgenommen, dennoch zeigt sich, dass die Nachstellung des Adjektivs bei der Anpreisung derWaren sehr oft gewählt wird.

24

(65) Clicklaminat Buche Ahorn

Abriebfest, fleckenunempfindlich, lichtbeständig, mit Trittschallschutz […]

(66) Glastablar rund, transparent

(67) Staubsauger «Parquet S-4210»

klein, handlich und leicht (nur 6,5 kg).

(68) Wäschekorb

Gross, leicht und günstig! 28

Das Fachhandelgeschäft Rhyner platziert eine Dreierreihe von postponierten unflektierten

Adjektiven sozusagen als Motto seiner Geschäftsphilosophie auf der Frontseite seines

Angebotskatalogs, wobei auch hier weitere Lesarten möglich sind.

(69) RHYNER kompetent / günstig / familiär.

Es lässt sich feststellen, dass sich die Setzung attributiv gebrauchter Adjektive nach dem

Substantiv grosser Beliebtheit erfreut, sei es als fester Bestandteil einer Produktbezeichnung

oder eines Markennamens, in Syntagmen aus dem Speisekartenbereich sowie in

Angebotsanzeigen aus dem Konsumbereich.

4.3.3 Gründe für die Postposition unflektierter attributiver Adjektive in Produkt-

bezeichnungen, Speisekarten und ähnlichen Textsorten

Die Tatsache, dass die markierte Nachstellung adnominaler Adjektive in den oben erwähnten

Kontexten vorkommt, anstelle der unmarkierten Anteposition, spricht für einen funktionalen

Mehrwert der Nachstellung im Deutschen.

Best/Zhu (1993, 22) meinen drei Faktoren für die «zunehmende Beliebtheit post-

ponierter Adjektive» ausmachen zu können. Auf den Bereich der Produkt- und

Speisekartenbezeichnungen trifft der erste Faktor zu. Es handelt sich dabei um die besondere

Betonung, die beim nachgestellten Adjektiv vorliegt. Bei der Anteposition trägt das Nomen

den Hauptakzent des Syntagmas die feinen Érbsen, während bei der Postposition der

Hauptakzent auf das Adjektiv zu liegen kommt Erbsen féin. Diese Feststellung wird durch

Marschalls (1992, 79) Aussage erläutert. Zunächst hebt er den Werbe- und

Schlagwortcharakter solcher Nominationseinheiten hervor: «Die griffige Formel triumphiert,

Fokalisierung ist gewollt.» Er geht aber noch einen Schritt weiter, indem er sagt, dass eine

Parallele zur poetischen Sprache herrsche, in der das Adjektiv meist auf betonter Position am

Ende einer Periode steht. Nach ihm sei das eigentliche Ziel, durch die Nachstellung und

28

Die Beispiele (65), (66) stammen aus dem Do-It-Garden-Katalog der Migros, Beilage zum Migros Magazin,

Nr. 4., 21. Jan. 2008. (67) und (68) wurden dem Rhyner-Katalog vom 21. Jan. 2008 entnommen.

25

Invariabilität des Adjektivs die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf sich zu lenken. «Sie sind

wie poetische Inseln innerhalb eines Prosatextes, sind formal und oft auch klanglich aus der

Prosa-Norm herausgehoben.» Die Akzeptanz dieser Syntagmen bei den Rezipienten führt

Marschall darauf zurück, dass die Nachstellung aus der Volkslieddichtung her in der

Spracherinnerung der Muttersprachler vorhanden sei.

Auch der zweite Faktor von Best/Zhu, dass es nicht in jedem Fall möglich ist, das

nachgestellte Adjektiv durch ein vorangestelltes Adjektiv auszuwechseln, trifft auf

Markenbezeichnungen wie Henkell trocken oder auf idiomatisierte Nominationseinheiten wie

Kaffee verkehrt zu. Der semantische Mehrwert kommt jedoch bei folgendem Syntagma,

einem Titel einer Fernsehsendung, deutlicher zum Vorschein: Sport aktuell bezieht sich auf

die Berichterstattung über neueste Ereignisse aus der Schweiz, wohingegen bei aktueller

Sport wohl eine bestimmte Sportdisziplin gemeint ist, die gerade im Trend liegt. Die

Bedeutungsunterschiede sind klar ersichtlich. Der dritte Faktor gilt für Syntagmen wie Action

pur, auf die in einem eigenen Kapitel eingegangen wird.

Auch Dürscheid (2002, 63) stellt sich explizit die Frage, weshalb in nicht idiomatisierten

Nominationseinheiten (Schweinekotelett mager, Rosenkohl tiefgekühlt) nicht die unmarkierte

Wortstellung angewandt wird. Sie bietet eine «kommunikativ-funktionale Erklärung» an, die

sich an der Prager Schule orientiert:

«Das Element mit dem höheren Grad an kommunikativer Dynamik steht in der linearen Abfolgean erster Stelle, dann folgt dasjenige mit dem niedrigeren Mitteilungswert, der erläuterndeZusatz. Die Struktur dient also der Informationsgliederung, das substantivische Referenzobjektwird in den Vordergrund gerückt.»

Daher ist dieses Wortstellungsmuster besonders prädestiniert für die Werbe- und

Speisekartensprache; das Referenzobjekt ist fokussiert.

Ein weiterer Mehrwert wird ersichtlich, wenn man postponierte unflektierte Adjektive in

grössere Nominationseinheiten eingliedert:

(70) 5 defekte Werkzeugschränke grün.

(71) fünf schöne alte Gulden rheinisch.

Marschall (1992, 80) zeigt anhand dieser Beispiele auf, dass es möglich ist, ein Adjektiv aus

einer solchen Adjektiv-Kaskade29 herauszunehmen und durch die Postposition hervorzuheben.

4.4 Postnominale Adjektive in Zeitungsüberschriften

Ein weiterer Kontext, in welchem postnominale unflektierte Adjektive öfters auftauchen, sind

Zeitungs- oder auch Magazinüberschriften. Dort, wo auf kleinstem Platz so viel wie möglich

29 Hierarchische Anordnung, bei der die einzelnen Adjektive nicht durch Kommas voneinander getrennt werden.

26

gesagt werden muss oder zumindest so viel, um den Leser am Weiterblättern zu hindern, wird

oft und gerne von der sogenannten Sparsyntax Gebrauch gemacht. In Überschriften wie

«Medaillen ausgegangen» oder «Zoo dicht!» wurden «neben dem Artikel […] auch das

Kopulaverb elidiert. Das Adjektiv steht in prädikativer Funktion» (Dürscheid 2002, 73)30. Die

Überschriften können wieder mit Artikel und Kopula angereichert werden, was dann die

grammatikalisch korrekten und vollständigen Sätze «Die Medaillen sind ausgegangen» und

«Der Zoo ist dicht!» ergäbe. Die Frage ist hier aber, ob das Wort «ausgegangen» im ersten

Beispiel wirklich ein Adjektiv darstellt und nicht ein Partizip II. Dürscheid (2002, 74) spricht

von einem «Partizipialadjektiv», was in den Formulierungen der Sparsyntax auch Sinn macht,

da das Kopulaverb elidiert wurde und somit der Gebrauch des Verbs im Perfekt nicht sichtbar

ist. Tiefenstrukturell handelt es sich in diesem Fall aber wohl eher um ein Partizip als um ein

Adjektiv.

In den Zeitungsüberschriften trifft man auch öfter auf solche Partizipialadjektive als auf

‹reine› Adjektive:31

(72) Kameras gestohlen (Tages-Anzeiger, 10.01.2008, S. 14)

(73) Züge demoliert (20minuten, 15.01.2008, S. 5)

(74) Gestohlene Bilder in São Paolo sichergestellt (NZZ, 10.01.2008, S. 13).

Gerade bei längeren Artikeln sind auch längere Überschriften wie in (74) häufiger zu sehen.

Kurze Überschriften wie bei (72) und (73) findet man vor allem bei den Kurznachrichten in

den Seitenspalten. Wie der Begriff schon sagt, stellen diese meist sehr kurze, nicht wirklich

komplexe oder komplizierte Sachverhalte dar, und so ist es auch oft nicht nötig, in den

Überschriften viele Erweiterungen wie Ort- oder Zeitangaben einzufügen. Und da auch die

Artikel selbst sehr kurz gehalten werden, mit einigen Faktenangaben und wenigen oder

keinen Ausschmückungen, sind in diesen Überschriften generell öfter solche simplen

Substantiv-(Partizipial-)Adjektiv-Konstruktionen zu finden als bei den längeren, inhaltlich

komplexeren Artikeln. So verwendet man in Letzteren (auch schon wegen des grösseren

Platzes, der zur Verfügung steht) gerne längere Überschriften, die stilistisch ausgefeilter sind:

(75) Kameras im Casino Zürichsee geben zu reden (Tages-Anzeiger, 11.01.2008,

S.17). 30 Eine Elidierung eines Artikels ist aber nicht zwangsläufig vorhanden, wie wir in den Beispielen (72) und (73)sehen werden. Es handelt sich dabei nicht um «die Kameras» oder «die Züge», was vor allem in (73) auch «alleZüge» implizieren könnte, sondern um einige, (noch) nicht näher spezifizierte Züge oder Kameras. Im Singularkönnte der unbestimmte Artikel stehen, im Plural bleibt das Bezugsnomen aber artikellos (es handelt sich umden Nullartikel).31 Für diese Arbeit wurde zwar keine repräsentative statistische Untersuchung von Zeitungsüberschriftendurchgeführt, jedoch zeigt bereits die Analyse weniger Zeitungen (hier der NZZ, des Zürcher Tages-Anzeigersund der beiden Pendlerzeitungen 20minuten und heute vom 11. bis zum 17. Januar 2008) die aufgeführtenTendenzen auf.

27

Durchaus möglich wäre aber auch eine kürzere Konstruktion, die, wenn es sich um eine

Kurznachricht und nicht um einen längeren Artikel handeln würde, wahrscheinlich auch so

ähnlich aussehen würde:

(75a) Kameras im Casino umstritten.

In Bezug auf die Wortart und auf die tiefenstrukturelle Syntax trifft man ab und zu auf

Zweifelsfälle, wie das folgende Beispiel zeigt:

(76) Ehemaliger FCZ-Spieler betrunken am Steuer (NZZ, 14.09.2007, S. 53).

Das Wort betrunken in (76) kann zwar das Partizip II zum Verb (sich) betrinken darstellen, es

kann aber auch ein Adjektiv sein. Wenn man nun aber versucht, den Satz um das Kopulaverb

und eventuell den Artikel zu ergänzen, entsteht Folgendes:

(76a) [Ein] ehemaliger FCZ-Spieler [war] betrunken am Steuer.

Genauso gut kann aber ein komplexerer Satz zugrunde liegen:

(76b) [Ein] ehemaliger FCZ-Spieler [wurde] betrunken am Steuer

[geschnappt/gesichtet/kontrolliert etc.].

Aus beiden Sätzen wird ersichtlich, dass es sich bei betrunken nicht um ein Partizip II,

sondern um ein Adjektiv handelt, da das Reflexivpronomen sich zum Verb sich betrinken

fehlt. Sie zeigen aber auch, dass es sich bei der Sparsyntax nicht immer und unbedingt um

einfache Prädikativsätze mit elidiertem sein oder werden handeln muss, sondern dass unter

Umständen auch komplexere, attributiv-prädikative Sätze mit elidiertem Verb zugrunde

liegen können.

Generell sind die postnominalen Adjektive in Zeitungsüberschriften fast immer am Ende des

Satzes positioniert. In den untersuchten Zeitungen sind unter über 50 gefundenen

Überschriften nur vier auszumachen, welche (vermutlich) ein postnominales Adjektiv

enthalten, das nicht am Schluss des Satzes steht. Eine dieser vier Überschriften ist das

Beispiel (76). Aber auch eine andere stellt auf den ersten Blick einen Zweifelsfall dar:32

(77) Marks & Spencer enttäuscht und wird hart bestraft (NZZ, 10.01.2008, S. 50).

Wenn man nur die Überschrift liest, könnte man auch hinter diesem Satz einen prädikativen

mit elidierter Kopula vermuten:

(77a) Marks & Spencer [ist] enttäuscht und wird hart bestraft.

Dagegen spricht aber, dass das zweite Kopulaverb wird nicht elidiert wurde. Und tatsächlich

wird beim Lesen des Artikels klar, dass es sich nicht um ein Partizipialadjektiv, sondern um

32 Bei den anderen beiden Beispielen, in denen das postnominale Adjektiv nicht ganz am Schluss steht, handeltes sich um Vergleichskonstruktionen: Wasser gefährlicher als Feuer (NZZ, 14.09.2007, S. 53) und Variabel wieein Familienkombi (heute, 15.01.2008, S. 18).

28

ein Verb in der 3. Person Singular handelt und der zugrunde liegende Satz somit

folgendermassen lauten muss:

(77b) Marks & Spencer enttäuscht [uns/die Kunden etc.] und wird hart bestraft.

Hier wurde also für einmal nicht das (Kopula-)Verb, sondern das Personalpronomen oder das

Akkusativobjekt elidiert.

Neben diesen Partizipialadjektiven findet man aber in Zeitungsüberschriften auch viele

eindeutige Adjektive in postnominaler Stellung. Bei diesen sind kurze Subjekt-Adjektiv-Sätze

wiederum seltener als die komplexeren:

(78) Swissôtel rauchfrei (Tages-Anzeiger, 11.01.2008, S. 14)

(79) Telekom-Liberalisierung in der Schweiz erfolgreich (NZZ, 11.01.2008, S. 1)

(80) Neat für Italiens Aussenminister prioritär (NZZ, 14.09.2007, S. 16).

Interessant wäre an dieser Stelle eine Untersuchung zur Semantik der in Überschriften

postnominal verwendeten Adjektive. Es scheint, dass die von Marschall erwähnten Adjektive

«mit ‹bildhaft-konkretem› Inhalt» (Marschall 1992, 77), welche in der poetischen Sprache vor

den komplexeren Adjektiven mit abstraktem Inhalt bevorzugt werden, in

Zeitungsüberschriften gerade unangebracht sind. Da es hier darum geht, in möglichst wenigen

Worten möglichst viel mitzuteilen, sind gerade aussagekräftige Adjektive von ‹starker›

Semantik notwendig. Ausserdem spielt in den Überschriften weder Metrik noch Reim eine

Rolle. Darum ist es auch nicht erforderlich, kurze, wenn möglich einsilbige Adjektive oder

solche mit regelmässigem Rhythmus zu verwenden.

Ebenfalls sehr aussagekräftig sind Vergleichskonstruktionen. Durch diese kann sich der Leser

ein konkretes Bild von einer Gegebenheit schaffen, auch wenn die in ihnen verwendeten

Adjektive (wie z.B. in (80)) eher einfacher Art und nicht so komplex sind:

(81) Taxis bald teurer [als früher] (Tages-Anzeiger, 11.01.2008, S. 14)

(82) Dank Energiewerten fester (Aktienbericht in der NZZ, 12.09.2007)

(83) Wasser gefährlicher als Feuer (NZZ, 14.09.2007, S. 53).

Überschriften mit Vergleichskonstruktionen und Adjektiven im Komparativ sind im

Gegensatz zu solchen mit Adjektiven im Positiv auch meist sehr kurz gehalten und nicht

derart komplex. Der Vergleich an sich impliziert schon genug, sodass weitere Faktenangaben

nicht unbedingt nötig sind, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

4.5 Erholung pur und Leidenschaft satt

Eine ganz spezielle Untergruppe postnominaler unflektierter Adjektive stellen Syntagmen

vom Typ Erholung pur und Leidenschaft satt dar. Es handelt sich nämlich um eine

29

geschlossene Liste von Adjektiven, die in dieser Weise verwendet werden. Dürscheid nennt in

diesem Zusammenhang die Adjektive pur, light, satt, brutal und total (Dürscheid 2002, 67),

und auch in anderen Arbeiten werden keine weiteren genannt.33 Syntagmen dieser Art

unterscheiden sich in mancherlei Hinsicht von anderen mit postnominalen Adjektiven, vor

allem aber darin, dass sie ihr Bezugsnomen nicht näher differenzieren oder kategorisieren,

sondern es hauptsächlich nur intensivieren oder abschwächen. Leidenschaftlicher als

Leidenschaft pur kann keine Leidenschaft sein. Genauso wenig kann man sich erholsamere

Erholung als Erholung total vorstellen. Linguistik light scheint einfacher, leichter verständlich

zu sein als bloss Linguistik. Die Adjektive pur, total und satt erfüllen meist denselben Zweck,

nämlich das Bezugsnomen zu intensivieren. Pur als pränominales Attribut hat den Sinn von

«rein, unverfälscht», während total «gänzlich, völlig» bedeutet und satt vor allem in

Verbindungen mit Farben wie ein sattes Blau vorkommt. Postnominal verlieren diese

Adjektive aber einen Grossteil ihrer Semantik und definieren ihr Bezugsnomen als etwas

‹Absolutes›.

Light hingegen, ursprünglich wohl über englische Produktbezeichnungen zuckerfreier

Getränke ins Deutsche gewandert, schwächt in postnominaler Position das Bezugsnomen ab.

Die Situation ist hier aber etwas anders gelagert, da das Adjektiv light, im Gegensatz zu cool,

«als Entlehnung aus dem Englischen auch gar nicht flektiert werden» (Dürscheid 2002, 69)

kann und somit im Deutschen nie in pränominaler Position steht.

In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob auch das aus dem Englischen

stammende Adjektiv live genannt werden kann. Da live im Deutschen ebenfalls nicht flektiert

werden kann, tritt es wie light nur in postnominaler Stellung auf und nie vor dem

Bezugsnomen:

(84) Albisgütli-Tagung live im Internet (heute, 15.01.2008, S. 3).

Live ist zwar semantisch nicht ganz so ‹schwach› wie light, bezeichnet aber jeweils lediglich

die simple Tatsache, dass eine Aufführung oder ein Event (meist im Fernsehen oder im

Internet, aber auch vor Ort) genau zu diesem Zeitpunkt stattfindet, an welchem man zusieht

oder zuhört. Der wesentliche Unterschied zu light besteht aber darin, dass live nicht nur

attributiv, sondern auch adverbial verwendet werden kann:

(85) Mein Bruder singt heute live vor Publikum.

(86) *Mein Bruder erriet die Antwort light.

33 Karl-Heinz Best und Jinyang Zhu (1993) nennen nur brutal und pur, während Trost (2006) nur pur zurSprache bringt. Andere Arbeiten wie z.B. die von Marschall (1992) gehen erst gar nicht auf dieses Phänomenein.

30

Zum Vergleich:

(86a) Mein Bruder erriet die Antwort leicht.

Diese Eigenschaft teilt live mit brutal (vgl. brutal spielen) und total (vgl. etwas total mögen),

die ebenfalls adverbial verwendet werden können, während pur, satt und light nur attributiv

und attributiv-prädikativ verwendet werden können. Deshalb spricht unserer Meinung nach

nichts dagegen, das Adjektiv live im Zusammenhang mit pur etc. zu nennen, auch wenn es

nicht auf genau derselben Ebene angesiedelt werden kann.

Auch brutal ist eher ein Sonderfall, da es das Bezugsnomen nicht nur intensiviert, sondern

ihm auch eine grobe, derbe, fast schon gewalttätige Konnotation beimischt. Brutal und light

treten aber auch wesentlich seltener auf als die intensivierenden Adjektive pur und total. Dies

bemerkt auch Bastian Sick, wenn er in seinem populären Werk «Der Dativ ist dem Genitiv

sein Tod» feststellt, dass Dinge wie «Action, Spannung, Erotik [oder] Leidenschaft» heute

nur noch pur zu haben sind (Sick 2004, 23). Er bemerkt ausserdem, dass das Adjektiv pur

wohl das früher noch viel öfter verwendete total abgelöst habe, das «sich über die Jahre

gründlich abgenutzt» (Sick 2004, 24) habe. Ist es aber wirklich so, dass total zuerst da war

und pur später dieselbe Funktion übernahm? Hier ist nämlich anzumerken, dass gerade pur in

bestimmten Kontexten seine pränominale Bedeutung auch in postnominaler Position

bewahren kann. Wenn man in einer Bar einen Whiskey ohne Zusatz haben möchte, bestellt

man einen Whiskey pur und eher weniger einen puren Whiskey. Es handelt sich aber in dieser

Formulierung nicht um einen ‹totalen› oder ‹absoluten› Whiskey, sondern um einen ‹reinen›;

das Adjektiv pur hat hier also auch in postnominaler Stellung seine ursprüngliche Bedeutung

bewahrt. Es wäre möglich, dass Syntagmen wie Leidenschaft pur analog zum Typ Whiskey

pur entstanden sind und so das Adjektiv durch die neuen Kontexte, in denen es verwendet

wurde, in postnominaler Stellung einen Bedeutungswandel erlebt hat. Dies würde auch die

Vermutung nahelegen, dass die anderen Adjektive dieser Art, wie satt und total, erst danach

in derselben Funktion wie pur verwendet wurden; um diese Annahme zu bekräftigen, wären

aber weitere Untersuchungen nötig, welche die Häufigkeit solcher Verwendungen diachron

analysieren würden.

Sehr häufig tauchen Formulierungen mit postnominalem pur oder total in der geschriebenen

Sprache auf, vor allem in Werbeanzeigen oder Zeitungsüberschriften. Sie ziehen durch ihre

appellative Wirkung die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich und «drücken das Gemeinte auf

kürzestmögliche Weise aus und kommen damit dem Ökonomiestreben, das in der

Sprachverwendung in den Medien beobachtet wurde, entgegen» (Best/Zhu 1993, 22). Doch

auch in der gesprochenen Sprache werden diese Substantiv-Adjektiv-Verbindungen

31

mittlerweile oft verwendet. Gerade pur und total, die auch in der geschriebenen Sprache

häufiger als die anderen Adjektive in dieser Funktion verwendet werden, beobachtet man

immer mehr in vor allem informellen Gesprächssituationen. Light und brutal tauchen hier

eher selten auf. Die stetig ansteigende Verwendung von Syntagmen dieser Art in der

geschriebenen und in der gesprochenen Sprache lässt aber vermuten, dass diese

möglicherweise bald ihren Einzug in das mündliche Gespräch halten werden.

Des Weiteren stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob es sich bei Formulierungen

von Namen für Fernsehsendungen wie MDR regional und Sport aktuell oder Werbeangeboten

wie Nordsee pauschal um die gleiche Art von Syntagmen wie bei Leidenschaft pur handelt.

Dafür sprechen würde beispielsweise die Tatsache, dass durch die Umstellung der Adjektive

vor das Bezugsnomen ihre Bedeutung verändert wird.34 Nordsee pauschal ist keinesfalls

gleichbedeutend mit einer pauschalen Nordsee; Sport aktuell steht für eine Sendung, die über

aktuelle Ereignisse in der Sportwelt berichtet, ein aktueller Sport wäre aber eher als eine

Sportart zu verstehen, die gerade aktuell, also ‹in› ist. Ausserdem lassen sich diese Adjektive,

wie es auch bei Konstruktionen vom Typ Leidenschaft pur der Fall ist, «zusammen mit ihrem

Bezugswort in die Satzsyntax einbetten, ohne dass sie ihre attributive Lesart aufgeben»

(Dürscheid 2002, 67). Gegen eine solche Gleichstellung spricht aber die Semantik der

Adjektive. Während pur oder total ihr Bezugsnomen hauptsächlich intensivieren, es jedoch

nicht weiter differenzieren, behalten die Adjektive in Sport aktuell oder Nordsee pauschal

ihre Bedeutung bei. Aktuell hat in den beiden Formulierungen Sport aktuell und der aktuelle

Sport beinahe dieselbe Bedeutung, nämlich ‹gegenwartsnah, zeitgemäss›, auch wenn die

beiden Syntagmen im Ganzen nicht dasselbe bedeuten. Verbindungen wie Sport aktuell sind

also nicht unbedingt mit solchen wie Leidenschaft pur gleichzusetzen, weisen aber

augenscheinlich doch einige Parallelen auf.

5. Fazit

Abschliessend kann man feststellen, dass nicht nur die postponierten unflektierten Adjektive

auch heute noch angewandt werden und in neuen Formulierungen des Gegenwartsdeutschen

auftauchen, sondern auch die anteponierten. Jedoch sind hier die Vorkommensbereiche

äusserst begrenzt. Zu nennen wären Neubenennungen von Stadtteilen (z.B. Neu Zürich),

Ableitungen auf - er (z.B. Basler Nationaltrainer) und die Anwendung bestimmter

34 Dafür plädieren auch Best und Zhu (1993, 22), jedoch stellen sie keine Verbindungen zwischen diesenVerbindungsweisen und solchen vom Typ Leidenschaft pur fest.

32

Farbadjektive. Bei den nachgestellten Adjektiven präsentiert sich die Bandbreite möglicher

Anwendungskontexte weitaus grösser. Ausgehend von der weitverbreiteten Meinung,

Nominationseinheiten mit postponiertem Adjektiv seien auf die poetische Sprache beschränkt

und haben eine archaisierende Wirkung, haben wir verschiedene Textsorten aufgelistet,

anhand derer aufgezeigt werden konnte, dass besagtes Muster nach wie vor produktiv ist.

Bei Kleinanzeigen, Produktbezeichnungen, Warenanpreisungen, Speisekarten und

Zeitungsüberschriften ist als hauptsächlicher Auslöser für die Nachstellung von Adjektiven

das Ökonomiebestreben der modernen Konsum- und Mediensprache zu nennen. Einerseits

gilt es, die Hierarchie im Informationsgehalt klar zum Ausdruck zu bringen, indem das

Basiswort (z.B. das Produkt) an erster Stelle platziert wird und Spezifikationen nachfolgen.

Andererseits kommt die Nachstellung der Tatsache zugute, dass in gewissen Textsorten, vor

allem in publizistischen Druckerzeugnissen, Platz eine knappe Ressource darstellt.

Des Weiteren kann davon ausgegangen werden, dass Idiomatisierungen vom Typus Kaffee

verkehrt oder Forelle blau auch in Zukunft gebildet werden. Ein Beispiel hierfür lässt sich

für die Zigarettenmarke Gauloises feststellen. Die früher mit légères gekennzeichneten

Packungen wurden von vielen Konsumenten als Gauloise rot bezeichnet. Mittlerweile ist die

Bezeichnung légères von der Schachtel verschwunden, das rote Erscheinungsbild hingegen ist

geblieben, weshalb diese Zigaretten heute nur noch als Gauloises rot verlangt werden. Es ist

durchaus vorstellbar, dass diese Bezeichnung in Zukunft in einen offiziellen Markennamen

übergehen könnte.

Besonders augenfällig ist der vermehrte Gebrauch von nachgestellten Adjektiven wie pur und

total. Die Gründe hierfür liegen wiederum im Ökonomiebestreben des modernen

Sprachgebrauchs und dem Wunsch, das Gemeinte so prägnant wie möglich auszudrücken.

Darum wird diese Art von Sparsyntax sowohl im Medienbereich als auch in der mündlichen

Alltagssprache rege gebraucht.

All diese Beobachtungen machen deutlich, dass es sich vor allem beim postponierten

unflektierten Adjektiv definitiv um ein produktives Muster in der Gegenwartssprache des

Deutschen handelt, da die markierte Stellung einen Mehrwert generiert, sei es auf

semantischer, pragmatischer oder stilistischer Ebene.

33

6. Literaturverzeichnis

Baumgart, Manuela (1992): Die Sprache der Anzeigenwerbung. Eine linguistische Analyse

aktueller Werbeslogans. Heidelberg: Physica-Verlag (= Konsum und Verhalten 37).

Best, Karl-Heinz/Zhu, Jinyang (1993): Stellung und Flexion der Adjektive im nominalen

Satzglied. In: Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift für Theorie und Praxis des

Deutschunterrichts für Ausländer 30/1, S. 17–23.

Brommer, Sarah (2005): Wenn der Ritter gut mit dem Mägdlein schön im Grase tief…

Postnominale Adjektive in der Lyrik des Neuhochdeutschen. In: Muttersprache 115/2, S.

119–141.

Duden (2005): Die Grammatik. Hrsg. von der Dudenredaktion. 7., völlig neu erarbeitete und

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