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Die Wilden von der Empress of Sea+

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SeewölfeSeewölfeKosaren der Weltmeere

Nr.600

Davis J. Harbord

Die Wilden von der ›Empress of

Sea‹Seeabenteuer-Roman

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März 1598 – die Schebecke der Arwenacks ankerte in ei-ner versteckten Bucht nördlich von Lissabon. Die Kerle feierten an diesem Abend, daß sich die Schiffsbalken bo-gen. Gründe hatten sie genug. Der eine war der, daß sie ihren Profos aus den Klauen der unheiligen Mönche vom Rio Tejo befreit hatten. Der anderen Grund beruhte auf dem schlichten Argument des Profos, die Crew müsse unbedingt von dem Rotwein und dem Rum probieren, den er in der Kneipe in Lissabon eingekauft hatte, bevor er von den Mönchen überfallen worden war. Die Kerle bauten also auf die Pauke, was das Zeug hielt, und sie lobpreisten ihren Profos ob der Güte des Rotweins und des Rums. Wer die Sprache auf die alte ›Empress of Sea‹ – jenes Wunderschiff des Old Donegal O'Flynn – brachte, war später nicht mehr zu klären, aber für den Profos war es das Stichwort, den alten Zamel grinsend zu fragen, wo der Torfkahn eigentlich abgeblieben sei. Und da begann Old Donegal den Faden zu spornen…

Die Hauptpersonen des Romans:

Donegal Daniel O'Flynn – der Kapitän der ›Empress of Sea‹ weiß nicht, daß er mit seiner Mannschaft die letzte Fahrt antritt.

Sir John Killigrew – der Vizeadmiral von Cornwall hängt sein Fähnchen nach dem Wind und kassiert dann die Beute.

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Philip Hasard Killigrew – der Bastard verfolgt ein Ziel: Falmouth zu verlassen, denn er will nicht unter Strolchen leben.

Henry Tregwin – der Burghauptmann auf Arwenack Castle hält sich für besonders gerissen, aber sein Burgherr ist noch besser.

O'Leary – Sir Johns Bootsmann versucht sich an Philip Hasard Killlgrew, danach muß er einen Zahn ausspu-cken.

Brian Wolfe – der Decksälteste der ›Empress‹-Crew läßt die Hölle los, wenn sein Kapitän angegriffen wird.

1.

2. September 1576, nachmittags, Falmouth in Cornwall.Der Wächter auf Pendennis Point, der äußersten Spitze

auf der Landzunge, an der die Hafenstadt liegt, stieß in das Signalhorn, und es klang wie das urige Brüllen eines Leitbullen für seine Herde.

Die Frauen, Kinder und alten Leute in Falmouth zuck-ten zusammen und lauschten. Und sie zählten, denn wenn der Wächter fünfmal in das Horn stieß, dann hatte er spanische Schiffe gesichtet, die auf den Hafen zuhiel-ten.

Das bedeutete, sofort mit Kind und Kegel, Sack und Pack in die Burg zu flüchten – Arwenack Castle, wo die Killigrews seit Urväter Zeiten hausten und nun die Pflicht

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hatten, Hafen und Stadt zu verteidigen.Aber der Wächter stieß nur dreimal in sein Horn, und

damit kündigte er die Rückkehr John Killigrews an, des Vizeadmirals von Cornwall.

Richtig! Vor fünf Tagen war Sir John mit seinen drei Ka-ravellen ausgelaufen – und einer vierten Karavelle, näm-lich der ›Empress of Sea‹ des Kapitäns Donegal Daniel O'F-lynn. Denn da hatten Agenten spanische Handelsschiffe auf dem Weg nach Irland gemeldet.

Wenn solche Meldungen auf Arwenack Castle eintrafen, gab es für Sir John aus der alten Seeräubersippe der Killi-grews kein Halten. Nicht einmal eine knackige und noch so raffinierte Dirne hätte den alten lüsternen Bock im Bett noch fesseln können – er wäre sogar im Untergewand auf sein Flaggschiff, die ›Arwenack Castle‹, gestürmt, um so-fort auslaufen zu können.

Sie kehrten also zurück, und das war fast noch schlim-mer, als wenn der Wächter einen spanischen Flottenver-band im Anmarsch gemeldet hätte.

Die Mütter ehrbarer Jungfrauen verfügten ihre Töchter sofort und energisch hinter die Sicherheit verschließbarer Türen, ebenso natürlich die kleinen Mädchen und Jungen, die in ihrer kindlichen Unbefangenheit nicht unbedingt Zeugen dessen sein mußten, was Sir John und seine Kerle alles in den Hafenkneipen anstellten, wenn sie als beute-beladene Sieger heimkehrten.

Nun ja, und da war Kapitän O'Flynn mit seiner fünf-zehnköpfigen Crew von rauhbeinigen, salzwasserge-tränkten Gesellen, die von den Falmouther Bürgern die

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Wilden von der ›Empress of Sea‹ genannt wurden. Wenn sie nicht gerade dem Teufel beide Ohren absegelten, dann waren sie der Schrecken der Kneipenwirte von Falmouth oder Penzance oder Truro, und auch sie sorgten dafür, daß die Jungfrauen der genannten Häfen nicht als solche ihr Leben beendeten – mitnichten.

Nur gab es da einen sehr feinen, aber bedeutenden Un-terschied der ›Empress‹-Crew zu Sir Johns Kerlen auf den drei Karavellen. Die Gesellen des Kapitäns O'Flynn waren in ihrem Kern von lauterem Gold, zwar wild, aber alles in allem anständige Burschen. Denn sie sorgten für jene Jungfrauen, die es nicht mehr waren und nach neun Mo-naten das Ergebnis zärtlicher oder rauschender Nächte zur Welt brachten.

Darauf pochte schon der eiserne Kapitän O'Flynn, der nicht zuließ, daß ein Mädchen in Schande von seinen El-tern verstoßen würde. O nein, wenn ein Solcher Fall ein-getreten war, dann hämmerte er mit seinem Holzbein an die Tür des betreffenden Elternhauses und erstickte jegli-chen Protest mit einem Säckchen voller Goldmünzen, das er auf den Tisch des Hauses knallte – mit der Maßgabe, es nutzbringend für den neuen Erdenbürger und seine Mut-ter anzulegen.

Klar war er ein Schlitzohr und hatte die Münzen bei al-len seinen Kerlen einkassiert – bei allen, wohlgemerkt, weil sie sich manchmal über die Vaterschaft nicht einig waren. Und – aber das wußte keiner – auch aus seiner Pri-vatschatulle hatte er dem Säckchen nicht eben wenig hin-zugefügt.

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Natürlich hatte er auch Ehen gestiftet, dieser kauzige gute Geist der ›Empress of Sea‹, der sieben Söhne und eine Tochter hatte und Witwer war. Bei der Geburt seines jüngsten Sohnes – Donegal Daniel O'Flynn – war seine Frau gestorben.

Damals, vor sechzehn Jahren, hatte er sich tagelang im Haus der O'Flynns im Hafen eingeschlossen und mit sich gehadert. Damals auch waren seine Haare weiß gewor-den.

Eins stand jedenfalls fest: Die O'Flynn-Sippe war in Fal-mouth geachtet, insbesondere Kapitän O'Flynn. Und es gab nicht wenige Mütter und Väter in Falmouth, die ins-geheim ihren Töchtern einen Mann und werdenden Vater aus der ›Empress‹-Crew wünschten, weil sie sicher waren, daß diese Tochter – ob verehelicht oder nicht – keine arme Kirchenmaus sein würde.

Das war eben der sehr feine, aber bedeutsame Unter-schied zu Sir John, zu seinen drei Ferkelsöhnen und zu den Besatzungen seiner drei Karavellen. Wenn die ›Em-press‹-Gesellen die Wilden von der ›Empress of Sea‹ genannt wurden, so hießen die Kerle von den drei Karavellen die Wüsten von Arwenack Castle. Das besagte schon alles.

Es gab da nur eine Ausnahme; Das war der vierte Sohn von Sir John und Lady Anne – Philip Hasard Killigrew, der in der stürmischen Neujahrsnacht vor zwanzig Jahren angeblich von Lady Anne geboren worden sein sollte, aber man hatte nicht gesehen, daß sie gesegneten Leibes gewesen war, und es ging das Gerücht um, er wäre ein Findelkind und einziger Überlebender einer deutschen

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Hanse-Kogge, die in dieser stürmischen Nacht im Hafen Schutz gesucht hatte, aber vom Burghauptmann Von Ar-wenack Castle und seinen Kerlen auf Anstiften Lady An-nes hin überfallen, ausgeplündert und später nach Irland verkauft worden wäre.

Fest stand jedenfalls, daß Philip Hasard Killigrew das genaue Gegenteil von seinen drei Ferkelbrüdern war – äußerlich und charakterlich.

Noch etwas ist an dieser Stelle anzumerken.Zwar war Kapitän O'Flynn ein freier Mann, aber Sir

John konnte ihm als von der Königin eingesetzter Vizead-miral von Cornwall Befehle erteilen, wenn es um die Si-cherheit und Verteidigung der englischen Küste ging, die häufig genug – besonders in letzter Zeit – Ziel spanischer Angriffe gewesen war.

Es gab da gewisse Beziehungen – auch merkantiler Art – zwischen Spanien und Irland. Die Achillesferse dieser Be-ziehungen war der Seeweg von Spanien nach Irland und umgekehrt, der nämlich auf der Höhe der Scilly-Inseln seinen neuralgischen Punkt, hatte. Denn dort pflegten die Schnapphähne von Cornwall auf der Lauer zu liegen und zuzuschlagen.

Die Order Ihrer Majestät der Königin für die Sicherheit der Küste legte Sir John sehr großzügig aus. Auf gut eng-lisch gesagt, gab sie ihm die Möglichkeit, nach Lust und Laune dem einträglichen Geschäft des Seeraubs nachzu-gehen. Insofern konnte er dem Kapitän O'Flynn jederzeit befehlen, ihm mit seiner ›Empress of Sea‹ zwecks Sicherung der kornischen Küste zur Verfügung zu stehen.

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Das heißt – wenn jemand dumm fragte die ›Empress of Sea‹ wurde von Sir John zum Wachdienst vor der Küste eingesetzt, tatsächlich aber diente sie dazu, seinen eige-nen Verband von drei Karavellen zu verstärken, wenn spanische Schiffe gemeldet wurden, die es zu rupfen galt.

Nun war der Kapitän O'Flynn ein sehr eigensinniger Mann, dem es ganz gewaltig stank, von Sir John, diesem Kotzbrocken, herumkommandiert zu werden. Hinzu kam die Tatsache, daß sich der Sir in brenzligen Situationen bei Gefechten auf See tunlichst mit seiner verdammten ›Arwenack Castle‹ zurückzuhalten pflegte und die ›Em-press of Sea‹ mit ihren Draufgängern an Bord die Kastani-en aus dem Feuer zu holen hatte.

Im krassen Mißverhältnis dazu stand die andere Tatsa-che, daß Sir John bei der späteren Verteilung der Beute keineswegs Zurückhaltung übte, sondern den Löwenan-teil stets für sich beanspruchte.

Das heißt, Kapitän O'Flynn und seine Kerle durften die Knochen hinhalten, aber die süßesten Früchte erntete Sir John. Und geradezu unerträglich war die Großmäüligkeit von dem Sir, seinen drei Ferkelsöhnen und den Rabauken auf den drei Karavellen, wenn sie – zurück vom Beutezug – an Land herumstrunzten, was sie mal wieder für tolle Hechte gewesen seien. Natürlich waren sie es gewesen, die dem Feind das Fürchten beigebracht und das Gefecht auf Biegen und Brechen durchgeschlagen hatten.

Seltsamerweise waren jedoch die Wilden von der ›Em-press of Sea‹ mit Narben bedeckt, und gleiches galt für ih-ren Dreimaster, dieses alte Schlachtroß, das deutlich sicht-

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bar die Spuren vieler Kämpfe trug – allein das Schanz-kleid war Hunderte von Malen geflickt worden, von den Spieren gar nicht zu reden.

Demgegenüber konnte man bei den Maulhelden Sir Johns wenig entdecken, was auf wilde Kämpfe hindeute-te, und seine drei Karavellen sahen auch nicht so aus, als seien sie das Ziel feindlicher Kanonenkugeln gewesen, die ›Arwenack Castle‹ schon gar nicht.

Dafür jedoch war die ›Empress of Sea‹ ein Schmuckstück an Sauberkeit, was man von den drei Killigrew-Karavel-len nun keinesfalls behaupten konnte – und auch nicht von ihren Kerlen. Die richteten sich wiederum nach ihrem Vorbild, dem Vizeadmiral, der mit seinem schmutzigen und bekleckerten Hemd, dem speckigen Lederwams, den schmutzigen Hosen und dem ungewaschenen Hals eher einem Räuberhauptmann glich.

Die Bürger von Falmouth waren nicht blind, und ihre Sympathien lagen eindeutig auf Seiten Kapitän O'Flynns und seiner Mannen, auch wenn sie eine wilde Bande wa-ren. Den Vizeadmiral und seine wüste Horde samt den drei Ferkelsöhnen hätten sie am liebsten zum Teufel ge-wünscht – mit Ausnahme des Philip Hasard Killigrew.

Die ehrbaren Jungfrauen, die Mädchen und Jungen von Falmouth verschwanden also nach dem dreifachen Horn-signal des Wächters in den Häusern, was die Jungfern, Buben und Mädchen allerdings nicht hinderte, neugierig, aber versteckt aus den Fenstern zum Hafen zu lugen, wo sich wieder einiges abspielen würde. Und die Jungfern seufzten verhalten. Oder sie kicherten, weil es so schön

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prickelnd war, die Mannsbilder zu beobachten, unter de-nen nicht nur wilde und wüste, sondern auch prächtige Kerle waren.

Der prächtigsten einer war Philip Hasard Killigrew.Von Arwenack Castle indessen zogen an die zehn Burg-

knechte hinunter zum Hafen. Sie führten einige Maultiere mit sich, auf denen Tragegestelle verzurrt waren. Denn si-cher brachte Sir John wieder Beute von See mit, reiche Beute, denn der Vizeadmiral ließ nichts aus, was irgend-wie in Talerchen umzusetzen war.

Vor drei Monaten hatte er bei den Scillies ein nach Ir-land segelndes Handelsschiff aufgebracht, das kistenwei-se weibliche Bekleidung geladen hatte – Unterhemden, Strümpfe aus gestrickter Seide mit Strumpfbändern, Kor-setts, die wahren Lederharnischen glichen, Leibchen, Rei-fengestelle, Unterröcke, Oberkleider, Halskrausen, Ban-dagen und Hütchen!

Olala!Sir John, seine Ferkelsöhne und die Kerle der ›Arwenack

Castle‹ waren schon betrunken gewesen, als das Flagg-schiff an die Pier gesteuert wurde – mit einem wüsten Bums, versteht sich.

Und sie hatten sich mit der Beute kostümiert! Die hatten ausgesehen wie eine Horde wilder Affen und sich auch so aufgeführt. Sogar an den langen Rahruten der Karavelle hatten Sie Unterröcke vor geheißt.

Die waren mit der neusten Mode aus Spanien umgegan-gen wie die Wandalen. War ja genug an Bord. Aber es war schon eine Schande. Sir John hatte auf der Pier einen

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obszönen Tanz aufgeführt, bekleidet mit Korsett, ausge-polstertem Busen, in Seidenstrümpfen und mit einem ver-rückten Hütchen auf seinem rothaarigen Kürbisschädel. Er war so blau gewesen, daß er fast von der Pier ins Ha-fenbecken gestürzt wäre.

Die Hafenhuren hatten vor Wonne gekreischt.Oben auf Arwenack Castle hatte Lady Anne Killigrew,

geborene Wolverstone, erbittert das Fenster zugeschmet-tert, durch das sie mit einem Spektiv die Ankunft ihres Gatten beobachtet hatte.

Sie hatte nichts – nicht einmal eine Bandage – von dem Beutegut erhalten. Was Sir John in seinem Suff nicht an die Hafenhuren verschenkt hatte, das war von ihm, als man ihn wieder als einigermaßen nüchtern bezeichnen konnte, zu Höchstpreisen an Mister Applewhite verhö-kert worden. Mister Applewhite handelte in Falmouth mit allem, was überhaupt zu verkaufen war – und sei es Läuseblut als Wundermittel für die Stärkung der Mannes-kraft.

Aber bei modischer Bekleidung aus Spanien brauchte Mister Applewhite wegen der Höchstpreise Sir Johns nicht das Zittern oder Schlaganfälle zu kriegen. Die wur-de er sogar los, wenn er das Doppelte drauf schlug. Die ging weg wie Dünnpfiff.

Was für die irischen Weiber gut sein sollte, das sollte man den kornischen Ladys vorenthalten? Nichts da! Und die kornischen Ehemänner – jene, die betucht waren – griffen zu, um ihre besseren Ehehälften modisch gekleidet zu sehen. Man mußte doch zeigen, wer man war.

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Was würde es wohl diesmal sein?Aus dem Haus Kapitän O'Flynns huschte ein etwa fünf-

zehn- bis sechzehnjähriger Junge, hellblond, langschäde-lig, schmaler Mund, festet, etwas trotziges Kinn, gerade Nase, aber noch ein wenig stupsig. Auffallend waren sei-ne hellen Augen in dem schmalen, sommersprossigen Ge-sicht.

Er verhielt, als die Maultiere mit den Burgknechten die Hafengasse versperrten. Ein Funkeln trat in seine hellen Augen. Er schob die Hände in die Hosentaschen und spuckte verächtlich zur Seite. Als ihn der Blick eines Burgknechtes streifte, starrte er unbeteiligt in den Him-mel.

Kaum waren Maultiere und Knechte an ihm vorbei und am Ende der Gasse, nahm er die Hände aus den Taschen. Jetzt hatte er in der Rechten eine Steinschleuder und in der Linken einen Kieselstein. Er blickte sich kurz um, war aber unbeobachtet, legte den Stein in die Schleuder, schwang sie und schoß den Kiesel ab.

Auf den Treffer wartete er nicht. Er glitt um die Ecke, nahm die Beine in die Hand und fegte durch eine andere Gasse hinunter zum Hafen.

Der Kiesel traf die linke Hinterhand des letzten Maulesels. Das Tier protestierte mit einem schrillen Trompetenton, warf den Kopf hoch und sprang mit ei-nem wilden Satz dem vor ihm trottenden Maultier fast aufs Kreuz. Der Kerl, der das getroffene Tier am kurzen Zügel geführt hatte, wurde umgerissen und mitgeschleift, weil er den Zügel nicht losließ. Er brüllte wie am Spieß,

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was sich keineswegs auf Tier und Mensch beruhigend auswirkte.

Kurz, der Treffer mit dem Kiesel erzielte genau die Fol-gen, die das hellhaarige Bürschchen beabsichtigt hatte. Eine Art Stampede brach unter den Viechern aus.

Sie tobten los, bockten vorn und hinten, verstärkten die Trompetenmusik des getroffenen Tieres, überrannten ihre Betreuer, keilten nach allen Seiten und fegten dorthin, wo Platz war – hinunter zum Hafen. Im nu verteilten sie sich. Zwei donnerten über die Pier, setzten von dort auf den Strand und fegten am Ufer entlang, drei schlugen sich seitwärts ins Dünengelände, zwei andere wiederum durchbrachen einen Zaun am Hafenrand und zertrampel-ten einen Gemüsegarten, in dem Kohl angepflanzt war, und eins verfing sich hoffnungslos in einem ausgespann-ten Fischernetz, das dabei zum Teufel ging.

Das Bürschchen hieß Donegal Daniel O'Flynn und saß zu diesem Zeitpunkt bereits mit Unschuldsmiene auf ei-nem steinernen Poller am Rand der Pier, wo die ›Empress of Sea‹ ihren Liegeplatz hatte. Es drehte Däumchen und spähte mit scharfen Augen seewärts, von wo die vier Ka-ravellen, hart am Wind liegend, auf die Hafeneinfahrt zu-hielten.

Am Hafen erschienen humpelnd und fluchend die Burgknechte. Sie waren arg zerbeult und zerrupft. Und schon begann das Theater. Die erste, die loszeterte, war die alte Odelia Footmaker, die Haare auf den Zähnen und einen Knüppel in der Faust hatte. Ihr gehörte der Gemü-segarten. Er war sozusagen ihr ein und alles.

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Furchtlos ging sie die beiden Maultiere an und drosch sie mit ihrem Knüppel aus dem verwüsteten Garten, und dann waren die Burgknechte an der Reihe.

»Ihr Saukerle!« schrie sie empört und schwang den Knüppel. »Seid ihr zu dämlich, auf eure Mistviecher aufzupassen? Mei-ne Kohlpflanzen sind zerstört, und wer ersetzt mir den Scha-den?«

»Scheiß auf deinen Kohl«, sagte einer der Kerle. Er hieß Dudley, und ihm unterstanden die Maultiere auf Arwen-ack Castle.

Er hatte kaum ausgesprochen, da knallte ihm Odelia Footmakers Knüppel an den Hals, und er geriet ins Tru-deln, ganz abgesehen davon, daß er Schwierigkeiten mit dem Luftschnappen hatte. Die alte Footmaker drosch wei-ter drauflos, und als Dudley keuchend und würgend an Donegal O'Flynn vorbeitorkelte, streckte dieser blitz-schnell den linken Fuß vor.

Dudley stolperte, konnte sich nicht mehr fangen und sauste kopfüber ins Wasser.

»Danke, Dan«, sagte Odelia Footmaker.»Gern geschehen, Ma'am«, sagte Donegal Daniel O'F-

lynn artig und schielte nach links, wo Dudley im Wasser herumzappelte und noch mehr Atemnot hatte, weil ihm Wasser in die verkehrte Kehle geraten war – der blöde Hund! Jeder wußte, daß man das Maul schließen mußte, wenn man ins Wasser fiel, aber Dudley hatte es aufgeris-sen.

Donegal Daniel O'Flynn kalkulierte kühl die eigenen Chancen. Wenn Dudley wieder auf der Pier erschien –

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dazu mußte er erst an Land schwimmen –, würde er abzi-schen müssen und konnte nicht die Leinen von der ›Em-press‹ wahrnehmen, wie er es immer tat, wenn das Schiff seines Vaters einlief.

Aber es bestand keine Gefahr. Auf dem Plan war Barry Burnaway mit seinen drei Söhnen erschienen – alle vier Klötze Von Kerlen. Den Burnaways gehörte die Schalup-pe im Hafen – und mehrere Dorys, mit denen sie Fisch-fang betrieben. Es war ihr Netz, in das der Maulesel ge-rast war.

Während Odelia Footmaker bereits die anderen Burg-knechte attackierte, die vor der tobenden Alten zurückwi-chen und nicht wußten, was sie tun sollten, weil Dudley fehlte, bauten sich die vier Schränke am Strand auf, um diesen in Empfang zu nehmen. An ihren grimmigen Mie-nen war abzulesen, daß es kein freundlicher Empfang sein würde.

Dudley war viel zu durcheinander, um das zu bemer-ken. Außerdem hatte er Stroh im Kopf, was aber auch kein Wunder war, denn wer bei Sir John diente, mußte ein bißchen blöd im Kopf sein. Das Wunder war nur, daß sich die Kerle von Arwenack Castle für weiß was Beson-deres hielten und das auch ständig herauskehrten.

Als Dudley an Land watete, versperrte ihm Barry Bur-naway den Weg zur Pier und hielt ihm die offene Hand hin.

»Du schuldest mir zehn Pfund für das zerrissene Netz, Dudley«, sagte er mit seiner tiefen Stimme, die jetzt grol-lend klang.

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Zu ihm konnte Dudley nicht sagen: Scheiß auf dein Netz! Aber er war blöd genug, zu sagen: »Das kannst du ja wieder flicken. Im Winter tut ihr doch sowieso nichts anderes.«

»Was. wir im Winter tun oder nicht, geht dich eine feuchte Qualle an, Dudley«, sagte Barry Burnaway und schob ihm die mächtige Faust mitten ins Gesicht, mit Dampf, versteht sich, Dudleys Nase nahm eine andere Form an. Sie war ein Zinken gewesen. Jetzt glich sie ei-nem Pfannkuchen. Im übrigen flog er dieses Mal rück-lings ins Wasser. Und er jaulte den Himmel über Fal-mouth an, verschluckte sich prompt im Wasser und erlitt einen Erstickungsanfall.

Zu diesem Zeitpunkt machten die vier Burnaways Front zu den anstürmenden Kerlen, die sich entschlossen hat-ten, Dudley zu Hilfe zu eilen. Sie waren noch blöder als Dudley, denn statt sich jetzt herumzuprügeln, wären sie besser schleunigst auf die Suche nach ihren Maultieren gegangen. Die Karavellen standen nicht mehr weit vor der Hafeneinfahrt, und Sir John liebte es ganz und gar nicht, auf so etwas Lausiges wie seine Knechte zu warten.

Der jüngste Sproß des KapitänsO'Flynn feixte bis zu den Ohren und schaute interessiert

zu, wie die Burgknechte von den vier Schränken abgeta-kelt wurden. Klar doch, die Burnaway-Sippe hatte oft ge-nug mit der O'Flynn-Sippe in Fehde gelegen. Die Burna-ways fischten seit Generationen, und die O'Flynns fuhren seit Generationen über See, um in anderen Häfen einzu-kaufen, was es im eigenen Land nicht gab. Wo Kapitän

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O'Flynn überall mit seiner ›Empress of Sea‹ gewesen war, das lag bereits jenseits der bekannten Horizonte.

Die O'Flynns wagten eben mehr.Aber die Burnaways waren auch keine Chorknaben. Do-

negal Daniel O'Flynn hatte bei ihnen anmustern wollen, aber das hatte der Alte strikt verboten – aus welchen Gründen auch immer.

Es hinderte Donegal Daniel O'Flynn nicht, für die Bur-naways Sympathie zu empfinden, als jetzt die Fäuste flo-gen. Wenn es gegen die da oben von Arwenack Castle ging, dann gab es zwischen den Sippen von denen da un-ten in Falmouth keine Fehden mehr. Dann hielten die da unten eisern und wie Pech und Schwefel zusammen.

Die Burnaways am Strand standen wie eine Mauer, und wenn sie sonst Fischgründe abräumten, dann räumten sie jetzt die da oben ab. Vier Männer gegen neun Burgknechte – es focht sie nicht an.

Als die ›Arwenack Castle‹ in den Hafen einlief, lagen die neun Kerle wie ausgemergelte Mehlsäcke am Strand, einen zehnten Mehlsack warf Barry Burnaway verächtlich hinzu, nachdem er Dudleys Pfannkuchen noch einmal verbreitert hatte. So flach war noch nie ein Pfannkuchen gewesen.

2.

Donegal Daniel O'Flynns Gesicht vereiste, als er den

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Kopfverband bei seinem Vater sah. Das Weiß des Leinens zeigte rote Stellen. Und die Hausflagge der O'Flynns an der Besamrute war auf Halbmast gesetzt – dieser lange rote Wimpel, den am Flaggenliek eine weiße Rose zierte. Dan O'Flynns Mutter hatte weiße Rosen geliebt, und so war dieses Symbol zur Kapitänsflagge seines Vaters ge-worden.

»He! Schlaf nicht ein, O'Flynn!« dröhnte eine Stimme über die Pier. »Nimm unsere Leinen wahr, verdammt noch mal!«

Dan O'Flynn zuckte zusammen und starrte in die rohe Holzhackervisage O'Learys, des Bootsmanns auf der ›Ar-wenack Castle‹, der am Bug stand und die Wurfleine schwang, an der die Vorderleine angesteckt war.

Wut flammte in Dan O'Flynn hoch.»Ich bin nicht für die Arbeit eurer Knechte da!« schrie er

zurück. »Sucht euch einen anderen Blödian, ihr habt doch genug davon!« Und er wich der Wurfleine aus, die auf ihn zuzüngelte.

Das Ledersäckchen mit der Sandfüllung, an dem die Wurfleine fest angenäht war, klatschte neben ihm auf die Bohlen der Pier und rutschte zurück an die Pierkante, ge-zogen vom Gewicht der durchhängenden Wurfleine.

»Ich soll dir wohl den Arsch Versohlen, du Rotznase!« brüllte O'Leary, und seine Visage färbte sich rot, als das Ledersäckchen von der Pierkante ins Wasser platschte. Hastig holte er die Wurfleine Hand über Hand hoch und schoß sie auf, um noch einmal zu werfen.

Das Anlegemanöver war vermasselt.

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Sir John, der an der Pinne der ›Arwenack Castle‹ stand, schor wieder von der Pier ab, drehte nach Steuerbord und geriet vor den Bug der ›Cornwall‹, die hinter ihm hatte einlaufen wollen. Es splitterte und krachte, und schon waren ›Arwenack Castle‹ und ›Cornwall‹ ineinander ver-keilt, der Bug der ›Cornwall‹ in der Steuerbordseite mitt-schiffs der ›Arwenack Castle‹.

Sir John wurde von einem Hieb der ausschlagenden Pinne von den Füßen geholt, O'Leary, der nicht aufgepaßt hatte, flog bei der Wucht der Ramming außenbords.

Donegal Daniel O'Flynn grinste höhnisch.Dazu hatte er allen Grund. Denn die Kerle auf der ›Lady

Anne‹, der dritten Karavelle Sir Johns, die von John Mal-colm Killigrew, dem ältesten Ferkelsöhn, gesteuert wur-de, brüllten zwar nach achtern, er solle weit nach Steuer-bord halten, aber John Malcolm reagierte viel zu langsam, und so vereinte sich die ›Lady Anne‹ mit protestierendem Krachen mit der ›Arwenack Castle‹ Und der ›Cornwall‹.

Einzig die ›Empress of Sea‹ steuerte elegant an der Ram-ming der drei Karavellen vorbei, zog eine Schleife und glitt mit aufgegeiten Segeln an ihren Liegeplatz, wo Dan O'Flynn die Leinen wahrnahm und sekundenschnell be-legte. Und als er wieder aufschaute, sah er die Gefechts-schäden auf dem Schiff seines Vaters.

Er sah noch mehr, nämlich die abgedeckte Bahre auf dem Achterschiff. Und er sah das versteinerte Gesicht sei-nes Vaters, den Schmerz in dessen hellen Augen und die fest zusammengepreßten, schmalen Lippen.

Und da wußte er, daß Amos Donegal O'Flynn, sein äl-

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tester Bruder, unter dem Leinentuch auf dieser Bahre lag.Amos!Der lachende, wilde Amos, der immer im Bug der ›Em-

press of Sea‹ gestanden und so stürmisch gewinkt hatte, wenn sie einliefen von ihren Raids. Amos, der Bootsmann des Vaters, der Kerl, dem alle Weiber aus Falmouth nach-liefen, der wie ein Sturm war, stark, voller Leben, jauch-zend – und immer ein Sieger.

Und jetzt hatte der Tod gesiegt.Donegal Daniel O'Flynn biß die Zähne zusammen, daß

es knirschte. Die Bahre dort auf dem Achterdeck ver-schwamm vor seinen Augen. Mit einer trotzigen Bewe-gung wischte er die Tränen weg. Er drehte sich um und verließ mit schleppenden Schritten die Pier.

»Dan«, sagte Barry Burnaway mit seiner tiefen Stimme, und sie hatte einen weichen Klang, Und er hielt ihm die Hand entgegen.

Dan O'Flynn ging an ihm und seinen drei Söhnen vor-bei. Er wollte niemanden sehen. Er wollte allein sein.

War er nicht immer allein gewesen – ohne Mutter?

*

Auf den drei ineinanderhängenden Karavellen war die Wuhling perfekt. Sir John hatte sich wieder aufgerappelt und tobte wie ein Irrer herum. Der dümmliche Thomas Lionel Killigrew, sein jüngster Ferkelsohn, stand ihm im Weg und kriegte eine geschmiert, daß er davonkreiselte,

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über eine Taurolle stolperte, stürzte und mit seinem Kür-biskopf, der dem seines Vaters glich, ans Backbord-schanzkleid prallte. Er verdrehte die Augen und nippelte für eine Weile ab.

Indessen trieben die drei Karavellen bei dem Wind aus Nordnordosten auf die Pier zu und damit in gefährliche Nähe des Hecks der bereits vertäuten ›Empress of Sea‹.

Da setzte Philip Hasard Killigrew mit einem gewaltigen Sprung vom Bug der ›Arwenack Castle‹ hinüber auf die Pier. Mit sich führte er die Wurfleine, an der die Vorleine angesteckt war. Er landete federnd, war mit einem weite-ren Satz bei einem der anderen Steinpolier, holte die Wurfleine durch, bis die Vorleine bei ihm erschien, packte die Trosse, die auf der ›Arwenack Castle‹ bereits fest belegt war, schlang sie mit ein paar Törns um den Poller und stemmte sich gegen die Trosse, ein Bein am Poller abge-stützt.

Oh, er hatte die Kräfte von ein paar Ochsen, dieser junge Riese mit dem wilden schwarzen Haar und den eisblauen Äugen im scharfgeschnittenen Gesicht.

Die Trosse schnellte aus dem Wasser und kam steif. Jetzt hielt sie die drei Karavellen fest. Die Gefahr war ge-bannt, daß die drei Schiffe auch noch auf die ›Empress of Sea‹ krachten.

»Wir helfen ihm«, entschied Barry Burnaway und nickte seinen drei Söhnen zu. Mit ihm meinte Barry den jungen Riesen, der die vier Burnaways noch um Kopfeslänge überragte, und die waren nun wirklich keine Zwerge.

Der junge Riese hatte nämlich bereits drei Törns wieder

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gelöst und holte jetzt mit gewaltiger Kraft den Karavel-lenpulk Zoll um Zoll an die Pier – eine ungeheuerliche Kraftleistung. Die vier Burnaways spuckten in die Pran-ken und langten mit zu.

»Habt ihr Dudley und die Burgknechte versohlt?« fragte der Riese so nebenbei.

»Haben wir«, brummte Barry. »Was dagegen?«»Ich doch nicht«, sagte der Riese und grinste.Da grinsten auch die vier Burnaways.Barry sagte: »Aus irgendeinem Grund sind den Kerlen

die Maultiere durchgegangen, eins landete in einem unse-rer Netze. Als ich von Dudley Schadenersatz verlangte, erklärte er pampig, ich könne es ja wieder flicken, wir tä-ten im Winter ja sowieso nichts anderes. Für diese Ant-wort bezogen die Kerle ihre Prügel. Außerdem hatten zwei ihrer Maultiere den Kohl der alten Footmaker zer-trampelt, und auch dafür haben wir diese Bastarde ver-prügelt.«

»Recht so«, sagte Philip Hasard Killigrew.»Habt ihr draußen was erwischt?« fragte Barry.Das Gesicht des Riesen verdüsterte sich, und er warf

einen Blick hinüber zur ›Empress of Sea‹.»Er hat sie wieder ins Feuer geschickt und sich zurück-

gehalten«, erwiderte Philip Hasard Killigrew. »Dabei ist Amos gefallen. Das hat Kapitän O'Flynn und seine Män-ner entfesselt. Sie haben zwei spanische Kriegskaravellen niedergekämpft und sind wie die Berserker über eine Handelskaracke hergefallen.«

Wer mit Er gemeint war, brauchte der Riese nicht zu er-

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klären. Sie wußten, daß er Sir John meinte.»Sauerei«, knurrte Barry Burnaway. »Wie lange läßt sich

O'Flynn das noch gefallen?«»Das frage ich mich auch«, erwiderte der Riese.Sie hatten die drei Karavellen an die Pier gezogen, und

er belegte die Trosse.Ein Wunder, daß die ›Arwenack Castle‹ nicht abgesoffen

war. Aber ihr Unterwasserschiff war nicht beschädigt worden, Das Schanzkleid an Steuerbord war eingedrückt sowie zwei Seitenplanken unter der Scheuerleiste.

O'Leary, noch triefend naß, hatte sich wieder auf die ›Arwenack Castle‹ gezogen und sorgte brüllend dafür, die drei Karavellen voneinander zu lösen. Wie immer sprang er ruppig mit dem Schiffsvolk um.

Sir John stieg fluchend an Land und stiefelte über die Pier zur ›Empress of Sea‹.

Noch nicht ganz angelangt, brüllte er auch schon los: »Dein Bengel hat unsere Leinen nicht wahrgenommen, O'Flynn! Darum ist das alles passiert, und du wirst den Schaden bezahlen, oder der Teufel soll dich holen!«

Kapitän O'Flynn trat ans Schanzkleid und stützte sich auf. Sein Gesicht war eisig.

»Mein Sohn ist nicht Ihr Leinenkuli, Admiral«, sagte er bissig, »er war es noch nie. Und zu fragen ist, wo denn Ihre Knechte waren, die sonst Ihre Leinen wahrnehmen. Ferner: Wären Sie der Ihnen folgenden ›Cornwall‹ nicht vor den Bug geschoren, hätte es keine Ramming gegeben. Von mir erhalten Sie keinen Penny für das, was Sie selbst zu verantworten haben. Und ob mich der Teufel holt, ent-

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scheiden nicht Sie, sondern der da oben!« Und Kapitän O'Flynn deutete mit dem Daumen zum Himmel.

»Wie sprichst du denn mit mir?« tobte Sir John.»Lassen Sie mich zufrieden, Admiral«, sagte Kapitän

O'Flynn erbittert. »Ich habe Arnos verloren – weil Sie es mal wieder vorzogen, zuzuschauen und sich außerhalb des feindlichen Feuers zu halten.«

»Wo gehobelt wird, fallen Späne!« sagte Sir John grob.Bei Kapitän O'Flynn schwoll die Stirnader an. »Richtig,

nur nie Ihre Späne, Admiral, die packen Sie ja auch vor-her in Watte, nicht wahr?«

»Verbitte mir unsachliche Bemerkungen!« knurrte Sir John.

»Ich habe nur auf Ihre unsachliche Bemerkung über Ho-bel und Späne geantwortet«, entgegnete Kapitän O'Flynn.

»Wenn du frech wirst, O'Flynn«, blaffte Sir John, »laß ich deinen Kahn an die Kette legen!«

»Ach ja?« höhnte Kapitän O'Flynn. Er drehte sich zu sei-nen Männern um. »Habt ihr das gehört, Kerls? Er will die ›Empress‹ an die Kette legen! Fragt sich nur, wer dann für ihn die Kastanien aus dem Feuer holt!«

Sir John schnappte nach Luft und brüllte: »Ich soll euch wohl alle in den Turm sperren, wie?«

»Versuchen Sie's doch mal«, sagte Kapitän O'Flynn grimmig. »Nur lösen Sie damit nicht Ihr Problem, wer für Sie draußen auf See kämpfen soll. Vielleicht Ihr Ältester, John Malcolm? Der ist doch zu dämlich, einer Ramming auszuweichen. Ah! Da stehen Ihnen lausige Zeiten bevor, Admiral!«

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»Hüte deine Zunge, O'Flynn!« kreischte Sir John.»Das haben Sie herausgefordert, Sir«, sagte hinter ihm

eine kühle Stimme.Sir John ruckte herum und lief rot an. Vor ihm stand

Philip Hasard Killigrew, zu dem er hochschauen mußte.»Verschwinde, du Bastard!« zischte er. »Hast du an

Bord nichts zu tun?«Der junge Riese ignorierte die Frage und blickte zu Ka-

pitän O'Flynn.»Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen, Sir«, sagte

er. »Bitte lassen Sie mich wissen, wann Amos beerdigt wird. Ich glaube, wir wären gute Freunde geworden…«

»Da gehst du nicht hin!« fuhr ihn Sir John an.Der junge Riese runzelte die Stirn und sagte kühl: »Das

ist meine Entscheidung, Sir, nicht Ihre!« Und verächtlich fügte er hinzu: »Und Sie sind der letzte, der mich daran hindern wird. Sollten Sie das wagen«, er legte die Rechte auf den Degengriff an seiner Seite, »dann erhalten Sie hiermit die Antwort, und ich schätze, daß Sie kaum eine Chance haben. Aber das wissen Sie wohl selbst.«

»Du drohst deinem Vater?« zischte Sir John.»Ich habe Sie nur gewarnt, Sir«, erwiderte der junge Rie-

se, »denn Sie haben kein Recht, mir eine Christenpflicht zu verbieten. Amos O'Flynn ist auch für die Killigrews gefallen. Da gebietet es mir die Achtung vor dem Toten, ihn auf dem Weg zu seiner letzten Ruhestätte zu beglei-ten.«

»Werd doch gleich Pastor von Falmouth«, sagte Sir John roh, »da kannst du dann genug herumsalbadern.« Kaum

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hatte er ausgesprochen, trat er hastig zwei Schritte zu-rück. Der Ausdruck in den eisblauen Augen seines Soh-nes war mörderisch geworden, und er blieb es.

»Sie sind ein Schwein, Sir!« sagte der junge Riese. »Falls Sie sich beleidigt fühlen, können Sie jetzt Ihren Degen zie-hen, und wir tragen es gleich hier auf der Pier aus. Das er-spart Ihnen, mir zu verbieten, an der Bestattung von Amos O'Flynn teilzunehmen.«

»Du bist ja verrückt!« sagte Sir John keuchend und wich noch zwei Schritte zurück, den Blick stier auf die Rechte seines Sohnes gerichtet, die auf dem, Degengriff lag. »Das ist doch alles ein Irrtum – natürlich, äh, nehmen alle Killi-grews an der Trauerfeier teil, das, äh, ist doch selbstver-ständlich…«

»Bis auf Philip Hasard«, unterbrach ihn Kapitän O'F-lynn, »verzichte ich auf die Teilnahme der Killigrews, Ad-miral. Ihre Anwesenheit Würde ich als beleidigend emp-finden, zumal Sie weiter nichts als ein Heuchler sind.«

Auch diese Beleidigung schluckte John Killigrew – an-gesichts der rechten, sehr nervigen und kräftigen Hand seines Sohnes, die immer noch auf dem Degengriff ruhte, bereit, die Klinge herausklirren zu lassen. Und das mör-derische Funkeln in den eisblauen Augen hatte sich ver-stärkt.

John Killigrew wußte, daß dieser Sohn besser mit dem Degen war als er. Der Fechtmeister auf Arwenack Castle hatte resignierend erklärt, Philip Hasard sei schneller, härter – und tödlicher als alle Degenkämpfer, mit denen er es jemals als Meister seines Fachs zu tun gehabt hätte.

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Und er hatte es mit den Adligen in Italien, in Spanien und in Frankreich zu tun gehabt. Die Deutschen hatte er ausge-klammert, weil die den Säbel, bevorzugten.

Ja, und John Killigrew wußte auch, daß ihn nur noch ein paar Schritte vom Tod trennten. Denn keiner der Kerle auf seinen Schiffen konnte ihn retten, wenn er jetzt um Hilfe brüllte. Die waren alle zu beschäftigt, um die Kara-vellen voneinander zu trennen und an die Pier zu brin-gen. Bis dort einer reagierte – wenn überhaupt –, war er ein toter Mann. Sein Sohn, der nicht sein Sohn war, son-dern ein verfluchtes Findelkind, das Lady Ahne aus der Kogge aufgelesen und entzückt als ihr Baby ausgegeben hatte, dieser Sohn würde ihn kalt über die Klinge sprin-gen lassen – Amen!

»Amen«, sagte Sir John selbst am Ende dieser Gedan-kenkette, merkte, daß er sich verhaspelt hatte, und fügte stotternd hinzu: »Äh – da bleibt mir – da bleibt mir wohl – äh – nur, ein Amen für den tapferen Amos, der uns – äh – immer kühn voranschritt und der Feinde nie fürchtete, mochten derer auch noch so viele sein.« Er faltete die Hände über seiner Bauchwampe, richtete die Knollennase und den Blick seiner blaßblauen Augen zum Himmel und leierte: »O Herr, nimm unseren tapferen Amos gnädig auf und gewähre ihm Frieden bis an das Ende aller Zeiten Amen!«

Kapitän O'Flynn spuckte angewidert über Bord.Philip Hasard Killigrews Rechte löste sich von dem De-

gengriff, auf seinem harten, schmalen Gesicht erschien ein Ausdruck tiefsten Ekels.

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Er atmete aus und sagte fast teilnahmslos: »Das genügt wohl, Sir – hier glaubt Ihnen sowieso keiner. Amos O'F-lynn ist Ihnen völlig gleichgültig, ein Span, der abgeho-belt wurde, nicht wahr?«

»Wir sind alle Späne!« tönte Sir John, dankbar darüber, daß die Degenklinge seines Sohnes keinen Span von ihm abrasiert hatte. »Und nur der Herr im Himmel weiß, wo er den Hobel ansetzt. Doch viel zu früh traf es unseren Amos…«

»Er ist nicht Ihr Amos!« brüllte Kapitän O'Flynn.Sir John zuckte zusammen, wechselte jäh das Thema

und fragte lauernd: »Was hast du auf der Karacke erbeu-tet, O'Flynn!« Er rausperte sich und warf einen schnellen Blick hinüber zu seinen Karavellen. Doch da zerrten sie gerade die ›Lady Anne‹ von der ›Cornwall‹ weg. Er räus-perte sich noch einmal. »Na? Du weißt, daß ich verpflich-tet bin, die Beute an Ihre Majestät abzuführen, nicht wahr?«

Das war reiner Hohn, ganz zu schweigen von der Heu-chelei.

Das granitharte Gesicht Kapitän O'Flynns wurde aus-druckslos.

»Die Karacke hatte nichts Besonderes geladen«, sagte er.»Was soll das heißen?« fauchte Sir John. »Ich habe

durchs Spektiv gesehen, daß ihr Kisten übernommen habt.«

Kapitän O'Flynn wandte den Kopf nach rechts, wo Brian Wolfe, der Decksälteste seiner Crew, stand, ein hartge-sichtiger, stämmiger Mann mit grauen Augen und einer

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Messernarbe über der linken Wange.»Ladet die Kisten aus, Brian«, sagte er, »damit der Ad-

miral Ihre Majestät mit ihrem Inhalt erfreuen kann.«Brian Wolfe nickte, grinste höhnisch und ging mit den

Kerlen an die Arbeit. Sie brachen sich kein Bein ab, als sie Kiste für Kiste aus den Laderäumen der ›Empress‹ hiev-ten, mit der Großrahrute über Bord schwenkten und auf der Pier abstellten.

Sir John wurde zappelig. Kaum stand die erste Kiste auf der Pier; verlangte er nach einem Kuhfuß und hebelte sie brutal auf. Der Kistendeckel flog zur Seite, ebenso eine Lage von gehäckseltem Stroh. Es sah aus, als scharre ein fetter Köter in der Kiste. Sir John wühlte und wurde von einer staubigen Strohwolke eingehüllt. Etwas stieg ihm in die Knollennase, und er nieste wie ein Walroß.

Dann hielt er einen Gegenstand in den Wurstfingern und pustete ihn an, so daß es noch einmal staubte. Er stierte und lief rot an.

Der Gegenstand war nicht mehr und nicht weniger als ein etwa handgroßes, sehr schlichtes, hölzernes Kruzifix, wie es bei den Ärmsten der Armen in den Katen und Hütten hing.

»Scheiße!« fluchte Sir John. Das Kruzifix landete auf der Pier und zerbrach, der Vizeadmiral wühlte weiter, und die Kruzifixe flogen nur so aus der Kiste, eins wie das an-dere.

Kapitän O'Flynn hatte die Arme vor der Brust ver-schränkt und sagte: »Geben Sie sich keine Mühe, Admi-ral, Sie finden keine Perle oder einen Silberbarren. Inge-

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samt acht Kisten, mit Kruzifixen gefüllt.«Sir John keuchte. In seinen roten Haaren hing Stroh.

Wut glitzerte in seinen Augen.»Und was ist in den anderen Kisten?« schnappte er.»Sehen Sie doch nach«, entgegnete Kapitän O'Flynn un-

gerührt.Da Waren noch acht andere Kisten, aber größer als jene

mit den Kruzifixen. Brian Wolfe ließ gerade eine über Bord schwenken. Er nickte den Kerlen an der Talje kurz zu, und die hatten auch bestens aufgepaßt. Mit einem Krach rasselte die Kiste Sir John genau vor die Stiefel. Der sprang mit einem Schrei zurück.

»Könnt ihr nicht aufpassen, ihr Idioten?« brüllte er.»Wo gehobelt wird, fallen Späne«, sagte Brian Wolfe mit

einem höllischen Grinsen, »und wo abgeladen wird, tritt man aus dem Kinken!«

»O'Flynn!« brüllte Sir John. »Der Kerl ist mit zehn Peit-schenhieben zu bestrafen, verstanden?«

»Hab's mir notiert«, sagte Kapitän O'Flynn lakonisch, und das bedeutete soviel wie: Du kannst mir mal im Mondschein begegnen, du Armleuchter!

Sir John brach die Kiste auf, genau wie die andere, roh und ungezügelt. Dem Kistendeckel versetzte er einen Tritt. Dieses Mal brauchte er nicht zu wühlen. Er stand und glotzte. Man hatte den Eindruck, daß ihm die blaß-blauen Augen aus den Höhlen quollen. Außerdem sah er aus, als habe ihm jemand eine schwere Dachlatte an den Kürbiskopf geknallt.

Die Kiste enthielt, säuberlich geordnet und aneinander-

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gereiht, in dunkles Leder gebundene Bücher. Eins wie das andere hatte an der gleichen Stelle des Buchdeckels eine Einprägung, und zwar ein vergoldetes Kreuz.

»Es handelt sich«, sagte Kapitän O'Flynn mit unver-kennbarem Sarkasmus in der Stimme, »um irische Bibeln, gedruckt und herausgegeben in Madrid und offensicht-lich bestimmt für katholische Gläubige in Irland. Es lohnt sich, einen Blick hineinzuwerfen – zum Beispiel in das Buch Sirach, Kapitel siebenunddreißig. Die drei letzten Verse lauten: Überfülle dich nicht mit allerlei leckerer Speise, und friß nicht zu gierig. Denn viel Fressen macht krank, und ein unersättlicher Fraß kriegt das Grimmen. Viele haben sich zu Tode gefressen; wer aber mäßig ist, der lebet desto länger.«

Sir John hätte sich am liebsten eine der Bibeln ge-schnappt und sie Kapitän O'Flynn an den Kopf geworfen. Er starrte ihn tückisch an.

»Was soll das heißen, O'Flynn? Willst du mich veralbern mit diesem dämlichen Spruch?«

»Aber Admiral! Wie könnte ich!« rief Kapitän O'Flynn. »Wir Wissen doch alle, wie genügsam Sie sind! Nein, nein! Ich zitierte den Spruch nur für jene, die den Hals nicht voll genüg kriegen können, was für Sie ja nicht gilt, weil Sie – wie Sie selbst betonten – die Beute pflichtgemäß an unsere verehrte Majestät abführen!«

Kapitän O'Flynn konnte fast noch besser heucheln als Sir John. Und daß es reine Heuchelei war, das wußte die-ser knollennasige Hurenbock – wie alle in Falmouth wuß-ten, daß der Vizeadmiral kein Stück seiner Beute an die

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Königin abführte.

3.

Es erfüllte Kapitän O'Flynn Und seine Mannen mit Ge-nugtuung und Schadenfreude, zusehen zu können, wie die Wut in Sir John bohrte, zumal er der – Kiste mit den Bibeln noch einen Tritt verpaßte, als könne die was dafür, daß sie nicht mit Klunkern oder Barren aus Edelmetall ge-füllt war.

Dabei hatten diese Wilden von der ›Empress‹ sehr wohl was erbeutet, nämlich eine kleine Truhe in der Kapitäns-kammer der Karacke. Ihr Inhalt: hübsche Goldtalerchen, schön blank und knackig. Der Kapitän hatte die Talerchen sofort an seine Kerle verteilt und die Truhe über Bord werfen lassen.

»Laß diese Scheißkisten wegschaffen, O'Flynn!« schnauzte Sir John.

»Ich?« fragte Kapitän O'Flynn langgezogen. »Wieso das denn? Und überhaupt, ich kann mich doch nicht an Sa-chen vergreifen, die Ihrer Majestät gehören. Nein, die Kis-ten rühren wir nicht an. Nachher heißt es noch, wir hätten der Krone gehörendes Gut geraubt und zu Höchstpreisen an Mister Applewhite verscherbelt!«.

Sir John zuckte wieder zusammen – einmal, weil Kapi-tän O'Flynn unverblümt und lauthals etwas aussprach, was er, der Vizeadmiral, zu praktizieren pflegte, und zum

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anderen, weil er selbst nicht an die Möglichkeit gedacht hatte, die verdammten Kruzifixe und Bibeln Applewhite anzudrehen.

Hm-hm – Sir Johns Blick flog über die sechzehn Kisten –, da würde doch ein Reibach zu erzielen sein, acht Kisten voller Kruzifixe und acht Kisten voller Bibeln. Und schön leckte sich Sir John über die Lippen und begann seinen Verdienst zu berechnen.

»Wie viele Kruzifixe und Wie viele Bibeln befinden sich in einer Kiste, O'Flynn?« fragte er.

Ein hartes Grinsen stand in Kapitän O'Flynns Mundwin-keln. Er hatte den Köder kaum ausgeworfen, da schnapp-te dieser gierige Bastard auch schon zu.

»Weiß ich nicht«, sagte er mit einem Achselzucken, »ich habe den Inhält nicht gezählt. Das steht mir auch nicht zu, nicht wahr? Ein Kruzifix haben Sie zerbrochen. Ich er-wähne das nur, damit Sie nicht denken, ich hätte es mir widerrechtlich angeeignet. Also, dann brauche ich mich nicht um die Kisten zu kümmern – oder soll ich sie doch wegschaffen lassen?«

»Nein!« brüllte Sir John.»Wo sind denn Ihre Burgknechte und die Maultiere?«

fragte Kapitän O'Flynn. »Sonst sind die doch immer zur Stelle, wenn wir einlaufen.«

Auch diese Frage war voller Hohn, denn die Kerle hat-ten unübersehbar am Strand gelegen, und jetzt waren sie dabei, sich torkelnd und dösig aufzurappeln. Die Maul-tiere allerdings hatten sich in alle Winde zerstreut.

»Dudley!« brüllte Sir John und kochte schon wieder

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über.»Jawohl, Sir«, quetschte Dudley mühsam zwischen Lip-

pen hervor, die im Gegensatz zu seiner Plattnase zu dop-peltem Umfang aufgequollen waren. Und weil er noch keinen richtigen Durchblick hatte, marschierte er ins Was-ser, statt den Weg über den Strand zur Pier zu nehmen. Als ihm das Wasser fast am Hals stand, bemerkte er sei-nen Irrtum und drehte um. Dann geriet er an eine tiefere Stelle und verschwand plötzlich bis zu den Haaren. Die Haare wanderten weiter übers Wasser, neben ihnen blub-berten Blasen hoch. Zum Glück tauchte Dudleys Gesicht nach etwa dreißig Sekunden wieder auf, und er ging auch etwas forscher. Das kühle Naß hatte ihn wohl etwas er-frischt.

Sir John barst vor Wut und hätte am liebsten einen Steinpoller aufgefressen.

Indessen prallte Dudley Vierkant gegen einen Pierpfos-ten, verharrte benommen, stierte den Pfosten an und be-kam wacklige Knie. Schnell umarmte er den Pfosten, nicht bedenkend, daß er mit Muscheln bewachsenwar. Zur Zeit herrschte ablaufendes Wasser, so daß der obere Teil des Muschelbewuchses bereits freilag.

Er schnitt sich also, der arme Dudley, und er jaulte dabei wie ein getretener Hund, was er im Grund auch war, denn Sir John hatte eine Vorliebe dafür, seine Knechte in den Hintern zu treten.

Jetzt war Dudley reif dafür, von Sir John erwürgt zu werden. Er war nur zu faul, von der Pier zum Strand und ins Wasser zu gehen. Dafür pfiff er Philip Hasard Killi-

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grew an, hier nicht Maulaffen feilzuhalten, sondern dafür zu sorgen, daß die Kisten zur Burg hinaufgeschafft wür-den.

Der junge Riese blickte ihn aus seinen eisblauen Augen kühl an.

»Befehlen Sie das Ihrem Bootsmann, Sir«, sagte er. »Ich halte es für meinen Pflicht, den – toten Arnos O'Flynn mit von Bord zu tragen, damit nicht ganz Falmouth sieht, daß einem Killigrew die Beute wichtiger ist als ein Mann, der wegen dieser Beute gefallen ist.«

»Du – du widersetzt dich meinen Befehlen?« sagte Sir John keuchend.

»Richtig«, erklärte der junge Riese fast höflich. »Das sollten Sie begriffen haben, seit Sie mir die letzte Ohrfeige verabreichten und ich Sie dafür oben in der Burg in das Hirschgeweih über den Kamin hängte – wie einen Schmierlappen, der Sie ja auch sind. Und Sie werden sich sicherlich auch noch erinnern, daß ich Ihnen und meinen dreckigen Brüdern androhte, die Knochen zu zerbrechen, falls es einer noch einmal wage, mich anzufassen.«

»O'Leeaary!« brüllte Sir John langgezogen und nach Luft schnappend, weil er sich dabei verausgaben mußte.

Der junge Riese lächelte amüsiert.Der rüde Klotz von Bootsmann turnte von der ›Arwen-

ack Castle‹ und eilte von der Pier.»Sir?« fragte er, sich vor dem Vizeadmiral aufbauend.Sir John stieß den Arm vor und deutete auf seinen Sohn.

»Nimm diesen Kerl fest, O'Leary! Er ist in den Turm zu werfen!«

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»Lassen Sie's lieber sein, O'Leary«, sagte der junge Riese warnend. »Sie ziehen den kürzeren.«

O'Leary wußte es besser.»Dir arrogantem Bürschchen wollte ich schon immer

mal zeigen, wo's langgeht«, knurrte er. »Wird Zeit, daß dir einer die freche Schnauze poliert!« Und er pfiff gel-lend auf zwei Fingern. »Turner und Hackett – hierher!«

»Einer?« höhnte der junge Riese. »Schafft du es nicht al-lein?«

Und damit explodierte er – jäh, wild und furchtbar. Er sprang den bulligen Bootsmann an und hämmerte ihm die Faust unter das Kinn. Der Kopf O'Learys knickte nach hinten, als habe ihn ein Vorschlaghammer getroffen. Es sah aus, als sei ihm das Genick gebrochen. Er flog über die Pier und riß die anstürmenden Turner und Hackett von den Füßen, zwei Schläger aus der Crew Sir Johns.

Der junge Riese setzte nach. Kaum richteten sich die bei-den Schläger auf, da packte er sie am Genick und schmet-terte ihre Köpfe gegeneinander. Es krachte wie beim Ab-schuß eines Zwölfpfünders. Fast augenblicklich sackten die beiden Kerle in sich zusammen. Der Riese ließ sie achtlos auf die Pier fallen. Dann schnappte er sich den be-wußtlosen Bootsmann, packte ihn am Gurt, stemmte ihn hoch, als sei er eine Feder, drehte sich ein paarmal um die Achse und ließ ihn fliegen.

O'Leary sauste über die Pier in einen kleinen Schuppen, der über ihm zusammenkrachte.

Langsam drehte sich der junge Riese zu Sir John um, dessen sonst immer rötliches Gesicht jetzt die Farbe von

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Hafergrütze angenommen hatte.»Geben Sie nie wieder einen solchen Befehl, Sir«, sagte

er, »sonst landen Sie selbst im Turm – mit allen Ihren Strolchen. Ich habe es satt, mir Ihre Ungeheuerlichkeiten noch weiter bieten zu lassen. Der Dreck auf dem Wappen der Killigrews ist zu dick geworden. Aber es ist auch mein Wappen – und wenigstens das werde ich sauberhal-ten.«

Für einen Moment war Sir John versucht, diesem Berser-ker die Wahrheit entgegenzuschleudern – daß er ein Nichts sei, ein Niemand, ein namenloser Findling. Aber er verbiß es sich noch rechtzeitig, und zwar aus reinen Zweckmäßigkeitsgründen. Denn einen furchtloseren und besseren Kämpfer hatte er noch nie in seiner Crew oder in seinem Gefolge gehabt, ganz abgesehen davon, daß die-ser jetzt so renitente Bursche eine erstaunliche Portion Grips im Kopf hatte. Seine drei Söhne konnten ihm nicht das Wasser reichen. Und in der Seemannschaft war er so perfekt, daß er ohne weiteres als Kapitän hätte fahren können.

Nein, der Kerl sollte getrost weiter als ein Killigrew gel-ten, um so besser konnte man seine Fähigkeiten ausnut-zen. Vielleicht sollte man ihm seinen Gerechtigkeitsfim-mel austreiben, dachte Sir John. Aber wie er das bewerk-stelligen sollte, wußte er selbst nicht. Er wußte überhaupt nicht mehr, wie er den Kerl bändigen oder anpacken soll-te.

So grinste Sir John gequält und sagte: »War doch alles nicht so gemeint, mein Junge. Mußt du immer gleich so

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drauf hauen? Wenn O'Leary was passiert ist, habe ich kei-nen Bootsmann mehr.«

»Daran hätten Sie denken sollen, als Sie ihn auf mich hetzten, Sir«, sagte der junge Riese kühl, »aber mit dem Denken scheinen Sie in letzter Zeit Schwierigkeiten zu ha-ben!«

Sir John wollte aufbrausen, kniff aber nur die Augen zu-sammen und sagte: »Findest du nicht, daß du ziemlich frech zu deinem Vater bist, mein Junge?«

Der junge Riese zuckte mit den Schultern. »Wer wollte mich denn in den Turm werfen lassen? Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Ich wiederhole: Sie können Ihre drei anderen Söhne kujonieren, es interes-siert mich nicht. Aber wenn Sie sich an mir vergreifen, zahle ich zurück, Sir. Vielleicht begreifen Sie, daß die Zei-ten vorbei sind, in denen Sie auf mir herumtrampeln konnten.«

»Auf welcher Seite stehst du eigentlich?« fragte Sir John.»Auf meiner Seite, Sir. Und auf der Seite derer, die sich

nicht Ihrer Peitsche beugen.«»Mit der Peitsche sorge ich für Zucht und Ordnung.«»Irrtum, Sir. Bei Ihren Strolchen gibt es weder Zucht

noch Ordnung. Ihre drei Schiffe sind Sauställe – im Ge-gensatz zur ›Empress‹ von Kapitän O'Flynn, Aber bei ihm habe ich noch nie eine Peitsche gesehen. Merkwürdig, wie? Aber ich will Ihnen verraten, woran das liegt. Kapi-tän O'Flynn behandelt seine Leute als freie Männer. Sie folgen ihm bereitwillig und halten zu ihm. Bei Ihnen ist das Gegenteil der Fall. Sie haben Sklaven, die vor Ihrer

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Peitsche zittern – oder davor, in den Turm geworfen zu werden. Wenn es hart auf hart geht, werden Ihre Sklaven Sie im Stich lassen – weil Sie ein Schinder sind. Für einen Schinder und Sklavenhalter läßt sich keiner in Stücke hauen oder geht für ihn durchs Feuer.«

»Sehr richtig!« rief Kapitän O'Flynn. »Bravo, Mister Kil-ligrew!«

Sir John zuckte zusammen.»Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt, O'F-

lynn!« blaffte er zur ›Empress of Sea‹ hinüber, wo alle am Schanzkleid standen und gebannt zugehört hatten.

»Das tun Sie ja leider nie, Sir«, sagte Philip Hasard Küli-grew, »und zwar deswegen nicht, weil Sie die Wahrheit nicht vertragen.«

Sir John stampfte mit dem Fuß auf und brüllte: »Ich habe keine Lust mehr, mir diesen Quatsch anzuhören. Laß endlich die verdammten Kisten wegschaffen, O'F-lynn!«

Der knollennasige Sir John wurde wirklich trottelig.»Vorhin sollten das Ihre Knechte tun«, sagte Kapitän

O'Flynn sarkastisch. »Einmal hü, einmal hott! Sie wissen wohl auch nicht mehr, was Sie wollen. Lassen Sie die Kis-ten doch gleich von Applewhite abholen, bei dem landen sie doch sowieso!«

Sir John zerbiß einen ordinären Fluch, warf sich herum und stampfte zu seinem Flaggschiff, auf dem – wie auf den beiden anderen Karavellen – die Kerle dumm gafften, weil sie keiner mehr in Trab hielt. Der Bootsmann O'Lea-ry befand sich immer noch unter den Trümmern des

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Schuppens.Es klappte also rein gar nichts, und keiner hatte es bis-

her für nötig befunden, Turner und Hackett von der Pier aufzusammeln oder sich um O'Leary zu kümmern. Die Burgknechte am Strand standen auch nur herum wie Ochsen vorm neuen Hoftor, geistig weit überfordert, denn keiner verfiel auf die Idee, nach den Maultieren zu suchen.

Mit dem Schleuderschuß des Dan O'Flynn hatte alles angefangen. Was daraus geworden war, hätte er sich nicht träumen lassen.

Zudem gab es eine Menge Zeugen für die Vorgänge auf der Pier. Sie hatten sich nichts entgehen lassen, gar nichts. Mit Staunen und Genugtuung hatten sie verfolgt, wie Ka-pitän O'Flynn und Philip Hasard Killigrew dem Bur-gherrn den nassen Lappen um die Ohren geschlagen hat-ten, wie der junge Riese mit den beiden Decksleuten und dem Bootsmann umgesprungen war.

Und sie grinsten höhnisch und voller Schadenfreude, diese Bürger von Falmouth. Und natürlich rührten sie keinen Finger für den Burgherrn, sondern schoben im Ge-genteil die Hände bis zu den Ellbogen in die Taschen, mochte der Vizeadmiral auch noch so sehr herumtoben.

Er hatte wieder seinen jüngsten Sohn Thomas Lionel am Wickel, der ihm als Blitzableiter diente und dafür verdro-schen wurde, daß er nichts veranlaßt hatte – zum Beispiel das Auftuchen der Segel oder das Klardeckschaffen oder erste Beseitigung der Schäden oder Ausladen der Beute – es handelte sich um Edelhölzer – oder einen Boten hinauf

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zur Burg zu schicken, um Ersatzmaultiere zu holen. Und so weiter und so fort.

Logischerweise galt das gleiche für John Malcolm Killi-grew auf der ›Lady Anne‹ und für den Zweitältesten Fer-kelsohn Simon Llewellyn auf der ›Cornwall‹, aber es man-gelte ihnen wie bei Thomas Lionel am nötigen Durch-blick, an Initiative und zupackender Entschlußkraft – was alles drei zu Lasten des tyrannischen Vaters ging.

Außerdem waren sie notorisch faul, phlegmatisch und hielten es für unter ihrer Würde, bei den Decksarbeiten mit zuzulangen. Aktivitäten zeigten sie nur beim Fressen, Saufen und Huren oder wenn sie mit anderen nichtsnut-zigen Adelssprößlingen Streifzüge durch Kneipen und Spelunken unternahmen, Gäste anpöbelten und Streite-reien vom Zaun brachen.

Also, die Dresche bezog Thomas Lionel stellvertretend für seine beiden Ferkelbrüder, die es sowieso immer schafften, ihn zum Prügelknaben des Alten werden zu lassen, indem sie aus dem Kinken traten.

Es war wie immer, aber es fand in aller Öffentlichkeit statt, und es trug nicht dazu bei, der Würde und dem An-sehen des Hauses Killigrew zu neuem Glanz zu verhel-fen. Im Gegenteil.

Sir John brüllte, Thomas Lionel jaulte, und das Völkchen am Hafen lachte, feixte und amüsierte sich köstlich.

Eine Unterbrechung fand dieses unwürdige Schauspiel, als der Burghauptmann auf einem Braunen von der Feste hinunter zum Hafen preschte und auf die Pier donnerte. Aber da war Sir John auch schon ziemlich abgeschlafft

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und hatte sich zur Genüge abreagiert. Und Thomas Lio-nel, grün und blau geschlagen, war mehr tot als lebendig.

Henry Tregwin, der Burghauptmann, war ein entfernter Verwandter Sir Johns, allerdings jünger als dieser, außer-dem hager und schmalgesichtig. Er hatte eine Habichts-nase, eng zusammenstehende stechende Augen, einen schmalen Mund und ein spitzes Kinn.

Im Gegensatz zu dem jähzornigen Sir John war er ein eiskalter Bursche mit einem gewissen Hang zur Grausam-keit. Er rümpfte nur verächtlich die Nase, als er den zer-droschenen Thomas Lionel sah.

»Was geht hier vor, Sir?« fragte er, nachdem er aus dem Sattel geglitten war. »Ich sah von der Burgzinne aus, daß die Maultiere nicht hier sind.« Er blickte zum Strand und kriegte schmale Augen, als er die ramponierten Stall-knechte sah, die betreten zu Boden stierten.

Sir John schnaufte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Zum Abschluß empfing Thomas Lionel noch einen Fußtritt.

»Was hier vorgeht?« fragte er ungnädig zurück. »Hier macht jeder, was er will! Der verdammte O'Flynn kapert ein Schiff, das mit Kruzifixen und Bibeln beladen ist, und wird außerdem mir gegenüber noch frech, Philip Hasard haut in die gleiche Kerbe, bedroht mich mit dem Degen und bricht O'Leary das Genick, John Malcolm verursacht eine Massenramming, die Maultiere sind nicht da, und die Knechte haben sich geprügelt.«

»Mit wem?«»Weiß ich nicht.«

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Barry Burnaway walzte mit seinen drei Schrank-Söhnen auf die Pier und baute sich vor Sir John auf.

»Wir haben die Knechte verprügelt«, sagte er.»Wohl verrückt, wie?« schnauzte Sir John»»Nicht daß ich wüßte«, sagte Barry gelassen. »Eins Ihrer

Maultiere hat mein großes Netz zerrissen. Ich verlange Schadenersatz.«

Sir John spuckte zur Seite. »Dann flick's wieder, Mann!«»Das sagte Dudley auch«, erklärte Barry und hielt Sir

John die Faust vor die Nase. »Und dafür haute ich ihm hiermit was in die Fresse. Und weil sich die Knechte ein-mischten, kriegten die auch gleich ihr Fett. Wenn Sie mir das große Netz nicht ersetzen, liefere ich keine Fische mehr auf die Burg. Ganz einfach.«

»Du wagst mir zu drohen, du Laus, mir, dem Vizeadmi-ral von Cornwall?« zischte Sir John.

»Ich drohe nicht, ich verlange mein Recht«, erwiderte Barry Burnaway unbeeindruckt.

»Was kostet das Netz, Mister Burnaway?« fragte eine Stimme hinter Sir John. Lautlos hatte sich Philip Hasard Killigrew genähert. Sir John drehte sich wütend zu ihm um.

»Du hältst dich da raus, verstanden?« sagte er giftig.Der junge Riese beachtete ihn überhaupt nicht. Er blick-

te Barry Burnaway an.»Zehn Pfund, Sir«, sagte Barry. »Aber von Ihnen nehme

ich kein Geld für das zerrissene Netz«, fügte er hinzu, als er sah, daß der Riese einen Lederbeutel aus der Tasche zog.

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»Oh!« Der Riese lächelte. »Wenn das so ist, dann zahle ich zehn Pfund zum Dank dafür, daß ihr die Knechte ver-droschen habt – ein Pfund pro Knecht! Den Kerlen wird es eine Lehre sein, besser auf ihre Maultiere aufzupassen. «Diese Lehre ist mir zehn Pfund wert!«

Barry blickte erstaunt und kratzte sich verlegen hinter dem rechten Ohr.

Hugh, sein ältester Sohn, grinste ganz offen und sagte: »Wenn das so ist, würde ich die Kerle am liebsten noch mal verprügeln. Aber es ist ein gutes Angebot, das dir Mister Killigrew vorgeschlagen hat, Dad.«

Barry zögerte. »Meinst du?«»Klar«, sagte Hugh, und seine Brüder nickten.Jetzt hackte der Burghauptmann los, weil's dem Bur-

gherrn endlich einmal die Sprache verschlagen hatte.»Ich erhebe Einspruch!« sagte er scharf. »Es geht nicht an,

daß dieses Pack mit Geld auch noch ermuntert wird, über un-sere Leute herzufallen. Wenn das einreißt, herrscht Anarchie. Dann garantiere ich nichts mehr – das ist der Zusammenbruch aller Ordnung.«

Der junge Riese fixierte den Burghauptmann und sagte gelassen: »Sie verdrehen die Tatsachen, Tregwin. Ihre Bürgknechte haben sich wie Pack aufgeführt, als sie sich weigerten, den Schaden, den ihre Maultiere anrichteten, irgendwie zu begleichen.

Daß ferner vier Männer über zehn andere herfallen, dürf-te nach dem Kräfteverhältnis vier gegen zehn ja wohl ein Witz sein. Und was Ihre sogenannte Ordnung betrifft, die ist längst zusammengebrochen, seit der Burgherr und

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sein Anhang auf Arwenack das Recht handhaben, wie es ihnen paßt. Fest steht, daß die Maultiere von Arwenack den Gemüsegarten der alten Footmaker zertrampelt und das große Netz der Burnaways zerstört haben. Die Ge-schädigten haben ein Recht darauf, Schadehersatz zu ver-langen.«

»Sie sind hier nicht der Richter«, sagte Tregwin spitz.»Und Sie haben nicht darüber zu befinden oder Ein-

spruch zu erheben, wenn ich von meinem privaten Geld Mister Burnaway zehn Pfund überreiche«, entgegnete Philip Hasard Killigrew eisig. »Sie sind nicht mein Ver-mögensverwalter – Sie werden es nie sein, dazu sind Sie mir zu klebrig!«

Der Burghauptmann erbleichte, und seine Rechte zuckte zum Degen.

»Was meinen Sie damit?« zischte er.»Ich meinte damit, daß Sie ein korrupter Hund sind,

Tregwin«, erwiderte der junge Riese mit der Freundlich-keit eines knurrenden Wolfes. »Den Begriff Anarchie ha-ben Sie auch falsch ausgelegt. Anarchie ist für Sie, wenn Sie Ihre Pfründe verlieren, wenn beim Eintreiben der Steuern nichts mehr an Ihren Fingern kleben bleibt. Viel-leicht Sollte sich der Friedensrichter in Plymouth einmal damit beschäftigen, wie? Da wird Sie auch der Burgherr nicht mehr decken können, schätze ich.«

Die Lauscher und Neugierigen am Hafen hörten jedes Wort, Beifälliges Gemurmel klang auf.

An Bord der ›Empress of Sea‹ murmelte Kapitän O'Flynn: »Mann, Mann, der beißt heute aber zu, das hat dem Alten

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und dem Arschloch von Burghauptmann noch keiner ge-boten.«

»Du warst auch nicht schlecht, Kapitän«, sagte Brian Wolfe, der Decksälteste.

»Konnte ich mir auch erlauben«, sagte Kapitän O'Flynn, »der Alte ist auf uns angewiesen.«

»Das gilt ebenso für Philip Hasard Killigrew, Kapitän«, entgegnete Brian Wolfe. »Ohne ihn taugten sie alle nichts – und das weiß der Alte. Deshalb hat er gekniffen, das verdammte Schlitzbhr. Und jetzt kneift er wieder!« Brian deutete zu der Gruppe.

Tatsächlich schwang sich Sir John einfach auf den Brau-nen des Burghauptmanns, drosch ihm die Hacken in die Seiten und stob von der Pier. Die Burnaways mußten zur Seite springen, um nicht überrannt zu werden.

Henry Tregwin, der Burghauptmann, stand da wie be-stellt und nicht abgeholt oder wie im Regen. Der Burgherr haute ab und ließ ihn in der Patsche sitzen. Auch das war typisch für Sir John, aber im Grunde nichts Neues.

Der junge Riese verschränkte die Arme vor der Brust und schaukelte auf den langschäftigen Stiefeln.

Spöttisch sagte er: »Sie sehen belemmert aus, Tregwin. Dachten Sie, Sir John ergreife Ihre Partei? Weit gefehlt! Der ergreift lediglich die Flucht, sobald es gefährlich wird. Dafür reißt er das Maul hinterher um so weiter auf. Er hat die ›Empress of Sea‹ wieder ins Feuer geschickt. Amos O'Flynn ist gefallen. Aber das interessiert ihn einen Dreck. Sein Beileid bestand in dem Satz: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Der Tag wird kommen, an dem auf

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Arwenack gehobelt wird. Vielleicht sind Sie dann auch so ein Span, Tregwin.«

»Sie können mir nicht drohen«, sagte der Burghaupt-mann mit gepreßter Stimme.

»Das war auch keine Drohung, sondern eine Warnung«, entgegnete Philip Hasard Killigrew, »so wie ich O'Leary gewarnt hatte, der mir unbedingt die Schnauze polieren wollte, wie er sich auszudrucken beliebte. Ich warne im-mer nur einmal, Tregwin. Und wenn Sie noch einmal nach Ihrem Degen greifen, Werde ich das als Ihren Wunsch zum Zweikampf auffassen, den ich Ihnen gern erfülle. Wenn Sie sich unbedingt verstümmeln wollen, dann ist das Ihre Sache.«

Der Burghauptmann schwieg mit verkniffenem Gesicht.Der junge Riese wandte sich ab, ging zu den Burnaways

und überreichte Barry zehn Pfund, die er seinem Leder-beutel entnommen hatte.

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Sir«, sagte Barry verlegen, »Ihr Vater hätte zahlen müssen.«

Philip Hasard Killigrew drehte sich um, aber der Burg-hauptmann war zur ›Arwenack Castle‹ gestiefelt. Trotzdem sagte er leise: »Er hat auch gezahlt, Mister Burnaway.«

Barry schaute verwundert. »Das verstehe ich nicht, Sir. Sie haben mir doch das Geld gegeben.«

»Schon richtig, aber es stammt trotzdem von Sir John – ich knöpfte es ihm vor einer Woche beim Würfelspiel ab. Und hier sind noch einmal zehn Pfund für Odelia Foot-maker. Bitte geben Sie es ihr.«

»Sind die zehn Pfund auch von Sir John?« fragte Barry.

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»Natürlich.''Da lachten die vier Burnaways dröhnend.

4.

Es passierte, als der tote Amos O'Flynn von Bord ge-bracht wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatten ein paar Kerle von der ›Arwenack Castle‹ auf Befehl des Burghauptmanns den Bootsmann O'Leary aus den Trümmern des Schup-pens befreit.

Einige Männer der ›Empress‹-Crew und auch Philip Ha-sard Killigrew trugen die Gräting, auf die der Tote umge-bettet worden war. Amos sollte im Kapitänshaus aufge-bahrt werden. Dort würden sie abwechselnd Totenwache halten – und ihrem Kapitän zur Seite stehen. Sie hatten es bereits zweimal getan, als zwei jüngere Brüder von Amos gefallen waren – auch auf der ›Empress of Sea‹ und auch bei Gefechten, aus denen sich Sir John herausgehalten hatte.

Im Grunde war es unerträglich. Für die Geldgier, die Freß- und Sauforgien des Sir John und seiner Zechkum-pane hatte Kapitän O'Flynn bisher drei Söhne geopfert – ein niederschmetterndes Ergebnis für einen Vater. Seine drei anderen Söhne hatte der Kapitän dem Zugriff Sir Johns entzogen. Der hatte sie für seine verdammten Kara-vellen rekrutieren wollen, aber Kapitän O'Flynn war schneller gewesen. Er hatte alle drei zu seinem Bruder

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nach Torbay geschickt.Arthur Everett O'Flynn, zwei Jahre älter als Kapitän O'F-

lynn, betrieb in Torbay eine Seilerei und ein gutgehendes Geschäft für Schiffsausrüstungen, Er war verheiratet, aber kinderlos geblieben – im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder. Für ihn waren die drei Q'Flynnsöhne ein Segen gewesen, und er hatte sie mit seiner Frau mit offenen Ar-men aufgenommen, ganz abgesehen davon, daß diese drei O'Flynns Prachtkerlchen waren. Die konnten zupa-cken – mein lieber Mann!

Und da war nun Kapitän O'Flynns siebter Sohn – Done-gal Daniel. Der Bengel hatte sich in den Kopf gesetzt, zur See zu fahren wie sein Vater und die drei älteren Brüder, die gefallen waren.

Kapitän O'Flynn hatte schwere Sorgen, und sie kreisten in seinem Kopf, als er jetzt seinen Männern folgte, von de-nen die Gräting getragen wurde.

Er hatte genau gesehen, wie sein Sohn trotzig die Trä-nen weggewischt hatte, als ihm bewußt geworden war, wer auf dem Achterdeck der ›Empress of Sea‹ unter dem Leinentuch lag – Amos, den er so sehr bewunderte.

Und er schwor sich in diesem Moment, alles dranzuset-zen, um zu verhindern, daß auch sein Jüngster den Weg der drei älteren Brüder ging,

Die Männer näherten sich dem zusammengebrochenen Schuppen, an dem die paar Kerle von der ›Arwenack Cast-le‹ herumlungerten, nachdem sie O'Leary unter den Trümmern hervorgezogen hatten. O'Leary stand wieder. Seine Holzhackervisage sah lieblich aus, nämlich zerbeult

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und blutverkrustet Sein Kinn, wo ihn die Faust des jun-gen Riesen getroffen hatte, war blau und lila und aufge-quollen.

Vorn rechts an der Gräting ging Philip Hasard Killi-grew, die Hände hinter sich unter dem Grätingrahmen. Er beachtete O'Leary nicht.

Was sich der Bootsmann leistete, als der Riese an ihm vorbeischritt, könnte nicht dreckiger und gemeiner sein.

Er stieß blitzschnell seinen Fuß vor, und als der Riese nach vorn stolperte, krachte ihm O'Learys Faust ans Kinn. Philip Hasard Killigrew flog zurück und über den Toten. Die Männer waren von diesem tückischen Angriff zu überrascht, die Gräting entglitt ihnen, kippte schräg, und der Tote und der Riese rollten zu Boden.

O'Leary hatte Wind gesät und erntete Sturm. Er hatte keine Gelegenheit mehr, über seinen feigen Schlag zu tri-umphieren, ganz abgesehen davon, daß er die Würde des Toten geschändet hatte.

Lidschläge später sprang ihn der Riese wie ein wilder Panther an.

Und die Wilden von der ›Empress of Sea‹ wurden entfes-selt und fielen über die Kerle von der ›Arwenack Castle‹ her, die am Schuppen höhnisch gelacht hatten, als Philip Hasard Killigrew wehrlos in den Schlag ihres Boots-manns gestolpert war.

Der Burghauptmann brüllte, daß das Pack von der ›Em-press of Sea‹ festzunehmen sei, was als Befehl für den Rest der ›Arwenack Castle‹-Crew und die Kerle von der ›Lady Anne‹ und der ›Cornwall‹ galt.

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Da stellten sich die vier Burnaways auf die Seite der Männer Kapitän O'Flynns. Und sie erhielten Zuwachs von beherzten Kerlen unter den Bürgern, denen schon lange die hochfahrende und rüde Art der Sir John-Strol-che ganz gewaltig stank.

Philip Hasard Killigrew und O'Leary rollten ineinander verkrallt über die Pier fast bis zur Abschlußkante. Da riß sich der Riese los, sprang auf, zerrte O'Leary hoch und schmetterte ihm die Faust ins Gesicht.

O'Leary flog ins Wasser. Der Riese hechtete hinterher, stürzte auf ihn und drückte ihn unter Wasser.

Auf der Pier prallten die beiden Fronten aufeinander. Die Kerle Sir Johns waren in der Mehrzahl, aber das nutz-te ihnen nichts. Sie konnten Zwar eingeschüchterte und verschreckte spanische Handelsfahrer abschlachten, die sich noch dazu ergeben hatten, aber gegen die entfessel-ten Berserker von der ›Empress of Sea‹, gegen diese vor Wut und Empörung rasenden Kämpfer hatten sie nichts zu bestellen.

Das zeichnete sich ab, als der völlig überdrehte Burg-hauptmann, der den unsinnigen Festnahmebefehl gege-ben hatte, Kapitän O'Flynn hinterrücks mit dem Degen abstechen wollte. Der Kapitän hatte sich über den toten Sohn geworfen, um ihn abzuschirmen.

Brian Wolfe sah noch rechtzeitig, wie Henry Tregwin über dem Kapitän stand und mit dem Degen ausholte, um den Stahl in dessen Rücken zu stoßen. Er hieb ihm die Faust auf die Degenhand und die andere an die Schläfe. Harte Seemannsfäuste war der Burghauptmann nicht ge-

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wohnt. Er verlosch wie eine Kerze.Als er auf die Pier sackte, wichen die Strolche Sir Johns

prompt zurück, und die Gegnerfront rückte nach, wild und ungestüm. Es war die Stunde der Abrechnung, auf die sie lange gelauert hatten. Nichts und niemand konnte sie jetzt noch zurückhalten.

Thomas Lionel Killigrew, der jüngste Ferkelsohn, krieg-te von alledem nichts mit, er lag noch halb bewußtlos an Deck der ›Arwenack Castle‹. Und er glitt wieder ins Traumland hinüber, als die wilde Jagd über ihn hinweg-fegte, denn die

Kerle glaubten, sie könnten sich im Vordeck ihres Schif-fes verschanzen, indem sie sich einschlossen und das Schott von innen verriegelten.

Es wurde von den Wilden der ›Empress of Sea‹ aufgebro-chen – ohne Rücksicht auf irgendwelche Folgen. Und die Crew des Flaggschiffs, das ein feiges Schiff war, erlebte den Weltuntergang.

Gleiches geschah mit den Kerlen von der ›Cornwall‹ und der ›Lady Anne‹. Auch hier hatten die Ferkelsöhne die Ehre, zuerst als Putzlappen benutzt zu werden.

John Malcolm wurde die Kinnlade ausgerenkt.Bei Simon Llewellyn geriet die Ferkelnase, eine Art Rüs-

sel wie bei seinen beiden Brüdern, aus der Fasson und wurde wie bei Dudley zu einem Pfannkuchen.

Und diesen beiden Besatzungen nutzte es auch nichts, sich in ihren Schiffen zu verkriechen – in der irrigen An-sicht, die Wilden von der ›Empress of Sea‹ würden Sir Johns geheiligte Planken respektieren. Die spuckten drauf

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und demolierten die drei Kähne, als hätten sie Schiffe der Dons vor sich.

Fast zum ersten Male in ihrer Schiffsgeschichte empfin-gen die drei Karavellen die Narben einer Schlacht, die auf ihnen tobte. Nur kämpften die Wilden der ›Empress of Sea‹ nicht mit Blankwaffen oder Pistolen, sondern mit den Fäusten, mit Belegnägeln und mit Holzprügeln.

Sonst hätten die drei Karavellen noch schlimmer ausge-sehen. Und von ihren Strolchen wäre keiner mehr aufge-standen.

Zu diesem Zeitpunkt schleifte Philip Hasard Killigrew den Bootsmann O'Leary an den Beinen hinter sich her, durch den Sand am Strand, durch die Muschelzone der Flutgrenze, über die Stranddisteln, über das Kopf Stein-pflaster und zuletzt über das rissige Holz der Pier.

Bei Kapitän O'Flynn riß er ihn hoch, rammte ihn gegen das Piergeländer und hielt den immer wieder zusammen-sackenden Kerl so fest.

»So, O'Leary«, sagte er wild, »jetzt bitte Kapitän O'Flynn um Verzeihung, oder, bei Gott, ich schneide dir die Kehle durch, du miese Ratte!« Und er fischte mit einem Griff ein Messer aus seinem rechten Stiefelschaft.

O'Learys Gesicht war unkenntlich. Nur ein Teil der Au-gen war sichtbar. Es waren Augen, in denen das Grauen stand – und feige, hündische Angst. Er gurgelte, dann spuckte er zwischen den aufgeplatzten und aufgequolle-nen Lippen einen zersplitterten Schneidezahn aus. Da-nach nuschelte er etwas Unverständliches.

»Ich höre nichts!« pfiff ihn der junge Riese an und setzte

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ihm das Messer an die Kehle. »Etwas lauter, wenn ich bit-ten darf. Du kannst doch sonst so gut brüllen und das Maul aufreißen.«

O'Leary schielte auf das Messer und kriegte das große Zittern. Und weil er zitterte und den Kopf nicht stillhalten konnte, ritzte er sich den Hals an der Messerschneide – ein lächerlicher Schnitt, den er sich selbst beibrachte.

Da gurgelte er wieder, verdrehte die Augen und sackte in sich zusammen, wobei sein Kopf nach vorn kippte. Philip Hasard Killigrew mußte schnell das Messer weg-ziehen, sonst hätte sich der Bootsmann selbst den Hals aufgeschnitten.

Er ließ den Kerl los, und O'Leary stürzte auf die Planken der Pier.

Der junge Riese drehte sich zu Kapitän O'Flynn um und sagte: »Es war meine Schuld. Ich hätte besser aufpassen müssen. Bitte verzeihen Sie, Kapitän.«

Kapitän O'Flynn schüttelte den Kopf. »Es war nicht Ihre Schuld. Niemand hätte für möglich gehalten, was O'Leary tat. Eines Tages wird er dafür bezahlen.« Er drehte den Kopf und blickte über die Pier zu den drei Karavellen.

Uberall auf der Pier lagen die Kerle Sir Johns herum, ebenso auf den drei Schiffen. Sie lagen, wie sie von den schwieligen, harten Fäusten der Wilden von der ›Empress of Sea‹ getroffen worden waren und die Planken auf ge-sucht hatten, die einen auf dem Rücken, die anderen ver-krümmt, ein paar hingen über den Schanzkleidern wie zum Trocknen aufgereihte Wäschestücke. Vier oder fünf waren ins Wasser befördert worden und sahen jetzt zu,

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Land zu erreichen. Aber sie schwammen nicht zum Strand ander Pier, sondern setzten sich ab. Es war ihnen zu gefährlich, noch einmal in die Nähe der O'Flynn-Wil-den zu geraten.

Von denen war keiner zu Boden gegangen. Sie erwach-ten wie aus einem Rauschzustand und schauten sich er-staunt um. Es gab nichts mehr zu tun, die Gegner existier-ten nicht mehr, jedenfalls zur Zeit nicht. Jetzt wirkten sie fast verlegen, als seien sie selbst überrascht, drei Schiffs-besatzungen abgeräumt zu haben, verlegen auch über ihre jähe Wildheit, bei der sie aber das Maß nicht über-schritten hatten. Sie hatten nicht getötet. Aber sie hatten Sir Johns Kerle verdroschen, daß die in keine Jacke mehr paßten.

Brian Wolfe ging an dem Burghauptmann vorbei, stutz-te, bückte sich, hob den Degen auf, rammte ihn mit einer wilden Bewegung zwischen zwei Böhlen der Pier, stemm-te sich dagegen und zerbrach ihn. Die beiden Reste warf er verächtlich auf den Burghauptmann, der aus glasigen Augen zu ihm hochstarrte und jetzt versuchte, sich auf-zurappeln.

Brian Wolfe spuckte ihm vor die Füße und ging zu sei-nem Kapitän.

Der runzelte die Stirn – der junge Riese hatte ihm bereits aufgeholfen – und fragte; »Was soll das, Brian?«

»Der Bastard hat versucht, dir von hinten den Degen in den Rücken zu stoßen, Kapitän«, erwiderte Brian Wolfe grimmig. »Mit dem Degen wird er das nie wieder tun.«

Das harte Gesicht Kapitän O'Flynns wurde noch kanti-

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ger.»Das gibt Ärger, Brian«, murmelte er.Richtig – nach irgendwelchen, nie geschriebenen, aber

dennoch törichten Gesetzen symbolisierte der Degen ei-nes Offiziers eine Art Schwertadel. Zerbrach jemand einen solchen Degen, dann bedeutete das eine tödliche Herausforderung für den Betroffenen.

Nur würde sich Henry Tregwin, der Burghauptmann, nie mit einem Mann wie Brian Wolfe duellieren, weil der weit unter ihm stand und in seinen Augen ein Hunde-dreck war. Aber er würde andere Mittel und Wege fin-den, um sich zu rächen – und sich dabei nicht die Finger zu beschmutzen. Was Heimtücke betraf, war Henry Treg-win ein getreuer Nachahmer des Burgherrn.

Aber Tregwin war viel zu angeschlagen, um zu regis-trieren, was mit seinem edlen Piekser geschehen war. Er trampelte achtlos über die beiden Teile weg, stieß den De-gengriff sogar mit der rechten Stiefelspitze achtlos weg und wackelte auf Kapitän O'Flynn zu.

»Es – es ist unerhört!« keuchte er heraus. »Un-er-hört!«»Da haben Sie ausnahmsweise einmal recht, Tregwin«,

sagte Philip Hasard Killigrew, bevor Kapitän O'Flynn ant-worten konnte. »Was sich der Bootsmann O'Leary geleis-tet hat, reicht aus, um ihn an den nächsten Baum zu hän-gen. Einem Mann, der mithilft, einen Toten zu tragen, ein Bein zu stellen und ihn dann niederzuschlagen, ist das Dreckigste und Gemeinste, was ich jemals erlebt habe.«

»Sie hätten ja einen anderen Weg nehmen können!« keifte Henry Tregwin.

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Der junge Riese musterte ihn eiskalt, aber in seinen Au-gen tauchte ein gefährliches Glimmen auf. »Darf ich das so verstehen, daß Strolche jetzt das Recht haben, sich ei-nem Totengeleit in den Weg zu stellen und es derart zu behindern, daß den Männern die Bahre mit dem Toten entgleitet? Darf ich das so verstehen? Antworten Sie, Tregwin, und überlegen Sie Ihre Antwort sehr genau, sonst könnte es passieren, daß Sie der nächste Tote sind. Also?«

»Das – das muß alles ein Mißverständnis sein«, stotterte der Burghauptmann mit käsigem Gesicht.

»Eine feine Antwort!« höhnte der junge Riese. »Und so schleimig wie Sie selbst, Hauptmann Tregwin, Sir! Hauen Sie ab! Ihr Anblick ist eine Beleidigung für den Vater des Toten, für uns alle, die um den Toten trauern!«

Der Burghauptmann schluckte. Er blickte sich hastig um, aber von den Kerlen Sir Johns hatte er keine Hilfe zu erwarten, die lagen immer noch flach. Und wären sie wie-der bei Bewußtsein, würden sie ihm auch nicht helfen können. Wer derartige Prügel bezogen hatte, dem fehlte der Mumm zu weiteren Taten.

An Mumm mangelte es dem Burghauptmann auch. Er hatte zu lange stark sein dürfen – immer hinter dem Schutzschild der Knechte. Jetzt war er entblößt und allein.

Und was tat er?Er floh.Er hastete von der Pier, auf die er so stolz hoch zu Roß

geritten war, doch der Stolz war zerbröselt wie wurmsti-chiges Holz. Er hatte Angst, von diesen Wilden verfolgt

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zu werden.Für den Burghauptmann Henry Tregwin wurde die

Flucht zu einem Spießrutenlauf.»Pfui!« riefen die Leute am Hafen.Pfiffe gellten, und Fäuste wurden drohend geschüttelt.»Feiglinge!« schrien sie.»Killigrew-Scherge!«'»Handlanger von Hurenböcken!«»Räuberhauptmann!«»Spitzbube! Hängt ihn auf!«Da lief der Burghauptmann noch schneller, denn er

fürchtete um sein Leben. Und er verfluchte seinen Ent-schluß, zum Hafen hinuntergeritten zu sein.

Natürlich hängte ihn niemand auf – da hätte es eines wüten Rädelsführers bedürft, der die Gabe hatte, die Volksseele zum Kochen zu bringen. Nein, sie schrien sich nur alles vom Herzen, was sie gegen den Kerl hatten, der nächst Sir John die Gewalt derer auf Arwenack verkör-perte, zudem die Steuern eintrieb und dabei kräftig ab-sahnte, indem er willkürliche Aufschläge erhob, die er in die eigene Tasche steckte.

Da er beim Eintreiben der Steuern immer berittene und bewaffnete Knechte bei sich hatte, wagte niemand, sich ihm zu widersetzen. Er handelte nach Sir Johns Grund-satz: Wo Gewalt Recht hat, da hat Recht keine Gewalt. Muckte dennoch so ein dummer Bauer auf, dann sorgten des Burghauptmanns Knechte dafür, ihm das Maul zu stopfen. Ganz hartnäckige und renitente Burschen lande-ten im Burgturm und blieben dort, bis sie um Gnade win-

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selten oder verreckten.In Falmouth selbst mußten der Burghauptmann und sei-

ne Schergen vorsichtiger vorgehen. Tatsächlich waren da Handwerker oder Fischer wie die Burnaways, denen man keine Daumenschrauben ansetzen konnte. Von ihnen wa-ren die Leute auf Arwenack zum Teil abhängig. Einen be-sonderen Status hatte auch die O'Flynn-Sippe – und ge-nau die war es, die jetzt wider den Stachel lockte.

Der Burghauptmann knirschte mit den Zähnen, wäh-rend er die engen Gassen zur Burg hochkeuchte und die drohenden Schreie hinter ihm leiser wurden.

Das Burgtor war verriegelt, ebenso die kleine Pforte.»Aufmachen!« brüllte der Burghauptmann,Erst da bequemten sich zwei Burgknechte, die Pforte zu

öffnen. Sie hätten Befehl von Sir John, alles abzuriegeln, erklärten sie. Tatsäche lich hatte Sir John den Zustand her? stellen lassen, der vorgesehen war, wenn der Feste Arwenack Gefahr drohte. Während Tregwin über den Burghof eilte, sah er, daß die Wehrgänge besetzt und die Kanoniere bei ihren Stücken waren.

Entweder befürchtet Sir John, die Falmouther wollen die Burg stürmen, dachte der Burghauptmann, oder er will Macht demonstrieren.

Beides stimmte nicht.Sir John lümmelte in dem geschnitzten Eichenstuhl

vorm brennenden Kaminfeuer in der Burghalle und soff wie ein Loch.

Und er röhrte, als sich der Burghauptmann näherte: »Na, haben Sie endlich die verdammten Kisten zu Apple-

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white gebracht, Sie alte Schleiereule?« Er rülpste don-nernd, soff wieder aus einer Flasche mit irgendeinem Fu-sel und dröhnte: »Habe Ihre faulen Hunde mal auf Trab gebracht, mein Lieber, Kleine Alarm-Übung! Bis die be-griffen, daß die Dons gelandet sind und stürmen wollen, ist eine halbe Stunde vergangen. Eine halbe Stunde! So eine Scheiße! Die bleiben bis morgen früh auf ihren Pos-ten stehen, verstanden? Keine Ablösung, klar? Die den-ken wohl, wenn der Burgherr auf See sei, könnten sie hier faulenzen, diese müden Säcke! Wird Zeit, daß Sie denen den Arsch abschleifen, Tregwin! Glotzen Sie nicht so dämlich! Was bietet Applewhite für die Kruzifixe und Bi-beln?« Sir John stutzte. »Wie sehen Sie denn aus, Mann?«

»Bin – bin niedergeschlagen worden«, quetschte der Burghauptmann heraus, »Die die. Kisten sind noch nicht – äh – bei Applewhite, es es hat eine Schlägerei gegeben, die Kerle O'Flynns gegen Ihre Leute, Sir…«

»Und?« brüllte Sir John.»Ich – ich wollte die O'Flynn-Kerle verhaften lassen«,

stotterte der Burghauptmann, »aber – aber – äh – aber das klappte nicht. Sie – sie fielen wie – äh – Teufel über uns her…«

»Sie berichten nicht korrekt, Tregwin«, sagte eine schar-fe Frauenstimme. Lady Anne war in der Burghalle aufge-taucht und stellte einen Zinnkrug mit Herbstblumen auf einen Sims.

»Äh«, sagte Tregwin. Er war ziemlich durcheinander. Sonst eiskalt, hatte er jetzt erhebliche Schwierigkeiten, die Fassung zu bewahren. Zuviel war passiert, was seine ein-

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gebildete Autorität als Burghauptmann erschüttert hatte.

5.

Lady Anne ordnete die Blumen und drehte sich zu ihm um. Sie war eine stämmige, resolute Frau, blondhaarig und blauäugig. Ihre drei Ferkelsöhne hatten wenig von ihr geerbt und waren alles in allem ein Abklatsch ihres Vaters.

»Sie sind ein Idiot Tregwin«, sagte Lady Anne grob. »Ich habe alles durch ein Spektiv beobachtet O'Flynns Männer trugen den toten Amos von Bord. Sie hatten ihn auf eine Gräting gebettet Vorn rechts ging Philip Hasard. Ihm wurde von O'Leary ein Bein gestellt. Als er stolperte, schlug ihm O'Leary die Faust ins Gesicht. Die Minner ver-loren die Gräting, weil Philip Hasard auf den Toten ge-schleudert wurde. Erst da griffen O'Flynns Männer an, denn diese hundsgemeim. Provokation war ungeheuer-lich. Daraufhin wollten Sie die Männer der ›Empress of Sea‹ festnehmen lassen, Einen dümmeren Befehl hätten Sie gar nicht geben können, Sie Trottel!«

Der Burghauptmann zuckte zusammen.Sir John hielt sieh an der Schnapsflasche fest und fluch-

te.»Sauf nicht soviel, John«, sagte Lady Ahne verächtlich.

»Denke lieber darüber nach, wie du das mit Kapitän O'F-lynn wieder hinbiegst. Dein jämmerlicher Burghaupt-

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mann beklagte sich, er sei niedergeschlagen worden. Aber er verschwieg dir den Grund, In dem Kampf zwischen deinen Kerlen und den O'Flynn-Männern versuchte die-ser Mistkerl, dem Kapitän den Degen in den Rücken zu stoßen. Der Kapitän hatte sich über seinen toten Sohn ge-worfen, um ihn in dem Getümmel abzuschirmen. Das sind die Tatsachen, und mir steigt der Ekel hoch, wenn ich daran denke, mit was für einem Gesindel du dich um gibst, John Killigrew!«

In einem jähen Wutanfall schmetterte Sir John die Schnapsflasche in den Kamin mit magischer Wirkung, denn der Fusel zerpuffte und verbrannte in bläulich-rot-orangener Flamme.

»Das solltest du mit deinen ganzen Schnapsbeständen tun, John Killigrew«, sagte Lady Anne trocken und unge-rührt »damit du wieder einen klaren Kopf bekommst, den du in der nächsten Zeit brauchen wirst. Es würde mich nämlich gar nicht wundern, wenn dir Kapitän O'Flynn mit seiner Mannschaft den Dienst aufkündigt, Jetzt hat er seinen dritten Sohn verloren, und zwar unter ähnlichen Umständen wie bei den beiden anderen. Du hast die ›Em-press of Sea‹ wieder ins Gefecht geschickt und mit deinen drei Karavellen zugesehen…«

»Halt's Maul, Frau, davon verstehst du nichts!« fuhr sie Sir John an.

Sie stand unerschrocken und gerade, diese Lady Anne, und sie funkelte den Vater ihrer drei Ferkelsöhne an.

»Spiel dich nicht auf, John Killigrew«, sagte sie bissig, »ich weiß längst, daß du ein Schaumschläger bist, ein

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Schwadroneur, der mit tapferen Taten prahlt, die andere begangen haben – zum Beispiel Kapitän O'Flynn und sei-ne Männer, die dieser Dummbart«, sie deutete auf den Burghauptmann, »festnehmen wollte. Ohne die ›Empress of Sea‹, ihren Kapitän und ihre Mannschaft bist du mit deinen drei Karavellen und den Taugenichtsen darauf weiter nichts als ein Kläffer, der den Schwanz einzieht, sobald es kracht.«

»Kümmere dich um deine Küche, Weib!« brüllte Sir John, und sein Gesicht war beängstigend rot verfärbt.

»Kümmere du dich um Kapitän O'Flynn«, sagte Lady Anne kalt, »oder du verlierst dein bestes Schiff mit der tapfersten Mannschaft!« Und damit verließ sie die Burg-halle.

»Weiber!« knurrte Sir John gehässig hinter ihr her. »Ver-dammte Tratschtanten, die überall mitquatschen wollen und ihre Nasen in Sachen stecken, die sie nichts angehen!«

Die Empfehlungen und Ermahnungen seiner Frau saus-ten bei ihm zum einen Ohr hinein und zum anderen her-aus. Allerdings hakte sich bei ihm ein bestimmter Gedan-ke fest. Aber zunächst brüllte er nach seinem Diener, ei-nem Kerl namens Gordon, der ihm eine Flasche Brannt-wein aus dem Keller holen mußte. Und den Burghaupt-mann ranzte er an, er solle nicht so dämlich herumstehen, sondern Holzscheite im Kamin nachlegen.

Wie üblich – sonst mußte das einer der drei Ferkelsöhne tun – trank Gordon den ersten Schluck aus der Flasche. Seit Jahren hegte Sir John den Verdacht – er pflegte ihn

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sogar –, daß jemand die Absicht habe, ihn mit Gift umzu-bringen. Wer, das wußte er allerdings selber nicht.Als Gordon nicht umfiel oder sonstige Anzeichen einer Vergiftung zeigte, sondern nur dämlich grinste, weil ihm der Branntwein schmeckte, konnte nunmehr Sir John er-neut dem Trunke huldigen. Er bereute bereits, die andere Flasche in den Kamin gefeuert zu haben. Sie war noch halbvoll gewesen.

Der Burghauptmann durfte sich zwar auch vor den Ka-min setzen, aber ansonsten zusehen, wie der Burgherr den Schnaps in sich hineinschüttete.

Gordon, ein schmieriger, schwammiger Kerl mit Halb-glatze, wurde weggescheucht, und zwar mit der freundli-chen Aufforderung: »Verpiß dich, du Hurenbock!«

Sir John hatte sich noch nie besonders gepflegt ausge-drückt. Er liebte die Vulgärsprache, reagierte jedoch er-bost, wenn sie ihm selbst gegenüber von anderen ange-wandt wurde.

Er rülpste ausgiebig, dann wurden seine Augen tückisch, als er seinen Burghauptmann musterte.

»Sagen Sie mal, Tregwin«, knurrte er, »sind Sie noch ganz bei Trost? O'Flynn und seine Kerle, dienen mir als Rammböcke, Mann! Und da gehen Sie bei und wollen O'Flynn von hinten abstechen!«

»Das – das geschah im Eifer des Kampfes, Sir«, murmel-te der Burghauptmann.

»Quatsch!« fauchte Sir John. »Reden Sie keinen Käse! Wer jemanden von hinten abmurkst, tut das mit voller Überlegung – weil er nämlich Schiß hat, den anderen von

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vorn anzugreifen. Erzählen Sie mir also keine Märchen, ich bin nicht so blöd, wie Sie vielleicht denken.«

»Das denke ich ganz bestimmt nicht, Sir«, sagte der Bur-ghauptmann hastig.

»So!« höhnte Sir John. »Das ist aber schön. Dann denken Sie mal darüber nach, wie Sie den Mist, den Sie angehäuft haben, wieder abräumen. Dem verdammten O'Flynn könnte es einfallen, mit seiner ›Empress of Sea‹ einfach ab-zuhauen. Wenn das passiert, mein Lieber, dann sind Sie hier die längste Zeit Burghauptmann gewesen. Und dann laufen Sie nur noch, denn ich hetze die Hunde aus dem Zwinger auf Sie. Da tue ich sogar ein gutes Werk, und alle im County werden jubeln, weil ich einen Schmarotzer und Bauernschinder zum Teufel gejagt habe.«

»Aber – aber ich habe immer dafür gesorgt, daß die Leu-te pünktlich ihre Steuern an Sie entrichten, Sir«, sagte der Burghauptmann und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn. »Und wenn ich einmal hart durchgreifen mußte, dann geschah das in Ihrem Sinne.«

»Papperlapapp! Sie haben in die eigene Tasche gewirt-schaftet, das wissen Sie genausogut wie ich. Aber wenn ich Ihre Durchstechereien weiter dulden soll, dann müs-sen Sie dafür auch etwas tun, womit wir wieder beim Thema wären.« Sir John genehmigte sich einen ausgiebi-gen Schluck, ließ wieder einen Rülpser folgen und wisch-te sich über den Mund. »Also, wie gedenken Sie die Sache mit O'Flynn zu regeln?«

»Äh – wir veranstalten eine pompöse Tfauerfeier für den toten O'Flynn-Sohn mit anschließendem Leichen-

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schmaus für alle Angehörigen, Freunde und die Mann-schaft«, sagte der Burghauptmann eifrig.

»Und wer bezahlt das?« fragte Sir John sachlich. »Ich vielleicht?«

Da geriet der Burghauptmann in arge Verlegenheit und sagte mit schwacher Stimme: »Aber – aber die Leute müs-sen doch sehen, wie großzügig Sie sind, Sir. Und schließ-lich gehörte der Tote zu Ihrem Verband und segelte unter Ihrem Kommando.«

»Ah – so ist das«, sagte Sir John süffisant. »Und wer wollte O'Flynn von hinten abmurksen und die Kerle fest-nehmen? Ich etwa? Ich schlachte doch nicht meine beste Milchkuh! Wie wäre es denn, wenn Sie das bezahlen, aber natürlich verkünden, daß ich der großzügige Spender bin? Ist das nicht eine gute Idee?«

Der Burghauptmann hielt das für keine gute Idee, eher für eine mehr als beschissene. Aber das traute er sich nicht zu sagen, und darum schwieg er lieber, schwitzte Blut und Wasser, verfluchte insgeheim dieses Ungeheuer von Burgherrn und zerrte an seinen Fingern, als seien die zu kurz geraten und müßten in die Länge gezogen wer-den.

Sir John war infam genug, das Schweigen seines Burg-hauptmanns als Zustimmung aufzufassen.

Er sagte: »Es freut mich, daß wir einer Meinung sind. Allerdings sollten wir den Kreis der Teilnehmer für den Leichenschmaus größzügig erweitern. Ich denke, daß wir alle Falmouther dazu einladen, um damit zu bekunden, wie eng das Verhältnis zwischen den Killigrews und den

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Bürgern ist. Es soll ein fröhlicher Leichenschmaus wer-den, nicht wahr? Ich schätze, daß Sie bestimmt zwanzig Weinfässer kaufen müssen, ferner für die Spießbraten mindestens acht Ochsen und zehn Schweine, nicht zu ver-gessen das Geflügel einschließlich der Mastgänse, Enten und Puten. Ja, auch für Musikanten müssen Sie sorgen, Tregwin. Musikanten sind wichtig für die Stimmung. Ich möchte nicht, daß die Leute denken, ich sei zu knauserig, gute Musikanten zu bezahlen!«

Der Burghauptmann Henry Tregwin hätte am liebsten geheult, geschrien oder gebrüllt oder sich die Haare ge-rauft. Aber das ging natürlich nicht.

So sagte er mit schwacher Stimme? »Das – das kann ich alles nicht bezahlen, Sir. So viele Ersparnisse habe ich nicht…«

»Reden Sie keinen Unsinn, Mann!« donnerte Sir John. »Und ob Sie Ersparnisse haben! Und ob! Ich weiß genau, was unter den Dielen in Ihrem Wohngemach verborgen ist. Ihr ergaunertes Geld reicht für zehn Trauerfeiern mit Leichenschmaus aus. Mich können Sie nicht bescheißen!«

Henry Tregwin wurde so weiß wie ein Teil der gekalk-ten Wände in der Burghalle. Dieser Teufel von Burgherr hatte also in seinen Räumen herumgeschnüffelt – wahr-scheinlich in der Zeit, in der er mit den Knechten mehrere Tage außerhalb der Burg weilte, um die Steuern einzuzie-hen.

Die Welt des Henry Tregwin brach zusammen wie ein Kartenhaus. Er hatte immer geglaubt, noch listiger und verschlagener als dieses fürchterliche Monster zu sein. Es

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war ein Trugschluß gewesen. Außerdem hatte ihn der Burgherr in der Hand. Er konnte ihn erpressen und aus-nehmen wie eine Weihnachtsgans.

Der Friedensrichter in Plymouth verhängte barbarische Strafen bei Fällen von Amtsmißbrauch.

»Ich habe mir erlaubt«, sagte Sir John höhnisch, »Ihre Ersparnisse in Verwahrung zu nehmen, als Sie vor zwei Stunden mit dem Versuch beschäftigt waren, meinen ge-schätzten Kapitän O'Flynn zu ermorden. Bei Ihren Er-sparnissen handelt es sich ja um Gelder, die Sie sich wi-derrechtlich angeeignet haben.«

Schmatzend und gurgelnd soff Sir John aus der Flasche und musterte dabei den Burghauptmann wie eine Schlan-ge das Kaninchen, Nach dem obligaten Rülpser fuhr er fort? »Sie sollten mir dankbar sein, daß ich Ihre sechs Geldsäcke in Verwahrung nahm, Tregwin. Und wissen Sie auch warum? Als mein Sohn Philip Hasard unten auf der Pier davon sprach, daß sich der Friedensrichter viel-leicht einmal mit Ihren klebrigen Fingern beschäftigen sollte, da wußte ich, was die Glocke geschlagen hatte. Der bringt es wirklich fertig und informiert den Friedensrich-ter über Ihre Gaunereien. Folglich mußen die Beweis-stücke – nämlich Ihre sogenannten Ersparnisse – ver-schwinden. Wenn jetzt Ihre Räume durchsucht werden, wird niemand etwas finden. Ich habe Sie vor Folter und Henkerstrick gerettet. Tregwin!«

Und der Burgherr lachte sich halbtot über seine gute Tat.

Henry Tregwin hingegen fand alles zum Heulen. Er saß

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zusammengesunken auf dem Eichenstuhl und bot ein Bild des Jammers. Sein Ritt hinunter zur Pier war zu einer Katastrophe geworden.

»Ich bin ruiniert«, flüsterte er.Sir John lachte dröhnend und tönte. »Aber nicht doch,

mein Guter! Sie sollten sich freuen, daß ich Ihnen aus der Klemme half. Bei mir sind Ihre Ersparnisse gut verwahrt, aber natürlich werden wir nicht kleinlich sein, wenn wir die Trauerfeier ausrichten und alle Falmouther zum Lei-chenschmaus einladen. Das wäre Sparsamkeit am falschen Platz!«

Und das Monster soff erneut.Der betrogene Betrüger hockte still und stumm da. Von

seinen »Ersparnissen« würde er nie wieder etwas sehen. Sir John würde das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen – es gehörte ihm ja nicht. Daß es ihm eben-falls, nicht gehörte, daran dachte der Burghauptmann nicht.

»Ich habe da noch einen Plan«, sagte Sir .John und hatte den tückischen Blick drauf.

Aber bevor er diesen Plan entwickelte, stand er auf und schlich zu der Tür, durch die sein Diener verschwunden war. Mit einem Ruck riß er sie auf – und Gordon stolperte ihm entgegen. Er hatte mit dem Ohr regelrecht an der Tür geklebt,

»Du Wanze!« brüllte Sir John, »Hab' ich's doch geahnt, daß du wieder lange Ohren machst! Na warte, du Schlüs-sellochkriecher! Hol die Peitsche.«

»Gnade«, winselte Gordon. »Ich – ich wollte gerade an-

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klopfen, um – um zu fragen, ob ich noch eine Flasche ho-len soll

»Tregwin!« brüllte Sir John. »Züchtigen Sie diesen Kerl!«Das war wie eine Erlösung für den Burghauptmann –

jetzt konnte er seine Wut austoben. Er sprang auf, als habe ihm jemand eine Nadel in die Kehrseite gestochen. Dann raste er in die Vorhalle, wo sinnigerweise eine Kol-lektion von Peitschen hing, die Sir John zu benutzen pflegte, darunter siebenschwänzige Katzen, Hundepeit-schen, Pferdepeitschen, Reitergerten, Ochsenziemer und sogar eine türkische Karbatsche, eine Riemenpeitsche.

Genau diese wählte der Burghauptmann aus und, fiel mit ihr über den schwammigen Gordon her, der schon losbrüllte, bevor der erste Schlag fiel, Sir John schaute ge-nüßlich zu. Er wußte sehr genau, daß sein Burghaupt-mann eine Gelegenheit brauchte, um sich zu entladen und abzureagieren. Es lenkte zudem seinen Zorn auf ihn, den Burgherrn, ab, und das war gut so.

Der Burghauptmann leistete gute Arbeit, wie Sir John befriedigt feststellte. Nun ja, er pflegte ja auch diese dum-men Rübenbauern auszupeitschen, um ihnen einzubleu-en, wer der Herrgott in Cornwall war, nämlich der Vi-zeadmiral Sir John Killigrew, Burgherr auf Arwenack,

Nach der Züchtigung mußte Gordon von zwei Dienern aus der Halle geschleift werden, Er war bewußtlos gewor-den. Sir John erwies sich als großzügig und ließ für seinen braven Burghauptmann eine Flasche Branntwein holen,

»Sehr gut, mein lieber Tregwin«, lobte er, während der Burghauptmann wie ein Verdurstender an der Flasche

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hing, »Das war eine vorzügliche Züchtigung, wie sie die-sem Gesindel gebührt, das es wagt, an Türen zu lauschen und durch Schlüssellöcher zu spähen.« Und er klopfte dem lieben Tregwin auf die Schulter.

Und dann setzte er ihm mit verhaltener Stimme ausein-ander, was er für einen Plan gefaßt hatte, nämlich ein weiteres Bubenstück, das schlicht darin bestand, den Ka-pitän O'Flynn und seine Mannschaft beim Leichen-schmaus so betrunken zu machen, daß sie sozusagen un-ter den Tisch rutschten. Alsdann würde man sie einzeln, unauffällig und ohne viel Auf sehen abräumen und im Turmtrakt einsperren.

»Es gibt da gewisse Möglichkeiten«, führte Sir John aus, »die Kerle einen wie den anderen weichzukochen und ih-nen ihre Unbotmäßigkeit ein für allemal auszutreiben,«

Das war Wasser auf die Mühle des Burghauptmanns, dessen Haß auf die Männer der ›Empress of Sea‹ schon krankhafte Züge angenommen hatte. Denn das Weichko-chen würde seine Aufgabe sein, und am liebsten hätte er auch die Burnaways sowie ganz besonders Philip Hasard Killigrew dazugeschlagen, deren Unbotmäßigkeit geradezu empörend war. Aber er traute sich nicht, diesbezüglich eine Empfehlung auszusprechen. Sir Johns Reaktionen waren unberechenbar.

Auch war dem Burghauptmann aufgefallen, daß sich Sir John in letzter Zeit eine gewisse Zurückhaltung gegen-über Philip Hasard auferlegt hatte – ganz im Gegensatz zu seinen drei anderen Söhnen. Dieser Philip Hasard er-laubte sich Dreistigkeiten, die sich Sir John früher nicht

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hätte gefallen lassen. Dies mußte mit dem Vorfall zusam-menhängen, der sich hier in der Burghalle abgespielt hat-te. Man munkelte, Sir John und seine drei Söhne hätten in diesem Raum von Philip Hasard eine Abreibung bezo-gen, die jeder Beschreibung spottete.

Fest stand nur, daß Sir John, John Malcolm, Simon Lle-wellyn und Thomas Lionel tagelang das Bett gehütet hat-ten. Und als sie sich erstmals wieder zeigten, hatten ihre Ferkelgesichter grün und blau geschillert, waren merk-würdig verschoben gewesen, und alle vier hatten den Gang von Greisen gehabt, nämlich ziemlich krumm, als seien ihnen die morschen Knochen verrutscht. Philip Ha-sard hingegen hatte nicht im Bett gelegen und putzmun-ter und gesund wie immer ausgesehen.

Jetzt sagte der Burghauptmann eifrig: »Sie können sogar Anklage gegen O'Flynn und seine Kerle erheben, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Denn sie haben Ihre drei Schiffe demoliert und die drei Besatzun-gen brutal zusammengeschlagen. Ich kann bezeugen, daß alle bewußtlos waren, als ich den Schauplatz verließ. Die-ser ungeheuerliche Vorgang hat zur Folge, daß die Vertei-digungsbereitschaft von Falmouth in Frage gestellt ist, das heißt, die kornische Küste und ganz England sind in schwerer Gefahr, wenn die Spanier angreifen.«

»Oh! Ein sehr guter Gedanke, mein lieber Tregwin!« rief Sir John. »Ein treffliches Argument! Damit haben wir sie! Natürlich!«

Sie prosteten sich grinsend zu, diese beiden Halunken, und dann wünschte Sir John, daß der Burghauptmann

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dem Kapitän O'Flynn sofort einen Besuch abstatte.»Überbringen Sie ihm die Botschaft«, tönte Sir John,

»daß es dem Burgherrn eine Ehre und eine Verpflichtung sei, die Trauerfeier und den Leichenschmaus für den teu-ren Toten auszurichten und großzügig zu gestalten. Und der Burgherr erlaube sich, ganz Falmouth dazu einzula-den, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß die Leute von Arwenack und die Bürger von Falmouth eine einzige große Familie seien, die besonders in Zeiten des Schmer-zes und der Trauer wie ein Mann zusammenhalte.«

Sir John redete noch mehr Schmus, denn im Heucheln war er schon immer ein großer Meister gewesen. Manche konnte er damit beeindrucken. Aber wer seinen miesen, tückischen Charakter kannte, für den war er ein schlech-ter Märchenerzähler.

Der Burghauptmann Henry Tregwin war etwas betrun-ken, als er aufbrach, um Kapitän O'Flynn Sir Johns Bot-schaft zu überbringen.

6.

Es war Brian Wolfe, der die Haustür Kapitän O'Flynns öffnete, nachdem draußen jemand ziemlich nachhaltig und ungeduldig an der Hausglocke gezogen hatte. Kurz zuvor hatte die Kirchenglocke mit neun Schlägen die Abendstunde angekündigt.

Die Bimmelei mit der Hausglocke war ziemlich unver-

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froren. Zum einen pflegte man in Falmouth Freunde oder Nachbarn mindestens zwei Stunden früher zu besuchen, zum anderen jedoch wußte inzwischen jeder, daß ein To-ter im Hause aufgebahrt war – der älteste Sohn Kapitän O'Flynns. Und da war es wenig taktvoll, den trauernden Vater in dieser Abendstunde zu stören.

Brian Wolfes Gesicht wurde noch grimmiger, als er den abendlichen Besucher erkannte, jenen Mann, der dem Ka-pitän von hinten den Degen in den Rücken hatte stoßen wollen.

»Was wollen Sie?« fragte er schroff.»Ah – ich habe von Sir John den Auftrag, Kapitän O'F-

lynn eine Botschaft zu übermitteln«, sagte der Burghaupt-mann von oben herab.

Eine Schnapsfahne wehte Brian Wolfe entgegen. Er wich zwei Schritte zurück, was der Burghauptmann als Einla-dung auffaßte, die Diele zu betreten.

»Warten Sie hier!« fauchte ihn Brian Wolfe an. Viel lie-ber hätte er ihm die Tür vor der Nase zugedonnert.

In Henry Tregwin begann es zu brodeln. Welchen Ton sich dieser Kerl ihm gegenüber erlaubte! Un-er-hört! Die-ses Pack wurde tatsächlich immer frecher und dreister. Höchste Zeit, die Kerle im Turm festzusetzen und dar-über zu belehren, wem sie Untertan zu sein hatten. Der Burghauptmann nahm sich vor, diesem Pack, einem wie dem anderen, die Peitsche zu kosten zu geben, die Peit-sche mit den

Bleikügelchen am Ende der Lederriemen. Die Knechte würden sie auf den Bock schnallen, der sich für diese

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Zwecke im Turmkeller befand.Brian Wolfe verschwand durch eine Tür im Hinter-

grund der Diele. Der Burghauptmann wartete, ärgerte sich, hier wie ein Bittsteller herumzustehen, und widmete sich erneut jenen Gedanken, die darum kreisten, wie er diese Kerle züchtigen würde. Es waren alles in allem Ge-danken, die ihn zutiefst befriedigten.

Was dem schleimigen Gordon an diesem Abend wider-fahren war, konnte als Honigschlecken bezeichnet wer-den. Die Kerle von der ›Empress of Sea‹ würden keinen Honig schlecken. Die nicht! Nur schade, daß der Burgherr etwas dagegen haben würde, sie langsam zu Tode zu be-fördern. Es gab da gewisse Möglichkeiten, die Beförderung ins Jenseits in die Länge zu ziehen.

Des Burghauptmanns, sadistische Gedankenkette wur-de unterbrochen, als die Tür aufprallte, durch die Brian Wolfe verschwunden war. Kapitän O'Flynn betrat die Diele – ohne Krücken, auf die er zumeist verzichtete. Er vermied auch den humpelnden Gang, eher schaukelte er etwas, wenn er das Gewicht vom Holzbein auf das gesun-de Bein verlagerte und umgekehrt.

Er blickte den Burghauptmann aus kühlen Augen an.»Machen Sie's kurz«, sagte er schroff.»Ähem«, äußerte sich der Burghauptmann. »Ich habe

die Ehre, eine Botschaft Sir Johns zu Überbringen…«»Das hörte ich bereits!« fuhr ihm Kapitän O'Flynn ins

Wort »Und wie lautet die Botschaft?«Der Burghauptmann betete – oder besser, er leierte den

Schmus herunter, den er von Sir John gehört und für ganz

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besonders wirksam gehalten hatte. Nach seiner und Sir Johns Meinung hätte dieser Kapitän O'Flynn nunmehr einen Dank über das großzügige Angebot des Burgherrn stammeln müssen. Der Burghauptmann erwartete sogar einen Kratzfuß des Kapitäns.

Aber nichts da.Die Miene des Kapitäns war immer eisiger geworden.Er deutete mit dem Kopf zur Haustür und sagte: »Dort

ist der Ausgang, Mister!«»Wie bitte?« flüsterte der Burghauptmann. Er glaubte,

sich verhört zu haben.»Dort ist der Ausgang«, wiederholte Kapitän O'Flynn

um eine Spur schärfer.Der Burghauptmann bekam stiere Augen und hatte ein

Zucken um die Mundwinkel.»Sie – Sie schlagen das – äh – großherzige Angebot Sir

Johns aus?« stammelte er.»Ich bin der Vater, Mister«, sagte Kapitän O'Flynn, und

seine Stimme war von ätzender Schärfe, »und als Vater bestimme ich darüber, auf welche Art und Weise mein Sohn der Erde übergeben wird. Ihr Dienstherr hat nicht darüber zu befinden, es sei denn, er hätte an der Seite meines Sohnes gekämpft. Seinen Tod hinterher mit einem Leichenschmaus zu feiern, empfinde ich als grotesk und beleidigend. Mein toter Sohn ist nicht dazu da, diesem Mann da oben auf Arwenack Reputation und Achtung zu verschaffen. Denn nichts anderes bezweckt er mit dieser billigen Geste. Ich sagte es bereits, nachdem wir eingelau-fen waren, und ich wiederhole es: Er ist ein Heuchler!

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Und ich will von den Killigrews, mit Ausnahme Philip Hasards, niemanden sehen, wenn mein Sohn zu Grabe getragen wird. Teilen Sie das Ihrem Dienstherrn mit. Und jetzt – verschwinden Sie! Ich kann Ihr Gesicht nicht mehr sehen, Sie Ratte!«

»Das – das werden Sie noch bereuen!« brüllte der Burg-hauptmann unbeherrscht.

Bevor Kapitän O'Flynn darauf reagieren konnte, glitt Philip Hasard Killigrew durch die Tür im Hintergrund der Diele, an beiden vorbei und an die Haustür. Dort drehte er sich um und lehnte sich gegen die Tür ein breit-schultriger Riese mit schmalen Hüften und langen Elch-beinen. Damit war die Tür versperrt. Zudem traten Brian Wolfe und drei Männer der ›Empress‹-Crew aus der hinte-ren Tür und verteilten sich.

Henry Tregwin, der Burghauptmann, saß in der Falle.Der Riese an der Haustür spreizte etwas die Beine, als

stehe er auf dem schwankenden Deck eines Segelschiffs, und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Tregwin«, sagte er fast träge, »Sir John und Sie haben da oben auf Arwenack etwas ausgeheckt. Und Sie werden uns jetzt darüber informieren…«

»Ich sage nichts!« kreischte der Burghauptmann und be-griff zu spät, daß er sich damit verraten hatte.

Der Riese lächelte. Es war ein Lächeln, bei dem einem das Blut in den Adern gefrieren konnte.

»Hatte ich doch richtig getippt«, sagte er mit dieser eisi-gen Freundlichkeit. »Und nun erzählen Sie mal.«

Der Burghauptmann blickte sich gehetzt um, aber es gab

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keinen Ausweg, es sei denn, er erkämpfte sich einen Durchbruch. Doch das wagte er nicht. Er war kein Kämp-fer. Er war, wie gesagt, nur immer stark hinter den ge-wappneten Knechten gewesen. Er taugte noch weniger als ein Knecht.

»Ich will hier raus!« greinte er.»Erst, wenn Sie uns informiert haben«, sagte der Riese

mit gleichbleibender eisiger Freundlichkeit. »Und vermei-den Sie es, uns anzulügen. Die Einladung Ihres Dienstherrn zu einer sogenannten großherzigen Trauer-veranstaltung mit anschließendem Leichenschmaus ent-hält den gravierenden Fehler, daß Ihr erwähnter Dienstherr zu geizig ist, so etwas zu bezahlen – und dann noch für alle Falmouther Bürger. Vergessen Sie bitte nicht, daß ich zu lange Zeit hatte, diesen Mann kennenzu-lernen und zu studieren. Er wird den Teufel tun, auch nur eine billige Münze für so etwas auszugeben. Der Tote ist ihm völlig gleichgültig.« Die Stimme des Riesen wurde scharf. »Und jetzt reden Sie!«

»Ich – ich verliere meinen Posten!« jammerte der Burg-hauptmann.

»Amos O'Flynn verlor sein Leben!« fuhr ihn der Riese an und holte mit einem Griff das Messer aus seinem Stie-felschaft.

»Neiiin!« schrie der Burghauptmann und streckte ab-wehrend die Hände vor. »Bitte nicht…«

»Zuerst schneide ich Ihnen die Ohren ab, Tregwin«, sag-te der Riese und prüfte mit dem linken Daumen die Schärfe seines Messers.

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Da brach zum zweiten Male die Welt des Henry Treg-win, seines Zeichens Burghauptmann auf Arwenack, wie ein Kartenhaus zusammen. Und er beichtete. Er heulte so-gar. Und um ihn herum stand die stinkende Wolke der Feigheit.

In der Diele herrschte Schweigen, als die Beichte des Henry Tregwin verklungen war. Die Männer Kapitän O'Flynns an der hinteren Tür lauerten. Sie hatten verbis-sene Mienen. Kapitän O'Flynns Miene war nicht zu be-schreiben. Wie konnte ein Mann noch aussehen, der sei-nen ältesten Sohn verloren hatte – und vor einem Ab-grund bodenloser Niedertracht stand!

Auch für diesen Kapitän O'Flynn brach eine Welt zu-sammen. Es war die Stunde der Wahrheit. Er hatte sich etwas vorgegaukelt. Er hatte gedacht, ein freier Mann zu sein; Er war es nicht. Dieses fürchterliche Ungeheuer da oben auf der Feste Arwenack verfügte über Menschen, als seien sie Läuse, Wanzen, Ungeziefer. Sie waren diesem Ungeheuer nützlich, solange etwas aus ihnen herauszu-pressen war.

Und dann?Ja, dann würde ein Tritt in den Hintern der letzte Lohn

sein – wie es mit jenen geschah, die krank oder alt wur-den oder sich verletzt hatten. Der Burgherr jagte sie da-von und kümmerte sich nicht mehr um sie. Sie waren für ihn nutzlos geworden, also weg damit!

»Darf – darf ich jetzt gehen?« fragte der jämmerliche Burghauptmann. Er schlotterte am ganzen Körper, über den er keine Kontrolle mehr hatte.

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Kapitän O'Flynn blickte zu dem Riesen und sah, daß der unmerklich den Kopf schüttelte. Aber der Kapitän traf eine andere Entscheidung.

Er sagte: »Gehen Sie. Teilen Sie Ihrem Dienstherrn mit, daß er sich umsonst den Kopf zerbrochen hat, wie er mei-ne Männer und mich in die Falle locken kann. Ich hatte und habe nicht die Absicht, mit meiner ›Empress of Sea‹ und ihrer Besatzung Falmouth zu verlassen. Das würde Ihrem Dienstherrn die Gelegenheit geben, meine Männer und mich für vogelfrei und für Geächtete erklären zu las-sen, nicht wahr? Aber das ist nicht der Grund. Wir blei-ben, weil wir uns verpflichtet fühlen, unseren Teil zum Schutz der kornischen Küste und ihrer Bewohner beizu-tragen. Das hat mit Ihrem Dienstherrn absolut nichts zu tun. Für uns ist er nur zufällig der Vizeadmiral von Corn-wall – ein Rang, dem er bis heute kaum gerecht geworden ist. Was soll's also! Wir dienen Cornwall und England, aber nicht den Killigrews auf Arwenack, Wir sind nicht deren Leibeigene. Das ist alles, was ich zu dem Buben-stück Ihres Dienstherrn zu sagen habe.«

Der Burghauptmann stand verdattert und mit offenem Mund da. Er begriff überhaupt nichts mehr.

»Sie – Sie wollen gar nicht flüchten?« fragte er stotternd. »Dann – dann hätte ich Sie ja gar nicht aufzusuchen brau-chen, um Ihnen Sir Johns – äh – Einladung zu überbrin-gen.«

»Sie merken aber auch alles«, sagte der Riese sarkas-tisch, »Nur sollten Sie nicht von einer Einladung spre-chen, wenn von einer Schurkerei die Rede ist.« Er trat zur

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Seite und Öffnete die Haustür. »Besser, Sie gehen jetzt – Sie stinken nämlich!«

,,Jawohl«, sagte der Burghauptmann gehorsam und stol-perte nach draußen. Und dann rannte er. Hätte ja sein können, daß Kapitän O'Flynn anderen Sinnes wurde. Und wieder einmal waren die Absichten des Henry Treg-win zerplatzt wie Seifenblasen. Er würde niemanden aus-peitschen können, um ihn zu belehren, wem er Untertan zu sein hatte. Wahrscheinlich würde er nie begreifen, daß seine Vorstellungswelt mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatte.

Als er Sir John eine halbe Stunde später Bericht erstatte-te, verschwieg er, daß er alles ausgeplaudert hatte. Statt dessen tat er sich damit wichtig, er habe durch geschick-tes Fragen herausgefunden, daß O'Flynn gar nicht die Ab-sicht habe, aus Falmouth zu verschwinden. Nein, er stehe treu zu seiner Verpflichtung, die kornische Küste zu ver-teidigen. Allerdings habe er die Einladung ausgeschlagen, weil er als Vater die Trauerfeierlichkeiten selbst regeln wolle.

»Dann eben nicht«, sagte Sir John grinsend. »Da spare ich eine Menge Geld!«

Dem Burghauptmann stieß diese Bemerkung sauer auf, höchst sauer. Denn der Burgherr sprach ja von Geld, das ihm gar nicht gehörte. Was einem nicht gehörte, konnte man auch nicht sparen, nicht wahr? Aber aus der Bemer-kung ging hervor, daß Sir John die vielen Talerchen, die er unrechtmäßig in Verwahrung genommen hatte, bereits als sein eigen betrachtete.

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Henry Tregwin war sehr vergrämt, dabei hätte er dank-bar sein sollen, daß ihm Philip Hasard Killigrew nicht die Ohren abgeschnitten hatte. Nun, immerhin war Sir John so großzügig, ihn am Branntwein teilhaben zu lassen. So tröstete er sich mit Fusel und hörte sich an, was Sir John zu schwadronieren hatte.

»Der Kapitän O'Flynn ist ein Idiot!« erklärte Sir John ki-chernd. »Ein nützlicher Idiot, mein lieber Tregwin, wenn Sie verstehen, was ich damit meine.«

Der Burghauptmann versicherte, daß er das bestens, verstehe. Auch er halte den O'Flynn für einen nützlichen Idioten – wenn er nur nicht immer so frech wäre.

»Soll er ruhig sein, soll er ruhig sein!« tönte Sir John. »Solange der nützliche Idiot bei der Stange bleibt, kratzt mich das nicht. Und wenn seine Kerle meine Kerle ver-prügelt haben, dann kratzt mich das auch nicht Wissen Sie, Tregwin, das ist sogar gut. Denn das lenkt die ›Em-press‹-Kerle davon ab, auf andere dumme Gedanken zu verfallen, und erspart mir die Arbeit, meine Kerle zu ver-dreschen.« Und Sir John lachte. Es klang wie das Wiehern eines liebestollen Hengstes.

Der Burghauptmann lachte gequält mit um Sir John bei guter Laune zu erhalten. Und er pflichtete ihm bei, daß man die Sache so natürlich auch betrachten könne.

»Man muß immer den einen gegen den anderen aus-spielen«, verriet Sir John mit listigem Augengeblinker. »Das müssen Sie sich merken, mein Lieber. Nur so er-reicht man was!«

Leider wußte der Burghauptmann nicht, wen er gegen

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Sir John hätte ausspielen können, um etwas zu erreichen. Insofern taugte diese Weisheit – wenn sie überhaupt eine war – rein gar nichts.

Plötzlich war die Leutseligkeit Sir Johns wie wegge-wischt, und er starrte den Burghauptmann lauernd an.

»Haben Sie inzwischen die verdammten Kisten von der Pier abholen lassen, Tregwin?« fragte er.

Der Burghauptmann erschrak und erwiderte stotternd, daß er dazu noch keine Zeit gehabt hätte.

»Soll ich das Zeug vielleicht zu Applewhite schleppen?« brüllte Sir John. »Muß man sich hier um alles kümmern? Ich verlange zwanzig Pfund pro Kiste, das sind bei sech-zehn Kisten dreihundertzwanzig Pfund. Sagen Sie das dem Gauner. Er hat sofort zu zahlen. Sie rechnen bei mir ab, verstanden?«

»Jawohl, Sir. Und – und wie ist das mit den Edelhölzern auf Ihren Schiffen?«

»Darum soll sich O'Leary kümmern.«»Sollen die Hölzer auch zu Applewhite?«»Nein, hier auf die Burg, Sie Idiot!« »Jawohl, Sir.«Somit war der Tag für den Burghauptmann noch lange

nicht zu Ende, für die Knechte auch nicht die er erst zu-sammentrommeln mußte. An ihnen ließ er seine Wut aus – mit der Peitsche, versteht sich.

*

Als Philip Hasard Killigrew die Tür hinter dem Burg-

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hauptmann geschlossen hatte, drehte er sich zu Kapitän O'Flynn um und schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nicht ob Ihre Entscheidung richtig war, Kapi-tän«, sagte er nachdenklich. »Ich hatte Ihnen sowieso vor-schlagen wollen, mit Ihrem Schiff und Ihrer Crew Fal-mouth zu verlassen.«

»Nein«, entgegnete Kapitän O'Flynn, »ich bin hier zu Hause. Ein O'Flynn desertiert nicht – nicht wegen eines Mannes wie Sir John.«

»Das verstehe ich«, sagte der Riese, »aber zu was mein Vater fähig ist, haben Sie ja von Tregwin gehört Ich fürch-te, daß dies alles kein gutes Ende nimmt. Mein Vater än-dert sich nicht. Beim nächsten Gefecht wird er Sie wieder sitzenlassen. Wer wird dann von Ihren Männern fallen? Und für was? Haben Sie daran einmal gedacht?«

»Ich bleibe«, erklärte Kapitän O'Flynn, und es klang wie etwas Endgültiges. »Ich schleiche mich nicht wie ein ge-prügelter Hund davon. Das ist nicht die Art der O'F-lynns.«

Dem jungen Riesen lag eine harte Antwort auf der Zun-ge – er verbiß sie sich und nickte nur. Kapitän O'Flynn, das wußte er, konnte ein ziemlicher Starrkopf sein, einer, der mit dem Kopf durch die Wand ging. Bei ihm, Philip Hasard Killigrew, gab es eine Grenze dort, wo Männer nutzlos geopfert wurden – zum Beispiel den eigensüchti-gen Interessen des John Killigrew.

Kapitän O'Flynn hatte die hellen Augen etwas zusam-mengekniffen und musterte den jungen Riesen.

»Wollen Sie bei mir nicht als Bootsmann fahren, Mister

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Killigrew?« fragte er. »Ich brauche einen.«Der Riese blickte ihn verblüfft an, faßte sich schnell und

erwiderte: »Ich habe andere Pläne, Kapitän O'Flynn.«»Ich bleibe nicht auf Arwenack.«Jetzt war Kapitän O'Flynn verblüfft. »Sie wollen weg?

Aber das geht doch nicht! Sie sind der einzige von den Killigrews, der seitens der Bürger von Falmouth uneinge-schränkten Respekt genießt. Alle hoffen, daß Sie einmal der Burgherr auf Arwenack werden.«

Philip Hasard Killigrew lächelte hart. »Darf ich Sie dar-an erinnern, daß ich noch zwei ältere Brüder habe. Erst wenn sie nicht mehr lebten, könnte ich Burgherr werden, vorausgesetzt daß auch ein Sir John nicht mehr existiert. Der gibt seine Burghertschaft erst ab, wenn er im Sarg liegt. Wie lange sollte ich da warten? Zwanzig Jahre, drei-ßig Jahre oder noch länger?«

»Der fähigste und der tüchtigste Killigrew muß Bur-gherr werden«, erklärte Kapitän O'Flynn.

»Das erzählen Sie mal Sir John«, sagte der Riese spöt-tisch. »Der lacht sich, wie ich ihn kenne, halbtot über einen solchen Vorschlag. Oder er wirft Ihnen eine Flasche an den Kopf, wenn er die gerade zur Hand hat. Außer-dem glaubt er, unsterblich zu sein. Vielleicht säuft oder frißt er sich zu Tode, aber im Kampf fällt er ganz be-stimmt nicht, dazu ist er zu gerissen. Nein, nein, Kapitän O'Flynn, auch wenn Sie oder andere das wünschen, über die Erbfolge können Sie sich nicht hinwegsetzen, das wis-sen Sie so gut wie ich. Ich habe keine Lust, Jahrzehnte auf einen Zufall zu warten und diese Jahrzehnte womöglich

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im Dunstkreis meines Vaters und meiner Brüder zu ver-bringen. Ich glaube, ich würde krank werden. Würden Sie mit Strolchen zusammenleben wollen?«

»Sie sprechen von Ihrer Familie!« sagte Kapitän O'Flynn zornig. »Könnt ihr jungen Kerle euch nicht unterordnen, auch wenn ihr einen rauhbeinigen und manchmal unge-rechten Vater habt?«

»Rauhbeinig, manchmal ungerecht?« fragte der Riese leise, aber mit deutlicher Schärfe. »Ich höre wohl schlecht! Haben Sie immer noch nichts begriffen, Kapitän? Der Mann, der mein Vater ist, gehört für seine Schandtaten an den Galgen! Und meine Brüder sind um keinen Deut bes-ser. Nannten Sie selbst nicht meinen Vater bei dieser ent-würdigenden Szene auf der Pier einen Heuchler?«

»Da war ich zornig auf ihn«, sagte Kapitän O'Flynn et-was lahm.

»Ich wünsche Ihnen noch mehr Zorn, Sir«, sagte Philip Hasard Killigrew und verbeugte sich leicht. »Bitte geben Sie mir Bescheid, wann Amos beerdigt wird.«

»Das werde ich tun«, erwiderte Kapitän O'Flynn, »und – hm haben Sie Dank für Ihre Hilfe.«

»Schon gut«, murmelte Philip Hasard Killigrew und verließ das Haus des Kapitäns.

7.

20. September, westlich der Scilly-Inseln, Abenddäm-

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merung.Die vier Karavellen des Vizeadmirals von Cornwall hat-

ten endlich Fühlung mit dem spanischen Verband, der von Süden her auf segelte. Es handelte sich um vier dick-bäuchige Handelssegler, die allerdings von sechs größe-ren Kriegskaravellen abgeschirmt wurden.

Die Nachricht von diesem Verband mit Kurs auf Irland hatte Sir John vor drei Tagen erhalten und war sofort mit seinen drei Karavellen und der ›Empress of Sea‹ ausgelau-fen.

Die vier Karavellen hatten einen breiten Suchstreifen ge-bildet und die See südlich der Scillies abgeharkt. Am Nachmittag dieses Tages hatte die ›Empress of Sea‹ als westliches Außenschiff des Suchstreifens den spanischen Verband gesichtet und die Sichtmeldung an das Nachbar-schiff, die ›Cornwall‹, durch mehrmaliges Niederholen und Vorheißen des Kapitänsstanders durchgegeben. Es war dies das vereinbarte Signal bei Sichtung des Gegners.

Kapitän O'Flynn hatte wild geflucht, denn bis die Kerle auf der ›Cornwall‹ das Signal bemerkt hatten, war fast eine halbe Stunde vergangen.

Es begann wieder alles – wie gehabt. Die ›Empress‹ spiel-te den Spürhund und sichtete als erster den Gegner, wäh-rend auf den drei anderen Karavellen geschlafen wurde. Und bis man von dem Signal Kenntnis nahm, dauerte es eine endlos lange Zeit, in der man längst auch vom Geg-ner entdeckt wurde.

»Diese Schlafmützen!« tobte Kapitän O'Flynn. »Geht das denn schon wieder los, verdammt noch mal!«

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Auf der ›Arwenack Castle‹ indessen spähte Philip Hasard Killigrew durchs Spektiv hinüber zur ›Cornwall‹ und sag-te ironisch zu seinem Vater: »Kapitän O'Flynn hat den Verband gesichtet und gibt das vereinbarte Signal, von dem auf der ›Cornwall‹ keine Notiz genommen wird. Ihr Sohn Simon Llewellyn scheint es nicht nötig zu haben, aufzupassen, Sir.«

»Maul halten«, knurrte Sir John. Er stand an der Pinne und renkte sich den Hals aus. »Kannst du was von den Dons sehen?«

Philip Hasard Killigrew war an das Backbord-Schanz-kleid getreten, blickte desinteressiert über die See ost-wärts – die vier Karavellen lagen auf Südkurs, bei Wind aus Westnordwest – und gab keine Antwort.

»Ich fragte, ob du was von den Dons sehen kannst!« brüllte Sir John.

»Sie sagten, ich sollte das Maul halten«, entgegnete der Riese gleichmütig.

»Treib es nicht schon wieder auf die Spitze, Sohn!« zischte der Vizeadmiral. »Sonst findest du dich in der Vorpiek wieder, aber in Ketten!«

Der Riese grinste amüsiert.»Schauen Sie mal Ihre Krücken an, Sir«, sagte er, »vor

allem Ihren werten Bootsmann. Die sehen alle noch so aus, als gehörten sie ins Hospital. Sie fahren mit einem Krückengeschwader zur See, falls Sie das noch nicht ge-merkt haben sollten. Und wahrscheinlich sind bei den Kerlen auf der ›Cornwall‹ die Klüsen immer noch zuge-schwollen, denn den Antwortwimpel haben sie noch

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nicht gesetzt. Im übrigen steht der Verband der Spanier Steuerbord voraus mit nördlichem Kurs auf Irland.«

So hatte das also angefangen.Die vier Karavellen hatten den spanischen Verband im

Westen passieren lassen, waren dann nach Westen ge-schwenkt und hatten sich hinter ihn gesetzt, und zwar in einer Formation, bei der die ›Empress of Sea‹ auf dem westlichen Flügel und schräg Backbord achteraus des Verbandes stand, während die ›Arwenack Castle‹ auf dem östlichen Flügel schräg Steuerbord achteraus von den Spaniern segelte. Etwas zurückhängend zwischen der ›Arwenack Castle‹ und der ›Empress of Sea‹ lägen die ›Corn-wall‹ und die ›Lady Anne‹ ungefähr im Kielwasser des spanischen Verbandes.

Zwei spanische Kriegskaravellen segelten auf der Back-bordseite der vier Handelsschiffe, zwei auf der Steuer-bordseite, eine voraus und eine achteraus. Sie zeigten kei-ne Anstalten, die vier Verfolger anzugreifen. Daß sie ge-sichtet worden waren, stand außer Frage, denn auf allen sechs Kriegskaravellen hatte man die Geschützpforten ge-öffnet und die Kanonen ausgerannt – Culverinen, und zwar acht auf jeder Seite. Sir Johns Karavellen und die ›Empress of Sea‹ waren nur mit fünf Culverinen je Seite be-stückt.

Alles in allem – Drehhassen, Kanoniere und Seesoldaten mitgerechnet – waren die Spanier den vier Karavellen Sir Johns ziemlich überlegen, die eher kläffenden Kötern gli-chen, zwar hinter dem Verband her jachterten, eher zum Beißen wenig Chance hatten. Betrachtete man den soge-

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nannten Kampfwert der drei Karavellen des Vizeadmi-rals, dann konnte einem sowieso grausen.

Philip Hasard Killigrew erging es so. Ihm schwante eini-ges, nur nichts Gutes.

Sir John indessen, dieser unverwüstliche Schwadroneur und Schaumschläger, berechnete bereits die Beute, denn er war der Ansicht, daß sie fett sein müsse. Er nahm die goldene Gans schon aus, ohne sie gefangen, beziehungs-weise geschlachtet zu haben.

»Vier dicke Handelssegler«, verkündete er lauthals, »die von sechs Kriegskaravellen abgeschirmt werden, haben sattes Beutegut in ihren Bäuchen, das schon so gut wie uns gehört. Wir brauchen nur noch zuzulangen, Leute!«

Die Kerle an Bord der ›Arwenack Castle‹ grinsten müde.Philip Hasard Killigrew sagte trocken: »Zulangen kön-

nen Sie erst, wenn Sie die sechs Kriegskaravellen nieder-gekämpft haberi, Sir.«

»Das besorgt O'Flynn für uns«, erklärte Sir John unver-froren.

Der Riese starrte ihn schweigend an, eine steile Falte über der Nasenwurzel. Dann wandte er sich ab und ging nach Steuerbord hinüber.

Sir John räusperte sich und sagte: »Natürlich stehen wir O'Flynn bei, wenn er die Karavellen angreift.«

Der Riese drehte ihm weiter den Rücken zu und äußerte sich nicht.

Indessen fiel die achtere Kriegsgaleone plötzlich nach Steuerbord ab, halste und schien die Absicht zu haben, auf die beiden Verfolger im Kielwasser loszugehen – auf

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die ›Cornwall‹ und die ›Lady Anne‹.Sie steuerte genau die Mitte zwischen den beiden Ver-

folgern an, was bedeutete, daß sie nach zwei Seiten kämpfen wollte – mit der Steuerbordbreitseite gegen die ›Cornwall‹ und mit der Backbordbreitseite gegen die ›Lady Anne‹, acht Kanonen gegen fünf Kanonen auf jeder Seite.

Und was taten die beiden Ferkelsöhne?Sie nahmen den Kampf nicht an – o nein! Die ›Cornwall‹

fiel nach Backbord und die ›Lady Anne‹ nach Steuerbord ab. Und dann gaben sie Fersengeld, daß die Bugwellen nur so schäumten.

»Sehr gute Taktik!« tönte Sir John. »Haben sie von mir gelernt!«

Philip Hasard Killigrew wandte sich ihm zu. »Taktik soll das sein? Ihre Söhne kneifen, Sir, aber Sie haben recht – Sie waren der Lehrmeister dieser Feiglinge!«

»Halt's Maul!« knurrte Sir John ein zweites Mal.Der Riese lachte ihm ins Gesicht. »Es wäre besser, Sie

hielten Ihr Maul, Sir, denn was Sie auch sagen – Sie dre-schen nur leeres Stroh!«

Der dümmliche Thomas Lionel, der sich ebenfalls auf dem Achterdeck befand, hatte bisher den Disputen zwi-schen seinem Vater und seinem Bruder mit offenem Mund zugehört. Jetzt lachte er los und meckerte wie ein Ziegenbock, wobei er sich dauernd auf die fetten Schen-kel schlug.

Und er grölte: »Hö-hö-hö! Der Alte drischt leeres Stroh!« Hö-hö-hö…«

Der Alte verließ einfach die Pinne, sprang auf ihn zu

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und schmetterte ihm die Faust auf die Gurgel.Thomas Lionel brauchte eine Stunde, um wieder eini-

germaßen Luft holen zu können und nicht zu ersticken.Die ›Arwenack Castle‹ schoß mit knallenden Segeln in

den Wind. Philip Hasard Killigrew rümpfte die Nase und sah sich keineswegs veranlaßt, etwas zu unternehmen oder gar an die Pinne zu gehen. Früher, bei ähnlichen An-lässen, hatte er gehandelt. Jetzt würde er den Teufel tun, einzuspringen. Was sich Sir John einbrockte, sollte er auch selbst auslöffeln. Im übrigen hatte er ja einen Boots-mann, der laut Befehl des Alten rangmäßig über den vier Killigrewsöhnen stand, die er schikanieren durfte, wie es ihm paßte, was er aber bei Philip Hasard Killigrew nicht mehr wagte – nach der letzten Abreibung auf der Pier schon gar nicht.

Die achtere Kriegskaravelle ging zu diesem Zeitpunkt auf den alten Kurs zurück, um dem Verband wieder zu folgen. Und in diesem Moment schlug Kapitän O'Flynn mit seiner ›Empress of Sea‹ zu.

Er hatte sich an die Karavelle herangepirscht und nutzte jenen Augenblick geschickt aus, in dem ihm der Gegner das Heck zudrehte, um zu halsen. Vor dem Wind liegend, fegte die ›Empress‹ in vierzig Yards Entfernung am Heck der Karavelle vorbei, und Kapitän O'Flynn gab den Feu-erbefehl.

Die fünf Culverinen der Backbordseite brüllten auf und hieben ihre Ladungen in das Heck der Karavelle. Es wa-ren fünf Treffer, und man hatte den Eindruck, als platze die Karavelle achtem buchstäblich auf. Holz wirbelte

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nach allen Seiten, die pompöse Achterlaterne zerklirrte und fiel zusammen, Planken barsten und splitterten, der Ruderschaft flog davon, die Karavelle war steuerlos, schäumend und rauschend ergoß sich Wasser in die riesi-gen Löcher des Achterschiffs.

Da ließ Sir John von geinem Sohn Thomas Lionel ab, hüpfte auf dem Achterdeck herum und brüllte: »Hurra! Wir haben einen von den Scheißern versenkt!«

»Ihr Flaggschiff ist zur Zeit ohne Rudergänger, Sir«, sag-te Philip Hasard Kiligrew, »da Sie geruhten, Ihren Posten zu verlassen, um Ihren Sohn halb umzubringen.«

»Und warum hast du die Pinne nicht übernommen?« brüllte Sir John.

»Ich? Wieso das denn? Haben Sie keinen Bootsmann mehr? Bin ich hier der Kapitän?« räsonierte der Riese. »Aber falls das der Fall sein sollte, dann möchte ich Sie sehr höflich bitten, das Achterdeck zu räumen und sich in Ihre Kammer zu begeben. Sie sind hier nämlich völlig überflüssig!«

Sekunden später stand Sir John wieder an der Pinne, er-staunlich ruhig und verändert. Die ›Arwenack Castle‹ wur-de wieder auf Kurs gebracht. Achteraus bäumte sich die spanische Kriegskaravelle auf und versank übers Heck. Die beiden Ferkelsöhne John Malcolm und Simon Llewel-lyn fielen über ein Ruderboot her, das die Spanier noch hatten zu Wasser bringen können. Sie schossen es mit ih-ren Drehbassen zusammen und feuerten dann mit Mus-keten auf die Schiffbrüchigen.

Philip Hasard Killigrew knirschte mit den Zähnen. Er

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verfluchte sich, an dieser Fahrt noch teilgenommen zuha-ben.

Diese feigen Schweine!»Du legst es darauf an, mich bis zur Weißglut zu reizen,

eh?« fragte Sir John.»Ich bewundere Ihren Scharfsinn«, knurrte der Riese.»Und was bezweckst du damit?«»Ganz einfach – daß Sie mich angreifen, Sir«, erwiderte

der Riese, ohne mit der Wimper zu zucken. »Und dann gnade Ihnen Gott!«

»Du haßt deinen Vater, mein Sohn?«Der Riese spuckte über Bord. »Als Vater haben Sie sich

nie gezeigt, Sir. Ich weiß nicht, was das ist. Ich kenne kei-nen Vater. Ich kenne nur einen prügelnden, saufenden, hurenden und betrügenden Mann, einen grölenden und die Schwächeren schikanierenden Grobiart. Was das für ein Vater sein soll, weiß ich nicht. Ich stelle mir darunter etwas anderes vor als das, was Sie sind. Genügt Ihnen das, Sir?«

»Werde mir's merken«, sagte Sir John merkwürdig ge-lassen.

Und da wurde Philip Hasard Killigrew mißtrauisch und vorsichtig. Der Alte heckte wieder was aus.

»Willst du die Pinne übernehmen, mein Sohn?« fragte Sir John.

»Nein, will ich nicht.«Sir John zog die Augenbrauen hoch. »Warum nicht?«»Weil ich die Hände frei haben will, Sir. Und ich darf Ih-

nen auch nie den Rücken zuwenden, nicht wahr?«

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Mit Genugtuung sah Philip Hasard Killigrew, wie sich Sir John auf die Lippen biß. Von da ab schwieg sein Vater und tat so, als sehe er den Sohn nicht mehr.

*

Es war tatsächlich wie immer. Sir John überließ Kapitän O'Flynn die heikle Aufgabe, an der Schutzeskorte herum-zusägen und sie anzugreifen. Er selbst hielt mit seinen drei Karavellen nur Fühlung und zeigte das Heck, sobald sich eine der Kriegskaravellen näherte. Das heißt, er riß aus. Und seine beiden Ferkelsöhne waren nicht minder gut im Ausreißen. Sie waren sogar noch besser als ihr Al-ter.

Die Bewacher waren nervös geworden, nachdem sie eine Kriegskaravelle eingebüßt hatten. Der Angriff dieser einen englischen Karavelle war blitzartig und gekonnt er-folgt – und er war tödlich gewesen. Jetzt, in der Nacht, hieß es doppelt aufpassen.

Aber noch war man kämpfstärker und hatte die größere Feuerkraft. Alle Kanonen waren besetzt, an Bord herrsch-te volle Gefechtsbereitschaft. Abwechselnd stießen die seitlichen Kriegskaravellen nach achtern vor, um die Ver-folger abzudrängen oder sogar zu fassen. Die wichen nur immer rechtzeitig aus.

Die vordere Kriegskaravelle hatte jetzt die achtere Posi-tion der versenkten Karavelle eingenommen. Die Spitze des Verbandes war somit ungeschützt. Der spanische

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Verbandsführer hatte das bewußt in Kauf genommen. Ihm war wiederum bekannt, daß die spanischen Schiffe auf dem Weg nach Irland oder zurück in den meisten Fäl-len auf der Höhe der Scilly-Inseln von vier englischen Ka-ravellen angegriffen würden.

Nach Agentenmeldungen sollten diese vier englischen Karavellen ihren Liegeplatz in Falmouth haben und an-geblich unter dem Kommando eines Vizeadmirals stehen.

Wenn es sich also bei den vier Verfolgern um diese be-treffenden Karavellen handelte, dann waren aller Voraus-sicht nach keine weiteren Gegner zu erwarten. Der spani-sche Verbandsführer rechnete nicht damit, auf eine zwei-te Kampfgruppe im Norden zu stoßen, in die sein Ver-band möglicherweise hineinsegelte. Die Engländer hatten in diesem Gebiet noch nie mit mehr als vier Schiffen ope-riert – eben jenen vier Karavellen.

Wenn er also die Verbandsspitze von ihrem Bewacher entblößte, dann wog das nicht allzu schwer. Gefahr ging nur von den vier Verfolgern hinter dem Verband aus. Auf sie mußte er seine Wachsamkeit konzentrieren, und dar-um hatte er die vordere Karavelle von der Spitze abgezo-gen und ihr die achtere Position zugewiesen.

Ein Handicap hatte dieser kleine spanische Geleitzug, und zwar seine Geschwindigkeit. Sie richtete sich nach den vier Handelsseglern, und das waren leider keine flin-ken Karavellen, sondern Schiffe vom behäbigen Galeo-nentyp, die noch dazu keine besondere Höhe beim Auf-kreuzen liefen und bei Wende- oder Halsemanövern aus-gesprochen lahm waren.

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Bei der Wende blieben sie manchmal im Wind stehen und kamen nicht auf den neuen Bug. Erst wenn sie zu-rücktrieben – die Engländer nannten das über'n Arsch se-geln konnte man sie bei entsprechender Ruderlage auf den neuen Bug bringen. Was man da an kostbarer Höhe verschenkte, war zum Haareraufen.

Kapitän O'Flynn hatte längst spitz, daß die vordere Ka-ravelle nach achtern beordert worden war und dort her-umfegte. Daß sie insbesondere den beiden Ferkelsöhnen Sir Johns das Leben versauerte, ergötzte ihn. Andererseits fluchte er, daß sie immer wieder auskniffen und keine Gelegenheit wahrnahmen, der Karavelle ihrerseits einzu-heizen.

Am meisten hatte auch ihn ergrimmt, daß sie über die Schiffbrüchigen hergefallen waren und ihren Mut an ih-nen ausgetobt hatten. Ja, Philip Hasard Killigrew hatte recht; daß er seine beiden Brüder als Strolche bezeichnete. Im Grunde waren sie und ihr Erzeuger nichts weiter als Wegelagerer oder Buschklepper zur See.

Der Verband und seine vier Verfolger hatten die Scilly-Inseln hinter sich gelassen und standen um Mitternacht im südlichen St. Georgskanal, jetzt mit Nordostkurs bei kräftigem Wind aus Westnordwest.

Jetzt begann für die vier Verfolger die Zeit zu drängen, wenn sie noch eine Chance haben wollten, im Schutz der Nacht die eine oder andere Kriegskaravelle auszuschal-ten. Indessen traf Sir John keine Anstalten, in dieser Be-ziehung aktiv zu werden, und was der Vater nicht tat, das taten seine beiden Ferkelsöhne erst recht nicht.

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Man verließ sich wieder auf Kapitän O'Flynn und seine Draufgänger. Sollten die doch ihre Haut riskieren, nicht wahr? Eine Karavelle hatten sie ja schon versenkt – und das mal eben so im Vorbeisegeln.

Wie hatte doch Sir John zu Philip Hasard Killigrew vor ein paar Stunden gesagt?

»Natürlich stehen wir O'Flynn bei, wenn er die Karavel-len angreift.«

Worte, nichts als Worte!Und das Beistehen drückte sich darin aus, wehrlose

Schiffbrüchige im Wasser abzuschießen oder ihre Ret-tungsmittel zu zertrümmern.

Sir John wußte, daß nur die Nacht günstig für überra-schende Angriffe auf die fünf Bewacher war, und er hatte nach alter Gewohnheit damit gerechnet, daß Kapitän O'F-lynn nach dem ersten Erfolg bald wieder zuschlagen wür-de. Aber das tat der nicht – und Mitternacht war bereits vorbei.

Jetzt wurde der Vizeadmiral nervös.»Warum greift der Bastard nicht an, verdammt noch

mal?« stieß er hervor. »Muß ich immer alles allein ma-chen?«

Das war ein seltener Witz, weil er noch nie etwas allein gemacht hatte. Aber solche Sprüche waren typisch für den Alten. Philip Hasard Killigrew schwieg. Was sollte er dazu auch noch sagen? Es gab überhaupt nichts mehr zu sagen. Er hatte sich entschlossen, Falmouth und der Feste Arwenack den Rücken zu kehren. Dies würde seine letzte Fahrt an Bord eines der Schiffe Sir Johns sein. Es war

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schon eine Fahrt zuviel. Der Ekel stand ihm bis zum Hals.»Greif an, O'Flynn!« brüllte Sir John in die Nacht hinaus.

»Oder bist du zu feige?«Für einen Moment war Philip Hasard Killigrew ver-

sucht, dieses Ungeheuer niederzuschlagen und das Kom-mando über die ›Arwenack Castle‹ an sich zu reißen. Warum er es nicht tat, wußte er selber nicht. Da war ir-gendeine Hemmschwelle. Er blieb passiv – und er würde es später bitter bereuen.

8.

Kapitän O'Flynn griff an – aber anders, als sich das Sir John vorgestellt hatte. Und auch Philip Hasarl Killigrew war überrascht.

Der Kapitän der ›Empress of Sea‹ hatte sich entschlossen, wie ein Wolf in die Schafherde einzubrechen und sich einen Dreck darum zu kümmern, ob sie bewacht war.

Denn es gab eine Stelle, wo die Herde nicht bewacht wurde – vorn. Und genau von dort würde er auftauchen Und seine Culverinen sprechen lassen. Aber bei diesem Angriff mit Kettenkugeln, um das Rigg der Handelssegler zu zerfetzen.

Im besten Fall verhinderte er mit einem solchen Angriff die zügige Weiterfahrt des Verbandes und stoppte ihn womöglich. Im schlechtesten Fall takelte er einen Han-delssegler ab, so daß er enterreif war. Und das war auch

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noch gut.Infolgedessen hatte sich Kapitän O'Flynn mit der ›Em-

press of Sea‹ nach Westen davongestohlen, war dann je-doch außerhalb der Sichtweite wieder abgefallen und hat-te sich unter vollem Preß vor den Geleitzug gesetzt. Ge-gen zwei Uhr morgens war er auf Südwestkurs gegangen, dem Geleitzug entgegen.

Eine Viertelstunde später sichteten seine Ausgucks den Verband – die ›Empress of Sea‹ wurde erst entdeckt, als es für die Spanier zu spät war.

Das hatte psychologische Gründe. Zum einen konnte diese zweite Morgenstunde für einen Angriff gar nicht günstiger sein, weil zu diesem Zeitpunkt der Hundewa-che von Mitternacht bis vier Uhr morgens die spanischen Ausgucks mit ihrem Schlafbedürfnis kämpften. Und zum anderen hatten sie – wenn überhaupt – den Querab- und Achteraussektor beobachtet, wo sie die Verfolger wußten. Von vorn hatten sie nichts erwartet.

Das Kalkül ihres Verbandsführers war falsch gewesen.Die vier behäbigen Galeonen marschierten in Zweierko-

lonne. Ihr Zwischenabstand betrug allenfalls sechzig Yards. In diese Lücke stieß Kapitän O'Flynn vor. Für die Spanier tauchte die ›Empress of Sea‹ wie ein Geisterschiff auf, ein Spuk, der sie lähmte und nicht reagieren ließ.

Kapitän O'Flynns Order für die Feuerverteilung lautete: zwei Culverinen je Seite für die beiden vorderen Dons, drei Culverinen je Seite für die beiden achteren. Die ›Em-press of Sea‹ würde also beim Durchsegeln der Lücke zwi-schen den vier Schiffen nach beiden Seiten feuern und

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jede Galeone erfassen.Urplötzlich brach das Inferno los.Da lagen die beiden ersten Galeonen genau querab auf

beiden Seiten der ›Empress of Sea‹. An Backbord entluden sich brüllend zwei Culverinen und ebenso an Steuerbord. Mit einem schwirrenden Jaulton rasten die Kettenkugeln zu den beiden Galeonen hinüber – und trafen.

Bei der westlich segelnden Galeone wurde das Großse-gel abgetakelt, und die Rah stürzte splitternd an Deck. Bei der östlich segelnden Galeone zerfetzten die beiden Ket-tenkugeln die Großwanten an Backbord, also die Luv-wanten, und schon passierte, was passieren mußte: Der Großmast neigte sich nach Lee, die Pardunen konnten dem Winddruck auch nicht mehr standhalten und rissen knallend, der Mast brach ein paar Handbreiten über Deck weg und schlug samt Rahen und Segeln nach Steuerbord in die See.

Knapp dreißig Sekunden später donnerten die je drei anderen Culverinen auf jeder Seite der ›Empress of Sea‹ und spuckten ihre Kettenkugeln zum Gegner.

Da ging bei der westlichen Galeone der Besanmast über Bord, und im Großsegel klaffte ein großer, häßlicher Riß. Und bei der Östlichen Galeone flog der Bugspriet mit dem Blindesegel davon. Ein weiterer Treffer war merk-würdig genug. Offenbar zerschlug eine Kettenkugel die Verzurrung des Bugankers an Backbord. Jedenfalls sauste der schwere Anker in die Tiefe und zog die Trosse hinter sich her, bis Sie steif stand. Einen Grund faßte der Anker nicht, aber er hing in der Tiefe und hatte bremsende Wir-

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kung. Die Galeone törnte in den Wind und lag mit schla-ckernden Segeln und kreischenden Rahen da.

An Bord aller vier Galeonen herrschte Zustand.Die ›Empress of Sea‹ stieß am Ende der Lücke hart anlu-

vend hinter dem Heck der letzten Backbordgaleone vor-bei, der Brian Wolfe im Vorbeisegeln noch eine Drehbas-senladung ins Rudergeschirr jagte. Dann zeigte Kapitän O'Flynn erst einmal die Hacken, das heißt, er verzog sich nach Westen und ging erst außerhalb der Sichtweite auf den anderen Bug, um in der Luvposition gegenüber den Spaniern zu bleiben.

Die fünf Wachhunde waren überfordert. Der Wolf war genauso schnell verschwunden, wie er in die Herde ein-gebrochen war. Und die Herde hatte böse Schwierigkei-ten. Sie durfte jetzt nicht auseinanderbrechen, die Schä-den mußten schleunigst behoben werden.

Und eins stand jetzt schon fest: Sie würde infolge der Schäden am Rigg noch langsamer als zuvor sein – ein Großmast und ein Besanmast waren auf See nicht zu er-setzen. Außerdem meldete jene Galeone, welcher der Be-sanmast über Bord gegangen war, einen schweren Ruder-schaden, so daß zunächst ein Notruder angebracht wer-den mußte.

Und wie reagierte Sir John, seines Zeichens Vizeadmiral von Cornwall, der sich selbst für einen tollen Burschen hielt?

Zunächst einmal war er völlig verblüfft und begriff überhaupt nichts. Und als er endlich den nötigen Durch-blick hatte, kriegte er einen Tobsuchtsanfall.

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»Warum greift dieser Idiot die Handelsschiffe an, ver-flucht noch mal?« brüllte er. »Der soll sich um die Kara-vellen kümmern! Die Handelsschiffe gehören mir – mir – mir!« Und er heulte fast vor Wut.

»Dann holen Sie sich doch Ihre Schiffe«, höhnte Philip Hasard Killigrew.

»Halt's Maul, du Scheißer!« röhrte der Vizeadmiral, und der Schaum stand ihm vorm Mund.

»Vorsichtig, John Killigrew«, sagte der Riese ätzend, »oder ich wische Sie über Bord wie eine dreckige Laus!«

O'Leary erschien achtern und sagte erregt: »Wir sollten jetzt angreifen, Sir! Das ist eine einmalige Chance – die Karavellen sind mit den Handelsseglern beschäftigt…«

»Nein! Wir warten ab!« brüllte Sir John. »Verbitte mir Einmischung in meine Entscheidungen, verstanden?«

O'Leary war viel zu abgebrüht, um sich von diesem Wü-terich sonderlich beeindrucken zu lassen.

»Dann fahren Sie doch gleich nach Hause, Sir«, sagte er trocken. »Was sollen wir noch hier? Zuschauen, wie der verdammte O'Flynn unter den Dons aufräumt?« Er spuckte über Bord. »Zum Kotzen!«

»Halt's Maul!« kreischte Sir John. Er benutzte dieses freundliche Verbot in letzter Zeit sehr häufig. Was ande-res fiel ihm wohl nicht ein.

O'Leary schob die Hände in die Hosentaschen und grinste über das zerwichste Gesicht, das ihm der Riese de-moliert hatte. Er schaute zu ihm hinüber und fragte: »Was sagen Sie dazu, Mister Killigrew?«

»Nichts. Hier ist alles gesagt«, erwiderte der Riese ver-

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ächtlich. »Ihr Dienstherr hat's mit dem Warten – beim Saufen und Plündern ist er schneller…«

»Karavelle Backbord voraus – läuft auf uns zu!« brüllte der Ausguck vorn am Bug und deutete erregt in die Rich-tung.

Automatisch legte Sir John Ruder und fiel nach Steuer-bord ab. Die Segel mußten gefiert werden; Uber Steuer-bordbug raumschots rauschte die ›Arwenack Castle‹, das stolze Flaggschiff des Vizeadmirals, ostwärts und zeigte dem Gegner wieder einmal das Heck.

»Wenn ich die Karavelle hinter mir herlocke«, erklärte Sir John, »dann hat es O'Flynn nur noch mit vier Bewa-chern zu tun!«

Nur noch mit vier Bewachern!Es war ungeheuerlich, was für Vorstellungen dieses

Monster hatte. Dabei hatte die ›Arwenack Castle‹ noch nicht einen einzigen Schuß abgefeuert, sondern war im-mer nur davongelaufen. Gleiches galt für die ›Cornwall‹ und die ›Lady Anne‹ der beiden Ferkelsöhne, die aller-dings ihre Schießkünste bisher lediglich an Schiffbrüchi-gen erprobt hatten, die nicht zurückschießen konnten.

»Sie haben recht, O'Leary«, sagte Philip Hasard Killi-grew. »Wir sollten nach Falmouth zurücksegeln. Hier spielt sich nichts mehr ab, die besten Gelegenheiten sind verpaßt. Was soll's also!«

Sir John schielte nach achtern – und frohlockte.»Ich habe den Schneckenfresser abgehängt!« tönte er.

»Das ist die richtige Taktik, ihn zu zermürben!«»Abgehängt nicht, der ist umgedreht«, sagte O'Leary

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und gähnte lauthals. »Was ist jetzt? Segeln wir nach Fal-mouth, oder gehen wir auf Gegenkurs?«

»Gegenkurs! Wir greifen an!« verkündete Sir John. »Ver-lange Klarmeldung, ob alle Kanonen gefechtsbereit!«

O'Leary gähnte noch einmal und zog seine Hosen hoch.»Kanonen sind seit gestern Abend gefechtsbereit«, sagte

er, »und noch keinen Schuß abgefeuert! Was das an Holz-kohle kostet! Da haben wir schon dreimal nachlegen müs-sen.« Er warf Sir John einen schiefen Blick zu und trollte sich, um sich um das Nachtrimmen der Segel zu küm-mern.

»Zwei Karavellen Backbord querab!« brüllte ein Aus-guck.

»Feuererlaubnis für Backbordkanonen!« dröhnte Sir John. »Gebt's den dreckigen Bastarden, Leute! Drauf und dran!«

»Stimmt mit den dreckigen Bastarden«, sagte Philip Ha-sard Killigrew, das Spektiv am Auge. »Es sind die ›Corn-wall‹ und die ›Lady Anne‹!«

»Befehl zurück!« brüllte Sir John hysterisch.Doch einer der Kerle an den Culverinen hatte bereits ge-

zündet, und das Rohr spie eine Feuerlanze aus. Die Kugel sauste knapp über die Wasserfläche und schlug dicht vor der ›Cornwall‹ in die See. Eine Wasserfontäne gischtete hoch und fiel wieder in sich zusammen. Die Kerle auf der ›Cornwall‹ wurden tüchtig abgeduscht – dreckige Bastar-de blieben sie dennoch.

»Welcher Idiot hat da gefeuert?« tobte Sir John.Ein Mann reckte sich auf und drehte sich ihm zu. »Ich,

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Sir. Sie gaben den Feuerbefehl, und Befehle sind sofort auszuführen.«

Doyle hieß der Mann.»O'Leary!« brüllte Sir John. »Der Kerl erhält zwanzig

Hiebe mit der Katze, verstanden?«Der Bootsmann wandte sich langsam um und starrte Sir

John an, die Fäuste in die Seiten gestemmt. In seinen Au-gen stand ein bösartiges Funkeln.

Träge hob er jetzt die rechte Hand und hielt sie hinter das rechte Ohr.

»Wie bitte?« fragte er. Sir John wurde wieder tobsüchtig und wiederholte den Strafbefehl.

O'Leary schüttelte den Kopf und sagte: »Das können Sie selber tun. Sir. Von mir empfängt Doyle keine zwanzig Hiebe, sondern ein Lob dafür, daß er nach Ihrem Befehl sofort gefeuert hat. Allenfalls erhält er einen Tadel – we-gen des Flachschusses. Ein bißchen höher, und Ihrem Sohn wäre der Bug davongeflogen!« Und der Bootsmann zeigte ein schauerliches Grinsen, schauerlich auch wegen der Zahnlücke, für die der Riese gesorgt hatte.

»Wo gehobelt wird, fallen Späne«, sagte Philip Hasard Killigrew voller Hohn. »Sie kennen doch den Spruch, Sir!«

Angesichts der ihm zugewandten finsteren Mienen er-kannte Sir John, daß nicht nur sein Sohn Philip Hasard Killigrew gegen ihn stand. Jetzt hatte er sogar den Boots-mann samt der Crew auf seiner Seite.

Und Sir John begriff, daß er sich auf einer Gratwande-rung befand – ein falscher Schritt, und er stürzte ab. Das

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Prinzip, das er dem Burghauptmann empfohlen hatte, nämlich den einen gegen den anderen auszuspielen, die-ses Prinzip griff nicht mehr.

Sir Johns Wandlungen waren ebenso merkwürdig wie verblüffend.

Er warf den Kürbiskopf in den Nacken und röhrte schaurig lachend den Nachthimmel an, der allmählich heller wurde.

»Ho-ho-ho!« röhrte er. »Kleiner Scherz das alles! Hof-fentlich hat sich Simon Llewellyn vor Schreck nicht in die Hose gemacht! Ha-ha-ha!«

An Bord lachte niemand mit.Und auf der ›Cornwall‹ waren sie am Fluchen. Es war

mehr als die Pest, die der Ferkelsohn Simon Llewellyn seinem Alten an den Hals wünschte.

*

Im Morgengrauen des neuen Tages langten die Männer von der ›Empress of Sea‹ noch einmal zu und versenkten in einem verwegenen Angriff ihre zweite Kriegskaravelle.

Der spanische Verband schleppte sich Weiter nordost-wärts. Jene Galeone mit dem Ruderschaden und dem feh-lenden Besan mußte aufgegeben werden – aus welchen Gründen auch immer. Die Besatzung würde von einer der vier Kriegskaravellen übernommen.

Als der Verband weiterzog, fielen Sir Johns drei Kara-vellen über das wracke Schiff her und plünderten es aus.

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Die Spanier hatten das Schiff noch nicht einmal gesprengt oder angebohrt, geschweige denn in Brand gesetzt. Die Galeone hatte Tuchballen geladen.

Philip Hasard Killigrew war klar, daß ihnen die Spanier einen Brocken hingeworfen hatten. Sie gaben ein Schiff auf, um die anderen noch durchzubringen. Vermutlich steuerten sie Dublin an, wurden jedoch mit ihrer beschä-digten Takelage von dem Westnordwest stark nach Osten zur englischen Küste versetzt.

Kapitän O'Flynn hielt weiter Fühlung an dem Verband, auf eine Gelegenheit lauernd, noch eine Kriegskaravelle zu versenken. Am Nachmittag schlossen die drei Karavel-len Sir Johns wieder auf. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die ›Empress of Sea‹ östlich querab des Verbandes, und es gelang Brian Wolfe mit einem gewagten Weitschuß – ge-wagt wegen der überhöhten Pulvermenge –, der auf die-ser Seite segelnden Kriegskaravelle den Großmast abzuta-keln. Es war ein Glückstreffer.

Dann verließ das Glück die ›Empress of Sea‹.Bei den Spaniern war wohl jener Punkt erreicht, es jetzt

wissen zu Wollen und diesen gefährlichen Wolf zu stellen und zu vernichten. Vielleicht dachte der Verbandsführer, auf dieser scharfen Karavelle befände sich jener Vizead-miral, der in diesem Geriet räuberte und den spanischen Handelsfahrern so zusetzte.

›Empress of Sea‹ hieß dieses Schiff. Das hatten die Spa-nier inzwischen festgestellt. Dieser Name verriet, daß es sich um eine Art Flaggschiff handeln mußte: Beherrsche-rin oder Kaiserin über die See! Es konnte sich nur um ein

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Schiff der englischen Königin handeln!Dieses verfluchte Schiff hatte zwei Kriegskaravellen ver-

senkt und die dritte gefährlich beschädigt.Und so begann eine erbarmungslose Jagd.Die drei letzten Kriegskaravellen verließen den Ver-

band, bildeten eine breitgefächerte Linie und stießen auf die ›Empress of Sea‹ zu. Sie wollten die englische Karavelle in die Zange nehmen.

Sir John lachte sich mal wieder halbtot. Er hatte sowieso gute Laune, weil er die Tüchgaleone hatte plündern kön-nen. Und jetzt bot sich ihm die Chance, die lahme Kara-velle in die Mangel zu nehmen, der O'Flynn freundlicher-weise den Großmast weggeschossen hatte.

Für drei Karavellen war das kein Problem, besser ge-sagt: risikolos.

Sie schossen diese Kriegskaravelle zusammen.Und dann fielen sie wie die Geier über die drei Handels-

segler her.Um Kapitän O'Flynn und seine ›Empress of Sea‹ küm-

merten sie sich nicht.Wo gehobelt Wird, fallen Späne!Sie ernteten, was Kapitän O'Flynn gesät hatte. Und sie

ließen ihn im Stich, wie sie das immer getan hatten.Der schwarzhaarige Riese mit den eisblauen Augen, der

auf dem Achterdeck der ›Arwenack Castle‹ stand, biß die Zähne zusammen, als er durch das Spektiv beobachtete, wie die ›Empress of Sea‹ in die Zange genommen wurde. Und er sah auch noch, wie ein Schuß – offenbar ein Weit-schuß – den achteren Mast zur Hälfte wegriß. Kapitän

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O'Flynn flüchtete ostwärts auf die englische Küste zu.Hoffentlich schaffst du es, Kapitän O'Flynn, dachte der

Riese, warf sich gleichzeitig herum, weil ihn ein Instinkt warnte – und starrte in die beiden Mündungen einer dop-pelläufigen Pistole, die Sir John auf ihn gerichtet hatte. Sir John grinste.

Das Gesicht des Riesen wurde ausdruckslos.»Bringen Sie es hinter sich, John Killigrew«, sagte er,

»oder sind Sie sogar zu feige, auf einen Wehrlosen zu schießen?«

Sir John kicherte. »Was du nur immer für schlechte Ge-danken hast, Söhnchen. Ich will doch nur dein Bestes. Aber du mußt begreifen, daß du noch ein kleiner Scheißer bist. Was bist du? Wiederhole es!«

Der Riese spuckte ihm verächtlich vor die Füße.Da feuerte Sir John – am rechten Ohr des Riesen vorbei.

Er spürte den sengenden Luftzug, aber er zuckte mit kei-ner Wimper.

Er sagte: »Sie schießen miserabel, John Killigrew. Wenn Sie den anderen Schuß auch noch danebensetzen, sind Sie dran. Sogar wenn es ein Herzschuß wird, springe ich Sie noch an und nehme Sie mit in die See – in inniger Umar-mung! Es wird mir eine Freude sein, mit Ihnen zusam-men abzusaufen – es ist meinen Tod wert!«

»O'Leary!« brüllte Sir John über die Schulter, ohne sei-nen Sohn aus den Augen zu lassen. »Bring diesen Bur-schen in seine Kammer und schließ sie ab! Er stört hier!«

»Aye, Sir«, sagte O'Leary, »wenn Sie meinen, daß wir auf ihn verzichten können.«

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»Das meine ich allerdings«, knurrte Sir John.O'Leary zog seine Pistole aus dem Gurt, spannte den

Hahn und nickte dem Riesen zu. »Gehen wir!«Und so führte er Philip Hasard Killigrew unter Deck in

die Kammer, die er bewohnte, wenn sie auf See waren.Bevor er von draußen die Kammer verriegelte, sagte er

so nebenbei: »Schätze, daß Sie abhauen, wenn wir in Fal-mouth vertäuen.«

»So?« sagte Philip Hasard Killigrew. »Sind Sie sicher?«Der Bootsmann nickte. »Bin ich. Weil ich nämlich das

Schott entriegele.«»Oh! Wollten Sie mir nicht mal die freche Schnauze po-

lieren, O'Leary?«»Ach – Scheiße!« knurrte der Bootsmann und schlug das

Schott dicht.

*

Kein Zweifel – sie holten auf, diese drei Kriegskaravel-len. Sie hatten mehr Tuch an den Masten als die ›Empress of Sea‹. Klar, sie waren ja auch größer und schön schiffig gebaut, so richtige Renner. Da hatten sich die Dons mal Was einfallen lassen, als sie diese Schiffchen bauten.

Kapitän O'Flynn wünschte sich, eine gleiche Karavelle zu haben – nur, um den Dons mal zu zeigen, daß man noch mehr aus diesen schlanken Seglern herausholen konnte. Denn seine ›Empress of Sea‹ ging ihm über alles. Sie war das beste Schiff, das er je unter den Füßen gehabt

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hatte.Lauf, mein Schiffchen, lauf! dachte er.Im Kielwasser der ›Empress of Sea‹ segelte die eine Kara-

velle. Die beiden anderen lagen Backbord und Steuerbord achteraus, schoben sich aber immer weiter vor – bis sich die Zange schließen würde.

Mit einem grimmigen Blick nach achtern stellte Kapitän O'Flynn fest, daß Sir John gar nicht daran dachte, seinem getreuen Gefolgsmann Donegal Daniel O'Flynn auch nur die geringste Hilfe zu gewähren. Er war ihm sogar sehr herzlieh dankbar, daß der dumme O'Flynn die drei Kriegskaravellen hinter sich herzog, denn jetzt konnte der Vizeadmiral den ganz großen Räuber spielen.

Ein weiterer Blick nach achtern zeigte, daß Sir Johns Ka-ravellen Über die Kriegskaravelle herfielen, der Brian Wolfe den Großmast abgetakelthatte.

In diesem Moment hörte Kapitän O'Flynn das Pfeifen und zog den Kopf ein. Von der Karavelle schräg Back-bord achteraus dröhnte ein Abschuß herüber. Und auf der ›Empress of Sea‹ brach mit einem häßlichen Knirschen die obere Hälfte des Besanmastes weg.

»Kappt den Scheiß!« schrie Kapitän O'Flynn.In diesem Moment wurde ihm bewußt, daß es ums Gan-

ze ging.Er konnte nur auf die Küste zuhalten – nach Osten. Ein

Ausbrechen war nicht mehr möglich. Immer würde er zwischen zwei Feuer geraten – in das der jeweiligen seitli-chen Karavelle und in das des Verfolgers im Kielwasser.

Sie rissen und fetzten das ganze Besansegel weg.

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Kapitän O'Flynn ging genau vor den Wind auf Kurs Ostsüdost, das Großsegel nach Backbord und die Fock nach Steuerbord ausgebaumt. Sie taten es ihm nach, die drei Verfolger.

Die vier Schiffe jagten durch die See. Der Wind aus Westnordwest hatte zugelegt. Kapitän O'Flynn wußte, daß er auf Trevose Head, die Spitze der Halbzunge an der kornischen Nordküste, zusteuerte. Und er wußte auch, daß dieser Küste gefährliche Klippen vorgelagert waren. Aber lieber setzte er seine ›Empress of Sea‹ zwischen diese Klippen, als sich den Spaniern zu ergeben.

Vielleicht gelang es ihm sogar, die Dons mit in die Klip-pen zu locken – vorausgesetzt, sie takelten ihn nicht vor-her ab.

Von diesem Augenblick an kerbte sich ein verbissener Zug in das eisenharte Gesicht des Donegal Daniel O'F-lynn.

Und sie feuerten, die Wilden von der ›Empress of Sea‹. Sie wären gewillt, ihr Leben so teuer wie möglich zu ver-kaufen. Sie wußten, daß ihr Kapitän auf die Küste zuhielt, und sie wollten ihm helfen, diese Küste zu erreichen.

Ja, sie wehrten sich, und noch einmal zeigten sie, was sie konnten. Die Karavelle an Steuerbord hatte sich bis auf eine Querabstellung zur ›Empress of Sea‹ vorgeschoben. Und da flogen den Kerlen auf dieser Karavelle die Culve-rinenkugeln der Steuerbordseite um die Ohren. Kurz hin-tereinander wurden ganze Holzbrocken aus dem Back-bordschanzkleid gefetzt und flogen durch die Luft. Die Brooktaue einer Culverine auf der Backbordseite dieser

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Karavelle brachen, und die Kanone raste nach Steuer-bord, zwei Männer überrollend, krachte ins Schanzkleid, zerspellte es und schlug in die See.

Auch die Backbordstücke der ›Empress of Sea‹ eröffneten das Feuer auf den dort segelnden Gegner, und Sekunden später hatte dieses Schiff fünf große Löcher in der Bord-wand. Zwei lagen dicht über der Wasserlinie.

Hüben und drüben ertönte Wutgebrüll.Und sie schossen zurück. Die ›Empress of Sea‹ wurde von

den Treffern durchgeschüttelt. Vier, fünf seiner Männer sah Donegal Daniel O'Flynn zusammenbrechen.

Er drehte sich um und setzte die Pinne mit mehreren Zurrings fest. Jetzt würde die ›Empress of Sea‹ unbeirrbar Ostsüdost laufen – bis in die Unendlichkeit. Oder in die Klippen.

Kapitän O'Flynn sprang an die achtere Drehbasse und feuerte auf den Verfolger im Kielwasser. Mit fliegenden Händen lud er nach. Jetzt wurde nur noch gekämpft – bis zum Letzten.

Zweihundert, dreihundert Yards voraus kräuselte sich das Wasser. Dahinter stand der dunkle Strich der Küsten-linie. Es war auflaufendes Wasser.

Die Karavelle an Steuerbord flog plötzlich in einer Stich-flamme und mit Donnergetöse auseinander und war in-nerhalb von Sekunden von der See verschwunden – wie weggeblasen. In diesem Moment auch brach der Groß-mast der ›Empress of Sea‹ weg und schlug schräg voraus aufs Backbordschanzkleid, mehrere Männer unter sich begrabend. Aber immer noch zog die Fock, nach Steuer-

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bord ausgebaumt. Und ein Feuerhagel raste über die ›Em-press of Sea‹.

Sie starb kämpfend – wie die Männer, die jahrelang auf ihr gefahren waren und immer gesiegt hatten. Und sie starb einen stolzen Tod, ebenso wie ihre Männer, die bis zuletzt nicht aufgaben.

Sie raste in die Klippen, bäumte sich auf und barst aus-einander. Kapitän O'Flynn würde das Brechen und Kra-chen nie vergessen.

Er flog bei dem Aufprall außenbords, geriet in einen gurgelnden Wirbel, kämpfte sich nach oben, und da schwemmte ihn eine Woge zur Küste. Neben ihm trieb ein Körper, und er griff zu.

Brian Wolfe.Er war bewußtlos. Auf seiner Stirn klaffte eine Wunde.

Kapitän O'Flynn unterfing ihn und zerrte ihn mit, halb auf dem Rücken liegend.

Und da sah Donegal Daniel O'Flynn, wie die Karavelle, die im Kielwasser der ›Empress of Sea‹ gesegelt war, Vier-kant in die Klippen krachte und auseinanderplatzte.

Die Karavelle, die sie an Backbord gehabt hatten, flüch-tete bereits Seewärts.

Da war der Kapitän O'Flynn sehr zufrieden mit sich.Später weinte er. Das war, nachdem er Brian Wolfe auf

den Strand gezogen hatte. Und da sah er erst, daß der Rücken seines Decksähesten zerfetzt war.

Brian Wolfe schlug noch einmal die Augen auf und er-kannte den Mann, der sich über ihn beugte und seinen Kopf hielt.

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»War 'n feines Gefecht, Sir«, sagte er und grinste zu sei-nem Kapitän hoch. Und dann erloschen seine Augen.

Donegal Daniel O'Flynn hielt seinen Kopf weiter fest und drückte ihn an sich. So blieb er hocken, Stunde um Stunde und die Nacht hindurch. Am neuen Tag wußte er, daß er als einziger der Männer von der ›Empress of Sea‹ überlebt hatte….

Vier Tage später erreichte er Falmouth. Und er sperrte Donegal Daniel O'Flynn junior in die Bodenkammer ein, weil der erklärt hatte, er wolle jetzt zur See fahren. Als er am nächsten Morgen die Dachkammer aufschloß, war sein Söhnchen verschwunden. Nur die Dachluke stand offen.

Da war Kapitän O'Flynn unendlich allein. Er hatte nur noch seine Tochter Gwendolyn Bernice – und die drei Söhne, die er zu seinem Bruder nach Torbay geschickt hatte. Und nichts auf der Welt konnte ihn bewegen, eine neue ›Empress of Sea‹ auf Stapel zu legen. Er weigerte sich. Den Sir John Killigrew ließ er abfahren wie Dreck am Ste-cken.

Und er dachte sich seinen Teil, als er erfuhr, daß auch Philip Hasard Killigrew spurlos verschwunden war – ob-wohl ihn Sir John angeblich in der Kammer auf der ›Ar-wenack Castle‹ eingeschlossen hatte.

Er dachte viel und lange über alles nach, dieser Kapitän O'Flynn. Und eines Tages glaubte er zu wissen, warum sein Sohn Donegal Daniel, genannt Dan, und Philip Ha-sard Killigrew Falmouth verlassen hatten. Es hatte etwas damit zu tun, was Philip Hasard Killigrew mit dem Wort

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Dunstkreis bezeichnet hatte. Es stimmte. Strolche hatten einen Dunstkreis, aber nicht jeder hatte die Witterung da-für.

Mein Dan und Philip Hasard haben diese Witterung. Und das genügte dem Kapitän O'Flynn. Auch wenn er selbst verzweifelt war: Er glaubte daran, daß er beide ei-nes Tages wiedersehen würde…

*

Es war Mitternacht an Bord der Schebecke. Und die Männer Philip Hasard Killigrews waren sehr stumm. Sie hatten auch mit keinem Wort das Garn Old O'Flynns un-terbrochen.

Der Profos hatte es eher spaßig gemeint, als er sich nach dem Verbleib des Torfkahns erkundigt hatte. Und auch er war jetzt erschüttert.

»Verdammt, verdammt«, murmelte er vor sich hin und durchbrach das Schweigen, »wenn ich das alles gewußt hätte, Donegal, dann hätte ich diese dumme Frage nicht gestellt. War 'n tapferes Schiff, deine ›Empress‹, wie?«

»Die Männer auch«, sagte Old Donegal leise und schau-te zu Philip Hasard Killigrew hinüber.

Doch der hatte den Kopf gesenkt und schien nachzu-denken…

ENDE

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Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 601

Das Silberschiffvon Burt Frederick

Mit auslaufender Fahrt glitt die Schebecke der Seewölfe auf die Galion der ›Fidelidad‹ zu. Hoch ragte das Vor-schiff der Galeone über den Arwenacks auf. Ferris Tucker konnte die Höllenflaschen jetzt mit der Hand hinüber-schleudern. Von der Kuhl und dem Achterdeck des Spa-niers ertönte wildes Gebrüll. Sie rüsteten zur Verteidi-gung und wußten, daß sie das Entern der Angreifer nicht mehr verhindern konnten. Blacky, Luke Morgen und Stenmark warfen die ersten Enterhaken. In Sekunden-schnelle lag die Schebecke unterhalb der Galion – in Fahrtrichtung der ›Fidelidad‹. Mit langen Sätzen stürmte der Seewolf nach vorn und enterte als erster. Dan O'Flynn und Don Juan de Alkazar waren unmittelbar hinter ihm. Weitere Enterhaken flogen in hohem Bogen und wurden sofort an der Verschanzung der Schebecke vertäut…