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296 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 20 (1 997): Rezensionen schaftshistorischen Fragestellung, inwieweit sich im friihen 19. Jahrhundert in Deutschland das Mo- dell der ,Klinik' durchgesetzt hatte. Unter sparli- chem Verweis auf die sicher nicht neueste wissen- schaftshistorische Literatur konstatiert Loetz, da8 die franzosische und schottische klinische Medizin am Anfang des 19. Jahrhundert ,,fiihrcnd war" (S. 142). Ncben einer Erlauterung, was ,fiihrend' bedeutet, bediirfte diese These fur ganz Deutsch- land sicher einer gewissen Differenzierung oder eben einer gcnaueren Untermauerung. Gleichwohl, der Aufsatz von Franciska Loetz licfert einen her- vorragenden Uberblick und kann sowohl durch die reichhaltigen empirischen Belege als auch durch die theoretische Aufbereitung iiberzeugen - das Mo- dell der ,medizinischen Vergesellschaftung' hat plausible Argumente auf seiner Seite. Wolfgang U. Eckart widmet sich dem ,Export' des europaischen Gesundheitssystems in die Kolo- nialgcbiete dcs Kaiserreiches in seinein Aufsatz uber die ,,Europaischc Medizin im kolonialen Afrika [...I''. Er beschreibt die zaghaften Bemii- hungen, ein Gesundheitswesen in den Kolonialge- bieten des deutschen Kaiserreiches zu errichten, und deren Versuche, die Anstrengungen ideolo- gisch zu untermauern: Das Medizinalsystcm - so- fcrn es sich iiberhaupt der einheimischen Bevolke- rung widmetc - konnte sich nie von ciner engcn Andienung an die koloniale Ausbeutung des Lan- des losen und stand immer unter dem Aspekt, die Gesundheit der Bevolkerung aus Griinden der Ef- fizienz zu verbessern. Zudem verdrangte die euro- paische Art der Gesundheitsfursorge, stets wie selbstverstandlich als ,iiberlegen' eingestuft, nach- haltig die einheimischen Traditionen. Der Sammelband endet mit einem Artikel von Axel Harneit-Sievers iiber ,,AIDS in Afrika: So- ziokulturelle Faktoren und epidemiologische Dy- namik am Beispiel Uganda". Der Rezensent ver- mag selbst bei gro8tem Wohlwollen eine themati- sche Verbindung zum ,,europaischen Gesundheits- system" nicht zu erkennen - dessenungeachtet ist der Artikel ausgesprochen lesenswert. Neben zahlreichen epidemiologischen Daten unterzieht er vor allem die Legendenbildung und Projektion aus europaischer Sicht auf die soziokulturellen Verhaltnisse in Afrika einer kritischen Priifung. Eine Aufsatzsaminlung mit Themen von Har- vcys Briefwechsel bis AIDS in Afrika als ,,Das europaische Gcsundheitssystem" anzukiindigen, ist irrefiihrend. Trotzdem findet der Leser eine le- senswerte Aufsatzsammlung mit teilweise ein- drucksvollen Arbeiten. Diese erlangen ihre Uber- zeugungskraft vor allem aus dem reichen Verweis auf empirische Daten in Verbindung mit einer kri- tischen Anfrage an Ihre Aussagefahigkeit und be- legen einmal mehr, wie bereichernd die soziale und politische Perspektive fur die Medizinhistoriogra- phic ist. Gleichwohl: Nur ein Narr k+e auf die Idee, daf3 andere Fragestellungen an die Zeichen der Vergangenheit ihre Berechtigung verloren. Urban Wiesing, Miinster/Tiibingen Dirk Ullmann: Quelleninventar Max Planck. (Veroffentlichungen aus dem Ar- chiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 8) Berlin 1996. 176 Seiten. ISBN 3-927579-08-4 (Auslieferung: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Boltzmannstrafle 14, D-14 195 Berlin-Dahlem). Der kriegsbedingte Verlust des Nachlasses von Max Planck, der ein halbes Jahrhundert Physik- und allgemeine Wissenschaftsgeschichte in Deutschland zum Teil gepragt, zum Teil mitge- pragt hat, ist stets als sehr schmerzlich empfunden worden. Deshalb ist es dankbar zu begriiaen, daf3 das Archiv zur Geschichtc der MPG anlaillich des 50. Todestages ihres Namenspatrons ein Quelleninventar vorlegt, dem eine Auswertung nationaler und internationaler Archive und Saminlungen zugrunde liegt, die teilweise von kompetenten Nutzern und Kennern vor Ort bei- gesteuert wurde. Natiirlich werden dadurch auch Quellen fur die Personen mit erschlossen, die mit Planck in der einen oder anderen Form in Kon- takt standen (und deren personenbezogenen Nachlasse sich zu einem betrachtlichen Teil im Archiv zur Geschichte der MPG befinden), so da8 dieses Inventar fur jeden unentbehrlich ist, der sich mit der Wissenschaft, speziell der Physik und Wisscnschaftsorganisation, des 20. Jahrhun- dcrts beschaftigt. Fritz Krafft, Marburg Ber.Wissenschaftsgesch. 20 (1997) 295-296

Dirk Ullmann: Quelleninventar Max Planck. (Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 8) Berlin 1996. 176 Seiten. ISBN 3-927579-08-4 (Auslieferung:

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Page 1: Dirk Ullmann: Quelleninventar Max Planck. (Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 8) Berlin 1996. 176 Seiten. ISBN 3-927579-08-4 (Auslieferung:

296 Berichte z u r Wissenschaftsgeschichte 20 (1 997): Rezensionen

schaftshistorischen Fragestellung, inwieweit sich im friihen 19. Jahrhundert in Deutschland das Mo- dell der ,Klinik' durchgesetzt hatte. Unter sparli- chem Verweis auf die sicher nicht neueste wissen- schaftshistorische Literatur konstatiert Loetz, da8 die franzosische und schottische klinische Medizin am Anfang des 19. Jahrhundert ,,fiihrcnd war" (S. 142). Ncben einer Erlauterung, was ,fiihrend' bedeutet, bediirfte diese These fur ganz Deutsch- land sicher einer gewissen Differenzierung oder eben einer gcnaueren Untermauerung. Gleichwohl, der Aufsatz von Franciska Loetz licfert einen her- vorragenden Uberblick und kann sowohl durch die reichhaltigen empirischen Belege als auch durch die theoretische Aufbereitung iiberzeugen - das Mo- dell der ,medizinischen Vergesellschaftung' hat plausible Argumente auf seiner Seite.

Wolfgang U. Eckart widmet sich dem ,Export' des europaischen Gesundheitssystems in die Kolo- nialgcbiete dcs Kaiserreiches in seinein Aufsatz uber die ,,Europaischc Medizin im kolonialen Afrika [...I''. Er beschreibt die zaghaften Bemii- hungen, ein Gesundheitswesen in den Kolonialge- bieten des deutschen Kaiserreiches zu errichten, und deren Versuche, die Anstrengungen ideolo- gisch zu untermauern: Das Medizinalsystcm - so- fcrn es sich iiberhaupt der einheimischen Bevolke- rung widmetc - konnte sich nie von ciner engcn Andienung an die koloniale Ausbeutung des Lan- des losen und stand immer unter dem Aspekt, die Gesundheit der Bevolkerung aus Griinden der Ef-

fizienz zu verbessern. Zudem verdrangte die euro- paische Art der Gesundheitsfursorge, stets wie selbstverstandlich als ,iiberlegen' eingestuft, nach- haltig die einheimischen Traditionen.

Der Sammelband endet mit einem Artikel von Axel Harneit-Sievers iiber ,,AIDS in Afrika: So- ziokulturelle Faktoren und epidemiologische Dy- namik am Beispiel Uganda". Der Rezensent ver- mag selbst bei gro8tem Wohlwollen eine themati- sche Verbindung zum ,,europaischen Gesundheits- system" nicht zu erkennen - dessenungeachtet ist der Artikel ausgesprochen lesenswert. Neben zahlreichen epidemiologischen Daten unterzieht er vor allem die Legendenbildung und Projektion aus europaischer Sicht auf die soziokulturellen Verhaltnisse in Afrika einer kritischen Priifung.

Eine Aufsatzsaminlung mit Themen von Har- vcys Briefwechsel bis AIDS in Afrika als ,,Das europaische Gcsundheitssystem" anzukiindigen, ist irrefiihrend. Trotzdem findet der Leser eine le- senswerte Aufsatzsammlung mit teilweise ein- drucksvollen Arbeiten. Diese erlangen ihre Uber- zeugungskraft vor allem aus dem reichen Verweis auf empirische Daten in Verbindung mit einer kri- tischen Anfrage an Ihre Aussagefahigkeit und be- legen einmal mehr, wie bereichernd die soziale und politische Perspektive fur die Medizinhistoriogra- phic ist. Gleichwohl: Nur ein Narr k+e auf die Idee, daf3 andere Fragestellungen an die Zeichen der Vergangenheit ihre Berechtigung verloren.

Urban Wiesing, Miinster/Tiibingen

Dirk Ullmann: Quelleninventar Max Planck. (Veroffentlichungen aus dem Ar- chiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 8) Berlin 1996. 176 Seiten. ISBN 3-927579-08-4 (Auslieferung: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Boltzmannstrafle 14, D-14 195 Berlin-Dahlem).

Der kriegsbedingte Verlust des Nachlasses von Max Planck, der ein halbes Jahrhundert Physik- und allgemeine Wissenschaftsgeschichte in Deutschland zum Teil gepragt, zum Teil mitge- pragt hat, ist stets als sehr schmerzlich empfunden worden. Deshalb ist es dankbar zu begriiaen, daf3 das Archiv zur Geschichtc der MPG anlaillich des 50. Todestages ihres Namenspatrons ein Quelleninventar vorlegt, dem eine Auswertung nationaler und internationaler Archive und Saminlungen zugrunde liegt, die teilweise von

kompetenten Nutzern und Kennern vor O r t bei- gesteuert wurde. Natiirlich werden dadurch auch Quellen fur die Personen mit erschlossen, die mit Planck in der einen oder anderen Form in Kon- takt standen (und deren personenbezogenen Nachlasse sich zu einem betrachtlichen Teil im Archiv zur Geschichte der MPG befinden), so da8 dieses Inventar fur jeden unentbehrlich ist, der sich mit der Wissenschaft, speziell der Physik und Wisscnschaftsorganisation, des 20. Jahrhun- dcrts beschaftigt. Fritz Krafft, Marburg

Ber.Wissenschaftsgesch. 20 (1997) 295-296