Dohse | Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus

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    WALTER DOHSEUND MEINE SEELE SPANNTE WEIT IHRE FLGEL AUS

    Die Seele schwingt sich aus dem Krper empor(alte gyptische Darstellung)

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    1986 by Swedenborg-Verlag ZrichAuflage 2007Gesamtherstellung: Swedenborg-Verlag ZrichPrinted in Germany

    ISBN-10: 3-85927-133-4ISBN-13: 978-3-85927-133-3

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    INHALTSVERZEICHNIS

    VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

    SCHWEBEND ZWISCHEN LEBEN UND STERBENDie Seherin von Prevorst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10Justinus Kerner, der Mensch und sein Werk . . . . . . . . . . . . . . . . 12Friederike Hauffe, der Mensch und das Medium . . . . . . . . . . . . . 15Fhlen und Sehen mit geistigen Sinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21Zugang zu einer Geisterwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24Ein Verstorbener bittet um Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25Zwei Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32Es gibt eine Geisterwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

    Letzte Lebenstage und Tod der Seherin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35Rtsel der Medialitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Weltanschauliche Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39Fragen und Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

    AM TOR DES TODES ERGEBNISSE DERSTERBEFORSCHUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45Seltsame Erlebnisse, ber die man ungern spricht . . . . . . . . . . . . 45

    Ein junger Arzt hat Mut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Typischer Ablauf des Todesnhe-Erlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . 51Auch Ausleibige haben einen Leib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52Ein Licht, das mehr ist als Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53Keine Seite fehlt im Buch des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54An der Grenze zwischen zwei Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54Rckkehr ist zugleich Umkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55Frage der Echtheit und Glaubwrdigkeit des Erlebten . . . . . . . . 56Besttigungen in alten Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

    Beweisen die Todesnhe-Erlebnisse ein persnliches Fortleben? 59Sinnvolle Hilfe fr Sterbende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59Grundstzliche Zweifel und Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61Sind die Todesnhe-Erlebnisse nur Folge einer Vergiftung? . . . . 62Handelt es sich nur um Traumbilder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64Ist es eine Notfallreaktion des Krpers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63Blick ber die Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64Ist Sterben immer schn? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

    Ergebnisse und Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

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    Der Zustand des Auswendigen bzw. des Inwendigen . . . . . . . . 118Der Zustand der Zubereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120Der menschliche Ursprung von Himmel und Hlle . . . . . . . . . . 121Wer kommt in den Himmel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122Himmlische Freude und Glckseligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123Wesen und Ursprung der Hlle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126Qualen und Strafen in der Hlle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127Rckbesinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128Zweifel und Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..129Ist Swedenborg ein Fall fr die Psychiatrie? . . . . . . . . . . . . . . . 131Die Religise Bedeutung Swedenborgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

    SCHLUSSBETRACHTUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

    Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136Grunderkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137Religise Bedeutung auerkrperlicher Erfahrungen . . . . . . . . 139Ausklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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    VORWORT

    Groes Aufsehen erregten in jngster Zeit merkwrdige Erfahrungenvon Menschen, die klinisch tot gewesen waren. Auch rzte wurdendarauf aufmerksam. Dr. Raymond A. Moody kommt das Verdienstzu, als erster Berichte ber Todesnhe-Erlebnisse gesammelt undausgewertet zu haben. Seine Feststellungen ber auffallende hn-lichkeiten und Gemeinsamkeiten lieen typische Erlebnisablufe er-kennen, die zu bedeutsamen weltanschaulichen Schlufolgerungenherausfordern.

    Was in diesem Erleben besonderes Erstaunen auslste, wardie einmtige Bekundung aller Betroffenen, da ihre Seele sichwhrend dieses Zustandes offenbar vom Krper gelst hatte, da

    trotz des Aufhrens wichtigster Lebensfunktionen ihr Bewutseinhellwach war und sie alles beobachten konnte, was inzwischenmit ihrem Krper geschah und sich in ihrer Umgebung abspielte.Was sie besonders erschtterte und ihre sptere Lebenseinstel-lung grundlegend vernderte, war das sich daran anschlieendeErleben einer anderen Daseinsebene mit der Begegnung einer en-gelhaften Erscheinung und der Erfahrung eines inneren Gerichtes.

    Zu welchen Ergebnissen die dadurch angeregte Sterbeforschung

    inzwischen gelangt ist, soll hier dargestellt werden. Darber hinauswird das in diesem Zusammenhang besonders bedeutsame Phnomender Auerkrperlichen Erfahrung, des Ich-Austritts, in den Mittel-punkt weiterer Betrachtungen gerckt. Es geht um die Frage: Gibt esauch auerhalb des Todesnhe-Erlebens Beispiele fr derartige Erfah-rungen, und was wurde auf solchen Seelenreisen wahrgenommen?

    Ob gltige weltanschauliche Schlufolgerungen aus solchenErlebnissen gezogen werden knnen, mu ihre wissenschaftlicheberprfung erweisen. Die in dieser Hinsicht inzwischen von meh-

    reren rzten durchgefhrten Experimente, Messungen und Beobach-tungen lassen erkennen, da es sich hier offensichtlich nicht um bloeHalluzinationen oder andere rein subjektive Phnomene handelt, son-dern um Wahrnehmungen einer objektiven Wirklichkeit.

    Der berblick ber das auf solche Weise in einer anderen Sein-sebene Geschaute fhrt zu der bedeutsamen Feststellung, da es sichhier um Wesenszge und Wesensgesetzlichkeiten einer jenseitigenWelt handelt, die bereits Swedenborg als Ertrag seines ausgedehnten

    Verkehrs mit der Geisterwelt anschaulich beschrieben hat. Somitbesttigen die inzwischen bekannt gewordenen und wissenschaftlich

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    berprften auerkrperlichen Erfahrungen zentrale Lehren diesesgroen Sehers. Dadurch gewinnt das gewaltige visionre LebenswerkSwedenborgs grte Aktualitt gerade fr unsere Zeit, die nunmehrdafr reif geworden ist, ihm mit der ntigen Aufgeschlossenheit ge-genberzutreten.

    Wie sich auerkrperliche Erfahrungen in Grenzzustndender Seele im Rahmen einer besonderen medialen Veranlagung ent-wickeln knnen, mag uns zunchst ein gut bezeugtes, weithin be-kannt gewordenes geschichtliches Beispiel aufzeigen. Dies wird unszu ersten bedeutsamen Schlufolgerungen verhelfen.

    SCHWEBEND ZWISCHEN LEBENUND STERBEN

    Die Seherin von PrevorstEin weithin grendes Grabkreuz

    Auf einem Grabhgel des Friedhofs von Lwenstein bei Heilbronngrt weithin sichtbar ein groes Metallkreuz in die Ebene hinaus.Es wurde von dem Grafen von Maldeghem fr die Seherin von Pre-vorst errichtet, aus Dankbarkeit fr die Befreiung seiner Frau vonschweren seelischen Strungen durch die Seherin.

    Wer war diese Seherin von Prevorst?

    Es war Friederike Hauffe, die durch ein Buch des Arztes und DichtersDr. Justinus Kerner weithin bekannt wurde. Dieses Buch erschien1829 bei Cotta in Stuttgart und erregte grtes Aufsehen, so da esschnell mehrere Auflagen nacheinander erlebte. Sein voller Titel lau-tet Die Seherin von Prevorst Erffnungen ber das innere Lebendes Menschen und ber das Hereinragen einer Geisterwelt in die un-sere. Prevorst ist der Geburtsort der Seherin, deren MdchennameFriederike Wanner war. Das Interesse fr die hier behandelten Fragen

    war bereits durch Mesmers animalischen Magnetismus gewecktworden. So bildete sich schon bald nach dem Erscheinen des Buches

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    ein mystischer Kreis, dessen Sprachrohr die Zeitschrift Bltter ausPrevorst (1831-1839) wurde.

    Indessen hat das Buch nicht nur hchste Anerkennung, sondernauch grten Widerspruch erfahren. Vor allem war es der Vorwurfkritikloser Leichtglubigkeit, den man erhob. Im brigen wurde derFall als derjenige einer schwer psychopathischen Patientin, einer Gei-steskranken, abgetan. Dies gilt auch noch fr die Gegenwart, sogarfr die sich diesen Fragen widmende Fachwissenschaft. So heit esz.B. im Lexikon der Parapsychologie von Bonin: H.ging 1829durch Kerner als die ,Seherin von Prevorst (Prevorst ist ein Orts-teil des Wrttemberg. Oberstenfeld) in die Literatur ein; sie verdanktdiese Bezeichnung Gesichten und Phantasien, die Kerner fr echteOffenbarungen einer berirdischen Geisterwelt hielt, in denen die

    heutige Wissenschaft aber nur die Phantasien einer Kranken sieht.Wir haben zu prfen, ob eine solche pauschale Abwertung die-

    sem Phnomen gerecht wird. Es mu sich dann erweisen, ob hier dieBerufung auf die heutige Wissenschaft begrndet ist und nicht etwaaus einer weltanschaulichen Voreinstellung erwchst, letztlich alsohchst unwissenschaftlich ist. Um sachlich diesen Fall beurteilen zuknnen, ist seine grndliche Analyse erforderlich. Wichtig ist hierbeizunchst die Person des Berichterstatters. Hat sich Justinus Kerner

    hier als Dichter oder als Wissenschaftler bettigt? Kommt ihm dieEinschtzung zu, die Freiherr Carl du Prelihm fr die Zukunft vor-ausgesagt hat? Sie lautet: Es mag vielleicht eine Zeit kommen, wieKerner selbst es ausgesprochen, da der Dichter und Arzt vergessensein werden, aber dann erst recht wird Kerners Name mit dem derSeherin von Prevorst immer zusammen gedacht und genannt werden;denn jeder, der den mystischen Seiten des Seelenlebens sein Interessezuwendet, wird diese Seherin zu den merkwrdigsten Wesen zhlen,und der Biograph derselben wird sicherlich niemals vergessen wer-

    den.

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    Justinus Kerner der Mensch und sein Werk

    Justinus Kerner (1786-1862) ist bekannt als Romantiker voll drolligenHumors und tiefen Gefhls, als eines der Hupter der SchwbischenDichterschule neben Ludwig Uhland und Gustav Schwab. Le-bendig geblieben ist vor allem seine Lyrik, die sich besonders durchihren Volkston und ihre Singbarkeit auszeichnet. Sie tnen und klin-gen auch dort, wo sie nur seufzen. Einige dieser Gedichte sind daherVolkslieder geworden, z.B.: Wohlauf! noch getrunken den funkeln-den Wein! (Wanderlied), Dort unten in der Mhle sa ich inser Ruh. . . (Der Wanderer in der Sgemhle), Preisend mitviel schnen Reden ihrer Lnder Wert und Zahl . . . (Der reichsteFrst).

    Schon frh zeigte sich auch seine Neigung zum Mystischen,zu den geheimen und dunklen Mchten des Lebens. Bezeichnenddafr ist die Art, wie er sich fr sein Studienfach und damit fr seineberufliche Laufbahn entschied, nachdem ihm, der schon frh seinenVater verloren hatte, nach mancherlei Schwierigkeiten und Umwegendurch Vermittlung eines vterlichen Freundes endlich der Weg zumStudium geebnet worden war: Ein auf dem Wege nach Tbingen imHerbst 1804 ihm vor den Toren der Stadt zugewehtes Blttchen,

    auf dem ein Rezept geschrieben war, wurde ihm zum Omen und be-stimmte ihn, der zuvor noch unschlssig war, Arzt zu werden. Es warein Entschlu, den er nie bereut hat, zumal er einer anderen Neigung,die ihn schon frh beherrschte, entgegenkam: dem Interesse an derErforschung der Natur.

    Ende 1808 promovierte er zum Doktor der Medizin. Nach Rei-sen, die ihn nach Hamburg, Berlin und Wien fhrten, kehrte er 1810in seine Heimat Baden-Wrttemberg zurck, um eine Stellung zu

    suchen und nach vielen Jahren des Wartens endlich sein Rickele,Friederike Ehmann, eine Pastorentochter, heimzufhren und mitihr einen Hausstand zu grnden; aber erst im Frhjahr 1813 wurdedieses Ziel erreicht. Nach rztlichem Wirken in Wildbad, Welzheimund Gaildorf fate er dann 1819 als Oberamtsarzt in Weinsberg fe-sten Fu. Im Jahre 1822 baute er am Fue des Schloberges mit denRuinen der Burg Weibertreu, deren Erhaltung er als echter Roman-tiker durchsetzte, das so berhmt gewordene Kernerhaus, zu dem

    auf Grund einer beispiellosen Gastfreundschaft durch vierzig JahreLeute aus allen Stnden wallfahrten.

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    Neben seiner rztlichen und dichterischen Ttigkeit fhrte seinInteresse fr die Nachtseiten der Natur, das im Knaben schon durchsein Ahnungsvermgen geweckt worden war, zunehmend zur Beschf-tigung mit okkulten Phnomenen. Eine bedeutsame Rolle spielte dabeiauch sein Bekanntwerden mit dem mesmerischen Magnetismus. Erselbst erlebte die Befreiung von einem Leiden durch einen Magnetiseurund wandte dann selbst gleichfalls magnetische Heilverfahren an. Sobehandelte er zwei Somnambule, worber er 1824 einen Bericht verf-fentlichte (Geschichte zweier Somnambulen).

    Sein alles berragender Fall wurde die Somnambule FriederikeHauffe, die Ende 1826 als Todgeweihte nach Weinsberg kam unddie er dann vier Monate spter ganz in sein Haus aufnahm, um siebis kurz vor ihrem Tode (5.8.1829) zu betreuen. Kerner stand diesem

    Fall zunchst mit groem Mitrauen gegenber und bernahm ihnnur widerwillig, da er anfnglich Frau Hauffe fr eine Simulantinund Schwindlerin hielt. Er erprobte verschiedene Behandlungsme-thoden, aber ohne jeden Erfolg. Bald schon jedoch wurde ihm zurGewiheit, da sich hier rtselhafte Fhigkeiten uerten. Er beob-achtete sie aufmerksam, stellte Versuche an und fhrte ber allesTagebuch. Die Aufzeichnungen verwertete er dann in seinem 1829verffentlichten Buch Die Seherin von Prevorst. Was Kerner bei

    diesem Fall so auerordentlich fasziniert hatte, war die Entdeckung,da hier bersinnliche Krfte unbeeinflut von jeglicher okkultenTradition und Theorie in Erscheinung traten und diese zugleich aufberraschendste Weise besttigten.

    Von allen Schriften Kerners, die sich mit dem bersinnlichen be-fassen, ist von jeher Die Seherin von Prevorst am meisten gelesen wor-den, hat aber auch den meisten Widerspruch erfahren. Dabei handeltees sich fr Kerner und auch fr die Seherin selbst um schwer begreiflicheDinge. Kerner war aber so aufgeschlossen und unvoreingenommen,

    da er als Tatsache Erkanntes nicht wegen seiner Unbegreiflichkeitleugnete. Ihm kam es im brigen mehr auf das Berichten als auf dasErklren an als Ansto fr den Leser zu eigenem Nachdenken.

    Ging es hier aber wirklich um Tatsachen? Wie steht es um dieGlaubwrdigkeit Kerners? Eine Prfung dieser Frage ergibt: Ihrestrkste Sttze findet die Vertrauenswrdigkeit Kerners nicht nur inseiner wissenschaftlichen Bildung und kritischen Denkweise, son-dern vor allem in der Lauterkeit und Gediegenheit seines Charak-

    ters, der gekennzeichnet war durch Zuverlssigkeit, Wahrhaftigkeit,Liebenswrdigkeit, Humor und mitmenschliche Zuwendung.

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    Du Prel sagt hierzu: Fr die Realitt der Tatsachen steht abernicht nur Kerner ein; Gelehrte aller Art, Professoren, rzte und Pri-vatleute besttigten sie, und manche Aussage der Seherin hat sichbei nachtrglicher Nachforschung in Archiven in bereinstimmunggezeigt mit urkundlichen Dokumenten, von welchen vorher niemandKenntnis hatte. Da gleichwohl solche Tatsachen von solchen geleug-net wurden, die nie die Seherin zu Gesicht bekamen und jede Mheder Untersuchung verschmhten, versteht sich von selbst. Wo diegrte Verstndnislosigkeit zufinden war, da waren auch die Angriffevon grter Malosigkeit, und gar in den Tageblttern suchte man dieTatsachen dadurch loszuwerden, da man die Seherin fr eine Betr-gerin erklrte, Kerner aber fr einen Betrogenen . . .

    Mit Zweiflern auf diesem Gebiet ist freilich auch heute nicht

    zu streiten. Sie haben alle die gleiche Taktik: je mehr Beweise bei-gebracht werden, desto mehr steigern sie ihre Anforderungen. Siegehren zu den rgsten Blinden, die nicht sehen wollen.

    Strkstes Gewicht besitzt fr die Frage der Glaubwrdigkeitdie Stellungnahme des Philosophen und Theologen David FriedrichStrau (1808-1874), der wegen seiner Bibel- und Dogmenkritik sei-nen Lehrstuhl verlor. Dieser wohnte als persnlicher Freund Kernerseine Zeitlang in dessen Hause und konnte sich so aus eigener unmit-

    telbarer Anschauung sein Urteil bilden. In seinen Charakteristikenund Kritiken schreibt er: Fr uns ist die Meinung derer gar nichtvorhanden, welche den Tatbestand von Kerners Schrift in der Artangreifen, da sie teils Betrug der kranken Frau, teils durchgngigfalsche Beobachtung des Arztes unterstellen, eine Vermutung, vonderen Grundlosigkeit zu berzeugen nicht blo Augenzeugen, wieder Verfasser gegenwrtigen Aufsatzes, sondern alle unbefangenenLeser der Kernerschen Schrift in den Stand gesetzt sind. Und inder Schilderung seiner Reise nach Weinsberg spricht er von der Se-

    herin mit den Worten: Das leidensvolle, aber edel und zart gebil-dete Gesicht, von himmlischer Verklrung bergossen, die Sprachedas reinste Deutsch auch dieses ist eine hufige Erscheinung beiSomnambulen, ohne Rcksicht auf Stand und Erziehung derselben ,der Vortrag sanft, langsam, feierlich, musikalisch, fast wie ein Rezi-tativ; der Inhalt berschwngliche Gefhle, die bald wie lichte, baldwie dunkle Wolken ber die Seele zogen und wieder zerflossen, baldstrkere, bald sanftere Luftzge durch die Saiten einer olsharfe,

    Unterhaltungen mit oder ber selige oder unselige Geister, mit einerWahrheit durchgefhrt, da wir nicht zweifeln konnten, hier wirklich

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    eine Seherin, teilhaftig des Verkehrs mit einer hheren Welt, vor unszu haben.

    Wenn wir uns nunmehr der Person der Seherin zuwenden, giltunsere Aufmerksamkeit ber das Biographische und Menschlichehinaus vor allem der sich hier uernden Medialitt, um tiefer in ihrWesen und ihre Problematik einzudringen.

    Friederike Hauffe der Mensch und das Medium

    Geboren wurde die Seherin als Friederike Wanner am 23. September1801 in Prevorst, einem kleinen, romantisch auf Bergen gelegenen undvon Wldern umgebenen Dorf in der Nhe der wrttembergischen

    Stadt Lwenstein. Ihr Vater war hier als Revierfrster ttig. Sie wurdeeinfach und natrlich erzogen und an die Unbilden der Witterung aufden Gebirgshhen gewhnt. So wuchs sie als blhendes und lebens-frohes Kind heran. Sie erfreute sich damals sogar einer besseren Ge-sundheit als ihre Geschwister.

    Auffllig war dagegen schon frh ein Ahnungsvermgen, dassich besonders in Wahrtrumen uerte. Dies geschah vor allem dann,wenn sie sich am Tage aus irgend einem Grunde erregt hatte: Griff

    sie etwas stark an, erlitt sie Vorwrfe, die ihr Gemtsleben aufreg-ten, so wurde sie in nchtlicher Ruhe stets in innere Tiefen gefhrt,in denen ihr belehrende, warnende oder voraussagende Traumbilderaufgingen. So als der Vater einmal einen ihm werten Gegenstandverloren hatte, und ihr, die unschuldig war, die Schuld beigemessenwurde, und dadurch ihr Gefhlsleben tief ergriffen war, erschien ihrnchtlich im Traum Ort und Stelle, wo die verlorene Sache lag. Auchsiderische Einflsse wirkten auf sie schon sehr frhe, und es schlugihr schon als Kind die Haselnustaude auf Wasser und Metalle an.

    Bemerkenswert ist, da hier offenbar nicht nur individuelle erb-biologische Faktoren eine Rolle spielten, sondern da sich in die-ser abgeschiedenen Gegend bei vielen alten und jungen BewohnernErscheinungen zeigten, die wir heute als paranormale Phnomenebezeichnen. In auergewhnlicher Vielfalt bekundeten sich hier ber-sinnliche Fhigkeiten, die von einer besonderen Empfindlichkeit frmagnetische und sympathetische Krfte bis hin zur vollkommenenAusbildung der Hellsichtigkeit reichen. Dies war vielleicht auch der

    Grund dafr, da Friederike in einer solchen Umwelt ihrem eigenenbersinnlichen Erleben gegenber vllig unbefangen blieb.

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    Weil in dem einsamen Dorf keine ausreichende Gelegenheitzu ihrer geistigen Ausbildung vorhanden war, holte der GrovaterJohann SchmidgallFriederike zu sich in die Stadt Lwenstein. Damitbernahmen allerdings die Groeltern, wie sie bald bemerkten, eineschwierige Aufgabe. Was ihnen nmlich allmhlich immer grereSorgen bereitete, war nicht nur die leichte Erregbarkeit des Kindes,sondern vor allem die damit verbundene auerordentliche Sensibili-tt fr geheimnisvolle Einflsse unbekannter Mchte.

    Vor allem fiel dem Grovater auf, da sich bei dem Mdchen angewissen Stellen ein Gefhl fr Geister einstellte, das sich dann baldzu einem wirklichen Schauen entwickelte. Dabei empfand Friederikemerkwrdigerweise schon bei der ersten Wahrnehmung eines Gei-stes im groelterlichen Hause keinerlei Furcht, sondern sah ruhig die

    Erscheinung an, ging dann zum Grovater und sagte ihm, da drauenstehe ein sonderbarer Mann, er solle ihn doch auch sehen. Der alteSchmidgall war erschrocken ber dieses Sehen des Mdchens, hattedoch auch er die gleiche Erscheinung an gleicher Stelle, aber nie et-was darber gesagt. Er versuchte von nun an, das Kind von diesenDingen fernzuhalten und ihm den Glauben an die Wirklichkeit desErlebten auszureden.

    Diese hellseherische Gabe beeintrchtigte das Kind jedoch

    keineswegs in seiner natrlichen Lebensfreude. In stndige Aufre-gung indessen wurde Friederike versetzt, als sie wegen langwieri-ger Krankheiten ihrer Eltern in das einsame Prevorst zurckgerufenwurde. Kummer und Nachtwachen an Krankenbetten zehrten hier anihrer Gesundheit, und ahnungsvolle Trume sowie jenes Gefhl frandere verborgene Dinge dauerten fort.

    Whrend ihres weiteren Heranwachsens jedoch verschlo Friede-rike mehr und mehr ihr Inneres, so da sie nach auen nicht als be-sonderartig auffiel. Was sie allerdings von anderen unterschied, war

    ein geistigeres Wesen, was sich vor allem in ihren Augen aussprach.In ihrem neunzehnten Jahr verlobte sie sich mit dem Kaufmann

    Hauffe, einem entfernten Verwandten. Zu dieser Zeit wurde eineschwerwiegende Vernderung ihres Gesundheitszustandes sprbar.Sie versank in eine ihren Angehrigen unerklrliche Schwermut,weinte oft und konnte fnf Wochen lang nicht schlafen. War es eineAhnung der ihr bevorstehenden Jahre der Leiden?

    Das entscheidende Ereignis, das dann die vllige Wendung nach

    innen einleitete, war die Teilnahme an der Beerdigung eines von ihrsehr verehrten Geistlichen am Tage ihrer Verlobungsfeier. Von die-

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    sem Zeitpunkt an vernderte sich ihre Gemtsverfassung grundle-gend: Die Schwermtigkeit wich von ihr, sie wurde ruhig und heiterund konnte sich von diesem Grabe kaum trennen. Wie Friederikespter im somnambulen Zustande zum Ausdruck brachte, ist ihr da-mals der Verstorbene als Lichtgestalt in himmlischer Verklrung, sietrstend und schtzend, erschienen.

    Das eigentliche Leiden mit mannigfachen krperlichen Krank-heitssymptomen begann nach ihrer Heirat (am 27. August 1821) unddem damit verbundenen Ortswechsel (Krnbach), insbesondere nachder Geburt ihres zweiten Kindes. Aus heutiger Sicht ist sicherlichmancher geneigt, dies alles psychologisch zu erklren. Bietet sichhier nicht die Erklrung an, da die Symptome durch einen unbe-wuten Widerstand gegen die eheliche Verbindung und die Mutter-

    schaft ausgelst wurden? Wer jedoch diesen Fall genauer prft, wirdfeststellen, da es hier ganz offensichtlich nicht nur um die Ableh-nung des betreffenden Mannes als Liebespartner oder einer sexuellenBeziehung berhaupt geht, sondern um die Vorherrschaft, wenn nichtgar Alleinherrschaft eines geistigen Innenlebens, das zwangslufigin Konflikt geraten mu mit den Anforderungen eines brgerlichenFamilienlebens. Hinzu kommt als physiologischer Faktor ein uerstempfindsames und wenig belastbares Nervensystem. Friederike lebte

    innerlich schon in einer anderen Welt.Im Jahre 1822 begann ihre siebenjhrige Leidenszeit. Zur krper-lichen Symptomatik gehrten Fieber, heftige Krmpfe, Blutflsse,berreizung der Nerven. Die damals blichen rztlichen Heilmittelversagten oder verschlimmerten sogar noch die Beschwerden. Auchmehrere Badekuren in Lwenstein brachten nur kurzfristige Besse-rung. Das einzige, was vorbergehend linderte, war eine magnetischeBehandlung in Form von Handauflegen und magnetischen Strichen.

    Charakteristisch war, da sich zugleich ihre somnambulen

    Zustnde verstrkten und vertieften und da sie sich im Schlafwa-chen selbst verordnete, was man mit ihr tun sollte. Damit geriet sieauch immer tiefer in bersinnliche Bereiche, kam sie immer mehr miteiner geistigen Welt in Berhrung. So erschien ihr einmal zu Beginnschwerer Kmpfe, als sie in der Nacht wach wurde, ihre Gromutteraus Lwenstein. Diese stand vor ihrem Bett und sah sie schweigendan. Drei Tage danach kam die Nachricht von ihrem Tode, der in jenerNacht eingetreten war. Von nun an sprach Friederike im Schlafe oft

    von der Anwesenheitihrer Gromutter. Spter erkannte sie diese alsihren Schutzgeist.

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    Um diese Zeit (1824) bemerkte sie zum ersten Mal auch beianderen Menschen deren Schutzgeister. Ferner nahm sie zuknfti-ges Geschehen in ahnungsvollen Trumen, aber auch in Glas- undKristallspiegeln sowie in Form des Zweiten Gesichtes mit der dafrcharakteristischen Symbolik wahr.

    Inzwischen verfielen ihre Krfte immer mehr. Ihr Zustand nahmbedrohliche Formen an. In dieser Not brachten ihre Verwandten sieam 25. November 1826 von Lwenstein nach Weinsberg zu Dr. Ker-ner. Dieser versuchte zunchst ein rein rztliches Verfahren mit ho-mopathischen Mitteln. Dies bewirkte jedoch stets das Gegenteil des-sen, was er bezweckte. Frau Hauffes Zustand verschlimmerte sich sosehr, da das Ende ihrer Leiden in kurzer Zeit zu erwarten war undihre Verwandten auch darauf vorbereitet wurden. Kerner erkannte,

    da es fr seine jetzt versuchte Heilweise zu spt war, da die Krankeihr Leben nicht mehr aus der Kraft ihrer Organe schpfen konnte,da sie auf magnetische Einflsse und die Lebenskraft anderer ange-wiesen war. Er wurde gerhrt von ihren Versuchen, im magnetischenSchlaf die wahren Mittel zu ihrer Heilung zu erschauen und anzuge-ben: Der Arzt, der bis jetzt mit seiner Apotheke ihr so wenig zu hel-fen wute, mute oft sehr beschmt neben diesem inneren Arzte ste-hen, erkennend, da jener innere Arzt noch immer zweckmigere

    Mittel als er fr ihren verzweifl

    ungsvollen Zustand entdeckte.So kam es, da Kerner, nachdem er viele Wochen eine reinrztliche und psychische Behandlung fruchtlos versucht hatte, denim somnambulen Zustande gegebenen Anweisungen der Krankenfolgte und zu einer regelmigen magnetischen Behandlung ber-ging. Schon schnell stellte sich als Erfolg dieser Umstellung eineKrftigung der Patientin ein.

    Die Beobachtungen und Erfahrungen, die Kerner nun zwei Jahrelang bis zu ihrem Tode machen konnte, zeichnete er gewissenhaft auf

    und verwertete sie fr sein Buch. Seine Absicht war dabei, reine Tatsa-chen darzustellen und die Erklrung dem Belieben eines jeden zu ber-lassen. Inhalt sollte sein: was aus einem solchen krperlosen Lebennun hervorging (und was uns immer an die Zeit mahnt, wo auch unserePsyche, der krperlichen Bande los, ohne Hemmung durch Raum undZeit, frei ihre Flgel entfalten wird), manche Ahnungen an ein inneresLeben des Menschen und an ein Hereinragen einer Geisterwelt in dieunsere nicht ein Tagebuch ber eine Krankheitsgeschichte.

    Welches Bild gewann Kerner auf Grund seiner stndigen Beob-achtungen vom Charakter und von der geistig-seelischen Verfassung

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    Frau Hauffes? Was ihm vor allem auffiel, war ihre abnorme Sensibilittfr Einflsse und Einwirkungen aller Art. Dies betraf Ausstrahlungenvon Metallen, Pflanzen, Tieren und Menschen. Selbst verschiedeneFarben der Lichtstrahlen hatten auf sie besondere Einflsse. Vieleswar fr sie sicht- und fhlbar, was es fr uns nicht mehr ist, sogardas geschriebene Wort. Whrend dies geschah, war sie anscheinendwach. In Wirklichkeit aber war sie in einem Zustand des Innern, indem sie aus ihrer Isolierung heraustrat.

    Es war so, als habe sich der geistige Teil ihres Wesens schon fastvom Krper gelst. Aus ihren Augen ging ein ganz eigenes geistigesLicht, das jedem, der sie auch nur kurz sah, sogleich auffiel, und sieselbst war in jeder Beziehung mehr Geist als Mensch.

    Will man sie mit einem Menschen vergleichen, so kann man

    sagen: sie war ein im Augenblicke des Sterbens, durch irgend eineFixierung, zwischen Sterben und Leben zurckgehaltener Mensch,der schon mehr in die Welt, die nun vor ihm, als in die, die hinter ihmliegt, zu sehen fhig ist.

    Sie war sich selbst dieses Zwischenzustandes bewut und ge-brauchte zur Erklrung den Begriff des Nervengeistes, was etwa mitdemjenigen des Astralleibes gleichbedeutend ist. Es war ihr, als habesich dieses belebende und formende geistige Prinzip schon weitge-

    hend von ihrem physischen Krper gelst, und sah sich oftmals auchauerhalb ihres Krpers. Mehrmals sagte sie: Es kommt mir oftvor, als sei ich auer mir, ich schwebe dann ber meinem Krper. Esist mir aber dies kein behagliches Gefhl, weil ich meinen Krperimmer noch wei. Wenn nur meine Seele fester an den Nervengeistgebunden wre, dann wrde sie sich auch fester an die Nerven selbstbinden, aber das Band meines Nervengeistes wird immer lockerer.

    Ihre geistige Bildung war einfach und natrlich. Sie hatte keineFremdsprache gelernt und besa keinerlei geschichtliche und natur-

    wissenschaftliche Kenntnisse. Bibel und Gesangbuch waren ihre ein-zige Lektre. Ihre echte Frmmigkeit gab ihr die Kraft, ihre Leidengeduldig zu ertragen. Sie sah darin eine Gnade Gottes.

    Entscheidend ist fr uns die Frage ihrer Glaubwrdigkeit. Sieselbst wute darum, da man sie verleumdete und ihre Aussagenanzweifelte. Ihre Reaktion darauf offenbarte indessen die Lauterkeitihres Charakters und ihre tief religise Grundhaltung. Im Bewut-sein ihrer Unschuld blieb ihr Geist erhaben ber solches Gerede. Mit

    gleicher Freundlichkeit begegnete sie allen Menschen auch denen,die Lgen ber sie verbreiteten.

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    Im Hinblick auf die Glaubwrdigkeit aller berichteten medialenPhnomene insbesondere der Geistererscheinungen gibt Kernerfolgende Erklrung ab:

    Von den meisten dieser Tatsachen war ich grtenteils selbstZeuge und Beobachter.

    Was das Hrbare bei diesen Erscheinungen betrifft, so sei hiere i n f r a l l e m a l gesagt, da ich, um von ihnen eine natrlicheUrsache zu ergrnden, immer die strengste Untersuchung anstellte,aber dessenungeachtet nie eine solche entdecken konnte. Stets ver-sicherte ich mich auf das bestimmteste, da jene Tne am allerwenig-sten von der Seherin selbst, sei es im wachen oder im schlafwachenZustande, hervorgebracht wurden, um, wie der Zweifler meinenknnte, zu tuschen und ihre Aussagen vom Sehen der Geister (was

    ja aber nie ihr Bestreben war) glaubwrdiger zu machen. Auch eineReihe anderer glaubwrdiger Zeugen, von denen so viele, als es tun-lich war, in diesen Geschichten mit Namen aufgefhrt sind, versi-cherten sich aufs bestimmteste, da jene Tne weder von Frau H.noch von anderen Menschen ausgingen.

    Frau H. war es nicht im mindesten um die Ehre zu tun, Ver-traute von Geistern zu sein, in eine Geisterwelt zu sehen, vielmehrwar ihr diese Gabe, wie ich schon bemerkte, hchst lstig. So mu

    ich ebenfalls wiederholen, da Frau H. gegen mich und andere vondiesen Erscheinungen nur mit Widerwillen sprach Dagegen warsie von der Realitt dieser ihrer Erscheinungen im stillen so sehrberzeugt, da sie mir oft sagte: sie wte gar nicht, was sie vonallem Sehen (sie verstand damit auch das gewhnliche Sehen) den-ken sollte, wren diese Erscheinungen nicht wirkliche Realitten,ein Gedanke, der sie wahnsinnig machen knnte. Wohl aber gab siezu, da diese Gestalten vielleicht in der Wirklichkeitanders seien,als sie sie sehe, da sie nun einmal durch das Medium ihres irdi-

    schen Krpers von ihr nicht anders gesehen oder aufgefat werdenknnten, selbst durch das geistige Auge im fleischlichen, weil auchdieses immer noch von dem fleischlichen getrbt sein knne, oderda diese Geister sich ihr, da sie doch immer noch, und wenn auchnur mit ihrer e i n e n Hlfte, in d i e s e m Leben sei, sich eben nurvielleicht in solcher Gestalt als existierend kundmachen knnten.Aber nie gab sie zu, da sie durchaus nicht existierend, leere Visionenund Gesichtstuschungen seien.

    Kerner rechnet hinsichtlich der Anerkennung der mitgeteiltenBeobachtungen mit einer spteren Zeit: Indem ich die nachstehen-

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    den Tatsachen der ffentlichkeit bergebe, ist mir das Wesen derjetzigen Zeit gar wohl bekannt, und wei ich wohl, da ich auf denGlauben dieser verzichten und einzig auf die Fortschritte sptererJahrhunderte hoffen mu, wo der Mensch, vielleicht durch Ernst undTrbsal gezwungen, wieder mehr in die inneren Kreise kehrt, unddann werden wohl diese Geschichten, so absurd und unglaublich siejetzt scheinen mgen, besseren Zusammenhang und Erklrung fin-den. Ist diese Zeit heute gekommen?

    Fhlen und Sehen mit geistigen Sinnen

    Charakteristisch fr das mediale Erleben Frau Hauffes im mag-

    netischen Schlaf, d.h. im Trancezustand, ist eine auerordentlicheVielfalt von Hellfhlen und Hellsehen. Die aufs hchste gesteigerteSensibilitt ihres Hellfhlens reichte von der feinst abgestuftenReaktion auf Substanzen aller Art, wie Mineralien, pflanzliche undtierische Stoffe, bis hin zu imponderabilen Materien, wie Strah-lungen der Sonne und des Mondes, Elektrizitt, Luft, Tne von Mu-sikinstrumenten. Das Hellsehen betraf das Vorausschauen knftigenGeschehens meist als Wahrtrume oder Zweites Gesicht , aber

    auch das Sehen innerer Teile des Krpers, insbesondere leidenderOrgane. Dieses Vermgen in Verbindung mit dem Hellfhlen wurdezur Grundlage von Heilbestrebungen des eigenen Inneren und vonHeilversuchen an anderen, da Frau Hauffe auch Krankheitsgefhleanderer aufnahm.

    Sie vermochte auch den Nervengeist zu sehen. Sie verstanddarunter das ber den Nerven stehende Geistige, das die Seele mitdem Leibe und den Leib mit der Welt verbindet, das als therischeHlle der Seele den Tod berdauert, einen Wesensteil also, der an-

    dernorts als Astralleib oder Feinstoffleib bezeichnet wird. Be-merkenswert ist, da sie bei Menschen, die ein Glied ihres Krpersverloren hatten, die ganze Form des verlorenen Gliedes sah. Dies decktsich mit den Empfindungen Amputierter. Kerner erklrt dazu: Manknnte vielleicht aus diesem gewi interessanten Phnomen folgern:da bei Menschen, die ein Glied, z.B. einen Fu verloren haben undimmer noch das Vorhandensein desselben zu fhlen behaupten, dieseErscheinung daher kommt, da dieses Glied im Nervengeiste noch

    immer u n s i c h t b a r vorhanden, noch immer im Zusammenhangmit dem andern s i c h t b a r e n Krper ist. Es ist dies auch der auf-

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    fallendste Beweis, da die Form durch den Nervengeist, nach Zerst-rung der sichtbaren Hlse, noch immer beibehalten wird.

    Grte Bedeutung gewinnt dieses Sehen des unzerstrbarenNervengeistes bei Friederike Hauffe fr das Sehen des GeistesVerstorbener. Hinsichtlich des Nervengeistes machte sie dabei eineinteressante Entdeckung: da nmlich Geister von Kindern in deranderen Welt noch wachsen, da also die Entwicklung des Feinstoff-leibes dort ihren Fortgang nimmt. Dies fiel ihr beim Sehen vonSchutzgeistern zum ersten Mal auf, als sie hinter einem Mdchen ausihrem Hause sehr oft eine lichte Knabengestalt von ungefhr zwlfJahren sah. Kerner fragte das Mdchen, ob sie ein Verwandtes vondiesem Alter gehabt habe. Diese Frage wurde verneint. Bald nachheraber sagte ihm das Mdchen, sie habe darber nachdenken mssen

    und da sei ihr eingefallen, da ihr Brderchen, das in seinem drittenJahr gestorben war, jetzt zwlf Jahre alt sein wrde. Ein anderes Malsah Frau Hauffe im Zusammenhang mit der Warnung vor einer Ge-fahr fr ihr zweites Kind ihr mit drei Vierteljahren gestorbenes erstesKind in der Gre eines Vierjhrigen, also in dem Alter, das es jetztgehabt htte.

    Frau Hauffes Gesichte von Geistererscheinungen bilden denSchwerpunkt der Mitteilungen Kerners, weil sie seiner Meinung nach

    das Hereinragen einer Geisterwelt in die unsere beweisen. Er ist sichvollkommen bewut, da er sich hiermit ein Heer von Gegnern zu-zieht. Er denkt dabei nicht nur an die notorischen Zweifler, die sichvon ihrer eingefahrenen Geistesrichtung nicht lsen knnen, sondernauch an solche, die dies nicht geradezu fr Lug, Trug und Tuschungerklren, zur Erklrung aber Theorien heranziehen, die gewi ge-wagter und phantastischer sind als die ganze einfache naturgemeAnnahme der Mglichkeit eines Hereinragens einer Geisterwelt indie unsre. Er meint damit komplizierte Theorien, die wir heute als

    animistisch bezeichnen, Theorien, die alles daransetzen, die selt-samen Phnomene in die bekannten und anerkannten Denkmodelleeinzuordnen.

    Kerner richtet daher vor diesem zentralen Abschnitt seinerErffnungen an die Skeptiker unter seinen Lesern die Aufforderung:Und nun, gehe du, lieber Leser, aus diesen Blttern (deren weitereFortsetzung, war schon das Vorhergehende nicht nach deinem Sinne,ich dir nicht zumute) wieder zurck in die Welt des ueren, wo dich

    der Ruf der Menge: ,Was du hier lasest, ist Tuschung, oder Produkteines kranken Gemtes bald bertubt und in dir bald nur wenige

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    Klnge mehr davon haften, die nur dann wieder lauter in dir ertnen,wenn dir die Stunde der Mitternacht in schlaflosen Nchten auf ern-stem Krankenlager schlgt, oder man einem deiner Lieben zu Grabesingt.

    Der Tumult auf dem Markte des Lebens ist zu gro, als da ernicht Schwerhrenden den zarten, liebenden Ruf der Natur, unseraller Mutter, bertubte. Aber nicht bleibt die Zeit aus, wo wir einstalle wieder dieser liebenden Mutter Rufen in vollen Akkorden verneh-men, die Zeit, wo unser Herz ausgepocht und das klappernde Radder Auenwelt stillsteht. Dann vernehmen wir auch liebende Brderwieder, die wir sonst nicht vernahmen, alle Verwirrung ist gelst,und wir stehen erstaunt, wie es gekommen, da ein ganzes Menschen-leben hindurch ein Himmel geistiger Akkorde, uns immer freundlich

    rufend und mahnend, um uns erklingen konnte, ohne da wir ihnvernahmen.

    An denjenigen Leser aber, der bereit ist, weiterzulesen, richtetKerner die Mahnung:

    Mein Lieber, der du diese Bltter liesest, wrest du auch erstin der Blte deiner Jahre, siehe, das noch vor dir liegende Leben ver-geht schnell, wie ein Traum, und dann und dies ist eine Frage, dieunseren Weltsinn und Weltverstand so sehr wie k e i n e unterbricht

    und dann was wird aus dir werden? wie viel wird dein Wissen, mitdem du so viel Ruhm und Ehre gesucht hast, einst auf der Wagschalewgen?

    Du glaubst an die Fortdauer deines Lebens, aber gedankenlosbleibst du ber der Beschaffenheit derselben. Ungerne lssest du dirbestreiten, da dein Leben lange dauere, und widrig ist dir der Spie-gel, der dir deine alternde Gestalt zeigt. Ja, du suchst durch Zerstreu-ungen der Auenwelt sehr gerne die Mahnung des geheimen Wch-ters in dir an den Schlag der ernstesten deiner Stunden, den deiner

    letzten, zu bertuben.Aber dieser Wchter in dir ist die allerbarmende Liebe, der nie

    zu erlschende Funke Gottes, der, wenn wir auch noch so viel Ascheund Staub um ihn sammeln, wohl unterdrckt, aber nie (weil er vonGott stammt) erlscht werden kann.

    Zeuge der Existenz einer mit uns in Verbindung stehenden Gei-sterwelt ist fr Kerner der magnetische Mensch, der, whrend ernoch immer an den Krper und somit an die Welt der Sinne gebunden

    ist, mit verlngerten Fhlfden hinaus in eine Welt der Geister reicht.Ein besonders ausgezeichneter Fall dieser Art ist fr ihn Friederike

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    Hauffe, bei der gleichsam infolge eines Schwebezustandes zwischenLeben und Sterben der Nervengeist, dieser grundlegende und ber-dauernde Wesensteil, so frei geworden ist, da ihm der Geist allerDinge fhlbar wurde, der Geist von Dingen, die dem Menschen mitgebundenem Nervengeist vllig gleichgltig und unfhlbar sind.

    Knnen andere nicht den gleichen Glauben gewinnen sowird dadurch der unsre nicht geschwcht, und wir drngen ihn kei-nem auf. Frau H. konnte von ihrem Glauben nicht lassen, trotz dervielen Widersprche, die sie stets erhielt, weil sie von dessen Wahr-heit die vlligste berzeugung hatte. Jenes Sehen htte ihr auch durchalle Widersprche und psychischen Manipulationen nicht genommenwerden knnen, weil es ihr von Kindheit auf eigentmlich, weil esmit ihr geboren war, wie es noch manche Menschen gibt, welche die

    gleiche Eigenschaft, ohne sich im magnetischen Zustande zu befin-den, und bei ganz robusten Krpern, haben. Es ist dies eine Gabe,die noch nicht genug beachtet wurde, weil man, wo man sie bemerkt,sogleich nur von Wahnsinn spricht.

    Zugang zu einer Geisterwelt

    Was hat nun Friederike Hauffe mit dem geistigen Auge durch dasfleischliche gesehen, wenn dieses unglckselige Schauen, das ihrganz zuwider war, ber sie kam? Unter welchen Bedingungen er-langte sie Zugang zu einer Geisterwelt?

    ber ihren seelischen Zustand beim Geistersehen berichtet sie:Whrend ich die Geister sehe und sie mit mir sprechen, sehe undhre ich auch andere Gegenstnde, die sonst um mich sind, vermagauch alles andre zu denken, aber meine Augen sind doch wie an ihrBild gebannt (fixiert),so da es mir schwer fllt, mich von ihnen mit

    den Augen zu wenden, ob ich es gleichwohl zu tun imstande bin; ichkomme mit ihnen wie in magnetischen Rapport.

    Frau Hauffe sieht die Geister in einer Gestalt, wie sie wohl imLeben gewesen sind, aber meist farblos, grau. Dies gilt auch fr ihreKleidung. Bemerkenswert ist, da sie in ihrem Erscheinungsbild dieAuswirkung geistig-sittlicher Unterschiede erkennt. Die besserenGeister erscheinen heller und haben auch eine andere Bekleidung: einlanges helles Faltengewand. Auch die Art der Bewegung ist verschie-

    den: Ihr Gang ist wie derjenige Lebender; doch ist es bei den hellerenGeistern mehr ein Schweben, wogegen die dunkleren, bseren Gei-

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    ster schwer auftreten. Diese machen sich auch akustisch viel strkerbemerkbar bis hin zu spukhnlichen Erscheinungen.

    Diese dunkleren, noch sehr erdgebundenen Geister sind eszumeist, die sich in einer seelischen Not um Hilfe an das Mediumwenden, weil sie dieses sehen und fhlen. Mehr als die Schlechtig-keit ihres ganzen Lebens belastet diese Geistwesen oft eine einzelnehervorspringende Untat oder irgendeine wichtige Angelegenheit, dienicht geregelt worden ist. Eine Hilfe sind diesen Geistern bereits einGebet und religise Worte, die sie geradezu in sich aufsaugen. IhreBesserung wird durch zunehmendes Hellerwerden erkennbar.

    Frau Hauffes Verkehr mit der Geisterwelt beschrnkt sichvorwiegend auf die unteren Stufen des Geisterreichs, auf das so-genannte Zwischenreich, wo noch eine starke Erdgebundenheit

    besteht. Ihr fllt auf, da in der anderen Welt die wahre Grund-neigung unverhllt zum Vorschein kommt, da jedes Laster undVerbrechen in seiner Nacktheit offenbar wird. Der Geist bleibt fer-ner zunchst mit dem verhaftet, woran im Leben sein Herz gehan-gen hat, und es ist ihm eine Pein, sich von seinen alten Neigungennicht losmachen zu knnen, weil ihm zum Genu des Irdischensein fleischlicher Krper fehlt. Sie sprt die Wirksamkeit geisti-ger Anziehungskrfte, die zur Vereinigung einander verwandter

    Seelen und damit zugleich zur Trennung der guten von den bsenGeistern fhrt. Dadurch werden die Mglichkeiten der jenseitigenHherentwicklung bser Geister stark eingeengt; denn es fllt die-sen unendlich schwer, sich aus eigener Kraft emporzuhelfen, weilsie von den Guten nichts mehr lernen und absehen knnen. Es gibtaber auch hier Mglichkeiten seelsorgerischer Hilfe, auch durchein Medium.

    Ein Verstorbener bittet um Hilfe

    Als Tatsachen, die das von der Seherin Wahrgenommene veran-schaulichen und als glaubwrdig erweisen, fhrt Kerner eine Reihevon Fllen an, deren Zeuge und kritischer Beobachter er durchwegselbst gewesen ist. Sein Glaube an die Echtheit der Phnomene wurdenach anfnglicher Skepsis und mannigfachen Versuchen der Irrefh-rung und Entlarvung in dem Mae gefestigt, wie er im stndigen Um-

    gang mit Frau Hauffe die Reinheit und Wahrhaftigkeit ihres Wesensund damit ihre vllige Vertrauenswrdigkeit kennenlernte. Zugleich

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    aber ergaben sich von der Sache her berraschende Feststellungen:eindeutige, berprfbare Wahrnehmungen des Mediums, die aufnormalem Wege nicht erlangt worden sein konnten und mit Hilfe derallgemein anerkannten Naturgesetze nicht erklrt werden knnen.

    Am berzeugendsten wirkt der folgende Fall, der sich in Weins-berg unter der Kontrolle Kerners und des dortigen OberamtsrichtersHeyd, sowie unter Beteiligung weiterer Zeugen zugetragen hat:

    Frau Hauffe wohnte seit dem 25. November 1826 in einem klei-nen Zimmer zur ebenen Erde im Nebenhause des Wohnhauses desKameralverwalters Fezer. Unter den beiden Husern lief ein groesWeingewlbe hindurch, was jedoch Frau Hauffe, auch seinen Ein-richtungen nach, vllig unbekannt war. Auch kannte sie den Besitzer,Herrn Fezer, nicht, wie auch dieser nichts von Frau Hauffe wute, da

    sie ohne sein Wissen und seinen Willen in jenes Haus aufgenommenworden war. Frau Hauffe wute auch nichts von einem gewissenHerrn K., der die Geschfte von Herrn Fezer zu dessen groem Nach-teil gefhrt hatte.

    Schon an den ersten Abenden sprach Frau Hauffe, wenn sie sichim magnetischen Schlaf, also in Trance, befand, immer von einemManne, den sie nicht weit von sich in einer sehr traurigen und bemit-leidenswerten Gestalt sah. Sie hatte den Eindruck, da er von ihr et-

    was begehre: Immer winkt er mir und will mir etwas anvertrauen.Am 25. Dezember hatte Kerner Herrn Fezer zum ersten Malhinzugezogen, weil er meinte, da jene Erscheinung ein verstorbenerVerwandter sei. Frau Hauffe berichtete nun, da er wieder da seiund ihr ein Blatt von nicht ganz Foliohhe voll von Zahlen zeige.Sie beschrieb Einzelheiten dieses Blattes und seine Lage unter vielenAkten. Sie nannte sein Anliegen: Er will haben, ich soll es meinemArzte sagen und durch diesen soll eine Warnung ergehen. Warummu er denn aber auch mich so qulen und stren, knnte er es denn

    nicht seiner Gattin sagen? Er wollte es noch vor dem Tode sagen, erglaubte aber nicht, da er sterben werde, und nahm es sterbend mitder Seele hinber wie ein Stck von seinem Krper. Sie beschriebdie Gestalt dieses Mannes so genau, da man in ihr den verstorbenenK. erkannte.

    Ganz offensichtlich versetzte sie sich dann am 26. Dezember,whrend sie in tiefer Bewutlosigkeit lag, aus ihrem Krper hinaus,um das Blatt zu finden, auf das jener Mann immer hindeutet. Nach

    langem Suchen sagte sie: Dieses Blatt liegt in einem Gebude, dassechzig Schritte von meinem Bette steht. In diesem sitzt ein langer

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    Herr oben an einem Tisch und arbeitet. Soeben geht er hinaus, undjetzt kommt er wieder herein. Nach diesem Zimmer kommt nochein greres, in dem stehen Ksten und eine lange Tafel, auch seheich in ihm eine lngliche Kiste. Einen Kasten sehe ich, der stehtam Eingang, und an diesem Kasten ist die Tr etwas offen. DieseKisten und Ksten gehen aber jenen Mann nichts an. Aber obenan der Tafel steht etwas von Holz, ich kann es nicht benennen, undauf diesem liegen Papiere, und die sehe ich in drei Haufen liegen.Rechts im Haufen ist nichts von diesem Mann, aber in den zweiandern fhle ich von ihm, und zwar im mittleren, ein wenig unterder Mitte, jenes Blatt, das ihn so qult.

    Kerner berichtet weiter:Nach diesem Hellsehen erwachte sie uerst geschwcht und

    leidend.In dem von Frau H. bezeichneten Gebude erkannte ich das

    hiesige Oberamtsgericht, das auch abgemessen in der bezeichnetenWeise entfernt war. Ob ich gleich diese Erscheinung der Frau H.immer noch fr ein Traumbild hielt, so ging ich am anderen Tagedoch zu Herrn Oberamtsrichter H., erzhlte ihm diese Erscheinungund Aussprche der Frau H., wie sie hier aus dem Tagebuche ge-geben sind, und bat ihn, mit mir jene von Frau H. bezeichneten

    Aktenfaszikel zu durchgehen, nur um sie (weil man doch nichtsfinden werde) zu berweisen, da jene Erscheinung nur ein leeresTraumbild sei.

    Herr Oberamtsrichter H., der inzwischen aus dieser Sacheauch nichts weiter als einen Traum machen konnte, besttigte mirbrigens sogleich, da Frau H. wenigstens darin recht gesehen, daer zu jener Stunde auf der von ihr bezeichneten Stelle, wo er sonstselten sitze, gearbeitet habe und einmal in das andre Zimmer ge-

    gangen sei, wo er bemerkt, da jener Kasten an der Tr halb offenstehe. So sehr dieses Zutreffen uns beiden auffiel, so sehr wurdenwir wieder in unserem Glauben an einen bloen Traum der Frau H.bestrkt, als wir die bezeichneten Akten, die brigens auch richtigin der von Frau H. angegebenen Lage waren, durchgingen (freilichnur etwas zu schnell), das betreffende Blatt aber nicht fanden.

    Dennoch bat ich den Herrn Oberamtsrichter H., sich selbst vondiesen sonderbaren Aussagen der Schlafwachen zu berzeugen und

    abends 7 Uhr zur Stunde ihres Schlafes zu ihr zu kommen, was erauch tat.

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    Nach gemachten Selbstverordnungen sprach die Frau H. aber-mals von dem Verstorbenen, der wieder da stehe und ihr keine Ruhelasse. Sie hatte schon frher erwhnt, da sie ihn nchtlich im Ge-wlbe hinter dem vierten Fasse sehe, und nannte ihn deswegen fters:den Mann hinter dem vierten Fasse. Sie klagte mich an, da ich dasBlatt nicht mit Eifer suche, und beschwor mich aufs angelegentlich-ste, es doch zu finden, da es so leicht zu finden sei. Nun beschrieb siewieder die Lage jener anderen Aktenfaszikel und jenes Blatt, und gabnoch an, da es unter anderen Papieren mit s t a r k e m g r a u e n Pa-pier umschlagen liege, welche Angabe sie frher nicht gemacht hatte.

    Ich sagte ihr, da ich das Blatt vergebens gesucht, und da sieuns beiden nicht verbeln werde, diese ganze Sache so lange freinen Traum, der sie tusche, zu halten, als ein solches Blatt nicht

    aufzufinden sei. Da versicherte sie aber ganz ruhig, man msse undwerde dieses Blatt noch finden.

    Whrend ihres Abendschlafes am 28. Dezember wollte Ker-ner, der immer noch an bloe Traumbilder glaubte, Frau Hauffe aufdie Probe stellen. Er gab ihr ein altes Blatt, das mit vielen Zahlenberschrieben war, worunter sich auch die Zahl 80 befand, undbehauptete, dies sei das Blatt, das sie suche, Herr F. habe es gefunden.Frau Hauffe widersprach sofort: Nein, das ist nicht jenes Blatt, das

    ist noch an seiner Stelle, und auf ihm sind die Zahlen viel regelmi-ger untereinander gesetzt.Als sie am 30. Dezember wieder auf das herzergreifendste darum

    bat, nach jenem Blatt zu suchen, wollte Kerner sie belehren, da dieseErscheinung ein Traum sei. Da brach sie in die bittersten Klagen ausund behauptete, der Geist weiche nicht von ihr, bis das Blatt gefundensei. Auch am nchsten Tage trieb Kerner seinen Scherz mit ihr, weiler die Sache immer noch nicht ernst nahm. Frau Hauffe aber erneu-erte beharrlich ihre dringende Bitte, das Blatt zu suchen, damit die

    lngst verstorbene Seele ihre Ruhe finde.Die ganze Sache griff ihre Gesundheit derartig an, da Ker-

    ner schlielich besorgt wurde und sich dadurch veranlat fhlte, denstndig erneuerten Bitten mit grerer Bereitschaft zu entsprechen.Er ging daher am anderen Tage nachmittags zum OberamtsrichterH. und stellte ihm dar, mit welcher auffallenden Bestimmtheit FrauHauffe auf der Realitt jener Erscheinung und der Existenz jenesBlattes beharre. Er bat ihn, mit ihm zusammen noch einmal jene

    Aktenfaszizel zu durchsuchen. Sie fanden dann tatschlich in einemUmschlag ein Blatt mit Zahlen und Worten von der Hand jenes Man-

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    nes, das an der oberen Ecke eingebogen war, alles ganz so, wie es dieSeherin beschrieben hatte. Das Blatt, auf das bis jetzt noch niemandaufmerksam geworden war, enthielt einen Hinweis auf die Existenzeines Geheimbuches, das nach dem Tode dieses Mannes nicht mehrgefunden wurde und in das er wahrscheinlich vieles eingetragenhatte, das jetzt nicht mehr zutage kam.

    ber den Fortgang dieses Geschehens berichtet Kerner: HerrOberamtsrichter H. und ich kamen berein, von dem Funde diesesBlattes gegen jeden Menschen zu schweigen, und ich bat ihn, diesenAbend wiederum dem Schlafe der Frau H. beizuwohnen. Ich sprachnichts darber gegen Herrn Oberamtsrichter H., war aber im stillender Meinung, er werde dieses Blatt zum Schlafe der Frau H. bringen,um es ihr vorzulegen.

    Er erschien. Frau H. war in Schlaf verfallen, und nach den ge-machten Selbstverordnungen kam sie wieder auf jenen Verstorbenen.Sie sprach: ,Da steht er wieder, aber er sieht beruhigter aus. Wo ist dasBlatt? es mu gefunden sein! (Ich glaubte nicht anders, als sei es in derTasche des anwesenden Herrn Oberamtsrichter H.) Ich mu es suchen!

    Ich sagte: ,Ist es denn gefunden? wo ist es? Sie verfiel in Erstar-rung und tiefes inneres Schauen, wobei sie das Aussehen eines vlligGestorbenen, mit verklrten Zgen, hatte, und sprach nach einiger

    Zeit: ,Es sind die Papiere nicht alle mehr da, und die andern Papieresind auch nicht mehr in der andern Lage. Aber das wundert mich! da liegt ja das Papier, das der Mann gewhnlich in der Hand hatte,offen da. Nun da kann ich mehr lesen: In das Geheimbuch einzu-tragen auf das Mittlere dieser ersten Zeilen deutet er immer, er willwohl auf dieses Buch deuten. Was soll man nun mit diesem Blattemachen? Ha! mich schaudert, denke ich, was jene arme Frau tunknnte, warnt man sie nicht! Eine Warnung soll an sie durch diesesBlatt ergehen, dann hat er Ruhe, ist vom Irdischen mehr entbunden

    und kann sich durchs Gebet mehr dem Erlser nahen.Herr Oberamtsrichter H. war ber jene Aussage der Seherin

    von der Lage der Akten und namentlich jenes Blattes (wie er mirauer dem Zimmer derselben sagte) erstaunt, da er dieselben, um ihrSchauen auf die Probe zu stellen, verrckt und jenes Blatt, geradewie sie angab, offen hingelegt hatte. Ich aber war, wie ich oben sagte,der vlligen Meinung, Herr Oberamtsrichter H. habe das Blatt in derTasche und wolle auf diese Art die Seherin auf die Probe stellen, wes-

    wegen ich, bis Herr Oberamtsrichter H. sich aussprach, nach jenenReden der Seherin wirklich glaubte, sie habe sich jetzt sehr getuscht.

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    Im magnetischen Schlaf am 1. Januar sprach sie wieder vom Ver-storbenen, und da er haben wolle, man solle seine Gattin warnen,etwas zu tun, wodurch sie unglcklicher als er wrde.

    Am 2. Januar sah Frau Hauffe voller Schrecken gegen neun Uhrabends den Geist des verstorbenen Geschftsfhrers in ihrem Zim-mer am Tisch sitzen und in ein Buch schreiben. Ihr war klar, da ermit jenem Buch auf sein Geheimbuch deuten wollte, um seiner Bitte,seine Frau zu warnen, Nachdruck zu verleihen. Die gleiche Erschei-nung hatte sie dann noch einmal in der nchsten Nacht um drei Uhr.

    Nach diesem Tage diktierte Frau Hauffe ihrer Schwester imschlafwachen Zustande einen Brief an die Gattin des Verstorbenen,in dem sie auf die tglichen Erscheinungen und Bitten ihres Manneshinwies und sie beschwor, wenn sie zu einem Eide getrieben wrde,

    nichts Geheimes in ihrem Herzen zu behalten und nichts ins Jenseitshinberzunehmen, was sie dort qulen wrde. Auf Drngen von FrauHauffe wurde dieser Brief unverzglich der Witwe bermittelt. Dabeisagte man ihr, man halte jene Erscheinung zwar fr eine bloe son-derbare Phantasie einer Kranken, empfahl ihr aber, mit Frau Hauffeselbst whrend ihres schlafwachen Zustandes zu sprechen. Nach ei-nigem Zureden fand sie sich dazu bereit.

    Frau K. kam auch wirklich zum Abendschlaf von Frau Hauffe.

    Diese schilderte ihr noch einmal, wie ihr verstorbener Gatte sie be-drngt habe, obwohl sie doch hier ein Fremdling sei und keine der andieser Sache beteiligten Personen kenne. Sie erneuerte die Warnungvor einem falschen Eide. Als Frau K. sagte, da man ihr noch kei-nen Eid abgefordert habe, verwies Frau Hauffe sie auf eine sptereZeit, wo das noch geschehen werde. Zum Schlu betete sie fr denVerstorbenen und seine Familie. Frau K. war tief gerhrt und verliesehr bewegt das Haus.

    Bedeutsam ist bei diesem Fall von Hellsehen nicht nur der Kon-

    takt mit dem erdgebundenen Geist eines Verstorbenen, den FrauHauffe berhaupt nicht kannte, sondern vor allem ihre Reaktion aufalle Versuche Kerners und auch des Oberamtsrichters, die Sachenicht ernst zu nehmen und dem Medium Fallstricke zu legen, die dasGanze als bloe Phantasien entlarven sollten: ihr Wissen um allesGeschehene und um den jeweiligen Stand der Nachforschungen, dasbeharrliche Drngen auf Abhilfe unter dem offensichtlichen Druckdes Jenseitigen, ihre Wahrnehmung aller diesbezglichen Vorgnge

    in den fraglichen Rumen des Gerichtsgebudes, was darauf schlie-en lt, da offenbar ein Wesensteil ihres Selbst, ihr Astralkrper,

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    als Astralwanderer tatschlich dort gewesen ist, sich also zeitweisevon ihrem physischen Leibe gelst hat.

    Charakteristisch fr das mediale Erleben ist dabei, da FrauHauffe bei wachem Bewutsein von dem auersinnlich Gesehenenund Gehrten nichts wute und erst dann die von Kerner angespro-chenen Geschehnisse erfate, wenn sie in magnetischen Schlaf,d.h. in Trance, fiel. Bemerkenswert ist hier auch das mediale Schrei-ben, zudem noch in Versen.

    ber die Glaubwrdigkeit dieses Falles sagt Kerner zum Schlu:Die Wahrheit und Unbefangenheit dieser vorstehenden Geschichtekann niemand einsehen, der nicht die Personen, die sie betrifft, undvor allem Frau H. persnlich kennt, und der nicht von Anfang andieser Geschichte bis zu ihrem Ende persnlich gegenwrtig war.

    Der aber, der alles mit ansah und anhrte, Verhltnisse und Personenkennt und dann noch von Betrug und Tuschung spreche, der sprecheeinzig aus bsem Willen.

    Zur Besttigung der Wahrheit des Berichteten fgt Kerner dieAbschrift einer ausfhrlichen Privatmitteilung des OberamtsrichtersHeyd bei. Daraus geht hervor, da der Verstorbene als Geschftsfh-rer einer Handelsfirma durch eigene Schuld in ein Konkursverfah-ren verwickelt war und an seine Familie Schadenersatzforderungen

    gestellt wurden. Insbesondere wurde die Witwe mit einem Offenba-rungseid bedroht, das von ihrem Mann gefhrte Geheimbuch heraus-zugeben.

    Der Oberamtsrichter bezeugt, da Frau Hauffe ber diesen Fallkeinerlei Kenntnisse haben konnte. Er besttigt auch die Richtigkeitihrer Angaben ber seine von ihr hellseherisch wahrgenommeneTtigkeit im Gerichtsgebude an dem betreffenden Nachmittag undAbend und ber die damalige Situation in den Zimmern.

    Er schildert auch, wie er absichtlich die endlich aufgefun-

    dene Akte offen hingelegt hat, genau so, wie sie Frau Hauffe dannim Trancezustand sah. Er macht ferner deutlich, worum es demAbgeschiedenen offensichtlich ging: seine Frau von der Snde abzu-halten, unter Eid die Existenz des Geheimbuches zu leugnen.

    Abschlieend stellt er als unerklrlich heraus:

    das nur mir allein bekannte Sitzen an einer mir sonst unge-whnlichen Arbeitsstelle am letzten Christfeiertag;

    das ganz zufllige, sonst nicht stattgefundene Offenstehen einerKastentr, in dem durch jene Woche ganz ungeheizt, und auer

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    von mir und meinen Incipienten unbetreten gebliebenen Gerichts-zimmer;das sichere Bestimmen der Lage des Fascikels, der nicht einmal inseiner richtigen Zahlenfolge sich befand;die Bezeichnung der kleinen und s e h r a l t e n Einbeugungdes Papiers auf dem fraglichen Blatte, welche sich doch gewiim Jahre 1820 auf der etwa von den Exhibenten zurckbehal-tenen Abschrift des Blattes niemand notiert hat. Auch ist es vonda meines Wissens der Partei nicht mehr mitgeteilt worden.

    Oberamtsrichter Heyd.

    Zwei Fragen

    Zwei Fragen drngen sich in diesem Zusammenhang auf:Woher stammen die Kenntnisse Frau Hauffes ber die beteiligtenPersonen und ber eine fr das Konkursverfahren wichtige Akte?Welche Beweggrnde sind fr die Durchleuchtung dieses Fal-les magebend? Was veranlat Frau Hauffe zu einem derartigenpersnlichen Einsatz in dieser Angelegenheit, mit der ihr eigenesLeben nicht den geringsten Berhrungspunkt besitzt?

    Zu 1: Zur Frage der Quelle des Wissens haben die nheren Umstndeeindeutig ergeben, da die hier bedeutsamen Kenntnisse auf norma-lem Wege nicht erworben wurden. Auch Telepathie scheidet weitge-hend aus. Dies gilt vor allem fr die grundlegenden Mitteilungenber das so wichtige Aktenblatt: ber seinen Aufbewahrungsort, seinAussehen und seinen Inhalt. Hier ist niemand zu ermitteln, dessenWissen htte abgezapft werden knnen, zumal die Erffnung des

    Konkursverfahrens schon sieben Jahre zurcklag und niemand mehrdarber sprach, ferner gerade diese Akte berhaupt nicht bei den Ver-handlungen bercksichtigt wurde und daher auch dem Richter nichtbekannt war.

    Hier drngt sich geradezu als einzig mgliche Erklrung dieAnnahme auf, da Frau Hauffe mit einem Teil ihrer Seele den be-treffenden Ort wirklich aufgesucht und sich mit geistigen Augen dortumgesehen hat. Telepathie kann hier hchstens im Sinne einer ge-

    danklichen Verbindung mit dem Geist des Verstorbenen im Spielegewesen sein.

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    Zu 2: Hinsichtlich der Motivation scheiden betrgerische Absichtenvon vornherein aus. Solche wrden vor allem zu den persnlichenUmstnden, zum Charakter Frau Hauffes und zu ihrer sittlichenund religisen Grundhaltung in krassem Widerspruch stehen. Ker-ner zitiert hierzu Eschenmayers Verteidigung des Mediums gegenAngriffe gelehrter Herren: Wie mag man annehmen, da einePerson, deren Geschichte von nichts als von krperlichen Leiden undharten Prfungen zeugt, und welche die gewissen Ahnungen ihresTodes so deutlich ausspricht, alle die guten Gesinnungen erheuchleund einen so schnden Betrug mit in das Grab nehmen mge, wovonja nicht der mindeste zeitliche Vorteil, wohl aber ein ewiger Nach-teil vorauszusehen ist einen Betrug, gegen dessen Folgen fr dasandre Leben die Seherin mit solcher Strke selbst predigte? Ich mu

    gestehen, da schon die Annahme solcher Widersprche, nach mei-nem Sinne, eine unmoralische Seite darbietet, und es mag sehr imZweifel sein, ob nicht der Beschuldiger mehr dabei verliert als derBeschuldigte. Der Fernstehende kann berhaupt hier nicht richtigurteilen, denn die Geschichte der Seherin ist nur ein matter Abrivon dem, was sie ihren Freunden im Umgange und im Leben selbstdarbot. Man mute mit ihr in die Tiefe ihres Gefhlslebens, sowiein die Hhe ihrer geistigen Anschauungen selbst eingegangen sein,

    um den Sinn der Wahrheit, der sich darin aussprach, nicht mehr zuverkennen. Die Verklrung, in der ihre Freunde sie oft sahen, duldetkeine Heuchelei . . .

    Auch der geschdigte Inhaber der Weinhandlung, der Kameral-verwalter Fezer, der ursprnglich nicht an solche Erscheinungenglaubte, sich dann aber als Augen- und Ohrenzeuge von der Abwe-senheit jeglicher Tuschung vergewissern konnte, besttigt in einerhierzu abgegebenen Erklrung, da der Seherin zur Auffindung die-ses Blattes von keiner Seite her eine Veranlassung gegeben wurde,

    und dies um so mehr, als ich mir keinen Menschen denken kann, derauer mir ein Interesse daran htte nehmen knnen. So unbegreiflichauch diese Tatsache jedem erscheinen kann und mu, so bin ich dochberzeugt, da sie nicht widerlegt werden kann.

    Als entscheidendes Motiv ergibt sich also ein sittlich-religises:Es ging darum, die Witwe im Interesse ihres Seelenheils zu war-nen, keinen Manifestationseid zur Verhehlung des Geheimbuchs zuschwren. Verstndlich wird dieses ganze Geschehen nur durch die

    Annahme, da in der Tat der Geist des verstorbenen K. als drngendeKraft hinter all diesem gestanden und in Frau Hauffe ein Medium

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    schiene. Diese Geisterwelt ist da, aber freilich nicht, wie sie sich dieWeisheit der Weisen konstruierte, sondern wie sie schon lngst dieEinfalt der Einfltigen schaute, und so wird sie sich immer mehr of-fenbaren. Mge der kalte Verstand mit seinen Raisonnierknsten sieimmer dem inneren Gefhl wegstreiten, jeder Menschenbrust ist sieeingeprgt, weil sie kein leerer Wahn, sondern eine in der Natur ge-grndete Tatsache ist; sie wird geahnt von jeder nicht ganz verglastenMenschenseele, wenn auch nicht im Drngen und Treiben der Welt,doch in ernster Mitternacht, oder in stiller Totenkammer. O mchtendiese Menschen doch nur auch in d i e s e m Punkte ehrlich sein, diefalsche Weltscham und Weltklugheit ablegen, wie viele Verteidigerund Zeugen wrden dann diese armen Bltter, statt wie jetzt Heerevon Widersachern, finden!

    Letzte Lebenstage und Tod der Seherin

    Das Lebensende der Seherin entsprach vllig ihrem Mittelzustandzwischen zwei Welten. Drei Wochen vor ihrem Tode sie befandsich damals in Lwenstein verkndete ihr dreimal ein Zweites Ge-sicht ihren nahen Tod. Sie sah das Bild einer leuchtenden Frauenge-

    stalt, mit freundlich mildem Gesicht, die ihr zuwinkte, und ein kalterHauch kam auf sie zu. Daneben sah sie ein weies Kreuz und darun-ter einen braunen aufgedeckten Sarg.

    Indessen glaubte man in ihrer Umgebung noch nicht an den nahenZeitpunkt ihres Todes, da man zu sehr an ihren Schwebezustand zwi-schen Leben und Sterben gewhnt war. Sie aber hob drei Tage vorihrem Tode drei Finger wie zu einem Eide auf und beschwor: da, sowahr Gott lebe, ihr Leben kaum noch drei Tage dauern werde.

    Bis zum letzten Hauch ihres Lebens blieb sie magnetisch, fiel

    also hufig in Trance. Ihr Schauen und bertreten ins Geisterreichnahm stndig zu. Kerner berichtet: Sie fhlte sich immer mehrselbst unter und mit diesen Geistern. Sie sagte mir in ihren letzten Ta-gen: sie sehe in ihrem Fieberzustande nun auch oft Bilder, allerlei Ge-stalten vor ihren Augen, sie knne mir aber nicht genug ausdrcken,wie dieses B i l d e r s e h e n so ganz was andres sei, als das Sehenvon Geistern, und sie wnschte nur, da auch noch andre Menschenals sie imstande sein knnten, dieses zweierlei Schauen miteinander

    zu vergleichen, um begreifen zu lernen, da das erstere Phantasie,das letztere ein wirkliches Schauen sei, aber freilich ein Schauen, das

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    sich von unserm gewhnlichen S e h e n auch wieder unterscheide,und daher nicht jedem Menschen gegeben sei. Auch das Schauen ei-nes zweiten Gesichtes unterscheide sich vom Schauen der Geister undvom gewhnlichen Sehen.

    Ein Umstand, der mich auch abermals von der Wahrheit ihrerAussagen berzeugte, war, da mir bei meinem letzten Besuche, wosie ihren Tod schon so gewi voraussah, im Vertrauen sagte, ihr ver-storbener Vater komme seit kurzer Zeit auch zu ihr, es verwunderesie, da er ihr jetzt erst offenbar werde, da er doch schon vor einemJahre gestorben: sie habe ihn darber gefragt, und er ihr geantwortet:es sei, sich ihr frher zu offenbaren, nicht in seiner Macht gestanden.

    Sie wollte spter, als sie aber schon zu schwach war, um zusam-menhngend zu sprechen, noch manches, was ihr ihr Vater, besonders

    ber das Geisterreich, erffnet, mitteilen, vermochte es aber nichtmehr . . . Am 5. August 1829 verfiel Frau H. teils in Delirien, teilskam sie in magnetischen Zustand, teils schien sie wieder wach zusein, ihre Sprache war aber gebrochen. Mit sichtbarer Inbrunst hrtesie Gesprche ber Leben und Leiden des Heilandes an und deuteteoft auf ihr Herz, indem sie in gebrochener Rede zu erkennen gab, danur der ruhig sterben knne, der Jesus da innen trage . . .

    Der Geist ihres Vaters schien besonders zur Zeit ihres Todes

    bei ihr aus und ein zu gehen und wurde da auch von der Mutter undSchwester erblickt, und war dies das erste Mal, da der Mutter beiden vielen Geisterbesuchen ein Geist sichtbar wurde. Als diese desVaters Geist sahen, sprachen sie vor der Sterbenden davon, und diesegab mit gebrochenen Worten zu verstehen, da sie ihn mit ihnen auchgesehen habe, und da sie sich nicht tuschen.

    Um 10 Uhr sah die Schwester eine hohe lichte Gestalt ins Zim-mer treten, und i n d e m g l e i c h e n M o m e n t e t a t d i eS t e r b e n d e e i n e n h e f t i g e n S c h r e i d e r F r e u d e . Ihr

    Geist schien da die Hlle zu verlassen. Nach kurzen Momenten ver-lie sie auch die Seele, und die Hlle lag nun als etwas ganz Fremdes,ohne Spur von den frheren Gesichtszgen, da.

    Hchst bemerkenswert ist das Ergebnis der von Dr. Orffzu L-wenstein vorgenommenen Sektion der Leiche. Es zeigten sich nm-lich krankhafte Vernderungen an fast allen inneren Organen. Da-gegen fand Dr. Orff den Schdel bewundernswrdig schn gebautund das Gehirn in allen seinen Teilen so gesund und vollkommen,

    da er behauptete: n o c h n i e e i n g e s u n d e r e s u n d s c h -n e r e s G e h i r n i n e i n e m M e n s c h e n g e t r o f f e n z u

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    h a b e n . Auch an dem Rckenmarke, das seiner ganzen Lnge nachuntersucht wurde, und an den Nerven der Brust und des Unterleibeswar nicht die mindeste krankhafte Vernderung sichtbar. Aus dieserSicht deutete also nichts auf eine etwaige Geisteskrankheit hin.

    Am 8. August 1829 wurde Friederike Hauffe auf dem hochgelegenen Friedhof von Lwenstein, dem wohl schnsten im ganzenSchwabenland, zur letzten Ruhe gebracht.

    Rtsel der Medialitt

    Ganz allgemein zeigt sich, da es sich bei Friederike Hauffe um eineangeborene Anlage handelt, die sich schon in ihrer Kindheit in Form

    von Ahnungen uerte, deren Entfaltung jedoch auch durch Umwelt-einflsse begnstigt wurde, da in ihrer Heimat die Gabe der auer-sinnlichen Wahrnehmung sehr verbreitet war und daher nicht allzu-sehr auffiel. berdies ist charakteristisch, da hier eine vielseitigeMedialittvorliegt, die alle Nachtseiten der Seele vereinigt.

    Als grundlegend erscheint das, was im Anschlu an Mesmerals Magnetismus bezeichnet wird. Gemeint ist damit die besondereEmpfnglichkeit Friederike Hauffes fr eine das ganze Weltall und

    alle Lebensformen durchdringende und verbindende Kraft, derenTrger ein Stoff von unvergleichlicher Feinheit ist. Wenn Kernerjedoch in diesem Zusammenhange von magnetischem Schlafundvon Somnambulismus spricht, so weicht dies von dem gegenwr-tig blichen Sprachgebrauch ab; denn Friederike Hauffe war keineSchlafwandlerin. Die seelische Verfassung, in der ihr Paraph-nomene bewut wurden, war vielmehr eine solche, die wir heuteals Trance bezeichnen: ein schlafartiger Zustand herabgesetzten

    Bewutseins, in dem sie jedoch noch so weit wach war, da sieansprechbar war sowie sprechen und schreiben konnte, ohne sichindessen an die betreffenden Inhalte im vollen Wachzustand zu er-innern. Kerner spricht in diesem Sinne auch vom schlafwachenZustand.

    Dieser Magnetismus hatte fr Friederike Hauffe zugleich einebesondere gesundheitliche Bedeutung, indem ein offenbar bei ihrbestehender Mangel an Lebenskraft durch Zufuhr derselben durch

    magnetische Striche oder auch schon durch die bloe Nhe einerkraftgeladenen Person ausgeglichen werden konnte.

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    Verbunden war hiermit eine hchste Sensibilitt fr Strahlungenaller Art, die von Pflanzen, Tieren, Metallen und Mineralien ausge-sandt werden. Es uerte sich dies als ein Hellfhlen, das sich auchauf den eigenen Krper bezog und sie befhigte, ihren krperlichenZustand, Krankheitsherde und drohende Gefahren fr Leib und Le-ben zu erkennen, zugleich aber auch geeignete Heil- und Hilfsmittelzu bestimmen und sich selbst zu verordnen.

    Die alles berragende mediale Gabe jedoch war diejenige desHellsehens. Dies uerte sich einmal als rumliches Hellsehen, alsauersinnliche Wahrnehmung von Rumlichkeiten, Gegenstnden,Personen und Vorgngen an entfernten Orten, sodann als zeitlichesHellsehen, als Prkognition in Form des Zweiten Gesichtes, alssymbolische Vorausschau des Todes nahestehender Personen, zuletzt

    auch des eigenen Todes.Die bedeutendste Form des Hellsehens indessen, die in erster Li-

    nie dem Medium den Namen Seherin von Prevorst verschafft hat,war das Geistersehen, das sie gegen ihren Willen und zu ihrem gro-en Leidwesen berfiel. Wesentlich ist, da dieses Wahrnehmen vonGeistern nicht nur ein vllig passives, erschreckendes Erleben war,sondern eine beiderseitige aktive Begegnung, bei der Impulse vondiesen Geistwesen in Gestalt eines dringenden Anliegens ausgingen,

    umgekehrt aber auch versucht wurde, Hilfe zu leisten. Diese reichtevon der Ermittlung wichtiger Sachverhalte bis zur seelsorgerischenFrderung durch Zuspruch und Gebet.

    Darber hinaus war Friederike Hauffe auch fhig zur magi-schen Einwirkung auf Geister, indem sie von Geistern beunruhigtenPersonen auf deren Bitten half, durch bestimmte Amulette und Wortejene zu vertreiben. Im brigen war ihr auch sonst die Anwendungmagischer Sympathiemittel vertraut.

    Von grter Bedeutung ist, da alle diese Fhigkeiten unbeein-

    flut von irgendwelchen angelesenen Theorien in Erscheinung traten.Auch Erklrungsversuche erfolgten allein mit Hilfe eigenen Nachden-kens. Das dabeigezeigte Niveau ist erstaunlich, da Friederike Hauffenur eine einfache Bildung besa und keinerlei Bcher las auer derHeiligen Schrift. Daher mu ihre Medialitt als ein ursprnglichesPhnomen gewertet werden, das von ihr selbst als schicksalhaft, alsein auferlegtes Kreuz, an dem sie schwer trug, empfunden wurde.

    Der Umstand, da Ausdehnung und Strke des medialen Erle-

    bens in dem Mae zunahmen wie die mannigfachen krperlichen Lei-den, die in wenigen Jahren zum Tode fhrten, lt hier einen Zusam-

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    die Seele unter Umstnden noch in unserer Welt bemerkbar machenkann.In unsere Welt ragt eine Geisterwelthinein. Mediale Menschennehmen dies bereits whrend des irdischen Lebens wahr; denn ihreSeele reicht wie mit verlngerten Fhlfden in diese Welt hinein.Dies war in ganz besonderem Mae bei Friederike Hauffe der Fall.

    Diese Geisterwelt besteht aus mehreren Reichen. Das Reich,in das zunchst alle Gestorbenen eintreten, ist ein Zwischenreich.Hier nehmen die Seelen die wahre Gestalt an, die ihnen nach ihremgeistigsittlichen Entwicklungsstand zukommt.

    Auch im Zwischenreich gibt es bereits verschiedene Stufen ent-sprechend dem Grade der Luterung. Dieser wird uerlich erkenn-bar an dem Mae der Helligkeit oder Dunkelheit der Geister. Eine

    zunehmende Hherentwicklung wird demgem auch durch einewachsende Helligkeit sichtbar. Damit wird ein Phnomen angedeu-tet, das spter durch die Theorie der seelisch beeinfluten Odstrah-lung in Form einer farbigen Aura genauer bestimmt worden ist.

    Die Seelen nehmen zunchst ihr irdisches Denken und Strebenmit hinber. Als Kind Gestorbene setzen dort ihre unterbrocheneEntwicklung zum Erwachsenen fort. Die noch ganz erdgebunde-nen Geister sind es durchweg, mit denen ein Medium in Berhrung

    kommt. Sie spren, wo sich ein Medium befi

    ndet, dessen sie sich be-dienen knnen, um Hilfe zu erfahren. Einer hheren Entwicklungs-stufe gehren dagegen die wahrgenommenen Schutzgeister an.

    Aus dieser Sicht wird die entscheidende Bedeutung geistiger,sittlicher und religiser Werte als Lebensinhalt offenbar, und eswird erkennbar, wie dringend notwendig es ist, die auf Erden be-sonders gnstigen Bedingungen zur Hherentwicklung zu nutzen.Der moralische Wert oder Unwert entscheidet das Schicksal derSeele in der anderen Welt, bestimmt die verschiedenen Grade von

    Seligkeit oder Unseligkeit. Jeder Mensch nimmt die Abrechnung,mit feurigen Ziffern in sein Herz geschrieben, hinber in eine andreWelt, er entziffert sich selbst, und wehe ihm, wenn sein moralischerUnwert grer ist als sein moralischer Wert . . . Darum liegt we-niger an der physischen Dauer des Lebens, sofern seine Abkrzungdurch innere Leiden und uere Bedrngnis mit einem moralischenGewinn verbunden ist. Dies traf in hchstem Mae auf FriederikeHauffe selbst zu, wie berhaupt ihr ganzes Leben zwar kurz war, von

    physischer Schwche, aber getragen von hchster sittlicher Reinheitund Kraft auf der Grundlage christlichen Glaubens.

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    Neben den bekannten Naturkrften gibt es geistige Krfte, die aufgeheimnisvolle Weise magische Wirkungen auslsen. Mglich wirddies durch eine Ordnung des Universums nicht nur nach dem Kausa-littsprinzip, sondern auch nach dem Verhltnis von Entsprechungund Sympathie. Es ist dies ein kosmisches Prinzip, wonach alle Teilenicht nur materiell, sondern auch spirituell miteinander verbundensind. Bei Friederike Hauffe wird dies bedeutsam fr bestimmte magi-sche Heilverordnungen, wobei Amulette eine groe Rolle spielen.Wie sie betont, ist fr den Erfolg magischer Praktiken wesentlichder vollkommenste Glaube an das Unsichtbare. Diese Einwirkungist eine Seelenkraft, die durch den Geist untersttzt wird.

    Fragen und Antworten

    Welche o b j e k t i v e Geltung knnen diese sich aus dem medialenErleben Friederike Hauffes ergebenden weltanschaulichen Thesenbeanspruchen? Folgende Fragen drngen sich auf:

    Welche Glaubwrdigkeitbesitzen berhaupt die Aussagen Friede-rike Hauffes und der Bericht ber das Ganze?Ist hier das mediale Erleben in Wirklichkeit nur pathogen bedingt?

    Handelt es sich im Grunde nur um Ausgeburten eines kranken Hirns?Verraten die magischen Praktiken und die darber geuerten An-sichten, da hier der Aberglaube eine wesentliche Rolle spielt?Wie ist das Sehen vonGeisternund der Verkehr mit ihnen zu deuten?

    Nach grndlicher berprfung des gesamten Materials bietensich folgende Antworten an.

    Zu 1: Hinsichtlich der Glaubwrdigkeitdes Berichteten sindzwei Schlsselfiguren von grter Bedeutung: der Berichterstatter

    und das Medium. Fr die unbedingte Vertrauenswrdigkeit des Ver-fassers Justinus Kerner sprechen seine charakterlichen Qualittensowie seine medizinische Vorbildung und Erfahrung. Wesentlich istseine kritische Haltung, die anfnglich zu einer uerst skeptischenVoreinstellung fhrte, die erst nach und nach auf Grund von Testsund stndiger Beobachtung zur vlligen berzeugung von der Tat-schlichkeit der Phnomene wurde.

    Kerner wurde von einem Saulus zu einem Paulus. In seiner

    ganzen Darstellung sprt man sein tiefes Ergriffensein von derPersnlichkeit der Seherin, von ihrer Reinheit und Wahrhaftigkeit,

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    offenbar ein Teil ihres Selbst von ihrem Krper zu lsen und im Rah-men einer Astralreise an einen anderen Ort zu begeben vermochte,um dort mit geistigen Sinnen Sachverhalte zu erfassen, die der Wirk-lichkeit entsprachen, wie eine sptere Nachprfung ergab. Dies wrdefr die Mglichkeit einer Trennung von Leib und Seele und einergesonderten Existenz der Seele sprechen. Die Annahme lediglich sub-jektiver, durch eigene Phantasiekrfte erzeugter Bilder der Geisterwird auch durch deren beschriebene Erscheinungsweise begnstigt.Tragen denn die Geister Verstorbener ihre alte Kleidung?

    Andererseits wurden aber mit Hilfe angeblicher Geister Tatbe-stnde aufgedeckt, die keinem Lebenden bekannt waren, die alsonicht auf telepathisches Gedankenabzapfen zurckgefhrt werdenknnen.

    Auch fr die Motivation zuden betreffenden Enthllungen gibtes keine einleuchtende Erklrung, wenn hier nicht die Aktivitt einerfremden personalen Wesenheit, die das Medium mit einem bestimm-ten Anliegen bedrngte, in Ansatz gebracht wird. Dabei ist ferner zubeachten, wie sehr dies alles gegen den eigenen Willen des Mediumsgeschah, wie sehr dieses unter dem Ansturm der Bitten und Forde-rungen einer ihm vllig unbekannten, als verstorben geltenden Per-son litt. Danach kme durchaus bei den von Kerner als Tatsachen

    angefhrten Fllen, wo ein Geistwesen sich in Gewissensnot an dasMedium gewandt hat, auch eine spiritistische Deutung in Betracht,sofern auf eine ungeknstelte, sich aus der ganzen Situation zwang-los ergebende Erklrung Wert gelegt wird. Dies setzt voraus, danicht um der Rettung eines bestimmten einseitigen, allein als wis-senschaftlich geltenden Weltbildes willen die absonderlichsten ani-mistischen Hypothesen konstruiert werden, wie dies leider auch dieoffizielle Parapsychologie vielfach tut.

    Wrde dies bedeuten, da solche Phnomene n u r spiritistisch

    zu erklren sind? Oder haben beide Betrachtungsweisen ihre Berech-tigung, indem es sich um zwei Aspekte des gleichen Geschehens han-delt: um die seelische Aktivitt eines lebendigen Wesens, dem aufGrund einer besonderen Sensibilitt Rume einer anderen Realittzugnglich werden, das umgekehrt auch durch Impulse aus dieserjenseitigen Region erreicht und stimuliert wird? Knnte somit dieErscheinungsweise der Geistwesen durchaus s u b j e k t i v bedingtsein, gespeist aus dem im Unterbewutsein gespeicherten Arsenal

    von Vorstellungen, der Ansto zu ihrer Erweckung aber o b j e k t i vvon einem auerhalb befindlichen personalen Geistwesen ausgehen?

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    Danach htten also animistische und spiritistische Erklrung beideihre Berechtigung.

    Eine offene Frage bleibt auch noch, ob nur die spiritistische Hy-pothese die Aussicht auf ein Leben nach dem Tode begrndet; dennes zeigt sich, da die von Animisten der Seele zugeschriebenen Fhig-keiten so auerordentlich, ja geradezu gttlich sind, da sie ber sichselbst hinausweisen.Insgesamt ist das mediale Erleben der Seherin von Prevorst eine be-deutsame Besttigung des religisen Glaubens an ein persnlichesFortleben. Untermauert wird dieser Glaube in jngster Zeit durch diewissenschaftliche berprfung Aufsehen erregender Erlebnisse imGrenzbereich des Todes durch die Sterbeforschung.

    Justinus Kerner

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    Seltsame Erlebnisse, ber die man ungern spricht

    Nichts ist gewisser als der Tod, und doch gilt nichts als ungewisser,was er eigentlich ist und was nach ihm sein wird. Ist dies wirklichso? Fllt nicht manchmal ein Lichtstrahl durch das ein wenig geff-nete Tor des Todes? Jedenfalls erwecken Grenzerfahrungen, ber diein neuester Zeit immer hufiger berichtet wird, diesen Eindruck. Essind die Erlebnisse von Menschen, die durch Unfall oder Krankheitan den Rand des Todes gerieten, nach rztlicher Auffassung als kli-nisch tot galten, jedoch mit Hilfe moderner medizinischer Technikenwieder ins Leben zurckgerufen werden konnten.

    Voraussetzung dafr, da solche Todesnhe-Erlebnisse An-ste zum Nachdenken werden konnten, war indessen die Durch-

    brechung eines Tabus: des Schweigens ber solche Begegnungen mitdem Tode. Wurde hier doch so viel Unerwartetes und unglaublichErscheinendes wahrgenommen, da durchweg eine verstndlicheScheu verhinderte, so etwas anderen Menschen mitzuteilen; dennman wollte nicht als verrckt gelten. Es gehrte daher Mut dazu,von solchen Erlebnissen ffentlich zu berichten, und dies geschahdarum auch nur ganz vereinzelt.

    Besondere Bedeutung gewann der 1973 zum ersten Mal

    verffentlichte Bericht des Zrcher Diplom-Architekten Stefan vonJankovich ber seine Erlebnisse nach einem am 16. September 1964auf der Strae nach Bellinzona erlittenen Autounfall. Auch er, der essich aus geschftlichen Grnden nicht leisten konnte, als Spinnerin Verruf zu geraten, brauchte etliche Jahre, ehe er es wagte, in derJanuar- und Februar-Ausgabe 1973 der Zeitschrift Esotera darberzu berichten. Er tat dies unter dem Titel Mein schnstes Erlebniswar mein Tod. Im September 1978 hat er dann auf dem VII. ImagoMundi -Kongre in Innsbruck in einem Seminar ber seine Erfah-

    rungen whrend des klinisch-toten Zustandes gesprochen.Erst nachtrglich, nachdem inzwischen viele derartige Flle

    bekannt geworden sind, ergibt der Vergleich, da v. Jankovich eingeradezu klassisch zu nennendes Sterbe-Erlebnis geschildert hat,da es wesentliche Gestaltelemente enthlt, die fr diesen Zustand ty-pisch sind. Verfolgen wir daher den Ablauf des von ihm berichtetenGeschehens!

    Jankovich vergleicht das Erlebte mit einer Theatervorstellung,

    die mehrere Aufzge umfat. Die 1.Phase war das Bewutwerdendes Sterbens. Das erste, was er fhlte, war die Freiheit von einem

  • 8/7/2019 Dohse | Und meine Seele spannte weit ihre Flgel aus

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    bengstigenden, bedrckenden, eingeengten Zustand. Er sprte, daer nun sterbe, war aber erstaunt darber, da er dies keineswegs alsunangenehm empfand. Im Gegenteil: Er fhlte sich geradezu erlstund glcklich. Wie ein fremder Zuschauer beobachtete er neugierig,wie dieser Sterbevorgang weitergehen wrde. Jankovich berichtet:

    Ich fhlte, da ich schwebte und hrte gleichzeitig wunder-schne Klnge. Zu diesen Klngen nahm ich dazugehrende harmoni-sche Formen, Bewegungen und Farben wahr. Irgendwie hatte ichdas Gefhl, da ich gerufen, geleitet wurde in einen anderen Exi-stenzbereich, wo ich nun als Neuling eintreten durfte. Doch ich sahniemanden. Ein gttlicher Friede und eine noch nie wahrgenommeneHarmonie erfllten mein Bewutsein

    Als 2. Phase folgte die Beobachtung des eigenen Todes:

    Der Verunglckte schwebte zur Unfallstelle und sah dort seinenschwerverletzten, leblosen Krper liegen, ganz genau in derselbenLage, wie er das spter von den rzten und Polizeiberichten erfuhr.Er sah die ganze Szene gleichzeitig von mehreren Seiten. Ganz deut-lich sah er auch den beschdigten Wagen und die Leute, die ringsum die Unfallstelle standen, sogar die Kolonne, die sich hinter denherumstehenden Menschen aufgestaut hatte.

    Aufmerksam beobachtete er einen kleinen, etwa 55-jhrigen

    Mann, der versuchte, ihn wieder ins Leben zurckzurufen. Er konntegenau hren, was die Leute untereinander sprachen, d.h. eigentlichhrte er es nicht. Vielmehr nahm er es offenbar durch eine ArtGedankenbertragung wahr. Er sah, da die Glieder seines Krpersgebrochen waren und da sich rechts von diesem eine Blutlache aus-breitete. Er beobachtete alle Manahmen des untersuchenden Arztes.Als dieser feststellte, da auch die Ripp