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Wer ist der höchste Berg ganz im Land? Weisshorn, Dent Blanche, Finsteraarhorn? Nein – der Dom ist’s, 4545 m hoch über den Tälern von Zermatt und Saas thronend. Aber nicht alleine: Ein scharf gezackter Grat verbindet den Dom zum Täschhorn (4491 m). Es ist die zweithöchste Zacke der Mischabel – und wurde erstmals am 31. Juli 1862 bestiegen. Nur ein Grund, diesen wuchtigen Walliser Zwillingen eine Monografie zu widmen.
Citation preview
D O M & T Ä S C H H O R N
KRONE DER MISCHABEL
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Volk
en
www.as-verlag.ch
© AS Verlag & Buchkonzept AG, Zürich 2012
Gestaltung: Urs Bolz, Heinz von Arx, Zürich, www.vonarxgrafik.ch
Korrektorat: Adrian von Moos, Zürich
Druck: B & K Offsetdruck GmbH, Ottersweier
Einband: Josef Spinner Großbuchbinderei GmbH, Ottersweier
ISBN 978-3-909111-94-7
Vorstellung: Ausschnitt aus dem «Panorama
des Alpes, pris sur le Gornergrat près Zermatt au
Canton du Valais» von J. R. Dill aus dem 19. Jahrhundert.
Die vier Buchstaben stehen für die alten und neuen
Namen der zwei Gipfel. Man stelle sich vor, wenn
Dom&Täschhorn immer noch Grabenhorn&Lägerhorn
heissen würden!
Aufstellung: Das Gipfelkreuz auf dem Dom wurde am
12. September 1943 errichtet, nach einem Transport
vom Kirchplatz in Saas-Fee über Mischabelhütte
und Lenzspitze. Die Zeitschrift «L’Echo Illustré» brachte
am 23. Oktober 1943 eine dreiseitige Reportage
(neben dem Vorwort).
Bereitstellung: Ein prachtvoller Tag kündigt sich auf
dem Gipfel des Täschhorns an. Sein Kreuz stammt
von 1980; im Sommer 2011 knickte es ein, zum Jubiläum
von 150 Jahre Erstbesteigung des Täschhorns
wird das renovierte Kreuz neu aufgestellt
(oberhalb des Vorwortes).
DOM & TÄSCHHORNKRONE DER MISCHABEL
Herausgegeben vonDaniel Anker, Caroline Fink und Marco Volken
Texte:Daniel Anker, Caroline Fink, Martin Rickenbacher,
Marco Volken, Emil Zopfi
Historische Texte:John Llewelyn Davies, Josef Imseng, Arnold Lunn,
Mary Mummery, Geoffrey Winthrop Young
Fotos:Marco Volken, Daniel Anker, Caroline Fink,
Gabriel Voide und andere
Illustrationen:Esther Angst
BERGMONOGRAFIE17
Täschhorn gibt es eines: der Berg oberhalb
des Dorfes und der Alp Täsch. Aber Dom?
Um Gottes Willen! Bei Google allein sind es
895 000 000 Ergebnisse. Da kommen wir nie
auf den Gipfel. Aber mit Wikipedia als Berg-
führer gewinnen wir den Überblick: 29 Bedeu-
tungen für Dom sind aufgelistet, von einer her-
ausragenden Kirche bis Deo Optimo Maximo,
eine seit der Renaissance verbreitete Inschrift
im sakralen Raum. Mittendrin steht der
«Dom (Berg), ein Berg in den Walliser Alpen».
Unser Gipfel. Der Nachbar des Täschhorns.
Der höchste ganz in der Schweiz liegende
Berg. Und auch der höchste Dom hierzulande.
Dom: ein guter Name. Kurz, prägnant, mehr-
deutig. Wer vom Dom aus Fels und Eis spricht,
meint ihn, den Dom neben dem Täschhorn,
den Dom der Mischabel. Und doch schweift ein
Gedanke vom Gebirgsdom zum Gebäudedom
– Felsendom in Jerusalem, Petersdom in Rom,
Kölner Dom, um nur drei wichtige Sakralbau-
ten der Welt zu nennen. Das ist auch gut so.
Denn schliesslich hat ein Domherr den Dom so
benannt, als er anno 1833 seine Höhe mass.
Die hohe Kuppel des erfassten Berges mag
Josef Anton Berchtold dazu bewogen haben,
ihm einen kirchlichen Namen zu geben.
Eine standesgemässe domherrliche Taufe,
sozusagen. Und eine Vorahnung des Ver-
messers in der Soutane?
Jedenfalls ist von den vier Erstbesteigern des
Doms im Jahr 1858 der englische Gast, John
Llewelyn Davies, ein Kleriker, und ein Träger,
Hieronymus Brantschen, wird später Priester.
Bei der Erstbesteigung des Täschhorns vier
Jahre darauf sind wieder der Hauptführer Jo-
hann Zumtaugwald und Davies dabei, sowie
drei andere Bergsteiger, die sich mit der Religi-
on beschäftigen: John Wheeler Hayward, Peter
Josef Summermatter und Stephan Zumtaug-
wald. Das heisst: Von den sieben Personen,
die an den beiden Erstbesteigungen beteiligt
waren, dienten fünf dem Herrgott. Wer zu ih-
nen wie zu heiligen Bergen aufschaut, hat
sein Domus, sein Haus, auf Fels und nicht auf
Sand gebaut. Übrigens: Im Slowenischen
bedeutet «dom» Heim, Zuhause – und Hütte.
Die Domhütte hiesse also Dom dom.
Dass auf Dom & Täschhorn je ein Gipfelkreuz
steht, ist nur folgerichtig für so hochwürdige
Berge. Es war Reverend Davies, der 1858
erstmals an ein solches Kreuz dachte, als er
über die Erstbesteigung des Doms schrieb;
ein Bericht, den wir – wie andere auch in
diesem Buch – der alpinliteratischen Gruft
entrissen haben: «Bevor wir den Gipfel ver-
liessen, rammten wir unseren Stecken fest
in den Schnee ein und wickelten eine blaue
Schürze um die abstehenden Zweige, was
ihm den Anschein eines Kreuzes verlieh.
Nachdem wir uns bemüht hatten, unser
Wahrzeichen so zu sichern, dass es ein paar
Tage halten würde, richteten wir das Seil
für unseren Abstieg.»
Daniel Anker, Caroline Fink & Marco Volken
Dem Himmel näher
Inhalt
15 Dom & Täschhorn betrachtenDer Ursprung der «Mischabel»und sechs weitere AnsichtenTexte von Caroline Fink,Illustrationen von Esther Angst
31 Josef Anton Berchtold und seine KathedralenDom und DomherrEine Recherche von Martin Rickenbacher
47 Die ErstbesteigungenDom 1858, Täschhorn 1862Eine Übersicht von Marco Volken
49 «Eine Besteigung eines der Mischabel-hörner, genannt Dom»John Llewelyn Davies schildert dieErstbesteigung des Doms
61 «Some considerable difficulties»Vier Jahre später: das Täschhorn
63 Ein Herz für Benachteiligte – und für die SchweizJohn Llewelyn Davies (1826–1916)
64 Die ersten Führer am Dom und Täschhorn
67 Die wichtigsten Routen durch die Wändeund über die GrateGlückliche&gefahrvolle Stundenin Fels& FirnEine Rundtour von Daniel Anker
79 «Mir passiert nie nix»Alexander Burgener (1845–1910)
82 «So schoss ich hilflos hinaus»Geoffrey Winthrop Young über die Erstdurch-steigung der Täschhorn-Südwestwand
97 Erstmals im Winter, erstmals mit SkiKnubel, Kurz, Kagami&Co.Eine Spurensuche von Daniel Anker
102 «Eine Skispur zum Dach der Schweiz»Arnold Lunn über die erste Skibesteigungdes Doms
105 Der kleine Josef war ein ganz GrosserJosef Knubel (1881–1961)
107 Die Frauen der Mischabel«Nous sommes au Paradis»Ein Überblick von Caroline Fink
112 Der wahre Test am TäschhornMary Mummery über die Erstbegehungdes Teufelsgrats im Jahr 1887
118 Proud MaryMary Mummery (1859–1947)
127 «Denken Sie heute mit einem Gebet an mich»Wie Charlotte Dion an der Mischabel verschwand
129 Täschhorn & Dom und noch viel mehrÜber alle neun BergeEine Gratwanderung mit Daniel Anker
135 «Vom Dom weg zählt uns dieGlücksgöttin zu ihren Favoriten»Josef Imseng über die Traversierungder Mischabelgruppe
139 Berge überschreiten – und GrenzenPatrick Berhault (1957–2004)
141 Die Orte des SchlafensFelsnischen, Bruchsteinbautenund AlumoduleAcht Geschichten von Marco Volken
Anhang162 Dom & Täschhorn – die Chronik168 Die Schutzengel vom Teufelsgrat169 Trips und Tipps170 Literaturverzeichnis172 Autoren172 Dank173 Bildnachweis
Rot&Weiss, West&Ost: Die sehr
farbig kolorierte Aufnahme von
Dom&Täschhorn von 1900 zeigt ihre
Zermatter Seite; die Ställe und Äcker
gehören zum heute weltberühmten
Dorf (linke Seite).
Fast einfarbig gibt sich auf dieser
Foto die Saaser Seite der Mischabel-
Zwillinge; die beiden Ostwände, früher
noch oft durchstiegen, werden kaum
noch besucht, im Gegensatz zum
Gletscherskigebiet von Saas-Fee
(folgende Doppelseite).
15
Die Geschichte wäre so schön: Die Sarazenen,
muslimische Berber aus dem Nordwesten Afrikas,
zogen über den Monte-Moro-Pass ins Saastal und
erblickten Bergipfel, die wie eine weisse Krone
leuchteten. Verzückt von der Schönheit der
Gipfel riefen sie das arabische Wort für Berg –
«Dschebel!». Oder vielleicht auch «Muschbil!»,
was so viel wie «Löwin mit ihren Jungen» bedeu-
ten würde. Beides edle Wörter, die zum Namen
des Gebirgsmassivs wurden: Mischabel.
Doch auch diese Geschichte wäre schön: Jüdische
Händler zogen durch das Saastal und sahen den
Gipfelkranz. Mit seinen Zacken erinnerte er sie
an eine grosse Familie von Bergen. Kurzerhand
brachten sie den Saaser Bergbauern deshalb das
hebräische Wort für Familie – «Mischpacha» –
bei, worauf die Saasini fortan von der Misch-
pachel redeten.
Aber nein – ganz profan sei es gewesen, erzählten
die Einheimischen ihren neugierigen Besuchern
schon vor geraumer Zeit. Eine Mistgabel sei in
manchen Walliser Dialekten ganz einfach eine
«Mischtgabla» oder im Walser Dialekt eine
«Mischabla». Und die Mischabel mit ihren Zacken
sehe von manchen Seiten betrachtet nun mal aus
wie ein solches Gerät. So soll ein Saaser Berg-
führer schon 1822 dem Zürcher Regierungsrat
und Alpinisten Hans Caspar Hirzel-Escher erklärt
haben, die Mischabel sei ergo nichts als eine Mist-
gabel, und selbst der berühmte Saaser Pfarrer
und Bergführer Johann Josef Imseng soll dem
ebenso bekannten Bergpionier Gottlieb Studer
selbes dargelegt haben.
Dennoch hält sich die Sarazenengeschichte lange
Zeit. Im Jahr 1919 berichten gar die Medien dar-
über. Die Walliser Zeitung «Gazette» schreibt
dazu, wie sich in der Deutschschweiz Experten –
oder vielleicht solche, die es sein wollten – über
den Namen Mischabel stritten, und dies in ganz
besserwisserischer Manier: «Un grave – pour ne
pas dire pédant – échange de correspondance,
de notes et de renseignements étymologiques
dans la presse de la Suisse allemande vient
d’établir que le nom de ‹Mischabel› donné à
l’imposant massif alpestre compris entre les
vallées de Saas et de Saint-Nicolas (. . .) est une
déformation couramment utilisée dans le Valais et
dans les Grisons, du mot allemand «Mistgabel»
(fourche à fumier, trident), parce que l’ensemble
des points qui constituent le massif représente
assez bien une fourche à trois dents.»
Doch trotz der mittlerweile fast zweihundertjähri-
gen, durchaus plausiblen Variante der Mistgabel
haben sich die Sarazenen bis heute noch nicht
ganz verabschiedet. Noch immer tummelt
sich ihr «Dschebel» des Saastals in Foren und
Texten. Zusammen mit dem «Ala-Ain» und dem
«Al-Magell». Zu schön ist sie, die Geschichte der
Araber, die unsere Lande benannten . . .
Was die beiden Hauptgipfel, Dom und Täschhorn,
angeht, ist die Sachlage zu deren Namen zum
Glück etwas weniger verklärt. Spannend bleibt
sie dennoch: Im zweiten Kapitel (S. 31) begibt sich
Martin Rickenbacher deshalb auf die Pirsch und
erzählt davon, warum diese Gipfel so lange un-
bekannt blieben, wie das Festhorn zum Graben-
horn und später zum Dom wurde, was der Dom-
herr von Sitten damit zu tun hatte und wie aus der
«DomStuffe», vielleicht dank einer Bleistiftnotiz,
das eigenständige Täschhorn entstand.
Dom&Täschhorn betrachten
Der Ursprung der «Mischabel»und sechs weitere AnsichtenTexte von Caroline Fink, Illustrationen von Esther Angst
31
Stellen wir uns vor: Ein Domherr, in we-
hender Soutane, das Birett auf dem Kopf,
steht auf einem Berg und misst mit einem
Theodolit die Winkel zwischen den um-
liegenden Gipfeln. Welch‘ herrliches Bild!
Kein Wunder also, dass Josef Anton
Berchtolds Leben – um ihn handelt es sich
beim Mann in der Soutane – denn auch
schon gut dokumentiert ist. In erster Linie
durch zahlreiche Beiträge des Historikers
Anton Gattlen. Im Rhonetal ist die Erin-
nerung an diese ausserordentliche Persön-
lichkeit auch heute noch lebendig, wovon
nicht zuletzt die Rue du Chanoine
Berchtold in Sitten zeugt.
Josef Anton Berchtold erblickte am 27. Juni
1780 als viertes Kind einer Bauernfamilie in
Greich ob Mörel das Licht der Welt. Er muss
ein aufgeweckter und intelligenter Junge
gewesen sein. Als Zwölfjähriger konnte er
ins Kollegium Brig eintreten. In den sechs
Jahren seiner Briger Kollegiumszeit wurden
auch im Wallis die Folgen eines Ereignisses
immer stärker spürbar, das ganz Europa in
seinen Grundfesten erschütterte: die Fran-
zösische Revolution von 1789.
Karriere als Mann der Kirche
In diesen politisch unruhigen und wirren
Zeiten suchte Berchtold seine Zukunft im
Dienst der Kirche, jener Institution, die das
Wallis schon seit Jahrhunderten von Grund
auf geprägt hatte. 1798 trat er ins Priester-
seminar Sitten ein, wo er fünf Jahre später
zum Priester geweiht wurde. Sein Wunsch
nach einem Theologiestudium an einer
Universität blieb angesichts der Zeit-
umstände unerfüllt. 1802 wurde die un-
abhängige Republik Wallis ausgerufen,
und Napoleons Ingenieur-Geographen ver-
massen den ganzen Boden des Rhonetals
von St-Gingolph bis Brig im Massstab
1:5000, um auf dieser Grundlage den Bau
der Simplonstrasse zu planen und auszu-
führen. 1810 wurde das Wallis aus strate-
gischen Gründen gar als Département
du Simplon in die République Française
integriert. Nach dem Zusammenbruch des
Empire marschierten die Österreicher ins
Wallis ein. Erst am 12. September 1814 trat
dieser Kanton als 22. Stand der Schweize-
rischen Eidgenossenschaft bei.
Schon kurze Zeit nach seiner Weihe wurde
der junge Priester 1803 vom Bischof zum
Josef Anton Berchtold und seine Kathedralen
Dom und DomherrEine Recherche von Martin Rickenbacher
Der Berg und sein Namens-
geber: Dom, mit der Kamera
angepeilt von der Belalp
aus (linke Seite). Domherr
Josef Anton Berchtold
(1780–1859), gemalt von
seinem Freund Lorenz Justin
Ritz im Jahre 1847. Das
Bild – es ist das dritte
Porträt von Ritz – hängt im
Rathaus von Sitten (oben).
Eine solch klare Sicht,
wie auf der Foto der vor-
angehenden Doppelseite,
hat Berchtold bei der Ver-
messung des Wallis jeweils
sehr geschätzt: Blick vom
Klein Matterhorn über den
Rücken des Gornergrates
(unten) hinweg auf die
beiden hohen Zacken von
Dom&Täschhorn. Rechts
der flache Alphubel, links
hinten das Aletschhorn.
47
Aber was für einen Aussichtspunkt
hatten wir erreicht!
Der Dom, der wäre doch was für Sie,
Herr Reverend. Es ist der höchste Berg,
der vollständig auf Schweizer Boden steht,
ganze 14 941 Englische Fuss hoch. Und
noch niemand ist je zuoberst gewesen.
John Llewelyn Davies nickt. Ja, das wäre
was. Schliesslich möchte er seinen Urlaub
in Zermatt nach einigen leichteren Touren
gerne mit einer schönen Erstbesteigung
abrunden. Die über 3000 Höhenmeter bis
zum Gipfel sind ihm bewusst, doch mit
einem Biwak auf halber Strecke sollte sich
der Aufstieg gut in zwei Tagesetappen un-
terteilen lassen. Selbst als ihm seine Führer
mitteilen, dies sei unnötig, stimmt er der
Herausforderung sportlich zu.
So kommt es, dass am 11. September 1858
ein Engländer und drei Einheimische –
Johann Zumtaugwald als Hauptführer,
Johann Kronig und Hieronymus Brantschen
– kurz nach zwei Uhr morgens in Randa
aufbrechen, über die heute als Festigrat be-
kannte Route aufsteigen und knapp neun
Stunden später auf dem Dom stehen.
«Leider lässt sich dort nirgends gemütlich
sitzen. Es gibt keine Felsen, und obwohl
es nicht an Platz mangelt, bläst der Wind
ungehindert über die Plattform aus Schnee.
Wir mussten also im Schnee stehen und
froren vor Kälte, die ausreichend intensiv
war. Aber was für einen Aussichtspunkt
hatten wir erreicht!» Nichts also mit einer
gemütlichen Gipfelrast. Vom Wind vertrie-
ben, machen sie sich bald an den Abstieg –
Höchste Warte: Erstbe-
steiger John Llewelyn
Davies erreichte sie über
den schwach ausgeprägten
Festigrat (oben in der Bild-
mitte) – und stieg über
die weite Firnflanke links
davon wieder ab. Laut
Zweitbesteiger Leslie
Stephen bietet der Dom
die prächtigste Aussicht
im ganzen Alpenraum. Von
dort sieht man schön zum
Monte Rosa, halb verdeckt
vom heutigen Gipfelkreuz
(linke Seite).
Die Erstbesteigungen
Dom 1858, Täschhorn 1862Eine Übersicht von Marco Volken
100
von Kagami & Co. griffen auf jeden Fall
schlechter als die Carver der Gebrüder
Anthamatten heute. Das Täschhorn war noch
nie wirklich ein Skiberg, und trotzdem nah-
men die drei Sommerskifahrer ihre winter-
lichen Fortbewegungsmittel bis auf die Höhe
des Domjochs (4281 m) mit, nachdem sie die
Festi-Kin-Lücke im Westgrat des Doms über-
schritten und zum Kingletscher abgestiegen
waren. Sieben Stunden nach Aufbruch in der
Domhütte um zwei Uhr standen Graven,
Kagami und Perren auf dem Täschhorn. «The
ski-ing was good on the return journey»,
hält Lunn im Jahresrückblick fest: «The snow
was still hard and the party was making use
of the Bilgeri side irons, which were extreme-
ly helpful on steep slopes of hard snow.»
Side irons sind Harscheisen; Oberst Bilgeri
führte sie in seinem kompletten Ausrüstungs-
angebot für Skitourengeher. Sie waren seit-
lich an den Ski angebracht (heute werden
sie direkt in die Bindung eingeklinkt) und
verhindern ein seitliches Abrutschen – beim
Aufstieg. Aber mit den Harscheisen abfahren:
ich weiss nicht, Arnie . . .
Noch ein Wort zu T. Y. Kagami aus Tokyo:
Mitglied des britischen Alpine Ski Club, Mit-
arbeiter bei der Royal Geographic Society
und Draufgänger. Im Januar 1929 wieder-
holte er mit Frank S. Smythe die von Lunn
und Gefährten erstmals gemachte Skibe-
steigung des Eigers via Nördliches Eiger-
joch, im folgenden Mai unternahm er mit
Gottfried Perren Skitouren von der Rothorn-
hütte ob Zermatt, am 31. August gelang
ihm mit den beiden Führern der Skierstbe-
steigung des Täschhorns sowie mit Thomas
Graham Brown die erste Besteigung der
Punta Moore (3557 m) im Mont-Blanc-Mas-
siv, und am 16. September kletterten er und
Perren erstmals über den Südostsporn auf
den Mont Maudit; die Route nennt man
Voie Kagami. Anders gesagt: 1929 war kein
Krisenjahr für den japanischen Alpinisten.
Zwei Winterpremieren am Dom
Die Skierstbesteigungen der Mischabel-
Zwillinge, die Wintererstbesteigung des
Täschhorns: Ihre Akteure kennen wir ein
wenig. Doch da fehlt doch noch was. Das
«Alpine Journal», die einflussreiche Zeit-
schrift des Alpine Club, des ältesten Berg-
sportverbandes, vermeldete in Band 17 aus
den Jahren 1894/95: «The first midwinter
ascent of the Dom was effected on January
13 by Mr. Sydney Spencer.» Dabei sei er
begleitet gewesen von Christian Jossi aus
Grindelwald und Adolf Schaller aus Zermatt,
und sie hätten zweimal in der «Dom Club
Hut» übernachtet. «The cold was hardly felt
at all, owing to the entire absence of the
wind.» Im Folgeband beschrieb Spencer –
an ihn erinnert das Couloir Spencer an der
Aiguille de Blaitière – ausführlich seine
Januartouren von 1893 (Versuch an der Wel-
lenkuppe) und von 1894 (Erfolg am Dom).
Chronist Marcel Kurz nahm die erste Mitte-
winterbesteigung als erste Winterbestei-
gung des Doms überhaupt in seine Zusam-
menstellung der «ascensions hivernales»
von 1922 auf. Im «Ski» von 1928 musste
er sich korrigieren und veröffentlichte den
dreiseitigen Artikel «La première ascension
hivernale du Mischabel-Dom (4554 m.)».
Was war passiert? Im September 1927
erfuhr Kurz bei einem Aufenthalt in Randa,
dass Einheimische den Dom schon am
3. März 1891 bestiegen hatten. Im Laufe
seiner Recherchen erhielt er eine Kopie des
Briefes, den einer der Wintererstbesteiger
gleich nach der Tour schrieb:
«Die schöne Witterung, die während dem
Monat Februar geherrscht, veranlasste eine
Gesellschaft Bergführer von Randa, die
Besteigung des Domes vorzunehmen mit
Begleitung ihres Lehrers der englischen
Sprache. Wir verliessen Randa am 2. März,
1 Uhr des Nachmitttags, in schöner Witte-
rung nach der Domhütte. 3. März, 4 Uhr
Skimedaillen mit der
Silhouette des Täschhorns:
2. internationaler Langlauf
Täschhorn-Kristall FIS 1976
(oben); internationale Ren-
nen nordisch im Rahmen
des internationalen Alpen-
Cups von 1979 (unten).
101
morgens, traten wir die Partie nach dem
Gipfel an. Leider wurde das Wetter schlecht,
aber mit dem Mut der wackeren Führer
wurde die schwierige Tour fortgesetzt und
[wir] erreichten die Spitze um 12 Uhr im
Schneesturm. Die Reise zurück war sehr
schwierig; wir hatten den ganzen Weg mit
Nebel und Schnee zu kämpfen und er-
reichten die Hütte um 4 Uhr. Nach einer
Stunde Ruhe kehrten wir nach Randa
zurück. Diese Tour wurde gemacht von den
Führern: Josef Truffer, Quirinus Schwarzen,
Adolf Schaller, Fridolin Perren, Friedrich
Summermatter, Johann Summermatter,
Samuel Truffer, Peter Brantschen, Johann
Kronig, Lehrer.»
Verfasst hat diesen Brief der «English
Teacher» John Kronig, wie er sich nannte; er
war in jungen Jahren nach Amerika ausge-
wandert, kam zurück, unterrichtete und
machte 1883 auch das Führerdiplom. Eine
interessante Figur. Genau so wie Adolf
Schaller, der drei Jahre später seinem Gast
Sydney Spencer die Winterbesteigung des
Doms vorschlug, ohne zu erwähnen, dass er
in der kalten Jahreszeit schon mal oben ge-
standen hatte. Er liess Spencer im Glauben,
er wäre der erste; und auch nach Tour, als
die Dombesteiger in Randa zurück waren,
erwähnten die anwesenden Führer mit
keinem Wort die wirkliche Wintererstbe-
steigung des Doms. Nachdem Spencer vom
Artikel im «Ski» erfahren hatte, schrieb er
dem «Alpine Journal» eine Notiz und
schloss sie so: «Had I known of the previous
ascent, I should certainly have attempted
one of the other great peaks instead of the
Dom.» Zum Beispiel Alphubel, Lenzspitze,
Nadelhorn. Oder gar das Weisshorn, das er
von der Domhütte am 14. Januar 1894 so
grossartig fotografierte.
So macht Skifahren Spass:
Zwei Plakate der Agentur
Brügger von Meiringen,
1974 für den Sommerskilauf
in Saas-Fee, 1969 für die
Wintersaison in Grächen.
102
In der Geschichte des Skialpinismus
ist der 18. Juni 1917 ein wichtiger Tag:
Der Engländer Arnold Lunn und der
Bergführer Josef Knubel aus St. Niklaus
fuhren mit Ski vom Gipfel des Doms
ab. «From the Sattel downwards all
was pure joy, wonderful ski-ing», hielt
Lunn im ersten Jahrgang seines «British
Ski Year Book» von 1920 fest; knapp
40 Minuten dauerte die Abfahrt über
die Nordflanke und – nach der Über-
schreitung des Festijochs zu Fuss –
über den Festigletscher zur alten Dom-
hütte. Im Buch «The Mountains of
Youth» von 1925 beschreibt Lunn diese
Frühlingsfahrt mit Ski ausführlich; die
deutsche Ausgabe «Die Berge meiner
Jugend» erschien 1940, übersetzt von
Henry Hoek und verlegt von Walter
Amstutz – beide ebenfalls ganz grosse
Pioniere des Skibergsteigens.
Der Dom (4554 m) ist der höchste Berg,
der ganz in der Schweiz liegt, denn der
Gipfel des Monte Rosa liegt auf der Grenz-
linie Schweiz-Italien, und der Mont Blanc,
wie bekannt, teils auf französischem und
teils auf italienischem Gebiet.
Knubel und ich hatten oft gesprochen
von dem Plan einer Ski-Erstbesteigung
des Dom. Das müßte selbstverständlich im
Frühling geschehen. Im Winter ist es schon
schwierig, die Festihütte zu Fuß zu er-
reichen, und so gut wie unmöglich, mit
Ski dahin zu kommen. Unterhalb der Hütte
ist jedes Abfahren ausgeschlossen, also
war auch nichts damit zu gewinnen,
daß man diese Tour versuchte, bevor der
Weg zur Hütte schneefrei war.
Am 18. Juni 1917 brachen wir von der
Festihütte aus auf. Das Wetter war aus-
gezeichnet, und wir zogen unsere Spuren
ohne Zwischenfall über den Festigrat und
dann die riesige Westwand unseres Berges
hinauf. Vom oberen Sattel weg, etwa sieb-
zig Meter unterhalb des Gipfels, wird der
Hang plötzlich sehr steil; stellenweise er-
reicht er fünfundvierzig Grad, das heißt
die äußerste Steile, auf der Schnee noch
liegen bleibt. An jedem andern Gipfel
hätten wir die Ski abgeschnallt und wären
zu Fuß weitergegangen; aber wir hatten
es uns nun einmal in den Kopf gesetzt,
eine Skispur bis zum höchsten Punkte des
«Daches der Schweiz» zu legen, und wir
überlegten uns hin und her, ob das wohl
ohne allzu große Gefahr möglich wäre.
«Eine Skispur zum Dach der Schweiz»Arnold Lunn über die erste Skibesteigung des Doms
«Auf der Spitze des Doms»:
Arnold Lunn fotografierte
Josef Knubel am 18. Juni
1917 zuoberst auf dem
Dom, mit Ski – of course.
Das Jahrbuch des Schweize-
rischen Skiverbandes ver-
öffentlichte 1919 die Foto.
103
Bei Hartschnee wäre der Hang viel zu
steil gewesen. Bei weichem Pulverschnee
hätten wir die Lawinengefahr nicht ver-
antworten können. Aber glücklicherweise
war der Schnee geradezu ideal für unsere
Absichten: Wir fanden «gesetzten Pulver-
schnee» vor, das heißt Pulverschnee, des-
sen einzelne Flocken oder Körner durch
den Winddruck einigermaßen miteinander
verbunden waren. Unsere Ski sanken
nicht zu tief ein und die Schneedecke
zeigte keine Tendenz zu rutschen. Und
um halb zwölf Uhr hatten wir eine Skispur
durch den höchsten Schneehang der
Schweiz gelegt.
Wir verbrachten eine einzig schöne Viertel-
stunde in Windstille und Sonne auf dem
Gipfel und machten uns dann mit gemisch-
ten Gefühlen an die Abfahrt. Die obersten
siebzig oder achtzig Meter mußten wir die
Aufstiegsspur benützen und durften keinen
Schwung wagen, um den Schnee nicht
unnötig zu stören. Alles ging gut, aber es
war aufregend. Vom Sattel weg war dann
alles eitel Freude. Unsere wirkliche Fahr-
zeit vom Gipfel bis zur Festihütte – und
das ist ein Höhenunterschied von mehr als
sechzehnhundert Meter! – belief sich auf
etwas weniger als vierzig Minuten.
Versuchshalber hatte ich kurze Sommerski
mitgenommen, nur 1,60 Meter lang. Ich
war sehr mit ihnen zufrieden. Auf sehr
steilen Hängen sind sie natürlich beque-
mer; und auf mäßigen Neigungen, wenn
der Schnee wenigstens einigermaßen ge-
setzt ist, sind sie beinahe so schnell wie
lange Ski. Sie sind naturgemäß nicht emp-
fehlenswert auf flachen Hängen mit tiefem
Schnee, und ebenso wenig auf Schnee
von ständig wechselnder Struktur.
Von der Hütte aus kamen wir zunächst
durch die Region der Anemonen und dann
«The steepest part was
from the little saddle just
below and to the right of
the summit»: So kommen-
tierte Lunn dieses Bild
der Nordflanke des Doms
in seinem Buch «Mountains
of Youth» von 1925.