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DOM&TÄSCHHORN KRONE DER MISCHABEL Daniel Anker Caroline Fink · Marco Volken

Dom & Täschhorn – Krone der Mischabel

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Wer ist der höchste Berg ganz im Land? Weisshorn, Dent Blanche, Finsteraarhorn? Nein – der Dom ist’s, 4545 m hoch über den Tälern von Zermatt und Saas thronend. Aber nicht alleine: Ein scharf gezackter Grat verbindet den Dom zum Täschhorn (4491 m). Es ist die zweithöchste Zacke der Mischabel – und wurde erstmals am 31. Juli 1862 bestiegen. Nur ein Grund, diesen wuchtigen Walliser Zwillingen eine Monografie zu widmen.

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Page 1: Dom & Täschhorn – Krone der Mischabel

D O M & T Ä S C H H O R N

KRONE DER MISCHABEL

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Page 2: Dom & Täschhorn – Krone der Mischabel

www.as-verlag.ch

© AS Verlag & Buchkonzept AG, Zürich 2012

Gestaltung: Urs Bolz, Heinz von Arx, Zürich, www.vonarxgrafik.ch

Korrektorat: Adrian von Moos, Zürich

Druck: B & K Offsetdruck GmbH, Ottersweier

Einband: Josef Spinner Großbuchbinderei GmbH, Ottersweier

ISBN 978-3-909111-94-7

Vorstellung: Ausschnitt aus dem «Panorama

des Alpes, pris sur le Gornergrat près Zermatt au

Canton du Valais» von J. R. Dill aus dem 19. Jahrhundert.

Die vier Buchstaben stehen für die alten und neuen

Namen der zwei Gipfel. Man stelle sich vor, wenn

Dom&Täschhorn immer noch Grabenhorn&Lägerhorn

heissen würden!

Aufstellung: Das Gipfelkreuz auf dem Dom wurde am

12. September 1943 errichtet, nach einem Transport

vom Kirchplatz in Saas-Fee über Mischabelhütte

und Lenzspitze. Die Zeitschrift «L’Echo Illustré» brachte

am 23. Oktober 1943 eine dreiseitige Reportage

(neben dem Vorwort).

Bereitstellung: Ein prachtvoller Tag kündigt sich auf

dem Gipfel des Täschhorns an. Sein Kreuz stammt

von 1980; im Sommer 2011 knickte es ein, zum Jubiläum

von 150 Jahre Erstbesteigung des Täschhorns

wird das renovierte Kreuz neu aufgestellt

(oberhalb des Vorwortes).

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DOM & TÄSCHHORNKRONE DER MISCHABEL

Herausgegeben vonDaniel Anker, Caroline Fink und Marco Volken

Texte:Daniel Anker, Caroline Fink, Martin Rickenbacher,

Marco Volken, Emil Zopfi

Historische Texte:John Llewelyn Davies, Josef Imseng, Arnold Lunn,

Mary Mummery, Geoffrey Winthrop Young

Fotos:Marco Volken, Daniel Anker, Caroline Fink,

Gabriel Voide und andere

Illustrationen:Esther Angst

BERGMONOGRAFIE17

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Täschhorn gibt es eines: der Berg oberhalb

des Dorfes und der Alp Täsch. Aber Dom?

Um Gottes Willen! Bei Google allein sind es

895 000 000 Ergebnisse. Da kommen wir nie

auf den Gipfel. Aber mit Wikipedia als Berg-

führer gewinnen wir den Überblick: 29 Bedeu-

tungen für Dom sind aufgelistet, von einer her-

ausragenden Kirche bis Deo Optimo Maximo,

eine seit der Renaissance verbreitete Inschrift

im sakralen Raum. Mittendrin steht der

«Dom (Berg), ein Berg in den Walliser Alpen».

Unser Gipfel. Der Nachbar des Täschhorns.

Der höchste ganz in der Schweiz liegende

Berg. Und auch der höchste Dom hierzulande.

Dom: ein guter Name. Kurz, prägnant, mehr-

deutig. Wer vom Dom aus Fels und Eis spricht,

meint ihn, den Dom neben dem Täschhorn,

den Dom der Mischabel. Und doch schweift ein

Gedanke vom Gebirgsdom zum Gebäudedom

– Felsendom in Jerusalem, Petersdom in Rom,

Kölner Dom, um nur drei wichtige Sakralbau-

ten der Welt zu nennen. Das ist auch gut so.

Denn schliesslich hat ein Domherr den Dom so

benannt, als er anno 1833 seine Höhe mass.

Die hohe Kuppel des erfassten Berges mag

Josef Anton Berchtold dazu bewogen haben,

ihm einen kirchlichen Namen zu geben.

Eine standesgemässe domherrliche Taufe,

sozusagen. Und eine Vorahnung des Ver-

messers in der Soutane?

Jedenfalls ist von den vier Erstbesteigern des

Doms im Jahr 1858 der englische Gast, John

Llewelyn Davies, ein Kleriker, und ein Träger,

Hieronymus Brantschen, wird später Priester.

Bei der Erstbesteigung des Täschhorns vier

Jahre darauf sind wieder der Hauptführer Jo-

hann Zumtaugwald und Davies dabei, sowie

drei andere Bergsteiger, die sich mit der Religi-

on beschäftigen: John Wheeler Hayward, Peter

Josef Summermatter und Stephan Zumtaug-

wald. Das heisst: Von den sieben Personen,

die an den beiden Erstbesteigungen beteiligt

waren, dienten fünf dem Herrgott. Wer zu ih-

nen wie zu heiligen Bergen aufschaut, hat

sein Domus, sein Haus, auf Fels und nicht auf

Sand gebaut. Übrigens: Im Slowenischen

bedeutet «dom» Heim, Zuhause – und Hütte.

Die Domhütte hiesse also Dom dom.

Dass auf Dom & Täschhorn je ein Gipfelkreuz

steht, ist nur folgerichtig für so hochwürdige

Berge. Es war Reverend Davies, der 1858

erstmals an ein solches Kreuz dachte, als er

über die Erstbesteigung des Doms schrieb;

ein Bericht, den wir – wie andere auch in

diesem Buch – der alpinliteratischen Gruft

entrissen haben: «Bevor wir den Gipfel ver-

liessen, rammten wir unseren Stecken fest

in den Schnee ein und wickelten eine blaue

Schürze um die abstehenden Zweige, was

ihm den Anschein eines Kreuzes verlieh.

Nachdem wir uns bemüht hatten, unser

Wahrzeichen so zu sichern, dass es ein paar

Tage halten würde, richteten wir das Seil

für unseren Abstieg.»

Daniel Anker, Caroline Fink & Marco Volken

Dem Himmel näher

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Inhalt

15 Dom & Täschhorn betrachtenDer Ursprung der «Mischabel»und sechs weitere AnsichtenTexte von Caroline Fink,Illustrationen von Esther Angst

31 Josef Anton Berchtold und seine KathedralenDom und DomherrEine Recherche von Martin Rickenbacher

47 Die ErstbesteigungenDom 1858, Täschhorn 1862Eine Übersicht von Marco Volken

49 «Eine Besteigung eines der Mischabel-hörner, genannt Dom»John Llewelyn Davies schildert dieErstbesteigung des Doms

61 «Some considerable difficulties»Vier Jahre später: das Täschhorn

63 Ein Herz für Benachteiligte – und für die SchweizJohn Llewelyn Davies (1826–1916)

64 Die ersten Führer am Dom und Täschhorn

67 Die wichtigsten Routen durch die Wändeund über die GrateGlückliche&gefahrvolle Stundenin Fels& FirnEine Rundtour von Daniel Anker

79 «Mir passiert nie nix»Alexander Burgener (1845–1910)

82 «So schoss ich hilflos hinaus»Geoffrey Winthrop Young über die Erstdurch-steigung der Täschhorn-Südwestwand

97 Erstmals im Winter, erstmals mit SkiKnubel, Kurz, Kagami&Co.Eine Spurensuche von Daniel Anker

102 «Eine Skispur zum Dach der Schweiz»Arnold Lunn über die erste Skibesteigungdes Doms

105 Der kleine Josef war ein ganz GrosserJosef Knubel (1881–1961)

107 Die Frauen der Mischabel«Nous sommes au Paradis»Ein Überblick von Caroline Fink

112 Der wahre Test am TäschhornMary Mummery über die Erstbegehungdes Teufelsgrats im Jahr 1887

118 Proud MaryMary Mummery (1859–1947)

127 «Denken Sie heute mit einem Gebet an mich»Wie Charlotte Dion an der Mischabel verschwand

129 Täschhorn & Dom und noch viel mehrÜber alle neun BergeEine Gratwanderung mit Daniel Anker

135 «Vom Dom weg zählt uns dieGlücksgöttin zu ihren Favoriten»Josef Imseng über die Traversierungder Mischabelgruppe

139 Berge überschreiten – und GrenzenPatrick Berhault (1957–2004)

141 Die Orte des SchlafensFelsnischen, Bruchsteinbautenund AlumoduleAcht Geschichten von Marco Volken

Anhang162 Dom & Täschhorn – die Chronik168 Die Schutzengel vom Teufelsgrat169 Trips und Tipps170 Literaturverzeichnis172 Autoren172 Dank173 Bildnachweis

Rot&Weiss, West&Ost: Die sehr

farbig kolorierte Aufnahme von

Dom&Täschhorn von 1900 zeigt ihre

Zermatter Seite; die Ställe und Äcker

gehören zum heute weltberühmten

Dorf (linke Seite).

Fast einfarbig gibt sich auf dieser

Foto die Saaser Seite der Mischabel-

Zwillinge; die beiden Ostwände, früher

noch oft durchstiegen, werden kaum

noch besucht, im Gegensatz zum

Gletscherskigebiet von Saas-Fee

(folgende Doppelseite).

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Die Geschichte wäre so schön: Die Sarazenen,

muslimische Berber aus dem Nordwesten Afrikas,

zogen über den Monte-Moro-Pass ins Saastal und

erblickten Bergipfel, die wie eine weisse Krone

leuchteten. Verzückt von der Schönheit der

Gipfel riefen sie das arabische Wort für Berg –

«Dschebel!». Oder vielleicht auch «Muschbil!»,

was so viel wie «Löwin mit ihren Jungen» bedeu-

ten würde. Beides edle Wörter, die zum Namen

des Gebirgsmassivs wurden: Mischabel.

Doch auch diese Geschichte wäre schön: Jüdische

Händler zogen durch das Saastal und sahen den

Gipfelkranz. Mit seinen Zacken erinnerte er sie

an eine grosse Familie von Bergen. Kurzerhand

brachten sie den Saaser Bergbauern deshalb das

hebräische Wort für Familie – «Mischpacha» –

bei, worauf die Saasini fortan von der Misch-

pachel redeten.

Aber nein – ganz profan sei es gewesen, erzählten

die Einheimischen ihren neugierigen Besuchern

schon vor geraumer Zeit. Eine Mistgabel sei in

manchen Walliser Dialekten ganz einfach eine

«Mischtgabla» oder im Walser Dialekt eine

«Mischabla». Und die Mischabel mit ihren Zacken

sehe von manchen Seiten betrachtet nun mal aus

wie ein solches Gerät. So soll ein Saaser Berg-

führer schon 1822 dem Zürcher Regierungsrat

und Alpinisten Hans Caspar Hirzel-Escher erklärt

haben, die Mischabel sei ergo nichts als eine Mist-

gabel, und selbst der berühmte Saaser Pfarrer

und Bergführer Johann Josef Imseng soll dem

ebenso bekannten Bergpionier Gottlieb Studer

selbes dargelegt haben.

Dennoch hält sich die Sarazenengeschichte lange

Zeit. Im Jahr 1919 berichten gar die Medien dar-

über. Die Walliser Zeitung «Gazette» schreibt

dazu, wie sich in der Deutschschweiz Experten –

oder vielleicht solche, die es sein wollten – über

den Namen Mischabel stritten, und dies in ganz

besserwisserischer Manier: «Un grave – pour ne

pas dire pédant – échange de correspondance,

de notes et de renseignements étymologiques

dans la presse de la Suisse allemande vient

d’établir que le nom de ‹Mischabel› donné à

l’imposant massif alpestre compris entre les

vallées de Saas et de Saint-Nicolas (. . .) est une

déformation couramment utilisée dans le Valais et

dans les Grisons, du mot allemand «Mistgabel»

(fourche à fumier, trident), parce que l’ensemble

des points qui constituent le massif représente

assez bien une fourche à trois dents.»

Doch trotz der mittlerweile fast zweihundertjähri-

gen, durchaus plausiblen Variante der Mistgabel

haben sich die Sarazenen bis heute noch nicht

ganz verabschiedet. Noch immer tummelt

sich ihr «Dschebel» des Saastals in Foren und

Texten. Zusammen mit dem «Ala-Ain» und dem

«Al-Magell». Zu schön ist sie, die Geschichte der

Araber, die unsere Lande benannten . . .

Was die beiden Hauptgipfel, Dom und Täschhorn,

angeht, ist die Sachlage zu deren Namen zum

Glück etwas weniger verklärt. Spannend bleibt

sie dennoch: Im zweiten Kapitel (S. 31) begibt sich

Martin Rickenbacher deshalb auf die Pirsch und

erzählt davon, warum diese Gipfel so lange un-

bekannt blieben, wie das Festhorn zum Graben-

horn und später zum Dom wurde, was der Dom-

herr von Sitten damit zu tun hatte und wie aus der

«DomStuffe», vielleicht dank einer Bleistiftnotiz,

das eigenständige Täschhorn entstand.

Dom&Täschhorn betrachten

Der Ursprung der «Mischabel»und sechs weitere AnsichtenTexte von Caroline Fink, Illustrationen von Esther Angst

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Stellen wir uns vor: Ein Domherr, in we-

hender Soutane, das Birett auf dem Kopf,

steht auf einem Berg und misst mit einem

Theodolit die Winkel zwischen den um-

liegenden Gipfeln. Welch‘ herrliches Bild!

Kein Wunder also, dass Josef Anton

Berchtolds Leben – um ihn handelt es sich

beim Mann in der Soutane – denn auch

schon gut dokumentiert ist. In erster Linie

durch zahlreiche Beiträge des Historikers

Anton Gattlen. Im Rhonetal ist die Erin-

nerung an diese ausserordentliche Persön-

lichkeit auch heute noch lebendig, wovon

nicht zuletzt die Rue du Chanoine

Berchtold in Sitten zeugt.

Josef Anton Berchtold erblickte am 27. Juni

1780 als viertes Kind einer Bauernfamilie in

Greich ob Mörel das Licht der Welt. Er muss

ein aufgeweckter und intelligenter Junge

gewesen sein. Als Zwölfjähriger konnte er

ins Kollegium Brig eintreten. In den sechs

Jahren seiner Briger Kollegiumszeit wurden

auch im Wallis die Folgen eines Ereignisses

immer stärker spürbar, das ganz Europa in

seinen Grundfesten erschütterte: die Fran-

zösische Revolution von 1789.

Karriere als Mann der Kirche

In diesen politisch unruhigen und wirren

Zeiten suchte Berchtold seine Zukunft im

Dienst der Kirche, jener Institution, die das

Wallis schon seit Jahrhunderten von Grund

auf geprägt hatte. 1798 trat er ins Priester-

seminar Sitten ein, wo er fünf Jahre später

zum Priester geweiht wurde. Sein Wunsch

nach einem Theologiestudium an einer

Universität blieb angesichts der Zeit-

umstände unerfüllt. 1802 wurde die un-

abhängige Republik Wallis ausgerufen,

und Napoleons Ingenieur-Geographen ver-

massen den ganzen Boden des Rhonetals

von St-Gingolph bis Brig im Massstab

1:5000, um auf dieser Grundlage den Bau

der Simplonstrasse zu planen und auszu-

führen. 1810 wurde das Wallis aus strate-

gischen Gründen gar als Département

du Simplon in die République Française

integriert. Nach dem Zusammenbruch des

Empire marschierten die Österreicher ins

Wallis ein. Erst am 12. September 1814 trat

dieser Kanton als 22. Stand der Schweize-

rischen Eidgenossenschaft bei.

Schon kurze Zeit nach seiner Weihe wurde

der junge Priester 1803 vom Bischof zum

Josef Anton Berchtold und seine Kathedralen

Dom und DomherrEine Recherche von Martin Rickenbacher

Der Berg und sein Namens-

geber: Dom, mit der Kamera

angepeilt von der Belalp

aus (linke Seite). Domherr

Josef Anton Berchtold

(1780–1859), gemalt von

seinem Freund Lorenz Justin

Ritz im Jahre 1847. Das

Bild – es ist das dritte

Porträt von Ritz – hängt im

Rathaus von Sitten (oben).

Eine solch klare Sicht,

wie auf der Foto der vor-

angehenden Doppelseite,

hat Berchtold bei der Ver-

messung des Wallis jeweils

sehr geschätzt: Blick vom

Klein Matterhorn über den

Rücken des Gornergrates

(unten) hinweg auf die

beiden hohen Zacken von

Dom&Täschhorn. Rechts

der flache Alphubel, links

hinten das Aletschhorn.

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Aber was für einen Aussichtspunkt

hatten wir erreicht!

Der Dom, der wäre doch was für Sie,

Herr Reverend. Es ist der höchste Berg,

der vollständig auf Schweizer Boden steht,

ganze 14 941 Englische Fuss hoch. Und

noch niemand ist je zuoberst gewesen.

John Llewelyn Davies nickt. Ja, das wäre

was. Schliesslich möchte er seinen Urlaub

in Zermatt nach einigen leichteren Touren

gerne mit einer schönen Erstbesteigung

abrunden. Die über 3000 Höhenmeter bis

zum Gipfel sind ihm bewusst, doch mit

einem Biwak auf halber Strecke sollte sich

der Aufstieg gut in zwei Tagesetappen un-

terteilen lassen. Selbst als ihm seine Führer

mitteilen, dies sei unnötig, stimmt er der

Herausforderung sportlich zu.

So kommt es, dass am 11. September 1858

ein Engländer und drei Einheimische –

Johann Zumtaugwald als Hauptführer,

Johann Kronig und Hieronymus Brantschen

– kurz nach zwei Uhr morgens in Randa

aufbrechen, über die heute als Festigrat be-

kannte Route aufsteigen und knapp neun

Stunden später auf dem Dom stehen.

«Leider lässt sich dort nirgends gemütlich

sitzen. Es gibt keine Felsen, und obwohl

es nicht an Platz mangelt, bläst der Wind

ungehindert über die Plattform aus Schnee.

Wir mussten also im Schnee stehen und

froren vor Kälte, die ausreichend intensiv

war. Aber was für einen Aussichtspunkt

hatten wir erreicht!» Nichts also mit einer

gemütlichen Gipfelrast. Vom Wind vertrie-

ben, machen sie sich bald an den Abstieg –

Höchste Warte: Erstbe-

steiger John Llewelyn

Davies erreichte sie über

den schwach ausgeprägten

Festigrat (oben in der Bild-

mitte) – und stieg über

die weite Firnflanke links

davon wieder ab. Laut

Zweitbesteiger Leslie

Stephen bietet der Dom

die prächtigste Aussicht

im ganzen Alpenraum. Von

dort sieht man schön zum

Monte Rosa, halb verdeckt

vom heutigen Gipfelkreuz

(linke Seite).

Die Erstbesteigungen

Dom 1858, Täschhorn 1862Eine Übersicht von Marco Volken

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von Kagami & Co. griffen auf jeden Fall

schlechter als die Carver der Gebrüder

Anthamatten heute. Das Täschhorn war noch

nie wirklich ein Skiberg, und trotzdem nah-

men die drei Sommerskifahrer ihre winter-

lichen Fortbewegungsmittel bis auf die Höhe

des Domjochs (4281 m) mit, nachdem sie die

Festi-Kin-Lücke im Westgrat des Doms über-

schritten und zum Kingletscher abgestiegen

waren. Sieben Stunden nach Aufbruch in der

Domhütte um zwei Uhr standen Graven,

Kagami und Perren auf dem Täschhorn. «The

ski-ing was good on the return journey»,

hält Lunn im Jahresrückblick fest: «The snow

was still hard and the party was making use

of the Bilgeri side irons, which were extreme-

ly helpful on steep slopes of hard snow.»

Side irons sind Harscheisen; Oberst Bilgeri

führte sie in seinem kompletten Ausrüstungs-

angebot für Skitourengeher. Sie waren seit-

lich an den Ski angebracht (heute werden

sie direkt in die Bindung eingeklinkt) und

verhindern ein seitliches Abrutschen – beim

Aufstieg. Aber mit den Harscheisen abfahren:

ich weiss nicht, Arnie . . .

Noch ein Wort zu T. Y. Kagami aus Tokyo:

Mitglied des britischen Alpine Ski Club, Mit-

arbeiter bei der Royal Geographic Society

und Draufgänger. Im Januar 1929 wieder-

holte er mit Frank S. Smythe die von Lunn

und Gefährten erstmals gemachte Skibe-

steigung des Eigers via Nördliches Eiger-

joch, im folgenden Mai unternahm er mit

Gottfried Perren Skitouren von der Rothorn-

hütte ob Zermatt, am 31. August gelang

ihm mit den beiden Führern der Skierstbe-

steigung des Täschhorns sowie mit Thomas

Graham Brown die erste Besteigung der

Punta Moore (3557 m) im Mont-Blanc-Mas-

siv, und am 16. September kletterten er und

Perren erstmals über den Südostsporn auf

den Mont Maudit; die Route nennt man

Voie Kagami. Anders gesagt: 1929 war kein

Krisenjahr für den japanischen Alpinisten.

Zwei Winterpremieren am Dom

Die Skierstbesteigungen der Mischabel-

Zwillinge, die Wintererstbesteigung des

Täschhorns: Ihre Akteure kennen wir ein

wenig. Doch da fehlt doch noch was. Das

«Alpine Journal», die einflussreiche Zeit-

schrift des Alpine Club, des ältesten Berg-

sportverbandes, vermeldete in Band 17 aus

den Jahren 1894/95: «The first midwinter

ascent of the Dom was effected on January

13 by Mr. Sydney Spencer.» Dabei sei er

begleitet gewesen von Christian Jossi aus

Grindelwald und Adolf Schaller aus Zermatt,

und sie hätten zweimal in der «Dom Club

Hut» übernachtet. «The cold was hardly felt

at all, owing to the entire absence of the

wind.» Im Folgeband beschrieb Spencer –

an ihn erinnert das Couloir Spencer an der

Aiguille de Blaitière – ausführlich seine

Januartouren von 1893 (Versuch an der Wel-

lenkuppe) und von 1894 (Erfolg am Dom).

Chronist Marcel Kurz nahm die erste Mitte-

winterbesteigung als erste Winterbestei-

gung des Doms überhaupt in seine Zusam-

menstellung der «ascensions hivernales»

von 1922 auf. Im «Ski» von 1928 musste

er sich korrigieren und veröffentlichte den

dreiseitigen Artikel «La première ascension

hivernale du Mischabel-Dom (4554 m.)».

Was war passiert? Im September 1927

erfuhr Kurz bei einem Aufenthalt in Randa,

dass Einheimische den Dom schon am

3. März 1891 bestiegen hatten. Im Laufe

seiner Recherchen erhielt er eine Kopie des

Briefes, den einer der Wintererstbesteiger

gleich nach der Tour schrieb:

«Die schöne Witterung, die während dem

Monat Februar geherrscht, veranlasste eine

Gesellschaft Bergführer von Randa, die

Besteigung des Domes vorzunehmen mit

Begleitung ihres Lehrers der englischen

Sprache. Wir verliessen Randa am 2. März,

1 Uhr des Nachmitttags, in schöner Witte-

rung nach der Domhütte. 3. März, 4 Uhr

Skimedaillen mit der

Silhouette des Täschhorns:

2. internationaler Langlauf

Täschhorn-Kristall FIS 1976

(oben); internationale Ren-

nen nordisch im Rahmen

des internationalen Alpen-

Cups von 1979 (unten).

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morgens, traten wir die Partie nach dem

Gipfel an. Leider wurde das Wetter schlecht,

aber mit dem Mut der wackeren Führer

wurde die schwierige Tour fortgesetzt und

[wir] erreichten die Spitze um 12 Uhr im

Schneesturm. Die Reise zurück war sehr

schwierig; wir hatten den ganzen Weg mit

Nebel und Schnee zu kämpfen und er-

reichten die Hütte um 4 Uhr. Nach einer

Stunde Ruhe kehrten wir nach Randa

zurück. Diese Tour wurde gemacht von den

Führern: Josef Truffer, Quirinus Schwarzen,

Adolf Schaller, Fridolin Perren, Friedrich

Summermatter, Johann Summermatter,

Samuel Truffer, Peter Brantschen, Johann

Kronig, Lehrer.»

Verfasst hat diesen Brief der «English

Teacher» John Kronig, wie er sich nannte; er

war in jungen Jahren nach Amerika ausge-

wandert, kam zurück, unterrichtete und

machte 1883 auch das Führerdiplom. Eine

interessante Figur. Genau so wie Adolf

Schaller, der drei Jahre später seinem Gast

Sydney Spencer die Winterbesteigung des

Doms vorschlug, ohne zu erwähnen, dass er

in der kalten Jahreszeit schon mal oben ge-

standen hatte. Er liess Spencer im Glauben,

er wäre der erste; und auch nach Tour, als

die Dombesteiger in Randa zurück waren,

erwähnten die anwesenden Führer mit

keinem Wort die wirkliche Wintererstbe-

steigung des Doms. Nachdem Spencer vom

Artikel im «Ski» erfahren hatte, schrieb er

dem «Alpine Journal» eine Notiz und

schloss sie so: «Had I known of the previous

ascent, I should certainly have attempted

one of the other great peaks instead of the

Dom.» Zum Beispiel Alphubel, Lenzspitze,

Nadelhorn. Oder gar das Weisshorn, das er

von der Domhütte am 14. Januar 1894 so

grossartig fotografierte.

So macht Skifahren Spass:

Zwei Plakate der Agentur

Brügger von Meiringen,

1974 für den Sommerskilauf

in Saas-Fee, 1969 für die

Wintersaison in Grächen.

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102

In der Geschichte des Skialpinismus

ist der 18. Juni 1917 ein wichtiger Tag:

Der Engländer Arnold Lunn und der

Bergführer Josef Knubel aus St. Niklaus

fuhren mit Ski vom Gipfel des Doms

ab. «From the Sattel downwards all

was pure joy, wonderful ski-ing», hielt

Lunn im ersten Jahrgang seines «British

Ski Year Book» von 1920 fest; knapp

40 Minuten dauerte die Abfahrt über

die Nordflanke und – nach der Über-

schreitung des Festijochs zu Fuss –

über den Festigletscher zur alten Dom-

hütte. Im Buch «The Mountains of

Youth» von 1925 beschreibt Lunn diese

Frühlingsfahrt mit Ski ausführlich; die

deutsche Ausgabe «Die Berge meiner

Jugend» erschien 1940, übersetzt von

Henry Hoek und verlegt von Walter

Amstutz – beide ebenfalls ganz grosse

Pioniere des Skibergsteigens.

Der Dom (4554 m) ist der höchste Berg,

der ganz in der Schweiz liegt, denn der

Gipfel des Monte Rosa liegt auf der Grenz-

linie Schweiz-Italien, und der Mont Blanc,

wie bekannt, teils auf französischem und

teils auf italienischem Gebiet.

Knubel und ich hatten oft gesprochen

von dem Plan einer Ski-Erstbesteigung

des Dom. Das müßte selbstverständlich im

Frühling geschehen. Im Winter ist es schon

schwierig, die Festihütte zu Fuß zu er-

reichen, und so gut wie unmöglich, mit

Ski dahin zu kommen. Unterhalb der Hütte

ist jedes Abfahren ausgeschlossen, also

war auch nichts damit zu gewinnen,

daß man diese Tour versuchte, bevor der

Weg zur Hütte schneefrei war.

Am 18. Juni 1917 brachen wir von der

Festihütte aus auf. Das Wetter war aus-

gezeichnet, und wir zogen unsere Spuren

ohne Zwischenfall über den Festigrat und

dann die riesige Westwand unseres Berges

hinauf. Vom oberen Sattel weg, etwa sieb-

zig Meter unterhalb des Gipfels, wird der

Hang plötzlich sehr steil; stellenweise er-

reicht er fünfundvierzig Grad, das heißt

die äußerste Steile, auf der Schnee noch

liegen bleibt. An jedem andern Gipfel

hätten wir die Ski abgeschnallt und wären

zu Fuß weitergegangen; aber wir hatten

es uns nun einmal in den Kopf gesetzt,

eine Skispur bis zum höchsten Punkte des

«Daches der Schweiz» zu legen, und wir

überlegten uns hin und her, ob das wohl

ohne allzu große Gefahr möglich wäre.

«Eine Skispur zum Dach der Schweiz»Arnold Lunn über die erste Skibesteigung des Doms

«Auf der Spitze des Doms»:

Arnold Lunn fotografierte

Josef Knubel am 18. Juni

1917 zuoberst auf dem

Dom, mit Ski – of course.

Das Jahrbuch des Schweize-

rischen Skiverbandes ver-

öffentlichte 1919 die Foto.

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103

Bei Hartschnee wäre der Hang viel zu

steil gewesen. Bei weichem Pulverschnee

hätten wir die Lawinengefahr nicht ver-

antworten können. Aber glücklicherweise

war der Schnee geradezu ideal für unsere

Absichten: Wir fanden «gesetzten Pulver-

schnee» vor, das heißt Pulverschnee, des-

sen einzelne Flocken oder Körner durch

den Winddruck einigermaßen miteinander

verbunden waren. Unsere Ski sanken

nicht zu tief ein und die Schneedecke

zeigte keine Tendenz zu rutschen. Und

um halb zwölf Uhr hatten wir eine Skispur

durch den höchsten Schneehang der

Schweiz gelegt.

Wir verbrachten eine einzig schöne Viertel-

stunde in Windstille und Sonne auf dem

Gipfel und machten uns dann mit gemisch-

ten Gefühlen an die Abfahrt. Die obersten

siebzig oder achtzig Meter mußten wir die

Aufstiegsspur benützen und durften keinen

Schwung wagen, um den Schnee nicht

unnötig zu stören. Alles ging gut, aber es

war aufregend. Vom Sattel weg war dann

alles eitel Freude. Unsere wirkliche Fahr-

zeit vom Gipfel bis zur Festihütte – und

das ist ein Höhenunterschied von mehr als

sechzehnhundert Meter! – belief sich auf

etwas weniger als vierzig Minuten.

Versuchshalber hatte ich kurze Sommerski

mitgenommen, nur 1,60 Meter lang. Ich

war sehr mit ihnen zufrieden. Auf sehr

steilen Hängen sind sie natürlich beque-

mer; und auf mäßigen Neigungen, wenn

der Schnee wenigstens einigermaßen ge-

setzt ist, sind sie beinahe so schnell wie

lange Ski. Sie sind naturgemäß nicht emp-

fehlenswert auf flachen Hängen mit tiefem

Schnee, und ebenso wenig auf Schnee

von ständig wechselnder Struktur.

Von der Hütte aus kamen wir zunächst

durch die Region der Anemonen und dann

«The steepest part was

from the little saddle just

below and to the right of

the summit»: So kommen-

tierte Lunn dieses Bild

der Nordflanke des Doms

in seinem Buch «Mountains

of Youth» von 1925.