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Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019
Dr. Michael Kilchling
Fotonachweis: Münsterländische Volkszeitung
Sanktionenrecht#41
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 2
Befunde der Abschreckungs-
forschung
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 3
Befunde der Abschreckungs-
forschung
Siehe zu dem Thema auch: http://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/4756/
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 4
Spezialprävention
• Negativ: individuelle Abschreckung
• Schwierig zu messen
• Annahme: durch Bestrafung werden zusätzliche Hemm-
schwellen für die Zukunft aufgebaut (z.B. 'taste of prison'-
approach)
• Problem: abnehmender Grenzschaden (analog zum
Grenznutzenmodell der Ökonomie): Sanktionen nutzen
sich schnell ab
• Positiv: Behandlung und Lernen
• Resozialisierungsforschung, insbesondere im Strafvollzug
und in der Sozialtherapie
• Methodischer Ansatz: Rückfallmessung
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 5
Befunde der Behandlungsforschung
• "Behandlungsideologie" der 1950er und 1960er Jahre
– unbestimmte Freiheitsstrafe
• Martinson 1974
– "nothing works"
– Kritik aus der Rechtsstaatsperspektive
• Evaluationsforschung
– Problem der Methoden: kaum Experimente
– Fraglich: wurden Behandlungsansätze überhaupt effektiv implementiert?
– Frage: für wen sind Behandlungsansätze sinnvoll?
• Forschungsstand: Für spezifische Gruppen können positive Be-handlungseffekte nachgewiesen werden
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 6
Sicherung
• Sicherungsverwahrung (incapacitation)
• Kriminalpolitische Ausformungen
• 'selective incapacitation'
• 'categorical incapacitation'
• Konzentration auf Intensivtäter/chronische Straftäter
• Forschung: Zusammenhänge zwischen physischer Sicherung
und Entwicklungen der Kriminalität
• Problem der Identifizierung und Prognose (mutmaßlich
hoher Prozentsatz sog. 'falscher Positiver')
• Einige ökonomische Studien berechnen Kosten-/Nutzen-
Relation (zwischen Inhaftierung und – mutmaßlich –
verhinderten Straftaten)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 7
Deutsche Legalbewährungsstudie
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/
StudienUntersuchungenFachbuecher/Legalbewaehrung_n
ach_strafrechtlichen_Sanktionen_2010_2013.pdf?__blob=
publicationFile&v=1
3. Grenzen der Strafe
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Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 9
Grenzen der Strafe (1)
• Europa und internationale Ebene
• Internationaler Menschenrechtsrechtsschutz UN
• Europäischer Menschenrechtsschutz Europarat
• Minimumstandards der Vereinten Nationen und des Europarats
• Europäische Union
» Tampere-Beschlüsse: Gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (1999)
» EU-Grundrechte-Charta (2000/2007): rechtsver-bindlich durch Lissabon-Vertrag (auf EU-Ebene; innerstaatlicher Anwendungsbereich str.)
» Art. 6 Abs. 2 EU-V (konsolidierte Fassung): EU soll künftig selbst Vertragspartei der EMRK werden
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 10
• Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948)
Art. 5
Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder
erniedrigender Strafe unterworfen werden
Art. 9
Niemand darf willkürlicher Festnahme, Freiheitsentziehung oder
Exilierung ausgesetzt werden
Art. 11
(1) Unschuldsvermutung
(2) Nulla poena sine culpa und Rückwirkungsverbot (Strafver-
schärfung)
Erstes universelles Verbot der Folter und der grausamen …
Strafe
Resolution, keine rechtliche Verbindlichkeit
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 11
• Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966)
Art. 7
Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe unterworfen werden
Art. 8
(3.a) Zwangsarbeit ist unzulässigAusnahme: Arbeit während eines richterlich angeordneten Freiheitsentzugs
Art. 9
(1.) Recht auf Freiheit und Sicherheit; niemand darf willkürlichem Arrest (Verhaftung) oder Freiheitsentzug ausgesetzt werden
Art. 10
(1.) Jeder Gefangene muss menschlich (human) und dem Grundsatz der Menschenwürde entsprechend behandelt werden
Erstmals notstandssicher und völkerrechtlich verbindlich
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 12
• UN Konvention gegen Folter und andere grausame, unmensch-liche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1984)
Bedingungsloses Verbot der Folter
Definition Art. 1Jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 13
• UN Konvention gegen Folter und andere grausame, unmensch-liche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1984)
Bedingungsloses Verbot der Folter
Definition Art. 1Jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 14
• UN Konvention gegen Folter und andere grausame, unmensch-liche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1984)
Bedingungsloses Verbot der Folter
Definition Art. 1Jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 15
• Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK (1950)
Art. 2: Recht auf Leben
Art. 3: Verbot der grausamen und unmenschlichen Strafe
Art. 5: Recht auf persönliche Freiheit
Art. 8: Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(garantiert u.a. Kontakte des Gefangenen mit der Außen-
welt)
Art. 34/35:
Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte (nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs)
Damit auch justiziabel!
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 16
• Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Strafe (1987)
Zielsetzung:
• Prävention von Folter, unmenschlicher und erniedrigender
Behandlung von Personen in Freiheitsentzug
Anti-Folter-Kommission (CPT):
• Recht auf Zutritt zu allen durch die Konvention erfassten
Einrichtungen freiheitsentziehender Art
(Strafvollzugsanstalten, psychiatrische Einrichtungen,
Polizeigewahrsam etc.)
• Recht, ohne Einschränkungen mit Insassen zu sprechen
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 17
• Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Strafe (1987)
Aufgabe:
• Feststellung der tatsächlichen Situation auf dem Gebiet des
Freiheitsentzugs
• Dokumentation der Feststellungen
• Empfehlungen an Regierungen
Prüfungsmaßstäbe:
• Art. 3 EMRK
• Europäische Strafvollzugsgrundsätze
Die Aufgabe besteht nicht in der Rechtsanwendung, d.h. der Überprüfung von Einzelfällen oder der Feststellung von Men-schenrechtsverletzungen im Einzelfall
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 18
• Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe(28. April 1983)
Art. 1: Abschaffung der Todesstrafe
Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden.
Art. 2: Todesstrafe in Kriegszeiten
Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; diese Strafe darf nur in den Fällen, die im Recht vorgesehen sind, und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen angewendet werden.
Exkurs: Todesstrafe
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 19
• Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todes-strafe (3. Mai 2002)
Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll unter-zeichnen, in der Überzeugung, dass in einer demokratischen Gesellschaft das Recht jedes Menschen auf Leben einen Grund-wert darstellt und die Abschaffung der Todesstrafe für den Schutz dieses Rechts und für die volle Anerkennung der allen Menschen innewohnenden Würde von wesentlicher Bedeutung ist … …entschlossen, den letzten Schritt zu tun, um die Todes-strafe vollständig abzuschaffen, haben Folgendes vereinbart:
Art. 1
Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden.
Exkurs: Todesstrafe
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 20
EGMR und Todesstrafe
• Soering gg. Vereinigtes Königreich vom 7.7.1989, Serie A Nr. 161
• Loizidou gg. Türkei vom 23.3.1995, Serie A Nr. 310:
Bei Auslieferung trägt der ausliefernde Staat (Mit-) Ver-antwortung für Einhaltung der Art. 2 und 3 EMRK im Empfängerstaat
• Öcalan gg. Türkei vom 12.3.2003 und 12.5.2005, Nr. 46221/99:
Art. 3 ist auch verletzt, wenn die Todesstrafe nur 'theo-retisch' verhängt wird, d.h. aufgrund eines Moratoriums regelmäßig nicht vollstreckt und stattdessen in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wird
Unsicherheit ist nicht zumutbare seelische Qual
Insbes. bei vorherigem Verstoß gegen fair trial (Art. 6)
Aktuell: Relativiert im Eilverfahren Haykel Saidani gg. Deutschland trotz fehlender Zusicherung aus Tunesien
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 21
EGMR und Todesstrafe
ECHR 170 (2018) v. 7.5.2018
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Einstellungen zur Todesstrafe
in Deutschland
0
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1950
1952
1960
1963
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1972
1973
1975
1977
1979
1983
1986
1992
1995
1996
2000
2005
2009
Gegner Befürworter
RAF-Terrorismus
Mehrere Sexualmorde
an Kindern
0
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40
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60
70
1992
1995
1996
2000
2005
2009
Ge gne r Be f ür wor t e r
OstdeutschlandWestdeutschland
Quelle: Allensbacher Jahrbuch
Demoskopie 2003-2009
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 23
Quellen: www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-10/todesstrafe-juristen-studie-deutschland
www.spiegel.de/lebenundlernen/job/umfrage-eines-professors-erlanger-jurastudenten-pro-todesstrafe-a-1017230.html
Einstellungen zur Todesstrafe
in Deutschland
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 24
Einstellungen zur Todesstrafe
in den USA
Quelle: https://news.gallup.com/poll/1606/death-penalty.aspx
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 25
Einstellungen zur Todesstrafe
in den USA
Quelle: https://news.gallup.com/poll/243794/new-low-say-
death-penalty-applied-fairly.aspx
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 26
Einstellungen zur Todesstrafe
in den USA
Quelle: http://news.gallup.com/poll/1606/death-penalty.aspx
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 27
Einstellungen zur Todesstrafe
in den USA
Quelle: https://news.gallup.com/poll/243794/new-low-say-
death-penalty-applied-fairly.aspx
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 28
Grenzen der Strafe (1)
• EU-Grundrechtecharta vom Dezember 2000
ABl. C 346/1 (vom 18.12.2000)
erneut proklamiert im Dezember 2007
https://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 29
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 30
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 31
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 32
Grenzen der Strafe (1)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 33
• Verfassungsrechtlicher Rahmen in Deutschland
• Grundgesetz
• Rechtsprechung des BVerfG
Grenzen der Strafe (2)
Michael Kilchling | Vorlesung Sanktionenrecht I | SS 2019 34
Grundgesetz und Strafsanktionen
• Art. 1 – Menschenwürde
• Art. 2 – Allgemeines Freiheitsrecht, Recht auf Leben und Persön-lichkeitsrecht
• Art. 3 – Gleichbehandlungsgrundsatz (insb. Strafzumessung)
• Art. 6 – Familie
• Art. 12 – Berufsfreiheit, Verbot der Zwangsarbeit
• Art. 14 – Eigentumsrecht
• Justizgrundrechte
• Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
• Rechts- und Sozialstaatsprinzip
• Art. 102