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DIÖZESE INNSBRUCK ERZDIÖZESE SALZBURG Nr. 87 – Februar 2012 Sr. Maria Annuntiata, Karmelitin im Karmel St. Josef in Innsbruck, über den Menschen Edith Stein. Suche nach Wahrheit Promotion Edith Stein: Auf der Suche nach dem Menschen Philosophin, Ordens- frau, Märtyrerin: Edith Stein zählt zu den he- rausragenden Gestal- ten in der Kirche des 20. Jahrhunderts. Am 9. August 1942 wurde sie im Konzentrations- lager Auschwitz-Birke- nau ermordet. KNA-Bild GEDENKEN Erinnern. Das Gedenken an Edith Stein muss offen sein für die Erinnerung an das Leiden des jüdischen Volkes in der Zeit des Nati- onalsozialismus. Seite 2 LEHRE Forschung. Das Edith- Stein-Haus und das ifz in Salzburg sowie die Kirch- liche Pädagogische Hoch- schule (KPH) Edith Stein in Innsbruck. Seite 3 WISSENSCHAFTERIN Philosophin. Edith Stein war eine wichtige Vertre- terin der Phänomenolo- gie, einer philosophischen Strömung aus dem 20. Jahrhundert. Seite 3 BUCHTIPP Originalzitate. Einige Zitate von Edith Stein, die einen Überblick über das weite Spektrum ihres Lebens und Denkens geben. Seite 3 INTERVIEW Einblick. Was Edith Stein als Frau und Wissenschaf- terin bewegte, erzählt die Philosophin Professor Hanna-Barbara Gerl- Falkovitz. Seite 4

Edith Stein: Auf der Suche nach dem Menschenlinz.karmel.at/content/download/6322/35008/file/49789_Ausgabe_fertig-1.pdfEdith Stein war eine wichtige Vertre-terin der Phänomenolo-gie,

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DIÖZESE INNSBRUCKERZDIÖZESE SALZBURG

Nr. 87 – Februar 2012

Sr. Maria Annuntiata, Karmelitin im Karmel St. Josef in Innsbruck, über den Menschen Edith Stein.

Suche nach Wahrheit

Promotion

Edith Stein: Auf der Suche nach dem Menschen

Philosophin, Ordens-frau, Märtyrerin: Edith Stein zählt zu den he-rausragenden Gestal-ten in der Kirche des 20. Jahrhunderts. Am 9. August 1942 wurde sie im Konzentrations-lager Auschwitz-Birke-nau ermordet. KNA-Bild

GEDENKENErinnern. Das Gedenken an Edith Stein muss offen sein für die Erinnerung an das Leiden des jüdischen Volkes in der Zeit des Nati-onalsozialismus. Seite 2

LEHREForschung. Das Edith-Stein-Haus und das ifz in Salzburg sowie die Kirch-liche Pädagogische Hoch-schule (KPH) Edith Stein in Innsbruck. Seite 3

WISSENSCHAFTERINPhilosophin. Edith Stein war eine wichtige Vertre-terin der Phänomenolo-gie, einer philosophischen Strömung aus dem 20. Jahrhundert. Seite 3

BUCHTIPPOriginalzitate. Einige Zitate von Edith Stein, die einen Überblick über das weite Spektrum ihres Lebens und Denkens geben . Seite 3

INTERVIEWEinblick. Was Edith Stein als Frau und Wissenschaf-terin bewegte, erzählt die Philosophin Professor Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz. Seite 4

2 TIROLER TAGESZEITUNG Nr. 55-BG Freitag, 24. Februar 2012

FORTSETZUNG VON SEITE 1

Moment24. Februar 2012 – Sonderbeilage

Gründungsherausgeber: Komm.-Rat Joseph S. Moser, April 1993 †; Herausgeber: Gesellschafterversammlung der Moser Holding AG;

Medieninhaber (Verleger): Schlüsselverlag J. S. Moser GmbH.; Hersteller: Intergraphik Ges. m. b. H.;

Sonderpublikationen, Leitung: Stefan Fuisz; Redaktion: Karin Bauer, Heike Fink, Michael Gstaltmeyr, Christa Hofer, Walter Hölbling, Andrea Huttegger, Wolfgang Kumpfmüller, Daniela Pirchmoser, Sr. Annuntiata.

Diözese Innsbruck, Abteilung ÖA: Karin Bauer. ErzdiözeseSalzburg, Amt für Kommunikation: Wolfgang Kumpfmüller.

Anschrift für alle: Ing.-Etzel-Straße 30, 6020 Innsbruck, Postfach 578,Tel. 0 512/53 54-0, Fax 0 512/53 54-3577. [email protected]

Ihre geistliche Heimat aber wird die Erzabtei Beuron. Als sie Erzabt Raphael Walzer von ihrer Sehnsucht nach dem Karmel spricht, verweigert er seine Zustimmung, weil sie als Vortragende unersetzlich sei. Als aber 1933 Adolf Hitler an die Macht kommt und mit ihm Rassenwahn und Judenverfolgung, wird ausgerechnet er ihr zum Wegbereiter. Hatte man sie 1932 als Dozentin an das wissenschaft- liche Institut für Pädagogik in Münster berufen, so wurde 1933 allen Juden in Deutschland jegliche öffentliche Tätigkeit untersagt. Hellsichtig erkennt Edith Stein die Gefahr und sucht Hilfe bei P. Pius XI., aber die erbetene Enzyklika zum Schutz der Juden kommt nicht … Bald darauf bietet sie sich in stiller Zwiesprache mit ihrem Herrn an, stellver- tretend für viele Sein Kreuz auf sich zu nehmen – und weiß sich erhört. Danach bittet sie im Karmel zu Köln um Aufnahme, von wo ihr „freudige Zustimmung“ signalisiert wird. In Breslau erwartet sie ein herzzerreißender Abschied von ihrer fas- sungslosen Mutter, ehe sie am 14. Oktober in den Karmel zu Köln eintreten kann. Bei ihrer Einklei- dung im April 1934 wählt sie als ihren neuen Namen: Sr. Teresia Benedicta a cruce – die vom Kreuz Gesegnete. Ein Jahr später legt sie ihre erste Profess und nach weiteren drei Jahren die Feierliche Profess ab. Das Leben im Karmel ist für die 42-Jährige eine große Herausforderung. So begeistert sie sich in das Chorgebet einfügt, für die Alltagsarbeiten im klösterlichen Alltag ist sie denkbar ungeeignet. So wird sie nach der Profess für wissenschaftliche Arbeiten freigestellt. Als nur sechs Monate später die Reichspogromnacht hereinbricht, beschließt Sr. Benedicta, in den holländischen Karmel von Echt zu wechseln, um

die eigene Gemeinschaft nicht zu gefährden. Fluchtpläne in die Schweiz kommen zu spät. In Echt erhält Sr. Benedicta 1940 den Auftrag, eine Festschrift zum 400. Geburtstag des hl. Johannes vom Kreuz zu verfassen: „Kreuzeswis- senschaft“ wird sie ihr letztes Werk

nennen. In dieser Zeit beginnt sich für Edith Stein der innere Kreis ihres Lebens zu schließen. Nun ahnt sie das „Große“, zu dem sie sich seit ihrer Kindheit berufen wusste. In der Passionszeit 1939 bietet sie Gott ihr Leben als Sühneopfer an für ihr Volk. Im Sommer 1942, nachdem die „Wannsee- konferenz“ die „Endlösung“ der Judenfrage durch Ausrottung beschlossen hat und die Deutschen auch die Niederlande besetzt haben, wird ein Protest-Hirtenbrief der Bischöfe zum Signal. Nun werden auch die getauften Juden in die Vernichtung einbezogen. Am 2. August 1942 holt die Gestapo Sr. Benedicta und ihre Schwester Rosa aus dem Karmel ab. „Komm, wir gehen für unser Volk“ ist Sr. Benedictas letztes Wort bei ihrer Gefangennahme. Wenige Tage danach vollendet sich ihr lebenslanges Suchen nach Wahrheit in den Gaskammern von Auschwitz. Ihre Nachfolge ist am Ziel, ihre „Kreuzeswissenschaft“ vollendet. Sie hat die Ewige Wahrheit gefunden, IHN, den ihre Seele liebt.

Eine Reliquie vom Gewand Edith Steins wird im Dom zu Speyer in Deutschland auf-bewahrt. Foto: Wikipedia/P. Schmelzle

S R . M A R I A A N N U N T I A T A I S T K A R M E L I T I N I M K A R M E L S T . J O S E F I N I N N S B R U C K

Das Gedenken an die Jüdin Edith Stein, die als Christin und Kar-melitin in Auschwitz ermordet wurde, muss offen sein für die me-moria an das Leiden des jüdischen Volkes in der Zeit des National-sozialismus.

Verschleppt, ermordet

Ein Denkmal geben

Andenken und NameYad Vashem – die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten und zu wahren. Foto: Shutterstock

B I S C H O F M A N F R E D S C H E U E R

Zum Gedenkjahr für Edith Stein finden österreichweit zahl-reiche Veranstal-tungen statt. Hier eine Auswahl der Termine in Tirol bis Oktober.

VERANSTALTUNGEN IM GEDENKJAHR

Vorträge und Gedenkgottesdienste

TIROLER TAGESZEITUNG Nr. 55-BG 3 Freitag, 24. Februar 2012

Edith Stein war eine wichtige Vertreterin der Phänomenologie, einer philosophischen Strömung aus dem 20. Jahrhundert. Als Wis-senschafterin und als Mensch suchte sie die Wahrheit.

Zielstrebigkeit

Gespür für Sprache

Der Wahrheit auf der Spur

Auf dieser Schreibmaschine hat Edith Stein einen Teil ihrer philosophischen Arbeiten geschrie-ben. Sie steht heute im Archiv des Karmelklosters in Echt (Niederlande). Foto: KNA-Bild

A N D R E A H U T T E G G E Randrea.huttegger@

kommunikation.kirchen.net

Grenzenlose LiebeFür die Christen gibt es keinen „fremden Men-schen“. Der ist jeweils der „Nächste“, den wir vor uns haben und der unser am meisten bedarf, gleichgültig, ob er verwandt ist oder nicht, ob wir ihn „mögen“ oder nicht, ob er der Hilfe „moralisch würdig“ ist oder nicht. Die Liebe Christi kennt kei-ne Grenzen, sie hört nimmer auf, sie schaudert nicht zurück vor Hässlichkeit und Schmutz. Er ist um der Sünder willen gekommen und nicht um der Gerechten willen. Und wenn die Liebe Christi in uns lebt, dann machen wir es wie er und gehen den verlorenen Schafen nach.(Aus: Wege zur inneren Stille, 1931)

Verbindung mit der WeltIn der Zeit unmittelbar vor und noch eine ganze Weile nach meiner Konversion habe ich gemeint, ein religiöses Leben zu führen heiße, alles Irdische aufzugeben und nur in Gedanken an göttliche Din-ge zu leben. Allmählich habe ich einsehen gelernt, dass in dieser Welt anderes von uns verlangt wird und dass selbst im beschaulichsten Leben die Ver-bindung mit der Welt nicht durchschnitten werden darf. Ich glaube sogar: Je tiefer jemand in Gott hin-eingezogen wird, desto mehr muss er auch in die-sem Sinn „aus sich herausgehen“, d. h. in die Welt hinein, um das göttliche Leben in sie hineinzutra-gen. – (Aus: Brief an Sr. Callista Kopf OP vom 12. Februar 1928)

Anonymes GottsuchenEs hat mir immer fern gelegen, zu denken, dass Gottes Barmherzigkeit sich an die Grenzen der sichtbaren Kirche binde. Gott ist die Wahrheit. Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht. – (Aus: Brief an Sr. Adelgundis Jaeger schmid OSB vom 23. März 1938)

Zur Stellung der FrauIm heutigen Kirchenrecht kann zweifellos von ei-ner Gleichstellung der Frau mit dem Mann nicht die Rede sein, da sie von allen geweihten Ämtern der Kirche ausgeschlossen ist. (...) Der heutige Stand ist eine Verschlechterung gegenüber den Frühzeiten der Kirche, in denen Frauen amtliche Funktionen als geweihte Diakonissen hatten. Die Tatsache, dass hier eine allmähliche Umbildung erfolgt ist, zeigt die Möglichkeit der Entwicklung in entgegengesetztem Sinn. Und das kirchliche Leben der Gegenwart weist darauf hin, dass wir eine solche Entwicklung zu erwarten haben, da wir in steigendem Maß eine Berufung der Frauen zu kirchlichen Aufgaben – Caritas, Seelsorgshilfe, Lehrtätigkeit – feststellen können.(Die Frau – Ihre Aufgabe nach Natur und Gnade)

BuchtippDie obigen Zitate sind ent-nommen aus dem Buch „Edith Stein – Aus der Tiefe leben. Ein Textbrevier“. Das Buch wurde herausgegeben von der deut-schen Karmelitin Waltraud Herbstrith. Das Buch enthält Zitate aus Vorträgen, Büchern und Briefen von Edith Stein und gibt einen guten Überblick über das weite Spektrum ihres Le-bens und Denkens. Das Buch ist erschienen im Verlag Topos plus und kostet 10,20 Euro. www.toposplus.com

ORIGINALTEXTE VON EDITH STEIN

W A L T E R H Ö L B L I N Gwalter.hoelbl [email protected]

PATRONIN VON EUROPA

Im Jahr 1999 hat der dama-lige Papst Johannes Paul II. die heilige Edith Stein zur Europapatronin erklärt. Sie teilt sich diese Ehre mit der heiligen Birgitta von Schweden und der heili-

gen Katharina von Siena. Anliegen des Papstes war es, mit der Ernennung von Edith Stein auf die christlich-jüdischen Wurzeln des euro-päischen Kontinentes hinzu-weisen.

Forschen im Namen Edith SteinsFORSCHUNGS- UND LEHRSTÄTTEN

Schriften Edith Steins im Kar-melkloster in Echt. Foto: KNA-Bild

4 TIROLER TAGESZEITUNG Nr. 55-BG Freitag, 24. Februar 2012

Edith Steins hinterbliebene Fußspuren entdeckte ich, als ich vor acht Jahren in Münster (Westfalen) Theo-logie studierte. Aufgrund ihrer Konversion, ihres phi-losophisch-wissenschaftlichen Geistes, ihrer hinge-bungsvollen Glaubensüberzeugung und aufgrund ihres Lebensweges, der mit dem Martyrium im KZ Auschwitz endete, wurde sie mir in den letzten Jahren durch Parallelen zur Be-gleiterin meines Glaubens-lebens. Beeindruckend ver-bindet sie für mich Glauben mit scharfer Vernunft und Menschenkenntnis, was heute noch seinesgleichen sucht.

Ubbo Goudschaal,Student der Theologie und Philosophie, Jahrespraktikant im Seelsorgeamt der Erzdiözese Salzburg. Foto: Goudschaal

UMFRAGE: Wo wirkt Edith Stein in Ihrer Arbeit weiter?

Edith Stein war Philosophin und Lehrerin, war Jüdin, Atheistin und Christin, war – modern gesprochen – Frauenrechtlerin und Karmelitin. Trotz dieser Wider-sprüche – oder gerade deshalb – spiegelt ihre Le-bensgeschichte eine Einheit von Denken, Glauben und Handeln wider, die eine Herausforderung für mich ist. Nüchtern, ohne Pathos nimmt Edith Stein den Alltag als Gabe Gottes, sie lebt eine Spiritualität des Alltags. Dazu gehört auch das ge-sellschaftliche und politi-sche Engagement, beson-ders für Frauen und für Bildung.

Dr. Regina Brandl,Rektorin der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule – Edith Stein. Foto: Josef Schermann

Ich habe mich in Salzburg aufgrund meiner Doktor-arbeit mit Edith Stein auseinandergesetzt, diese Zeit war sehr erfüllend. Ich habe erfahren, wie bei ihr Werk und Leben zusammenhängen. Stein bemerkte früh: Ist es nicht erstrebenswerter, „gut“ als „klug“ zu sein?! Sie kommt in der schmerzvollen Zeit ihrer Dissertations-arbeit zu dem Schluss, dass es in einer eige-nen Arbeit nutzlos ist, viele Bücher zu lesen, wenn man nicht vorher selbst gründ-lich über die Sache nach-gedacht hat. Ich nehme es als eine kluge Warnung, die mich ermutigt, selbststän-dig zu denken.

Nicolas Vinot Préfontaine,freiberuflich tätig als Berater und Referent in philosophisch orientierter Bildung, lebt in Paris. Foto: Préfontaine

Edith Stein ist Na-mensgeberin einiger Bildungseinrich-tungen. Was sie als Frau und Wissenschaf-terin bewegte und möglicherweise heute bewegen würde, er-zählt die Philosophin Professor Hanna-Bar-bara Gerl-Falkovitz.

Gedanken an Familie

Frauenthemen

Sie war Wissenschafterin, Feministin und Ordensfrau

In der Bibliothek des Karmelklosters in Echt (Niederlande), wo Edith Stein zuletzt gelebt hat, wird die Doktorurkunde der Philo-sophischen Fakultät der Universität Freiburg aufbewahrt. Foto: KNA-Bild

D A S I N T E R V I E W F Ü H R T EHeike Fink

heike.f [email protected]

ZUR PERSON

Die deutsche Philosophin, Sprach- und Politikwissen-schafterin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz studierte in München und Heidelberg und promovierte 1970.Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Religi-onsphilosophie des 19. und 20. Jahrhunderts bei den Phi-losophen wie beispielsweise Hegel, Kierkegaard, Nietzsche und Husserl. Sie ist Mithe-rausgeberin der 28-bändigen Gesamtausgabe der Werke von Edith Stein. Zentrale The-men ihres Schaffens sind unter anderem Vergebung und Ver-zeihung, denen sie eines ihrer Bücher widmete.