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Aus der UniversitStsMlnik flit Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrank- heiten zu ]?;rlangen (Vorstand: Prof. Scheibe). Ein~Fall yon angeborener Taubstummheit mit negativen Befund im Mittel- und lnnenohr. Von Prof. Dr. Brock, Oberarzt der Klinik. Mit 2 Abbildungen. Als Lange das Kapitel Taubstummheit in der yon Manasse, Lange und Griinberg heransgegebenen pathologischen Anatomie des Ohres (Verlag yon Bergmann, Wiesbaden 1917) bearbeitete,.konnte er nach unseren damaligen Kenntnissen vSllig berechtigt den Satz schreiben: Das wichtigste Resultat der mikroskopischen Untersuchung zahlreicher Taubstummen-Felsenbeine war die Feststellung der Tat- sache, dab fiir die der Taubstummheit zugrunde liegenden Taubheit sich in allen F~illen die Erkl~rung in einer Erkrankung des Endorganes und des peripheren Neurons fiiiden liel3. Heute hat dieser Satz Langes seine Giiltigkeit wohl verloren. Seither sind Nimlich schon eine grSBere Anzahl Taubstummenfelsenbeine, beschrieben worden, bei denen der mikroskop!sche Befund eine befriedigende Erkt~irung fiir die im Leben beobaehtete Taubheit bzw. hoehgradige SchwerhSrigkeit nieht geben konnte. Schlittler (angeborene Taubstummheit mit negativem Befund im inneren Ohr: Z. f. O., Bd. 75) war wohl der erste, der in roller Er- kenntnis der Wicht.igkeit seinei Priiparate fiber zwei Paar Taubstt~mmen- felsenbeine berichtete, bei denen sich im inneren Ohr nur unwesentliehe, die Taubheit nicht erkl~irende Abwei~hungen yon der Norm vorfanden. Schon vorher hatte Oppikofer einen den Schlittlerschen Fiillen ~ibnlichen Fall verSffentlicht ; doch konnte Oppikoier wegen eines jetzt als Kunstprodukt erkannten merkwiirdigen Gebildes, Nimlich eines zwischen Cortischem Organ und zwischen Cortiseher Membran sich einschiebenden hyalinen Siiulchens noch nicht zu der Maren Erkenntnis Schlittlers gelangen. Oppikofer berieh- tete im 67 . Bd., Heft Iund ~ der Z. f. O., 1913 fiber drei Paar Taubstummenfelsenbeine. Im Falle 3 (Weber, Heinrich, 63 Jahre alt, yon Geburt an taub), ergab die mikroskopisehe Untersuchung des Arehiv f, Ohren-, Nasen- la. Kehlkopfheilk~tde. Bd. Io5. IO

Ein-Fall von angeborener Taubstummheit mit negativen Befund im Mittel- und Innenohr

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Page 1: Ein-Fall von angeborener Taubstummheit mit negativen Befund im Mittel- und Innenohr

Aus der UniversitStsMlnik flit Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrank- heiten zu ]?;rlangen (Vorstand: Prof. Scheibe).

Ein~Fall yon angeborener Taubstummheit mit negativen Befund im Mittel- und lnnenohr.

Von Prof. Dr. Brock, Oberarzt der Klinik.

M i t 2 A b b i l d u n g e n .

Als Lange das Kapitel Taubstummheit in der yon Manasse , Lange und Gr i inbe rg heransgegebenen pathologischen Anatomie des Ohres (Verlag yon Bergmann, Wiesbaden 1917) bearbeitete,.konnte er nach unseren damaligen Kenntnissen vSllig berechtigt den Satz schreiben: Das wichtigste Resultat der mikroskopischen Untersuchung zahlreicher Taubstummen-Felsenbeine war die Feststellung der Tat- sache, dab fiir die der Taubstummheit zugrunde liegenden Taubheit sich in a l l en F~illen die Erkl~rung in einer Erkrankung des Endorganes und des peripheren Neurons fiiiden liel3. Heute hat dieser Satz Langes seine Giiltigkeit wohl verloren. Seither sind Nimlich schon eine grSBere Anzahl Taubstummenfelsenbeine, beschrieben worden, bei denen der mikroskop!sche Befund eine befriedigende Erkt~irung fiir die im Leben beobaehtete Taubheit bzw. hoehgradige SchwerhSrigkeit nieht geben konnte. S c h l i t t l e r (angeborene Taubstummheit mit negativem Befund im inneren Ohr: Z. f. O., Bd. 75) war wohl der erste, der in roller Er- kenntnis der Wicht.igkeit seinei Priiparate fiber zwei Paar Taubstt~mmen- felsenbeine berichtete, bei denen sich im inneren Ohr nur unwesentliehe, die Taubheit nicht erkl~irende Abwei~hungen yon der Norm vorfanden. Schon vorher hatte Opp iko fe r einen den Sch l i t t l e r schen Fiillen ~ibnlichen Fall verSffentlicht ; doch konnte O p p i k o i e r wegen eines jetzt als Kunstprodukt erkannten merkwiirdigen Gebildes, Nimlich eines zwischen Cortischem Organ und zwischen Cortiseher Membran sich einschiebenden hyalinen Siiulchens noch nicht zu der Maren Erkenntnis S c h l i t t l e r s gelangen. Opp iko fe r berieh- tete im 67 . Bd., Heft I u n d ~ der Z. f. O., 1913 fiber drei Paar Taubstummenfelsenbeine. Im Falle 3 (Weber, Heinrich, 63 Jahre alt, yon Geburt an taub), ergab die mikroskopisehe Untersuchung des

Arehiv f, Ohren-, Nasen- la. Kehlkopfheilk~tde. Bd. Io5. IO

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rechten Felsenbeines folgendes: Ausiiillung der runden Fensternische mit myxomatSsem Bindegewebe ; im fibrigen Mittelohr o.B. Das Vesti- bulum mit seinem h~tutigen Inhalt zeigte normale VerNiltnisse; wenig auffallend waren auch die Ver~inderungen in der Schnecke. Die knScherne Schnecke, die Skalen, der Aquaeductus cochleae waren normal. Der Ductus cochlearis hatte normale Form" Abweichungen yon der Norm fanden sich einzig an der Stria vaseularis und am Cortischen Organ; die Stria hatte Nimlich in alien Windungen ihre embryonale Form behalten. Die VerSmderungen am Cortischen Organ bestanden darin, dab im ganzen Verlauf durch die Schnecke zwischen den inneren Stiitz- zellen und der Cortischen lVfembran sich tin hyalines, mit Eosin stark rot gef/irbtes S~iulchen einschob. Bei dem Mangel sonstiger patho- logischer Ver~inderungen muBte O p p i k o f e r schlieBlich dieses hyaline S~iulchen als Ursache der Taubheit ansprechen. DaB diesem S~iulchen diese unterschobene Eigenschaft nicht zukommt, dab es sich hierbei vielmehr um einen postmortalen Artdakt handelt, konnte S c h l i t t l e r ebenfatls in seiner oben scbon zitierten Arbeit nachweisen. S c h l i t t l e r fand Nimlich ein 5hnliches Gebilde nicht allein in seinen Taubstummen- felsenbeinen, sondern auchin einem Felsenbein eines Normalh6rendenl).

Damit ist wohl sicher bewiesen, dab diesem hyalinen S~iulchen die ihm yon O ppikof er stupponierte Eigensc haft eines Sperrmechanis- mus nicht zukommen kann. lVfit dem Wegfall dieses Sperrmechanismus l~il3t der mikr0skopische Befund jegliche ErklSrung der Taubheit vermissen.

Auch die beiden Sch l i t t l e r scben Fiille seien hier kurz reteriert: S c h l i t t l e r , Fall i, Andregg, Karl, 28 Jahre att, yon Geburt an taub (Vokal- und Wortgeh6r vorhanden).schwach begabt, auch motorisch schwaeb veranlagt ; eine Schwester ebenfalls taubstumm. Mikroskopischer Befund des Mittel- und Innenohres. Im 1Kittelohr: Verengerung beider kn6chernen Fensternischen; bindege~,ebige Fixation des hinteren Steig- biigelschenkels an dem auf beiden Seiten offenen Fazialiskanal; Lipom in der verengten runden Fensternische. Im inneren Ohr nur wenige Veriinderungen: Atypisches Aussehen des Co rtischen Organs insofern als zwischeli diesem nnd der plumpen Cortischen Membran eine senk- reeht gestellte hyaline Zwischenschicht sich einschiebt; im tibrigen o.B. Fall 2. Sch., A., 49 Jahre alt, yon Geburt an schw~chhch und voll- st~indig taub; in der Familie sonst kein Fall yon Taubstummheit. M.i- kroskopischer Befulid beiderseits: Im Mittelohr eine Verengerung der ovalen Fensternische durch den stark vorspringenden, nur bindegewebig

1) Neue rd i ngs i s t e in ~hnl iches S/ iulchen zwischen C o r t i s c h e m Organ u n d C o r t i -

scher M e m b r a n a u c h VOlt O t t o M a y e r in e m e m Fal l yon k re t in i scher T a u b s t u m m h e i t (Kl in i sche Beitriige zur O tuenhe i lkunde , Fes t schr i f t fiir U r b a n t s c h i t s c h x919) be- schr ieben worden .

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verschlossenen Fazialiskanal; Fixation des Steigbiigelk6pfchens an den Fazialiswulst; Lipom in clef ebenfalls s ta rk verengten nmden-Fenster- nische; Knorpelherd im Rahmen des ovalen Fensters. Im mneren Ohr hyalines S~ulchen zwischen Sulcus spiralis internus und Cort ischer Membran. Atrophie des Ganglions in der Basalwindung; sonst keine wesentlichen Ver~inderungen.

Diesen drei ausfiihrlich beschriebenen Fgllen scSlieBen sich eine ganze Reihe anderer an, fiber die Nagel anl~il31ich der Versammlung schweizerischer I-tals-Ohren~rzte am 26. Mai 1918 bericntet hat. Bisher tiegt hieriiber allerdings nur daskurze Referat S c h l i t t l e r s (Z. f. O., K. 4, Bd. 77)Vor. Alle Nagerschen F~ille zeigten VerSnderungen am Mittel- ohr: Verengerung der Fensternischen, Adhiision des Steigbiigels am Promontorium, die meisten dagegen im inneren Ohr nut unwesentliche Abweichungen yon der Norm, sodaB auch hier die Erkliirung der Taub- heit allein aus den im Mittel- und Innenohr gefundenen Veriinderungen auf Schwierigkeiten st6Bt. Die Nagerschen F~ille gleichen, was den mikroskopischen Befund anlangt, ganz und gar den Sch l i t t l e r s chen ; sie alle sind dem Typus S i e b e n m a n n der angeborenen Taubstumm- heit zuzurechnen. Verengerung der Fensternischen, AdNision des Steigbiigels usw. sind die charakteristfschen Symptome fiir endemische Taubstummheit bzw. Schwerh6rigkeit; jedoch k6nnen diese Ver~inde- rungen nach Nager. nicht das einzige zugrunde liegende anatomische Substrat bilden; denn zur ErMSrung der Taubheit bzw. hochgradigen Schwerh6rigkeit sind die Mittelohrveriinderungen in keinel Weise ausreichend. Die H6rst6rung kann deshalb nach Nage r auch nicht eine ausschlieBliche Erkrankung des peripheren Geh6rorgans sein, sondern ist vielleicht zum gr6Bten Teil verursacht dur.ch eine Erkrankung des Zentralorganes; oder es miil3ten, wie S c h l i t t l e r meint, im fixierten Pr~iparat vielleicht nicht mehr nachweisbare Ver~inder.ungen in der feineren Struktur der Sinneszellen ffir die Taubheit verantwortlich gemacht werden. DaB unm6glich die MittclohrverSnderungen.die Ursache der TaubheK bzw. Schwerh6rigkeit sein k6nnen, geht auch daraus hervor, <lab N ager im Besitz zweier Serien yon Felsenbeinen tauber bzw. sb~hwer- hSriger Kretins ist, bei denen auch die Mittelohr'cer~inderungen fehlen.

Diesen F~illen, die demnach alle das gemeinsam haben, dab die mikroskopische Untersuchung des peripheren Organes Anfsclflug fiber die Ursache der Taubheit nicht hat erbringen k6nnen, bin ich in der La.ge, einen weiteren Fall anzufiigen. Das betreffende Pr~iparat ist schon seit Jahren in unserem Besitz. DaB.ich erst je~zt dazu komme, iiber den Fall zu berichten, ist begrtindet in den geschichtlichen Ereig- nissen der letzten Jahre.

.Bauriedel, Babette, 64 Jahre alt, Handsehuhn~therin aus Erlangen, ge- storben am 28. VIL 1911 in der hiesigen Med. Klinik..Sektion am gMehen-

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Tage ungef~hr 5 Stunden post mortem. Klinische Diagnose: An~imie. Leichen- diagnose:. Hochgradige allgemeine AnS.mie; diffuse fettige Degeneration des Herzens; Lungen6dem; rechtsseitige Spitzennarbe Kollapsatelektase der Unter- lappen; Koltoidstruma; multiple Leberzysten Pigmentleber; leichter Milz- tumor; hS.morrhagische fibrin6se Pachymeningitis interna der Basis und der Konvexit~t; Leptomeningitis haemorrhagica serosa; Hydrocephalus externus et internus; 0dem und An~imie des Gehirns.

Uber die Patientin gelang es mir yon Verwandten folgendes zu erfahren: Patientin. war ein lediges Kind, wurde in friihester Jugend mit Mohntee ge- ftittert; auf die Wirkung dieses Tees wird yon den Verwandten der eigen- artige Charakter der Frau zurfickgefghrt. Sic war sehr eigensinnig, mifl, trauisch und streitsiiehtig; es war schlecht mit ihr auszukommen 4yon ~ugend auf bestand ein grot3er Kropf. B16d war Patientin abet durchaus nicht. Schule hatte sic nieht besucht; Sie konnte weder lesen noch schreiben; die Sprache war kaum verst~ndlich; nur ihre nlichsten AngehSrigen konnten sich mit ihr einigermaflen verstiindlich machen. Musik, TSne und GerS.usche hat sie angeblich nicht geh0rt; sic war naeh Ansieht ihrer Verwandten stocktaub, Patientin erlernte das Handschuhn~hen und hat sich bis zu ihrem Tode selbst ern~hrt.

Eine funktionelle Untersuehung hatte nicht stattgefunden; kurz vor dem Tode konnte" bei der sehwerkranken Frau nur noch die kalorische Reaktion geprtift werden; dieselbe war normal; ebenso der Trf.-Befund.

Mikroskopischer Befund: Aufleres und Mittelohr: Geh6rgang yon nor- maler Weite und normalem Aussehen. Trf. normal, nicht verdickt. Stratum mucosum zum Teil von dtinnem Serum bedeckt; das Serum vNlig zellfrei. Binnenmuskeln unverS~ndert. Schleimhaut der Paukenh6hle leicht verdickt, 6demat6s, serOs durehtr~inkt;. Geffii3e stark erweitert; aber nirgends eine klein- zellige Infiltration nachweisbar. KnScherne Eustachische R6hIe ebenfalls vorl Serum mehr oder weniger ausgefOllt; auch hier Sehleimhaut ser6s durchtr~nkt, abet nirgends entztindlich veriindert. Karotis sehr hoch stehend, teilweise dieht der unteren und medialen Wand der Eustacm~chen R6hre anliegend. Fensternischen nicht verengt; Promontorium nicht verdiekt. SteigbOgeldurch einige zarte Bindegewebsstr~inge mit dem Promontorium verbunden. Beide Nisehen yon dem sehon genannten Serum ausgeffillt; kleine Fazialisdehiszenz. Geh6rkn6chelchen notmal, Gelenkverbindung regelrecht.

Inheres Ohr: Utricutus gestaltlieh unver~ndert; keine Vermehrung des perilymphatischen Gewebes; Maeula utriculi normal dick; das NeuroepitheI zeigt die tibliehe postmortale Ltickenbildung; die Streifenzone ist undeutlich; die Otokonia erhalten, nach oben begrenzt von einer durch H~matoxylin stark blau gefgrbten homogenen Membran, die keine Kerne erkennen I~t]t. Alle drei Cristen zeigen normalen Bau und abgesehen yon der Ltickenbildung im Epithel normales Aussehen. Die Kupula fehlt. Die Nervenkaniilchen sind mit Fasern gut geftillt; die Osmierung der Fasern ist gut: eine Lichtung hat nicht stattgefunden. Der A quaeductus vestibuli ist normal; ebensoder Saeeus endolymphaticus. Der Sacculus ist nieht ektasiert; tiber das Neuroepithel 1~is sich nicht~ absolut sicheres aussagen; es ist stark aufgelockert; eine Atrophie scheint nieht zu bestehen; der Ramus saccularis ist yon normaler St~rke, die Nerverifasern yon normMem Aussehen. Der Duetus reuniens ist oifen.

Die Form der knSchernen Schneeke ist normal. In der Labyrinthkapsel zahlreiche Interglobularraume. Nach vorne und oben vom ovalen Fenster, da wo 6frets gr6Bere persistierende Knorpelherde sieh haben feststellen lassen,

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finder sich e inde r Gr/5t3e dieser Knorpelherde entsprechendes Knochenstiick, das sich dureh Seine Farbe von der Umgebung scharf abhebt. Wghrend der umgebende Labyrinthknochen bei der gevcShnlichen H~matoxylin-Eosinf/~rbung sich seh6n blau gef~rbt hat, ist dieses Knochensttick leuehtend rot gef~trbt; dieses Knochensttick ist fast allseitig umgeben von einer schmalen Knorpel- ~onei nur an der unteren Peripherie grenzt es direkt an Knochen; doch ist auch bier die Grenze sehr scharf.

Der Akustikusstamm ist makroskopiseh nicht versehm~lert; der Nerv ist in seinem zentralen Abschnitt durchsetzt von zahlreichen blaugef~/rbten kleinen Ktigelchen. Der Gehalt an Bindegewebe ist nieht vermehrt; die Fasern sind gut osmiert; Segmentierung derselben .ist wohl naehweisbar, doch nicht in besonders auffallendem Mas Die Arteria auditiva interna und ihre~_ste sind normal dick.. Der Canalis singularis ist yon semem Nervenast vollstS~ndig aus- geftillt. Das Ganglion Scarpae ist von normaler St~rke; die Nervenzellen sind gut erhalten, fast nieht geschrumpft, zeigen einen Sch6nen blS~schenf6rmigen Kern mit deutliehem Kernk6rperehen. Die Nervenkan~lchen im Modiolus sind alle gut geftillt und die Fasern gut osmiert; nirgends ist eine merkliche Redu- zierung der Fasern zu konstatieren. Das Ganglion spirale ist im allgdmeinen yon normaler StSxke; allein im Vorhofsabschnitt ist eine geringe Lichtung feststellbar: Die einzelnen Zellen des Spiralganglions sind viel weniger gut erhalten als diejenigen des Ganglion Scarpae; sic sind zum Teil stark geschrumpft und auch ihre Tingierbarkeit hat gelitten. Der Modiolus ist normal entwickelt. Die Lamina spiralis ossea 1st im allgemeinen ;con Nervenfasern gut ausgefallt; nur im Vor- hofsabsehnitt ist eme leichte Verminderung festzustelle, ; nur hier ist der Raum zwischen den KnochenblS.ttchen yon Nervenfasern nicht Vollstfindig ausge- ftillt. Die Basilarmembran zeigt in der ersten und zweiten Windung keine Abweichung yon der Norm; in der dritten Windung ist sie auf die kn6cher~ae Zwi,;chenwand herabgesunken und liegt derselben sctieinbar fest an. Die tym- panale Belagschicht fehlt in einem Abschnitt der ersten Windung; sonst ist :sic normal. Limbus o. B., ebenso Prominentia spiralis; nur ist das Vas pro- minens nieht fiberall gleich deutlich" erkennbar. Die Stria vaseularis ftillt den ihr zhkommer/den Raum besonders in den oberen Windungen nicht vOllig aus; eine Atrophic besteht aber sonst nieht; im Gegenteil, die Stria erscheint dicker als normal; hat an ihrem oberen Ende oft Andeutung-von Kugelform; sic enth~lt reiehlich Pigment. Das Ligamentum spinale enth~lt in allen Win- dungen gr513ere und kleinere MaschenrXume.

Der Ductus chochlearis ist in allen Windungen infalge Senkung der Re it3 r~ e r- schen Membran verkleinert; meist liegt die Rei13nersche Membran der Stria auf eine gr613ere Strecke hin an, hebt sieh dann ab, um sieh im weiteren Verlaui mit der Cor t isehen Membran der Papilla anzulegen. Nur in einem Teil der evsten Windung zieht sic i'm Bogen i~ber das Cort ische Organ weg; ihr Ansatz is{ normal.

Das Cort isehe Organ ist ausgenommen vom VorhofsabSchnitt als normM zfi bezeichgen. W~ihrend es in der ersten, zweiten und Kuppelwindung eine betr~Lehtliehe HOhe aufweist, bildet es im Vorhofsabsehnitt nur einen fl/~chen, lest geftigten, s t a rk gef~trbten Zellhtigel, indem sieh einzelne Zellen nicht mehr abgrenzen lassen; gerade dab noch die Pfeilerzellen als solche zu,erkennen :sind. Ganz normale H6he erreieht jedoch das Cort ische Organ auch in den tibrigen Labyrinthabschnitten nicht. Durch die fast tiberall anliegende Cor tische und Re igne r sche Membran ist es etwas zusammengedrtickt. Die Sinnes- zellen sind nirgends ganz deutlieh. W~thrend sich die Pfeilerzellen, die' D e i t e r -

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schen und Hensensehen Zellen (ausgenommen im Vorhofsabsehnitt) gut ab- grenzen lassen, erkennt man die Sinneszellen zumeist nur mehr als 7-ell- triimmer; H6rhaare sind nur auf wenigen Schnitten deutlieh zu sehen. Dem Cortischen Organ liegt auf allen Sehnitten eine Anzahl. Plasmakugeln auf.

Die Cortische Membran ist im Anfangsteil der ersten Windung abge- rissen, nach oben geschlagen und liegt der Reignerschen Membran an. Au~: in den Schnitten, wo sie nicht abgerissen ist, zeigt sie dieses Verhalteni in der zweiten H~tlfte der ersten Windung ist die Membran kurz und dick und in den Sulcus spiralis internus herabgeschlagen; in allen iibrigen Abschnitten ist sie verl~ngert, verschm~lert und liegt zusammen mi~ der Reit3nerschen Membran dem Cortischen Organ lest auf.

Die Zellen des Suleus spiralis internus sind flaeh, diejenigen des Sulcus spiralis externus normal hoch und gut gefS.rbt.

"Die Sehnecke enth~lt reiehlich Pigment. Der Fazialis ist normal.

Z u s a m m e n f a s s u n g des Bdundes im r e c h t e n Ohr: Mittelohr- riiume inkl. Fensternischen mehr oder weniger ausgeftillt yon einem zetllosen Serum wie bei TubenabschluB. Schleimhaut des Mittel- ohres leicht verdickt, ser6s durchtriinkt, aber ohne Meinzellige Infil- tration. Verbindung des Steigbfigels durch zarte t3indegewebsstringe mit der Paukenh6hlenschleimhaut. Kleine Fazialisdehiszenz. Durch seine Farbe abgrenzbarer Knochenherd' nach vorne und oben yon der ovalen Fensternische. Im Innenohr Atrophie des Cor t i schen Organs, der dazu geh6renden Nervenfasern in der Lamina spiralis ossea und der entsprechenden Ganglienzellen im Bereiche des Vorhofsabschnittes. Senkung der Rei l3nerschen Membran, Verkiirzung und Verlingerung der Cor t i schen Membran und fiber einen gloBen Labyrinthabsehnit t bin Aufliegen der R e i B n e r s c h e n und Cor t i schen Membran auf tier Papilla basilaris. Senkung der Basilarmembran auf die kn6Cherne Zwisehenschicht in del Kuppelwindung. Ausfall bzw. Zerfall der Sinn~- zellen im Cor t i schen Organ; end!ich Verkiirzung und Verdickung tier Stria in den oberen Windungen.

L inks . ~_11Beres und mittleres Ohr: Geh6rgang o. Bi Trf. yon normaler Dicke und W61bung; Paukenh6hle v611ig leer; Schleimhaut nicht verdickt, v611ig reizlos; Binnenmuskeln unveriindert; Nisehen nicht verengt; runde Fenstermembran pankenh6hlenw~irts leicht vor.- gew61bt; Ligamentum annulare normal;. Steigbiigelschenkel durch einige zarte Bindegewebsstriinge mit der Promontorialschleimhaut verbunden; Geh6IknSchelchen und deren gelenkige Verbindung o. B. Kleine Dehiszenz im Fazialiskanal: Eustachische R6hre .yon eine'm Schleimpfropf ausgefiillt, im iibrigen normal.

I n n e r e s Ohr : Pars superior; Topographie normal, Neuroepithel der Nacula utriculi zeigt die typische~ postmortale Lfickenbildung; die Otokonia ist z~sammengesintert; an Stelle der Otokonia liegt dem Epithel eine dichte, dunkel gef~irbte homogene Schicht auf. Die Nerven- fasern innerhalb der Makula und innerhalb der zuffihrenden Nerven-

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kan,~lchen sind nicht reduziert und gut osmiert. Die Cristen erscheinen verschm~ilert; aucti bier ist das Epithel zusammengesintert ; die Kupula fehlt. Die zuftihrenden Nervenfasern sind yon normaler St~irke und zeigen gute F~rbung. Der Aquaeductus vestibuli ist normal; ebenso der Saccus endolymphaticus.

Abb. I . Schnitt durch die Kuppelwindung ]R. Verlagerung der Membrana basi- laris auf. die kn6eherne Zwischenschicht. Koilaps der iqeignerschen Nembran.

Pars inferior: Der Sakkulus ist nicht ektasiert; das Epithel ist postmortal aufgelockert; auf demselben zahlre{che Plasmakugeln. RaIImS saccularis normal. Duefus reuniens often.

Labyrinthkapsel gestaltlich unver~indert; in der Labyrinthkapsel zahlreic3ae InterglobularrSume; an der gleichen'jStelle wie rectits im

Abb. 2. Schnit• durch d i e 2. Windung L, Senkungider ReiBnerschen Membran. Cortische Membran verkiirzt, verdici~*. C. Organ zusammengedriickt.

ovalen Fensterrahmen ein dutch seine Farbe yon der Umgebung sich abhebendes Kndchenstiiek; an demselben sind die gleiehen u rungen zu konstatieren wie reehts.

Der Nervenstamm ist nicht verschnfiilert; in demselben vielleicht

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eine geringe Bindegewebsvermehrung; im tibrigen ist der Befund der gleiche wie rechts. Die Nervenfasern sind gut osmiert, kanm segmentiert. Arteria auditiva interna normal. Im Canalis singularis ein Blute~guB; Nerv ftillt den Kanal nicht vollst~ndig aus; doch sind auch hier die ein- zelnen Fasern gut osmiert.

Ganglion spirale: Reduktion nut im Vorhofsabschnitt; im tibrigen Zahl der Oanglienzellen nicht vermindert. Die einzelnen Zellen selbst sind ganz verschieden erhalten; neben stark geschrumpften auch solche, die ihre Hiille gut ausfiillen.

Nervenfasern nur in der Lamina spiralis ossea des Vorhofsabschnittes deutlich reduziert, sonst normal. Keine besonders in die Augen springende Segmentierung.

Basilarmembran in allen Windungen gestreckt; Belegschicht vor- handen; in den oberen Windungen etwas verschm~ilert. In der Kttppelwindnng Senkung der Basilarmembran auf die knScherne Zwisehenschieht. Limbus o. B. Prominentia spiralis iiberall vor, handen.

Vas~ prominens nicht iiberalt gut sichtbar. Stria vascularis: Im Vorhofsabschnitt und in der ersten Windung

normal, nur reichlich Pigment enthaltend; in der zweiten Windung verktirzt nnd verdickt und am oberen Ende kolbig aufgetrieben.

Ligamentum spirale: Locker gebaut mit groBen Maschenr~tnmen. Duetus cochlearis: Infolge Senktmg der ReiBnerschen Membran

in allen Windungen verengt; in einem Teit der ersten Windung infolge EinreiBens der ReiBnerschen Membran fehlend. Im Vorhofsabschnitt legt sich die Reignersche Membran der Crista spiralis an, zieht yon dort tiber den Sulcus spiralis internus zum Cortischen Organ, yon bier tiber den Sulcus spirolis externus zur Prominentia spiralis und Verl~iuft dann der Stria sich eng anschmiegend zu ihrer Ansatzstelle. Am Uber- gang yon der ersten zur zweiten Windung verliiuft sie yon der Crista spiralis aus gestreckt zu ihrer Ansatzstelle.

Cortische Membran: Fehlt im Vorhofsabschnitt und in der ersten H~ilfte der ersten Windung; in den tibrigen Windungei~ ist sJe verlSngert, verschm:,ilert und liegt zumeist mit der Reignerschen Membran dem Cortischen Organ auf, in der zweiten Windung ist sie auf eine kurze Strecke bin- verdickt verktirzt.

C or t i sches Organ: Fehlt in den ersteI1 Schnitten durch den Vorhofs- abschnitt vollstSndig; aber schon" nach wenigen. Schnitten zeigt sich ein niedriger Zellh6cker aus niedrigen Zellen bestehend, an denen eine Differenzierung allerdings unm6glich ist; auch die Pfeilerzellen sind nieht erkennbar. Rasch wird dieser Zetlenh6cker h6Iaer; bald werden auch die Pfeilerzellen deutlich; doch erreicht das Cortische Organ niemals die H6he des rechten. Am besten erhalten istes im Anfangsteil

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Ein Fall yon angeborener Taubstummheit usw.

der zweiten Windung; doch erreicht es auch hier nicht HShe. Haarzellen und H6rhaare sind nirgends deutlich. kugeln fehlen.

Zellen des Sulcus spiralis internus und externus o. 13. -Die Schnecke enth~lt reichlich Pigment ; Aquaeductus cochleae wie

rechts. Fazialis n o r m a l . Z u s a m m e n f a s s u n g : Mittelohr normal. In der ovalen Fenster -

nische einige zarte Bindegewebsstr~nge, die den Steigbiigel mit der Promontor ia l sch le imhaut ve rb inden ; im ovalen Fens te r rahmen ein ab- gt enzbarer Knochenherd .

I m Innenohr nu t unbedeu tende Ver~inderungen: Atrophie des Gangl ior /sp i ra le , der zugeh6renden Nervenfasern und des zugeh6renden C o r t i s c h e n Organes nut im B e r e i c l i d e s V o r h o f a b s c h n i t t e s . Senkung der R e i f l n e r s c h e n Membran, Verklebung derselben zusammen mi t der C o t t i scben Membr an mi t dem abgeflachten Co r t ischen Organ; teilweises Fehlen der C o r t i s c h e n Membran. Fehlen bzw. Zerfall der Sinneszellen im C o r t i s c h e n Organ. Verdickung und kolbige Aut- t r e ibung der Stria besonders in den oberen Windungen ; Hydrop i sche Degc nerat ion des L i g a m e n t u m spirale. Leichte Vermehrung des Binde- ge~cebsgehaltes im Nervens tamm.

E p i k r i s e : Die Frage, die bei jeder mikroskopischen Untersuchung eines menschlichen h~utigen Labyrinthes die gr6Bten Schwierigkeiten bietet und des- halb auch immer Wieder unserer grSt3ten Aufmerksamkeit u nd sorgf~ltigsten kritisehen Beurteilung bedarf, ist die, welche der uns das Mikroskop zeigenden Abweichungen von der Norm sind intra vitam entstanden, und welche sind die Folgen kadaverSser Einfliisse oder Folgen unserer .doch immer noch recht rohen und mangelh~ften Technik; mit anderen Wortei1 und kiirzer ausgedriickt, was is~ p athologisch, und was ist postmortaler Artefakt.

Wenn wir unter diesen Gesichtspunkten die in unserem Fall gefundenen Labyrinthvefiinderungen betrachten, so sind die Senkung der Reignersehen Membran, die Verklebung derselben zusammen mit der Cort ischen Membran mit der Papilla basilaris, die Schrumpfung bzw. Verl~ngerung der Cortischen Membran, der Zerfall bzw. Ausfall der Sinneszellen im Cort ischen Organ nach unseren jetzigen Kenntnissen und Erfahrungen als postmortale Ver- ~nderungen aufzufassen; denselben kommt demnaeh bei Beurteilung des Falles keine Bedeutung zu. Zweifelhaft bezfiglieh seiner Verwertung ist der Befund an der Basilarmembran in der Kuppelwindung. Ob der Senktmg derMembrana basilaris auf die kn/Scherne Zwischenschicht eine Bedeutung zukommt, ob die- selbe, so wie sie uns jetzt das Mikroskop zeigt, schon im Leben vorhanden gewesen ist, wl G wodurch evtl. sie entstanden seir~ k6nnte, vermag ich nicht zu entscheiden. Beschrieben ist eine solche Se.nkung schon mehrfach und zwar gerade auch bei Taubstummenfelsenbeinen. Uber Bedeutung und Bewertung des Befundes hat sich aber keiner der Autoren ausgesprochen.

An der Grenze zwischen Normalem und Pathologischem steht die Ver- kfirzung.und Verdickung der Stria. Es tiandelt hierbei wohl um ein Stehen- bleiben auf einer gewissen Entwicklungsstufe. Von Bedeutung beziiglich der FunkCionstfichtigkeit des inneren Ohres ist aber dieser Befund sicherlich nicht.

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normale Plasma-

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Als sichere pathologische VerSmderungen bleiben demnach nur noeh die Atrophie des Cortischen Orgaries, der dazugeh6renden Nervenfasern und Ganglienzellen im Bereich des Vorhofsabschnittes.

Hierzu kommen noch die geringftigigen pathologischen Ver~Lnderungen im Mittelohr: Rechts Serumansammlung in der Paukenh6hle verbunden mit ser~Sser DurehtrS~nkung der Schleimhaut und lockere bindegewebige Fixierung des Steigbtigels mit der Promontorialschleimhaut; letzterer Befund links gleich rechts.

Daft die genannten Mittelohr- un~d Labyrinthver~nderungen unm6glich die im Leben beobachtete Taubheit zu erklgren verm6gen, ist ohne weiteres Mar und bedarf wohl keiner weiteren Begrtindung. Es wird also n6tig sein, naeh einer anderen ErklSzungsm6glichkeit Umschau zu halten. Zweierlei M6glichkeiten sind gegeben. Entweder man kann mit S c h l i t t l e r annehmen, dab for die Taubheit Ver~nderungen in der feineren Struktur der einzelnen Sinneszellen, die das Mikroskop Oberhaupt nicht erkennen l~i3t, oder die sich evtl. unter der kadaver6sen Seh~idigung der Zellen verstecken, verantwortlieh zu maehen sind, oder aber es handelt sich t~berhaupt nicht um eine Erkrankung- des peripheren Sinnesorganes bzw. Neurons, sondern um eine solche des Zen- tralorganes (Nager). Weleher yon diesen beiden M6gliehkei-ten die gr6t3ere Wahrseheinliehkeit zuzuerkennen ist, kann zurzeit noeh nicht beurteilt werden. Bevor man an die Beantwortung dieser Frage herangehen kann, ist es notwendig, daft neben der Untersuehung des peripheren Organes aueh die zentralen HSr- bahnen mikroskopisch genau durchforseht werden.

Bisher ist diese Forderung noch nicht erft~llt; nur in wenigen FS.11en voi~ TaubStummheit tiberhaupt sing bisher auch die zentralen H6rbahnen unter- sueht worden. Aueh bei O p p i k o f e r , S c h l i t t l e r und Nager tehlt der genaue Hirnbefund. Aueh mir war es leider nicht m6glieh, das Gehirn mikroskopiseb untersuchen zu kSnnen. In Zut~unft wird es n~itig sein, bei alien FS~llen yen angeborener Taubstummheit sieh das Gehirn zu sichern. Den Histologen unter den OhrenS~rzten ist damit ein weites, schwieriges, aber auch sieher sehr interes~ santes Forsehungsgebiet gezeigt.

Unser Fall hat wie sehon des 6fteren hervorgehoben, die gr6t3te Ahnlich- keit mit den Fallen yon O p p i k o f e r , S c h l i t t l e r und Nager : er unterscheidet sieh yon den S c h l i t t l e r - und Nagerschen aber durch das Fehlen der Mittel- ohrverS.nderungen. Die F~lle yon S c h l i t t l e r und Nager bieten den f~r en- demische Sehwerh6rigkeit bzw. Taubheit charakterlstisehen Mittelohrbefund. Se 'h l i t t l e r hat deshalb seine beiden F~lle, obwohl seinen Patienten k6rper- liehe Zeiehen yon Kretinismus gefehlt haben, dieser Kategorie zugezS.hlt und spricht yon kretinoiden Veranderungen. Die Prgparate N a g e r s stammen mit einer einzigen Ausnahme yon Dementen und Zeichen vort Kretinismus bietenden Individuen, gehOren also ohne weiteres zur endemiseher. Taubstummheit.

Das Oppikofersche PrS~parat dagegen stammt von einem intelligenten brauehbaren, hereditS~r nieht belasteten Mann, der in seinem K6rperbau jeg- lieheZeiehen yon Kretimsmus vermissen liet3; er hatte keine Struma. Das Mittelohr war abgesehen yon der Ausftillung der runden Fensternische mit" myxomatiJsem Fettgewebe normal. Aueh unsere Patientin bot keinerlei k~Srper, liehe Zeiehen des Kritinismus; sle war durchaus nieht bl6de; sondern wurde yon ihren Verwandten als intelligente Person bezeichnet. Ft~r die Riehtigkeit dieser Angaben sprieht die Tatsaehe, dab sieh die Frau bis zu ihrem Tode ohne fremde Hilfe durehs Leben gebracht hat.

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Ein Fall von angeborener T a u b s t u m m h e i t USWo I45

Die Paukenh6hle unseres Fatles zeigt normalc Form und Gr6t3e; eine Verdickung des Promontoriums usw. besteht nicht. Der Fall Oppikofers und der unsrige stehen sich demnach, sowohl was den klinischen als auch was den histologischcn Befund anlangt, am n~ehsten. Es fragt sic h nun, ist der Fall Oppikofers und der unsrige trotz ides Mangels vor~ k6rperlichen Zeichen yon Kretinismus und trotz des Fehlens der typischen Mittelohrver~nderungen. nicht doch vielleicht auch der endemischen Taubstummheit zuzuz~hlen? Wie aus dem kurzen Bericht Seh l i t t l e r s tiber den Nagerschen Demonstratlons- vortrag hervorgeht, ist Nager im Besitze zweier Serien yon Felsenbeinen, die yon ausgesprochenen Krctins staromen, und die trotzdem jegliche Ver~tnde- rungen im Mittel- un"d Innenrohr vermissen lassen. Wenn dcmnach einerseits bei sicher krctin/Sser bzw. endemiseher Taubstummheit die typischen Mittel- ohrverfmderungcn fehlen k6nnen, so darf man andererseits F~lle ~r ange- borener Taubstummheit , bei dencn jegliche k6rpcrliche Zeichen yon Kretinis- mus fehlen, bei denen auch das Mittelohr normale Verh~ltnisse aufweist, der Labyrinthbefund aber den Fitllen yon endemischer Taubstummheit entspricht: vielleicht doch auch dieser Gruppe zuziihlcn. Nur auf Grund dieser l~berle- gung miSchte ich unscren und Oppikofers Fall, vorl~ufig wenigstens, der endemischen Taubstummheit zugez~ihlt wissen.

Literatur. Siebenmann: Grundztige der Anatomic und Pathogenesc der Taubstumm-

heir. Wiesbaden , Bergmann, 19o41 E. Oppikofcr : Dre! Paar Taubstummcnfelsenheinc. Z. 5. 0., 67. Bd. , H. I/2. Manasse: Handbuch der pathologischen Anatomic des Ohres. Wiesbaden,

Bergmann, 1917. E. Sch l i t t l e r : Angeborene Taubstummheit mit negativem Bcfund im inneren

Ohr. Z. f.ko., 75-Bd.