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Klassifikation Zur Durchsetzung einer international gültigen Termino- logie für die Klassifikation angeborener Skelettfehlbil- dungen musste die nordamerikanische Nomenklatur mit der in Europa üblichen und wesentlich aus dem deutschen Sprachraum stammenden Namensgebung in Einklang gebracht werden. Der in den USA und angel- sächsischen Ländern geprägte Sprachgebrauch geht auf das Nomenklatursystem von Frantz/ORahilly [11] zu- rück, deren System sich nicht mit den im deutschen Sprachgebrauch Anfang der 60er-Jahre des letzten Jahr- hunderts (Thalidomid-Katastrophe) üblichen Benen- nungen vereinbaren ließ. Viele Kunstworte, deren grie- chischer und lateinischer Phänotypus zunächst dem Ka- non medizinischer Begriffserfindungen entsprach, führ- ten wegen jeweils eigentümlicher Eigenbedeutungen eher zu einer Verwirrung der Begrifflichkeiten als zu einer klaren und in andere Sprachen übersetzbaren Ter- minologie. Man entschließt sich, traditionelle, aber ver- wirrend genutzte Termini dies- und jenseits des Atlan- tiks zu streichen und durch einfache und präzisere Be- schreibungen zu ersetzen. Beispiele hierfür sind: Amelie (transversale Fehlbildung: komplettes Fehlen einer gesamten Extremität), Peromelie (transversale Fehlbildung: amputations- ähnliches Fehlen von längeren und kürzeren Extre- mitätenteilen), Ektromelie (longitudinale Fehlbildung: Fehlen eines Knochenpartners doppelknöchiger Extremitäten, z.B. Unterarm, Unterschenkel), Hemimelie (transversale Fehlbildung: amputations- ähnliches vollständiges oder partielles Fehlen der Extremität), Meromelie (longitudinale Fehlbildung: entspricht dem Begriff Ektromelie), Phokomelie (longitudinale Fehlbildung: Robben- ärmigkeit/-füßigkeit: Fehlen eines gesamten nicht- endständigen Extremitätenteils). Alle Extremitätenfehlbildungen werden dementspre- chend nach den Vorschlägen der International Society for Prosthetics and Orthotics (ISPO) in 2 Gruppen unter- teilt [15]: transversale Fehlbildungen, longitudinale Fehlbildungen. Angeborene skelettale Fehlbildungen in der Kinderorthopädie J. Matussek, G. Heers, R. Hofbauer, J. Grifka Orthopädische Klinik für die Universität Regensburg, Asklepios Klinikum Bad Abbach Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 5 ê 2010 ê 403 428 ê DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0030-1255972 ê VNR 2760512010047431454 Unter dem Begriff der Fehlbildungen sind angeborene Defekte von Differenzierung, Länge und Volumen von Skelettabschnitten an den Extremitäten und der Wirbel- säule einzuordnen, die im Allgemeinen, mehr oder weni- ger ausgeprägt, einen Körperabschnitt befallen und be- reits zum Zeitpunkt der Geburt feststellbar sind. Sie sind meist nicht Ursache genetischer Prozesse, sondern kön- nen gelegentlich auf infektiöse, hypoxische, toxische, medikamentöse oder hormonelle Faktoren, die in wichti- gen Phasen der Entwicklung des Bewegungssystems auf den Embryo und Fetus einwirken, zurückgeführt werden. Diesen gegenüber zeichnen sich die angeborenen Sys- temerkrankungen des Skeletts durch eine breite Ausdeh- nung von angeborenen Veränderungen am ganzen Ske- lettsystem aus, wobei es sich dabei nicht nur um Fehl- entwicklungen der Form und Größe im Einzelnen handelt, sondern auch um Veränderungen der Knochenstruktur und Körpergröße, teilweise in Kombination mit anderen Organ- und Stoffwechselerkrankungen. Häufig ist ein hereditärer Charakter erkennbar. Systemerkrankungen können im Skelettsystem mit Fehlbildungen, wie sie bei den regionalen Defekten auftreten, kombiniert sein. Die vorliegende Darstellung beschränkt sich auf die angeborenen skelettalen Extremitätenfehlbildungen. 403 Angeborene skelettale Fehlbildungen in der Kinderorthopädie Heruntergeladen von: Thieme Verlagsgruppe. Urheberrechtlich geschützt.

Angeborene skelettale Fehlbildungen in der … Zur Durchsetzung einer international gültigenTermino-logie für die Klassifikation angeborener Skelettfehlbil-dungen musste die nordamerikanische

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Klassifikation

Zur Durchsetzung einer international gültigen Termino-logie für die Klassifikation angeborener Skelettfehlbil-dungen musste die nordamerikanische Nomenklaturmit der in Europa üblichen und wesentlich aus demdeutschen Sprachraum stammenden Namensgebung inEinklang gebracht werden. Der in den USA und angel-sächsischen Ländern geprägte Sprachgebrauch geht aufdas Nomenklatursystem von Frantz/O’Rahilly [11] zu-rück, deren System sich nicht mit den im deutschenSprachgebrauch Anfang der 60er-Jahre des letzten Jahr-hunderts (Thalidomid-Katastrophe) üblichen Benen-nungen vereinbaren ließ. Viele Kunstworte, deren grie-chischer und lateinischer Phänotypus zunächst dem Ka-non medizinischer Begriffserfindungen entsprach, führ-ten wegen jeweils eigentümlicher Eigenbedeutungeneher zu einer Verwirrung der Begrifflichkeiten als zueiner klaren und in andere Sprachen übersetzbaren Ter-minologie. Man entschließt sich, traditionelle, aber ver-wirrend genutzte Termini dies- und jenseits des Atlan-tiks zu streichen und durch einfache und präzisere Be-schreibungen zu ersetzen.

Beispiele hierfür sind:█ Amelie (transversale Fehlbildung: komplettes Fehlen

einer gesamten Extremität),█ Peromelie (transversale Fehlbildung: amputations-

ähnliches Fehlen von längeren und kürzeren Extre-mitätenteilen),

█ Ektromelie (longitudinale Fehlbildung: Fehlen einesKnochenpartners doppelknöchiger Extremitäten,z.B. Unterarm, Unterschenkel),

█ Hemimelie (transversale Fehlbildung: amputations-ähnliches vollständiges oder partielles Fehlen derExtremität),

█ Meromelie (longitudinale Fehlbildung: entsprichtdem Begriff Ektromelie),

█ Phokomelie (longitudinale Fehlbildung: Robben-ärmigkeit/-füßigkeit: Fehlen eines gesamten nicht-endständigen Extremitätenteils).

Alle Extremitätenfehlbildungen werden dementspre-chend nach den Vorschlägen der International Societyfor Prosthetics and Orthotics (ISPO) in 2 Gruppen unter-teilt [15]:█ transversale Fehlbildungen,█ longitudinale Fehlbildungen.

Angeborene skelettale Fehlbildungenin der KinderorthopädieJ. Matussek, G. Heers, R. Hofbauer, J. GrifkaOrthopädische Klinik für die Universität Regensburg, Asklepios Klinikum Bad Abbach

Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 5 ê2010 ê403–428 êDOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0030-1255972 êVNR 2760512010047431454

Unter dem Begriff der Fehlbildungen sind angeboreneDefekte von Differenzierung, Länge und Volumen vonSkelettabschnitten an den Extremitäten und der Wirbel-säule einzuordnen, die im Allgemeinen, mehr oder weni-ger ausgeprägt, einen Körperabschnitt befallen und be-reits zum Zeitpunkt der Geburt feststellbar sind. Sie sindmeist nicht Ursache genetischer Prozesse, sondern kön-nen gelegentlich auf infektiöse, hypoxische, toxische,medikamentöse oder hormonelle Faktoren, die in wichti-gen Phasen der Entwicklung des Bewegungssystems aufden Embryo und Fetus einwirken, zurückgeführt werden.

Diesen gegenüber zeichnen sich die angeborenen Sys-temerkrankungen des Skeletts durch eine breite Ausdeh-nung von angeborenen Veränderungen am ganzen Ske-

lettsystem aus, wobei es sich dabei nicht nur um Fehl-entwicklungen der Form und Größe im Einzelnen handelt,sondern auch um Veränderungen der Knochenstrukturund Körpergröße, teilweise in Kombination mit anderenOrgan- und Stoffwechselerkrankungen. Häufig ist einhereditärer Charakter erkennbar. Systemerkrankungenkönnen im Skelettsystem mit Fehlbildungen, wie sie beiden regionalen Defekten auftreten, kombiniert sein.

Die vorliegende Darstellung beschränkt sich auf dieangeborenen skelettalen Extremitätenfehlbildungen.

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Transversale Fehlbildungen beschreiben alle sog. „am-putationsähnlichen“ Zustände und beinhalten alle ter-minalen transversalen Defizite. Longitudinale Fehlbil-dungen demgegenüber beschreiben alle anderen nicht-transversalen Defizite mit Unterteilungen in proximallongitudinale, distal longitudinale und kombinierte lon-gitudinale Defizite.

Transversale Fehlbildungen (Tab. 1) werden nach derHöhe beschrieben, bei der eine betroffene Extremitätendet. Longitudinale Fehlbildungen werden nach dembetroffenen (abwesenden) Knochen benannt und da-nach, ob es sich um ein partielles oder komplettes Fehlenhandelt. Es wird zusätzlich anerkannt, dass es auch denZustand der Hypoplasie oder Unterentwicklung einesKnochens im proximalen oder distalen Bereich einerExtremität (oder kombiniert) gibt, der unter Benennungdes Knochens beschrieben wird.

Bezeichnungsbeispiele für transversale Fehlbildungen:█ transversale Fehlbildung (T-)OA oberes Drittel: ent-

spricht einer oberarmamputationsähnlichen Fehlbil-dung, die im oberen Drittel des Humerus endet,

█ transversale Fehlbildung (T-)UA komplett: entsprichteiner ellenbogenexartikulationsähnlichen Fehlbil-dung,

█ transversale Fehlbildung (T-)Ca partiell: amputa-tionsähnliche Fehlbildung durch die beiden Reihender karpalen Knochen,

█ transversale Fehlbildung links (T-)UA oberes Drittel,komplett (Abb. 1, Abb. 2).

Bezeichnungsbeispiele für longitudinale Fehlbildungen(L/-):█ longitudinale Fehlbildung (L/-) proximal, Hu oder Fe

komplett: entspricht einem interkalären transversa-len Defekt oder auch proximale Phokomelie genannt(Abb. 3a u. b),

█ longitudinale Fehlbildung beidseits (L/-) distal, Ra-Ulund Ti-Fi inkomplett, Ta und Ca beidseits inkomplett,MC/MT5 beidseits komplett, MC/MT1 beidseits par-tiell: entspricht einem interkalären transversalenDefekt oder auch distale Phokomelie genannt(Abb. 4),

█ longitudinale Fehlbildung rechts (L/-), Fi komplett,Ta partiell, MT5 komplett, Ph5 komplett: entsprichteinem interkalären longitudinalen Defekt oder auchfrüher Ektromelie mit kompletter axialer Aplasiefibulär genannt (Abb. 5, Abb. 6),

█ longitudinale Fehlbildung (L/-) distal, Ti partiell, Tapartiell, MT1 partiell, Ph1 inkomplett: entsprichteinem longitudinalen Defekt, der auch früher Ektro-myelie (oder inkomplette paraaxiale Hemimelie) mitpartieller Aplasie der Tibia und kompletter Aplasievon Tarsalknochen und Zehenstrahlen genanntwurde (Abb. 7),

█ longitudinale Fehlbildung „proximales fokales femo-rales Defizit“ (PFFD) Pappas-Klasse II mit Kontraktu-ren Hüfte/Knie links, Röntgenbild, orthoprothetischeVersorgung zum Stand und Gehen. Klassifikation:links (L/-) kombiniert, Fe partiell, Fi komplett, Ti par-tiell, Ta partiell, MT4/5 komplett, Ph4/5 komplett(Abb. 8).

▸ Diese idealisierte Beispielform kann nur eine Illustra-tion für die Klassifikation sein, denn viele angeboreneskelettale Defizite existieren klinisch nicht in dieser Rein-form.

Tabelle 1

Schematische Nomenklatur: transversale Fehlbildungen.

Obere Extremität Region Untere Extremität

Oberarm (OA) █ komplett█ oberes Drittel█ mittleres Drittel█ unteres Drittel

Oberschenkel (OS)

Unterarm (UA) █ komplett█ oberes Drittel█ mittleres Drittel█ unteres Drittel

Unterschenkel (US)

Karpus (Ca) █ komplett█ partiell

Tarsus (Ta)

Metakarpus (MC) █ komplett█ partiell

Metatarsus (MT)

Phalangen (Ph) █ komplett█ partiell

Phalangen (Ph)

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Abb. 1 █ a–d Transversale Unterarmfehlbildung mittypischer „Knospen“-Bildung am Stumpf (a) und Ver-sorgung mit myoelektrischer Unterarmprothese (b+d).(c) Eigenkraft UA-Prothese mit Seilzug (Klassifikation:links (T-)UA oberes Drittel).

Abb. 2 █ a u. bZwillinge, weib-lich, 5 Jahre.Transversale Fehl-bildung desUnterarms undVersorgung mit„Patschhand“-Unterarmprothe-se (Klassifikation:links (T-)UA obe-res Drittel).

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Abb. 4 █ a– c Klinik (a u. b) und Röntgen (c) einer lon-gitudinalen Fehlbildung. Klassifikation: beidseits (L/-)distal, Ra-Ul und Ti-Fi, inkomplett, Ta und Ca beidseitsinkomplett, MC/MT5 beidseits komplett, MC/MT1 beid-seits partiell. Entspricht einem interkalären transversa-len Defekt oder auch distale Phokomelie genannt.

Longitudinale Fehlbildungen der unteren Extremität

Ph+MT+Ta*Ph+MT+Ta*Ph+

kombiniertdistalproximal

MT+Ta*Ph+MT+Ta*Ph+MT+Ta*Ph+MT+Ta*

Fe*Fe* Ti*Fi* Fi*Ze*Ti*

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Abb. 3 █ Schematische Nomenklatur der longitudinalen Fehlbildungen der oberen (a) und der unteren (b) Extremität (alle benannten Knochen sind partiell oderkomplett abwesend). Hu: humeral, Ra: radial, Ze: zentral, Ul: ulnar, Ca: karpal, MC: metakarpal, Ph: phalangeal, Fe: femoral, Ti: tibial, FI: fibular, Ta: tarsal, MT: metatarsal, *:partiell/komplett, +: partiell 1, 2, 3, 4, 5/komplett .

Longitudinale Fehlbildungen der oberen Extremität

Ph+MC+Ca*Ph+MC+Ca*Ph+

kombiniertdistalproximal

MC+Ca*Ph+MC+Ca*Ph+MC+Ca*Ph+MC+Ca*

Hu*Ra*Ul* Ul*Ze*Ra*Hu*

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Abb. 5 █ a u. bKlinik (a) undRöntgen (b) einerlongitudinalenFehlbildung.Klassifikation:rechts (L/-), Fikomplett, Ta par-tiell, MT5 kom-plett, Ph5 kom-plett. Entsprichteinem interkalä-ren longitudina-len Defekt oderauch früher Ektro-melie mit kom-pletter axialerAplasie fibulärgenannt (nachAchtermann/Kalamchi Fibula-fehlbildung Typ-II-Aplasie).

Abb. 6 █ Longitudinale Fehlbildung. Klassifikation: links (L/-), Fi partiell, Ta partiell, MT4/5komplett, Ph4/5 komplett. Entspricht einem interkalären longitudinalen Defekt oder auch frü-her Ektromelie mit inkompletter axialer Aplasie fibulär genannt. In diesem Fall bei Beinlängen-differenz: Kallusdistraktion mit Ringfixateur und Zehenhalter links (nach Achtermann/KalamchiFibulafehlbildung Typ-Ia-Hypoplasie).

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Abb. 7 █ a– f Longitudinale Fehlbildung.Klassifikation: rechts (L/-) distal, Ti partiell, Tapartiell, MT1 partiell, Ph1 inkomplett. Entsprichteinem longitudinalen Defekt, der auch früherEktromyelie (oder inkomplette paraaxiale Hemi-melie) mit partieller Aplasie der Tibia und kom-pletter Aplasie von Tarsalknochen und Zehen-strahlen genannt wurde (nach Kalamchi/DaweTibiadefekt Typ III).

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Abb. 8 █ a– c Klinik (a) undRöntgenbild (b) einer longitu-dinalen Fehlbildung PFFDPappas-Klasse II mit Kontrak-turen Hüfte/Knie links.Orthoprothetische Versor-gung zum Stand und Gehen(c). Klassifikation: links (L/-)kombiniert, Fe partiell,Fi komplett, Ti partiell,Ta partiell, MT4/5 komplett,Ph4/5 komplett.

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Insbesondere für die besonderen Fehlbildungen desHand-, aber auch Fußbereichs hat sich eine Klassifika-tion von Fehlbildungen, modifiziert nach Swanson [36],etabliert. Sie orientiert sich neben dem Bezug auf ske-lettale Veränderungen insbesondere auf Formationsstö-rungen im Weichteilbereich und unterteilt 7 Klassen:█ I: Fehlen der Bildung von Teilen:

– transversale Defekte,– longitudinale Defekte,

█ II: fehlende Differenzierung von Teilen:– Syndaktylie,– Kamptodaktylie,– eingeschlagener Daumen,– Klinodaktylie,– Synostosen,– Symphalangie,

█ III: Doppelbildungen:– Spiegelhand,– Polydaktylie,

█ IV: Überentwicklung:– Makrodaktylie,

█ V: Unterentwicklung:– Brachydaktylie,

█ VI: Schnürfurchenkomplex,█ VII: generalisierte Skelettdeformitäten.

Spezielle Formen longitudinalerFehlbildungen der unterenExtremität

Femorale longitudinale Fehlbildungen

█ Angeborene Femurhypoplasie

Epidemiologie. Das kongenital kurze Femur (Femurhy-poplasie) mit einer Beinlängenverkürzung von 20–30%kommt mit einer Inzidenz von 2/100000 Neugeborenenvor. Möglicherweise handelt es sich um die Klasse IXnach Pappas [34].

Klinik und Bildgebung. Im Röntgen zeigt sich ein intaktesFemur, allerdings mit einer mehr oder minder ausge-prägten Coxa vara und einem hypoplastischen lateralenFemurkondylus, der seinerseits zu einem erheblichenGenu valgum führt.

Prognose. Sofern das Unterschenkelsegment normalist, können diese Kinder ohne prothetische Versorgungauskommen. Dies gelingt allerdings nur, wenn in2 Schritten eine Korrektur knöcherner Problemzonenim Verlauf des Wachstums vorgenommen wird.

Therapie ausgeprägter femoraler Hypoplasien.█ Der erste Schritt ist die allgemeine Formkorrektur

des Femurs im Hüft- und Kniebereich (z.B. Salter-Beckenosteotomie, femorale intertrochantäreValgusosteotomie, wenn notwendig distale valgisie-rende Femurschaftkorrektur) im Vorschulalter.

█ Der zweite Schritt betrifft die Verlängerung desFemurs mittels Kallusdistraktion und Fixateur-ex-terne-Systemen. Bei geringen Beinverkürzungen(< 3 cm) kann möglicherweise alleinig eine Verkür-zung des „gesunden“ Beines mittels kniegelenknahertemporärer/finaler Epiphyseodese erzielt werden.Jeder Zentimeter, der durch eine derartige „Verkür-zung“ der gesunden Seite gewonnen wird, erspartdem Kind ungefähr 6 Wochen in einer Verlänge-rungsapparatur. Natürlich sollte die berechnete defi-nitive Körpergröße so sein, dass die Verringerung derKörpergröße keine Beeinträchtigung darstellt.

█ Proximale fokale Femurdefizienz

Epidemiologie. Die proximale fokale Femurdefizienz(PFFD) zeigt ein Vorkommen bei ungefähr 2/100000Neugeborenen, meist einseitig. Rechnet man zur KlasseIX nach Pappas [34] (s.u.) die (gelegentlich milden)Femurhypoplasien, so ist die Inzidenz wahrscheinlichdeutlich höher.

Klinik und Bildgebung. Es handelt sich um einen Spezial-fall longitudinaler Fehlbildungen mit einer Beinlängen-verkürzung von 35–50%. Es besteht eine Deformitätoder ein Defekt des proximalen Femurs, wobei auchhäufig das Knie und die untere Extremität betroffensind. Typisch sind fixierte Hüft- und Kniebeugekontrak-turen, wobei das Sprunggelenk meist auf Höhe des ge-sunden Knies der Gegenseite lokalisiert ist. Röntgenolo-gisch klassifiziert von Aitken [2] in 4 Gruppen und Pap-pas [34] in 9 Klassen, reicht der Defekt vom vollständi-gen Fehlen des Femurs (Pappas-Klasse I/Aitken-Grupped) bis zur dysproportionierten Hypoplasie (Pappas-Klasse IX/Aitken-Gruppe a). Dementsprechend sind dieAusmaße der Beinlängendifferenz variabel und die zurVerfügung stehenden Behandlungsoptionen vielfältig(Abb. 8–Abb. 11).

Therapieoptionen. Sie reichen von den unter der ange-borenen Femurhypoplasie (s.o.) genannten Verfahren(Klasse IX Femurhypoplasie) bei den Pappas-Klassen VII,VIII, IX über femoroazetabuläre und tibioazetabuläreEinstellungen/Fusionen des kurzen Restfemurs bzw. desTibiakopfes mit der Hüftpfanne bei Pappas-Klassen I, II,III bis hin zur Borgreve-Umkehr- und Rotationsplastiknach Gillespie u. Torode [12] bei Insuffizienz des Hüft-gelenks und kurzem Femurrest, aber intaktem Unter-schenkel bei Pappas-Klassen I– IV.

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Letzteres ist allerdings nicht selbstverständlich. 50–80%der Fälle zeigen eine Fibulaaplasie mit entsprechendenFunktionsstörungen des Knies und Sprunggelenks. Ex-treme Längendefizite – bis hin zum Verlust einer ge-samten Unterschenkellänge – können meist mit Verlän-gerungsverfahren nicht mehr kompensiert werden undsind deshalb mit Orthoprothesen zu versorgen (Abb. 8,Abb. 9). Hierzu kann die Amputation eines funktionslo-sen, „prothesenstörenden“ Fußes (Syme-Amputation)gelegentlich sinnvoll sein. Die sensible und kompetenteFührung der Familie des betroffenen Kindes in einemspezialisierten Kinderorthopädiezentrum ist über diegesamte Wachstumsperiode sinnvoll und wichtig.

Longitudinale Fehlbildungen der Fibula

Epidemiologie und Subklassifikation. Achtermann u.Kalamchi [1] teilen diese häufigste unter allen longitu-dinalen Fehlbildungen (1/30000 Neugeborene) in2 Typen (Abb. 12):

█ Typ I:– a: Hypoplasie der Fibula im proximalen Bereichmit weitgehend intakter Malleolengabel,

– b: Hypoplasie der Fibula im distalen Bereichmit dysplastischer Malleolengabel,

█ Typ II: Aplasie der Fibula

Klinik und Prognose. Das Ausmaß der funktionellen Stö-rung ist abhängig von Veränderungen der Knöchelgabelund der dadurch entstehenden spitzfüßig-valgischenFußdeformität mit entsprechender Unterschenkelver-kürzung. In Abhängigkeit der Betroffenheit der Fibulasind auch Rückfußfehlbildungen (Koalitionen) und late-rale Zehenstrahlverluste zu beobachten. Sie führen zueinem rigiden, funktionsbeeinträchtigten Fuß (s. Abb. 5,Abb. 6).

Therapie. Ziel der Behandlung ist die weitgehende Um-wandlung der Längen- und Achsfehlbildung von Knie,Unterschenkel und Fuß mit der entsprechenden Unter-schenkelfunktionsstörung in einen Zustand minimalerAbhängigkeit von orthetischen und prothetischen Hilfs-mitteln bei maximaler Funktion. Die Palette der Be-handlungsmaßnahmen reicht von konventionellenSchuherhöhungen und Fußzurichtungen über einfachebeinverlängernde Maßnahmen (Ilizarov-Ringfixateur)(s. Abb. 6) bis hin zu komplexen Sehnenverlängerungenund knöchernen Umstellungsosteotomien im proxima-len und distalen Tibia- und Rückfußbereich.

Abb. 9 █ Longitudinale Fehlbildung PFFD beidseits, Pappas-Klasse II mit KontrakturenHüfte/Knie rechts. Orthoprothetische Versorgung zum Stehen und Gehen.

A

B

C

D

Abb. 10 █ Klassifikation des PFFD nach Aitken [2] (aus: Niethard F. U.Kinderorthopädie, Thieme, Stuttgart 2009). A Knöcherne VerbindungFemurschaft. B Femurkopf vorhanden ohne Verbindung zum Schaft.C Rudimentärer Femurkopf vorhanden ohne Schaftverbindung. D Nurdistaler Anteil des Femurs vorhanden.

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Abb. 11 █

Klassifikationdes PFFD nachPappas [34](aus: Niethard F. U.Kinderorthopädie,Thieme, Stuttgart2009).

Abb. 12 █ Longitudinale Fehlbildung der Fibula. Einteilung nachAchtermann u. Kalamchi [1].

VIIIVIIVI IX

I II III IV V

Klasse I kongenitales Fehlen des FemursKlasse II proximales Femur und Hüftpfanne sind fehlgebildetKlasse III proximale Femurfehlbildung ohne Beziehung zwischen Femurschaft und FemurkopfKlasse IV proximale Femurfehlbildung mit organisationsloser Verbindung zwischen Femurschaft und FemurkopfKlasse V Schaftfehlbildung mit hypoplastischer Entwicklung des proximalen und distalen FemursKlasse VI distale FemurfehlbildungKlasse VII hypoplastisches Femur mit Coxa vara und sklerosierter DiaphyseKlasse VIII hypoplastisches Femur mit Coxa valgaKlasse IX hypoplastisches Femur mit normalen Proportionen

Ia Ib II

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Longitudinale Fehlbildungen der Tibia

Epidemiologie, Subklassifikation und Klinik. Kalamchi u.Dawe [20] teilen diesen seltenen longitudinalen Defekt(1,5/100000 Neugeborene) in 3 Typen (s. Abb. 7):█ Typ I: Aplasie der Tibia mit Varusverbiegung der

Fibula, Fehlen der ersten 3 Zehenstrahlen, Adduktionund Inversion des Fußes,

█ Typ II: Hypoplasie der Tibia mit erhaltenem Knie-gelenk,

█ Typ III: Dysplasie der distalen Tibia mit tibiofibulärerDiastase, Equinovarus-Fehlstellung des Fußes, Promi-nenz der distalen Fibula.

Therapieoptionen. Behandlung des Typ I hängt von derFunktion des Kniegelenks ab und hier besonders von derKraftübertragung des M. quadriceps auf den Unter-schenkel: Ist diese gut, kann eine elegante Zentralisie-rung der Fibula vorgenommen werden, die später voneiner orthetischen Versorgung des Unterschenkels ge-folgt wird. Bei einer Flexionskontraktur des Knies underheblicher Defizienz des distalen Femurs ist frühzeitigeine knieexartikulierende Amputation anzustreben, ge-folgt von einer adäquaten und funktionell günstigerenProthese.

Bei dem seltenen Typ II wird bei intaktem Kniegelenkeine Fusion der distalen Tibia und Fibula angestrebt undin Abhängigkeit von der Fußdeformität entweder orthe-tisch versorgt oder teilamputiert.

Bei der Behandlung des Typ III besteht das Hauptpro-blem in der fehlenden Stabilität des Talus unter der Tibianeben der erheblichen Beinlängendifferenz. Mithilfe ei-nes Ilizarov-Ringfixateurs kann selektiv die Tibia gegen-

über der Fibula verlängert und parallel der Rückfuß un-ter die Tibia reponiert werden. Später muss die Fusionvon distaler Fibula und Tibia erfolgen. Amputationen imFußbereich sind selten notwendig (s. Abb. 7).

Besonderheiten bei angeborenenFehlbildungen der Hand und desFußes

Definition. Defekt aufgrund eines Fehlers in der Mor-phogenese, der zum Zeitpunkt der Geburt vorliegt.

Ätiologie. Genetischer Defekt, exogene Noxe, die in denmeisten Fällen nicht zu eruieren ist (Medikamente).Oft Teil eines Syndroms.

Klassifikation. s.o. Klassifikation von Fehlbildungen,modifiziert nach Swanson [36].

Allgemeine Therapiegrundsätze. Ziel der Therapie ist dieVerbesserung der Funktion (und der Ästhetik, wobeiman bei einer Operation nur aufgrund der Ästhetik zu-rückhaltend sein sollte). Grundsätzlich ist bei der The-rapie angeborener Fehlbildungen von Hand und Unter-arm zu bedenken, ob weiterführende medizinischeMaßnahmen, wie z.B. operative Korrekturmaßnahmen,für das Kind sinnvoll sind. Es ist ein Unterschied, obKinder mit Defekten geboren werden und die Situationgar nicht anders kennen oder ob sie durch einen Unfalldie Handfunktion verlieren. Die betroffenen Kinderkommen mit der Situation oft erstaunlich gut zurechtund es sind mehr die Eltern, die sich an die Situationgewöhnen müssen.

Die konservative Therapie versucht durch Dehnungs-und Bewegungsübungen Fehlstellungen anzugehen.Schienen und Prothesenversorgungen sollen die Ge-brauchsfähigkeit der Extremitäten verbessern, aber kei-nesfalls die Aktivität behindern. Der Kontakt zu Selbst-hilfegruppen kann für die Eltern und Kinder eine großeHilfe darstellen.

Wichtig ist, isolierte Fehlbildungen der Hand vonkombinierten Fehlbildungen, z.B. im Rahmen vonSyndromen (z.B. Apert-Syndrom), zu unterscheiden.Generell sollten operative Korrekturmaßnahmenfrüh erfolgen.

Longitudinale und transversale Fehlbildungen

Behandlung gemäß allgemeiner Grundsätze funktionel-ler Notwendigkeiten konservativ und operativ (Abb. 14–Abb. 18).

Typ Ia Typ IIaTyp Ib Typ IIb Typ III

Abb. 13 █ Longitudinale Fehlbildungen der Tibia. Ia: Aplasie der Tibia mit Varusverbiegungder Fibula, Fehlen der ersten 3 Zehenstrahlen, Adduktion und Inversion des Fußes. Ib: wie Ia mitTibiaepiphyse darstellbar. IIa: Hypoplasie der Tibia mit erhaltenem Kniegelenk. IIb: Tibiaschaftausgebildet mit dysplastischer proximaler/distaler Ausbildung der Tibiagelenke. III: Dysplasieder distalen Tibia mit tibiofibulärer Diastase, Equinovarus-Fehlstellung des Fußes, Prominenzder distalen Fibula.

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Abb. 14 █ a u. b Radiusaplasie mit Klumphand und Fehlen des 1. Radialstrahls (Daumen). Klassifikation: rechts (L/-), Ra komplett, Ul partiell, Ca partiell, MC1 komplett,Ph1 komplett (hier: Poland-Syndrom mit zusätzlicher Hypoplasie M. pectoralis).

Abb. 15 █ a u. b Radiusaplasie mit Klumphand, aber komplettemHandskelett (Daumen normal). Klassifikation: beidseits (L/-), Ra kom-plett, Ul partiell (hier: TAR-Syndrom: Thrombocytopenia-Absent-Radius).Gute Handfunktion.

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Differenzierungsstörungen

█ Syndaktylie

Definition. Zusammengewachsene Finger/Zehen(Abb. 19, Abb. 20).

Ätiologie.█ primäre Form: Differenzierungsstörung der Weich-

teilmäntel um die Knochenstrahlen,█ sekundäre Form: Differenzierungsstörung des bereits

gegliederten Skleroblastoms.

Pathogenese. Die Syndaktylie kann ohne (kutane Form)oder mit Verschmelzung der Knochen (ossäre Form)einhergehen und dabei partiell oder komplett ausge-prägt sein. Die Extremform ist die Löffelhand beimApert-Syndrom. Sehnen und Gefäße können bei der

Abb. 17 █

8-jähriger Jungemit angeboreneramputationsähn-licher transver-saler Fußfehlbil-dung (rechtstransversal imChopart-Gelenk,links transmeta-tarsal).

Abb. 16 █

Radiale Klump-hand mit Aplasiedes Radius (Mäd-chen 3 Jahre).Klassifikation:rechts (L/-), Rakomplett, Ul par-tiell, gute Hand-funktion.

Abb. 18 █

a LongitudinaleFehlbildung Meta-tarsale IV.b Behandlungdurch Kallusdis-traktion mit Mini-fixateur.

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ossären Form Anomalien zeigen. Man unterscheidet dieisolierte von der kombinierten Syndaktylie als Teil einerkomplexen Fehlbildung (z.B. Symbrachydaktylie). EinNagelband (ein gemeinsamer Nagel von 2 Fingern) weistauf eine ossäre Verbindung hin.

Therapie. OP-Zeitpunkt: vor dem Kindergarten; beiFehlbildungen, die die Greiffunktion der Hand behin-dern, z.B. eine Syndaktylie zwischen dem Daumen undZeigefinger, auch früher (Säuglingsalter).

Bildung einer breiten Kommissur mit spannungs-freier Deckung (Abb. 21).

Zick-zack-förmige Schnitte dorsal und palmar, dieüber die Mittellinie hinausgehen und sich so gegenüber-liegen müssen, dass sie nach der Trennung wie einReißverschluss ineinander greifenmüssen. VerbleibendeHautdefekte werden durch Vollhauttransplantate ge-deckt.

Keine Operation an beiden Seiten gleichzeitig wegender Blutversorgung. Zwischen den Operationen sollten6 Monate vergehen [26].

█ Kamptodaktylie

Definition. Beugekontraktur des Fingermittelgelenks.Häufig betrifft diese den Kleinfinger.

Ätiologie. Autosomal-dominanter Erbgang.

Pathogenese. Uneinheitlich. Es gibt hierzu unterschied-liche Auffassungen. Es werden Anomalien der Streck-aponeurose, des M. lumbricalis, der FDS-Sehne und derGelenkflächen des PIP-Gelenks und der Haut und Liga-mente beschrieben. McFarlane u. Mitarb. [29] fanden beiallen 74 von ihm operierten Patienten immer eine ab-norme Insertion des Lumbricalis-Muskels und beglei-

Abb. 21 █ a u. bFuß- und Zehen-fehlbildungen:Polydaktylie undSyndaktylie.

Abb. 20 █ Knöcherne und häutige Syndaktylie am Fuß.

Abb. 19 █ Häutige Syndaktylie.

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tend in einigen Fällen eine abnorme Insertion der Sehnedes M. flexor digitorum superficialis oder eine fixierteKontraktur des PIP-Gelenks.

Röntgen. In einigen Fällen sieht man die Abflachung desdorsalen Grundphalanxkopfs.

Klassifikation nach Frank [10].█ I: Streckdefizit ohne oder mit geringer Hautverkür-

zung,█ II: Kontraktur < 50°,█ III: Kontraktur > 50°.

Therapie. Konservativ kann versucht werden, die Kon-traktur aufzudehnen.

Bei der operativen Therapie ist die Aussicht auf einevollständige Korrektur unsicher. Häufig wird eine Ver-besserung der Streckung auf Kosten der Beugung erzielt.Von Operationen bei einer Beugekontraktur unter 30°wird abgeraten. Möglich sind die Hautverlängerung(Z-Plastik mit Hauttransplantat), die Korrektur von Seh-nenfehlinsertionen, die Arthrolyse und die Versetzungder Superficialis-Sehne [10,29].

█ Klinodaktylie

Definition. Angeborene seitliche Abwinklung eines Fin-gers/Daumens. Bis zu 10° sind normal.

Ätiologie. Die isolierte Kleinfingerdaktylie (Deviation imPIP-Gelenk) ist autosomal dominant vererbt.

Die Klinodaktylie kommt jedoch auch im Rahmenkomplexer Handfehlbildungen (Symbrachydaktylie) vor.

Pathogenese. Fehlwachstum der Mittelphalanx. EineDeltaphalanx mit bogenförmiger Epiphysenfuge, diesich longitudinal an der kurzen Seite der Mittelphalanxerstreckt, kann vorkommen.

Therapie.

1. Korrekturosteotomie.2. Teilresektion der Epiphysenfuge und Fett-

interposition.

Bei Deltaphalanx: Keilentnahme/Interposition, Resek-tion der Knochenbrücke und Fettinterposition.

█ Eingeschlagener Daumen (clapsed thumb)

Definition. Im Grundgelenk gebeugter und in die Hohl-hand eingeschlagener Daumen.

Ätiologie. Hypo- oder Aplasie der Daumenstrecksehnenin unterschiedlichem Ausmaß.

Differenzialdiagnose. Bei dem angeborenen schnellen-den Daumen steht der Daumen im IP-Gelenk gebeugtund die 1. Kommissur ist nicht verengt.

Therapie. Wenn sich die Kinder früh vorstellen, sind dieHände meistens noch zu klein für eine Schienenbe-handlung. Passives kontinuierliches Aufdehnen durchdie Eltern kann zunächst durchgeführt werden. Bei aus-geprägtem Befund können Sehnentransfers durchge-führt werden (z.B. Indicis-Plastik). Begleitend muss die1. Kommissur erweitert werden, z.B. durch eine 4-Lap-pen-Z-Plastik.

█ Kirner-Deformität

Definition. Beidseitige Fehlstellung der Kleinfinger-endphalanx.

Ätiologie. Schädigung der Wachstumsfuge der Endpha-lanx durch abnorme Insertion der tiefen Beugesehne ander Metaphyse.

Therapie. Bei Beschwerden Therapie durch Epiphyseo-dese oder Korrekturosteotomie (nach Wachstumsab-schluss) [7,30].

█ Synostosen der Handwurzelknochen

Definition. Knöcherne oder fibröse Verbindung zwischen2 oder mehreren Handwurzelknochen.

Ätiopathogenese. Mangelhafte Differenzierung derHandwurzelknochen.

Diagnostik. Röntgenbild. Meist Zufallsbefund, da seltenSymptome bestehen. Symptome meist bedingt durchunvollständige Fusion.

Therapie. Bei schmerzhafter unvollständiger Synostose:Arthrodese.

█ Symphalangie

Definition. Hypo- bis Aplasie eines Fingergelenks(meistens PIP-Gelenk).

Ätiologie. Genmutation unklarer Genese.

Pathogenese. Fehlende Differenzierung des Gelenks.

Therapie. Die Therapie richtet sich nach der vorliegen-den Anomalie. Möglich sind z.B. Interpositionsarthro-plastiken oder eine freie mikrochirurgische Gelenk-transplantation. Auch Arthrodesen bzw. Korrektur-

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arthrodesen sind möglich, insbesondere wenn Sehnen-fehlbildungen und Fehlinsertionen vorliegen.

Doppelbildungen

█ Spiegelhand/Spiegelfuß

Definition. Seltene Verdoppelung von Anteilen der Hand(und Finger) bzw. des Fußes (und Zehen) und selteneVerdoppelung der Ulna ohne Daumen bzw. Tibia ohneFibula (Abb. 22, Abb. 23).

Ätiologie. Keine Vererblichkeit.

Pathogenese. Differenzierungsstörung. Skaphoid undTrapezium fehlen, Pro- und Supination sind aufgehoben.Handgelenk in Flexionsstellung.

Differenzialdiagnose. Polydaktylie: Radius/Tibia normalausgebildet.

Therapie. Pollizisation eines überzähligen Fingers mitAmputation der übrigen überzähligen Finger. Die Ent-fernung überzähliger Handwurzelknochen ist möglich.

Die Korrektur der Handgelenkfehlstellung und derfehlenden Unterarmwendbewegungen, z.B. durch einepartielle Resektion der proximalen Ulna, ist schwierig[16,19].

█ Polydaktylie

Ätiologie. Autosomal-dominanter Erbgang.

Pathogenese. Geht auf übermäßige embryonale longitu-dinale Segmentierung zurück. Mehr als 5 Finger an derHand. Unterschieden wird zwischen radialer (DI), zen-traler (DII–DIV) und ulnarer (DV) Polydaktylie. Es kön-nen funktionslose Anhängsel bis hin zu voll ausgebilde-ten Fingern/Daumen vorliegen.█ Radiale Polydaktylie (Doppeldaumen/kann auch als

triphalangealer Daumen ausgebildet sein (Abb. 24 a).█ Zentrale Polydaktylie kommt häufig als verdeckte

Polydaktylie bei Syndaktylie der Finger vor.█ Ulnare Polydaktylie kommt auch im Rahmen von

zahlreichen Syndromen vor (Abb. 24 b,c).

Therapie. Entfernung des hypoplastischen Anteils, Syn-daktylietrennung.

Nach Trennung häufig Gelenkinstabilität mit derNotwendigkeit der Stabilisierung (z.B. Seitenbander-satz). Korrekturosteotomien bei Fehlstellungen. DieOperationen sind schwieriger als sie zunächst erschei-nen und verlangen eine präoperative präzise Planung.

Abb. 23 █ Komplexe Fehlbildung mit Vorfußdoppelung/Tibiadoppelung links und Varo-supinationsfehlstellung des Doppelfußes („Spiegelfuß“).

Abb. 22 █ Polydaktylie mit inkompletter Doppelbildung der Hand („Spiegelhand“) ohneDoppelung der Ulna.

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Überentwicklungen

█ Makrodaktylie (Abb. 25)

Unterentwicklungen

█ Oligodaktylie

Definition. Minus-Variante der Fingerzahl (inklusive derHypoplasie und Aplasie der Fingerstrahlen).

Ätiologie. Keine Erblichkeit nachgewiesen. Das Ausmaßeiner Genexpression (HOXD13) scheint entscheidend zusein.

Pathogenese. Die Rückbildung erfolgt von zentral nachperipher, was auch für die Hypoplasie des Daumens gilt.Diese Fehlbildung tritt auch zusammen mit einer Syn-daktylie auf.

Therapie. Die Rückbildung von ulnaren Fingern erfordertin der Regel keine Therapie. Zur Therapie des hypoplas-tischen Daumens siehe unten.

█ Hypoplasie des Daumens

Klassifikation. Die Klassifikationen der Daumenhypopla-sie basieren auf der Einteilung von Blauth [4], die nocheinmal modifiziert wurde von Manske [25], der den TypIII weiter differenzierte, wobei beim Typ IIIa noch einCMC-Gelenk besteht:

Abb. 24 █ a– c Polydaktylie (Doppeldaumen, zusätzlicher 5. Finger). Abb. 25 █ Makrodaktylie.

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█ Typ I: Verschmächtigung des Daumens und derDaumenballenmuskulatur,

█ Typ II: Adduktionskontraktur des Daumens mitHypoplasie der Daumenballenmuskulatur und Insta-bilität des MP-Gelenks,

█ Typ IIIa: abnormale Muskel- und Sehnenkonfigura-tion (Fehlinsertion), zusätzlich zu Typ II,

█ Typ IIIb: partielle Aplasie des ersten Metakarpal-knochens mit fehlendem CMC-Gelenk,

█ Typ IV: Aplasie des ersten Metakarpalknochens mit„Daumenanhängsel“,

█ Typ V: fehlender Daumen (Aplasie).

Therapie. Während eine Behandlung beim Typ I nichtnotwendig ist, wird beim Typ II und IIIa versucht, dieFunktion zu verbessern, indem die Adduktionskontrak-tur durch eine Hautplastik verbreitert wird, ggf. mitInzision der kontrakten Muskelansätze. Bei nichtausrei-chender Muskelfunktion des Thenars kommen motori-sche Ersatzoperationen in Betracht (z.B. Opponens-Plastik nach Huber). Die instabilen Gelenke müssen sta-bilisiert werden, entweder durch Bandplastiken oderdurch Arthrodesen (ohne die Epiphysenfugen). DasSpektrum der Fehlbildungen vom Typ II/IIIa ist jedochgroß, sodass eine individuelle Lösung gefunden werdenmuss. Ab Typ IIIb wird von Manske die Pollizisationempfohlen, also die Bildung eines Daumens aus demZeigefinger. Die funktionellen Ergebnisse nach Pollizisa-tionwerden generell als gut bis ausreichend beschrieben[9].

█ Triphalangie des Daumens

Definition. Dreigliedrigkeit des Daumens.

Ätiologie. Autosomal-dominanter Erbgang.

Pathogenese. Nicht ganz geklärt, es gibt mehrere Theo-rien. Es handelt sich bei dem Daumen tatsächlich umeinen Daumen, nicht um einen Langfinger, dafür spre-chen die Befunde von Koebke [23] durch Nachweis vonDaumenmuskulatur, die vom N. medianus innerviert ist.Der Daumen kann zusätzlich eine Polydaktylie aufwei-sen. Der triphalangeale Daumen kann zusätzlich eineradiale Polydaktylie oder eine radiale Oligodaktylie auf-weisen [17].

Klassifikation nach Buck-Gramcko [5].█ Typ 1: rudimentäre Dreigliedrigkeit,█ Typ 2: brachymesophalangeale Form,█ Typ 3: trapezoidförmige Mittelphalanx,█ Typ 4: dolichophalangeale Form,█ Typ 5: hypoplastischer dreigliedriger Daumen,█ Typ 6: dreigliedriger Daumen mit/ohne Polydaktylie.

Mit zunehmender Länge der zusätzlichen Mittelphalanxähnelt der Daumen immer mehr einem Langfinger, erverliert zunehmend die charakteristische Muskulaturund Beweglichkeit (Opponierbarkeit). Der 1. Metakar-palknochen zeigt meistens eine Überlänge. Bei der doli-chophalangealen Form besteht kein Sattelgelenk mehr.

Therapie. Dreieckförmige Knochen zwischen der Grund-und Endphalanx können entfernt werden, ggf. mitGelenkstabilisierung. Bei der brachymesophalangealenForm mit seitlicher Abwinkelung sind Korrekturosteo-tomien und Arthrodesen möglich. Bei der dolichopha-langealen Form ohne Sattelgelenk erfolgt die Pollizisa-tion.

Komplexe Fehlbildungen der Hand

█ Symbrachydaktylie

Definition. Brachydaktylie und Syndaktylie der Finger(Abb. 26).

Ätiologie. Unklar, kein bekannter Vererbungsmechanis-mus.

Pathogenese. Es besteht Uneinigkeit darüber, ob es sichum einen transversalen Fehler in der Bildung oder umeine Hypoplasie handelt. Es scheint eher ein interseg-mentaler Formationsfehler zu sein mit einer Reduktionder knöchernen Anlage, die dazu führt, dass die Weich-teile sich nicht normal entwickeln können. Meist sinddie mittleren Strahlen betroffen, wobei sich der Defektnach ulnarwärts ausbreiten kann. Je nach Schweregradkommt eine Brachymesophalangie der Mittelphalangen

Abb. 26 █ Apert-Syndrom (Akrozephalosyndaktylie).

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bis hin zum Fehlen der Mittelhandstrahlen vor. Esbleiben nur nageltragende Bürzel zurück. Es kommengleichzeitig Syndaktylien, Symphalangien und Klino-daktylien vor [37].

Bei ausgeprägten Fällen bestehen abnorme Verhält-nisse bei den Sehnen und Nerven.

Klassifikation nach Blauth [4].█ Typ I: Kurzfinger-Typ: Brachymesophalangien und/

oder Aplasie/Hypoplasie der Mesophalangen,█ Typ II: Spalthand-Typ (Abb. 27): Fehlen eines Fingers

oder mehrerer Mittelhandstrahlen,█ Typ III: monodaktyler Typ: nur der Daumen ist

erhalten, Finger II–V fehlen,█ Typ IV: peromeler Typ: alle Finger fehlen.

Diagnostik. Fingerendglied vorhanden (mit Nagel).Die Syndaktylie breitet sich nach radial aus und derKnochendefekt nach ulnar.

Differenzialdiagnose. Syndaktylie, Spalthand.

Röntgen. Hypo- oder Aplasie der Phalangen und Meta-karpalia und Handwurzelknochen. Keine ossäre Syn-daktylie.

Therapie. Abhängig vom Typ:█ bei Typ I: Syndaktylietrennung, Arthrodesen, Dreh-

osteotomie und Opponens-Plastik.█ bei höhergradigen Deformitäten: Aufbau eines Klein-

fingers oder Gegengreifers durch Zehentransfer oderKallusdistraktionsverfahren [21,27].

█ Spalthand/Spaltfuß

Definition. Keilförmiger Defekt der zentralen Strahlender Hand (Abb. 27).

Ätiologie. Vererbung, dominanter Erbgang. Kann dop-pelseitig vorkommen, auch in Kombination mit Spalt-füßen und assoziierten Fehlbildungen. Es gibt aber auchsog. atypische Spalthände, die einseitig und sporadischauftreten.

Pathogenese. Während der Entwicklung auftretenderDefekt, an den sich Störungen der benachbarten Struk-turen anschließen, die dabei verlagert werden und sichnicht richtig differenzieren können. AbgedrängteGrundphalangen können sich verlagern (Transversal-knochen). Die benachbarten Finger können eine Syn-daktylie oder Polydaktylie zeigen.

Neuere Untersuchungen zeigen, dass Spalthand, Syn-daktylie und Polydaktylie durch dieselben Mechanis-men hervorgerufen werden können, daher wurde vor-geschlagen, diese 3 angeborenen Deformitäten unter der

Abb. 27 █ Zentrale longitudinale Fehlbildung beidseits („Spalthand“,„Spaltfuß“).

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Rubrik „abnorme Induktion von Fingerstrahlen“ einzu-ordnen.

Klassifikation. Es existieren mehrere Klassifikationssys-teme, unter anderem von Blauth [4]. Von Falliner wurde2004 eine neue Klassifikation vorgeschlagen [8]:█ 1: mediane Spalthände mit vollständig erhaltenem

Daumen und Kleinfinger,█ 2: medioradiale Spalthände mit verändertem, aber

zumindest teilweise erhaltenem Daumen,█ 3: radiale Spalthände mit fehlendem Daumen,█ 4: medioulnare Spalthände mit verändertem, aber

zumindest teilweise erhaltenem Kleinfinger,█ 5: ulnare Spalthände mit fehlendem Kleinfinger.

Röntgen. Die Aplasie ganzer Phalangen oder ganzer Fin-gerstrahlen steht im Vordergrund. Auch Synostosen oderVerlagerungen einzelner Knochen kommen vor (sog.Transversalknochen).

Diagnostik. Häufig begleitende Syndaktylien, Polydakty-lien, Kamptodaktylien.

Therapie. Abhängig vom Typ. Grundsätzlich ist die Funk-tion der Spalthände besser als ihr Aussehen.

Ziel ist die Wiederherstellung der Funktion und Ver-besserung der Ästhetik: Beseitigung der Spalte und Ver-breiterung der Daumenkommissur zur Verbesserung derDaumenopposition (und damit der Greiffunktion/Spitz-griff). Eine bekannte Technik hierfür ist die Operationnach Snow/Littler oder als Variante hierfür die angege-bene Technik nach Upton, wobei der Zeigefinger von derBasis des Metakarpalknochens abgelöst, auf den 3. Me-takarpalknochen versetzt und mit den entstehendenHautlappen die Kommissur zwischen Daumen und ver-setztem Zeigefinger vertieft wird. Der Adductor-pollicis-Muskelansatz sollte hierbei nach Möglichkeit intaktbleiben. Begleitende Fehlbildungen werden mit behan-delt (z.B. Syndaktylietrennung).

Schnürfurchensyndrom

Definition. Ringartig verlaufende Furchen mit Ver-dickungen der Weichteile distal davon mit z.T. ampu-tationsähnlichen Defekten und Syndaktylien.

Ätiologie. Unklar. Lokale Störungen der Gewebedifferen-zierung? Amnionabschnürungen?

Pathogenese. Die Furchen können unterschiedlich tiefsein, sodass das distal davon liegende Gewebe einen un-terschiedlichen Schädigungsgrad aufweisen kann. Ner-ven und Gefäße können Anomalien oder Aplasien auf-weisen. Eine Akrosyndaktylie kann vorkommen.

Therapie. Bei Nekrosegefahr sofortige operative Therapienach Geburt durch Resektion des Ringes, der nekroti-schen Anteile und eine Hautplastik zur Deckung desentstandenen Defekts.

Syndaktylietrennung mit Kommissurvertiefung.Daumenrekonstruktion bei Daumendefekt durch z.B.Transposition des Zeigefingers oder Zehentransfer.

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Korrespondenzadresse

Oberarzt Dr. Jan Matussek

Orthopädische Klinik für die Universität Regensburg

Leitung Sektion Kinderorthopädie

Asklepios Klinikum Bad Abbach

Kaiser-Karl-V-Allee 3

93077 Regensburg/Bad Abbach

Telefon: 09405/18-4826

Telefax: 09405/18-2629

E-Mail: [email protected]

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Welche Aussage ist falsch?

Unter dem Begriff der

skelettalen Fehlbildun-

gen sind angeborene

Defekte…

1 A von Differenzierung, Länge und Volumen von Skelettabschnitten an den Extremitäten undder Wirbelsäule einzuordnen.

B zuzuordnen, die im Allgemeinen, mehr oder weniger ausgeprägt, einen Körperabschnittbefallen und bereits zum Zeitpunkt der Geburt feststellbar sind.

C zu verstehen, die meist nicht Ursache genetischer Prozesse sind.D zu verstehen, welche gelegentlich auf infektiöse, hypoxische, toxische, medikamentöse

oder hormonelle Faktoren, die in wichtigen Phasen der Entwicklung des Bewegungs-systems auf den Embryo und Fetus einwirken, zurückgeführt werden können.

E zusammengefasst, die immer auch systemischen Charakter haben.

Welche Aussage zur

älteren Nomenklatur ist

falsch? 2 A Amelie: transversale Fehlbildung, komplettes Fehlen einer gesamten Extremität.B Peromelie: transversale Fehlbildung: amputationsähnliches Fehlen von längeren und

kürzeren Extremitätenteilen.C Hemimelie: transversale Fehlbildung: amputationsähnliches vollständiges oder partielles

Fehlen der Extremität.D Phokomelie: transversale Fehlbildung: Robbenärmigkeit/-füßigkeit: Fehlen eines gesamten

nichtendständigen ExtremitätenteilsE Dysmelie: Allgemeinausdruck für die Gesamtheit aller transversalen und longitudinalen

Fehlbildungen.

Welche Aussage zu den

longitudinalen Fehl-

bildungen ist falsch? 3 A Sie werden nach dem betroffenen (abwesenden) Knochen benannt.B Sie werden nach dem Kriterium benannt, ob es sich um ein partielles oder komplettes

Fehlen handelt.C Sie werden nach dem Kriterium klassifiziert, ob es auch den Zustand der Hypoplasie oder

Unterentwicklung eines Knochen im proximalen oder distalen Bereich einer Extremität(oder kombiniert) gibt, der dann unter Benennung des Knochens beschrieben wird.

D Die angeborene Femurhypoplasie gehört zu den longitudinalen Fehlbildungen.E Sie werden nach dem Kriterium ihrer Vererbbarkeit unterschieden.

Welche Aussage zur

proximalen fokalen

Femurdefizienz ist

richtig?4 A Sie wird international als PFFD abgekürzt.

B Sie kommt bei ungefähr 2/100000 Neugeborenen vor, immer doppelseitig.C Sie beschreibt einen Spezialfall transversaler Fehlbildungen.D Sie zeigt immer eine Fibulaaplasie mit entsprechenden Funktionsstörungen des Knies und

Sprunggelenks.E Sie zeigt typischerweise fixierte Hüft- und Kniebeugekontrakturen, wobei das Sprung-

gelenk meist auf Höhe des gesunden Sprunggelenks der Gegenseite lokalisiert ist.

CME-Fragen

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Welche Aussage zu den

longitudinalen Fehl-

bildungen der Tibia ist

falsch?5 A Sie werden nach Kalamchi u. Dawe (1,5 /100000 Neugeborene) in 3 Typen eingeteilt.

B Typ I bedeutet Aplasie der Tibia mit Varusverbiegung der Fibula, Fehlen der ersten3 Zehenstrahlen, Adduktion und Inversion des Fußes.

C Typ II bedeutet Hypoplasie der Tibia mit erhaltenem Kniegelenk.D Typ III bedeutet Dysplasie der distalen Tibia mit tibiofibulärer Diastase, Equinovarus-Fehl-

stellung des Fußes, Prominenz der distalen Fibula.E Der seltene Typ II wird wie folgt behandelt: Bei intaktem Kniegelenk wird eine Fusion der

distalen Tibia und Fibula angestrebt und die Fußdeformität amputiert.

Welche Aussage ist

nicht richtig? 6 A Die Syndaktylie zeigt eine primäre Form (Differenzierungsstörung derWeichteilmäntel umdie Knochenstrahlen) und eine sekundäre Form (Differenzierungsstörung des bereitsgegliederten Skleroblastoms).

B Die Kamptodaktylie wird definiert als Beugekontraktur des Fingermittelgelenks.C Die Klinodaktylie wird definiert als angeborene seitliche Abwinklung eines Fingers/

Daumens.D Der eingeschlagene Daumen (clapsed thumb) wird definiert als im Grundgelenk gebeugter

und in die Hohlhand eingeschlagener Daumen.E Die Kirner-Deformität wird definiert als beidseitige Fehlstellung der Daumen.

Welche Aussage zur

Spalthand ist falsch? 7 A Die Spalthand ist per Definition ein Defekt der peripheren Fingerglieder.B Bei der Ätiologie der Spalthand zeigt sich bei der Vererbung ein dominanter Erbgang.

Sie kann doppelseitig vorkommen, auch in Kombination mit Spaltfüßen und assoziiertenFehlbildungen. Es gibt aber auch sog. atypische Spalthände, die einseitig und sporadischauftreten.

C Neue Untersuchungen zeigen, dass Spalthand, Syndaktylie und Polydaktylie durchdieselben Mechanismen hervorgerufen werden können.

D Spalthand, Syndaktylie und Polydaktylie werden unter der Rubrik „abnorme Induktion vonFingerstrahlen“ eingeordnet.

E Im Röntgen zeigt sich die Aplasie ganzer Phalangen oder ganzer Fingerstrahlen.Auch Synostosen oder Verlagerungen einzelner Knochen kommen vor (sog. Transversal-knochen).

Welche Antwort zur

Thalidomid-Katastrophe

in Deutschland ist

richtig?8 A Der Reaktorunfall in Tschernobyl trug dazu wesentlich bei.

B Die Atomtests auf dem Bikini-Atoll trugen wesentlich dazu bei.C Es kam zu den typischen beidseitigen Augenerkrankungen und einer Form der Schild-

drüsenhypertrophie bei den Neugeborenen.D Typischerweise kam es regelhaft zu transversalen Fehlbildungen an den Zehen beider

Füße.E Durch die Einnahme von Thalidomid in den ersten 3 Schwangerschaftsmonaten kam es

zu schweren Dysmelien, speziell zur Phokomelie, aber auch zu kompletten Aplasien vonGliedmaßen und Organen der Kinder.

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Welche Therapie-

maßnahmen gehören

bei der Behandlung

von angeborenen

Fehlbildungen

typischerweise nicht

zum Repertoire der

Medizin?

9 A Orthesenversorgungen.B Orthoprothesenversorgungen.C Myoelektrische Extremitätenersatzteile (Prothesen).D Elektroakupunktur.E Rehabilitationsmaßnahmen nach chirurgischen Eingriffen.

Welche Aussage

über transversale

Extremitätenfehl-

bildungen ist

richtig?

10 A Sie gehören zum Kanon der chromosomalen Defekte während der Meiose.B Sie gehören zu häufigen Ereignissen nach unbeabsichtigten Röntgenuntersuchungen

der Mutter in der Fetalphase der Schwangerschaft.C Die Balkenagenesie des Gehirns gehört streng genommen zu diesen Formen der Fehl-

bildung.D Sie haben oft den Charakter amputationsähnlicher Defekte.E Sie sind nur in den transversalen Schichten der MRT richtig abschätzbar.

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