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Die Queens of Spleens treten in Altdorf auf Queens of Spleens bei Kulturinitiative Am Samstag im Bürgerhaus ALTDORF (red). Vor einigen Jahren waren die Queens of Spleens bei der Böblinger Comedy-Gala – damals noch am Albert- Einstein-Gymnasium – am Start und hin- terließen mächtig Eindruck. Unter ande- rem bei der Kulturinitiative Altdorf um ihren Vorsitzenden Klaus Schwolow. „Das Duo hat uns damals gut gefallen“, erzählt Schwolow, „jetzt haben wir es nach Alt- dorf geholt.“ Am kommenden Samstag, 25. Januar, um 20 Uhr treten die beiden Damen aus Frankfurt im Bürgerhaus in Altdorf auf und präsentieren ihr Pro- gramm „Eine spinnt immer“. Connie Webs (Gesang, Gitarre, Spezial- trompete, Komposition, Text) und Claudia Brendler (Gitarre, Klavier, Gesang, Kom- position, Text) haben ursprünglich Musik studiert, sind aber seit 1994 als Kabarett- und Comedy-Duo unterwegs – spleenig, dreist, hintergründig, hochmusikalisch, mit treffsicheren Texten und einer gehöri- gen Portion Selbstironie. Karten zu 14 Euro gibt es im Vorver- kauf in Altdorf im Bürgerbüro, der Apo- theke im Dorf sowie der Poststelle sowie in Holzgerlingen bei Buchplus. Montag, 20. Januar 2014 Nummer 15 13 Kultur Ein faszinierender Kosmos für Klavier solo Böblinger Pianistenfestival: Evgenia Rubinova hat beim zweiten Konzert unter anderem Beethovens „Hammerklavier-Sonate“ aufgeführt Als die Pianistin Evgenia Rubinova die Bühne des Württemberg-Saals betritt und auf den Flügel zugeht, denkt man: wie soll diese zarte, grazile Person den eruptiven Gewalten von Beethovens „Hammerklaviersonate“ gerecht werden? Von Jan Renz BÖBLINGEN. Beethovens „Hammerklavierso- nate“ ist ein monumentales, wuchtiges Werk, Beethovens mit Abstand längste und schwierigste Klaviersonate, eine Heraus- forderung auch für die größten Musiker. Der Pianist Rudolf Serkin war überzeugt: eine Aufführung gleiche der Besteigung des Mount Everest: ein Gipfelwerk. Beethoven war sich bewusst, was er mit diesem kolos- salen Werk den Pianisten zumutete: „Da haben Sie eine Sonate, die den Pianisten zu schaffen machen wird, die man in fünfzig Jahren spielen wird“, schrieb er an seinen Verleger Artaria. Das deutet schon die Schwierigkeiten des Werks an. Rubinova wählte einen eigenen Zugang. Sie spielte den ersten Satz sehr subtil, sie donnerte nicht, und sie raste auch nicht. Ru- binova nahm den Eröffnungssatz nicht so schnell wie ein Friedrich Gulda oder ein Mi- chael Korstick, die tatsächlich an die Gren- zen gehen. Rubinova lässt sich Zeit und ent- deckt in dieser Zeit viele Feinheiten. Gewiss kann man den ersten Satz gewaltiger, drauf- gängerischer, rasanter spielen, aber kaum detailreicher. Schon am Anfang dehnt sie einzelne Phrasen, immer wieder verlang- samt sie den musikalischen Fluss. Sie ent- deckt Momente des Abbrechens und Ver- stummens. Ein halbes Jahr hat die junge Pianistin an dieser Interpretation gefeilt. Rubinova zeig- te, was für ein faszinierender Kosmos diese große Sonate ist: Alle fünf Sätze werden durch die Terz geprägt, aus einem kleinen Motiv entwickelt Beethoven die größte Viel- falt, phantasievollen Gestaltenreichtum und unerhörte Verläufe. Das „Allerheiligste“ des Werks, so der Kritiker Joachim Kaiser, ist der langsame dritte Satz, den Rubinova schattierungs- reich, geradezu andächtig gestaltete, sie be- gab sich auf eine Reise von fast Schu- ber’scher Weiträumigkeit. Sie förderte die Reichtümer dieses Satzes zu Tage. Auf der Suche ist die Musik im vierten Satz, der tastend klang. Gefürchtet, fast unspielbar ist die abschließende Fuge. Hier bewährte sich Rubinovas ausgezeichnete Technik, sie entwarf eine funkelnde Fuge, ja ein Fugen- feuerwerk. Beethoven stößt hier fast in ato- nale Bereiche vor. Dieser horrend schwere Schlusssatz klang unter den Fingern der Pianistin ganz locker und leicht, ganz klar – eine imponierende Vorstellung. Fortsetzung von Beethoven Die zweite Konzerthälfte war Sergej Pro- kofjew gewidmet. Hier war die aus Usbeki- stan stammende Pianistin in ihrer Welt. Wenn Beethoven harmonisch extrem avant- gardistisch klang, so wirkte Prokofjew wie eine Fortsetzung von Beethoven mit moder- nen Mitteln, mit grimmigem Humor und klanglicher Vielfalt. Rubinova spielte Pro- kofjews Walzer op. 96, die „Sarkasmen“ op. 17 und als Abschluss vier Stücke aus den zehn Klavierstücken op. 12. Letztere sind ein Frühwerk, das der Komponist mit 15 Jahren in Angriff nahm! Alle genannten Werke sind auch auf der neusten CD von Evgenia Rubinova enthal- ten, auf der ausschließlich Werke von Sergej Prokofjew versammelt sind, die meisten sel- ten zu hören. Rubinovas Anschlag bewegte sich zwischen delikat und perkussiv. Sie ließ den Sauter-Flügel differenziert klingen, ließ auch klirrende oder grelle Töne zu. Sie be- gann die Klavierstücke mit einem munteren Marsch, ließ eine Gavotte träumerisch leuchten und endete mit einem hurtigen, aufregenden Scherzo. Dieses abschließende Scherzo klang wie eine Etüde, aber nicht oberflächlich, sondern elektrisierend, flüssig und enorm sicher. Es war ein kurzes Programm, deutlich vor 22 Uhr hatte die junge Dame ihr großes Pen- sum bewältigt. Natürlich erklatschte sich das Publikum im ausverkauften Württem- berg-Saal Zugaben. Fazit: Evgenia Rubino- va ist eine grazile Person, aber eine Pianistin von großer Energie und Überzeugungskraft. Evgenia Rubinova Ein halbes Jahr hat die junge Pianistin Evgenia Rubinova an der Interpretation von Beethovens „Hammerklavier-Sonate“ gefeilt KRZ-Foto: Gaetano Di Rosa Uraufführung der Tilman-Jäger-Messe in der Böblinger Martin-Luther-Kirche Foto: Gaetano Di Rosa Am Schluss sang die ganze Kirche Das Böblinger Vokalensemble hat am Samstag die „Missa“ von Tilman Jäger uraufgeführt Von Boris Belge BÖBLINGEN. Eine ganze Kirche singt „Dona nobis pacem“ (Gib uns Frieden). Mehr konnte sich Tilman Jäger von der Urauffüh- rung seiner „Missa“ nicht erhoffen. Das unter seiner Leitung stehende Böblinger Vokalensemble war am vergangenen Sams- tag in bester Verfassung und das Publikum stand zum Teil angesichts des Platzmangels in der Martin-Luther-Kirche, um den Klän- gen zu lauschen. So war es kein Wunder, dass das Konzert ein glänzender Erfolg wurde. Auch wenn das heutige Musikleben im- mer mehr einem Repertoirebetrieb gleicht, in dem sich Konzertplaner auf die Anzie- hungskraft bereits bekannter Werke verlas- sen: Eine Uraufführung bleibt etwas Beson- deres. Tilman Jäger ist und bleibt eine Marke in Böblingen, obwohl er schon seit 2004 als Musikprofessor in München wirkt. Das Böblinger Vokalensemble genießt seit Jahren einen exzellenten Ruf als dynami- scher und experimentierfreudiger Klang- körper. Wenn dann der Leiter und spiritus rector für dieses Ensemble ein Werk schreibt, ist Spannung garantiert. Am vergangenen Samstag war diese höchste Konzentration bei Ausführenden und Publikum förmlich zu spüren. In einer kurzen Pause nach dem ersten Werk des Abends lud sich die Martin-Luther-Kirche förmlich auf. Dann setzten die ersten Takte der Messe ein. Verhalten und mit Anleihen im Cool Jazz versetzte die Jazzcombo um Philipp Weiß am Piano, Thomas Ganzen- müller am Bass, Daniel Kartmann an den Drums und Peter Lehel am Saxophon den Chor in Stimmung. Zunächst verhalten, dann flehend und schließlich triumphierend intonierten die Sängerinnen und Sänger die Worte „Herr erbarme Dich“. Jäger vertonte die lateinischen Texte der Messe nicht nur – er unterwarf sie einer eindeutigen Interpre- tation. Zunächst ergänzte er beispielsweise das griechische „Kyrie Eleison“ um die Worte „er hört mein Flehen“ aus den Psal- men. Die Gewissheit um das Gehörtwerden des Bittrufs konnten die Zuhörer auch in der Musik hören: Die letzten Takte unterlegte Jäger mit einem großen Spannungsbogen, der in einem triumphalen Schluss mündete. Das „Gloria“ ähnelte einem fast schon impressionistischen Klanggemälde, in dem sich unterschiedlichste Stimmungen auf engstem Raum verdichteten. Besonders fiel auf, mit welcher Sicherheit Jäger verschie- dene Stile zusammenfügte: Vom klassischen Chorsatz ` a la Mozart über Romantik und Jazz spannte sich das Panorama an Klängen. Sie waren weniger miteinander verbunden, vielmehr von Vers zu Vers voneinander ab- gesetzt. Die Jazzcombo und Jäger zeigten sich hier nie unsicher, sondern immer als Herren des Klanggeschehens. Publikum sollte einstimmen Im Interview gab Jäger an, eine „gewisse Klarheit und gleichzeitig etwas Ungewöhn- liches“ anzustreben (die KREISZEITUNG berichtete). Das Finale seiner Messe steht für diesen Anspruch: „Dona nobis pacem“ setzte Jäger, ebenso wie die korrespondieren Worte „Die zum Frieden raten haben Freu- de“ in eine schlichte, leicht swingende Melo- die, die zunächst im Chor angestimmt wur- de. Diese Schlichtheit hatte einen entschei- denden Grund: War zuvor schon angesichts der kernigen Rhythmen kaum ein Fuß still geblieben, sollte das Publikum nun in diese Melodie einstimmen. Allzu oft ist das ein peinlicher Moment, in dem Ausführende und Chorleiter feststellen, dass sich das Publikum ihren Werbungskünsten entzieht. Nach diesem Abend genügte jedoch ein klei- nes Handzeichen Jägers und eine Vielzahl von Stimmen fiel in den Chor ein, um dem Ensemble die Gelegenheit zu geben, sich im- provisatorisch höher und höher zu schrau- ben. Angesichts der Uraufführung trat das Werk, mit dem der Abend begonnen hatte, (leider) fast schon in den Hintergrund. Dazu bestand jedoch kein Grund: Sa- xophonist Peter Lehel hatte in seinen „Songs of Praise“ Texte einer englischen Übersetzung des Hoheliedes aus dem 17. Jahrhundert in Musik gesetzt. Aus der sehr dankbaren Text- vorlage, einem Dialog zweier Liebender, gestaltete der viel- schichtig aktive Saxophonist, Komponist und Arrangeur ein sehr feines Gewebe unterschied- licher Klänge, die Lehel als wei- tere „Gesangsstimme“ am Saxo- phon durch beeindruckende Im- provisationen verband. Hier vi- brierte der Chor förmlich und ließ sich von der Combo gern zu Höchstleistungen pushen. Zusammengenommen zeigten die Missa und die Songs of Prai- se eine sehr lebendige, spannen- de Form christlicher Musik im 21. Jahrhundert auf. Freneti- scher Beifall und eine Wieder- holung des „Dona nobis pacem“ aus Jägers Messe waren da die zwangsläufige Folge. Am Schluss sang wirklich eine gan- ze Kirche. Rubinova: Ein Publikumsmagnet Oft zu Gast: Evgenia Rubinova Von Jan Renz BÖBLINGEN. 2008 gelang der jungen Evgenia Rubinova ein Kunststück: Sie war die erste Musikerin, die beim Pianistenfestival in Böblingen für ein volles Haus sorgte. Frau Rubinova ist ein Publikumsmagnet. In die- sem Jahr wird die Pianistin gleich zwei Kla- vierabende gestalten, was mit der termin- lichen Gesamtzuordnung der Beethoven-So- naten zu tun hat, so die Veranstalter. Alle 32 Sonaten werden ja auf acht Pianisten ver- teilt. Deshalb ist jeder Pianist mehrfach ver- treten. In Böblingen fühlt sich Rubinova wohl: „Ich bin sehr gerne hier. Das Festival ist sehr fachkundig or- ganisiert.“ Rubinova hat bei Wettbewer- ben Preise gewon- nen, wichtigster Er- folg war sicher die Silbermedaille in Leeds 2003. „Große Wettbewerbe ver- langen sehr viel in einem kurzen Zeit- raum, das bringt ei- nen unnormalen Stress mit sich, schon bei kleinen Konzen- trationsschwächen kann man ausscheiden.“ Trotz aller Wettbewerbserfolge „steht für mich das Musizieren im Zentrum meines künstlerischen Lebens“, bekannte sie im Booklet ihrer Debüt-CD (bei EMI). Schon als Kind war Evgenia Rubinova von Musik umgeben, die Eltern sind beide Berufsmusiker. Mit vier Jahren erhielt sie ihren ersten Klavierunterricht, an die ersten Schritte am Instrument erinnert sie sich allerdings nicht. Mit acht gab sie ihren ersten Klavierabend, mit zwölf debütierte sie mit Orchester. Seitdem hat sie mit vielen großen Klangkörpern zusammengearbeitet. Pianistisches Empfinden völlig verändert Drei Orte haben sie geprägt: 1977 in Taschkent, Usbekistan, geboren, verbindet sie mit ihrer Heimat „viele wundervolle Kindheitserinnerungen“. Ihre Jugend ver- brachte sie in Moskau, wo sie ihre Klavier- studien fortsetzte. Seit 15 Jahren lebt sie in Deutschland. „Ich fühle mich sehr wohl hier“, sagt sie. In Deutschland studierte sie bei Lev Natochenny, der „mein musikali- sches und pianistisches Empfinden völlig verändert hat“. Diese Begegnung vertiefte ihr Spiel. Beim aktuellen Böblinger Beethoven-Zy- klus ist Evgenia Rubinova insgesamt drei Mal vertreten. Am letzten Abend des dies- jährigen Festivals, am 7. Februar, wird sie die späte E-Dur-Sonate op. 109 spielen, ein eher lyrisches Werk. Beethoven ist für sie sehr wichtig, kam sie doch schon als Kind mit ihm in Kontakt: „Ich habe eine sehr enge Beziehung zu Beethoven, vor allem zu seinem Spätwerk. Es weist weit in die Zu- kunft.“ Unlängst ist ihre hörenswerte neuste CD erschienen, ganz Sergej Prokofjew ge- widmet.

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Die Queens of Spleens treten in Altdorf auf

Queens of Spleensbei KulturinitiativeAm Samstag im Bürgerhaus

ALTDORF (red). Vor einigen Jahren warendie Queens of Spleens bei der BöblingerComedy-Gala – damals noch am Albert-Einstein-Gymnasium – am Start und hin-terließen mächtig Eindruck. Unter ande-rem bei der Kulturinitiative Altdorf umihren Vorsitzenden Klaus Schwolow. „DasDuo hat uns damals gut gefallen“, erzähltSchwolow, „jetzt haben wir es nach Alt-dorf geholt.“ Am kommenden Samstag,25. Januar, um 20 Uhr treten die beidenDamen aus Frankfurt im Bürgerhaus inAltdorf auf und präsentieren ihr Pro-gramm „Eine spinnt immer“.

Connie Webs (Gesang, Gitarre, Spezial-trompete, Komposition, Text) und ClaudiaBrendler (Gitarre, Klavier, Gesang, Kom-position, Text) haben ursprünglich Musikstudiert, sind aber seit 1994 als Kabarett-und Comedy-Duo unterwegs – spleenig,dreist, hintergründig, hochmusikalisch,mit treffsicheren Texten und einer gehöri-gen Portion Selbstironie.

Karten zu 14 Euro gibt es im Vorver-kauf in Altdorf im Bürgerbüro, der Apo-theke im Dorf sowie der Poststelle sowiein Holzgerlingen bei Buchplus.

Montag, 20. Januar 2014 Nummer 15 13Kultur

Ein faszinierender Kosmos für Klavier soloBöblinger Pianistenfestival: Evgenia Rubinova hat beim zweiten Konzert unter anderem Beethovens „Hammerklavier-Sonate“ aufgeführt

Als die Pianistin Evgenia Rubinova dieBühne des Württemberg-Saals betritt undauf den Flügel zugeht, denkt man: wie solldiese zarte, grazile Person den eruptivenGewalten von Beethovens„Hammerklaviersonate“ gerecht werden?

Von Jan Renz

BÖBLINGEN. Beethovens „Hammerklavierso-nate“ ist ein monumentales, wuchtigesWerk, Beethovens mit Abstand längste undschwierigste Klaviersonate, eine Heraus-forderung auch für die größten Musiker. DerPianist Rudolf Serkin war überzeugt: eineAufführung gleiche der Besteigung desMount Everest: ein Gipfelwerk. Beethovenwar sich bewusst, was er mit diesem kolos-salen Werk den Pianisten zumutete: „Dahaben Sie eine Sonate, die den Pianisten zuschaffen machen wird, die man in fünfzigJahren spielen wird“, schrieb er an seinenVerleger Artaria. Das deutet schon dieSchwierigkeiten des Werks an.

Rubinova wählte einen eigenen Zugang.Sie spielte den ersten Satz sehr subtil, siedonnerte nicht, und sie raste auch nicht. Ru-binova nahm den Eröffnungssatz nicht soschnell wie ein Friedrich Gulda oder ein Mi-chael Korstick, die tatsächlich an die Gren-zen gehen. Rubinova lässt sich Zeit und ent-deckt in dieser Zeit viele Feinheiten. Gewisskann man den ersten Satz gewaltiger, drauf-gängerischer, rasanter spielen, aber kaumdetailreicher. Schon am Anfang dehnt sieeinzelne Phrasen, immer wieder verlang-samt sie den musikalischen Fluss. Sie ent-deckt Momente des Abbrechens und Ver-stummens.

Ein halbes Jahr hat die junge Pianistin andieser Interpretation gefeilt. Rubinova zeig-te, was für ein faszinierender Kosmos diesegroße Sonate ist: Alle fünf Sätze werdendurch die Terz geprägt, aus einem kleinenMotiv entwickelt Beethoven die größte Viel-falt, phantasievollen Gestaltenreichtum undunerhörte Verläufe.

Das „Allerheiligste“ des Werks, so derKritiker Joachim Kaiser, ist der langsamedritte Satz, den Rubinova schattierungs-

reich, geradezu andächtig gestaltete, sie be-gab sich auf eine Reise von fast Schu-ber’scher Weiträumigkeit. Sie förderte dieReichtümer dieses Satzes zu Tage. Auf derSuche ist die Musik im vierten Satz, dertastend klang. Gefürchtet, fast unspielbarist die abschließende Fuge. Hier bewährtesich Rubinovas ausgezeichnete Technik, sieentwarf eine funkelnde Fuge, ja ein Fugen-feuerwerk. Beethoven stößt hier fast in ato-nale Bereiche vor. Dieser horrend schwereSchlusssatz klang unter den Fingern derPianistin ganz locker und leicht, ganz klar –eine imponierende Vorstellung.

Fortsetzung von Beethoven

Die zweite Konzerthälfte war Sergej Pro-kofjew gewidmet. Hier war die aus Usbeki-stan stammende Pianistin in ihrer Welt.Wenn Beethoven harmonisch extrem avant-gardistisch klang, so wirkte Prokofjew wieeine Fortsetzung von Beethoven mit moder-nen Mitteln, mit grimmigem Humor undklanglicher Vielfalt. Rubinova spielte Pro-kofjews Walzer op. 96, die „Sarkasmen“ op.

17 und als Abschluss vier Stücke aus denzehn Klavierstücken op. 12. Letztere sindein Frühwerk, das der Komponist mit 15Jahren in Angriff nahm!

Alle genannten Werke sind auch auf derneusten CD von Evgenia Rubinova enthal-ten, auf der ausschließlich Werke von SergejProkofjew versammelt sind, die meisten sel-ten zu hören. Rubinovas Anschlag bewegtesich zwischen delikat und perkussiv. Sie ließden Sauter-Flügel differenziert klingen, ließauch klirrende oder grelle Töne zu. Sie be-gann die Klavierstücke mit einem munterenMarsch, ließ eine Gavotte träumerischleuchten und endete mit einem hurtigen,aufregenden Scherzo. Dieses abschließendeScherzo klang wie eine Etüde, aber nichtoberflächlich, sondern elektrisierend, flüssigund enorm sicher.

Es war ein kurzes Programm, deutlich vor22 Uhr hatte die junge Dame ihr großes Pen-sum bewältigt. Natürlich erklatschte sichdas Publikum im ausverkauften Württem-berg-Saal Zugaben. Fazit: Evgenia Rubino-va ist eine grazile Person, aber eine Pianistinvon großer Energie und Überzeugungskraft.

Evgenia Rubinova

Ein halbes Jahr hat die junge Pianistin Evgenia Rubinova an der Interpretation von Beethovens „Hammerklavier-Sonate“ gefeilt KRZ-Foto: Gaetano Di Rosa

Uraufführung der Tilman-Jäger-Messe in der Böblinger Martin-Luther-Kirche Foto: Gaetano Di Rosa

Am Schluss sang die ganze KircheDas Böblinger Vokalensemble hat am Samstag die „Missa“ von Tilman Jäger uraufgeführt

Von Boris Belge

BÖBLINGEN. Eine ganze Kirche singt „Donanobis pacem“ (Gib uns Frieden). Mehrkonnte sich Tilman Jäger von der Urauffüh-rung seiner „Missa“ nicht erhoffen. Dasunter seiner Leitung stehende BöblingerVokalensemble war am vergangenen Sams-tag in bester Verfassung und das Publikumstand zum Teil angesichts des Platzmangelsin der Martin-Luther-Kirche, um den Klän-gen zu lauschen. So war es kein Wunder,dass das Konzert ein glänzender Erfolgwurde.

Auch wenn das heutige Musikleben im-mer mehr einem Repertoirebetrieb gleicht,in dem sich Konzertplaner auf die Anzie-hungskraft bereits bekannter Werke verlas-sen: Eine Uraufführung bleibt etwas Beson-deres. Tilman Jäger ist und bleibt eineMarke in Böblingen, obwohl er schon seit2004 als Musikprofessor in München wirkt.Das Böblinger Vokalensemble genießt seitJahren einen exzellenten Ruf als dynami-scher und experimentierfreudiger Klang-körper. Wenn dann der Leiter und spiritusrector für dieses Ensemble ein Werkschreibt, ist Spannung garantiert.

Am vergangenen Samstag war diesehöchste Konzentration bei Ausführendenund Publikum förmlich zu spüren. In einerkurzen Pause nach dem ersten Werk desAbends lud sich die Martin-Luther-Kircheförmlich auf. Dann setzten die ersten Takteder Messe ein. Verhalten und mit Anleihenim Cool Jazz versetzte die Jazzcombo umPhilipp Weiß am Piano, Thomas Ganzen-müller am Bass, Daniel Kartmann an denDrums und Peter Lehel am Saxophon denChor in Stimmung. Zunächst verhalten,dann flehend und schließlich triumphierendintonierten die Sängerinnen und Sänger dieWorte „Herr erbarme Dich“. Jäger vertontedie lateinischen Texte der Messe nicht nur –er unterwarf sie einer eindeutigen Interpre-

tation. Zunächst ergänzte er beispielsweisedas griechische „Kyrie Eleison“ um dieWorte „er hört mein Flehen“ aus den Psal-men. Die Gewissheit um das Gehörtwerdendes Bittrufs konnten die Zuhörer auch in derMusik hören: Die letzten Takte unterlegteJäger mit einem großen Spannungsbogen,der in einem triumphalen Schluss mündete.

Das „Gloria“ ähnelte einem fast schonimpressionistischen Klanggemälde, in demsich unterschiedlichste Stimmungen aufengstem Raum verdichteten. Besonders fielauf, mit welcher Sicherheit Jäger verschie-dene Stile zusammenfügte: Vom klassischenChorsatz a la Mozart über Romantik undJazz spannte sich das Panorama an Klängen.Sie waren weniger miteinander verbunden,

vielmehr von Vers zu Vers voneinander ab-gesetzt. Die Jazzcombo und Jäger zeigtensich hier nie unsicher, sondern immer alsHerren des Klanggeschehens.

Publikum sollte einstimmen

Im Interview gab Jäger an, eine „gewisseKlarheit und gleichzeitig etwas Ungewöhn-liches“ anzustreben (die KREISZEITUNGberichtete). Das Finale seiner Messe stehtfür diesen Anspruch: „Dona nobis pacem“setzte Jäger, ebenso wie die korrespondierenWorte „Die zum Frieden raten haben Freu-de“ in eine schlichte, leicht swingende Melo-die, die zunächst im Chor angestimmt wur-

de. Diese Schlichtheit hatte einen entschei-denden Grund: War zuvor schon angesichtsder kernigen Rhythmen kaum ein Fuß stillgeblieben, sollte das Publikum nun in dieseMelodie einstimmen. Allzu oft ist das einpeinlicher Moment, in dem Ausführendeund Chorleiter feststellen, dass sich dasPublikum ihren Werbungskünsten entzieht.Nach diesem Abend genügte jedoch ein klei-nes Handzeichen Jägers und eine Vielzahlvon Stimmen fiel in den Chor ein, um demEnsemble die Gelegenheit zu geben, sich im-provisatorisch höher und höher zu schrau-ben.

Angesichts der Uraufführung trat dasWerk, mit dem der Abend begonnen hatte,(leider) fast schon in den Hintergrund. Dazu

bestand jedoch kein Grund: Sa-xophonist Peter Lehel hatte inseinen „Songs of Praise“ Texteeiner englischen Übersetzungdes Hoheliedes aus dem 17.Jahrhundert in Musik gesetzt.Aus der sehr dankbaren Text-vorlage, einem Dialog zweierLiebender, gestaltete der viel-schichtig aktive Saxophonist,Komponist und Arrangeur einsehr feines Gewebe unterschied-licher Klänge, die Lehel als wei-tere „Gesangsstimme“ am Saxo-phon durch beeindruckende Im-provisationen verband. Hier vi-brierte der Chor förmlich undließ sich von der Combo gern zuHöchstleistungen pushen.

Zusammengenommen zeigtendie Missa und die Songs of Prai-se eine sehr lebendige, spannen-de Form christlicher Musik im21. Jahrhundert auf. Freneti-scher Beifall und eine Wieder-holung des „Dona nobis pacem“aus Jägers Messe waren da diezwangsläufige Folge. AmSchluss sang wirklich eine gan-ze Kirche.

Rubinova: EinPublikumsmagnetOft zu Gast: Evgenia RubinovaVon Jan Renz

BÖBLINGEN. 2008 gelang der jungen EvgeniaRubinova ein Kunststück: Sie war die ersteMusikerin, die beim Pianistenfestival inBöblingen für ein volles Haus sorgte. FrauRubinova ist ein Publikumsmagnet. In die-sem Jahr wird die Pianistin gleich zwei Kla-vierabende gestalten, was mit der termin-lichen Gesamtzuordnung der Beethoven-So-naten zu tun hat, so die Veranstalter. Alle 32Sonaten werden ja auf acht Pianisten ver-teilt. Deshalb ist jeder Pianist mehrfach ver-treten.

In Böblingen fühltsich Rubinova wohl:„Ich bin sehr gernehier. Das Festival istsehr fachkundig or-ganisiert.“ Rubinovahat bei Wettbewer-ben Preise gewon-nen, wichtigster Er-folg war sicher dieSilbermedaille inLeeds 2003. „GroßeWettbewerbe ver-langen sehr viel ineinem kurzen Zeit-raum, das bringt ei-nen unnormalen

Stress mit sich, schon bei kleinen Konzen-trationsschwächen kann man ausscheiden.“Trotz aller Wettbewerbserfolge „steht fürmich das Musizieren im Zentrum meineskünstlerischen Lebens“, bekannte sie imBooklet ihrer Debüt-CD (bei EMI).

Schon als Kind war Evgenia Rubinovavon Musik umgeben, die Eltern sind beideBerufsmusiker. Mit vier Jahren erhielt sieihren ersten Klavierunterricht, an die erstenSchritte am Instrument erinnert sie sichallerdings nicht. Mit acht gab sie ihrenersten Klavierabend, mit zwölf debütiertesie mit Orchester. Seitdem hat sie mit vielengroßen Klangkörpern zusammengearbeitet.

Pianistisches Empfindenvöllig verändert

Drei Orte haben sie geprägt: 1977 inTaschkent, Usbekistan, geboren, verbindetsie mit ihrer Heimat „viele wundervolleKindheitserinnerungen“. Ihre Jugend ver-brachte sie in Moskau, wo sie ihre Klavier-studien fortsetzte. Seit 15 Jahren lebt sie inDeutschland. „Ich fühle mich sehr wohlhier“, sagt sie. In Deutschland studierte siebei Lev Natochenny, der „mein musikali-sches und pianistisches Empfinden völligverändert hat“. Diese Begegnung vertiefteihr Spiel.

Beim aktuellen Böblinger Beethoven-Zy-klus ist Evgenia Rubinova insgesamt dreiMal vertreten. Am letzten Abend des dies-jährigen Festivals, am 7. Februar, wird siedie späte E-Dur-Sonate op. 109 spielen, eineher lyrisches Werk. Beethoven ist für siesehr wichtig, kam sie doch schon als Kindmit ihm in Kontakt: „Ich habe eine sehrenge Beziehung zu Beethoven, vor allem zuseinem Spätwerk. Es weist weit in die Zu-kunft.“ Unlängst ist ihre hörenswerte neusteCD erschienen, ganz Sergej Prokofjew ge-widmet.